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Fehlerquellen im familienrechtlichen Mandat

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7. Siebte Rangstufe gem. § 1609 Nr. 7 BGB

Weitere Verwandte der aufsteigenden Linie; unter ihnen gehen die Näheren den Ent- fernteren vor. Diese Regelung entspricht der bisherigen Gesetzeslage im § 1609 Abs. 1 BGB.

XV. UnterhaltsrechtlicheSpezialfragen

In diesem Kapitel werden eine Reihe von unterhaltsrechtlichen Spezialfragen ange- sprochen, die im familienrechtlichen Alltagsgeschäft eine große Bedeutung haben.

1. Arbeitslosigkeit

Grds. besteht eine Erwerbsobliegenheit eines Unterhaltspflichtigen, wobei im Fall der Unterhaltspflicht ggü. minderjährigen Kindern besonders strenge Maßstäbe gelten.1693 Daher entlastet bestehende Arbeitslosigkeit im Regelfall nicht von der Unterhaltsver- pflichtung.1694 In der Praxis dient dann bei der Unterhaltsberechnung nicht das tatsäch- liche, sondern ein fiktives (hypothetisches) Einkommen als Anknüpfungspunkt.1695 Das betrifft den Unterhaltspflichtigen, vielfach aber auch den Unterhaltsberechtig- ten, für den die gleichen Prinzipien gelten.1696

Angeknüpft wird dabei an die Verletzung einer Erwerbsobliegenheit. Dabei kommt es auf folgende Aspekte an:

besteht eine Erwerbsobliegenheit – ggf. in welchem Umfang?

Dabei kann es gehen um1697

– den Verlust der bisherigen Arbeitsstelle,1698

– die nicht ausreichende Bemühung um eine neue Arbeitsstelle1699 oder

– die nicht erfolgte Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch einen Beteiligten, der bislang nicht erwerbstätig war (wie z.B. der unterhaltsberechtigten Ehe- frau).

ist diese Erwerbsobliegenheit verletzt?

welche konkreten Auswirkungen hat dies?

1693 BGH, FamRZ 2000, 1358.

1694 BGH, FamRZ 2000, 1358; FamRZ 1996, 345.

1695 Zur Anrechnung hypothetischer Einkünfte allgemein s. Rn. 917 ff., 1071 ff., 1201 ff.

1696 BGH, FamRZ 1994, 372, 374.

1697 Eschenbruch/Klinkhammer, Rn. 3032 m.w.N.

1698 S. Rn. 1566.

1699 S. Rn. 1575.

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– welches erzielbare Einkommen kann angerechnet werden?1700 – ab wann und für wie lange ist dieses Einkommen erzielbar?

Um hier Fehler zu vermeiden, müssen diese Fakten erst einmal genau für den kon- kreten Fall herausgearbeitet und im gerichtlichen Verfahren dargelegt werden. Denn nur dann können die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen ausreichend genau bewertet werden.

Folglich bieten sich zwei unterschiedliche, getrennt zu betrachtende Anknüpfungs- möglichkeiten an:

zuerst der Verlust der bisherigen Arbeitsstelle und dann

die nicht ausreichende Bemühung um eine – ggf. – neue – Arbeitsstelle.

Die Darlegungs- und Beweislast trägt immer der Erwerbspflichtige, also derjenige, dessen Erwerbspflicht im Streit steht. Folglich trägt sie

• der Unterhaltspflichtige, wenn es um die Erwerbsobliegenheit des Unterhalts- pflichtigen geht und

• der Unterhaltsberechtigte, wenn dessen Erwerbsobliegenheit zu prüfen ist.1701 Praxishinweise:

In der Rechtsprechung finden sich oft Leitsätze, die die Beweislast des Unter- haltspflichtigen oder die Beweislast des Unterhaltsberechtigten feststellen. Diese Entscheidungen sind nicht widersprüchlich. Die unterschiedliche Formulierung beruht lediglich darauf, dass einmal die Erwerbspflicht des Unterhaltspflichtigen, zum anderen des Unterhaltsberechtigten im Streit steht.

a) Verlust der Arbeitsstelle

Der Verlust der Arbeitsstelle ist nur dann unterhaltsrechtlich unbeachtlich, wenn der Unterhaltspflichtige ihn verantwortungslos oder zumindest unterhaltsbezogen leicht- fertig herbeigeführt hat. Andernfalls kann allein darauf gestützt kein hypothetisches Einkommen angerechnet werden.

Die eigene Kündigung durch den Arbeitnehmer mit nachfolgender Arbeitslosigkeit ist unterhaltsbezogen leichtfertig.1702

Erfolgt jedoch die Kündigung durch den Arbeitgeber, reichen zur Annahme einer unterhaltsbezogenen Leichtfertigkeit nicht einmal Fehlstunden des Arbeitnehmers aus, 1700 S. Rn. 1201 ff.

1701 BGH, FamRZ 1994, 372, 373; OLG Hamm, FamRZ 1998, 982.

1702 BGH, FamRZ 2003, 1471 m. Anm. Luthin; Eschenbruch/Klinkhammer, Rn. 6300 m.w.N.

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sondern es wird eine grobe Missachtung der maßgeblichen Regeln verlangt.1703 Auch der Arbeitsplatzverlust aufgrund einer Firmenschließung oder der Insolvenz des Ar- beitgebers ist nicht vorwerfbar.

In diesen Fällen kann dem Unterhaltspflichtigen nur selten ein Vorwurf daraus ge- macht werden, dass er sich nicht gegen die Kündigung gerichtlich zur Wehr gesetzt hat. Denn auch wenn der Pflichtige gegen eine betriebsbedingte Kündigung keine arbeitsgerichtlichen Schritte unternimmt, so kann darin kein leichtfertiges Verhalten gesehen werden, es sei denn, die Kündigung ist offensichtlich unbegründet.1704 Wird ihm aus persönlichen Gründen – z.B. krankheitsbedingt – gekündigt, so fordert die Rechtsprechung zwar u.U. arbeitsrechtliche Maßnahmen.1705 Verlangt man aber ar- beitsgerichtliche Maßnahmen des gekündigten Arbeitnehmers, so muss man sich der Realität stellen, dass diese in der Praxis nur äußerst selten zu einer Wiedereinstellung führen, sondern lediglich dazu, dass eine Abfindung bezahlt wird.

Dann stellt sich die Anschlussfrage, was von dieser Abfindung nach Abzug der ge- setzlichen Belastungen1706 übrig bleibt, wie sich die Abfindung auf die Höhe der Arbeitslosenunterstützung auswirkt1707 und wie ggf. diese Abfindung – oder besser deren verbleibende Reste – unterhaltsrechtlich verrechnet werden müssen. Dabei wird überwiegend davon ausgegangen, die Abfindung zur Aufstockung der Einkünfte einzusetzen – i.d.R. bis zur Höhe des bisherigen Einkommens1708 – und zwar über ei- nen angemessenen Zeitraum verteilt solange, bis die Abfindung verbraucht ist.1709 Die Abfindung wird damit zur Deckung des Bedarfs sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten eingesetzt.1710 Allerdings kann ein Teil auch zur Deckung von Schulden und anderen notwendigen Ausgaben verbraucht werden.1711

Sowohl von Arbeitslosengeld als auch von einer als Ersatz für fortgefallenes Arbeits- einkommen vom Arbeitgeber gezahlten und auf einen längeren Zeitraum umzulegen- den Abfindung ist ein Erwerbstätigenbonus nicht in Abzug zu bringen.1712 1703 BGH, FamRZ 1988, 1031, 1033; Eschenbruch/Klinkhammer, Rn. 3032 m.w.N. und

Rn. 6299 m.w.N.

1704 Gerhardt, in: Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein, Kap. 6, Rn. 35; BGH, FamRZ 1994, 372, 374.

1705 OLG Hamm, FamRZ 2002, 1427.

1706 Weinreich/Klein/Klein, § 1578 Rn. 159; AnwKomm/BGB-Schürmann, § 1577 Vorbem. 66.

1707 Zu denken ist an eine Anrechnung oder an eine evtl. Sperre; vgl. Viefhues, in: JurisPK,

§ 1361 BGB Rn. 94.

