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Warum ist die Schweiz ein reiches Land? Eine Antwort aus wirtschaftshistorischer Sicht | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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Academic year: 2022

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In der modernen Zeit sind 90 Jahre Wirt- schaftsgeschichte eine halbe Ewigkeit. Im Jahr 1920 war das durchschnittliche Einkom- men etwa fünfmal geringer als in der Gegen- wart und die Bevölkerungszahl nur halb so gross. Nicht weniger als zwei Drittel der Be- schäftigten arbeiteten entweder in der Land- wirtschaft (26%) oder im gewerblich-indus- triellen Sektor (44%), während die beiden Sektoren heute nur noch etwas mehr als ein Viertel ausmachen. Das Leben war härter, ge- fährlicher und kürzer. Als 1918/19 die «spa- nische Grippe» um sich griff, fielen ihr in der Schweiz nicht weniger als 25 000 Menschen zum Opfer. Die durchschnittliche Lebenser- wartung lag bei rund 60 Jahren.

Auch in der Wirtschaftspolitik liegen Welten zwischen 1920 und der Gegenwart.

Wegen des Landesstreiks vom November 1918 waren die Beziehungen zwischen den Arbeitgebern und der Arbeiterschaft nach- haltig gestört. Die politischen Positionen der bürgerlichen und linken Parteien lagen weit auseinander. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) votierte an ihrem Partei- tag von 1920 für ein neues Programm, das die bürgerliche Demokratie verurteilte und nach der Eroberung der parlamentarischen Mehrheit eine Diktatur des Proletariats vorsah. Teile der bürgerlichen Parteien wünschten sich dagegen eine autoritäre Re- stauration, um die Arbeiterbewegung gefügig zu machen. Erst in den 1930er-Jahren bahnte sich eine Verständigung zwischen links und rechts an. 1943 erhielt die SPS ihren ersten Bundesratssitz.

Beim Vergleich der damaligen mit der heutigen Zeit sind es jedoch nicht die Unter- schiede, die eine Erklärung erfordern, ob- wohl sie einem als Erstes ins Auge stechen.

Bei der schweizerischen Wirtschaftsgeschich- te fällt vielmehr die ausgeprägte Konstanz auf, denn bereits damals gehörte die Schwei- zer Wirtschaft zu den erfolgreichsten Volks-

Warum ist die Schweiz ein reiches Land?

Eine Antwort aus wirtschaftshistorischer Sicht

PD Dr. Tobias Straumann Institut für empirische Wirtschaftsforschung, Universität Zürich

Die Geschichte lehrt, dass Erfolg ohne günstige Umstände kaum möglich ist. So verhält es sich auch im Fall der schweizerischen Wirtschaftsgeschichte der letzten 90 Jahre. Besonders drei exogene Faktoren hatten eine günstige Wirkung: der ununterbrochene Friede, das Wachstum der grossen Nachbarn nach 1945 und die aus dem 19. Jahrhundert ererbte Branchenstruktur. Gleichzeitig zeigt die Geschichte aber auch, dass sich Erfolg nur dann ein­

stellt, wenn man die günstigen Gelegenheiten beim Schopf zu packen weiss. Zu den haus­

gemachten Stärken der Schweiz zählen die hohe Qualität des Humankapitals und die auf Stabi­

lität ausgerichtete Wirtschafts­

politik. Anders formuliert:

Der grosse Erfolg der Schweizer Wirtschaft in den letzten 90 Jah­

ren ist sowohl auf Glück wie auf Verstand zurückzuführen.

Im Folgenden soll diese eigen­

tümliche Mischung genauer analysiert werden.

Der Erfolg der Schweizer Volkswirtschaft ist die Folge einer Kombination von eigenen Anstrengungen und glücklichen Umständen. Die Qualität des Humankapitals gehört zu den hausgemachten Stärken der Schweiz. Im Bild: Postkarte des 1854 gegründeten Eidgenössischen Polytechnikums – der heutigen ETH – in Zürich um 1920. Bild: Keystone

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ten. Dass die Banken einen besonders ausge- prägten Schutz der Privatsphäre bieten konn- ten, hat diesen Prozess zweifellos begünstigt, wenn auch nicht ausgelöst. Entscheidend war die politische und wirtschaftliche Stabilität der vom Krieg unversehrten Schweiz.

