Beamte als Parlamentarier
Inaugural- Dissertation
zur
Erlangung der Juristischen Doktorwürde
der Hohen Juristischen Fakultät
der
Königlichen Universität Greifswald
vorgelegt
von
•••
Referendar im Kammergerichtsbezirke
Greitswald 1914
Druck
von Julius Abel*
Inhaltsübersicht.
Seite
§ 1. Die geschichtliche Entwicklung der Immunität
.... 9—17
§ 2. Der Beamte als Abgeordneter iu der Entwicklungs- geschichte und im heutigen Recht 17
—
29§ 3. Der Begriff des Beamten in Art.21
RV
29—33§ 4. Die Grenze des Privilegs 33—39
§ 5. Abstimmungen und Äusserungen + . 40—44
§ 6. Das Verbot der disziplinarischen Verfolgung 44—51
§ 7. Der Schutz vor gerichtlicher Verfolgung und sonstiger
Verantwortung 52—60
§ 8. Anhang: Die parlamentarische Disziplin nach geltendem deutschen Recht gegenüber den Abgeordneten undVer-
tretern der Regierung 60—64
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in
2014
https://archive.org/details/beamtealsparlameOOeisn
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2;1894/95
Band
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Band
1; 1867/68Band
1und 2; 1894/95
Band
1; 1900Band
1;c) des Herrenhauses: 1867/68
Band
1.§ 1.
Die geschichtliche Entwicklung der Immunität.
Am
20.Mai
1914wurde
die Session des derzeitigen Reichstags durch KaiserlichesDekret
geschlossen. Als der Präsident dabei die letzte Sitzung mitdem
üblichen Kaiser-hoch
schloßund
die Mitglieder aufforderte, in dasselbe mit- einzustimmen, blieben die sozialdemokratischenAbgeord-
neten demonstrativ auf ihren Plätzen sitzen.Darob
natür- lich große Entrüstungim
nationalen Blätterwalde. Einige rieten dabei zur Verschärfung der Geschäftsordnung, andere forderten das sofortige Einschreiten des Staatsanwalts,und
so schrieb z. B. die Deutsche Tageszeitung in derAbend- ausgabe vom
20.Mai
1914 beiBesprechung
des Vorfalls:„Bekanntlich ist das Sitzenbleiben früher bisweilen als Majestätsbeleidigung bestraft worden."
Es
wird sich in-dessen weiter unten Gelegenheit bieten darzulegen,
daß
diese Kenntnis derDeutschen
Tageszeitung unrichtig ist;auch wird unten untersucht werden, ob de lege lata die Möglichkeit besteht, gegen solche politische Ungehörigkeiten strafrechtlich vorzugehen, oder ob hiervor der Art. 30 Reichsverfassung schützt, welcher lautet:
Kein
Mitglied des Reichstags darf zu irgend einer Zeitwegen
seinerAbstimmungen
oderwegen
der inAusübung
seines Berufes getanenÄußerungen
gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der
Versammlung
zurVerantwortung
ge-zogen
werden.Hier soll die geschichtliche Entwicklung der durch diese
Verfassungsbestimmung
den Mitgliedern des Reichstags ge- währleisteten „Immiunität" erörtert werden.Bemerkt
sei zu--
10—
nächst,
daß
wir diedem
Sinne nach gleicheBestimmung
sowohlim
Art. 84, I Preußische Verfassungsurkunde*), wie in den meisten Verfassungen der deutschen Bundesstaaten haben'2).Alle diese Vorschriften sind das Resultat einer langen geschichtlichen, durch die politische Notwendigkeit sowohl in Deutschland
wie
in anderen Repräsentativstaaten be- dingten Entwicklung.Die sog.
Immunität
äußert sich in zwei ihrem innerenWesen nach
verschiedenen Rechtsinstituten.Einmal
wird die Unverantwortlichkeit des Volksvertreters inbezug
auf seine Berufsausübung gewährleistet;sodann
schützt sie denAbgeordneten wegen
seines außerberuflichen Verhaltens.Unter
der beruflichenImmunität
desAbgeordneten
istnun
zu verstehen, wie es der Art. 30RV.
auch ausdrückt,daß
dieAbgeordneten weder wegen
ihrer in der parlamen- tarischen Berufsausübungvorkommenden Abstimmungen, noch wegen
ihrer parlamentarischenÄußerungen
oderAn-
trägevon
irgend einem staatlichen Zivil- oder Strafgericht oder irgend einer obrigkeitlichen Disziplinarbehörde zurVerantwortung gezogen werden
können.Die
außerberuf- licheImmunität
sichertihm
eine privilegierte Stellung inbezug
auf Verhaftungund
Verfolgungwegen
außerhalb des Berufsbegangener
Straftaten.Der Zweck
derImmunität
ist, dieUnabhängigkeit
der parlamentarischen Berufsausübung in weitestemMaße
sicherzustellen.
1) Der Art. 84, I
PrVU.
lautet wörtlich:Sie
—
die Mitglieder—
können für ihre Abstim-mungen
in derKammer
niemals, für ihre darin aus- gesprochenen Meinungen nur innerhalb derKammer
auf
Grund
der Geschäftsordnung (Art. 78) zur Rechen- schaft gezogen werden.2) Vgl. z. B. auch dieselbe Bestimmung in der jüngsten Ver- fassung im Deutschen Reiche, nämlich § 20 der Elsaß-Lothringi- schen Verfassung
vom
31. Mai 1911.—
11—
Ihre
Heimat
hat die Redefreiheit in England,dem
ersten Lande, das ein
Parlament
aufzuweisen hat.Aus
der Redefreiheit folgerteman
dort das Recht, freivon
jedeVerantwortung
für solcheÄußerungen
zu sein, die „auch für eine objektive Betrachtungsweise einen parlamentari- schen Charakter hatten"3).Beredte unter
Eduard
III.(1322—1377)
diskutierten dieGemeinen
desUnterhauses
häufig über Gegenstände, die eine Einschränkung der Prärogative derKrone
darstellten,ohne
jemals darin gestört zuwenden
4).Der
erste Fall, der eine offensichtliche Verletzung der Redefreiheit des Parlaments zeigte,war
der desAbgeord-
netenHaxey,
der ein Gesetz aufEinschränkung
der König- lichenHofhaltungsausgaben
einbrachteund
auf Ver- anlassung desKönigs
als Hochverräter verurteilt wurde.Heinrich IV.
hob
das Urteil allerdings wieder auf,denn Haxey
seigegen
Parlamentsrechtund Brauch
verurteiltworden
5).Im
Jahre 1512wurde
derAbgeordnete
Strodewegen
Einbringung einer Billvon einem
Lokalgericht ver- urteilt. Hierauf erging mitGenehmigung
beiderHäuser und
desKönigs
ein Gesetz, das das Urteil für nichtig er- klärte6). Diese Nichtigkeitserklärung setzte aber voraus,daß
die Redefreiheit schon vordem
Fall Strodevorhanden
sein mußte.