1708 AnwKomm/BGB-Schürmann, § 1577 Vorbem. 66.

1709 OLG Dresden, FamRZ 2000, 1433; Eschenbruch/Klinkhammer, Rn. 3030 m.w.N.; aus- führlich zur Frage der Verrechnungsweise Soyka, FuR 2005, 539.

1710 Luthin/Margraf, Rn. 11.

1711 AnwKomm/BGB-Schürmann, § 1577 Vorbem. 67 m.w.N.

1712 BGH, NJW 2007, 2249 m. Anm. Born = BGH, FamRZ 2007, 983 m. Anm. Schürmann.

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Die Nichtberücksichtigung eines Erwerbstätigenbonus darf aber nicht dazu führen, dass jetzt das bereinigte Nettoeinkommen höher ist als während des Arbeitsverhält- nisses. Vielmehr muss die Anrechnung der Abfindung so erfolgen, dass „unter dem Strich“ max. das gleiche Einkommen wie vorher zur Verfügung steht.

Auf diese Weise lässt sich folglich auch bei nicht vorwerfbar eingetretener Arbeits- losigkeit für einen bestimmten Zeitraum ein Einkommen in bisheriger Höhe be- gründen.1713 Die Länge der Übergangsfrist (Orientierungs- und Bewerbungsfrist) hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (i.d.R. sechs Monate).1714

So hat der BGH einer von dem Ehemann im Alter von 59 Jahren aus Anlass der Be- endigung seines Beschäftigungsverhältnisses erworbenen Abfindung Lohnersatzfunk- tion zugebilligt und den Betrag auf die Zeit bis zu seinem Rentenbeginn verteilt.1715

Praxistipp:

Nach einer unverschuldeten Kündigung ohne Abfindung kann während eines bestimmten Zeitraumes1716 nur das tatsächliche Einkommen (Arbeits- losengeld) angesetzt werden.

• Will der Unterhaltsberechtigte höhere Einkünfte bei der Unterhaltsberech- nung zugrunde legen, so hat er dies darzulegen und zu beweisen.1717

Wird eine Abfindung gezahlt, so gilt Folgendes:

Je konkreter hier der Unterhaltspflichtige selbst eine Berechnung durchführt und dem Gericht vorlegt, desto weniger kann das Gericht entsprechende Einwän- de mit dem Hinweis, er habe seine mangelnde Leistungsfähigkeit nicht ausrei- chend dargetan, abwehren.

Soweit die Abfindung ganz oder teilweise im Zeitpunkt der Zustellung des Schei- dungsantrags noch vorhanden ist, gilt es in der anwaltlichen Beratung auch, eine Doppelanrechnung im Zugewinn zu vermeiden.1718

In der Praxis wird vielfach darüber gestritten, ob eine Kündigungsschutzklage erhoben werden muss. Aus praktischer Sicht kann aber festgehalten werden, dass dies fast nie zu einer Wiedereinstellung geführt hätte, daher also kein unbefristeter Fortbestand des Arbeitsverhältnisses unterstellt werden kann. In aller Regel wird 1713 S.a. OLG Hamm, FamRZ 2007, 1124, 1125; OLG Hamm, FamRZ 2003, 177.

1714 OLG Brandenburg, ZFE 2008, 191; OLG Hamm, FamRZ 2003, 177.

1715 BGH, NJW 2007, 2249 m. Anm. Born = BGH, FamRZ 2007, 983 m. Anm. Schürmann.

1716 Zur Dauer s. Rn. 1222.

1717 OLG Saarbrücken, FuR 2007, 184.

1718 Ausführlich dazu unten Rn. 1768 ff.

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lediglich eine Abfindung ausgehandelt, deren Höhe ggf. fiktiv in die Berechnung eingestellt werden kann.

b) Nicht ausreichende Bemühung um eine neue Arbeitsstelle

Hinsichtlich der Erlangung einer neuen Arbeitsstelle gelten strenge Anforderungen.

Hier werden ausreichende und angemessene Bemühungen verlangt. Dazu ist eine substanziierte Darlegung der Erwerbsbemühungen erforderlich, wobei ggf. ent- sprechende Unterlagen vorzulegen sind:

Die Meldung bei der Arbeitsagentur ist erforderlich, aber keinesfalls ausreichend.

Erforderlich sind Meldungen auf Stellenanzeigen sowie schriftliche Bewerbun- gen, die auch nachzuweisen sind. Mündliche/telefonische Bewerbungen sind in der Praxis problematisch, da sie nicht immer nachgewiesen werden können.

Auch auf den Inhalt der Bewerbung kommt es an: sie muss ausreichend konkret und darf nicht abschreckend sein. Handschriftliche Bewerbungen auf kariertem Papier ohne beigefügten Lebenslauf werden nicht als ernsthafte Bewerbungen an- erkannt.1719

Bei qualifizierten Berufen können auch eigene Anzeigen des Arbeitspflichtigen geboten sein.

Bewerbungen „ins Blaue“ hinein sind unzureichend.

Die Bewerbungen müssen bereits bei der Kenntnis vom Verlust des Arbeits- platzes einsetzen, nicht erst nach dem tatsächlichen Ende des Arbeitsverhältnis- ses.1720 Aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen Erwerbsobliegenheit ist nämlich der Unterhaltspflichtige gehalten, sich um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen, sobald ihm die Kündigung des Arbeitsplatzes bekannt wird. Setzen die Bemühun- gen erst mit dem Ablauf der Kündigungsfrist oder mit der tatsächlichen Beendi- gung des Arbeitsverhältnisses ein, so kommen sie schon zu spät.

• Geht es nicht um die Erwerbslosigkeit nach einer Kündigung, sondern die Arbeits- losigkeit nach Beginn einer Erwerbsobliegenheit, so gilt Entsprechendes. Die Obliegenheit zur Berufssuche oder beruflichen Qualifizierung beginnt schon mit der Kenntnis einer (in Zukunft) eintretenden Erwerbsobliegenheit. Dies ist besonders dann von Bedeutung, wenn ein bisher nicht berufstätiger Ehegatte we- gen Wegfalls der Kindesbetreuung (oder wegen der Verschärfung der Erwerbsob- liegenheiten trotz Kindesbetreuung nach neuem Recht)1721 erkennen kann, dass er in absehbarer Zukunft durch eigene Erwerbstätigkeit seinen Unterhalt ganz oder zumindest teilweise selbst sicherstellen muss.

1719 OLG Brandenburg, FamRZ 2005, 210.

1720 Büttner, FF 2003, 192.

1721 Dazu ausführlich Viefhues/Mleczko, Teil 1.

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Der örtliche Bereich, in dem die Arbeitssuche betrieben werden muss, richtet sich nach den anerkennenswerten örtlichen Bindungen und kann sich u.U. auf ganz Deutschland erstrecken. Anerkennenswerte Bindungen sind dabei z.B. die Gebun- denheit der übrigen Familienmitglieder, die Wohnung der Eltern, das eigene Haus.

Je jünger der Unterhaltspflichtige, desto weniger sind entsprechende Bindungen anzuerkennen. Schützenswerte familiäre Bindungen sind aber zu respektieren.1722 Zu prüfen ist, ob ein Umzug unter Berücksichtigung der persönlichen Bindungen, insb. des Umgangsrechts mit den Kindern, sowie der Kosten der Ausübung dieses Umgangsrechts und der Umzugskosten zumutbar ist.1723

Auch an die Intensität der Arbeitssuche werden hohe Anforderungen gestellt.

Mindestens eine Bewerbung pro Woche kann erwartet werden. Einige Gerich- te fordern eine eigenständige Arbeitssuche im Umfang einer Vollzeitbeschäfti- gung.1724

Bei längerer Arbeitslosigkeit müssen intensive Bemühungen über den gesamten Zeitraum dargelegt werden.1725

• Die unternommenen Anstrengungen müssen im gerichtlichen Unterhaltsverfahren detailliert und umfassend durch eine chronologisch geordnete und durchnum- merierte Aufstellung der Bewerbungen nebst dazugehöriger Unterlagen doku- mentiert werden.1726

• Der Arbeitslose muss auch seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt aktiv steigern.