Im Schlepptau der grossen Nachbarn Als glücklicher Umstand muss auch be- zeichnet werden, dass die Schweiz als kleine, offene Volkswirtschaft von wirtschaftlich er- folgreichen Ländern umgeben ist. Das gilt vor allem für Deutschland, das nach dem Zweiten Weltkrieg eine Art Wiedergeburt er- fuhr. Auch die Nachfrage aus Frankreich und Norditalien belebte die schweizerische Ex- portindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Be- deutung des europäischen Markts etwas rela- tiviert; aber noch immer gehen zwei Drittel der Exporte in die benachbarten Länder.

Wenn Deutschland Probleme hat, wirkt sich das unmittelbar auf den Schweizer Export aus, wie die aktuelle Wirtschaftskrise zeigt.

Neben dem Export profitierten auch die Finanzdienstleistungen und der Tourismus vom steigenden Wohlstand der grossen Nachbarn. Zudem löste die Einwanderung von Ingenieuren und Wissenschaftlern das Problem, dass in diesen Fächern der einhei- mische Nachwuchs zu klein war. Die Basler Chemie und die Grossunternehmen der Ma- schinenindustrie zum Beispiel hätten sich ohne ausländische Spezialisten nie in diesem Mass entwickeln können. Nicht zuletzt hat sich auch die Geldpolitik der Deutschen Bundesbank als äusserst positiv erwiesen.

Während andere europäische Zentralbanken immer wieder Inflation entfachten und grosse Kapitalbewegungen auslösten, die den realen Wechselkurs des Frankens vorüberge- hend in die Höhe trieben, sorgten die Währungshüter des wichtigsten Handels- partners für Stabilität. Dank der Europäi- schen Zentralbank hat sich die Situation wei- ter verbessert. Ohne Euro hätte die jüngste Finanzkrise zweifellos einen grösseren Wäh- rungskollaps in Europa ausgelöst, der die Wettbewerbsposition der Schweizer Export- industrie empfindlich geschwächt hätte.

Flexible Branchenstruktur

Als grosses Glück muss schliesslich auch die aus der Vergangenheit ererbte Branchen- struktur taxiert werden. Die Kombination von exportorientierter Landwirtschaft, hoch- wertiger Industrieproduktion, Tourismus und Finanzdienstleistungen hat sich in den letzten 90 Jahren als äusserst flexibel erwie- sen. Zu den günstigen Umständen muss sie wirtschaften der Welt. Wie lässt sich diese

ausserordentliche Konstanz erklären?

Wachstum dank Frieden

Die Schweiz ist in den letzten 90 Jahren nie erobert worden. Dass dabei auch Glück eine Rolle spielte, dürfte kaum umstritten sein. Wenn zum Beispiel der deutsche West- feldzug im Frühjahr 1940 keinen schnellen Erfolg gebracht hätte, wäre die Wehrmacht wahrscheinlich über die Schweiz nach Frank- reich eingefallen, um eine zweite Front zu er- öffnen. Die meisten anderen westeuropäi- schen Kleinstaaten, die wie die Schweiz im Konfliktfall stets auf Neutralität bedacht wa- ren, hatten diesbezüglich weniger Glück. Den grössten Schaden erlitt Belgien, das sowohl im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Truppen angegriffen wurde. Vor allem in den 1920er-Jahren litt das Land unter Kriegsschäden und finanzpolitischen Konflikten. Beides hemmte das Wachstum.

