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Heizen Sie das Haus, nicht das Klima

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Academic year: 2022

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MAI 2020

Das Programm des Bundesrates für Energieeffizienz und erneuerbare Energien • energieschweiz.ch

Energiejournal

für Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer

Erneuerbare Energien statt Öl oder Erdgas: Warum sich der Umstieg lohnt und wie Sie ihn am besten anpacken. Dossier ab Seite 13

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Verdichtung: Vom Ein- zum Mehrfamilienhaus –

Vorteile eines Umbaus. Photovoltaik: Bunt wie Wappen – PV-Module

mausern sich zum Gestaltungselement.

Smart Meters: Fünf verbreitete Behauptungen auf dem Prüfstand.

Heizen Sie das Haus,

nicht das Klima

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Inhalt

Das 1991 vom Bundesrat ins Leben ge- rufene Programm EnergieSchweiz wird vom Bundesamt für Energie geleitet.

Es vereint unter seinem Dach die freiwilligen Massnahmen zur Umset- zung der Schweizer Energiestrategie.

Im Fokus steht die Förderung von Wissen und Kompetenz in den Be- reichen Energieeffizienz, erneuerbare Energien und nachhaltige Mobilität.

Dies durch Information und Beratung – insbesondere auch der Hausbesit- zerinnen und Hausbesitzer – sowie durch Aus- und Weiterbildung von Fachkräften. Unterstützt werden ferner die Markterprobung innovativer Ideen und Instrumente zur Qualitätssiche- rung. 2019 wurden mit 420 Partnern aus dem öffentlichen Sektor und der Privatwirtschaft rund 500 Projekte realisiert.

Energie Schweiz

Lassen Sie uns für einmal mit dem Ende der Ge- schichte anfangen. Wer die Öl- oder Erdgasheizung aufdreht, beendet mit einem einzigen Handgriff eine Geschichte, die vor kaum vorstellbaren 100 Millionen Jahren begann. Mit Abermilliarden von Meerestie- ren und -pflanzen, die, nachdem ihre Zeit abgelaufen war, abgestorben auf den Meeresgrund sanken. Sie wurden zu Faulschlamm – und damit zur Grundlage für das heutige Erdöl und Erdgas.

Das grosse Problem ist nicht, dass wir innert Sekun- den ein Jahrmillionenwerk der Natur abfackeln, sondern dass diese Geschichte eine dramatische Fortsetzung hat. Denn mit der Verbrennung setzen wir in Form von CO² Kohlenstoff frei, der seit der Zeit der Dinosaurier in den fossilen Rohstoffen gespei- chert war. So gelangen Unmengen an CO² in die At- mosphäre und verstärken den Treibhauseffekt, den Klimawandel.

In der Schweiz geht ein Drittel der CO² -Emissionen auf das Konto des Gebäudesektors, in rund 60 Prozent aller Wohnhäuser steht noch eine Öl- oder Gashei- zung, die neben dem Gebäude eben auch das Klima aufheizt. Das geht nicht. So kann die Schweiz ihre Klimaziele nicht erreichen. Für fossile Heizungen gilt, was einst für Dinosaurier und Urzeit-Meeres- tierchen galt: Ihre Zeit ist abgelaufen. Der Abschied

wird Hausbesitzerinnen und Hausbesitzern jedoch sehr leicht gemacht.

Heute gibt es sehr gute Alternativen zu Öl und Erd- gas – Energieträger, die erneuerbar sind und nahezu null CO² ausstossen. Wer mit Holz, mit einer Wärme- pumpe, Fernwärme oder Solarthermie heizt, tut et- was für die Umwelt, für sich selbst, für die nächsten Generationen und für den Geldbeutel. Warum sich der Umstieg auf erneuerbares Heizen lohnt, wie Sie diesen Schritt planen und wer Ihnen dabei hilft, das erfahren Sie in dieser Ausgabe des Energiejournals.

Zudem präsentieren wir Ihnen eine ganze Reihe wei- terer inspirierender Artikel rund um die Energie im Haus.

Ich kann Ihnen die Lektüre wärmstens empfehlen und wünsche viel Freude dabei.

Patrick Kutschera

Geschäftsführer EnergieSchweiz

Alles

zu seiner Zeit

ZUSÄTZLICHE

WOHNUNGEN

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Wenn das eigene Haus zu gross wird:

Die Aufteilung in mehrere Wohnungen sorgt für eine bessere Nutzung und zusätzliche Einnahmen.

INTELLIGENTE

STROMZÄHLER

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Was stimmt in Sachen Smart Meters?

Über die digitalen Stromzähler

kursieren verschiedene Behauptungen.

Fünf Experten erklären, was stimmt.

VIELSEITIGE

PHOTOVOLTAIK

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Wer sagt denn, dass PV-Module schwarz sein müssen? Module in verschiedensten Farben und Formen eröffnen Bauherren völlig neue Möglichkeiten.

GEPFLEGTE

SOLARANLAGE

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Unterhalt lohnt sich: Mit der richtigen Pflege funktioniert Ihre Photovoltaik- Anlage effizienter und länger. Die wichtigsten Tipps.

STABILE

HÄUSERPREISE

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Drücken Windenergieanlagen auf die Häuserpreise in der Umgebung? Nein, sagt eine neue Studie nach der Prüfung von 65’000 Handänderungen.

ERNEUERBAR

HEIZEN

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Das Themendossier:

• Wie Öl- und Gasheizungen das Klima belasten

• Umweltfreundliche Systeme im Kurzporträt

• 7 Schritte zum erneuerbaren Heizen

• Interview mit dem Programmleiter EnergieSchweiz

• Finanzielle Überlegungen und Planung

VERPASSTE

CO2-ZIELE

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Schlusslicht Schweiz: In keinem anderen europäischen Land stossen Neuwagen so viel CO2 aus. 4 × 4 fallen besonders ins Gewicht.

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MAI 2020

Editorial

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Auch das ist neu: Pelletheizung statt Ölheizung. Solaranlage an der Südfassade. Foto: kämpfen für architektur

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VERDICHTUNG Viele Gemeinden und Städte wollen ihre Einfamilienhaus- quartiere nachverdichten, denn sie bergen grosses Potenzial. Dadurch eröffnen sich auch den Besitzerinnen und Besitzern der Immobilien neue und

überzeugende Möglichkeiten.

Von Roland Grüter

Die Quartierstrasse Eichhalde ist nur knapp 400 Meter lang, sie führt Besucherinnen und Besu- cher hoch zum Elefantenbach, aber auch durch die bald 80-jäh- rige Historie des Quartiers. In den 1940er-Jahren wurden entlang des Asphaltstreifens schmucke Einfamilienhäuser oberhalb der Stadt Zürich errichtet. Sie sind reihum verschwunden, wur- den nach dem Tod oder Wegzug der Erstbewohnerinnen und -bewohner verkauft und durch gesichtslose Bauten mit Eigen- tumswohnungen ersetzt. Ein einziges Einfamilienhaus konn- te dem Zahn der Zeit trotzen. Fast etwas verloren steht es zwischen den Bauzeugen der Gegenwart.

An der Eichhalde steht auch ein markantes graues Holzhaus mit Flachdach, dieses scheint eben- falls der Moderne entsprungen.

Darin lebt die Biologin Verena Lubini (71). Sie übernahm das Ge- bäude 2011 nach dem Tod ihrer Mutter. Auch sie dachte erst über

einen Ersatzbau nach, dieser Schritt war ihr aber zu aufwendig, zu riskant. Sie wollte trotzdem nicht alleine unter dem altehr- würdigen Dach leben. Das Haus und der Unterhalt schienen ihr zu gross, zu gewichtig. Was also tun?

Die Zürcherin entschied sich für einen Ausbau. Sie liess das Funda- ment des Gebäudes samt Mauern stehen und den Dachstock aus- bauen. Natürlich hätte sie auch kleinere Anpassungen vorneh- men können, auch das hat sie sich überlegt: das Haus schwellenlos machen, Fenster ersetzen, was

auch immer. «Doch dadurch wäre einzig der Schuldenberg gewach- sen», sagt sie. «Die Ausgangslage wäre aber die gleiche geblieben.

Das wollte ich nicht.»

Mieteinnahmen als Pluspunkt Rund 1,7 Millionen Franken hat sie in ihre Pläne und den Bau investiert. Das scheint auf den ersten Blick viel Geld, aber: Unter dem Flachdach des rundum sa- nierten Hauses liegen nun drei separierte Wohnungen – in einer lebt sie selber, zwei hat sie ver- mietet, darunter die kleine Ein- legewohnung im Untergeschoss.