So ist ein Langzeitarbeitsloser gehalten, berufsfördernde Maßnahmen mitzuma- chen und den Beruf zu wechseln.1727 Dabei besteht bereits während einer laufenden Umschulung die Obliegenheit, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen.1728

• Es besteht jedoch keine Verpflichtung eines Unterhaltsschuldners aus den neuen Bundesländern zur Arbeitssuche in den alten Bundesländern.1729

Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob ein Verstoß gegen die Erwerbsob- liegenheit für die Zeit zu verneinen ist, während der die Abfindung auf das Arbeits-

1722 BVerfG, FamRZ 2006, 469 = NJW 2006, 2317 = ZFE 2006, 151; BVerfG, FamRZ 2007, 273 = FuR 2007, 76 m. Anm. Soyka = FF 2007, 48 = ZFE 2007, 111; Schürmann, in:

JurisPR-FamR 3/07, Anm. 1.

1723 Vgl. BVerfG, FamRZ 2007, 273, 274.

1724 OLG Naumburg, FamRZ 2005, 2089.

1725 OLG Koblenz, FamRZ 2006, 1296 = ZFE 2006, 236.

1726 OLG Naumburg, FamRZ 2005, 2089.

1727 OLG Hamm, FamRZ 95, 438.

1728 BGH, FamRZ 1999, 843; OLG Dresden, NJW-RR 2003, 512; OLG Brandenburg, ZFE 2004, 152; OLG Jena, ZFE 2005, 250; krit. Büttner/Niepmann, NJW 2003, 2497.

1729 OLG Frankfurt am Main, FuR 2005, 459 = FamRZ 2005, 2090 = ZFE 2006, 114.

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losengeld angerechnet wird und so de facto ein gleich hohes Einkommen wie bisher erzielt wird.1730

Vorrausetzung einer Zurechnung fiktiver Einkünfte ist in allen Fällen, dass der Unter- haltspflichtige die ihm subjektiv zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Er- werbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat und zudem feststeht oder zumindest nicht auszuschließen ist, dass bei genügenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestanden hätte.1731

Fehlende ausreichende Erwerbsbemühungen indizieren jedoch die reale Beschäfti- gungschance.1732 Umgekehrt kann die fehlende reale Anstellungschance durch die nachhaltigen, umfangreichen, letztendlich vergeblichen Bemühungen belegt wer- den.1733

Reichen die Bewerbungsbemühungen zu einem bestimmten Zeitpunkt aus oder besteht keine reale Beschäftigungschance mehr, sind die Voraussetzungen für die Zurechnung fiktiver Einkünfte entfallen.1734

Damit kann die fehlende objektive Möglichkeit, eine Arbeit zu finden, unter den besonderen Umständen des konkreten Falles in der Praxis durchaus dargetan werden, auch wenn hieran besonders hohe Anforderungen gestellt werden. Die Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung fehlender realer Beschäftigungschancen trägt der Erwerbspflichtige.1735

Im Internet kann sich auch der beratende Anwalt einen Überblick über das aktuelle Jobangebot verschaffen. Eine Einstiegsadresse hierzu ist das Portal der Arbeitsagentur für Arbeit http://jobboerse.arbeitsagentur.de.

Allerdings genügt es nicht, sich allein auf die hohe Arbeitslosenquote zu berufen.1736 Wenn es z.B. um eine Zusatzbeschäftigung geht, müssen die persönlichen Eigenschaf- ten des Pflichtigen (seine Ausbildung, die Art der Berufstätigkeit und Berufserfahrung) 1730 So OLG Hamm, FuR 2007, 235 m. abl. Anm. Soyka, FuR 2007, 237.

1731 BVerfG, FamRZ 2006, 469, 470; BGH, FamRZ 1987, 144; BGH, FamRZ 2005, 1897, 1898; BGH, FamRZ 2004, 254 m. Anm. Borth, FamRZ 2004, 360; BGH, FamRZ 2003, 1471; ausführlich Reinken, FPR 2006, 319.

1732 Büttner-Niepmann, NJW 2005, 2357 m.w.N.; OLG Frankfurt am Main, FamRZ 2006, 566;

OLG Hamm, FamRZ 2002, 1427; vgl. aber auch KG, FamRZ 2003, 1208, das weitaus stärker auf die Realitäten auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland abstellt.

1733 OLG Karlsruhe, 06.03.2003 – 16 UF 145/02; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 1789.

1734 Soyka, FuR 2006, 571.

1735 OLG Brandenburg, ZFE 2007, 192; Löffler, in: JurisPR-FamR 08/07 Anm. 5.

1736 Vgl. auch OLG Köln, NJWE-FER 1999, 84, 85 und OLG Brandenburg, NJWE-FER 2001, 70 ff.; arbeitslosenfreundlicher KG, FamRZ 2003, 1208.

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substanziiert dargetan werden, um klären zu können, ob für ihn eine reale Beschäfti- gungschance im Rahmen eines zusätzlichen Arbeitsverhältnisses bestanden hätte.1737

Praxistipp:

• Die Rechtsprechung stellt i.d.R. hohe Anforderungen an die Darlegungs- und Nachweispflicht des Arbeitslosen. Für dessen Verfahrensbevollmächtigten er- geben sich daraus besonders hohe Anforderungen an den Sachvortrag.

• Je detaillierter die konkreten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und die spe- ziellen persönlichen Umstände des Arbeitslosen dargestellt werden, desto größer ist die Chance, mit seinem Sachvortrag, aus Alters- oder Gesundheits- gründen keine Arbeitsstelle mehr zu bekommen, durchzudringen.1738 Rein pauschale Ausführungen reichen hier auf keinen Fall!

• Der BGH1739 hat die von den Untergerichten aufgestellten hohen Anforderun- gen teilweise relativiert und deutlich gemacht, dass es nicht allein auf die subjektiven Bemühungen des Arbeitslosen ankomme, sondern auch Feststel- lungen zu den objektiven Rahmenbedingungen getroffen werden müssten und hierbei die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt sowie die persönlichen Eigen- schaften des Bewerbers (Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesund- heitszustand) aufgeführt. Hier bieten sich also Ansatzpunkte für eine Erfolg versprechende anwaltliche Argumentation.

• Die fehlende objektive Möglichkeit, eine Arbeit zu finden, kann also durchaus dargetan werden, auch wenn hieran besonders hohe Anforderungen gestellt werden.

• Der Unterhaltspflichtige sollte in der Praxis seine Argumentation auch auf die ihm zuzubilligende Übergangszeit richten und so versuchen, die Unterhalts- last zumindest zeitweise zu beschränken.

• Dies gilt auch dann, wenn ihm mangelnde Bewerbungsbemühungen vorge- worfen werden, denn auch bei ausreichenden Bemühungen hätte es eine ge- wisse Zeit bis zum Antreten der neuen Stelle gebraucht.

Hat der Unterhaltspflichtige eine Änderungskündigung ausgeschlagen und damit den Verlust des Arbeitsplatzes herbeigeführt, so stellt sich die Frage, ob das bisherige Einkommen überhaupt noch erzielbar gewesen wäre oder ob der Unterhaltsberechtigte sich nicht eine entsprechende Einkommensreduzierung entgegenhalten lassen muss.1740

1737 BGH, ZFE 2007, 269.

1738 Instruktiv OLG Hamm, FamRZ 2007, 1328.

1739 BGH, NJW 1996, 517.

1740 Soyka, FuR 2007, 237.

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2. Verringerung des Verdienstes a) Bei Wechsel der Arbeitsstelle

Verdient ein Arbeitnehmer bei einem Wechsel seiner Arbeitsstelle weniger als bisher, so stellt sich die Frage, ob er dennoch weiterhin nach seinem bisherigen Einkommen zu Unterhaltszahlungen verpflichtet ist. Das ist er nur dann, wenn der Arbeitnehmer durch den Arbeitsplatzwechsel gegen unterhaltsrechtliche Obliegenheiten verstoßen hat. Dies ist aber nicht der Fall, wenn

• er lediglich der unverschuldeten Kündigung seiner bisherigen Stelle zuvorgekom- men ist;

• die Arbeitsverhältnisse im Hinblick auf die Betreuung der Kinder umgestellt wer- den, denn bei der Anrechnung fiktiver Einkünfte werden der Bedeutung und Trag- weite des Elternrechts Rechnung getragen;1741

• wenn der unterhaltspflichtige Vater sein Arbeitsverhältnis kündigt oder reduziert, um im Sorgerechtsverfahren bessere Chancen zu haben.1742

Geht der Unterhaltspflichtige dagegen auf eine Änderungskündigung seines Arbeit- gebers ein, behält er also seinen Arbeitsplatz mit geringeren Einkünften, so muss sich dies i.d.R. auch der Unterhaltsberechtigte entgegen halten lassen, es sei denn, es hätte eine reale Chance bestanden, der Änderungskündigung zu entgehen.

b) Bei Antritt einer neuen Arbeitsstelle nach Arbeitslosigkeit

Wird nach einer Phase der Arbeitslosigkeit eine neue Arbeitsstelle gefunden, so ist fraglich, ob der Unterhalt nach dem jetzt niedrigeren Einkommen oder  – hypothe- tisch – nach dem früheren Einkommen bemessen werden soll.