Die Schweiz konnte demgegenüber nach den Weltkriegen jeweils mit einem intakten Produktionsapparat auf die Weltmärkte tre- ten. Der durch Glück bewahrte Friede war auch eine wichtige Voraussetzung für den spektakulären Aufschwung der Vermögens- verwaltung im 20. Jahrhundert. Bereits Ende der 1920er-Jahre – also noch vor der Einfüh- rung des Bankgeheimnisses 1935 – war die Schweiz das führende Zentrum Europas.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Höhe der ausländischen Vermögen weiter zu, als viele europäische Bürger einen erneuten Krieg, Inflation oder Konfiskation befürchte-

Kasten 1

Einwanderung und Wachstum

In den letzten 90 Jahren war die durchschnitt- liche Einwanderungsrate deutlich höher als die Auswanderungsrate. Die Entwicklung verlief aber keineswegs linear. Wenn wir mangels besserer Daten den Anteil der ausländischen Bevölkerung an der ständigen Wohnbevölkerung als Indikator verwenden, lassen sich vier Phasen unterschei- den. Von 1920 bis 1945 halbierte sich der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung von knapp 10% auf 5%. Dies war durch eine striktere Ein- wanderungspolitik und den Zweiten Weltkrieg bedingt. Während der Hochkonjunkturphase von 1945 bis zur grossen Rezession Mitte der 1970er- Jahre fand eine erste grosse Einwanderungswelle statt: Der Anteil der ausländischen Wohnbevölke- rung stieg von 5% auf 17%. Nach einer starken kurzfristigen Reduktion auf 14%, die darauf zu- rückzuführen war, dass die Schweiz mehr als 150 000 ausländische Saisonniers nach Hause schickte, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, begann in den 1980er-Jahren eine zweite grosse Einwanderungswelle, die bis heute andauert.

Einwanderung und Wohlstand sind zwei Seiten derselben Medaille. Eine kleine, offene Volkswirt-

schaft wie die Schweiz erzielt nur dann ein konti- nuierliches Wachstum, wenn sie ausländische Arbeitskräfte rekrutieren kann. Wie hoch die Einwanderungsrate sein soll und wie die Einwan- derung gesteuert werden kann, ist primär eine politische Frage. Aus ökonomischer Sicht ist es optimal, wenn die Einwanderung nicht in erster Linie die Besetzung offener Stellen ermöglicht, sondern zur Steigerung der Produktivität bei- trägt. Dies war in der schweizerischen Wirt- schaftsgeschichte der letzten 90 Jahre nicht immer der Fall. Vor allem in der Hochkonjunktur der Nachkriegszeit haben strukturschwache Branchen ausländische Arbeits kräfte rekrutiert, um mit einer Niedriglohnstrategie den unver- meidbaren Abstieg hinauszuzögern. In der Krise der 1970er-Jahre war deshalb der Zusammen- bruch dieser Branchen besonders dramatisch.

Hingegen hat die Schweiz immer hochqualifi- zierte Arbeitskräfte anziehen können. Ohne diese Attraktionsfähigkeit wäre die Wirtschafts- geschichte der letzten 90 Jahre ganz anders ver- laufen.

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der Erdölfunde einen relativen Niedergang der einst starken Maschinenindustrie hin- nehmen müssen. Natürlich sind auch in der Schweiz einst blühende Industriezentren ab- gestiegen, weil man sich allzu lange auf den Erfolg einer einzelnen Branche verlassen hat – etwa in den Kantonen Glarus, St.Gallen oder Solothurn. Aber es ist ungleich schwie- riger, in einem ehemaligen Bergbaugebiet neue Arbeitsplätze zu schaffen als in einer Region, die ihre Stärken in der Textil- oder Uhrenindustrie gehabt hat. Der Aufschwung der Medizinaltechnik am Jura-Südfuss ist ein typisches Beispiel dafür.