Darin könnte sie eine Betreuerin, einen Betreuer einquartieren, sollte sie jemals auf fremde Hilfe angewiesen sein. Durch die Miet- einnahmen lebt Verena Lubini nun günstiger und komfortabler.

Sie lebt in einer 4,5-Zimmer-Woh- nung, vorher belegte sie doppelt so viel Wohnraum. Zwei Jahre hat der Umbau gedauert, von der ersten Ideenskizze bis zum Wie- derbezug. Für ein halbes Jahr musste die Selbstständigerwer- bende für sich und ihre Siebensa- chen eine neue Bleibe suchen. «Der Aufwand war gross, er hat sich jedoch gelohnt», bilanziert sie.

«Das Haus hat eine neue Zukunft erhalten – und damit auch ich.

Ziel erreicht.»

Parallel zum Ausbau liess Vere- na Lubini das Haus energetisch grundsanieren: Die Öl- wurde durch eine Pelletheizung ersetzt, die Wände wurden gedämmt, neue Fenster mit Dreifach-Ver- glasung eingebaut. In der Süd- fassade des Wohnhauses sind dezent Sonnenkollektoren ein- gelassen, sämtliche Elektrogerä- te in Sachen Energieeffizienz auf Topniveau. Das Haus ist heute nach dem «Minergie-P»-Standard zertifiziert. Der Energiebedarf ist von 150 auf 26 Kilowattstunden

Weiterdenken – weiterbauen

Neu drei statt eine Wohnung im Haus: Die Besitzerin kann im Haus bleiben und von Mieteinnahmen profitieren.

« Das Haus hat eine neue Zukunft erhalten –

und damit auch ich.

Ziel erreicht. »

Vorher/nachher: Die energetische Sanierung wurde durch das Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen gefördert. Fotos: Fluxif (Gerry Nitsch) / Das Gebäudeprogramm

Verena Lubini in ihrem Garten: «Wäre doch jammerschade, hätte ich dieses Idyll zerstört.»

MAI 2020

Nachverdichtung

MAI 2020

Nachverdichtung

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pro Quadratmeter und Jahr ge- sunken. Experten schätzen die eingesparten Betriebs- und Ener- giekosten auf insgesamt rund 47’000 Franken, hochgerechnet auf 30 Jahre.

Jedes vierte Haus in der Schweiz unternutzt

Die Anliegen, welche die Biolo- gin zum Umbau führten, kennen auch andere. Sind die Kinder erst mal aus dem Haus ausgezogen, leben oft die Elternteile alleine in den einstigen Familiendomi- zilen. Wie Erhebungen zeigen, ist jedes vierte Einfamilienhaus in der Schweiz unternutzt. Darin wohnen eine oder zwei Personen, die meisten davon sind über 65.

«Für alleinstehende, ältere Men- schen ist ein Einfamilienhaus jedoch kein wirklich überzeu- gendes Zukunftsmodell. Für viele werden der Aufwand, die Wohnfläche und die anfallenden Investitionen zu gross, sie müs- sen wegziehen», sagt der Zür- cher Architekt Beat Kämpfen.

Er gehört zu den Pionieren der

«Solar-Architektur» und gilt als anerkannter Experte für ener- getische Sanierungen und nach- haltige Projekte. Er zeichnet für den Umbau von Verena Lubinis Elternhaus verantwortlich und propagiert auch sonst Nachver- dichtungen bestehender Gebäu- de: «Wer früh darüber nachdenkt, wie sich ein Eigenheim effizien- ter nutzen lässt, kann länger im altvertrauten Umfeld bleiben.»

Mögliche Anpassungen können sein: ein bestehendes Haus in separierte Wohnungen unter- teilen, das Haus aufstocken oder mit einem kleineren Anbau er- gänzen, in den ältere Besitzer und Besitzerinnen umziehen könnten, etc.

Natürlich können Einfamilien- hausbesitzerinnen und -besitzer etwelche Retuschen oder energe- tische Anpassungen in Betracht ziehen. Bevor sie jedoch handeln, sollten sie vordenken. Welche Pläne haben sie mit ihrem Eigen- heim? Wie gross sind die Bau- und

Wohnreserven? «Viele glauben, ihr Haus sei fertig gebaut und erkennen dessen Ressourcen nicht», sagt Weiterbau-Expertin Mariette Beyeler. «Dabei lassen sich die meisten Einfamilienhäu- ser transformieren und damit den Bedürfnissen der Bewohnerschaft anpassen.»

«An Weiterbau denken lohnt sich»

Die Architektin aus Lausanne hat sich vor fünf Jahren mit ihrem Unternehmen MetamorpHouse auf Fragen spezialisiert, welche die postfamiliäre Phase und die Innenentwicklung an Einfamili- enhausbesitzer stellen. Nunmehr berät sie schweizweit Städte und Gemeinden, aber auch Privat- personen über Möglichkeiten des Weiterbaus. Die Vorteile? «Durch entsprechende Anpassungen kön- nen Wohn- und Unterhaltkosten sinken, die Immobilien werden selbstredend energetisch saniert.»

Sie ist davon überzeugt: «Über einen Weiterbau nachzudenken, lohnt sich in jedem Fall.»

Die Bau- und Wohnreserven in Einfamilienhausquartieren sind

beachtlich: Mehr als die Hälfte der 1,75 Millionen Wohngebäude, die das Land überspannen, sind Einfamilienhäuser. Gemäss Be- rechnungen der ETH und anderer Institutionen liesse sich darin die Wohnfläche durch Weiterbauten verdoppeln. Dadurch würden neue Lebensräume geschaffen, ohne die Zersiedelung voranzutreiben.

Die Städte und Gemeinden sind denn auch an Nachverdichtungen interessiert. Der Kanton Waadt beispielsweise setzte vergange- nes Jahr die von Mariette Beyeler erarbeitete Innenentwicklungs- strategie für Einfamilienhaus- Quartiere in vier Gemeinden um. Es ging darum auszutesten, welches Potenzial für das Wei- terbauen besteht und wie Eigen- tümer darauf reagieren. Die Bewohner und Bewohnerinnen sollen durch Aufklärung und Beratung sensibilisiert und zum Weiterbauen motiviert werden.

Und wie das Beispiel von Villars- sur-Glâne zeigt, einer Gemeinde mit 12’000 Einwohnern in der Ag- glomeration von Freiburg, ist die Bereitschaft dazu gross. Mariette Beyeler hatte dort 2015 einen Pi- lotversuch gestartet. Die Reso- nanz war positiv. Mittlerweile werden in Villars-sur-Glâne ein gutes Dutzend Häuser umgebaut.

Die Stadt Vevey schlägt dieses Jahr einen ähnlichen Weg ein.

Aus gutem Grund.

Mehr Wohnraum braucht das Land

Schweizer Städte und Gemeinden stehen vor einer grossen Heraus- forderung. Die Bevölkerung wird rasant wachsen, bis 2045 sollen rund 10,2 Millionen Menschen in der Schweiz leben. Sie brauchen Wohnraum. Experten suchen

nach ressourcenschonenden Lö- sungen und schielen dabei auf die bestehenden Gebäude. Ent- sprechend wichtig wird die Sied- lungsentwicklung nach innen, und der Weiterbau von Häusern kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten. «Jede Wohnung, die im städtischen Umfeld nicht ge- baut wird, entsteht irgendwo an- ders», sagt Beat Kämpfen. Solche Argumente überzeugen. Weshalb wird das Potenzial der Weiterbau- ten von den Menschen nicht stär- ker genutzt?

Viele Interessierte sind über- fordert oder scheuen den pla- nerischen Aufwand. Dieser ist tatsächlich oft grösser als bei Neubauten: Baugesuche sind komplexer, es sind Einsprachen der Nachbarn zu erwarten, die Geldsuche ist mühsam. Und falls jemand in dieser Angele- genheit tatsächlich Rat sucht:

Viele Berater – ob Architekten, Baurechts- oder Energieexper- ten – propagieren einzig Mass- nahmen in ihren Kernbereichen, denken kaum je darüber hinaus.

Die Zahl unabhängiger, beraten- der Generalisten ist klein. «Hier sind alle gefordert, die Lücke schnellstmöglich zu schlies- sen», sagt Mariette Beyeler. Das Bundesamt für Wohnungswesen leistet dazu gerade einen Beitrag.

Es baut eine Onlineplattform auf, die Wissen über Baurecht, Finan- zierungen, energetische Aspekte und andere Bereiche bündelt – und damit möglichst viele Fra- gen zu Weiterbauten beantwortet.

