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Forschungsgruppe »Große technische Systeme« des Forschungsschwerpunkts Technik - Arbeit - Umwelt am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung FS I I 91-502

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am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

FS I I 91-502 Alltag und Technik

Beiträge zu einem

deutsch-französischen Kolloquium

herausgegeben und eingeleitet von Bemward Joerges

mit Beiträgen von

Ilona Ostner, Karl W. Homing, Roland Eckert und Werner Rammert

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB) Reichpietschufer 50, D -1000 Berlin 30

Tel. (030) 25 49 1

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Der Bericht präsentiert vier Beiträge von einem deutsch-französischen Kolloquium

»Les technologies de la vie quotidienne« zum gegenwärtigen Stand der deutschen For­

schung und zu neueren theoretischen Ansätzen in diesem Themenfeld. Der Band ent­

hält einen systematischen Überblick über das Forschungsfeld (Ilona Ostner), Essays über Zeit und Technologie (Karl H. Hörning), über Technologie und emotionale Prozesse (Roland Eckert), einen Versuch einer theoretischen Synthese (Werner Rammert) sowie einen einführenden Kommentar zum Stand der Dinge (Bernward Joerges).

Abstract

This report brings together four contributions to a French-German colloquium, »Les technologies de la vie quotidienne«, on the present state of German research on this subject and on recent theoretical approaches. The volume contains a systematic review of the research field (Ilona Ostner), essays on time and technology (Karl H. Hörning) and technology and emotional processes (Roland Eckert), an attempt at a theoretical synthesis (Werner Rammert) as well as an introductory comment on the state of affairs (Bernward Joerges).

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Seite Zur Einführung

Theorien der Technisierung des Alltagslebens:

»entweder oder« oder »sowohl als auch«? 7

Bemward Joerges

Technologie, Quotidien, Lebenswelt 15

Ilona Ostner

Die Zeit der Technik und der Alltag von Zeit 41

Karl H. Homing

Technik und Gefühle 62

Roland Eckert

Materiell - Immateriell - Medial:

Die verschlungenen Bande zwischen Technik und Alltagsleben 80 Werner Rammert

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»entweder oder« oder »sowohl als auch«?

Bemward Joerges

Nach einem Jahrzehnt »Technik im Alltag«-Forschung sollte ein deutsch­

französisches Kolloquium nicht nur die Möglichkeit der gegenseitigen Präsentation von Forschungsergebnissen und der Konfrontation doch sehr verschiedener Forschungsstile bieten, sondern auch einer Art Zwischenbi­

lanz des theoretischen Ertrags dieser Forschung diesseits des Rheins die­

nen.1 Aus diesem Grund werden hier die vier überwiegend konzeptionell ausgerichteten Beiträge deutscher Autoren gesondert vorgelegt.2 Sie mar­

kieren gut den gegenwärtigen Stand der auch theoretisch ambitionierten Diskussion, die sich, seit meinem Versuch, die Kontroversen der achtziger Jahre nachzuzeichnen (Joerges 1989), doch merklich gewandelt hat. Auf weitere Bestandsaufnahmen dieses lebendigen Forschungsfelds verweise ich, vor allem auf die von Burkhart Lutz (1989) und von Ute Hoffmann (1990b), mit besonderem Gewicht auf Arbeiten, die aus dem Verbund So­

zialwissenschaftliche Technikforschung hervorgegangen sind (und die bei dem Pariser Kolloquium selbstverständlich vertreten waren).

Die Technik-im Alltag-Diskussion war in der Vergangenheit ein wenig unhistorisch, geführt von intellektuellen Kindern der Bonner Nachkriegs­

republik. Ilona Ostner stellt ihre tour d ’horizon deshalb vor den Hinter­

grund einer (auch) spezifisch deutschen zivilisationskritischen (und zivili­

sationspessimistischen) Denktradition. Sie zeigt die Polarisierungen auf, die hier im langen Verlauf die Interpretation bestimmt haben, ihre

1 Colloque International L es technologies de la vie quotidienne, 1. bis 3. Februar 1990, Paris, gemeinsame Veranstaltung WZB/CNRS; siehe dazu auch die Berichte von Ute Hoffmann (1990a) und Ilona Ostner (1991).

2 Die deutschen und ausgewählte französische Beiträge, einschließlich der empiri­

schen, erscheinen in französischer Fassung in Gras/Joerges/Scardigli (1991).

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Schlußfolgerung ist optimistisch: die Mischung von Technikaversion und Romantisierung der Lebenswelt, die in Fortführung dieser Linie auch in die sozialwissenschaftliche Forschung hineingewirkt hat, sei überwunden.

