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Einführung: Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie

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Academic year: 2022

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Jörg Sternagel

Einführung

Einige ausgewählte Aufsätze der amerikanischen Medienwissenschaftlerin und Phänomenologin Vivian Sobchack sind bisher ins Deutsche übersetzt worden, darunter »The Scene of the Screen. Beitrag zu einer Phänomenologie der ›Gegen- wärtigkeit‹ im Film und in den elektronischen Medien« in Materialität der Kom- munikation (hg. v. Hans Ulrich Gumbrecht, K. Ludwig Pfeiffer, Frankfurt/M. 1988),

»Die Materie und ihre Passion. Prolegomena zu einer Phänomenologie der Inter- objektivität« in Ethik der Ästhetik (hg. v. Christoph Wulf, Dietmar Kamper, Hans Ulrich Gumbrecht, Berlin 1994), » ›Frohes Neues Jahr‹ und ›Nehmt Abschied, Brüder‹. Televisuelle Montage und historisches Bewußtsein« in Die Gegenwart der Vergangenheit. Dokumentarfilm, Fernsehen und Geschichte (hg. v. Eva Hohen- berger, Judith Keilbach, Wien 2003), »Wirkliche Phantome/Phantomwirklichkei- ten. Zur Phänomenologie der körperlichen Imagination« in Bild und Einbildungs- kraft (hg. v. Bernd Hüppauf, Christoph Wulf, München 2006) und »The Dream (Ol) Factory. Sinn und Geruchssinn im Kino« in Synästhesie-Effekte. Zur Intermodali- tät der ästhetischen Wahrnehmung (hg. v. Robin Curtis, Marc Glöde, Gertrud Koch, München 2010). Es fehlen bislang zusammenhängende Übersetzungen ihrer drei Hauptwerke The Address of The Eye: A Phenomenology of Film Experience (Prince- ton 1991), Screening Space: The American Science Fiction Film (New Brunswick 1997) und Carnal Thoughts: Embodiment And Moving Image Culture (Los Angeles 2004), wobei letzteres eine Essaysammlung darstellt, aus der hier ein Beitrag in deutscher Fassung vorgelegt wird: »›Susie Scribbles‹: Über Technologie, techne und inkarniertes Schreiben«.

Anlass für Vivian Sobchacks Reflexion über die leibliche Tätigkeit des Schreibens gibt ihr eine selbst gekauf te, elektronische Spielzeugpuppe, die kritzelnde Susie, die als schreibender Automat ein kurioses »Verhalten« an den Tag legt, über das sich im Beitrag Sobchacks Gedanken zu verkörperten Tech- nologien, verkörperten Techniken und Verkörperungen der techne entwickeln.

Bereits zu Beginn ihres Essays zeigt sich die besondere Herangehensweise der Autorin, die sich phänomenologischen Forschungen verschreibt, lebendigen For- schungen, die sich immer wieder neu von den Sachen selbst ansprechen lassen, dieses Angesprochensein im Alltag, aus der Lebenswelt heraus aufs Papier, den Bildschirm bringen, im Zuge eines Schreibens, das bei der eigenen materiellen Erfahrung beginnt und von dort aus, vom leiblichen Selbst im Hier und Jetzt,

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS)

URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-1p8fovm29sf1w1

Erschienen in: Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie ; 2 (2016), 1. - S. 209-212 https://dx.doi.org/10.1515/jbmp-2016-0113

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in diesem Moment, an diesem Ort, auf Strukturen des Verhaltens kommt, die dem Menschen zu eigen sind, zu der leiblichen Situierung in der Welt gehören.

Sobchacks Schreiben ist damit ein zunächst subjektives, das einem Denken folgt, in dem weitere Korrelationen und Konstitutionen sichtbar gemacht werden, in Reihungen dynamischer Verschachtelungen des Versuchens und Probierens, des Zusammensetzens und Verknüpfens; es ist ein beispielhaftes, leibhaftiges und essayistisches Schreiben, das sich nicht scheut, auch auf Quellen zurückzugrei- fen, die unmittelbar auf das persönlich Erlebte zurückgehen, wie der Austausch mit ihrem Nachbarsjungen Sean, der ihr im vorliegenden Text kindliche Veran- schaulichungen zur körperlichen Ursprünglichkeit des Schreibens und kulturel- len Initiation in die Tätigkeit des Schreibens ermöglicht.