Das digitale Kompetenzzentrum soll in der zweiten Hälfte 2020 eröffnet werden. Auch die Webseite von EnergieSchweiz listet hierzu praktische Entschei- dungshilfen auf.

Verena Lubini sitzt in ihrer Stu- be. «Natürlich braucht es kom- petente Beratung und Geld, will man ein Haus nachverdichten», sagt sie. «Was dafür aber ebenso wichtig ist: etwas Mut und ein genauer Plan, wohin die Reise ge- hen soll.» Wer aber nichts macht und sich zurücklehnt, so wie es Verena Lubini nun in ihrem Ses- sel tut, überlässt die Zukunfts- planung der nächstfolgenden Generation.

«Zubetonieren – ein Riesenverlust»

Dann passiert das, was auch das Quartier an der Eichhalde prägt:

Die Häuser werden verkauft, weil niemand genügend Geld hat, allfällige Miterben auszubezah- len. Der Käufer wiederum muss

die Baureserven maximal ausrei- zen, das alte Haus abreissen und durch einen Bau mit mehreren Eigentumswohnungen ersetzen.

Nur so zahlen sich seine Investi- tionen aus.

«Deshalb werden reihum Grün- flächen zubetoniert. Ein Riesen- verlust», sagt Verena Lubini. Sie weist mit ihrer Hand hin zur Terrassentür, dahinter liegt ihr Naturgarten. In Sichtweite steht noch immer der mächtige Apfel- baum, den ihre Eltern gepflanzt hatten. Unweit davon entfernt quaken Frösche im Biotop, Libel- len flügeln über die Magerwiese.

«Es wäre doch jammerschade, hätte ich dieses Idyll zerstört.

Finden Sie nicht auch?»

Schritt für Schritt werden in der ganzen Schweiz die alten Stromzähler durch Smart Meters ersetzt.

Diese intelligenten, digitalen Zähler sind Teil der Energiestrategie 2050 und sollen die Stromversorgung effizienter machen. Die Zählerablesung vor Ort entfällt, und die Nutzer erhalten Informationen über ihren Verbrauch. Doch zum Thema Smart Meter kursieren teils negative Behauptungen. Das Energiejournal lässt fünf Behauptungen durch fünf Fachpersonen kommentieren.

Was Smart Meters tatsächlich bringen

« Wichtig:

etwas Mut und ein genauer Plan. »

Die Daten aus Smart Meters unterliegen den Vorschriften des Bundesgesetzes über den Datenschutz und zusätzlich den strengeren Bedingungen der Stromversorgungsverordnung.

Neben dem Kunden hat nur der Netzbetreiber – oder eine von ihm beauftragte Firma – Zugriff auf die Smart-Meter- Messdaten. Diese werden verschlüsselt übertragen und unter einem Pseudonym abgespeichert. Die Daten lassen sich also nicht mehr ohne zusätzliche Informationen, die getrennt davon gespeichert sind, einer bestimmten Person zuordnen. Nur für die Abrechnung ist es erlaubt, Daten aus einem Smart Meter individuell für einen Kunden auszuwerten. Rückschlüsse auf das Verhalten oder die An- und Abwesenheit einzelner Kunden lassen sich damit nicht ziehen, ausser der Kunde möchte das und erteilt ausdrücklich seine Erlaubnis. Eine missbräuchliche Nutzung der Daten ist somit ausgeschlossen. Der Kunde hingegen kann die Messdaten seines Stromzählers einsehen und benutzen. Er tut dies entweder direkt über sein Gerät

oder zum Beispiel über eine geschützte Website seines Netzbetreibers.

Durch einen Smart Meter erhält mein Stromversorger Daten, die Rück-

schlüsse auf mein Verhalten und meine An- und Abwesenheit zulassen.

Sparen Haushalte durch elektronische Stromzähler wirklich Energie? Die Antwort, gestützt auf zahlreiche Studien, lautet: Wenn der Energieversorger etwas Interessantes aus den Smart-Meter-Daten macht, dann ja. Verzichtet man allerdings auf eine gute Aufbereitung der Daten, bleiben die Einsparungen aus. Lediglich Verbrauchswerte als Diagramm darzustellen, bewegt nur einen sehr kleinen Teil der

Haushalte dazu, ihr Verhalten anzupassen oder in effizientere Geräte zu investieren. Verbrauchsfeedback als Vergleich mit geschickt gewählten Referenzgruppen bringt im Mittel Einsparungen von rund drei Prozent, wobei Vielverbraucher deutlich mehr sparen. Spannend wird es, wenn Smart Meters automatisch Haushalte mit untypischen Verbrauchsmustern identifizieren – etwa wegen defekter Geräte, falsch eingestellter Wärmepumpen oder einfach wegen eines grossen Einsparpotenzials. Fordert dann eine E-Mail zu Nachforschungen auf, vielleicht sogar mit einer Angabe der jährlich verschwendeten Energie, dann werden viele Haushalte aktiv, und es lassen sich deutlich höhere Effizienzgewinne erzielen. Ich halte im Mittel über alle Haushalte fünf bis sieben Prozent für realistisch. Damit rechnen sich Smart Meters

volkswirtschaftlich, und es ist kaum zu entschuldigen, das Potenzial im Zeitalter der Digitalisierung nicht zu heben.

Smart Meters haben keinen wesentlichen Stromspareffekt.

Die Energieversorger haben den Smart-Meter-Rollout nicht selber beschlossen. Zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 braucht es neue, intelligente Zähler. Das Gesetz verpflichtet die Netzbetreiber dazu, die alten Stromzähler bis 2027 durch Smart Meters zu ersetzen. Die Netzbetreiber erhalten zuverlässigere Informationen, welche sie brauchen, um das Stromnetz zu optimieren und künftig auch mehr dezentrale erneuerbare Energiequellen aufzunehmen und somit einen teuren Netzausbau zu vermeiden bzw. die Kosten zu senken. Dieser Profit wird über die Stromrechnung an die Verbraucher weitergegeben. Die viertelstündlichen anonymisierten und verschlüsselten Daten dürfen nur einmal am Tag abgelesen und müssen nach einem Jahr gelöscht werden. Die Bearbeitung der Verbrauchsdaten durch den Netzbetreiber ist nur für Messung, Steuerung, Ausgestaltung von Tarifen sowie Netzbilanzierung und Netzplanung zulässig. Der Betreiber muss diese Daten den Kunden kostenlos zur Verfügung stellen – in Echtzeit direkt auf dem Gerät und zeitverzögert in einer visualisierten Form auf einer geschützten Website oder App. Damit wird ersichtlich, wann der Stromverbrauch besonders hoch ist. Die Bereitstellung der Daten an Dritte wäre möglich, aber nur wenn die Daten in geeigneter Form aggregiert und pseudonymisiert werden, sodass keine Rückschlüsse auf die Identität der Verbraucher anhand detaillierter Daten möglich wären. Detaillierte

Daten dürfen nur unter ausdrücklicher Zustimmung des Kunden weitergegeben werden.

Smart Meters dienen praktisch nur dem Energieversorger. Er kann seinen Strom günstiger einkaufen und gegebenenfalls sogar wertvolle Nutzerdaten verkaufen.

Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist der Schutz ihrer Personendaten von grosser Wichtigkeit. CKW nimmt dieses Thema sehr ernst. Einerseits setzen wir die Gesetze des Bundes und die darüber hinausgehenden internen Weisungen von CKW um. CKW setzt nur intelligente Messsysteme ein, deren Technologie in Bezug auf Datensicherheit und Datenschutz von staatlicher Seite geprüft und zertifiziert worden ist. Andererseits werden sämtliche Systeme, welche Personendaten bearbeiten, technisch vor unberechtigten Zugriffen und Manipulation geschützt. Sowohl die organisato-rischen wie auch die technischen Massnahmen lässt CKW von externen Experten überprüfen. Weil aber auch die Hacker nie ausruhen, wird während des laufenden Betriebs rund um die Uhr überprüft, ob die Systeme ordnungsgemäss funktionieren. Zu diesem Zweck baut CKW derzeit ein Security Operation Center (SOC) auf. Nicht vergessen werden dürfen schlussendlich die Mitarbeitenden, welche mit diesen Systemen und den Daten unserer Kunden arbeiten. Sie werden fortlaufend

geschult und sensibilisiert, damit ihnen stets bewusst ist, dass sie es mit einem wertvollen Gut zu tun haben.

Wenn ich Daten zu meinem Nutzungs- verhalten sogar per Smartphone abrufen kann, können auch Hacker an diese Daten gelangen.

Es gibt zwei Typen von Smart Meters: solche, die ihre Daten via Stromkabel versenden, und solche, die dafür das Mobilfunknetz nutzen. Smart Meters vom ersten Typ nutzen die sogenannte Powerline Communication (PLC).