Die
Redefreiheitwurde
unterstütztvon dem Umstände, daß
dieVerhandlungen
nicht öffentlich waren. Die Par- lamentsdiskussionendrangen
daher nominell nicht in die Öffentlichkeitund
solltendemgemäß
so behandelt werden,als ob sie für die außerhalb des Parlaments Stehenden nicht
vorhanden
wären.Daher
ist es verständlich,wenn
dieGe-
3) So
Hub rieh,
Die parlamentarische Redefreiheit und Disziplin S. 17.4)
May,
Das englische Parlament S. 115.5) Derselbe a. a. O. S. 116.
6)
May
a. a. O. S. 117.—
12—
meinen
denKönig
Heinrich IV. baten, ermöge von
Parla- mentsberichten, dieihm
hinterbracht würden, keine Notiznehmen.
Heinrichkam
dieser Bittenach und
versprach auch,niemand
über dergleichen AngelegenheitenGehör
zu schenken, es seidenn
aufAnraten
oderAntrag
der Ge-meinen
selbst7). Später versuchte aber dasKönigtum
doch, Parlamentarierwegen
ihrer beruflichenÄußerungen
ausdem Parlamente
auszuschließen. DiesesRecht
schrieb es sich deshalb zu, weil dasParlament
„derRat
derKrone"
sei,
und
derKönig
über,seineRäte
die Disziplinargewalt habe; somit steheihm
auch dieMacht
über die Parlaments- mitglieder zu.Deshalb wurde
es üblich, bei der Eröffnung des Parlaments denAntrag
aufGewährung
des Privilegs der Redefreiheit zu stellen. Ihre endgültige Fixierung er- hielt sieim
Art. 9 der bill of rightsvon
1689, der (in deut- scher Übersetzung) bestimmt,„daß
die Freiheit der Rede, der Diskussion, derVerhandlung im Parlamente
vorkeinem
Gerichtshofeund
nirgends außerhalb des ParlamentsGegenstand
derAnklage
oderUntersuchung
sein dürfe".Dieser Artikel bildet
noch
heute den Grundpfeiler für die berufliche Immunität.Er
gewährt denAbgeordneten
einen sachlichen Gerichtsstand. Alles,was
die Abgeord- netenim Parlamentshause
zurSache
reden, gehört vor dasForum
des Parlaments.Dem
englischen Parlamentsrechte ist auch das der Ver- einigten Staatenvon Nord-Amerika
nachgebildet8).Der
Einfluß, denEngland
auf die berufliche Immunität derAbgeordneten
aufdem
europäischen Kontinent aus- übte,war
nur mittelbarund
zeigte sich zunächst in Frank- reich.König Ludwig XVI.
hatteam
23. Juni 1789 in der Sitzung des französischen Nationalkonventsam
Schlüsseseiner
Rede
die Nationalversammilung aufgefordert ausein-7) Vgl.
Hubrich
a. a. 0. S. 20.8) Vgl. die nähere Darstellung in
Hubrich
a. a. O. S. 37ff.—
13—
ander zu gehen,
und am
folgendenTage
wieder zu einernach
Ständen geordneten Körperschaftzusammenzukommen.
Ungeachtet
der nochmaligen Erinnerung des Zeremonien- meisters an dieWorte
des Herrschers blieb dieVersamm-
lungbeisammen
infolge der Erklärung Mirabeaus, die in der Aufforderung, nur derMacht
der Bajonette zu weichen, gipfelte9).Mirabeau mochte
aberwohl
überlegt haben, welche schlimmenFolgen
diese trotzige Aufforderung für ihnhaben
könnte.Er
erhob sichnochmals und
beantragte, die Unverletzlichkeit der Mitglieder derNationalversamm-
lung auszusprechen. Mit überwältigenderStimmenmehrheit wurde
nach kurzerBeratung
diesemAntrage
entsprechend beschlossen.Der Antrag wäre
auf keinen so günstigenBoden
gefallen,wenn
nicht die publizistische Richtung, die damals in Frankreich zahlreicheAnhänger
hatte, vor- gearbeitetund
das Volk für diese Ideen empfänglichgemacht
hätte.
Die
französischen Publizisten vertraten besonders zwei Sätze:Die Abgeordneten
seien die juristischen Ver- treter des Volks,und nähmen
daher als solche dieselbe Stellung wie dieses ein.Das Volk
aber sei als Träger der Souveränität unverletzlich: diesmüsse
auch denAbgeord-
neten beiAusübung
ihres Gesetzgebungsberufes zugutekommen. Sodann
vertraten die Publizisten dieLehre von
der„Trennung
der Gewalten". DieAbgeordneten
seien Träger der gesetzgebenden Gewalt.Da
jedeGewalt
der anderen gleichberechtigtund unabhängig
gegenüber stehe,könnten
dieAbgeordneten
als Träger der Gesetzgebungs- gewaltwegen
ihrer Amtstätigkeit nichtvon
der richterlichenGewalt
zurVerantwortung gezogen
werden.Der
Niederschlag dieserLehren
findet sich in den„Cahiers", welche die
Wähler
ihremAbgeordneten
mit- gaben. Viele dieser Instruktionen forderten ausdrücklich die Unverletzlichkeit derAbgeordneten
oder verlangten9) Vgl.
