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Archiv "Bibliographie geheimer DDR-Dissertationen" (27.01.1995)

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THEMEN DER ZEIT

„In der DDR wurde (in den 50er Jahren, Anm. d. Red.) nicht nur auf die Wiedereinführung des allgemei- nen Druckzwangs von Dissertationen verzichtet, sondern auch eine nen- nenswerte Zahl von Doktorarbeiten in einer Rangfolge von Geheimhal- tungen sekretiert. Das hatte zur Fol- ge, daß diese Arbeiten in einem ge- heimen Promotionsverfahren vertei- digt wurden und nicht im allgemeinen Bestand der Hochschulschriften öf- fentlich zugänglich waren. Sie durften weder in den öffentlichen Katalogen verzeichnet werden noch in die Hoch- schulschriftenverzeichnisse aufge- nommen werden...

Infolge dieser Geheimhaltungs- vorschriften wuchs in den Bibliothe- ken und Verschlußsachen-Dienststel- len der ostdeutschen Universitäten und Hochschulen scheinbar unauf- haltsam ein Berg sekretierten Materi- als an. Um dem Platzmangel in den Sondermagazinen zu begegnen, bemühte man sich seit Mitte der acht- ziger Jahre um die Einschränkung der Klassifizierungen... Bis September 1988 wurde mehr als ein Achtel der bis dahin sekretierten Dissertationen entsperrt. Auch reduzierte sich die Zahl der neuen Doktorarbeiten, die eine Klassifizierung erhielten...

Als niedrigste Geheimhaltungs- stufe kann jene Kategorie von DDR- Dissertationen angesehen werden, die nicht in das „Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet" (NSW) gelangen durften. An den Promotionsinstitu- tionen der DDR angenommene Dok- torarbeiten durften nur dann ins kapi-

DAS BESONDERE BUCH

talistische Ausland und insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland durch Fernleihe entliehen oder zwi- schen den Hochschulbibliotheken ausgetauscht werden, wenn eine ent- sprechende „Unbedenklichkeitser- klärung" des Sektionsleiters vorlag.

Erfolgte diese Freigabe nicht, erhiel- ten die Dissertationen den Stempel- aufdruck „Nur in der DDR verleih- bar". Sie wurden in der Regel in den

Leipziger Hochschulschriftenver- zeichnissen regulär angezeigt und in den allgemeinen Magazinen ver- wahrt, wurden allerdings in den Kata- logen der ostdeutschen Bibliotheken durch eine Markierung gekennzeich- net.

Diese Promotionsschriften, die etwa ein Fünftel aller DDR-Disserta- tionen ausmachten, waren damit für

Westbenutzer zwar schwerer zugäng- lich, sind aber nicht als „geheim" an- zusehen und werden daher auch nicht in der Bibliographie aufgeführt.

Geheim waren hingegen allge- mein alle Dissertationen, die... dem Geheimhaltungsgrad „Nur für den Dienstgebrauch" (NfD) oder „Ver- trauliche Dienstsache" (VD) zuge- ordnet worden waren. „Vertrauliche Dienstsache" war der nächsthöhere Geheimhaltungsgrad. Die entspre- chend eingestuften Dissertationen wurden zusammen mit den NfD-Dok- torarbeiten in Sondermagazinen gela- gert, ihr Benutzerkreis war allerdings noch eingeschränkter...

Die nächsthöheren Geheimhal- tungsstufen führten dazu, daß die Dis- sertationen nicht einmal mehr in den Sondermagazinen der Hochschulbi- bliotheken verwahrt und an die Deut- sche Bücherei nach Leipzig verschickt werden durften, sondern nur noch in den zentralen Verschlußsachen- Dienststellen der Promotionsinstitu- tionen in Panzerschränken sekretiert und damit weitgehend unzugänglich waren. Bei der Stufe „Verschlußsa- che" (VS) und mehr noch bei der Ka- tegorie „Vertrauliche Verschlußsa- che" (VVS) hatte lediglich ein über- aus eingeschränkter Kreis von Sekti- onsdirektoren und ausgewählten Pro- fessoren das Recht zur Einsichtnah- me, während die „Geheimen Ver- schlußsachen" (GVS) nur von einzel- nen wenigen auserwählten Führungs- kadern eingesehen werden durften...