Weil Stromkabel nicht wie Computerkabel abgeschirmt sind, wird ein kleiner Teil der verschickten Informationen als Streustrahlung abgestrahlt. Messungen zeigen, dass die Abstrahlung sehr gering ist und schon nach wenigen Zentimetern Distanz praktisch null beträgt. Der zweite Typ von Smart Meters sendet die Daten via Mobilfunk ans EW. Die Signale sind technisch identisch mit denjenigen von Handys.

Die Abstrahlung ist vergleichbar mit dem Versenden eines SMS. Täglich gehen dabei vom Smart Meter, um beim Bild des Mobiltelefons zu bleiben, in der Regel zwei SMS weg.

Während der restlichen Zeit bleibt das Funkmodul «stumm».

Nur zirka jede halbe Stunde versendet das Gerät ein kurzes technisches Kontrollsignal, um beim Mobilfunkprovider angemeldet zu bleiben. Die Strahlenbelastung eines funkbasierten Smart Meters ist somit vergleichbar mit derjenigen eines Handys im Stand-by-Betrieb, das irgendwo im Keller (bzw. dort, wo der Smart Meter montiert ist) liegt. Ein einziges kurzes Gespräch mit dem Mobil- oder

Schnurlostelefon exponiert den Körper mehr als es ein funkbasierter Smart Meter über seine gesamte Lebensdauer tut.

Die Datenübermittlung von Smart Meters verursacht eine zusätzliche Strahlenbelastung im Haus.

Dr. Thorsten Staake Co-Direktor

Bits to Energy Lab an der ETH Zürich

Cédric Carnal Fachspezialist Netze Bundesamt für Energie BFE Michael Paulus

Bereichsleiter Netze und Berufsbildung Verband Schweizerischer

Elektrizitätsunternehmen VSE

Patrick Baumgartner Information Security Officer und Datenschutzbeauftragter bei CKW

Dr. Gregor Dürrenberger

Geschäftsleiter FSM – Forschungsstiftung Strom und Mobilfunkkommunikation

« Für alleinstehende, ältere Menschen ist ein

Einfamilienhaus kein wirklich überzeugendes

Zukunftsmodell. »

«Kluge Menschen denken vor»

Beat Kämpfen, Sie sind ein Verfechter von Nachverdichtungen. Weshalb?

Weil sich dadurch in urbanem Umfeld mehr Wohnraum schaffen lässt, ohne dass wir Grund und Boden unnötig strapazieren.

Denn das Land in unserem Land ist ein kost- bares und schützenswertes Gut. Also sollten wir mit Verstand damit umgehen. Darüber hinaus: Weshalb soll man ein Haus abreis- sen, wenn das Fundament solide ist und die Wände noch tragfähig sind? Allein schon der Grauen Energie wegen sollte man es schonen. Der Aushub, der Wegtransport der Erde, die Entsorgung der Betonelemente – das alles ist energetisch äusserst aufwendig.

Viele Besitzerinnen und Besitzer scheuen den Aufwand.

Dieser lässt sich nicht kleinreden. Der Weg umfassender Sanierungen ist oft tatsäch- lich steinig und mühsam. Trotzdem lohnt er sich. Natürlich können wir nach dem Aus- zug der Kinder im Haus allein weiterleben, alles belassen, wie es immer war, aber kluge

Menschen denken vor. Allein das Alter stellt andere Ansprüche ans Leben und verlangt spezifische Anpassungen. Wir werden zu- sehends älter, und die meisten hegen den Wunsch, möglichst lange in ihrer Immobi- lie bleiben zu können. Weshalb also nicht gleich andere, breitere Überlegungen zu Weiterbauten anstellen?

Lassen sich solche Ziele auch in Etappen erreichen?

Durchaus – vorausgesetzt, man hat ein klares Ziel vor Augen und weiss, wohin die Reise gehen soll. Dazu sind grundlegende Abklärungen nötig. Viele scheuen allein schon diesen Aufwand. Eine umfassende Beratung kostet immerhin zwischen 3’000 und 5’000 Franken. Ich finde: Es ist gut in- vestiertes Geld.

Welchen Beitrag leisten Verdichtungen aus ökologischer Sicht?

Einen grossen. Wir schaffen die angestrebte Energiewende nur über den Bestand, nicht

über Neubauten. Diese sind – schon alleine dank zeitgemässen Vorschriften – im ener- getischen Ausbau in Ordnung. Wer aber ein altes Haus saniert, kann den Energiebedarf locker um zwei Drittel reduzieren.

Architekt Beat Kämpfen gilt als Solarpionier, er hat um die Jahrtausendwende in Zürich-Höngg das erste Null-Energie-Mehrfamilienhaus der Schweiz gebaut. Kämpfen hält in Gemeinden und Städten regelmässig öffentliche Vorträge zu Nachverdichtungen. Er ist Mitbesitzer des Zürcher Büros kämpfen, zinke + partner.

Foto: zVg

STIMMT DAS ?

Behauptungen auf dem Prüfstand

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Nachverdichtung

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PHOTOVOLTAIK Schwarz und sehr technisch: So sieht ein typisches Solarmodul aus. Seit Kurzem haben Architekten und Bauherren eine grössere Auswahl und können Photovoltaik harmonisch ins Gebäude und ins Quartier integrieren. Neue stromproduzierende Baustoffe entstehen.

Von Bruno Habegger

Das charmante blaue Holzhaus am Dorfrand von Jegenstorf (BE) ist wohl noch unter Zufalls- ästhetik einzuordnen: Es wirkt in Kombination mit den Photo- voltaikmodulen an der Fassade, als habe es ein Gesicht. Wer aber weiter durch die Regionen streift, sieht Photovoltaik-Anlagen, die nach aufgesetzter Technik ausse- hen und in der Sonne glänzen, bei denen der Beitrag zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 wichti- ger scheint als die Ästhetik – sau- berer Strom vor Schönheit. Damit ist nun Schluss. Die typischen Streifenmuster auf Schwarz oder Dunkelblau weichen Farben, Mustern und Bildern.

Auf der Mehrheit der Schweizer Dächer finden sich heute Solar- anlagen mit mono- und poly- kristallinen Zellen auf Basis von Silizium, dem Halbleitermaterial, aus dem auch Computerchips be- stehen. Erst seit Kurzem werden vor allem an Fassaden mehr und mehr in Glas eingepackte Solar-

zellen angebracht – schon lange bekannt von Taschenrechnern und anderen solarbetriebenen Geräten. Architekt René Schmid hat 2016 im Auftrag der Umwelt Arena bei einem Mehrfamilien- haus in Brütten (ZH), das nicht am Stromnetz hängt, die ganze Fassade mit Dünnschichtmodu- len eingekleidet und die Glasmo- dule speziell behandelt, damit sie Passanten und Autofahrern nur matt im Sonnenlicht erscheinen.

Rundgang durchs Quartier der Schönvoltaik

Musste Schmid damals noch forschen und entwickeln, eta- blieren sich heute Lösungen, die den Schönheitsmakel aller So- larzellen – auch des klassischen, hocheffizienten monokristalli- nen Typs – überdecken. Buch- stäblich, nämlich mit farbigen, strukturierten oder bedruckten Gläsern über den Solarzellen.

Sogar transparente oder terracot- tafarbene Dachziegel mit inte- grierten Solarzellen lassen sich

herstellen. Doch auch andere neue Technologien sorgen für schönen Strom am Gebäude. Im Mittelpunkt stehen dabei CIGS- Dünnschichtsolarzellen, die von allen Seiten – direkt und indirekt – Sonnenlicht aufnehmen und in den letzten Jahren punkto

Wirkungsgrad aufgeholt haben.

An vorderster Front dabei: die Empa und ihr Laboratorium für Dünnschichten und Photovolta- ik. Ihre Forschung ist in das ETH- Spinoff Flisom eingeflossen. Es trägt die Solarzellen auf flexible Plastikfolien auf. Die knapp zwei Millimeter dünnen und pro Qua- dratmeter je nach Typ von einem halben bis zu drei Kilogramm schweren Module sind immer noch schwarz, aber homogen schwarz. «Es braucht keine sicht- baren Aufhängungsstrukturen mehr», sagt Flisom-Marketing- leiter Michael Katsantonis, «und unsere Technologie eignet sich bestens auch in windigen Klima- verhältnissen.» Flexible und auf- rollbare PV-Module – damit wird aus der Photovoltaik ein Baustoff.