Hier ist einmal zu prüfen, ob die gefundene Beschäftigung den bisherigen beruflichen Möglichkeiten entspricht. Ist dies nicht der Fall, wird daraus eine unterhaltsrechtliche Obliegenheitsverletzung abgeleitet. So darf ein ausgebildeter Kfz-Mechaniker sich im Hinblick auf seine Unterhaltsverpflichtung und daraus resultierender Verpflichtung zu angemessenen Erwerbsbemühungen nicht mit der Beschäftigung bei einer Leiharbeits- firma zufrieden geben.1743

Problematisch ist jedoch, dass sowohl von Seiten der Arbeitsagentur als auch unter- haltsrechtlich durchweg die Annahme einer unter dem bisherigen beruflichen Niveau liegenden Arbeitsstelle verlangt wird. Folgt der Unterhaltspflichtige aber diesem Ver- langen, dann kann daraus nur schwerlich dennoch eine unterhaltsrechtliche Obliegen- 1741 BVerfG, FamRZ 1996, 343.

1742 BGH, FamRZ 1985, 158; OLG Frankfurt am Main, FamRZ 1987, 1144.

1743 OLG Schleswig, 19.03.2007 – 15 WF 42/07.

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heitsverletzung hergeleitet werden.1744 Hilfreich als Kontrollüberlegung ist auch der Blick auf die Behandlung der gleichen Situation in einer intakten Familie. Nach der Lebenserfahrung freuen sich alle Familienmitglieder, dass der Vater wieder Arbeit ge- funden hat und stellen gemeinsam und einvernehmlich auf das geringere Entgelt ein.

Daher ist auch bei einer getrennten oder geschiedenen Familie grds. von allen Betei- ligten hinzunehmen, wenn der Unterhaltspflichtige eine geringer bezahlte Erwerbstä- tigkeit annimmt.1745

Eine Obliegenheitsverletzung lässt sich allenfalls damit begründen, dass weiterhin eine Bewerbungspflicht besteht.1746 Zu beachten ist aber, dass der Erwerbspflichtige neben seiner vollschichtigen Berufstätigkeit nur in begrenztem Umfang diesen Obliegenhei- ten nachkommen kann.

Auch der Umzug des Unterhaltspflichtigen zu einem neuen Partner stellt  – jeden- falls beim Ehegattenunterhalt  – keine unterhaltsrechtliche Obliegenheitsverletzung dar, wenn am neuen Wohnort eine Tätigkeit in gleichem zeitlichen Umfang gefunden wird.1747

Dies gilt auch dann, wenn in dieser neuen Arbeitsstelle ein geringeres Einkommen er- zielt wird. Zieht ein geschiedener Unterhaltspflichtiger zum neuen Lebenspartner, wird der Verlust des Arbeitsplatzes am bisherigen Wohnort nicht leichtfertig verursacht.

Denn dem ehemaligen Ehegatten ggü. besteht keine gesteigerte Unterhaltspflicht, so- dass der Unterhaltsverpflichtete grds. frei über seine individuelle Lebensgestaltung be- finden darf. Der Unterhalt, der dem ehemaligen Ehegatten zusteht, berechnet sich dann nach dem Einkommen, das der Unterhaltsverpflichtete in seinem neuen Arbeitsver- hältnis erzielt. Denn dem Unterhaltspflichtigen kann keine Verletzung von Erwerbsob- liegenheiten vorgeworfen werden.1748

c) Bei Beibehaltung der Arbeitsstelle

Werden bei Beibehaltung des bisherigen Arbeitsverhältnisses geringere Einkünfte er- zielt, so ist dies auch unterhaltsrechtlich anzuerkennen, wenn keine Verletzung von Erwerbsobliegenheiten festzustellen ist. Dies ist dann gegeben, wenn die Reduzierung auf betriebliche Umstände zurückzuführen ist (Kurzarbeit, weniger Überstunden, be- triebsinterne Versetzung, Umstrukturierung, Automatisierung).

1744 S. BVerfG, 18.03.2008  – 1 BvR 125/06, FamRZ 2008, 1145 – 1147; OLG Celle, 05.06.2008 – 17 UF 11/08.

1745 Hohmann-Dennhard, FF 2007, 174, 183 unter Hinweis auf BVerfG, FamRZ 2007, 273.

1746 Vgl. OLG Hamm, 25.06.2008 – 10 UF 12/08.

1747 OLG Zweibrücken, FamRZ 2008, 1863.

1748 Hohmann-Dennhard, FF 2007, 174, 183 unter Hinweis auf BVerfG, FamRZ 2007, 273.

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Geht der Unterhaltspflichtige dagegen auf eine Änderungskündigung seines Arbeit- gebers ein, behält er also seinen Arbeitsplatz mit geringeren Einkünften, so muss sich dies i.d.R. auch der Unterhaltsberechtigte entgegen halten lassen, es sei denn, es hätte eine reale Chance bestanden, der Änderungskündigung zu entgehen.

Erfolgt der verringerte Arbeitseinsatz dagegen aus Veranlassung des Arbeitnehmers, so kommt es auf seine Gründe für diese Veränderung an:

Werden die Arbeitsverhältnisse im Hinblick auf die Betreuung der Kinder umgestellt, so muss bei der Anrechnung fiktiver Einkünfte der Bedeutung und Tragweite des El- ternrechts Rechnung getragen werden.1749 Das soll auch dann gelten, wenn der unter- haltspflichtige Vater sein Arbeitsverhältnis kündigt oder reduziert, um im Sorgerechts- verfahren bessere Chancen zu haben.1750

Entsprechendes gilt im Hinblick auf besonderen Zeitaufwand beim Umgangsrecht.

Zu beachten ist auch, dass ein Alleinstehender u.U. zusätzlich Zeit für die Erledigung der Aufgaben benötigt, die bisher sein Ehepartner übernommen hatte. Hier kann kon- kret dargelegt werden, dass aus diesem Grunde z.B. Überstunden eingeschränkt wer- den mussten.

Wird der Wechsel in eine geringer bezahlte Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen vorgenommen, so kann dies der Annahme einer Obliegenheitsverletzung ent- gegenstehen.1751

Dagegen wird teilweise eine solche Reduzierung nur dann anerkannt, wenn eine Not- lage vorliegt.1752

Andere Gerichte betonen den Grundsatz, dass überobligatorische Tätigkeit jederzeit eingestellt werden kann.1753

Eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit aus familiären Gründen (einer neuen Fami- lie) kann unterhaltsrechtlich nur dann erheblich sein, wenn sie zur Verbesserung oder jedenfalls Erhaltung der Einkommenssituation der neuen Familie erforderlich ist. Sol- che Entscheidungen sind auch bei einem Selbstständigen unterhaltsrechtlich nur dann zu respektieren, wenn sie zumindest plausibel und nachvollziehbar begründet werden, 1749 BVerfG, FamRZ 1996, 343.

1750 BGH, FamRZ 1985, 158; OLG Frankfurt am Main, FamRZ 1987, 1144, deutlich restrikti- ver OLG Brandenburg, FuR 2004, 38 = ZFE 2004, 152.

