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Arglistige Täuschung über unbewilligte Bauarbeiten

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Academic year: 2022

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Kommentar zu: Urteil: 4A_437/2020 vom 29. Dezember 2020 Sachgebiet: Vertragsrecht

Gericht: Bundesgericht

Spruchkörper: I. zivilrechtliche Abteilung

dRSK-Rechtsgebiet: Vertragsrecht De | Fr | It |

Arglistige Täuschung über unbewilligte Bauarbeiten

Autor / Autorin

Leandro Schafer, Dario Galli, Markus Vischer

Redaktor / Redaktorin Christoph Brunner

In seinem Urteil 4A_437/2020 vom 29. Dezember 2020 entschied das Bundesgericht, dass der Verkäufer, der eine Verbindung zwischen zwei nebeneinander liegenden Wohnungen ohne entsprechende Bewilligung anfertigen liess, die Käuferin der beiden Wohnungen arglistig täuschte, als er sie nicht über diesen Umstand informierte. Die Tatsache, dass die fehlende Bewilligung in einem öffentlichen Register einsehbar war, schadete der anwaltlich beratenen Käuferin nicht.

Sachverhalt

[1] B (Beschwerdegegnerin, Klägerin, nachfolgend: Käuferin) beabsichtigte nach Genf zu ziehen.

A (Beschwerdeführer, Beklagter, nachfolgend: Verkäufer) war Eigentümer von zwei Wohnungen im Stockwerkeigentum. Der Verkäufer hatte 2012 ein Gesuch gestellt, um eine Bewilligung gemäss dem Genfer Gesetz über die Abbrüche, die Umbauten und Renovationen von Wohnhäusern zu erlangen, seine beiden Wohnungen durch eine Öffnung zu verbinden (nachfolgend: LDTR-Bewilligung). Dieses Gesuch wurde abgewiesen. Ohne über die entsprechende LDTR-Bewilligung zu verfügen, erstellte der Verkäufer im Jahr 2015 dennoch eine 1,10 Meter grosse Öffnung in der Mauer, welche die beiden Wohnungen trennte (Sachverhalt Teil A.a).

[2] Der Verkäufer verschwieg anlässlich der Besichtigung der Wohnungen der Käuferin, dass er nicht über eine LDTR-Bewilligung für die geschaffene Verbindung der beiden Wohnungen verfügte. Die Käuferin wusste nicht, dass für die Verbindung zwischen den beiden Wohnungen eine Bewilligung erforderlich gewesen wäre. Mit Schreiben vom 2. Mai 2016 erklärte die Käuferin ihr Einverständnis, die Wohnungen zu kaufen. Sie verpflichtete sich, eine Anzahlung von CHF 577’500.00 auf das Konto des Notars E (nachfolgend: Notar) zu leisten (Sachverhalt Teile A.b und A.c).

[3] Am 28. Juli 2016 schlossen die Käuferin und der Verkäufer ein Kaufversprechen über den Kauf der zwei Wohnungen zum Gesamtpreis von CHF 5’775’000.00 ab. Im Kaufversprechen garantierte der Verkäufer unter anderem, dass er keine Kenntnis von Mängeln habe, die der Käuferin anlässlich der Besichtigung der zum Verkauf

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versprochenen Objekte nicht bekannt gewesen sein konnten. Weiter vereinbarten die Parteien, dass bei Nichteinhaltung des Kaufversprechens die an den Notar geleistete Anzahlung an den Verkäufer fallen solle (Sachverhalt Teil A.g).

[4] Mit Schreiben vom 22. Dezember 2016 erklärte die Käuferin das Kaufversprechen wegen Arglist für unverbindlich, da der Verkäufer ihr wissentlich verschwiegen habe, dass er nicht über eine LDTR-Bewilligung verfügt habe, um die beiden Wohnungen zu verbinden. Die Käuferin forderte unter anderem die Rückerstattung der Anzahlung (Sachverhalt Teil A.l).

[5] Der Notar teilte den Parteien mit, dass er verpflichtet sei, den bei ihm hinterlegten Betrag an den Verkäufer auszuzahlen. Die Zahlung wurde am 7. Juni 2017 geleistet (Sachverhalt Teil A.m).

[6] Daraufhin klagte die Käuferin gegen den Verkäufer auf Zahlung von CHF 577’500.00. Mit Urteil vom 13. August 2019 wies das erstinstanzliche Gericht des Kantons Genf die Klage ab. Mit Urteil vom 17. Juni 2020 hiess die Genfer Cour de Justice die von der Käuferin erhobene Berufung gut und verurteilte den Verkäufer, der Käuferin CHF 577’500.00 zu zahlen (Sachverhalt Teile B.a und B.b).

[7] Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragte der Verkäufer im Wesentlichen, dass die von der Käuferin in der Berufung vorgebrachten Rügen abzuweisen seien. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, soweit es auf diese eintrat (Sachverhalt Teil C und E. 6).