Hub rieh
a. a. O. S. 44.—
14—
wenigstens,
daß
die Delegierten nur mitZustimmung
derVersammlung
den Gerichten ausgeliefertwerden
sollten.Die durch die verschiedenen politischen
Umwälzungen
her- vorgerufenen Verfassungen Frankreichs enthaltendenn auch
in derMehrzahl
sowohl die berufliche wie die außer- beruflicheImmunität
der Abgeordneten. Zuletzt aus- gesprochenund noch
heute in Geltung finden wir sie in derloi constitutionelle sur les rapports des pouvoirs publics
vom
16. Juli 1875 (Art. 13, 14) 10).
Das
französischeParlament
hat alsoim
wesentlichen dasselbeRecht
aufImmunität
derAbgeordneten
wie das englische, allerdings steht der französischen Volksvertretung keine eigentliche Gerichtsbarkeit gegen ihre Mitglieder zu.Die
belgische Verfassungvon
1831wurde um
die Mitte desvergangenen
Jahrhunderts als die konsequenteste kon- stitutionell-monarchische Staatsverfassung angesehen; sie hat auf alleseit dieser Zeit entstandenen Staatsverfassungen einenmehr
oder wenigergroßen
Einfluß geübt. In Belgienwurden
dabei die Ideen der Volkssouveränität, der Volks-
repräsentanz
und
der Teilung derGewalten
imiAnschluß
an die französischenLehren
rezipiert. Die Redefreiheit der Volksvertretungwurde
durch Art. 44 gewährleistet, der mit Rücksicht auf die Rolle, die er für unsere Verfassung ge spielt hat, hierim Wortlaut
wiedergegeben sei:aucun membre
de l'une ou de l'autreChambre
ne peut etre poursuivi ou recherche ä l'occasion des opinions etvotes emis par lui dans Fexercice de ses fonctionsAn
Disziplinarstrafmitteln kennt das belgische Recht ähnliche wie das französische; eine Verschärfung desselbengegen
früher hatam
29.Januar
1897 stattgefunden, indeim seit dieser Zeit sowohl der Verweis mit Eintragung in das10) Vgl.
Hub rieh
a. a. O. S. 117.11)
Wie
vorbildlich diese Bestimmung für das preußische Recht gewesen ist, wird unten erörtert werden.—
15—
Sitzungsprotokoll wie auch zeitweiser Ausschluß
von
den Sitzungen zulässig ist12).Deutschland hatte zu der Zeit, als
England
schon die beruflicheImmunität
desAbgeordneten
als ein gesetzlich anerkanntes, wohlbegründetes Institut beisaß, nichts ähn- liches aufzuweisen.Man
sprach allerdings auch bei denLands
tändenvon
der Freiheit der landständischen Stimme.Diese Freiheit hatte aber
wenig
mit einer beruflichenUn-
verantwortlichkeit desAbgeordneten
zu tun. Ihr Inhalt bestand darin,daß
,,Eingriffe desLandesherrn und
dervon ihm abhängigen Behörden
bei mißfälligenÄußerungen
der Stände" 13) nicht statthaft, das Einschreiten der ordent- lichen Gerichtedagegen
bei strafbarenHandlungen
der- selben zulässig sein sollten.Auch
diese bescheidene Freiheit blieb nicht einmal un- angefochten. Sehr oftmußten
dieLandstände
sich die Willkür der Fürsten gefallen lassen,und
ihr Bestreben ging nur dahin, sich den ordentlichenRechtsweg
offen zu halten.Solange das
Reichskammergericht
bestand, hatten die Ständean ihm noch
eine Stütze gegen die Willkürakte der Fürsten. Mit seiner Auflösung aber verloren sie den letzten Schutz,und
siewurden
schließlich durch die Staatsober- häupter,denen nunmehr
die Souveränitätzukam,
größten-teils beseitigt 14).
Nach dem
Freiheitskriege erwachte wie- der derGedanke an
eine Vertretung derNation
in Deutsch- land.Man
dachtean
eine Einführungvon
Landständen, allerdings, durch die konstitutionellenLehren
beeinflußt, inanderer
Form
als 200 Jahre zuvor.Man
verkündete dieLehre vom
Repräsentativstaat. Jeder einzelneAbgeordnete
sollte Vertreter des
ganzen
Vplkes, sowiean
Instruktionenund Äußerungen
nichtgebunden
sein,und
vollständige Redefreiheit haben. Die Regierungen zeigten sich aber12)
Hubrich
a. a. O. S. 402, 403.13)
Meyer- Anschütz
a. a. O. (1905) S. 336.14) Vgl.
G
ierke, GenossenschaftsrechtBand
1 S. 817.—
16—
diesen
Wünschen wenig
willfährig,und
so enthalten denn die ersten deutschen Verfassungen überhaupt keine garan- tierendenBestimmungen
über eine volle berufliche Im- munität der Abgeordneten.In der bayrischen Verfassung erst
und
in der preußi- schen Verfassungsurkundevom
31. Januar 1850 finden wir die beruflicheImmunität
derAbgeordneten
nur durch die Disziplin derKammern
beschränkt, sodaß
also die Parla- mentsmitglieder für Berufsäußerungen, bei Innehaltung der ihren Beruf kennzeichnenden äußerenFormen,
außerhalb desHauses
nicht zur Rechenschaftgezogen werden
können.Andere
deutsche Verfassungen sahen strafrechtliche Verfolgung derAbgeordneten wegen
beruflicherÄußerungen
teils unbedingt, teils bedingt vor.
Die Frankfurter konstituierende
Nationalversammlung nahm
sich ebenfalls wie die preußische Verfassung den Art.44
der belgischen Verfassungzum
Vorbildeund
führte dementsprechend die unbedingte beruflicheImmunität
derAbgeordneten
ein. So enthielt § 120 der Reichsver- fassungvom
28.März
1849 den Wortlaut, den wir heute in Art 30RV.
finden. Zunächst ging er aus der Reichs- verfassungvon
1849 in das preußische Gesetz betreffend dieWahlen
für den Reichstag des NorddeutschenBundes vom
15.Oktober
1866,und von
da in die heutige Reichs- verfassung über.Bei der Beratung des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich
vom
15.Mai
1871wurde
der § 11StGB, aufgenommen,
der die verschiedenen partikulärenBestimmungen
der ein-zelnen Bundesstaaten über die berufliche
Immunität
der Volksvertreter durch eine einheitlicheRegelung
ersetzte 15).Der
erste deutsche Rechtslehrer, der das Immunitäts- recht derAbgeordneten
hinsichtlich ihrer parlamentarischen15) Über die Entstehung und die Tragweite des § 11 wird unten gehandelt werden.