Die Grenzen des Glücks

Wie die Wirtschaftsgeschichte der Schweiz ohne diese günstigen Umstände verlaufen wäre, lässt sich nicht sagen. Die Entwicklung eines Landes ist immer einzigartig. Der Ver- gleich mit anderen europäischen Kleinstaaten zeigt aber, dass Glück keineswegs die ganze Erfolgsgeschichte der Schweizer Wirtschaft erklären kann. Wohl profitierte die Schweiz davon, dass sie von beiden Weltkriegen ver- schont blieb: In den 1920er-Jahren und Ende der 1940er-Jahren nahm der relative Wohl- stand der Schweiz besonders stark zu. Aber ein messbarer Vorteil zeigte sich nur vorü- bergehend. Am Ende des 20. Jahrhunderts wiesen nicht die vom Zweiten Weltkrieg ver- schonten Länder – wie Schweden oder die Schweiz – das höchste durchschnittliche Ein- kommen auf, sondern Dänemark. Schweden schnitt nicht einmal besser als Belgien ab.

Auch die Tatsache, dass die Schweiz von erfolgreichen Nachbarn umgeben ist, erklärt nicht alles. Ein legendäres Beispiel ist Irland.

Obwohl Nachbar eines der reichsten Länder der Welt, vermochte die Grüne Insel bis in die jüngste Zeit kaum ein nennenswertes Wachstum zu erzielen. Die Nachbarschaft zu Grossbritannien schien eher ein Fluch als ein Segen zu sein. Erst dank einem radikalen wirtschaftspolitischen Kurswechsel vermoch- te die irische Wirtschaft von der Nähe zu Grossbritannien zu profitieren. Die blosse Anwesenheit eines erfolgreichen Nachbarn ist deshalb keineswegs ausreichend. Es kommt vielmehr darauf an, wie ein Klein- staat seine Chancen nutzen kann.

Schliesslich ist auch die Bedeutung der er- erbten Branchenstruktur zu relativieren. Na- türlich war es für die Schweizer Wirtschaft ein grosses Glück, dass sie keinem Ressour- cenfluch unterlag. Aber damit ist nicht ge- klärt, warum zum Beispiel die Basler Chemie im ausgehenden 20. Jahrhundert den Struk- turwandel hin zur Pharmaindustrie schaffte.

Die deutschen Unternehmen hatten diesbe- züglich mehr Probleme. Genauso wenig wird deshalb gezählt werden, weil sie keineswegs

einem grossen Plan entsprach, sondern sich aufgrund einer langen historischen Entwick- lung ergeben hat. Die Exportorientierung der Landwirtschaft geht bis auf das Spätmit- telalter zurück, als die Bauern des «Hirten- landes» die Getreidewirtschaft zugunsten der Viehwirtschaft aufgaben und ihre Herden über die Alpenpässe nach Norditalien trie- ben. Durch die Spezialisierung auf die Milch- wirtschaft wurde die Grundlage geschaffen für die industrielle Herstellung von Milch- pulver und Schokolade. Die schweizerische Industrieproduktion hat ihre Wurzeln im 16. und 17. Jahrhundert, als die aus Frank- reich vertriebenen Protestanten (Hugenot- ten) die Uhrenindustrie in die Westschweiz brachten und zum Aufschwung der Textil- industrie in der Deutschschweiz beitrugen.

Aus der Textilindustrie gingen im 19. Jahr- hundert die Maschinenindustrie sowie die Chemie- und Pharmaindustrie hervor.

Der Tourismus war im Wesentlichen eine Er- findung der englischen Besucher, die im 19. Jahrhundert die Alpen als Erholungsge- biet für sich entdeckt hatten. Die Gründung von Grossbanken, Kantonalbanken und Ver- sicherungen ergab sich automatisch aus der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Das Glück bestand nicht nur darin, dass die Schweizer Wirtschaft gut diversifiziert war, sondern auch darin, dass der Rohstoff- sektor unbedeutend war. Denn die Geschich- te zeigt, dass Regionen mit einem starken Rohstoffsektor besonders grosse Mühe mit dem Strukturwandel bekunden. Auch hier ist der Blick nach Belgien aufschlussreich. Bis in die Zwischenkriegszeit sorgte das rohstoff- reiche Wallonien für grossen Wohlstand.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann aber ein Abstieg, von dem sich die Region bis heute nicht erholt hat. In der Wissenschaft ist deshalb zu Recht von einem «Ressourcen- fluch» die Rede. Reichtum, der auf Roh- stoffen beruht, hat nur kurzfristig eine positive Wirkung. Langfristig ist er eine Hypothek.

