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Komplexe Herausforderung gemeinsam lösen

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Academic year: 2022

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BERICHT

ARS MEDICI 9 | 2020

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Aus neurologischer Sicht

Aus neurologischer Perspektive ist es wichtig zu wissen, dass Rückenschmerzen häufig auf eine verspannte Musku- latur (ca. 70%) zurückzuführen oder degenerativ (10%) bedingt sind. Viel seltener findet sich als Ursache eine Dis- kusherniation (4%) oder eine spinale Stenose (3%). Die Liste der Differenzialdiagnosen ist lang: Bei radikulären Symptomen sollte neben einer Diskushernie auch an dege- nerative Veränderungen, Tumoren, Abszesse oder Infektio- nen als Ursache gedacht werden.

Neue Daten belegen, dass sich bei klinisch Gesunden kern- spintomografisch recht häufig lumbale Bandscheibenvor- fälle zeigen (bei > 60% der über 60 Jahre alten Bevölke- rung). Auch degenerative Veränderungen korrelieren häufig nicht mit der Klinik. Da die bildmorphologische Pathologie keinen prädiktiven Wert für das Auftreten einer klinischen Symptomatik hat, sollte die entsprechende weitergehende Diagnostik nur bei therapeutischer Relevanz erfolgen. Eine Hilfestellung geben hierbei die Red-Flag-Symptome mit entsprechend empfohlener weiterer Diagnostik (siehe Ta- belle 1). Darüber hinaus ist bei schmerzbedingter, ambulant nicht therapierbarer Immobilität eine akutstationäre Kran- kenhauseinweisung notwendig.

Die typische Klinik radikulärer Symptome beginnt akut und geht mit nächtlicher Schmerzverstärkung einher. Je nach Aus- dehnung ist eine Ausstrahlung entlang den Dermatomen mög- lich, gegebenenfalls kommt es zu Sensibilitätsausfällen. Die Symptomatik ist bewegungsabhängig mit Verstärkung durch Pressen, Husten oder Niesen. In der klinischen Untersuchung zeigt sich oft eine Reflexabschwächung. Die Therapie sollte primär kausal und möglichst konservativ erfolgen. Notfall- mässige OP-Indikationen sind zum Beispiel das Kauda-Syn- drom, Blasen- oder Mastdarmlähmungen, hochgradige/pro- grediente Paresen oder auch therapierefraktäre Schmerzen.

Wichtig hierbei: Bei frühzeitig operierten Patienten bilden sich Schmerzen und neurologische Defizite rascher zurück als bei nicht oder spät operierten Patienten. Chronifizierte Rückenschmerzen ohne radikuläre Ausstrahlung sind je- doch durch operative Massnahmen in der Regel nicht bes- serungsfähig. Die Indikation zur Operation sollte deshalb sehr sorgfältig gestellt werden.

Aus rheumatologischer Sicht

Für den Rheumatologen ist insbesondere der entzündliche Rückenschmerz (ERS) ein ernst zu nehmendes Alarmzei- chen. Ein ERS tritt häufig zu Beginn des M. Bechterew (Synonym: ankylosierende Spondylarthritis [AS]) bei jun- gen Patienten auf. Diese entzündlich rheumatische System- erkrankung betrifft etwa 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung.

Das ist klinisch relevant: Die Diagnosestellung dieser Er- krankung erfolgt oft erst viele Jahre nach Beginn der Sym- ptomatik. Zu diesem Zeitpunkt sind möglicherweise bereits irreversible Schäden an der Wirbelsäule aufgetreten, die hätten verhindert werden können.

Klinisch wichtig ist, dass im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis (RA) insbesondere jüngere Patienten betroffen sind. So beginnt die Symptomatik der AS in aller Regel in der dritten Lebensdekade. Charakteristisch ist zu Beginn der entzündliche Rückenschmerz. Kriterien hierfür sind das junge Alter (< 40 Jahre), die Morgensteifigkeit (> 30 min), der langsame Beginn mit Besserung bei Bewegung und ein schmerzbedingtes Aufwachen in der zweiten Nachthälfte.

Gleichermassen diagnostische und therapeutische Bedeu- tung hat das sehr gute Ansprechen der Schmerzen auf nicht steroidale Antirheumatika (NSAR).