1751 BGH, FamRZ 2003, 1471 m. Anm. Luthin.

1752 OLG Köln, FamRZ 2006, 1761.

1753 OLG Stuttgart, FamRZ 2007, 400 unter Hinweis auf BGH, FamRZ 1983, 146; BGH, FamRZ 2006, 846, 848.

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da es ansonsten im Belieben des unterhaltsverpflichteten Selbstständigen stünde, sein Einkommen zum Nachteil des Berechtigten zu verändern.1754

3. Wechsel in die Selbstständigkeit oder Aufgabe der Selbstständigkeit Zwar ist ein Wechsel aus einem abhängigen Arbeitsverhältnis in die Selbstständigkeit unterhaltsrechtlich nicht vorwerfbar. Auch muss für eine Übergangszeit mit finanziel- len Einschränkungen gerechnet werden. Wer sich aber selbstständig macht, ohne zuvor den Unterhalt zumindest für eine Übergangsfrist von 2 bis 3 Jahren durch Bildung von Rücklagen sicherzustellen, handelt leichtfertig.1755

Ein Unterhaltsverpflichteter ist folglich nicht berechtigt, von Arbeitsplatzbemühungen abzusehen und eine selbstständige Tätigkeit aufzunehmen. Die Wahl selbstständiger Berufsausübung muss zwar im Hinblick auf das Grundrecht freier Berufswahl grds.

respektiert werden; dieses gilt aber nur, wenn nach den Umständen eine dauerhafte Verschlechterung der Leistungsfähigkeit nicht zu erwarten ist. Zudem ist der Unter- haltsschuldner i.d.R. verpflichtet, Vorsorge, etwa durch Ansparen oder Kreditaufnah- me, zu treffen, sodass die Unterhaltsleistungen trotz des Berufswechsels, jedenfalls für eine Übergangszeit, deren Dauer mit 2 bis 3 Jahren nicht unzumutbar lang bemessen ist, gesichert bleiben.1756

Praxistipp:

• Wechselt der Unterhaltspflichtige während des Getrenntlebens in die Selbst- ständigkeit und besteht zu diesem Zeitpunkt für den Unterhaltsberechtigten noch die Familienversicherung gem. § 10 SGB V,1757 so erlischt diese in die- sem Zeitpunkt.

• Der Unterhaltspflichtige muss den Unterhaltsberechtigten davon in Kenntnis setzen, da er sich ansonsten schadensersatzpflichtig macht.1758

Auch eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit eines Selbstständigen mit Rücksicht auf seine neue Familie kann unterhaltsrechtlich nur dann erheblich sein, wenn sie zur Verbesserung oder jedenfalls Erhaltung der Einkommenssituation der neuen Familie erforderlich ist. Zwar trifft es zu, dass unternehmerische Entscheidungen auch unter- haltsrechtlich zu respektieren sind, dies jedoch nur, wenn sie zumindest plausibel und nachvollziehbar begründet werden, da es ansonsten im Belieben des unterhaltsver- 1754 OLG Hamburg, 27.11.2006 – 10 UF 40/06.

1755 BGH, FamRZ 1987, 372, 374; BGH, FamRZ 1982, 365; OLG Frankfurt am Main, NJW- RR 1990, 1477; OLG Celle, FamRZ 2007, 1121.

1756 OLG Brandenburg, 30.03.2007 – 10 WF 270/07.

1757 Dazu s. Rn. 100.

1758 BSG, FamRZ 1994, 1239 m. Anm. Weychardt.

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pflichteten Selbstständigen stünde, sein Einkommen zum Nachteil des Berechtigten zu verändern.1759

In der Praxis beruft sich vielfach der Selbstständige auf fehlende Leistungsfähigkeit.

Bei Selbstständigen ist in erster Linie das tatsächlich erzielte bereinigte Nettoeinkom- men maßgeblich, das i.d.R. aus dem Durchschnitt der letzten 3 Jahre errechnet wird.

Da es beim laufenden Unterhalt um eine Prognose der künftigen Einkommensver- hältnisse geht, sind möglichst realitätsnahe Einkommensverhältnisse zu ermitteln, d.h.

bei längerer Verfahrensdauer ist das Einkommen zu aktualisieren.1760 Für die Vergan- genheit sind die in diesem aktuellen Zeitraum erzielten Einkünfte maßgebend, wobei bei mehrjährigem Unterhaltsrückstand ein Mehrjahresschnitt gebildet werden kann.1761 Reicht dieses real erzielte Einkommen nicht aus, den Unterhalt des Kindes sicherzu- stellen, stellt sich die Frage einer Obliegenheitsverletzung. Anerkannt ist, dass eine andere – ggf. abhängige – Tätigkeit aufgenommen werden muss, wenn sich die selbst- ständige Tätigkeit über längere Zeit als finanziell nicht tragfähig erweist.1762 Dann ist ein fiktives Einkommen zugrunde zu legen, das sich nach den Berufsmöglichkeiten im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung richtet.1763

Auch kann bei einem Selbstständigen keine unverschuldete Leistungsunfähigkeit be- jaht werden, wenn sich frühzeitig abgezeichnet hatte, dass Überschuldung droht, die zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens führt.1764

Umgekehrt wird – zumindest im Bereich der verschärften Haftung nach § 1603 BGB – auch vertreten, dass ein Wechsel in eine selbstständige Tätigkeit erwogen werden muss. Ist der gesteigert Unterhaltspflichtige für eine abhängige Tätigkeit nicht mehr vermittelbar, so wird z.T. verlangt, dass er die Aufnahme eines selbstständigen Ge- werbes in Betracht zieht.1765 Dies wird man aber nur verlangen können, wenn hinrei- chend konkrete Aussichten bestehen, in einer selbstständigen Tätigkeit ausreichende Einkünfte zu erzielen.

1759 OLG Hamburg, 27.11.2006 – 10 UF 40/06.

1760 BGH, FamRZ 2006, 1182.

1761 BGH, FamRZ 2007, 1532; OLG Karlsruhe, 24.02.2011 – 2 UF 45/09.

1762 OLG Hamm, NJW-RR 1995, 1283; OLG Zweibrücken, NJW 1992, 1901, 1904; OLG Hamm, FuR 2007, 433.

1763 Zur Anrechnung hypothetischer Einkünfte s.u. Rn. 917 ff., 1071 f., 1201 ff.

1764 OLG Köln, FamRZ 2005, 1584.

1765 AG Ludwigslust, FamRZ 2005, 1111.

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4. Obliegenheit zur Nebentätigkeit

In der Rechtsprechung wird verstärkt von Unterhaltspflichtigen, die einer vollschich- tigen Erwerbstätigkeit nachgehen, verlangt, einer zusätzlichen Nebentätigkeit nach- zugehen.

Praxishinweise:

Wird eine solche Obliegenheit bejaht, ist es Sache des Unterhaltspflichtigen, dar- zulegen und ggf. unter Beweis zu stellen, warum er keine Nebentätigkeit ausüben kann.

Auch zur Höhe des erzielbaren Einkommens muss substantiiert vorgetragen wer- den.

Fehlt ein solcher substantiierter Sachvortrag, muss der Unterhaltspflichtige damit rechnen, dass das Gericht eine Nebentätigkeitsobliegenheit zu seinen Lasten be- rechnet und dazu ein erhebliches erzielbares Einkommen gem. § 287 ZPO schätzt.

Die Obliegenheit zur Nebentätigkeit wird bei der verschärften Haftung ggü. minder- jährigen Kindern aus § 1603 Abs. 2 BGB vertreten – besteht daher grds. nicht beim Ehegattenunterhalt.1766 Lediglich bei Unterhaltspflichtigen im Vorruhestand1767 wird auch beim Ehegattenunterhalt eine Obliegenheit zur Nebentätigkeit bejaht, umso das bisherige Einkommensniveau wieder zu erreichen.1768

1766 Weitergehend OLG Düsseldorf, ZFE 2006, 394, das eine solche Obliegenheit bereits i.R.d.

§ 1361 BGB beim Berechtigten bejaht.

1767 Dazu s.u. Rn. 1631.

1768 BGH, FamRZ 1999, 708 und OLG Koblenz, FamRZ 2004, 1573 für den Fall des Ehegat- tenunterhalts; OLG Saarbrücken, ZFE 2005, 101 für den Fall des Kindesunterhalts.

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Zur Nebentätigkeitsobliegenheit besteht eine umfangreiche, aber sehr kasuistische und wenig einheitliche Rechtsprechung.1769

Dabei sind für die praktische Behandlung des konkreten Einzelfalles folgende Ge- sichtspunkte von Bedeutung:1770

Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit nach den persönlichen Um- ständen.