Zu den Nachteilen einer reichen Ressour- cenausstattung gehört auch das Phänomen der «holländischen Krankheit». Länder, die mit Rohstoffexporten hohe Erlöse erzielen, leiden unter einem starken Aufwertungs- druck des realen Wechselkurses. Das hat zur Folge, dass die übrigen Exportsektoren an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und schrumpfen. Zum ersten Mal entdeckt wurde dieses Problem in den 1970er-Jahren, als die Niederlande aufgrund von Erdgasexporten gleichzeitig einen Handelsbilanzüberschuss und eine Krise der traditionellen Exportsek- toren erlebten. Auch Norwegen hat wegen

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«Schweizer Tugenden» spricht. Die Schweizer Städte waren Zentren der Reformation, die ein neues Arbeitsethos mit sich brachte. Sie haben auch unternehmerische Energien frei- gesetzt, indem sie immer wieder Menschen aus den ländlichen Gebieten oder dem be- nachbarten Ausland angezogen haben, die sich durch besondere Leistungen auszeich- nen wollten. Im 19. Jahrhundert war die Eid- genossenschaft eine Pionierin bei der Volks- bildung und der technischen Bildung. 1854 wurde das Eidgenössische Polytechnikum in Zürich, 1874 das Technikum in Winterthur gegründet. Gegen Ende des Jahrhunderts verankerte der Bund das moderne Modell der Berufslehre.

Die hohe Qualität des Humankapitals war eine Voraussetzung dafür, dass sich die Schweizer Unternehmen auf hochwertige Nischenprodukte spezialisieren und ihren Angestellten und Arbeitern relativ hohe Löh- ne ausbezahlen konnten. Gleichzeitig war sie auch eine Folge des Erfolgs. Die Unterneh- mer wussten, dass sie ihre Nischenstrategie nur dann fortsetzen konnten, wenn sie die Volksschule, die höhere technische Bildung und die betriebliche Ausbildung unter- stützten. Auch für die Arbeitnehmerseite hat es sich immer gelohnt, in die eigene Ausbil- dung zu investieren, denn mit einem besse- ren Abschluss ergab sich fast automatisch ein höherer Lohn.

Die Kunst, grosse Fehler zu vermeiden Ein zweiter Erfolgsfaktor, der nicht ein- fach auf günstige Umstände zurückgeführt werden kann, ist die schweizerische Wirt- verständlich, warum Luxemburg trotz seiner

jahrzehntelangen Abhängigkeit von der Stahl- industrie einen blühenden Finanzplatz auf- bauen konnte. Es gibt Ausnahmen, die erklä- rungsbedürftig sind.

Um die schweizerische Erfolgsgeschichte zu verstehen, muss man deshalb auch Fak- toren berücksichtigen, die sich nicht auf günstige Umstände zurückführen lassen.

Zwei von ihnen haben eine besonders hohe Erklärungskraft: die hohe Qualität des Hu- mankapitals und die auf Stabilität ausgerich- tete Wirtschaftspolitik.

Die «Schweizer Tugenden»

Es ist in der ökonomischen Theorie unbe- stritten, dass der Wohlstand eines Landes in letzter Instanz von der Qualität des Hu- mankapitals abhängt. Je unternehmerischer und je besser ausgebildet die Arbeitskräfte sind, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Land reich ist. In der Schweiz schei- nen die Bedingungen für die Akkumulation von Humankapital besonders günstig gewe- sen zu sein. Zum einen hat es immer eine ho- he Wertschätzung für Tugenden wie Fleiss, Qualitätsarbeit und Unternehmertum gege- ben, zum andern haben Politik und Wirt- schaft stets besonderes Gewicht auf gute Bil- dungsinstitutionen gelegt, sowohl für die Eliten wie auch für Volksschüler und Lehr- linge.