An der Hochschule Luzern wur- den farbige Photovoltaikmodule entwickelt, die beliebige Motive sowie Farben im digitalen Kera- mikdruck mit beliebigen Solarzel- lentypen hinter Glas kombinieren.

Schöne Ströme

Weiss: Auch wenn schwarze PV-Module den höchsten Wirkungsgrad erreichen – es geht auch mit weissen. Bei diesem Pilotprojekt in Männedorf (ZH) ist die gesamte Fassade aktiv, die weissen Module mit Beschichtung von Solaxess nutzen unsichtbare Lichtwellen. Dieses Projekt wird auch in der Umwelt Arena Schweiz vorgestellt. Foto: Solaxess, Architekt: René Schmid

Semitransparent: Neben der Stromproduktion können diese Panels zum Beispiel auch als Überdachung, zur Beschattung oder als Sichtschutz genutzt werden.

Foto: Alco Wintergärten

Angepasst: Ein horizontales Band von PV-Modulen in den Farben der dahinterliegenden Materialien: Holz, Metall (türkis) und Faserzement (rot).

Die matten Glas-Glas-Module wurden digital bedruckt. Die ÜserHuus AG, ein Spinoff der Hochschule Luzern, leitete dieses Projekt in Watford, London. Foto: BRE

Bedruckt: Auch diese Wappen sind PV-Module. Über 20 digital bedruckte Module zieren die Fassade der Umwelt Arena Schweiz in Spreitenbach (AG). Bedruckte Panels erreichen rund 80 Prozent der Leistung herkömmlicher Module.

Foto: Stephen Wittkopf

Bifazial: Die PV-Fassadenanlage des Plusenergie-Doppeleinfamilienhauses in Wil (SG) nutzt neben der direkten Sonneneinstrahlung auch das von der Fassade reflektierte Sonnenlicht. Die erwärmte Luft zwischen PV-Anlage und Fassade wird für den Betrieb einer Wärmepumpe verwendet. Foto: Giuseppe Fent AG

Klassisch: An der Solarfassade des im Artikel erwähnten Hauses in Jegenstorf (BE) sind die typischen Streifen auf den PV-Modulen noch zu erkennen. Foto: Raffael Waldner

« Dank den

Technologien für schöne Photovoltaik gibt es keinen Unterschied zu

anderem Fassaden- baumaterial mehr. »

Bifaziale Module

Nur schwarze Solarmodule ergeben den maximalen Stromertrag. Mit der Sonderbauform der bifazialen Solarmodule lässt sich der Ertrag auf derselben Fläche steigern, indem das Modul von beiden Seiten Licht sammelt und die direkten und indirekten Sonnenstrahlen in Elektrizität umwandelt. Mit den «zweigesichtigen» bifazialen Modulen lässt sich 5 bis 30 Prozent mehr Energie produzieren.

Allerdings nur, wenn der Untergrund entsprechend hell ist oder das Modul frei positioniert wird, etwa an einer Brüstung oder einem Balkongeländer. Unter Umständen lassen sich bifaziale Module auch für Fassaden verwenden, wenn das indirekte Licht hell genug ist.

Den «Leitfaden bifaziale Module» finden Sie unter energieschweiz.ch > Publikationen

MAI 2020

Photovoltaik

MAI 2020

Photovoltaik

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«Die Photovoltaik ist als solche nicht mehr wahrnehmbar», sagt die wissenschaftliche Mitarbei- terin Michaela Terwilliger. «Wir können somit das ganze Gebäude funktional und grafisch vielseitig

gestalten.» Die Photovoltaik lässt sich über die Fassade und das Dach hinaus auch mit Brüstun- gen oder gestalterischen Elemen- ten im Aussenbereich, etwa mit Stelen, erweitern. Zurzeit arbei-

tet die HSLU mit ihrem Spinoff ÜserHuus an aktiven Beschat- tungssystemen.

Ebenfalls farbig, aber technisch ganz anders konstruiert sind die Solarzellen von Solaxess.

Sie wurden von der Westschwei- zer Forschungs- und Technolo- gieorganisation CSEM entwickelt.

Sie hat sich an die grösste Her- ausforderung gewagt, die Herstel- lung von weissen Solarmodulen, dem Gegenteil von Schwarz und hohem Wirkungsgrad. Der Clou ist ein Filter, der alle sichtbaren Lichtwellen reflektiert und die un- sichtbaren zur Stromerzeugung nutzt. So sind homogene Farbflä- chen möglich. Derzeit entwickelt das Unternehmen neue Farbtöne,

darunter Terracotta für Dachab- deckungen. «Dank den Technolo- gien für schöne Photovoltaik gibt es keinen Unterschied zu ande- rem Fassadenbaumaterial mehr», sagt Peter Röthlisberger, COO der Firma, die ihre Technologie Solar-

modulherstellern ver- kauft. «Ausser diesem:

Die Fassade wird Teil eines Gesamtsystems und ihre Rendite kann berechnet werden.»

Die Evolution der Gebäudehülle

«Eine gute Nachricht», sagt Axel Simon, Redak- tor der Architekturzeit- schrift Hochparterre:

«Industrie und For- schung geben den Ar- chitekten Produkte an die Hand, die sie flexibel anwenden können – wie einen Baustoff.» Im- mer mehr Architekten würden Photovoltaik bereits in den Entwurf und nicht erst in den Bauprozess einbinden.

Architekt René Schmid bestätigt es: «Heute ist für uns Architekten alles viel ein- facher.» Beim Neubau sowieso, bei Renovationen brauche es beim Ein- satz der neuen Technologie mehr Fingerspitzengefühl. Der mehrfach mit dem Solarpreis ausgezeichnete Architekt Peter Dransfeld ergänzt:

«Die Technologie ist ausgereift. Zu verbessern ist das Angebot mög- lichst standardisierter Lösungen, die hohen Ansprüchen gerecht werden.»

René Schmid weist daraufhin, dass es heutzutage nicht mit ei- ner gut integrierten Anlage getan sei: «Man muss den Charakter des Gebäudes betrachten, eine Gestal- tungssprache finden, die sich mit der Technik und der Sonne zum Gesamten vereinbaren lässt.» Es

gehe «um ein Gesamtenergiesys- tem, voll integriert in die Archi- tektur».

Aktive Gebäudehüllen

Die Gebäudehüllentechnologie entwickelt sich derweil weiter, um das ganze Gebäude effizienter und die Bauprozesse nachhaltiger zu gestalten. Eine integrierte Photo- voltaik ist jedoch anspruchsvol- ler. «Bei aller Ästhetik darf dann auch der Schutz des Gebäudes nicht vernachlässigt werden.», sagt Reto Nussbaumer, Präsident der technischen Kommission Solar/Energie des Verbandes Ge- bäudehülle Schweiz. Die Zukunft gehöre aber eindeutig den akti- ven Gebäudehüllen, «sofern die Architekten mitmachen». Mit der Installation von Solarmodulen an der Fassade oder auf dem Dach ist das klimaneutrale Gewissen nicht beruhigt, ein Gesamtsystem um- fasst mehr. «Karbonneutralität kommt von den verwendeten Materialien», sagt Professor Guil- laume Habert vom Institut Bau- und Infrastrukturmanagement der ETH Zürich, Experte für nach- haltiges Bauen.

Die Entwicklung von Solarzellen schreitet voran, die Wirkungs- grade steigen mit neuen Mate- rialien und Bauformen. Vielleicht liegt das Geheimnis im Glas. For- schung, Architekten und Unter- nehmen treffen sich jährlich zur Advanced Building Skins Kon- ferenz in Bern. Im Rahmen der letzten Ausgabe wurde die EPoG- Technologie vorgestellt, Glas mit integrierten Solarzellen. Be Smart heisst das entsprechende EU-Pro- jekt, an dem auch die Lausanner EPFL mitwirkt. Entstehen daraus marktreife Produkte, wird die Photovoltaik definitiv unsicht- bar und werden alte Holzhäuser wie jenes in Jegenstorf ausse- hen wie immer. Aber Energie produzieren.

Solartechnologie und Ästhetik energieschweiz.ch/solararchitektur

Vorbildliche Praxisbeispiele und ihre Geschichten solarchitecture.ch

Integration von PV-Technologie in Gebäuden bipv.ch

Fallstudien Eurac bipv.eurac.edu EU-Projekt Be Smart

besmartproject.eu

Richtiges Vorgehen bei der Planung einer PV-Anlage energieschweiz.ch/meine-solaranlage

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Neben planem rechteckigem Glas sind auch andere Formen und

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Aktuell wird die Farbe auf das Frontglas aufgebracht, versteckt so die Technologie, reduziert damit aber den Wirkungsgrad um bis zu 20 Prozent.