—
17—
Berufstätigkeit wissenschaftlich zu
begründen
versuchte,war
der Heidelberger Professor K. S.Zachariae
16).Nach
seinervon
vielen alten Staatsrechtslehrern geteiltenAnschauung
ist das Gesetz der einzigeMaßstab
des Rechts für die Mitglieder des Staates als solche.Es wäre nun
aber widersinnig,wenn
die zurAusübung
der gesetzgebendenGe-
walt in die Volksvertretung berufenen Personen, die die juristischen Vertreter des Volkes seien, für das,was
sie in dieser ihrer Eigenschaft getan haben, zurVerantwortung
gezogenwerden
könnten, sodaß
sienach Zachariae
schon kraft ihrer Stellung
immun
seinmüßten.
Nach
der heutigen Staatsrechtslehre bildet dasVolk
keine juristischePerson im Gegensatz zum
Staate.„Der
Staat ist das organisierte Volk" 17).Der
Staat, der allein Rechtspersönlichkeit hat, gibt seinen Willen durch die durch das Staatsgrundgesetz geschaffenenOrgane
kund.Da
diesen
Organen
keine Herrschergewalt zusteht, so gibt die Stellung der 'diesenOrganen angehörenden
Mitglieder als solche ihnen keinRecht
auf Redefreiheit; diese beruht viel-mehr
auf besonderen Rechtsvorschriften, die aus politischenGründen
zur Sicherung einer ungestörten Berufstätigkeitgegeben
sind18).
§ 2.
Der Beamte
alsAbgeordneter
in der Entwicklungsgeschichteund im
heutigen Recht.Werfen
wir zunächst einen kurzen Blick in die Ge- schichte, so finden wir in der französischen Konstitution von 1791,daß
die öffentlichenBeamten
fastdurchweg von
16) Siehe seine ausführliche Arbeit im Archiv für zivi- listische Praxis
Band
17 S. 173ff.17)
Gierke,
Genossenschaftsrecht Bd. 1 S. 830.18) Eine ausführliche Darstellung der Doktrin in Deutsch- land gibt
Hu brich
a. a. O. im § 10 (S. 248ff.).Diss. E Lanej-. 2
—
18—
einer Tätigkeit als Parlamentarier ausgeschlossen waren, ans der
Erwägung
heraus,daß
diezum Gehorsam
verpflich- tetenBeamten
nicht geeignete Mitglieder einer souveränen Körperschaft seien. EineAusnahme
hiervon, d. h.wählbar waren
nur die richterlichenBeamten
1), aber auch bei diesenwaren
gewisse Kautelen dadurch geschaffen,daß während
ihrer Parlamentär!ertätigkeit ihr Richteramt ruhte. Späterwurde
dieser Standpunkt eine Zeitlang sehr gemildert; ins-besondere hatten zu
den Parlamenten
Napoleons I. die Be-amten
ungehindert Zutritt, weil sie infolge ihrerAbhängig-
keit willfährige
Elemente
in derHand
der Regierung waren.Diese Abhängigkeit führte aber dahin,
daß nach und
nach wiedermehr Beamtenkategorien von
der Wählbarkeit aus- geschlossenwurden
2).Eine ähnliche Entwicklung finden wir in der Parla- mentsgeschichte Englands3)
.
In Deutschland drückte ami
Eingang
desneunzehnten
Jahrhunderts dievon Napoleon dem
neuen KönigreichWest-
falen gegebene Verfassung auch einerReihe
anderer Einzel- staaten ihren Stempel auf4).Nach dem
Sinne dieser Ver- fassungen—
mit wirklich konstitutionellem Geiste hatten dieseSchemgebilde von
Verfassungen allerdings wenig zu schaffen— war den Beamten
dieWählbarkeit
nicht versagt, nur bedurften siezum
Eintritt insParlament
der Erlaubnis ihrer Regierungen. DieserUrlaub wurde
allerdings regel-mäßig
bewilligt,da
dieRegierung
der Gesinnungstreue ihrer1) Gerade über die Zweckmäßigkeit der Wählbarkeit dieser Kategorie von Beamten haben sich später, wie unten (S. 19, 23) ausführlicher erwähnt werden wird, die Ansichten im allgemeinen recht geändert.
2) Vgl. hierüber
C
1auß a. a. O. S. 11f. und S. 120.3) Vgl.
Clauß
S. 8ff.4) Vgl. derselbe S. 39ff.; eine eingehende Darstellung der Entwicklung in den deutschen Staaten gibt
Clauß'
Schrift S. 60ff.—
19—
Beamten im Parlamente
bei ihrer Abhängigkeitgewiß
war.Und wenn
auch indem
einen oder anderenLande
diese oder jeneBeamtengruppe,
insbesondere die niederen Lokal-beamten — und
die Richter5),von
derWählbarkeit
aus- geschlossenwurden
6),im
Prinzip blieb die Wählbarkeit derBeamten
aufrechterhalten. Allmählich führte in ein- zelnen Staaten das Auftreten derBeamten im
Parlament zu Unzuträglichkeiten,und
so versagten verschiedentlich dieRegierungen
denBeamten
dieGenehmigung zum
Ein- tritt durch Urlaubsverweigerung 7).Die
Stürme
der Pariser Februarrevolution führten auch in vielen deutschen Staaten nachmehr
oder weniger langenKämpfen
einenUmschwung
in derWeise
herbei,daß man
den
Beamten
ungehinderten Eintritt insParlament
ge- stattete,ohne daß
sie hierzu Urlaubvon
ihrerRegierung
einzuholen brauchten, oder aberdaß
diese Urlaubseinholung nurnoch
formelleBedeutung
hatte, derart,daß
dieGenehmi- gung
nicht versagtwerden
durfteund
lediglich gewisser-maßen
eine Mitteilungan
dieRegierung
enthielt, damit diese daraufhin die entsprechendenMaßnahmen
zur Stell-vertretung der betreffenden
Beamten vornehmen
konnte.Bevor
wirnun
auf das heute geltendeRecht
näher ein- gehen, wollen wir dieFrage
aufwerfen, ob es wünschens- wert ist,wenn
der Gesetzgebereinem Beamten
die Möglich- keit nicht verwehrt,neben
dieser seiner Stellung der Volks- vertretung als Abgeordneter anzugehören.Die Ansichten hierüber
gehen
weit auseinander.5)
Man
befürchtete, daß die politischen Anschauungen die Unparteilichkeit der Richter beeinflussen würden (vgl. untenS. 23).