Woher die hohe Wertschätzung für Bil- dung und Ausbildung stammt, ist nicht leicht zu erklären. Klar ist aber, dass sie auf eine lange Tradition zurückblicken kann und so gut verankert ist, dass man manchmal von

Bild: Keystone Ohne die Zuwanderung von ausländischen

Ingenieuren und Wissenschaftlern hätten sich zum Beispiel die Basler Chemie und die Gross- unternehmen der Maschinenindustrie nie in diesem Mass entwickeln können.

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Wirkungen, etwa Mitte der 1970er-Jahre oder in den frühen 1990er-Jahren. Für die langfristige Stabilität der Staatsfinanzen war sie aber vorteilhaft.

Ein wichtiger Stabilitätsfaktor war schliesslich die Sozialpartnerschaft, die sich in den späten 1930er-Jahren herausgebildet hatte und nach dem Zweiten Weltkrieg in den meisten Branchen zur Regel geworden war. Die Interessengegensätze zwischen Ar- beitnehmern und Arbeitgebern liessen sich damit zwar nicht aus der Welt schaffen. Aber der Wille, im Krisenfall gemeinsame Lö- sungen zu finden, statt den Konflikt zu eska- lieren, schuf ein Klima des Vertrauens, das zweifellos wachstumsfördernd war.

Fazit

Kurz gesagt beruhte der Wohlstand der Schweiz in den letzten 90 Jahren nicht nur auf günstigen Umständen, sondern auch auf erarbeiteten Stärken. Und vieles deutet da- rauf hin, dass die Schweizer Wirtschaft auch in Zukunft überdurchschnittlich erfolgreich sein wird. Ein Ende der Geschichte ist noch

nicht abzusehen. m

schaftspolitik. Man kann zwar nicht von ei- ner optimalen Politik sprechen; auch in der Schweiz wurden oft falsche Entscheide ge- fällt. Doch im internationalen Vergleich fällt auf, dass die Fehltritte in der Regel weniger gravierend waren als im benachbarten Aus- land. Vor allem gelang es, eine auf Stabilität ausgerichtete Politik zu verfolgen.

Die schweizerische Geldpolitik ist ein ty- pisches Beispiel. Die Schweizerische Natio- nalbank (SNB) hat zwar nicht alles richtig gemacht. Die Deflationspolitik während der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre, die re- striktive Politik Mitte der 1970er-Jahre und die Hochzinspolitik in den frühen 1990er- Jahren haben mit Sicherheit kontraproduktiv gewirkt. Über die gesamten 90 Jahre hinweg war aber die schweizerische Geldpolitik aus- serordentlich erfolgreich. Während die meis- ten europäischen Staaten mindestens einmal eine Phase von hoher Inflation oder gar von Hyperinflation erleben mussten, blieben die Preise in der Schweiz seit 1920 immer relativ stabil.

Ein anderes Beispiel ist die schweizerische Fiskal- und Finanzpolitik. Sowohl die Steu- ersätze wie die Verschuldung von Bund, Kan- tonen und Gemeinden blieben über die letz- ten 90 Jahre moderat. Während andere Länder nach 1945 die Konjunktur mittels Fiskal- und Finanzpolitik zu stabilisieren versuchten und dafür oft höhere Schulden in Kauf nahmen, blieben die Schweizer Behör- den eher zurückhaltend. Manchmal hatte diese Zurückhaltung kurzfristig negative

Kasten 2

Literatur

− Bergier Jean-François (1983), Die Wirt- schaftsgeschichte der Schweiz. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Zürich/Köln:

Benziger Verlag.

− Historische Statistik der Schweiz (1996), herausgegeben von Heiner Ritzmann- Blickenstorfer, unter der Leitung von Hansjörg Siegenthaler, Zürich: Chronos.

− Maddison Angus (2001), The World Econo- my. A Millennial Perspective, Paris: OECD.

− Schweizerische Nationalbank (Hg.) (2007), Schweizerische Nationalbank, 1907–2007, Zürich: NZZ Libro.

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