Der Rückbezug auf etwas unmittelbar Erfahrenes, aus einem zwischen- menschlichen Austausch heraus, sowie dessen Thematisierung und Verschriftli- chung, macht einen Teil des Stils Vivian Sobchacks aus, den sie in Forschung und Lehre trägt, zum Beispiel seit den achtziger Jahren an die University of California in Santa Cruz und Los Angeles, Orten, von denen aus sie ihre zahlreichen inter- nationalen Vortragsreisen unternimmt, wie jüngst unter anderem nach Genf zur Konferenz des Merleau-Ponty Circle, an die Université Jean Moulin Lyon, auf das Internationale Bremer Symposium zum Film oder zu den Kracauer Lectures in Film and Media Theory an die Goethe-Universität Frankfurt am Main.

In »Susie Scribbles« erreicht Sobchack im intersubjektiven Austausch mit Sean einen Nachvollzug beim Leser, der im Prozess des Lesens auch an die Schrif ten von Marcel Mauss erinnert. Die Übersetzung von Nadja Ben Khelifa steht in diesem von der Autorin zu Papier gebrachten Nachvollzug, der nah an den Begriffen ebenfalls den Montagecharakter des Originaltextes verfolgt, denn Austausch bei Sobchack bedeutet auch intertextuellen Wechsel zwischen detail- lierten Beschreibungen von subjektiv Erlebtem und intensivem Argumentieren mit Gelesenem, sowohl im Fließtext als auch in den Anmerkungen.

Es sind hier und in weiteren Schrif ten die Techniken des Leibes, die Sobchack beschäftigen, Techniken, die vom menschlichen Leib im mimetischen Umgang und Inkorporation weiter getragen, gegeben und praktiziert werden. Die techne orientiert sich bei Sobchack am Leib, der etwas erscheinen lässt, erfindet, her- stellt, aneignet und umformt. Der Leib ergreift Sobchack im Augenblick. Er ist in jedem Augenblick Ausdruck der gesamten Existenz und zwar nicht als äußere Begleiterscheinung, sondern weil sie in ihm sich realisiert. Mit Maurice Merleau- Ponty setzt Sobchack dergestalt den inkarnierten oder auch verkörperten Sinn als zentrales Phänomen, von dem aus Leib und Geist, Zeichen und Bedeutung abs- trakte Momente sind. Bezüge von Ausdruck zu Ausgedrückten oder vom Zeichen zur bezeichneten Bedeutung sind damit nicht »einsinnig«, wie Merleau-Ponty es

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nennt, sondern setzen sich wechselseitig voraus, wie gleichsam der Leib und die Existenz. Immer wieder erscheinen so Schnittstellen mit dem französischen Phä- nomenologen wie auch mit Don Ihde, die Sobchacks Werk durchziehen, es unter anderem mit der Psychoanalyse, Teilen der Geschlechterforschung, insbesondere hinsichtlich des Blicks oder Apparatustheorien sowie Christian Metz und Gilles Deleuze in ein Spannungsfeld versetzen und ihr Konzept von Leiblichkeit mit formen. Deutlich wird im Laufe ihrer eigenen Konzeptualisierung auch das Inte- resse an Theorien der Signifikation, die Urspünge der Semiose im Leib suchen, dessen diakritische Aktivität herausstellen, die sich mit sich selbst zusammen- setzt, ein Innen hat und nach einem Sinn verlangt. Nicht nur mit Merleau-Ponty und seiner nach ihr »semiotischen« Phänomenologie verortet Sobchack daher die Phänomene in einer Orientierung am Leib, sondern auch am Zeichen, was in Arbeiten über sie und mit ihr selten thematisiert wird. Wesentliche Vertreter der Semiotik erlangen ihre Aufmerksamkeit, mit Hilfe derer sie den Blick auf ihre Forschungen schärft: So sind es in The Address of The Eye: A Phenomenology of Film Experience zum Beispiel Charles Sanders Peirce und Umberto Eco und in einem jüngeren Essay über Schauspieler im Film Algirdas Julien Greimas, die Impulse für ihre Phänomenolgie der Wahrnehmung bieten. Das phänomenale Feld des Leibes ist daher auch ein semiotisches des Körpers, auf dem triadische Relationen, Codes und Semen diskutiert werden, mit Anleihen und Exkursen in strukturaler Semantik. Die Unhintergehbarkeit des Leibes, sein existentieller Stil, führt Sobchack jedoch wie in »Susie Scribbles« permanent auf das phänomenale Feld zurück, auf dem seine Präsenz und Vorgängigkeit, seine Unbestimmtheit und Unverfügbarkeit, seine Fremdheit jedes Modell des Zeichens, jede Ordnung des Symbolischen oder der Repräsentation unterlaufen.

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