6) Vgl.
C
1auß a. a. O. S. 52, 49.7) z. B. in Württemberg (vgl.
C
1a uß a. a. O. S. 108) undin Baden,
wo
sie sogar eine Ministerkrisis zur Folge hatten (vgl.Clauß
S. 114ff.).2*
—
20—
Auch
die, die den Eintrittvon Beamten
ins Parlament befürworten8),verkennen
die damitverbundenen
Schwierig- keitenund
Nachteile nicht9),und nach
ihrenErwägungen
glaubtman
eher,daß
sie für den Ausschluß als für den Ein- trittvon Beamten
sich entscheiden werden. In erster Linie wird sowohl in alten10) wie inneuen
11)Werken
dieBe
teiligung derBeamten im Parlament
mit Rücksicht auf ihre vielseitigeund umfassende
Bildung alsnotwendig
bezeich- net Insbesondere seien Juristen alsKenner
des Staats-wesens und
seiner Einrichtungen, praktisch erfahren in Staatsgeschäften, die zurBewertung
der bestehenden Ver- hältnisseund
zurBehandlung
schwieriger gesetzgeberischerFragen
geeigneten Leute,nach C
1au ß „ein Gesichtspunkt, aufden
in derZusammensetzung
der repräsentativen Or- gane meist nurwenig
Rücksichtgenommen
wird" 12).Durch
ihre Doppelstellungim Verkehr
mit der Re- gierungund
mit den verschiedenen Volksklassen seiendann
dieBeamten
als Parlamentarier leichter imstande, die beiderseitigen Interessen unparteiischund
richtig gegenein- anderabzuwägen.
Andererseits sei auch eine bessere Ge-währ
dafür gegeben,daß
die Gesetzevon
denBeamten im
Sinne des Gesetzgebersangewandt
würden,wenn
sie an8) Vgl. insbes.
Sarwey,
Der Staatsdienst und der Stand der Staatsdiener in Kleinstaaten (Zeitschr. f. d. gesamte Staats- wissenschaft Bd. 6 S. 657);Clauß
a. a. O. S. 13ff., insbesondere S. 16, S. 187, 188; v.Rönne,
Staaterecht der preußischen Monarchie S. 314Anm.
5.9) Siehe darüber unten S. 25ff.
10)
Sarwey.
11)
Clauß
a. a. O. S. 17.12)
Clauß
hat hierbei wohl die gegensätzliche Auffassung von v.Martitz
(Betrachtungen über die Verfassung des Nord- deutschen Bundes) S. 81, die dieser inAnm.
74 mit einem treffen- den, unten (S. 21) erwähnten Beispiel aus der Praxis belegt, über- sehen.—
21—
ihrer Schaffung tätigen Anteil
genommen
hätten.Hinzu käme noch
dasbeim Beamten
besonders ausgeprägte Pflicht- bewußtsein, dasGewähr
für fleißige Mitarbeitund
sorg- fältigeÜberlegung
bei entscheidendenFragen
böte.Schließlich sei der
Beamte von
wirtschaftlichen Er-wägungen
nicht so abhängig, wie der Privatmann,und
auch aus diesemGrunde
sei er der unbefangenerePariamen
tarier 13).
Es kann
schon sehr zweifelhaft sein, ob dasHaupt- argument
(die Bildung derBeamten)
in früheren Zeiten durchschlagend war. wenngleich die oben zitierten Schrift- steller dies behaupten.Denn,
wieMarti
tz 14) ausführt,ist
dem
Bedürfnisnach Fachmännern
in der Volksvertretung durch die Zulassung derBeamten
in recht zweifelhafter and ungenügenderWeise
abgeholfen worden, da z. B. das preußi- scheAbgeordnetenhaus während
seiner Legislaturperiode von 1862—
66 trotz zahlreicher Richter wichtige Gesetz- entwürfe nur in sehr mangelhafterWeise
erledigte.Sehen
wir uns die derzeitigen Parlamente an!Das Abgeordnetenhaus
weistnach dem
neuesten Plate15) 227 Beamte, das sind über die Hälfte allerAb-
geordneten. auf16).Hiervon
sind ca. 90. d. h. V5 derAb-
geordneten Juristen (Verwaltung?-und
Justizbeamte).13)
Im
Ergebnis übereinstimmendThudichu
111 a. a. 0.S. 153/54
Anm.
4, der den Ausschluß der Beamten ausdem
Par- lament solange für nachteilig hielt, als die meisten deutschen Staaten noch keine freie Advokatur hätten, und die Selbstver- waltung so wenig entwickelt sei, daß hauptsächlich die Beamtentiefere Bildung besäßen.
14) a. a. O. S. 81
Anm.
74.15)
Handbuch
des preußischen Abgeordnetenhauses S. 340f.16) Einbegriffen sind hier Verwaltung*-, Justiz-,
Kommunal-
beamte, Lehrer und Offiziere, ausgenommen Notare, Geistliche, Privatbeamte.
—
22—
Ähnlich liegen die Verhältnisse
im
Reichetag17).Ein Blick in die Parlamentsberichte lehrt18), wie selbst
von
Seiten derAbgeordneten
dieKlagen
über die gesteigerte Redelustund
dieverminderte positiveArbeitlautwerden
19).
Und
dabei, wie unklarund
mißverständlich ist dieForm
vieler heutiger Gesetze,
von ihrem
materiellen Inhalt ganz zu schweigen20). Trotz dergroßen Anzahl von
gebildetenBeamten
!