Dazu gehören z.B. die Art der Tätigkeit im Hauptberuf und die sich daraus ergebende Belastung wie Nacht-, Schicht- oder Wechseldienst, Sonn- und Feiertagsarbeit, der Zeitaufwand für den Hauptberuf einschließlich der Fahrtzeiten. Zu prüfen ist, ob und in welchem Umfang es dem betreffenden Unterhaltsverpflichteten unter Abwägung seiner von ihm darzulegenden besonderen Lebens- und Arbeitssituation sowie seiner gesundheitlichen Belastung mit der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten zugemutet werden kann, eine Nebentätigkeit auszuüben. Schließlich ist zu prüfen, ob es Neben- tätigkeiten entsprechender Art für den Betreffenden überhaupt auf dem Arbeitsmarkt gibt und der Aufnahme einer solchen Tätigkeit wiederum keine rechtlichen Hindernis-

1769 BGH, 20.02.2008  – XII ZR 101/05, FamRZ 2008, 872 m.  Anm. Hoppenz; BGH, 09.01.2008  – XII ZR 170/05, FamRZ 2008, 594 m.  Anm. Borth und Anm. Weychardt, FamRZ 2008, 778; BGH, 03.12.2008 – XII ZR 182/06, FamRZ 2009, 315 = FPR 2009, 124 m. Anm. Schmitz = FuR 2009, 162 m. Anm. Soyka; OLG Bremen, 02.11.2009 – 4 WF 108/09, FamRZ 2010, 574; OLG Nürnberg, 16.03.2010 – 10 UF 1612/09; OLG Köln, 28.07.2008 – 4 WF 78/08, FPR 2008, 587 m. Anm. Born; OLG Naumburg, 03.06.2009 – 3 WF 121/09, FamRZ 2010, 127; OLG Brandenburg, 29.01.2009 – 13 WF 29/08, FuR 2009, 279; OLG Nürnberg, 28.07.2009 – 9 UF 215/09, FuR 2010, 51; OLG Nürnberg, 16.03.2010 – 10 UF 1612/09; OLG Bremen, 02.11.2009 – 4 WF 108/09, FamRZ 2010, 574; OLG Brandenburg, ZFE 2007, 271: Bei vollschichtiger Tätigkeit besteht keine Ob- liegenheit zur Nebentätigkeit; OLG Nürnberg, OLGR 2002, 215: allgemein nicht zumut- bar; OLG Celle, FamRZ 2002, 694: nicht zumutbar; OLG Koblenz, FamRZ 2002, 481:

geringer Nebenverdienst zumutbar; KG, KGR 2002, 146: neben Kindererziehung; OLG Düsseldorf, FamRZ 2001, 1477: leichte Erwerbsfähigkeit neben Erwerbsunfähigkeits- rente; OLG Düsseldorf, OLGR 2006, 572: zur Sicherung des Regelbetrags geringfügige Nebentätigkeit; OLG Stuttgart, FuR 2001, 569: Nebentätigkeit eines Arbeitslosen bis zur Anrechnungsgrenze; OLG Karlsruhe, FamRZ 2005, 2041: neben Arbeitslosengeld; OLG Bamberg, FamRZ 2005, 2090: Unzumutbarkeit bei Beeinträchtigung des Umgangs; OLG Bamberg, FamRZ 2005, 1114: mehr als 200 Std. monatlich nicht zumutbar; OLG Dresden, FamRZ 2005, 1584: Zumutbarkeit bis zum Regelbedarf; OLG Hamm, FamRZ 2001, 565:

bis insgesamt 200 Std. monatlich; OLG Hamm, FuR 2001, 559: bis zum Regelbetrag; vgl.

auch BGH, FuR 2001, 224.

1770 OLG Dresden, FamRZ 2003, 1206; OLG Nürnberg, FamRZ 2002, 1426; BVerfG, FamRZ 2003, 661 m. Anm. Christl, FamRZ 2003, 1235; OLG Oldenburg, FamRZ 2003, 1207;

OLG Hamm, FF 2005, 156 m. Anm. Schürmann; KG, FamRZ 2003, 1208; OLG Bamberg, FamRZ 2005, 1114; OLG Bamberg, FuR 2005, 520; OLG Oldenburg, FamRZ 2006, 1223

= FuR 2006, 281 = ZFE 2006, 278.

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se entgegenstünden, wobei auch insoweit die Darlegungs- und Beweislast beim Unter- haltsverpflichteten liegt.1771

Verwiesen wird teilweise auf das Arbeitszeitgesetz.1772 Danach kann gem. §§ 3, 6 ArbZG eine monatliche Arbeitszeit von max. 188 Std. verlangt werden, die wie folgt errechnet wird: 365 Tage – 52 Sonntage – 24 Urlaubstage – 7 Feiertage (Durchschnitts- wert) = 282 Arbeitstage, d.h. monatlich 23,5 Arbeitstage. Zulässig ist eine durch- schnittliche werktägliche (§ 3 Abs. 2 BUrlG) Arbeitszeit von 8 Std. (§ 3 ArbZG), d.h.

monatlich 188 Std. Da die vollschichtige Tätigkeit mit gerundet 174 Std. anzusetzen ist, könne zusätzlich vom Pflichtigen in den durch das ArbZG vorgesehenen Begren- zungen eine Nebentätigkeit von durchschnittlich 14 Std. im Monat verlangt werden.

Bei der Art der Nebentätigkeit bestehen hinsichtlich der Zumutbarkeit keine Ein- schränkungen. So wird einer Verkaufsstellenleiterin eines Fotogeschäfts zugemutet, im Interesse des unterhaltberechtigten minderjährigen Kindes sogar eine stundenweise Nebentätigkeit als Reinigungskraft aufzunehmen.1773

Der zeitliche Aufwand für den verfassungsrechtlich geschützten Umgang mit seinen Kindern.1774 Wird ein Unterhaltspflichtiger dadurch besonders belastet, dass er zur Durchführung seiner Umgangskontakte mit den Kindern alle 2 Wochen am Wochen- ende eine Fahrtstrecke von jeweils 90 km zurücklegt, so ist ihm nach Ansicht des OLG Bamberg1775 keine Nebentätigkeit zuzumuten.1776 Auch die Kosten des Umgangsrechts sind zu berücksichtigen.1777 Um eine Nebentätigkeit ausüben zu können, muss der Un- terhaltspflichtige aber u.U. seine Umgangskontakte mit dem Kind von Samstag auf Sonntag verlegen.1778 Denn der Unterhaltspflichtige muss notfalls auch einschneidende Veränderungen bei seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen.1779

Arbeitet der Unterhaltspflichtige auch an Sonn- und Feiertagen und im Schichtdienst gearbeitet hat und sind die Kinder an jedem zweiten Wochenende zur Ausübung des Umgangs bei ihm, kommt eine Nebentätigkeit nicht in Betracht.1780

1771 BVerfG, FamRZ 2003, 661 unter Hinweis auf BGH, FamRZ 1998, 357, 359; BVerfGE 68, 256, 270 = FamRZ 1985, 143.

1772 BVerfG, FamRZ 2003, 661; OLG Karlsruhe, FamRZ 2007, 1123.

1773 OLG Dresden, FamRZ 2007, 1477.

1774 BGH, 03.12.2008 – XII ZR 182/06, FamRZ 2009, 314; OLG Nürnberg, 12.12.2001 – 10 UF 3278/01, FamRZ 2002, 1426.

1775 OLG Bamberg, FuR 2005, 520.

1776 Vgl. auch OLG Oldenburg, ZFE 2006, 278.

1777 BVerfG, 11.03.2010 – 1 BvR 3031/08.

1778 OLG Bremen, 18.12.2008 – 5 WF 100/08, FamRZ 2009, 889 – 890.

1779 OLG Brandenburg, 29.01.2009 – 13 WF 29/08, FuR 2009, 279.

1780 OLG Nürnberg, 16.03.2010 – 10 UF 1612/09.

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Zu beachten sind auch sonstige schützenswerte private Interessen (so z.B. die Inte- ressen einer neuen Familie). Bei Gründung einer neuen Familie ist aber zu beachten, dass sich dann die – höchst umstrittene – Frage stellen kann, ob der Selbstbehalt nied- riger anzusetzen ist, wenn bestimmte Kosten durch den neuen Partner gedeckt werden oder sich auf andere Weise durch das Zusammenleben Vorteile ergeben.1781

Diese strengen Grundsätze gelten nicht nur für männliche Unterhaltspflichtige, son- dern auch für Frauen.1782 Auch bei weiblichen Unterhaltspflichtigen wird insgesamt ein Arbeitseinsatz von 48 Wochenstunden1783 bzw. 44 Wochenstunden1784 als grds. zu- mutbar angesehen.