DIMENSION Module können in Standard- oder in Sondergrössen bestellt werden.

TRANSLUZENZ

Durch eine Variation der Zellabstände sind halb- bis hochtransparente Module möglich.

GRAFIK

Der innere Aufbau der Module kann gezeigt oder vollständig unsichtbar gemacht werden. Rahmenlose Module sorgen für eine homogene Erscheinung.

So bleibt die PV-Anlage topfit

UNTERHALT Photovoltaik-Anlagen versorgen schweizweit jährlich 500’000 Haushalte mit Strom. Damit ihre Laufzeit so lange wie möglich anhält, gilt es, die Anlagen zu hegen und zu pflegen. Eine Checkliste.

Von Janine Keller

Rund 30 Jahre lang wandelt eine Photovoltaik-Anlage (PV-Anlage) Sonnenlicht in Strom um. Damit die Solarzellen auch am Schluss ihrer Laufzeit noch immer ein- wand- und gefahrenfrei funktio- nieren, sollten Sie einige Tipps für

die Wartung beachten. Energie- Schweiz stellt mit dem «Leitfaden Betriebsführung Photovoltaik»

diesbezüglich einen umfassenden Ratgeber zur Verfügung. Wir haben die wichtigsten Erkenntnisse dar- aus für Sie zusammengefasst:

✓ 1. Individualität

Jede PV-Anlage ist anders. Infor- mieren Sie sich bei Ihrem Anbie- ter, welche Regelmässigkeit und Form von Kontrolle bei Ihrer An- lage Sinn macht.

✓ 2. Selbstkontrolle

Grundsätzlich sollten Solarfach- leute die Wartung übernehmen.

Aber auch Anlagenbesitzer und -besitzerinnen können hin und wieder die Solarpanels selber kon- trollieren, sofern die Möglichkeit besteht, diese gefahrenfrei zu be- trachten. Denn auch von blossem Auge lassen sich Schäden fest- stellen, wie beispielsweise Be- schädigungen an Anlagenteilen, Verfärbungen oder eine losgelös- te Rückseitenfolie bei einzelnen Modulen.

✓ 3. Fernüberwachung Monitoring

Auch wenn eine Anlage fernüber- wacht wird, ist nicht zu 100 Prozent garantiert, dass alle Anlagenprob- leme erkannt werden. Glasbruch beispielsweise kann über Monito- ring nicht angezeigt werden, da ein solcher nicht zwingend die Leis- tungsfähigkeit des Moduls beein- trächtigt. Gerade nach Unwettern macht eine zusätzliche Sichtkon- trolle deshalb Sinn.

✓ 4. Spezialfall Gründach

Solaranlagen auf einem Gründach benötigen mehr Pflege als eine Anlage auf einem Blech- oder Zie- geldach. Hochwachsende Pflan- zen werfen Schatten und können so den Energieertrag stark beein- trächtigen. Energieunternehmen wie die Groupe E empfehlen des- halb, die Produktion von Anlagen auf Gründächern während der Sommermonate (Mai bis Oktober) alle zwei Wochen zu überwachen.

«Zudem», sagt Nathalie Salamin, Verantwortliche Kommunika-

tion bei der Groupe E, «sollte der empfindlichste Teil der Anlage, der Wechselrichter, unbedingt in- nerhalb eines Bauwerks platziert werden, wo die Temperatur nur leicht schwankt.»

✓ 5. Versicherungen

Bei Versicherungen stellt sich grundsätzlich die Frage, welche wirklich benötigt werden. In den meisten Fällen ist es möglich, die PV-Anlage in die bestehende Ge- bäudeversicherung einzuschlies- sen. Diese deckt in der Regel die Elementarschäden durch Feuer, Wasser, Sturm und Blitzeinschlä- ge ab. Falls die Anlage nicht Teil der Gebäudeversicherung ist, können Besitzer eine Allgefahren- versicherung oder ergänzend und freiwillig weitere Versicherungen abschliessen.

Sehen zwar schön aus, beeinträchtigen jedoch den Energieertrag von PV-Anlagen:

schattenwerfende Pflanzen auf Solarpanels. (Foto: Contec)

Den vollständigen «Leitfaden Betriebsführung Photovoltaik»

finden Sie unter energieschweiz.ch

> Publikationen

Getarnt: Die Ziegel auf diesem 1859 gebauten Bauernhaus in Ecuvillens (FR) haben es in sich: Es sind PV- Module, die speziell für denkmalgeschützte Objekte entwickelt wurden. Foto: Solar Agentur Schweiz

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MAI 2020

Photovoltaik

MAI 2020

Photovoltaik

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WINDENERGIE Windenergieanlagen spielen in Zukunft eine wichtige Rolle für die Stromversorgung im Winter und im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Doch einige Hausbesitzer fürchten, die Nähe zu solchen Anlagen könnte den Liegenschaftswert senken. Eine neue Studie nimmt solchen Vorurteilen den Wind aus den Segeln.

Von Janine Keller

Die Schweiz ist mit ihren Hügel- zügen und Bergen prädestiniert für den Gewinn von Windenergie.

Deshalb sollen im Rahmen der Energiestrategie 2050 bis in 30 Jah- ren schweizweit rund 600 Wind- energieanlagen in Betrieb sein und 7 Prozent des Strombedarfs decken. Der Kanton Thurgau zum Beispiel hat in seinem Richtplan sechs Windenergiegebiete festge- legt, über die konkreten Projekte stimmt die Stimmbevölkerung in den Standortgemeinden ab. «Der Kanton hat ein beachtliches Wind- energiepotenzial. Mit den geplan- ten Windturbinen könnten wir 10 bis 15 Prozent des kantonalen Strombedarfs decken», sagt Tho- mas Volken, Windenergieexperte in der kantonalen Abteilung Ener- gie. Schon eine einzige Anlage ver- sorge jährlich gut 1’500 Haushalte mit erneuerbarem Strom. Eines der Windenergiegebiete liegt in den beiden Gemeinden Braunau und Wuppenau.

Gegenwind

Marco Zimmermann wohnt in Braunau in seinem eigenen Bau- ernhaus und sieht dem Bau der Windanlagen skeptisch entgegen.

«Hand aufs Herz: Wer sich ent- scheidet, in einer ländlichen Re- gion zu wohnen, der möchte eine intakte Natur und Landschaft. Ich glaube nicht daran, dass jemand ein Haus im Umkreis einer Wind- turbine kauft, die Schatten wirft und Lärmemissionen verursacht», sagt Zimmermann. Nun hat eine Studie im Auftrag des Bundesam- tes für Energie BFE und der Abtei- lung Energie des Kantons Thurgau die Wirkung von Windenergie- anlagen auf Immobilienpreise untersucht.

Neue Erkenntnisse

Geprüft wurden 65’000 Handän- derungen von Einfamilienhäu-

sern, die maximal 10 Kilometer von einer Windenergieanlage entfernt liegen – oder liegen wer- den. Denn von den 216 über- prüften Anlagen sind erst 37 in Betrieb, weitere 179 sind für die nächsten Jahre geplant und in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Die Autoren der Studie, Experten des Beratungsunter- nehmens Wüest Partner AG, kommen zum Schluss, dass bei Windenergieanlagen keine sta- tistisch signifikante Wirkung

auf die Häuserpreise nachgewie- sen werden kann. Entweder sei die Stichprobe zu klein oder der Preiseffekt in den verwendeten Daten gar nicht messbar. «Deut- liche Preiswirkungen müssten sich in den untersuchten Model- len klar zeigen. Denn gerade An- lagen, die erst in Planung sind, erregen in der Öffentlichkeit die grösste Unsicherheit», sagt Tho- mas Volken vom Kanton Thur- gau. Der Kanton und das BFE als Auftraggeber schliessen aus der

Studie, dass sich wissenschaft- lich keine deutlichen Wertmin- derungen bei Immobilien in Windparknähe feststellen lassen.

Neue Energien für die Zukunft Thomas Volken hofft nun, die Er- gebnisse ebnen zwischen Wind- parkbefürwortern und -kritikern einen gemeinsamen Weg für die Zukunft. «Die Windenergie ist Teil der Antwort auf die Frage, wie die Schweiz in Zukunft ih- ren Winterstrombedarf decken

kann, denn Windenergieanlagen liefern zwei Drittel ihres Stroms im Winterhalbjahr und ergän- zen so den Strom aus Sonne und Wasserkraft, die vor allem im Sommer produzieren», so Volken.

2017 haben die Schweizer Stimm- bürger und Stimmbürgerinnen das revidierte Energiegesetz an- genommen. Ziel des Gesetzes ist es, den Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu erhöhen und erneuerbare Ener- gien zu fördern.