Was
überhaupt dasArgument
der Bildung derBeamten
anlangt, so
kann
es nichtmehr
in der heutigen Zeit ziehen21), in derman
allgemeinvon
einer „Proletarisierung des Akademikerberufes" spricht, in der die Bildung längst Allgemeingut, jedenfalls nichtmehr
Alleingut derBeamten
17) Die Daten des Reichstags habe ich nicht zusammenstellen können, da das „Handbuch des Reichstags" keine Statistik seiner Mitglieder nach Berufen enthält.
18) Vgl. z. B. die Geschäftsordnungsdebatte im Abgeordneten- haus
am
9. Mai 1914; eine ähnliche Debatte spielte sich auch im Reichstag ab.19) Bemerkenswert war die Feststellung des Präsidenten, des Grafen von Schwerin-Löwitz, daß das Abgeordnetenhaus für die Beratung des Etats früher 30, in der letzten Legislaturperiode 50 und jetzt ca. 75 Tage gebraucht habe. Die lange Beratung des diesjährigen Etats zeitigte im Herrenhaus
am
19. Mai die scherz- hafte Anfrage eines Mitgliedes zur Geschäftsordnung, „ob Nach- richten vorliegen, aus denen hervorgeht, ob das Abgeordnetenhaus noch in diesem Jahre die Etatsberatung zu beendigen beab- sichtigt".20) Hierauf würde
man
im einzelnen nicht eingehen können, ohne ins Politisieren zu verfallen, aber erwähnt sei doch, daß die 1911 eingeführte Reichswertzuwachssteuer mit Rücksicht auf die durch sie hervorgerufenen wirtschaftlichen Schäden nach 2jähri-gem
Bestehen wieder beseitigt wurde; übrigens war auch dieFassung des Gesetzes eine ungemein schwer verständliche und gab zu vielen Streitigkeiten Anlaß.
21) Dies gbt
€lauß
S. 187 zu, und doch verwertet er das Argument für seine Ansicht.—
23—
ist.
Warum Clauß
meint 22)— und
auch diesesMoment
spricht bei seiner Entscheidung zugunsten der
Beamten
mit
— daß
gerade Rechtsanwälte, bei allerAnerkennung
ihrer für den Volksvertreter vorteilhaften Eigenschaften,„vermöge
ihrer Berufstätigkeitim
allgemeinen leichter ge- neigt sein werden, über einseitigen Parteibestrebungen das Interesse der Allgemeinheit zu vergessen", ist nicht recht verständlich. Jeder Parlamentarier— und
sei ernoch
so gebildetund
geistig hochstehend, sei er Beamter, sei erPrivatmann —
wird,was
auch nur natürlich ist, sich fastdurchweg von
einseitigen Parteibestrebungen leiten lassen,zumal
er doch gerade hierbei der Allgemeinheitam
besten zu dienen meint.Als schlagendstes Beispiel gegen
Clauß
sei an- geführt,daß
Richter—
Beamte, die allevon Clauß
er- forderten Eigenschaften in sich vereinigen—
schon in früherer Zeit23)von
parlamentarischer Tätigkeit aus- geschlossen wurden,da
ihre Beteiligungan den
Partei-kämpfen
auf siemehr
zurückwirke, als mit ihrer Unpartei- lichkeit vereinbar sei. Diese Ansicht vertrat auch FürstBismarck
in sohohem
Grade,daß
er, derzwar
überhaupt einGegner
derBeamten
als Parlamentarier war, bei derBeratung
der Verfassung desNorddeutschen
Bundes, derenEntwurf
die Wählbarkeit der bundesstaatlichenBeamten
ausschloß24), einAmendement
desGrafen von
der Schulen- burg fürannehmbar
erklärte, das wenigstens dieWählbar-
keit der geistlichen
und
richterlichenBeamten
ausschloß25)Denn
diesewürden
bei ihren Urteilen zu leichtvon
politi-schen
Erwägungen
geleitet26).22) a. a. O. S. 188. 23) Siehe oben S. 19.
24) Siehe darüber unten S. 26.
25) Rede des Fürsten Bismarck
vom
28. März 1867, abgedr.in
Horst Kohl
III S. 254ff.26) Bismarck belegt seine Ansicht mit einem ihn selbst be- treffenden Beispiel. Danach habe er verschiedene Strafgericht-
-
24—
Was
ferner die Ansicht anlangt,daß
derBeamte von
wirtschaftlichenErwägungen
nicht so abhängig sei wie der Privatmann, so widerspricht sichC
1au ß selbst,wenn
er zugibt27),daß
ein gewisserGrad
tatsächlicherAbhängig-
keit
von
derRegierung
auchim
Privatleben vorliegt,indem
der Ehrgeiz, befördert zu werden,und
derWunsch nach Vermehrung
seinesDiensteinkommens
die Meinungsäuße- rung dieBeamten im Parlament
beeinflussen kann.Auch
dies ist ein
Argument,
daszum
Ausschluß derBeamten
ausdem Parlament
fuhrenmuß. Denn
nichts ist für ein Staats-wesen
nachteiliger als ein korruptes Beamtenheer.Und
es läßt sich nicht vermeiden,daß
dieRegierung
einenBeamten
zu beeinflussen versucht, resp. einen ihre Politik nicht unterstützendenBeamten
in irgend einerWeise
maßregelt.Man
wird solches Vorgehen, wofernman
es nichtvon
einem allzu einseitigein Parteistandpunkte aus betrachtet, nicht,einmal mißbilligen können; handelt die Regierung dabei
doch
nur sio, wie jederPrivatmann
verfährt, der einenihm
nicht
genehmen
Angestellten einfach entläßt,und muß
siedoch auch
so handeln, soll nicht das Verhältnisvon
Regie- rung zuihrem
untergebenenBeamten vollkommen
verändert werden.Aber
selbstwenn
eineRegierung
ihrenBeamten
in keiner
Weise
zu beeinflussen versucht, wird es für ihn schwer sein, sich völligvon dem
Gefühl seiner Abhängig- keit loszusagen,und auch wenn
er,von
jeder Beeinflussung befreit, seine Ansichtim Parlament
äußert, wird erbeim Volk
doch leicht in den Verdachtkommen, daß
seine Stellungnahme zu irgend einerFrage von
seinem Verhältnis zur Regierung beeinflußt sei28).Um
solches Mißtrauen zuliehe Urteile gelesen, in denen den wegen Beleidigung seiner Per- son Angeklagten mildernde Umstände zugebilligt seien, weil sie
— vom
politischen Standpunkte aus betrachtet—
recht hätten.27) a. a. O. S. 13.
