Zyanidvergiftung
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin NOTFALL IM BEREITSCHAFTSDIENST
50 bis 100 mg Blausäure können bei Einnahme oder Inhalation für einen Menschen tödlich sein. Im saueren Magensaft wird die Blausäure auch aus ihren Verbindungen freigesetzt. Die Einnahme von 50 bitteren Mandeln, 100 g Leinsamenmehl, 100 mg Kalium- oder Natriumzyanid oder Natriumnitroprussid kann deshalb ebenfalls zu lebensgefährlichen Vergiftungen führen, während Hexazyanoferrate (Blut- laugensalze) weniger gefährlich sind. Größere Zyanidmengen sind weiterhin in Steinobstkernen, Ran- goonbohnen, Kassavewurzeln und Kirschlorbeerblättern enthalten.
Kalium- und Natriumzyanid werden in Galvanisierbetrieben zum Lösen von Edelmetallen verwendet. Die flüchtige Blausäure wird aus diesen Salzen schon durch schwache Säuren, wie die Kohlensäure, in die Raumluft freigesetzt. Die maximale Arbeitsplatz-Konzentration (MAK) darf nur 10 ppm betragen. 90 ppm
= 0,1 mg/1 Luft können tödlich sein. Als Schädlingsbekämpfungsmittel (Zyklon) werden Blausäurever- bindungen heute kaum noch verwendet.
Zyanidionen haben eine große Affinität zu bestimmten Häm-Verbindungen. Darauf beruht einerseits ihre große Giftigkeit, da das Cytochrom a3 und dadurch die Zellatmung blockiert wird. Andererseits kann deshalb therapeutisch durch die Umwandlung von 30 Prozent bis 50 Prozent des körpereigenen Hämoglobins in Methämoglobin das 3- bis 5fache einer sonst tödlichen Zyaniddosis ungefährlich als Zyanmethämoglobin gebunden werden.
Symptomatik
Beim Einatmen von Blausäu- redampf wird eine Reizung der Schleimhäute bemerkt:
Kratzen in der Nase und im Hals, Rötung der Augenbinde- haut und Brennen auf der Zunge. Der charakteristische Geruch nach bitteren Man- deln wird nicht von allen Men- schen wahrgenommen. Über die Chemorezeptoren des Glomus caroticum bewir- ken Zyanidionen anfangs eine reflektorische Hyperpnoe. Da gleichzeitig die 02-Utilisation der Gewebe blockiert wird, sind Blut -und Schleimhäute hellrot gefärbt.
Größere Zyanidmengen kön- nen in wenigen Minuten zum Exitus führen. Meistens wur- den jedoch Vergiftungsverläu- fe über längere Zeit bis zu mehreren Stunden beschrie- ben. Bis zum Herzstillstand, der erst einige Minuten nach dem Atemstillstand eintritt,
Diagnose
..,... Versehenfliehe Vergiftun- gen
Genuß von Bittermandeln und Steinobstkernen (Kinder!), Blausäureinhalation bei Mitar- beitern in Galvanisierbetrie- ben,
Therapiezwischenfälle mit Natrium nitroprussid.
..,... Suizidale Vergiftungen Einnahme von Zyaniden bei Chemielaboranten und Che- mikern,
Einnahme von Natriumnitro- prussid bei KlinikpersonaL ..,... Leitsymptom
Bittermandelgeruch der Aus- atmungsluft, wird nicht von je- dem wahrgenommen, mehre- re riechen lassen!
..,... Vom Vergifteten wahrge- nommen:
Stirnkopfschmerz, Herzklop- fen, Erstickungsangst
Therapie
Sehr geeignet für die Sofort- hilfe an Ort und Stelle ist:
..,... 4-Dimethylaminophenol (4- DMAP, Köhler-Chemie, Als- bach/Bergstraße, 5%ige Lö- sung in Ampullen zu 5 ml), Dosierung: 3-4 mg/kg Kör- pergewicht, in der Regel: 1 Amp./Pat. sofort i. v .
4-DMAP in der o. g. Dosierung wandelt in wenigen Minuten so viel Hämogfobin in Methä- moglobin um, daß davon eine mehrfach tödliche Zyaniddo- sis gebunden und ungefähr- lich gemacht werden kann.
Bis zu 50 Prozent Methämo- globin gefährden den Patien- ten selbst noch nicht.
4-DMAP hat gegenüber den Zyanid-Antidoten Natriumni- trit und Kobalt-EDTA den Vor- teil, daß es nur geringe Kreis- laufnebenwirkungen hat und rascher wirkt.
DEUTSCHES ARZTEBLATT
Heft 46 vom 16. November 1978 2757Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Zyanidvergiftung
besteht bei geeigneter Be- handlung die Chance für eine Restitutio ad integrum. Anschrift des Verfassers:
Dr. Volker Schulz Medizinische
Universitätsklinik Köln (Direktor Prof. Dr. R. Gross) Joseph-Stelzmann-Straße 9 5000 Köln 41
..,.. Mydriasis
..,.. Hyperpnoe, hellrote Farbe der Schleimhäute
..,.. Spätsymptome
Koma, Atemlähmung, Krämp- fe.
ln der Reihe "Notfall im Bereitschaftsdienst" sind 1978 bisher folgende Beiträge veröffentlicht worden:
Die akute Poliomyelitis Heft 1/1978, Seite 17 Akute Angstreaktion Heft 2/1978, Seite 67
Neuropsychiatrische Notfälle durch Psychopharmaka Heft 3/1978, Seite 115 Verbrennungen und Verbrühungen
Heft 5/1978, Seite 233 Kammerflimmern, Kammer- flattern und Asystolie Heft 6/1978, Seite 294
Blutung aus dem Ohr Heft 7/1978, Seite 356
Akute Intoxikation mit Erdöldestillaten Heft 8/1978, Seite 426
Wundstarrkrampf Heft 9/1978, Seite 486
Methanol-Intoxikation Heft 11/1978, Seite 628
Kohlenmonoxid-Vergiftung Heft 13/1978, Seite 765
Blutung bei Hämophilie Heft 14/1978, Seite 819
Drogen-Notfall
Heft 16/1978, Seite 951
Injektionszwischenfall Heft 17/1978, Seite 1005
Nottracheotomie Heft 19/1978, Seite 1137
Fehler bei der Reanimation Heft 20/1978, Seite 1183
2758 Heft 46 vom 16. November 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT
Beim Transport in die Klinik soll der Vergiftete möglichst mit 1 OOprozentigem Sauer- stoff beatmet werden. ln der Klinik sollen sofort 10-20 g Natriumthiosulfat infundiert, bei oraler Einnahme der Ma- gen unter Zusatz von KMn04
gespült und die metabolische Azidose bekämpft werden.
Traumatische Genitalblutungen Heft 21/1978, Seite 1244 Toxische epidermale Nekroly- se (Lyeii-Syndrom)
Heft 26/1978, Seite 1552 Tachykarde Rhythmusstörun- gen beim WPW-Syndrom Heft 27/1978, Seite 1603 Neugeborenenkrämpfe Heft 28/1978, Seite 1641 Hörsturz
Heft 37/1978, Seite 2045 Hypothyreotes Koma Heft 41/1978, Seite 2333 Ischämischer Schlaganfall Heft 42/1978, Seite 2417 Addison-Krise
Heft 44/1978, Seite 2576