Leider erfolgt die Diagnosestellung im Mittel erst etwa neun Jahre nach Beginn der ersten Symptomatik. Strukturelle

Rückenschmerzen interdisziplinär angehen

Komplexe Herausforderung gemeinsam lösen

Obwohl es sich bei Rückenschmerzen um eines der häufigsten klinischen Symptome handelt, sind Dia- gnostik und Therapie oft sehr unterschiedlich – das ist für den Behandler eine Herausforderung und für die Patienten manchmal unbefriedigend. Wie man am besten vorgeht, wurde an einer Fortbildung an der Reha Rheinfelden aus neurologischer, rheumatologischer und sportmedizinischer Sicht erläutert.

Tabelle 1:

Red-Flag-Symptome der lumbalen Radikulopathie

Red Flags Vorgehen

Vorausgegangenes Trauma bei älteren Röntgen, MRT Menschen mit erhöhter Frakturgefahr,

auch Bagatelltraumata, Osteoporose

Tumoranamnese/lnfektion, Gewichts- Röntgen, CT, MRT, verlust, Fieber, Schmerzverstärkung Skelettszintigrafie,

bei Nacht Laboruntersuchungen

Progrediente Parese, nachlassende MRT, CT Schmerzen bei deutlicher Parese,

Kauda-Syndrom, Miktionsstörung adaptiert nach (1)

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ARS MEDICI 9 | 2020

ossäre Veränderungen können bei fortgeschrittener Erkran- kung nativradiologisch diagnostiziert werden. In frühen Phasen der Erkrankung ist die MRT-Diagnostik deutlich sensitiver. Neue Daten zeigen jedoch, dass auch Gesunde entsprechende Veränderungen in der Bildgebung aufweisen können und dass es falsch positive Befunde gibt.

Besteht klinisch der Verdacht auf eine AS, muss deshalb bei der Diagnosestellung eine Vielzahl möglicher Symptome dieser Systemerkrankung Berücksichtigung finden. Typisch für die Erkrankung sind zum Beispiel Daktylitis, Enthesitis, anteriore Uveitis oder Positivität für HLA-B27. Sie sind jedoch mit verschiedenen Wahrscheinlichkeiten assoziiert.

Nach rheumatologischer Diagnosestellung erfolgt die The- rapie multimodal (inkl. Physiotherapie). Medikamentös finden zu Beginn stets NSAR Verwendung. Insbesondere die medikamentöse Therapie hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Biologika (TNF-Hemmer und In-

terleukin-17-Hemmer) stellen heutzutage eine effektive Therapiemöglichkeit dar, mit der sich das Fortschreiten der Erkrankung oft stoppen lässt. Selbst in schwierigen Situa- tionen (z. B. Schwangerschaft) ist eine Therapie prinzipiell möglich. Aktuelle Registerdaten zeigen, dass zum Beispiel das Malignomrisiko unter TNF-a-Inhibitoren nicht signi- fikant ansteigt. Die etwaigen Risiken einer Basistherapie sind akzeptabel, weil eine nicht oder schlecht behandelte AS für den Patienten mit deutlich erhöhter Mortalität ver- bunden ist.

Aus sportmedizinischer Sicht

Bei der sportmedizinischen Herangehensweise liegt der Schwerpunkt auf der Evaluation der Bewegungsqualität und möglicher Haltefunktionsstörungen. Letztere finden in der klassischen klinischen Untersuchung weniger Beach- tung und werden somit bei gegebener Problematik eher übersehen. Dazu trägt nicht zuletzt auch die häufige Über- interpretation bilddiagnostischer Befunde bei. Dabei er- möglicht die Differenzierung von Haltedysfunktionen bei entsprechend ärztlichtherapeutischem Verständnis ein ge- zielteres Behandlungs konzept mit entsprechend spezifi- schen, problemorientierten Kraft-/Bewegungsübungen, was den Therapieeffekt begünstigt.