Relativ gering... ist im Vergleich zur Gesamtzahl aller Dissertationen die Zahl der sekretierten Arbeiten in den medizinischen Promotionsinsti- tutionen. In den Gesellschaftswissen- schaftlichen Fakultäten wurde an den meisten Hochschulen in Fortsetzung und Erweiterung der traditionellen Philosophischen Fakultäten ein Kon- glomerat von geistes- und sozialwis- senschaftlichen Fächern mit durchaus sehr unterschiedlichen Geheimhal- tungspraktiken zusammengefaßt.

Diese waren in Sektionen wie der Kri- minalistik oder Sportwissenschaft we- sentlich rigider als beispielsweise in den Philologien oder der Pädagogik.

Allgemein waren Dissertationen aus dem großen Bereich der Gesell- schaftswissenschaftlichen Fakultät weniger schützenswert als die Dok-

Bibliographie geheimer DDR-Dissertationen

Durch die Wende in der DDR im Herbst 1989 und die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 sind Bereiche des sozialistischen Staates zugänglich ge- worden, die zuvor nur schemenhaft bekannt waren. Dazu gehört auch die Ge- heimhaltung von Dissertationen. In einer „Bibliographie der geheimen DDR- Dissertationen" werden diese, soweit inzwischen bekannt, nun aufgelistet.

Das Werk ist in erster Linie für Wissenschaftler von Interesse, da es eine Fülle von Arbeiten ohne Erläuterungen auflistet. Vorwort und Einleitung geben aber einen spannenden Einblick in das Thema — vor allem Westdeutschen.

A-190 (28) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 4, 27. Januar 1995

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THEMEN DER ZEIT

torarbeiten aus den Ingenieur- und Naturwissenschaften. Selten und be- sonders niedrig war der Geheimhal- tungsgrad in den Fächern Geschichte und Marxismus-Leninismus, deren Dissertationen in ihrer Mehrzahl nur als „NfD" eingestuft wurden ...

Die Entscheidung über die Se- kretierung einer Dissertation wurde wesentlich von den Betreuern und Gutachtern mitbestimmt. Darüber hinaus läßt sich die Geheimhaltung zahlreicher Dissertationen auch di- rekt auf die Persönlichkeitsmerkmale der Gutachter und insbesondere de- ren Stellung im Staats- und Herr- schaftssystem der DDR zurück- führen. Eine Analyse der individuel- len Beteiligungen der verschiedenen Betreuer an den Promotionsverfah- ren von klassifizierten Dissertationen zeigt, daß einzelne Gutachter in den verschiedenen Sektionen fast ein Mo- nopol auf Sekretierung besaßen.

Bei den unterschiedlichen Ge- heimhaltungspraktiken kamen neben institutionellen und individuellen Gründen vor allem Befürchtungen im Hinblick auf die Staatssicherheitsrele- vanz von Dissertationsinhalten zum Tragen. Für den Betrachter außerhalb des real sozialistischen Systems sind je- ne Klassifizierungen noch am leichte- sten nachvollziehbar, durch die Disser- tationen mit militärrelevanten The- men aus dem Umfeld der „Nationalen Volksarmee" (NAV) sekretiert wur- den. Dazu gehören nicht nur Disserta- tionen der militärischen Promotionsin- stitutionen, sondern auch an den Uni- versitäten und wissenschaftlichen Hochschulen verteidigte Arbeiten über militärisch relevante Themen wie Gesundheitszustand von Wehrpflichti- gen oder die Schneeräumung von Flugplätzen.

Unter den Staatsgeheimschutz fielen auch Dissertationen, in denen die außenpolitischen Ziele der SED- Führung, insbesondere die Zusam- menarbeit mit den anderen RGW- Staaten und den Entwicklungslän- dern, erörtert wurden. Vor allem wur- den die innenpolitischen Interessen und Mechanismen der Machterhal- tung des Regimes geheimgehalten und folglich Doktorarbeiten über die Herausbildung der „sozialistischen Persönlichkeit" und die Propagierung der „sozialistischen Nation" gesperrt.