Erwägungen

[8] Im Rahmen von Vertragsverhandlungen werde davon ausgegangen, dass die Parteien nach Treu und Glauben verpflichtet seien, einander über Tatsachen aufzuklären, die geeignet seien, den Entschluss der anderen Partei zum Vertragsschluss oder dessen Bedingungen zu beeinflussen. Der Umfang der Aufklärungspflicht hänge dabei von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Art des Vertrages, von der Art und Weise wie die Verhandlungen geführt worden seien sowie von den Absichten und Kenntnissen der beteiligten Parteien (E. 4.1).

[9] Die Käuferin habe beabsichtigt, die beiden Wohnungen als eine zusammengehörige Wohnung zu bewohnen und der Verkäufer habe um diese Absicht gewusst. Sowohl der Wortlaut des Kaufversprechens als auch des dazugehörigen Begleitschreibens beziehe sich auf zwei Wohnungen, die aber tatsächlich im Innern miteinander verbunden seien. Der Verkäufer habe den Irrtum der Käuferin selbst geschaffen und in der Folge aufrechterhalten, indem er die beiden Wohnungen als eine dargestellt habe, obwohl er im Jahr 2015 rechtswidrig die Verbindung zwischen den beiden Wohnungen geschaffen habe, nachdem er zwischen 2012 und 2015 vergeblich versucht habe, die Wohnungen in einer rechtlich zulässigen Weise zu verbinden. Weiter habe er der Käuferin auch ausdrücklich zugesichert, dass ihm keine Mängel bekannt seien, die sie bei ihrer Besichtigung nicht habe erkennen können (E. 5.1).

[10] Der Verkäufer habe weiter vorgebracht, dass die Käuferin die Tatsache, dass keine LDTR-Bewilligung für die Verbindung bestanden habe, in einem öffentlichen Register hätte einsehen können und dass ein Berater der Käuferin um das Bewilligungserfordernis gewusst habe. Folglich habe keine Aufklärungspflicht des Verkäufers bestanden, die Käuferin über die fehlende LDTR-Bewilligung aufzuklären. Die Tatsache, dass die Käuferin diese Information hätte beschaffen können, schliesse eine Aufklärungspflicht des Verkäufers nicht aus. Diese entfalle nämlich nur dann, wenn der Verkäufer nach Treu und Glauben davon ausgehen könne, dass die Gegenpartei die betreffende Information ohne weitere Verzögerung entdecken würde. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen, da die Wohnungen der Käuferin bereits so präsentiert worden seien, wie diese sie nutzen wollte, nämlich verbunden durch eine Öffnung von 1,10 Meter. Es könne von der Käuferin nicht erwartet werden, die Bösgläubigkeit des Verkäufers zu vermuten und diesbezüglich weitere Abklärungen zu tätigen. Die Voraussetzungen für eine arglistige Täuschung seien daher erfüllt (E. 5.3).

Kurzkommentar

[11] Vorliegend geht es um eine Unverbindlicherklärung eines Kaufversprechens aufgrund einer arglistigen Täuschung gemäss Art. 28 Abs. 1 OR. Das Bundesgericht hatte die Frage zu klären, ob der Verkäufer der Käuferin die fehlende LDTR-Bewilligung arglistig verschwiegen hat.

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[12] Erneut erwähnt das Bundesgericht in einem Täuschungsfall die Rechtsfigur der zivilrechtlichen Opfermitverantwortung nicht explizit. Genau besehen wendet es allerdings vorliegend dieses Rechtskonstrukt implizit an, um die Frage zu klären, ob aufgrund der Einsehbarkeit der verschwiegenen Tatsache in einem öffentlichen Register die Aufklärungspflicht des Verkäufers entfällt. Trotz der einigermassen konstanten Prüfung der Rechtsfragen, die dem Institut der Opfermitverantwortung zugrunde liegen, scheint sich das Bundesgericht weiter schwer zu tun, diese Rechtsfigur explizit anzuerkennen. Es bleibt abzuwarten, ob und wann dies der Fall sein wird.[1]

[13] Grundsätzlich bleibt das Bundesgericht in diesem Urteil seiner eher käuferfreundlichen Linie betreffend die arglistige Täuschung treu.[2] Gerade bei komplizierteren und betragsmässig bedeutsamen Grundstückkäufen wäre es angebracht, dem Käufer gewisse Untersuchungsobliegenheiten, d.h. die Obliegenheit zur Durchführung einer sogenannten Buyer’s Due Diligence, aufzuerlegen.[3] Dies ist insbesondere deshalb angebracht, da bei Fehlen solcher Untersuchungsobliegenheiten des Käufers letztlich die Privatautonomie und damit die Selbstverantwortung des Bürgers beschnitten wird.[4]