Parallel sollten auch psychosoziale Belastungsfaktoren (Yellow Flags) identifiziert und regelmässig überprüft wer- den. Sie haben im Sinne des gesamtheitlichen Behandlungs- konzepts einen wichtigen Stellenwert als Indikator für eine mögliche Chronifizierung von Schmerzen. Darüber hinaus kommt der Vollständigkeit halber auch den sogenannten Blue beziehungsweise Black Flags besondere Bedeutung zu (siehe Tabelle 2). Von den Beschäftigten subjektiv empfun- dene Belastungen am Arbeitsplatz (physisch oder psycho- sozial) werden den Blue Flags zugeordnet. Objektivierbare soziale Rahmenbedingungen seitens der Arbeitgeber/Ver- sorgungssysteme und objektiv messbare Arbeitsplatzfakto- ren fallen in den Bereich der Black Flags. Zusammenfassend ist es im klinischen Alltag besonders wichtig, dass in Bezug auf berufsbezogene Faktoren grundsätzlich zwischen phy- sischen (Körperbelastungen, ungünstige Haltungen, Ar- beitsschwere) und berufs- und arbeitsplatzspezifischen psy- chischen Faktoren (Unzufriedenheit, mentaler Stress, Zeitdruck) unterschieden wird. Insbesondere aus sportme- dizinischer Sicht ist eine gesunde mentale Fitness ein zwin- gender Leistungsfaktor und somit auch längerfristig für den

Therapieerfolg mitbestimmend. s

Thierry Ettlin, Ulrich Gerth, Frédéric Schaub Korrespondenzadresse:

PD Dr. Dr. Ulrich Gerth Reha Rheinfelden 4310 Rheinfelden

E-Mail: U.Gerth@reha-rhf.ch

Alle Autoren sind an der Reha Rheinfelden tätig. Der Artikel fasst die we- sentlichen Punkte der Fortbildung «Rückenschmerzen interdisziplinär»

zusammen, die am 14. Februar 2020 an der Reha Rheinfelden in der Fort- bildungsreihe «Voneinander lernen: Hausärzte & Fachärzte im Dialog»

stattfand.

Tabelle 2:

Risikofaktoren

für nicht spezifische Kreuzschmerzen

Psychosoziale Faktoren (Yellow Flags) s Depressivität, negativer Stress

(vor allem berufs- und arbeitsplatzbezogen) s schmerzbezogene Kognition, z. B. Katastrophisieren,

Hilf-/Hoffnungslosigkeit, Fear-Avoidance Beliefs (der Schmerz wird zwingend auf eine Verletzung bzw. organische Ursache zurück- geführt)

s passives Schmerzverhalten, z. B. ausgeprägtes Schon- und Angst-Vermeidungsverhalten

s überaktives Schmerzverhalten (beharrliche Arbeitsamkeit [task persistence], suppressives Schmerzverhalten

s schmerzbezogene Kognitionen (Gedankenunterdrückung) s Neigung zur Somatisierung

Arbeitsplatzbezogene Risikofaktoren (Blue Flags/Black Flags) s überwiegend körperliche Schwerarbeit (Tragen, Heben schwerer

Lasten)

s überwiegend monotone Körperhaltung s überwiegend Vibrationsexposition s geringe berufliche Qualifikation

s geringer Einfluss auf die Arbeitsgestaltung s geringe soziale Unterstützung

s berufliche Unzufriedenheit s Verlust des Arbeitsplatzes

s Kränkungsverhalten am Arbeitsplatz, chronischer Arbeitskonflikt (Mobbing)

s eigene negative Erwartung hinsichtlich der Rückkehr an den Arbeitsplatz

s Angst vor erneuter Schädigung am Arbeitsplatz adaptiert nach (3)

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Interessenlage: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel vorliegen.

Literatur

1. Glocker F et al.: S2k-Leitlinie «Lumbale Radikulopathie», 2018. In: Deut- sche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 17.3.2020)

2. Kiltz U et al.: Langfassung zur S3-Leitlinie «Axiale Spondyloarthritis in- klusive Morbus Bechterew und Frühformen», Update 2019. Z Rheumatol 2019; 78: 3–64.

3. Nationale Versorgungsleitlinie «Nicht-spezifischer Kreuzschmerz», Langfassung, 2. Auflage 2017, Version 1. AWMF-Register-Nr.: nvl-007.

Ergänzungen. https://www.leitlinien.de/nvl/html/kreuzschmerz/kapi- tel-1 (abgerufen am 17.3.2020).

Linktipps zum Weiterlesen

Die folgenden Leitlinien befassen sich mit verschiedenen Formen des Rückenschmerzes:

S2k-Leitlinie «Lumbale Radikulopathie»

www.rosenfluh.ch/qr/glocker-et-al-2018

S3-Leitlinie «Axiale Spondyloarthritis inklusive Morbus Bechterew und Frühformen»

www.rosenfluh.ch/qr/kiltz-et-al-2019

Nationale Versorgungleitlinie «Nicht-spezifischer Kreuzschmerz»

www.rosenfluh.ch/qr/nvl-007

Referenzen

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