Wind zieht

an Häuserpreisen vorbei

Wichtiges Element der Energiestrategie 2050: Windenergieanlagen sollen 7 Prozent des Strombedarfs decken. Foto: Keystone

ERNEUERBAR HEIZEN Das Ziel ist gesteckt: Um das Klima zu schützen, muss die Schweiz ihren CO²-Ausstoss drastisch reduzieren. Zu erreichen ist das nur, wenn Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer sich von Öl-

und Gasheizungen verabschieden und auf erneuerbare Energien umstellen.

Von Kaspar Meuli

Warum wir erneuerbar

heizen sollten

Foto: Shutterstock

MAI 2020

Windenergie

MAI 2020

Erneuerbar heizen

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15 14

Wenn wir nicht schleunigst an- ders heizen, scheitert unsere Klimapolitik. Oder zumindest das Ziel, das sich der Bundes- rat in seiner «Netto-null-Strate- gie» gesetzt hat. Demnach soll die Schweiz unter dem Strich ab 2050 keine Treibhausgase mehr ausstossen. Eine zentrale Rolle

auf diesem Weg spielt die Art und Weise, wie wir unsere Häuser heizen und unser Duschwasser wärmen.

Der Gebäudesektor verursacht rund einen Drittel der gesamten CO²-Emissionen der Schweiz. In Schweizer Haushalten entfallen rund 40 Prozent des Energiever- brauchs auf Heizöl. «Wir gehen davon aus, dass heute noch etwa 900’000 fossile Heizungen in Be- trieb sind. Das ist eine sehr gros- se Anzahl», sagt Thomas Jud, der Verantwortliche für das Pro- gramm «erneuerbar heizen» im Bundesamt für Energie BFE. «Bis 2050 müssen wir somit jedes Jahr 30’000 Öl- oder Gasheizungen er- setzen, sonst erreichen wir unse- re Klimaziele nicht.»

Heizungsersatz ist eine Chance Wie gross das Sparpotenzial ist, zeigt folgender Vergleich: Wer von einer Ölheizung auf eine Wärmepumpe umsteigt, spart je- den Monat so viel CO² ein, wie bei einer 1’000 Kilometer langen Au- tofahrt anfällt. Diese Zahlen sind nicht neu, doch bis anhin zeigten sie wenig Wirkung. Zwar werden bei Neubauten kaum mehr fossile Heizungen eingebaut, aber beim Ersatz von bestehenden Anlagen ist der Anteil der fossilen Heizun- gen immer noch sehr hoch. Eine Studie der Stadt Zürich spricht von über 80 Prozent. Und viel- leicht noch fast bedenklicher:

Die Hälfte der befragten Haus-

eigentümerinnen und -eigentü- mer hat sich beim Ersatz nicht einmal Gedanken über eine er- neuerbare Alternative gemacht.

Der Ersatz einer Heizung ge- schieht offenbar nicht immer rational. Denn am Interesse an Alternativen fehlt es nicht.

Im jüngsten «Kundenbarome-

ter erneuerbare Energien» der Universität St. Gallen (HSG) ga- ben 53 Prozent der Haus- und Wohnungseigentümer an, ihr bevorzugtes Heizsystem seien Wärmepumpen. Nummer zwei auf der Rangliste der beliebtesten Technologien war die Solarther- mie (21 Prozent). Am schlechtes- ten schnitten Gas (8 Prozent) und Öl (3 Prozent) ab. Weshalb also werden trotzdem immer noch so viele Öl- und Gasheizungen ein- gebaut?

«Mittelfristige Planung fehlt»

«Die Eigentümer machen sich zu wenig Gedanken über mögliche Alternativen», sagt Daniel Kel- lenberger vom Forschungs- und Beratungsunternehmen Intep, das auf nachhaltige Entwicklung spezialisiert ist. «Es fehlt an mit- telfristiger Planung, und wenn eine Heizung aussteigt, muss es plötzlich ganz schnell gehen.»

Philipp Egger, Geschäftsleiter der Energieagentur St. Gallen, sieht die grösste Hürde für den klimafreundlichen Heizungs- ersatz in einem grossen Irrtum:

«Viele Hauseigentümer sind der Meinung, Öl- oder Gasheizun- gen seien günstiger. Das stimmt einfach nicht.» Man müsse eben nicht nur die Investitionskos- ten miteinander vergleichen, sondern auch die Betriebs- und Energiekosten. «Über die Le- bensdauer einer Öl- oder Gas- heizung gesehen, also über

20 Jahre, kommt eine Wärme- pumpe wesentlich günstiger», weiss Egger. Ein zusätzliches Hindernis für den Durchbruch von erneuerbaren Heizsystemen sieht er bei gewissen Heizungs- installateuren. «Leute, die 30 Jahre lang Öl- und Gasheizungen verkauft haben, kann man nicht

von heute auf morgen zum Um- denken bewegen.»

Aufklärung im Heizungskeller Für ein Umdenken in den Schwei- zer Heizungskellern braucht es also dringend mehr Informatio- nen, Beratung und Weiterbildung.

Genau hier setzt das Programm

«erneuerbar heizen» an, das Bund, Kantone, Branchenverbände und weitere Partner Anfang Jahr lanciert haben. Unter anderem werden in diesem Rahmen Im- pulsberaterinnen und -berater ausgebildet, die Besitzerinnen und Besitzer von Einfamilienhäu-

sern und kleineren Mehrfamilien- häusern gezielt beraten.

Es spricht eine ganze Reihe von Argumenten für den intelligenten Ersatz einer in die Jahre gekom- menen Öl- oder Gasheizung. Nicht nur der Klimaschutz und die günstigeren Betriebskosten, son- dern auch der Umstand, dass ein zukunftsweisendes Heizsystem den Wiederverkaufswert einer Liegenschaft steigert – und dass es die Importabhängigkeit verrin-

gert. Den wenigsten Menschen ist nämlich bewusst, dass drei Vier- tel des Schweizer Energiebedarfs (Wärme, Strom und Treibstoffe) durch Importe gedeckt werden.

Für eine vorausschauende Bera- tung sprechen aber auch Finan- zierungsfragen: Kantone und Gemeinden richten zum Teil nam- hafte Förderbeiträge aus und viele Banken bieten für nachhaltiges Bauen und Renovieren günstigere Hypotheken.

Jede Liegenschaft ist anders.

Doch wer sich früh genug infor- miert und beraten lässt, findet

bestimmt eine Heizungslösung.

«Es gibt heute praktisch für jedes Haus eine geeignete erneuerbare Heizung», stellt Thomas Jud vom BFE klar.

Laufend mehr Alternativen Ein Ausstieg aus den Wärme- quellen Öl und Gas ist also für alle Hauseigentümerinnen und -eigentümer möglich. Die im Betrieb bewährten Alternativen reichen von Holzenergie über Wärmepumpen und Solarwär- me-Anlagen bis zur Fernwärme (siehe «Systeme im Überblick», Seite 15). Bereits existieren in der Schweiz in 685 Gemein- den Fernwärmeangebote.

Und es werden immer mehr.

In Zug und Baar zum Beispiel entsteht mit «Circulago» ein 100 Millionen Franken teures Fernwärmenetz, das die Wärme aus dem Zugersee bezieht. Ähn- liche Projekte gibt es auch in anderen Städten. Und auch Erd- wärme hat in der Schweiz Poten- zial. Der Wärmeverbund Riehen (BS) etwa versorgt bereits über 8’000 Einwohnerinnen und Ein- wohner mit Wärmeenergie und plant eine zweite Anlage. Und in Gland (VD) soll ein Geothermieprojekt ab 2022 Fernwärme liefern.

Neben neuen Wärme- quellen sollen auch gesetzliche Regelungen den Ab- schied von Öl- und Gasheizungen vorantreiben. Ein eigentliches Verbot von mit fossiler Energie betriebenen Anlagen steht dabei nicht im Vordergrund. Doch Ein- schränkungen machen dem Um- stieg auf erneuerbares Heizen Beine (siehe Kasten). Die neue Energie- und Klimapolitik zeigt Wirkung: Im Kanton Basel-Stadt etwa, der ein besonders ehrgei- ziges Energiegesetz kennt, wer- den alte Öl- und Gasheizungen praktisch ausschliesslich durch erneuerbare Alternativen ersetzt.

Im vergangenen Jahr betrug ihr Anteil an der neu installierten Heizleistung 90 Prozent.