[14] Das Bundesgericht betont bei Täuschungsfällen tendenziell, dass die Umstände des Einzelfalls entscheidend seien (vgl. E. 4.1). Es ist selbstverständlich, dass die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind. Dies darf aber nicht auf einen reinen Billigkeitsentscheid im Sinne von Art. 4 ZGB hinauslaufen. Vielmehr handelt es sich bei der Ausfüllung von Generalklauseln, wie vorliegend bei der arglistigen Täuschung, um eine Mischung zwischen einem Vorgehen modo legislatoris gemäss Art. 1 Abs. 2 ZGB und einem Billigkeitsentscheid gemäss Art. 4 ZGB. Das Gericht ist daher gehalten, Kriterien zu entwickeln, die den Begriff der Aufklärungspflicht nach Treu und Glauben konkreter umreissen, um so eine möglichst gerechte und gleiche Rechtsanwendung zu gewährleisten.[5] Dies wird vom Bundesgericht zumindest ansatzweise umgesetzt, indem es ausführt, dass Aufklärungspflichten sich nach (i) der Art des Vertrages, (ii) der Art und Weise, wie die Verhandlungen geführt wurden und (iii) den Absichten und Kenntnissen der Beteiligten richten (vgl. E. 4.1). Es wäre jedoch wünschenswert, dass das Bundesgericht diese Kategorienbildung noch stärker vornimmt.

MLaw LEANDRO SCHAFER, Substitut, Walder Wyss AG.

Dr. iur. DARIO GALLI, LL.M., Rechtsanwalt, Walder Wyss AG.

Dr. iur. MARKUS VISCHER, LL.M., Rechtsanwalt, Walder Wyss AG.

[1] Vgl. mit Kritik an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur zivilrechtlichen Opfermitverantwortung LEANDRO SCHAFER/DARIO GALLI/MARKUS VISCHER, Wissen-Müssen des Verkäufers um Mängel und Opfermitverantwortung im Zivilrecht, in: dRSK, publiziert am 26. Februar 2021, Rz. 15 f.; MARKUS VISCHER/DARIO

GALLI, Entscheidbesprechungen. BGer 4A_286/2018: Täuschung und Irrtum über die Bebaubarkeit eines Grundstücks, AJP 2019, S. 1067 ff., S. 1070; MARKUS VISCHER/DARIO GALLI, Teilungültigkeit eines mit Willensmängeln behafteten Geschäftsübertragungsvertrags, GesKR 2018, S. 222 ff., S. 225 f.; MARKUS

VISCHER/DARIO GALLI, Entscheidbesprechungen. BGer 4A_141/2017: Opfermitverantwortung bei der zivilrechtlichen absichtlichen Täuschung, AJP 2017, S. 1393 ff., S. 1398 ff.; MARKUS VISCHER, in: Anna Böhme/Fabian Gähwiler/Fabiana Theus Simoni/Ivo Zuberbühler (Hrsg.), Ohne jegliche Haftung. Festschrift für Willi Fischer, Zürich/Basel/Genf 2016, S. 541 ff., S. 550 f.

[2] Siehe hierzu VISCHER/GALLI, AJP 2019 (Nr. 1), S. 1069; DARIO GALLI/MARKUS VISCHER, Irrtum hinsichtlich der Überbaubarkeit eines Grundstücks, in: dRSK, publiziert am 10. Februar 2017, Rz. 23; zur Kritik an dieser insgesamt zu käuferfreundlichen Praxis im Zusammenhang mit dem verwandten Art. 199 OR siehe DARIO

GALLI/MARKUS VISCHER, Zulässigkeit von Freizeichnungsklauseln in Grundstückkaufverträgen, in: dRSK, publiziert am 30. September 2015, Rz. 14.

[3] Vgl. hierzu allgemein MARKUS VISCHER, Due diligence bei Unternehmenskäufen, SJZ 2000, S. 229 ff., S. 236;

in Bezug auf Grundstückkäufe GALLI/VISCHER, dRSK 2015 (Nr. 2), Rz. 14; MARKUS VISCHER/LUCAS HÄNNI, Lehren

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aus der M&A-Praxis für den Immobilienkauf, AJP 2012, S. 613 ff., S. 614 und 623 f.

[4] GALLI/VISCHER, dRSK 2015 (Nr. 2), Rz. 15.

[5] Zum Ganzen MARKUS VISCHER, Entscheidbesprechungen. BGer 4A_241/2017: Alleinvertriebsvertrag, AJP 2019, S. 130 ff., S. 132 f.

Zitiervorschlag: Leandro Schafer / Dario Galli / Markus Vischer, Arglistige Täuschung über unbewilligte Bauarbeiten, in: dRSK, publiziert am 11. August 2021

ISSN 1663-9995. Editions Weblaw

Weblaw AG | Schwarztorstrasse 22 | 3007 Bern T +41 31 380 57 77 info@weblaw.ch

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