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78 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Mai 2017 | www.diepta.de

S

tress haben“ zählt in unserer Gesellschaft fast zum guten Ton.

Doch was passiert dann eigentlich im Organismus? Auf- grund der Offenheit aller leben- den Systeme ist ihre innere Ordnung störanfällig für Ände- rungen der Außenwelt. Ihr Ziel ist es daher, die Sollwerte der physiologischen Systeme durch permanente Anpassungspro- zesse einzuhalten. Dies geschieht

durch endokrine sowie durch autonom-nervöse Steuerungs- vorgänge, bei denen Ist- und Sollwerte verglichen und bei Ab- weichungen korrigiert werden.

Die homöostatische Selbstregu- lierung kann allerdings nur dann funktionieren, wenn die äußeren Lebensbedingungen weitgehend konstant bleiben.

Durch plötzliche Störungen in der Umwelt treten unter Um- ständen große Ist-Soll-Dis-

krepanzen ein und rufen eine Stressreaktion hervor.

Aus biologischer Sicht handelt es sich bei Stress um einen psy- chophysischen Zustand, durch den der Organismus aus dem Gleichgewicht gerät. Innerhalb kürzester Zeit wird er optimal darauf vorbereitet, einer dro- henden Gefahr durch Flucht oder Kampf zu begegnen. Daher kommt es zu Aktivierung der Atmung, des Herz-Kreislauf-

Systems, der Muskulatur und der Energiebereitstellung, wäh- rend reproduktive und regene- rative Prozesse (Verdauung, Sexualität, Fortpflanzung und Energiespeicherung) herunter- fahren.

Verschiedene Stress-Ach- sen Die Stressreaktion wird über zwei unterschiedliche Sys- teme physiologisch vermittelt:

Reine Nervensache

Schon vor mehr als einem Jahrhundert sprach der französische Physiologe

Claude Bernard von einem konstanten „inneren Milieu“, wonach jeder Organismus strebt. Hierfür wurde der Begriff Homöostase geprägt.

© grinvalds / iStock / Thinkstock

PRAXIS STRESS

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Mai 2017 | www.diepta.de

Sympathikus-Nebennieren- mark-Achse (Katechola- min-System) Bei physischen oder emotionalen Reizen erhält das Nebennierenmark vom Sympathikus, einem Teil des vegetativen Nervensystems, Im- pulse zur Freisetzung von Ad- renalin. Der dafür verantwort- liche Transmitter ist Noradren- alin, welches aus dem Locus coeruleus, einem Zellkerngebiet im Übergang zwischen Gehirn und Rückenmark, stammt. Da- raufhin steigt die Menge von Adrenalin im Blut, was zur Folge hat, dass Puls, Blutdruck, Blutzuckerspiegel sowie die Durchblutung von Hirn, Herz und Muskulatur zunehmen.

Die eintretenden körperlichen Stressreaktionen betreffen:

, die Atmung: Es kommt zu einer Erweiterung der Bron- chien und somit zu einer verbesserten Sauerstoffver- sorgung.

, das Herz-Kreislauf-System:

Die Herzschlagfrequenz und die Kontraktion des Her- zens nehmen zu, sodass die Durchblutung und die Ener- gieversorgung von Herz, Ge- hirn und Muskulatur ge- währleistet werden.

, die Motorik: Durch eine erhöhte Anspannung der Muskeln wird der Körper auf die anstehende Muskel- arbeit vorbereitet.

, den Stoffwechsel: Vorgänge wie die Glukoneogenese oder die Lipolyse sorgen für eine erhöhte Energiebereit- stellung.

, das Immunsystem: Immun- reaktionen werden in dieser Situation unterdrückt (Im- munsuppression).

, die Sexualität: Der Organis- mus ist auf sexuelle Reize in der Regel vermindert an- sprechbar.

Hypothalamus-Hypophy- sen-Nebennierenrinden- Achse (Kortisolsystem) Bei Stress setzt der Hypothalamus den Corticotropin-Releasing- Factor (CRF) frei, dieser gelangt im weiteren Verlauf zur Hypo- physe. Dort stimuliert CRF die Sekretion des adenocorticotro- pen Hormons (ACTH), das wiederum die Nebennieren- rinde zur Ausschüttung von Kortisol anregt.

Chronifizierung vermeiden Eine phasische Aktivierung der beschriebenen körperlichen Prozesse ist per se nicht ge- sundheitsschädlich. Problema- tisch wird es, wenn die in der Gluoneogenese und Lipolyse bereitgestellte Energie nicht verbraucht wird und die Er- regung bestehen bleibt. Die Fettpartikel zirkulieren dann in den Arterien, begünstigen die Plaquebildung an den Gefäßin- nenwänden und fördern auf Dauer arteriosklerotische Ge- fäßveränderungen.