Neue Vorschriften

Fragen um die Heizenergie werden in der Schweiz sowohl national als auch kantonal und auf Gemeindeebene geregelt, von Auflagen beim Ersatz von alten Heizungen bis zur Förderung von Alternativen. Auf Bundesebene soll das revidierte CO2-Gesetz, das aktuell im Parlament behandelt wird, neu CO2-Grenzwerte für fossile Heizungen beinhalten.

Die Kantone ihrerseits haben für Gebäude «Mustervorschriften im Energiebereich» (MuKEn)

erarbeitet. In ihrer neusten Version schreiben diese vor, dass beim Ersatz einer Heizung mindestens 10 Prozent der Leistung durch Effizienzmassnahmen eingespart oder mit erneuerbaren Energien erbracht werden müssen. Wie erste Erfahrungen zeigen, veranlasst das die Hauseigentümer dazu, sich intensiv mit Heizfragen auseinanderzusetzen. Die meisten von ihnen steigen schliesslich ganz auf ein erneuerbares System um. Einzelne Kantone gehen in ihren Energiegesetzen aber noch weiter als die MuKEn.

Freiburg etwa schreibt vor, dass beim Ersatz einer fossilen Heizung 20 Prozent des Wärmebedarfs mit erneuerbaren Energien gedeckt oder durch Effizienzmassnahmen eingespart werden müssen.

Und das Energiegesetz von Basel-Stadt gibt vor, dass fossil betriebene Heizungen prinzipiell durch Systeme mit erneuerbarer Energie ersetzt werden müssen. Ausnahmen sind nur in seltenen Fällen möglich.

Erneuerbar heizen – Systeme im Überblick

Wärmepumpe

Wärmequelle:

Erde oder Luft (für grössere Anlagen auch Grundwasser oder Gewässer)

So funktionierts:

Eine Wärmepumpe funktioniert wie ein Kühlschrank – nur umgekehrt:

Während der Kühlschrank den Lebensmitteln und der Luft im Innern Wärme entzieht und diese an die Umgebung abgibt, entzieht die Wärmepumpe der Aussenluft oder dem Erdinneren Wärme. Diese Wärme reicht aus, um in einem geschlossenen Kreislauf ein flüssiges Kältemittel zum Verdampfen zu bringen. Der Dampf wird von einem Kompressor verdichtet, sodass sein Druck und seine Temperatur steigen. Die so entstandene Wärme wird an das Heizwasser abgegeben. Dadurch kondensiert der Dampf, das Kältemittel verflüssigt sich wieder, der Vorgang kann sich wiederholen.

Das brauchts:

Eine Luft-Wasser-Wärmepumpe wird in der Regel im Freien oder als Splitsystem mit einer Aussen- und einer Inneneinheit installiert.

Für eine Erdwärmepumpe braucht es eine Erdwärmesonde in einer Tiefe von 200 bis 500 Metern, je nach Bodenbeschaffenheit und benötigter Heizleistung.

Vorteile:

Eine Wärmepumpe ist quasi CO2-neutral, einfach und günstig im Betrieb (bei richtiger Dimensionierung und Einstellung). Dank der Ausseninstallation ist der Platzbedarf im Keller gering.

Zu beachten:

Wärmepumpen werden mit Strom betrieben, generieren aber das Drei- bis Fünffache davon an Wärmeenergie. Um vollständig CO2- neutral zu sein, muss der Strom aus erneuerbaren Quellen stammen.

Kombination:

Eine Wärmepumpe lässt sich optimal mit einer Photovoltaikanlage kombinieren. Das lohnt sich vor allem bei Luft-Wasser-Wärmepumpen.

Die PV-Anlage kann dabei auch den Strom für die Warmwasser- bereitung liefern. Dafür eignet sich auch Solarthermie (Text unten).

Solarthermie

Wärmequelle:

Sonne

So funktionierts:

Bei der Solarthermie wird die Wärme der Sonneneinstrahlung von einer durch einen schwarzen Absorber zirkulierende Flüssigk

eit – in der Regel Wasser

mit Frostschutzmittel – aufgenommen und im Gebäudeinnern über einen

Wärmetauscher an einen Warmwasserspeicher und allenfalls das Heizwasser abgegeben.

Das brauchts:

Sonnenkollektoren auf dem Dach, W

ärmetauscher und Warmwasserspeicher im Gebäude.

Vorteile:

Sonnenkollektoren sind quasi kostenlos im Betrieb und liefern CO 2-

neutrale Wärme. Sie eignen sich für die W

armwasserbereitung und

Heizungsunterstützung.

Zu beachten:

Solarthermie ist kein eigenständiges Heizsystem, denn Sonnenk

ollektoren

decken nur einen Teil des Wärmebedarfs für Warmwasser und Heizen ab. Kombination:

Sonnenkollektoren sind eine ideale Ergänzung zur Holzheizung.

Holzheizung

Wärmequelle:

Holz (Pellets, Hackschnitzel oder S

tückholz) So funktionierts:

Während Stückholzfeuerungen manuell beschickt werden, funktionie- ren Pellet- und Holzschnitzelheizungen voll- oder halbautomatisch

. Vollautomatische Heizungen sind über ein Fördersystem

(Förderschnecke/Vakuumsauger) mit dem L

agerraum verbunden, bei halbautomatischen befüllt man den V

orratsbehälter manuell.

Stückholzheizungen k

ommen in der Regel in Einfamilienhäusern zum Einsatz, Pelletheizungen eignen sich für Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser sowie für Überbauungen mit Heizzentrale . Holzschnitzelheizungen werden idealerweise in grösseren Gebäuden oder Grossheizanlagen von Fernwärmenetzen eingesetzt.

Das brauchts:

Bei allen Holzheizungen braucht es genügend Platz für den Brennstoffvorrat. Wird eine Ölheizung durch eine Holzfeuerung ersetzt, eignet sich oft der bisherige T

ankraum als Lagerraum.

Vorteile:

Holz ist CO2-neutral. Der Betriebsaufwand von Holzheizungen ist gering, insbesondere von voll- und halbautomatischen Holzfeuerungen. Aber vor allem die T

atsache, dass Holz aus Schweizer Wäldern genutzt und dadurch W

ertschöpfung und Arbeitsplätze in der einheimischen Wirtschaft geschaffen werden, macht Holz zu einem attraktiven Brennstoff

Zu beachten: .

Durch die Wahl hochwertiger S

ysteme und einen k

orrekten Betrieb lässt sich die L

uftbelastung durch S

tickoxide und Feinstaub weitgehend minimieren. Holzeinzelheizungen k

ommen idealerweise in ländlichen Gebieten zum Einsatz, für städtische Gebiete sind Holzheizzentralen mit W

ärmenetzen für ganze Quartiere besser geeignet.

Kombination:

Eine Holzheizung lässt sich optimal mit einer thermischen Solaranla ge für die Warmwasserbereitung k

ombinieren (siehe Solarthermie).

Fernwärme

Wärmequelle:

Holz, Erde oder Grundwasser, Abwärme aus Kehrichtverbrennung, industriellen Wärme- und Kälteprozessen oder Abwasserreinigung

So funktionierts:

Über ein Leitungsnetz fliesst warmes Wasser von der Heizzentrale zu den Wärme- bezügern und wieder zurück. Aufgeheizt wird das zirkulierende Wasser durch eine Holzschnitzel-Grossfeuerung oder eine grosse Wärmepumpenanlage mit Wärme aus Grundwasser oder aus der Erde – oder aber mit Abwärme von

Kehrichtverbrennungs-, Abwasserreinigungs- oder Industrieanlagen.

Das brauchts:

Voraussetzung für den Anschluss an ein Fernwärmenetz ist natürlich die Nähe zu einem bestehenden Wärmeverbund. Zu beachten sind auch topografische, bautechnische und wirtschaftliche Kriterien.

Vorteile:

Fernwärme gilt als CO2-arm, selbst wenn Abwärme aus CO2-emittierenden

Prozessen genutzt wird. Denn diese Wärme entsteht dort sowieso. Gebäudebesitzer müssen sich weder um Bau- und Installationsarbeiten noch um Betrieb, Unterhalt oder Brennstoffeinkauf kümmern. Die Heizwärme ist immer und zu vorher bekannten Preisen garantiert.

39.4 %

20.7 % 17.9 %

10.1 %

6.9 %

0.3 %

Heizöl * Holz

Elektrizität

Gas * Solarthermie

Andere Fernwärme

Wärmepumpe

Keine Heizung

0.3 %

4.2 %

0.3 %

Quelle: BfS

Heizungen in Schweizer Wohngebäuden 2017

* Ziel: Im Jahr 2050 0 %

MAI 2020

Erneuerbar heizen

MAI 2020

Erneuerbar heizen

Referenzen

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