V A R I A
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 42½½½½19. Oktober 2001 AA2743
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ungefähr eine Million Menschen sind in Deutsch- land an einer Demenz er- krankt; in 60 Prozent der Fäl- le liegt eine Alzheimer-De- menz vor, bei den anderen ei- ne vaskulär bedingte Demenz oder Mischformen. Auf der 53. Jahrestagung der Ameri- can Academy of Neurology in Philadelphia vorgestellte Stu- diendaten belegen, dass das zur Alzheimer-Demenz zuge- lassene Galantamin auch bei vaskulärer Demenz wirksam ist.Jahrzehntelang, so Prof.
Alexander Kurz (München) bei einer Pressekonferenz der Firma Janssen-Cilag in Mün- chen, wurde in Deutschland die Lehrmeinung vertreten, dass Hirnleistungsstörungen im Alter vor allem eine Man- geldurchblutung des Gehirns
zugrunde liegt. Nachdem sich das Interesse dann vor allem der Alzheimer-Demenz zu- wandte, sei der Eindruck ent- standen, dass vaskulär be- dingte Demenzen überhaupt keine Rolle mehr spielten.
Inzwischen weiß man, dass mikro- und makrovaskuläre Erkrankungen des Gehirns zu unterschiedlichen Demen- zen führen: Nicht die Multi- Infarkt-Demenz, also die Ku- mulation von großen Infark- ten in der Hirnrinde, ist die häufigste Form der durchblu- tungsbedingten Hirnleistungs- störung, sondern die Kombi- nation aus winzigen subkorti- kalen Infarkten und ausge- dehnten Marklagerschäden.
Zur Therapie von vaskulär bedingten Demenzen gab es bisher nur Medikamente mit umstrittener Wirkung. Auch war unklar, ob die modernen Cholinesterase-Hemmer, die bei Alzheimer-Demenz Mit- tel der Wahl sind, auch bei vaskulär bedingten Demen- zen wirksam sein könnten.
Diese Unsicherheit ist jetzt durch die Ergebnisse einer großen Galantamin-Studie von Timo Erkinjuntti ausgeräumt worden. In dieser randomi- sierten und doppelblinden Studie erhielten für sechs Mo- nate 359 Patienten 24 mg/Tag Galantamin und 178 Patien- ten Placebo. Eingeschlossen waren Patienten mit vasku- lärer Demenz sowie Patien- ten mit solchen Mischformen, bei denen sowohl Alzheimer- Krankheit und vaskuläre Ver- änderungen an der Demenz beteiligt sind.
Am Ende der Therapie zeigten die Patienten der Ve- rumgruppe eine wesentlich ver- besserte kognitive Leistungs- fähigkeit, eine deutlich gestei- gerte Alltagsbewältigung und ein Nachlassen nicht kogni- tiver Symptome. Besonders
auffällig war, dass während der Behandlungszeit die ko- gnitiven Leistungen und die Alltagsaktivitäten anstiegen.
Kurz zieht aus diesen Ergeb- nissen das Fazit, dass Galanta- min (Reminyl®) auch bei Pati- enten mit vaskulären Demen- zen indiziert ist.
Bei Galantamin handelt es sich einerseits um einen po- tenten Acetylcholinesterase- Hemmer. Andererseits mo- duliert die Substanz nikotini- sche Acetylcholinrezeptoren, besser bekannt als Nikotin- rezeptoren. Dieses bringt ei- ne veränderte Ausschüttung des Botenstoffes Acetylcho- lin, der für die Vermittlung von Lern- und Denkprozes- sen im Gehirn verantwortlich ist, mit sich. Schwierig war die Reindarstellung der Mono- substanz, denn es handelt sich um einen Wirkstoff pflanzli- chen Ursprungs. Inzwischen wird Galantamin in einem aufwendigen Verfahren aus Schneeglöckchen isoliert und gereinigt. Sabine Böttger