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Von Mikroben und Menschen
Für durchschlagende Erfolge in der Auseinandersetzung mit den globalen Epidemien brauchen wir eine „neue“ WHO
Alexander S. Kekulé | Um den Seuchen des 21. Jahrhunderts wirksam zu begeg- nen, muss ihre globale Bekämpfung neu organisiert werden. Die Verantwor- tung dafür kann nur bei einer demokratisch legitimierten Institution liegen.
Es führt kein Weg daran vorbei, die Gesundheitsbehörde der Vereinten Nati- onen wieder zu einer schlagkräftigen Leitorganisation zu machen.
Der größte Sieg der Menschheit hatte am 8. Mai 2010 einen runden Jahres- tag. Das Jubiläum markiert das Ende eines Krieges, der allein im vergange- nen Jahrhundert rund 400 Millionen Menschenleben forderte. Trotzdem gab es keine großen Ansprachen und keine Militärparaden, nur einige Vete- ranen feierten im Stillen. Die Rede ist vom Sieg über einen Krankheitserre- ger: Am 8. Mai 1980 erklärte die Welt- gesundheitsorganisation (WHO) die Pocken für ausgerottet – das histori- sche Datum war reiner Zufall.
Seitdem hat die WHO keine ver- gleichbaren Erfolge vorzuweisen. Die Pocken blieben die einzige Krankheit, die jemals vom Menschen besiegt wurde. Ihr nächstes Ziel, die Kinder- lähmung bis zur Jahrtausendwende auszulöschen, erreichte die WHO nicht.
Der Plan, die Masern bis 2010 zumin- dest in Europa zu besiegen, ist ebenfalls gescheitert. In Afrika nehmen die Ma- sernerkrankungen derzeit wieder zu.
Auch bei Malaria wurde das erklärte
Ziel, die Zahl der Infektionen bis 2010 zu halbieren, nicht erreicht.
Ähnlich düster sieht es bei den auf Infektionen bezogenen Millenniums- zielen aus: Das Projekt, die Kinder- sterblichkeit bis 2015 um zwei Drittel zu reduzieren, wird voraussichtlich scheitern. Von den 68 am stärksten betroffenen Staaten liegen nur 19 im Plan. In zwölf Ländern ist die Tendenz sogar rückläufig. Die meisten Kinder sterben an Infektionskrankheiten. Und auch die geplante Reduktion der Müt- tersterblichkeit um zwei Drittel bis 2015 wird deutlich verfehlt werden.
Bis 2010 sollten alle Menschen, die sie benötigen, Aids-Medikamente be- kommen. Das Ziel wird ebenso wenig erreicht wie der Zugang zu bezahlba- ren Medikamenten für die Entwick- lungsländer bis 2015. Und ob die Zu- nahme von Aids, Malaria und Tuber- kulose (TB) wie geplant bis 2015 ge- stoppt werden kann, ist noch offen.
Im Jahre 1969 verkündete der oberste Gesundheitsberater der USA,
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© Reuters / Philimon Bulawayo
Das Buch der Infek- tionskrankheiten bleibt geöffnet:
Vorführung eines Moskitonetzes bei einer Veranstaltung zur Malaria-Präven- tion in Simbabwe
William H. Stewart, noch optimistisch:
„Es ist Zeit, das Buch der Infektions- krankheiten zu schließen.“ Angesichts der damaligen Erfolge der Impfpro- gramme gegen Pocken und Polio, neuer Tuberkulosemittel und der durchschla- genden Wirkung des Insektizids DDT gegen Malaria war man überzeugt, den Krieg gegen die Mikroben gewinnen zu können. Statt der erhofften Siege sind jedoch neue, gefährliche Gegner hinzu- gekommen, etwa Aids, SARS und re- sistente Tuberkulosebazillen. Auch weitgehend zurückgedrängte Infekti- onskrankheiten wie Pest, Polio oder Flussblindheit flackern wieder auf, wenn in Krisengebieten die medizini- sche Versorgung zusammenbricht.