Vielfalt an Symptomen Der Mediziner Hans Selye sprach vom positiven Eustress und vom gesundheitsgefährdenden Disstress. Er ging davon aus, dass sich der Organismus bei andauerndem Stress in einem Widerstandsstadium befindet und sich an die Belastungen an- passt. Die Symptome der sym- pathischen Achse verschwinden und es kommt zu einer Soll- wert-Verschiebung. Das Ziel des Körpers besteht nun darin, unter einem erheblichen Ener- gieaufwand ein neues Gleichge- wicht auf einem erhöhten Ni- veau zu finden. Mögliche pa- thologische Folgen sind unter anderem essenzielle Hyperto- nie, Kopf- und Rückenschmer- zen, Verlust der Libido, Impo- tenz, Zyklusstörungen, Arte- riosklerose, Störungen der Ver- dauung, Infektionserkrankun-

gen, Allergien, ein erhöhter Blutzuckerspiegel oder eine verminderte Schmerztoleranz.

Häufig lassen sich in Belas- tungssituationen vermehrt ge- sundheitsschädliche Verhal- tensweisen (wie Rauchen, Alko- holkonsum oder ein ungesun- des Ernährungsverhalten) als Versuch der Bewältigung beob- achten, wodurch das Erkran- kungsrisiko zusätzlich gefördert wird.

Verschiedene Auslöser Fak- toren, welche die Homöostase gefährden, bezeichnet man als Stressoren. Hierzu zählen phy- sikalische (Lärm, Hitze), chemi- sche (Vergiftungen) und kör- perliche (Schmerz, Verletzung) Einflüsse. Häufige Ursachen einer Stressreaktion sind psy- chosoziale Konflikte, die Un- erreichbarkeit von Zielen, die Unerfüllbarkeit von Wünschen sowie ein permanenter Infor- mationsüberschuss. Auch kriti- sche Lebensereignisse wie zum Beispiel der Tod des Partners, Scheidungen, Krankheiten oder der Arbeitsplatzverlust sind den potenziellen Stressoren zuzu- ordnen. Deren negative Wir- kung hängt jedoch mit der Wahrnehmung, Verarbeitung und Bewertung des betroffenen Menschen ab.

Bewertung und Bewälti- gung Zur Entstehung von Stress gibt es verschiedene Er- klärungsmodelle. Ein physiolo- gisches Stresskonzept stammt von dem amerikanischen Emo- tionsforscher Richard Lazarus.

In seinem sogenannten Trans- aktionalen Stressmodell geht er davon aus, dass Menschen den Stressoren nicht passiv ausge- liefert sind, sondern einen akti- ven Einfluss in Form von Ge- danken oder Wahrnehmungen haben. Im Rahmen der primä- ren Bewertung wird die aktuelle Situation als positiv, irrelevant

oder stressbezogen (Herausfor- derung, bereits eingetretene Schädigung oder Bedrohung) eingestuft. Die Sekundärbewer- tung bezieht sich auf die eige- nen Bewältigungskompetenzen im Umgang mit der jeweiligen Anforderung, die als günstig oder als nicht ausreichend ein- geschätzt werden. Aufgrund von Hinweisen kann es zu Än- derungen der ursprünglich pri- mären oder sekundären Bewer- tung kommen (Neubewertung).

Wie sich Belastungen auf den Organismus auswirken, hängt also nicht nur von den Ereignis- sen, sondern auch von deren Bewältigung (Coping) ab. Von einer problemorientierten Be- wältigung spricht man, wenn das Individuum versucht, die Situation oder die eigenen Ein- stellungen zu beeinflussen. Hin- gegen möchten Betroffene bei der emotionsorientierten Be- wältigung Gefühle wie Angst, Kränkung, Schuld oder Neid und die daraus resultierenden Spannungen reduzieren.

Prophylaxe möglich In Deutschland nehmen Stressbe- wältigungsprogramme nach Maßnahmen zur Prävention von Erkrankungen des Bewe- gungs- und Stützapparates (Rü- ckenschulen) den zweiten Platz in der Statistik der Gesund- heitsförderung ein. Programm- ziele sind etwa die Veränderung der stressinduzierenden Bewer- tungen der Situation und der eigenen Bewältigungsmöglich- keiten sowie die Erweiterung des Repertoires an Bewäl- tigungsstrategien (Entspan- nungstraining, Genusstraining oder Problemlösetraining). ■

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin

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