Dabei trägt der Erwerbspflichtige die Darlegungs- und Beweislast auch hinsichtlich der Unzumutbarkeit bzw. Unmöglichkeit der Ausübung einer Nebentätigkeit.1785 Er hat nach der obergerichtlichen Rechtsprechung auch – entsprechend den oben dar- gestellten Grundsätzen – darzutun, dass eine solche Nebentätigkeit nicht zu finden ist.

Hiergegen lässt sich durchaus einwenden, dass eine solche Vielzahl von Nebentätig- keiten praktisch überhaupt nicht zu finden ist.1786 Denn wenn die Rechtsprechung grds.

von einer Nebentätigkeitsobliegenheit eines jeden ausgeht, der zur Zahlung von Min- derjährigenunterhalt verpflichtet ist und nur in eng begrenzten Ausnahmefällen davon abweicht, so setzt dies schon rein statistisch eine große Zahl von Nebenerwerbsstellen voraus, die hierfür zur Verfügung stehen müssten.

Einigkeit besteht, dass die verstärkte Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB weder rechtlich noch tatsächlich wegen übergroßer Belastung des Pflichtigen zu einer Gefährdung des Hauptarbeitsverhältnisses führen darf.

1781 Vgl. einerseits BGH, 17.01.2007 – XII, ZA 42/06; BGH, FamRZ 2004, 25; BGH, FamRZ 2006, 683, 684; OLG Nürnberg, FamRZ 2004, 300; OLG Köln, OLGR 2004, 330; OLG Stuttgart, FamRZ 2005, 54; OLG München, FamRZ 2004, 485; OLG Hamm, FamRZ 2003, 1210; OLG Düsseldorf, ZFE 2006, 232; OLG Dresden, ZFE 2007, 271; OLG Bran- denburg, ZFE 2007, 271; andererseits OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 1209; OLG Hamm, FF 2005, 156 m. Anm. Schürmann; KG, ZFE 2007, 191; OLG Oldenburg, FamRZ 2004, 1669; OLG Frankfurt am Main, FamRZ 2005, 2090 und OLG Karlsruhe, FamRZ 2005, 2091 mit sehr ausführlicher Begründung. Geringere Wohnkostenin der neuen Partner- schaft führen nicht zur Herabsetzung des Selbstbehalts, BGH, FamRZ 2006, 1664 m. Anm.

Schürmann.

1782 OLG Köln, ZFE 2007, 195 = FamRZ 2007, 1119; OLG Dresden, ZFE 2007, 271.

1783 OLG Köln, ZFE 2007, 195 = FamRZ 2007, 1119; vgl. auch OLG Dresden, FamRZ 2003, 1206.

1784 OLG Dresden, ZFE 2007, 271.

1785 BVerfG, FamRZ 2003, 661 unter Hinweis auf BGH, FamRZ 1998, 357, 359; BVerfGE 68, 256, 270 = FamRZ 1985, 143; OLG Dresden, ZFE 2007, 271.

1786 Hohmann-Dennhard, FF 2007, 174, 183.

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Praxishinweise:

Die von einigen Obergerichten getätigte extensive Auslegung der Nebentätig- keitsobliegenheiten dürfte nach neuerer Rechtsprechung des BGH nicht mehr haltbar sein:

So hat der BGH in mehreren Entscheidungen seit 2008 konkrete Ausführungen dazu gemacht, dass der Beklagte im konkreten Fall nicht zu einer Nebentätigkeit verpflichtet ist, die sich durchaus als Hinweise gegen die ausufernde Tendenz der obergerichtlichen Rechtsprechung zu der Nebentätigkeitsobliegenheit verstehen lassen.1787

Fiktive Einkünfte aus einer Nebentätigkeit können dem Unterhaltspflichtigen trotz der nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht ggü. min- derjährigen Kindern nur dann zugerechnet werden, wenn und soweit ihm eine solche Tätigkeit im Einzelfall zumutbar ist.1788

Nach den Vorgaben des BGH1789 ist erforderlich ist, die Einkünfte aus der Nebentä- tigkeit nach Stundenlohn und Zeitaufwand konkret zu berechnen. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass nur die Geringverdienertätigkeit steuerfrei ist und bei höheren Einkünften Steuern und Sozialabgaben anfallen.

Die Bedeutung einer Nebentätigkeitsgenehmigung des Arbeitgebers ist umstrit- ten.1790 Dabei geht es um die Fragen

• des arbeitsrechtlichen Anspruchs gegen den Arbeitgeber und

• der Zumutbarkeit arbeitsgerichtlicher Maßnahmen bei Verweigerung.

Auch zu dieser Frage ist die Rechtsprechung uneinheitlich:

• Eine zusätzliche Tätigkeit über eine bereits bestehende Nebentätigkeit hinaus kann vom Unterhaltspflichtigen auch in einem Mangelfall nicht erwartet werden, wenn sein Arbeitgeber keine Nebentätigkeitsgenehmigung erteilt.1791

1787 BGH, FamRZ 2008, 594 m. Anm. Borth und krit. Anm. Weychardt, FamRZ 2008, 778, Graba, FPR 2008, 176 – 177 = NJW 2008, 1373 m. Anm. Born, Schwamb, FF 2008, 160;

BGH, FamRZ 2008, 872 m. Anm. Hoppenz = NJW 2008, 1525 m. Anm. Born = FuR 2008, 289 m. krit. Anm. Soyka; vgl. auch BVerfG, FuR 2008, 388 m. krit. Anm. Soyka.

1788 BGH, FamRZ 2009, 315 = FPR 2009, 124 m. Anm. Schmitz = FuR 2009, 162 m. Anm.

Soyka.

1789 BGH, FamRZ 2009, 315 = FPR 2009, 124 m. Anm. Schmitz = FuR 2009, 162 m. Anm.

Soyka.

1790 Ausführlich Viefhues, in: JurisPK 2010, § 1603 BGB Rn. 534 ff. m.w.N.

1791 OLG Hamburg, FamRZ 2003, 1205.

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• Der gesteigert Unterhaltspflichtige kann sich dieser Obliegenheit nicht durch Hin- weis auf ein arbeitsvertragliches Nebentätigkeitsverbot entziehen, denn der Ar- beitgeber ist gehalten, auf schutzwürdige familiäre Belange seines Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.1792

• Nach Ansicht des OLG Hamm ist es einem Unterhaltspflichtigen i.d.R. nicht zu- mutbar, gegen das arbeitsvertragliche Nebentätigkeitsverbot seines Arbeitgebers gerichtlich vorzugehen.1793

• Das OLG Naumburg sieht ein generelles Nebentätigkeitsverbot als verfassungs- widrig an, sodass sich ein Unterhaltspflichtiger darauf nicht berufen darf.1794

• Ein generelles Nebentätigkeitsverbot ist nach der arbeitsgerichtlichen Rechtspre- chung mit Art. 12 GG nicht vereinbar.1795 Der Arbeitnehmer hat einen Rechtsan- spruch auf Erteilung einer Nebentätigkeitsgenehmigung, falls eine Beeinträchti- gung der Arbeitsleistung nicht zu erwarten ist.1796 Der Arbeitgeber hat dabei auch die Interessen des Arbeitnehmers und schutzwürdige familiäre Belange zu berück- sichtigen.1797

• Das OLG Hamburg1798 hat die Ablehnung der Nebentätigkeit durch den Arbeitge- ber als hinzunehmen bezeichnet, wenn der Arbeitnehmer in seiner Haupttätigkeit ausreichend belastet ist und zudem an jedem Arbeitstag mehr als 2 Std. Fahrtzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufwenden muss.