Konkurrenz für die WHO
Das schwindende Vertrauen in die WHO, mit den großen Menschheitsgei- ßeln fertig zu werden, spiegelt sich in der Gründung einer Reihe unabhängi- ger Initiativen wider. Der Globale Fonds gegen Aids, Tuberkulose und
Malaria verfügt über ein Budget von 19,3 Milliarden Dollar, die Bill und Melinda Gates Stiftung verwaltet 35,2 Milliarden Dollar. Weitere Beispiele sind die „Roll Back Malaria“- und
„Stop TB“-Partnerschaften, die Impf- stoffinitiative GAVI und die mächtige UNAIDS. Daneben gibt es einflussrei- che Akteure, die sich schon lange un- abhängig von der WHO um globale Seuchen kümmern, etwa die Rockefell- er Stiftung oder die Centers for Disease Control and Prevention der USA.
Ihrem Auftrag, bei der Seuchenbe- kämpfung die internationalen Richtli- nien vorzugeben und die Forschungs- felder zu strukturieren, kann die WHO kaum noch nachkommen. Ihr ver- gleichsweise bescheidenes Jahresbud- get liegt bei 2,1 Milliarden Dollar. Nur ein Drittel davon sind reguläre Beiträge der Mitgliedsstaaten, der Rest sind frei- willige Leistungen, die in der Regel an vorgegebene Projekte gebunden sind.
Offiziell gibt es natürlich keine Spannungen zwischen WHO und den
anderen Akteuren. Die WHO hat die
„Partnerschaften“ mit angestoßen, weil ihr alleine die Mittel fehlen. Um- gekehrt würde kein privater Fonds es wagen, die WHO als bürokratisch oder unflexibel zu kritisieren. Hinter den Kulissen ist der Streit um die Füh- rungsrolle bei der Seuchenbekämp- fung jedoch längst im Gange. Als die Gates Stiftung 2007 zur weltweiten Beseitigung der Malaria aufrief, platz-
te dem Leiter der WHO-Malaria- abteilung, Arata Kochi, der Kra- gen. Er schimpf- te über das „Kar- tell“ der von Gates bezahlten Forscher, die einander unsinnige Projekte be- willigten. Aus WHO-Sicht ist eine vollständige Auslöschung der Malaria medizinisch nahezu unmöglich und würde erhebliche Mittel binden, die für den Kampf gegen andere Krank- heiten benötigt werden.
Auch darüber, dass die Gates Stif- tung 2007 an der Universität Washing- ton ein „Institute for Health Metrics and Evaluation“ einrichtete, war man bei der WHO nicht erfreut. Die Mes- sung und Bewertung volksgesundheit- licher Daten sind einige der wenigen originären Aufgaben, bei denen die WHO bislang keine Konkurrenz hatte.
Derzeit muss die WHO auch noch öffentliche Kritik wegen ihrer Reak- tion auf die „Schweinegrippe“ einste- cken. Die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan rief im Juni 2009 die Pandemie aus, obwohl Virologen das neue Virus als nicht besonders gefähr- lich einstuften. Zahlreiche Staaten, darunter Deutschland, bestellten mit einem Adjuvans verstärkte Impfstoffe, die eigentlich für gefährlichere Influ- enzaviren entwickelt wurden. Kritiker
unterstellen der WHO jetzt, die Gefahr unter dem Einfluss der Pharmalobby übertrieben zu haben.
Auch die Verteilung der nicht ver- brauchten Impfstoffe an die armen Länder kam nur schleppend in Gang.
Bis Januar 2010 wurden der WHO 200 Millionen Dosen gespendet, 99 Staaten baten um Unterstützung. Auf- grund logistischer Probleme konnte die WHO bis Ende Februar, in der Hauptwelle der Pandemie, nur sieben Staaten beliefern. Inzwischen haben 67 Staaten Impfstoff bekommen, die Pandemie ist jedoch längst abgeebbt.
Bei einem gefährlicheren Virus hätte es für einen Großteil der Menschheit keinen Schutz gegeben.
Eine „neue“ WHO
Um den Seuchen des 21. Jahrhunderts wirksam zu begegnen, muss ihre glo- bale Bekämpfung neu organisiert wer- den. Diese Verantwortung kann nur bei einer Organisation liegen, die von der Staatengemeinschaft demokra- tisch legitimiert ist. Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, die Gesund- heitsbehörde der Vereinten Nationen wieder zu einer schlagkräftigen und einflussreichen Leitorganisation zu machen. Dass eine Handvoll philan- thropischer Milliardäre ein Vielfaches des WHO-Budgets aufbringt und ef- fektivere Programme auf die Beine stellt, ist für die 193 Mitgliedsstaaten geradezu beschämend.