DAS BESONDERE BUCH

Überaus politisch sensibel waren weiterhin alle wissenschaftlichen Un- tersuchungen in der DDR, in denen Fragen der Umweltbelastung behan- delt wurden. Daher waren mehrere ingenieurwissenschaftliche und medi- zinische Doktorarbeiten über die Kernenergie und ihre Auswirkungen gesperrt. Generell wurden Promoti- onsschriften sekretiert, in denen öko-

logische Schäden und gesundheitliche Belastungen, zum Beispiel die Schä- digung von Krippenkindern durch Bleiimmissionen oder die Quecksil- berbelastungen von Arbeitern, be- handelt und analysiert wurden.

Im Systemwettbewerb insbeson- dere zwischen den beiden deutschen Staaten wurde es auch für wichtig er- achtet, sportwissenschaftliche Er- kenntisse, zum Beispiel bei Training und Doping, zu schützen. Die ein- schlägigen Dissertationen des ge- heimnisumwobenen „Forschungsin- stituts für Körperkultur und Sport"

(FKS), die sowohl an der Deutschen Hochschule für Körperkultur als auch an der Karl-Marx-Universität Leipzig angenommen wurden, sind allerdings nicht mehr auffindbar. Hochgeheime sportwissenschaftliche Arbeiten, zum Beispiel über Doping, konnten dage- gen an der Militärmedizinischen Aka- demie Bad Saarow nachgewiesen werden.

Weitere Bereiche der real existie- renden Arbeits- und Lebensbedin- gungen in der DDR waren sowohl in der allgemeinen Öffentlichkeit als auch in der wissenschaftlichen Dis-

kussion tabuisiert. So wurden Disser- tationen über soziale Probleme und Schwierigkeiten wie die medizinische Unterversorgung auf Großbaustellen, Gesundheitsschädigungen von Be- schäftigten in der chemischen Indu- strie, die Lebensbedingungen von Schiffsbesatzungen der Handelsflotte oder Suizidverhalten in einzelnen Kreisen der DDR klassifiziert. Auch die Arbeitskräftefluktuation, zum Bei- spiel von medizinischen Hochschul- kadern, war tabu, da sie dem ideo- logischen Anspruch widersprach...

Schließlich war ein Großteil der zeitgeschichtlichen Dissertationen gesperrt, vermutlich um Zeitzeugen und noch aktive Genossen zu schüt- zen, aber auch um die verwendeten Dokumente, Materialien und Zitate aus ansonsten unzugänglichen Archi- valien nicht öffentlich werden zu las- sen. Historische Themen aus der Zeit- epoche vor 1945, wie die geheimen Kontakte der Reichswehr zur Sowjet- union in der Weimarer Republik, wurden sekretiert, weil sie der ideolo- gischen Maxime der Unversöhnlich- keit von imperialistischem und sozia- listischem Lager widersprachen.

Bei einem Teil der sekretierten Dissertationen läßt sich jedoch mit größter Phantasie das Geheimhal- tungsmotiv nicht auf Thema oder In- halt der Doktorarbeit zurückführen.

Die quantitativ-statistische Analyse hat Hinweise dafür erbracht, daß die Ursache der Sekretierung in der Per- son des Autors beziehungsweise des Betreuers einer geheimgehaltenen Dissertation liegen kann So sind Doktorarbeiten gesperrt worden, weil ihre Autoren wichtige Funktionen im Partei- und Staatsapparat sowie in der volkseigenen Industrie innehatten.

Schließlich kann aufgrund von informellen Hinweisen vermutet wer- den, daß DDR-Dissertationen der akademischen Öffentlichkeit auch aus dem banalen Grunde vorenthal- ten wurden, weil die Gutachter diese wissenschaftlichen Arbeiten für schwach, eigentlich zu schwach für ei- ne Promotionschrift einschätzten . . ."

Wilhelm Bleek, Lothar Mertens (Hrsg.): Bi- bliographie der geheimen DDR-Dissertatio- nen, Band 1: Bibliographie, Band 2: Regi- ster, K.G. Saur Verlag, München, 1994, 945 Seiten, 398 DM

A-192 (30) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 4, 27. Januar 1995

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