Aufgrund der Darlegungslast ist es Sache des Pflichtigen, näher auszuführen, welche Bemühungen er unternommen hat, bei seinem Arbeitgeber eine Nebentätigkeitsgeneh- migung zu erlangen oder – falls dies nicht geschehen ist – aus welchen Gründen ihm nicht zugemutet werden kann, ein bestehendes Verbot abändern zu lassen oder ent- sprechende Versuche nicht Erfolg versprechend sind.1799 Über ein Verbot kann sich der Pflichtige aber nicht ohne Risiken für das Arbeitsverhältnis hinwegsetzen. Angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann – auch im wohlverstandenen Interesse des Unterhaltsberechtigten an einer langfristigen Sicherung seines Anspruchs – folglich nicht verlangt werden, gegen die Verweigerung der Nebentätigkeitsgenehmigung zu klagen.

Geht der Unterhaltsschuldner dagegen bereits einer Nebenbeschäftigung nach, er- zielt er also tatsächliche Mehreinnahmen, besteht eine Vermutung dafür, dass die zu- 1792 OLG Dresden, FamRZ 2005, 1584.

1793 OLG Hamm, FamRZ 2005, 649.

1794 OLG Naumburg, FamRZ 2007, 1038; OLG Naumburg, FamRB 2005, 70.

1795 BAG, NZA 2002, 98.

1796 BAG, NZA 2000, 723.

1797 BAG, NZA 2005, 359; BAG, FamRZ 2004, 1966; vgl. Gaul/Mirza, MDR 2006, 68.

1798 OLG Hamburg, FamRZ 2006, 503.

1799 OLG Dresden, ZFE 2007, 271.

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sätzliche Arbeit auch zumutbar ist.1800 Wurde sie während der Ehe über einen längeren Zeitraum ausgeübt, um Schulden zu tilgen, kann sie nicht mehr als überobligatorisch angesehen werden.1801

Ob auch bei Arbeitslosen, die ALG II beziehen, beim Kindesunterhalt eine Obliegen- heit zur Nebentätigkeit besteht, ist umstritten.

Vertreten wird auch, dass ein zum Unterhalt verpflichteter ALG-II-Empfänger Er- werbseinkommen beziehen könne, ohne dass dieses Erwerbseinkommen seine Bezüge nach dem SGB-II mindere.1802 So wird von keiner ausreichenden Darlegung mangeln- der Leistungsfähigkeit eines Empfängers von Leistungen nach SGB II bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung fiktiver Ein- künfte aus einer Nebenbeschäftigung unter Heranziehung von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II ausgegangen.

Die Gegenansicht1803 geht davon aus, dass § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB  II nicht die Möglichkeit eines anrechnungsfreien Hinzuverdienstes i.H.e. bestehenden Unterhalts- verpflichtung neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II eröffnet, wenn der Unterhalts- anspruch nicht bereits bei Beginn des Bezugs von Arbeitslosengeld tituliert war.

Das OLG Düsseldorf1804 folgt der Auffassung, dass § 11 Abs. 2 Satz l Nr. 7 SGBII nicht zu einer Ausweitung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit für den Fall zu ti- tulierenden Unterhalts führt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass diese Vorschrift durch Art. l Nr. 9 des sog. Fortentwicklungsgesetzes v. 20.07.2006 (BGB1. 2006 I, S. 1706 f.) eingeführt worden ist und nach der Gesetzesbegründung1805 sicherstellen soll, dass nur für den eigenen Lebensunterhalt einsatzfähiges Einkommen bei der Prü- fung der Hilfebedürftigkeit berücksichtigt wird (vgl. §§ 9 und 11 Abs. l SGBII). Zu dem einsatzfähigen – „bereiten“ – Einkommen gehört danach nicht der für die Erfül- lung gesetzlicher Unterhaltspflichten bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegte Betrag, und zwar, „wegen der jederzeitigen Pfändbarkeit“.

1800 BVerfG, FamRZ 2003, 661.

1801 OLG Köln, OLGR 2003, 168.

1802 OLG Brandenburg, 01.11.2007  – 9 UF 58/07, ZFE 2008, 69 – 70, OLG Brandenburg, 07.06.2007  – 10 WF 144/07, ZFE 2007, 393 – 394; OLG Koblenz, 06.02.2006  – 7 WF 107/06, ZFE 2006, 236; OLG Brandenburg, 18.05.2006  – 9 UF 238/05, FamRZ 2006, 1297 – 1299; OLG Brandenburg, 08.02.2008 – 13 UF 6/07, NJW 2008, 3366; OLG Schles- wig, 26.05.2009 – 12 WF 188/08; ausführlich Götsche, ZFE 2008, 170.

1803 OLG Hamm, 28.04.2009 – 13 UF 2/09, NJW 2009, 3446 – 3448; Schürmann, ZFE 2008, 57.

1804 OLG Düsseldorf, 09.06.2010 – II-8 UF 46/10, FamRZ 2010, 1740 m.w.N. über die bishe- rige Rspr. und Lit. unter Verweis auf Schürmann, ZFE 2008, 57.

1805 BT-Drucks. 16/1410, S. 20.

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Der Hinweis auf die jederzeit mögliche Pfändung zeige, dass der Gesetzgeber von einem bereits vorhandenen und nicht einem erst noch zu schaffenden Unterhaltstitel ausging, weil nur unter dieser Voraussetzung eine Pfändung zu jeder Zeit möglich ist.

§ 11 Abs. 2 Satz l Nr. 7 SGB II hat allerdings nichts daran geändert, dass die Leistungs- fähigkeit nach § 1603 BGB zu beurteilen ist, der die „gesetzliche Unterhaltsverpflich- tung“ für den Bereich des Verwandtenunterhalts begrenzt.

Diese Grenzen werden durch eine sozialrechtliche Vorschrift über die Anrechnungs- freiheit bestimmter Einkommensbestandteile nicht erweitert. Andernfalls würde mittelbar eine zusätzliche Einstandspflicht des Leistungsträgers für Angehörige des Hilfebedürftigen begründet, obwohl diese Angehörigen nicht im Haushalt des Hilfebe- dürftigen leben und nicht zu dessen Bedarfsgemeinschaft i.S.d. § 7 Abs. 2 und 3 SGB II gehören. Nach Auffassung des Senats war eine derartige Folge mit der Gesetzesände- rung nicht beabsichtigt. Das Gericht bezieht sich hier auf Schürmann, ZFE 2008, 57 und die dort gegebenen Hinweise auf die verwaltungsrechtliche Praxis und Rechtspre- chung bei Verabschiedung des Fortentwicklungsgesetzes.

5. Altersteilzeit und Vorruhestand

Auch hier gilt der unterhaltsrechtliche Grundsatz, dass eine selbst herbeigeführ- te Verminderung der Leistungsfähigkeit nach Treu und Glauben unbeachtlich ist, wenn die betreffende Person unterhaltsrechtlich verantwortungslos oder zumindest leichtfertig gehandelt hat. Die den Regelungen über flexible Altersgrenzen zugrunde liegenden sozialpolitischen oder arbeitsmarktorientierten Erwägungen bieten keinen zur Beurteilung der unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit geeigneten Maß- stab. Regelmäßig liegt daher eine unterhaltsrechtliche Obliegenheitsverletzung vor, mit der Folge des Ansatzes der bisherigen höheren Einkünfte.1806 Dies gilt sowohl beim Unterhaltspflichtigen als auch beim Unterhaltsberechtigten.

Es können jedoch eine Reihe von Ausnahmen greifen:1807

• prägende Wirkung der ehelichen Lebensverhältnisse beim Ehegattenunterhalt,

• Abwenden des völligen Verlustes des Arbeitsplatzes,

• anerkennenswerte gesundheitliche Gründe und

• fortbestehende Leistungsfähigkeit aus anderen Gründen.1808

1806 OLG Koblenz, FamRZ 2004, 1573; OLG Hamm, NJW 2004, 161 = ZFE 2005, 97; OLG Saarbrücken, ZFE 2005, 101; OLG Saarbrücken, FamRZ 2007, 1019 = NJW 2007, 520 m. Anm. Eschenbruch; Viefhues, FF 2006, 103 ff.

1807 Ausführlich Viefhues, FF 2006, 103, 104.

1808 AG Landau, FamRZ 2007, 1018.

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