Die Neuorganisation muss die WHO befähigen, auf die neuen Her- ausforderungen der globalen Seuchen wirksam zu reagieren. Zur Bekämp- fung von Aids, Malaria, Tuberkulose und anderen Menschheitsgeißeln müs- sen nicht nur medizinische, sondern vor allem soziale und politische Proble- me bewältigt werden. Ebola, SARS, Dass einige Milliardäre
effektivere Programme als die WHO auf die Beine stellen, ist beschämend
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HIV und die Vogelgrippe haben gezeigt, dass jederzeit gefährliche neue Krank- heitserreger aus dem Tierreich auf den Menschen überspringen können. Bei- nahe besiegte Krankheiten wie Pest oder Polio flackern in sozialen Krisen- herden wieder auf. Durch den Klima- wandel ändern Erreger ihre Eigen- schaften und breiten sich in neue Regi- onen aus. Die Schweinegrippe hat be- wiesen, dass die weltweite Verbreitung von Viren nicht zu stoppen ist, solange die Staaten keine funktionierenden und abgestimmten Alarmpläne haben.
Vollkommen neue Probleme entste- hen auch durch die Gefahr biologischer Anschläge. Mikrobiologische und gen- technische Labore können heutzutage in den entlegensten Winkeln der Welt betrieben werden. Die infrage kom- menden Erreger sind in Entwicklungs- ländern leicht zu beschaffen.
Die „neue“ WHO muss mit einem erheblichen, frei verfügbaren Budget ausgestattet werden, um Spitzenfor- schung und Großprojekte zur Krank- heitsbekämpfung zu finanzieren. Ge- nauso wichtig ist die Vernetzung der Medizin mit anderen Disziplinen, etwa der Tiermedizin, der Geografie und der Klimaforschung. Statt sich immer mehr auf die technische Abwicklung von Projekten zu beschränken, muss die WHO selbst innovative Projekte entwickeln und auf den Weg bringen.
Dazu sind wissenschaftlich hochquali- fizierte, von der Industrie unabhängige Mitarbeiter und eigene Forschungsein- richtungen unentbehrlich.
Für die Mitgliedsländer der WHO bedeutet dies, dass die globale Seu- chenbekämpfung – wie auch die globa- le Gesundheit im weiteren Sinne – nicht alleinige Aufgabe der Gesund- heitsministerien sein darf. Stattdessen sollten die Aktivitäten der betroffenen
Ressorts (Auswärtiges, Gesundheit, Entwicklungshilfe, Landwirtschaft, Umwelt, Verkehr) gebündelt werden.
Im Hinblick auf die Bekämpfung von Pandemien und biologischen Anschlä- gen ist auch die Einbeziehung der Poli- zei- und Sicherheitsdienste sinnvoll.
Ein interministerieller Ansprech- partner der WHO bei den Mitglieds- staaten hätte erhebliche Vorteile, wenn es um ressortübergreifende Themen geht. Auch die Ko-
operation mit an- deren Akteuren in der globalen Ge- sundheit könnte so harmonisiert wer-
den. Zudem würden die Zusammenar- beit mit der WHO und die damit ver- bundenen Themen politisch aufgewer- tet. Die Koordination sollte deshalb bei den Außenministerien liegen.
Angesichts des international er- kannten Handlungsbedarfs hätte eine deutsche Initiative zur Neuorganisa- tion der WHO, eventuell gemeinsam mit einem europäischen Partner, gute Aussichten auf Erfolg. Ein entspre- chendes ressortübergreifendes Kon- zept sollte unter Federführung des Auswärtigen Amtes entstehen. Das könnte der erste Schritt sein, das von staatlichen Akteuren kaum besetzte Thema „globale Gesundheit“ zu einem Markenzeichen deutscher Außenpoli- tik zu entwickeln. Es gibt kein ande- res Thema, das die Menschheit lang- fristiger beschäftigen wird.
Prof. Dr.
ALEXANDER S.
KEKULÉ ist Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.
Das Thema „globale Gesundheit“ könnte ein Markenzeichen deutscher Außenpolitik werden
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