28) Denselben Gedanken entwtckelt
Sarwey
a. a. O. S. 657,ohne jedoch mit Rücksicht auf die Bildung der Beamten unseren Schluß zu ziehen.
25
—
vermeiden, sollten
Beamte vom Parlament
ausgeschlossen sein.Man kann
hier u. E. nicht mitFug
einwenden29),daß
es ja
im
Belieben derWähler
stände, ob sie einenBeamten
ine Parlament wählen wollen.
Ganz
abgesehen davon,daß
es häufig zweifelhaft ist, ob ein
Wahlergebnis dem
wirk- lichen Willen der Mehrheit derWähler
entspricht30), ver- tritt ein Abgeordneter nureinen
WahlkreisNun muß
sich
zwar
jederAbgeordnete
gefallen lassen,daß
seine Nichtwähler ihrer Unzufriedenheit mitihm Ausdruck
geben, aber dasVolk
ist hierzu,umso
eher geneigt,wenn
es sichum
einenBeamten
derRegierung
handelt.Ferner hat die Regierung
darum
ein erhebliches Inter- essean
der Ausschließung derBeamten vom
Parlament, weil ein zeitweiliges Ausscheiden derBeamten
aus ihrem Dienste zwecks Erfüllung ihrer Parlamentarierpflichten störend auf denGang
ihrer Dienstgeschäfte einwirkt. Ein Stellvertretermuß
mit nicht unerheblichenKosten
heran-gezogen
werden,und
ehe er sich in dasAmt
eingearbeitet hat, vergeht unterUmständen
lange Zeit,und
während- dessen ist derGeschäftsgang
gestört.Man
verkenne auch nicht, welche wichtige Rolle die Kostenlast für die Regie- rung spielt31); keinGeschäftsmann kann
eine sorgfältigereund
genauere Kontrolle über seineAusgaben
führen als der Staat32).29)
Wie
esC
1auß a. a. O. S. 14 tut.30)
Man
denke an Wahlbeeinflussungen, wobei häufig schon die Stellung des Kandidaten als Beamten einen großen Druck ausübt, sowie an den Fall, daß ein Wähler zwar einer bestimmten Partei seineStimme
geben will, unddarum
den von dieser Partei aufgestellten Kandidaten, einen Beamten, wählt, ohne ihm per- sönlich mit Rücksicht auf seine Beamteneigenschaft volles Ver- trauen zu schenken.31) Über die Frage der Kostentragung siehe noch unten S. 27.
32)
Wie
oft erlebt z. B. ein Richter noch nach Jahren Bean- standungen einer Dienstkostenrechnung und häufigum
Beträge,—
26—
Schließlich könnte noch die Besorgnis geltend
gemacht
werden,daß
dieBeamten
imiParlament
vielleicht den parti- kularistischenAnschauungen
ihrer Bundesregierungen Aus-druck
gehen würden
33).Au«
allen diesenErwägungen
ist u. E. der gesetzliche Ausschluß derBeamten von
der Tätigkeit als Parlamenta- rierwünschenswert
34).Der
Regierungsentwurf der Reichsverfassung bezw.norddeutschen Bundesverfassung enthielt, wie oben S. 23 erwähnt, die-
Bestimmung, daß Beamte im
Dienste eines Bundesstaats nichtwählbar
seien35). DieseBestimmung wurde vom
Reichstag abgelehnt,und
die aus Art. 78, IIPrVerfUrk. entlehnte
Bestimmung
eingefügt,daß Beamte zum
Eintritt in den Reichstag keines Urlaubs bedürfen36).Demnach
bedürfen dieBeamten
keinerlei Erlaubnis ihrerRegierung
mehr. Siekönnen
ihre Dienstgeschäfte aufgeben, ihre gesetzlich statuierte Residenzpflicht erlischt,und
aufderen Geringfügigkeit zu
dem
Zeitaufwand der Nachrechnung und der umfangreichen Schreibarbeit in keinem Verhältnis steht.33) Diese Befürchtung äußerte wenigstens Fürst Bismarck
a. a. O. S. 252.
34)
Im
Ergebnis übereinstimmend u. a. Fürst Bismarcka. a. O.; v.
Mohl
(Staats-Völkerrecht und Politik I S. 346), un- bedingt jedenfalls für die mittleren und unteren Beamten; auchM
artitz a. a. O. S. 79ff. WeshalbM
artitz meint, daß der Beschluß des verfassungsgebenden Parlaments auf Abänderung des Regierungsvorschlages ausdem
Gesichtspunkte zu rechtfertigensei, daß hervorragende Parlamentarier der damaligen Zeit
dem
Beamtenstande angehörten, ist nicht recht verständlich. Eine Verfassung soll doch längere Lebensdauer als ihre Schöpfer haben!
35) Die Begründung dieser Bestimmung ergibt sich aus Bis- marcks oben mitgeteilten Anschauungen.
36)
Von
den gegenwärtigen deutschen Verfassungen erklärt übrigens keine allgemein die Beamtenzum
Eintritt ins Parlament für unfähig; nur vereinzelt finden sich in manchen Punkten Be- schränkungen (vgl. hierüber ausführlichGrotefend,
Deut- sches Staatsrecht der Gegenwart S. 577/78).—
27—
ihre Mitteilung
an
dieRegierung von
ihrerWahl muß
diese für einen Stellvertreter sorgen.Wer
dieKosten
für diesen zu tragen hat, hat die Ver- fassung nicht geregelt.Ein Antrag
aufAufnahme
einerBestimmung, daß
derBeamte
sie nicht zu tragen habe,wurde vom
Reichstag abgelehnt,und
hieraus folgernmanche
37),daß
derBeamte
dieKosten
selbst zu tragenhabe
38).Es
ist nicht zu leugnen,daß
im allgemeinen solcheArgumentation
viel für sich hat.Im
vorliegenden Falle sprechen allerdings juristischeErwägungen
dagegen.Der im
Zivilrecht vielleichtanwendbare
Satz,daß
mangels Leistung desBeamten
auch 'keine Gegenleistung derRegierung
inForm
der Gehaltszahlung zu ejrfolgen brauche,kann
für das öffentlicheRecht
nichtohne
weiteresangewendet
werden.Durch
die Anstellung hat derBeamte
ein
Recht
auf Gehalt erworben,und
dieseskann ihm
nurim Rechtswege
wieder entzogen werden.Wenn nun
der insParlament
gewählteBeamte
seinen dienstlichen Verpflich- tungen infolge dieserWahl
nichtnachkommt,
so ist er ver- fassungsmäßigdavon
befreit,und
kein Gerichtkann ihm
mangels besonderer gesetzlicherRegelung
sein Gehalt ent- ziehen oderihm
dieKosten
seiner Stellvertretung auf- erlegen39). In diesem Sinne hat auch für dieReichsbeamten
das Reichsbeamtengesetz40) dieFrage
gelöst,und
schon vorherwar
fürPreußen
für unmittelbare Staatsbeamte durch Beschluß des Staatsministeriumsvom
24 Oktober 1869 die gleiche Entscheidung ergangen.37J So
Hierseme nzel
a. a. O.38) v.
Martitz
a. a. O. S. 82Anm.
74 bezeichnet diese Argumentation ohne Angabe von Gegengründen als unrichtig;
ebenso
Laband
a. a. O. I S. 336Anm.
2;D
am
bitscIi,
Komm.
z.RV.
II zu Art. 21.39) Ebenso v.
Könne
a. a. O. S. 3161t.,Seydel, Komm.
J,4 zu Art. 21.
40) § 14, TT des Gesetzes.
—
28—
Für
die in denLandtag
eines Einzelstaates gewähltenReichsbeamten
ist eineRegelung
darüber nicht getroffen, ob derBeamte
Urlaub einholen müsse.Der
Staatssekretär des Reichspostamts hat daher ineinem
jüngst zur Entschei-dung gekommenen
Falle die Urlaubs einholung für erforder- lich gehalten41).Es
ist nicht zu verkennen,daß
er sich hierbei mit einer Erklärung, dieGraf von Posadowsky am
13.
Mai
1907 im Reichstag abgegeben42), teilweise inWiderspruch
gesetzt hat,nach
der solche Verhältnisse, wenigstens soweit derReichsbeamte
inden Landtag
seines„Heimatstaates" gewählt würden,
nach
§ 19 Reichsbeamten- gesetz zu beurteilen seien. Es>kann
dahingestellt bleiben, ob dievon Posadowsky
vertretene Auffassung viel- leichtdarum
der Billigkeit entspricht, weil es unrecht er- scheint, den Reichsbeamiten schlechter zu stellen als der,Landesbeamten,
aber mangels' gesetzlicherRegelung kann
der Auffassung des Staatssekretärs' des ReichspostamtsBe
rechtigung nicht abgeprochen werden.Welche Beamtenkategorien
unter Art. 21, II Reichs- verfassung fallen,werden
wir unten erörtern.Der Zweck
dieserBestimmung
ist,den Wählern
Gelegenheit zu geben, sich darüber zu äußern, ob dervon
der Regierung Be- günstigteauch
weiter ihrVertrauensmann
sein soll; seine41) Siehe darüber den Bericht in der Vossischen Zeitung-
vom
23. April 1914 unter
dem
Titel: „Eine parlamentarische Doktor- frage".42) Vgl. Sten. Bericht des Reichstags 1907 II S. 1598. Die Erklärung
P
osadow
sk ys ist allerdings unklar; es ist nicht recht zu ersehen, was er unter „Heimatsstaat" verstehen will.Staatsrechtlich besteht doch die Möglichkeit, daß jemand nach- einander die Staatsangehörigkeit aller Bundesstaaten erwirbt.
Oder will er unter „Heimatsstaat" den Geburtsstaat verstehen?
Dann
würde der eine zweite Staatsangehörigkeit besitzende Reichsbeamte, der ins Parlament dieser Angehörig-keit gewählt wird, Urlaub erbitten müssen, während er in seinem Geburtsstaate davon befreit wäre.—
29-
Wiederwahl
wird durch Art. 21, II Reiehsverfassung keines- falls ausgeschlossen.Nach
der Praxis ist dauerndeVerwendung im
Reichs- oder StaatsdienstVoraussetzung
derAnwendung von
Art. 21, II Reichsverfassung43). Die Gehaltserhöhung als solche ist bedeutungslos; nur
wenn
sie mit einem'neuen Amt
verbunden ist, rechtfertigt eich die
Anwendung von
Art. 21, II
RV.
Der
Verlust desMandats —
Sitzund Stimme
sind in Art. 21, IIvollkommen
gleichbedeutendeAusdrücke —
tritt unstreitig ipso iure indem
Zeitpunkt ein, indem
dieAn- nahme
desAmts
sich verwirklicht, d. h. also amiTage
des Eintritts in das neueAmt
A4). Einenach
diesem Zeitpunktevom Abgeordneten abgegebene Stimme würde
also ungültig sein.Zu bemerken
ist noch,daß
in Zweifelsfällen über das Vorliegen der Voraussetzungenvon
Art. 21, IIRV.
nur der Reichstag selbst entscheidet, da ernach
Art 27RV.
die Legitimation seiner Mitglieder zu prüfenund
über sie zu entscheiden hat. Festzuhalten ist aber,daß
auch in solchem Falle die Entscheidung des Reichstags nur einen feststellen- den Charakter hat,während
der Verlust des Mandats, wie oben erwähnt, bereits kraft Gesetzes eingetreten sein kann.§ 3.
Der
Begriff desBeamten
in Art. 21RV.
Ein
allgemeiner Beamtenbegriff istweder
reichs- noch landesgesetzlich festgelegt; er ist daher in der Theorie be- stritten; auch die Praxisschwankt und
ist zu einer sicheren Feststellung des Begriffs bisher noch nicht gelangt. Diese 43) Eine Aufzählung' von Ämtern und Titeln, welche die Praxis hierher zählt und nicht hierher rechnet, gibtD
am
-bits
eh, Komm. VI
zu Art. 21.44) Vgl. auch