Ich bin da nicht so sicher und erinnere zum Beispiel an eine neue Nostal­

gie der im Nachhinein für manche Beobachter erhaltens- und schutzwür­

digen, nun der Zerstörung auch durch modern(er)e Technik preisgegebe­

nen lebensweltlichen Formen in der ehemaligen Zweiten Welt. Ich erin­

nere auch an einen doch fortbestehenden Romantizismus mancher ökolo­

gisch inspirierter Beiträge zur Technikforschung.3

Ostner vermerkt zurecht die abnehmende (und nun ja auch gänzlich altmodische) Neigung zu »Übergriffsthesen« und Subsumptionsannah- men. Niemand vertritt mehr die Auffassung, kapital-logische und techno­

logische Imperative setzten sich in alltagsweltlichen Kontexten ähnlich durch wie in betrieblichen. (Aber dann muß man ja bedenken, daß das in der Industriesoziologie auch für den Betrieb seit geraumer Zeit niemand mehr tut.) Ähnliches gilt für die speziell in der Alltagsforschung ausge­

spielte Kontroverse um »Anpassung oder Eigensinn«. Sie wurde zu Be­

ginn noch als ein »entweder oder« verhandelt und inzwischen doch eher mit »sowohl als auch« beantwortet. Was ansteht ist die sorgfältige Be­

schreibung der Art und Weise, wie Prozesse beiden Typs ineinandergrei­

fen.

»Nur semantische« Mißverständnisse sorgen dabei manchmal für den Aufbau von Oppositionen, die sich auflösen, wenn man ein Phänomen ge­

nauer, und vor allem in seinen wechselvollen Entwicklungen ansieht. Ein Beispiel ist die oft geführte Diskussion über die Rolle von Standardisie­

rungsprozessen. Wie die Beiträge von Karl H. Hörning und Roland Eckert in diesem Heft vielfach aufzeigen, gibt erst die Einführung von standardisierten Geräten (anzufügen ist: samt ihren netztechnischen Vor­

aussetzungen; vgl. Braun 1990) und Verrichtungen Anlaß zu den vielfälti­

gen kulturellen Varianten in Zeitverwendung und Videokonsum - ein Pro­

zeß, der dann von Autoren, die an der technischen Unterseite der Phäno­

3 Durchaus namhafte Sozialwissenschaftler haben ja vor nicht allzu langer Zeit noch die überlegene Umweltgerechtigkeit sozialistischer Produktionsregime inklusive Technologiepolitik gepriesen.

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mene nicht so interessiert sind, als De-Standardisierung oder Entdifferen­

zierung apostrophiert wird.

U te Hoffmanns (1990a, S. 40) Einschätzung bringt die gegenwärtige Lage auf den Punkt: Zwar seien technikdeterministische Ansätze über­

wunden, aber

»[ujmgekehrt glaubt niemand so recht an grenzenlose Gestaltungsspielräume und beliebige Aneignungsmöglichkeiten in der alltäglichen Nutzung von Technik. Die aktuelle Diskussion bewegt sich in der Grauzone zwischen tech­

nikdeterministischen und kulturalistischen Ansätzen auf der Suche nach Syn­

thesen, die sowohl der Macht der Technik als auch den Freiheitsgraden ihrer sozio-kulturellen Ausdrucksformen gerecht werden.« (1991b, S. 40)

Kommt es zu diesen Synthesen, bewegen wir uns inzwischen auf einem goldenen Mittelweg, oder droht die Diskussion, unter Aufgabe prägnanter und wiedererkennbarer Positionen, in die Nähe eines theoretischen Wi- schi-Waschi abzudriften?

Die Beiträge von Karl H. Hörning, Roland Eckert und Werner Ram- mert lassen sich als Auseinandersetzungen mit dieser Frage und als Ver­

such einer jeweils positiven Antwort - »wir sind auf dem Weg zu neuen Synthesen« - lesen. Alle drei bemühen sich nachdrücklich, den Vorwurf eines den »Übergriffstheoretikern« gerne vorgeworfenen »Technikdeter­

minismus« ebenso zu vermeiden wie den eines überzogenen »Kulturalis­

mus« in dessen Abwehr.

Konzeptionelle Unvereinbarkeiten zwischen quasi-darwinistischen Po­

sitionen, in denen Anpassungsmechanismen und -zwänge jeder Art betont werden, und mehr oder weniger radikal konstruktivistischen (bisweilen modisch zelebrierten) Positionen, in denen »Selbstorganisation«, Sinnge­

schlossenheit und Reflexivität hervorgehoben werden, bleiben wohl den­

noch zu vermerken. Die gegenwärtige Situation ist als eine des theoreti­

schen »sowohl als auch« einzuschätzen, in der weitere Schritte vor allem von geduldigen und (auch längere) zeitliche Abläufe abdeckenden empiri­

schen Analysen kommen müssen. Werner Rammert immerhin unter­

nimmt eine weitausgreifende Synthese. Zur Überbrückung konzeptionel­

ler Gegensätze von »Le Materiel et LTmmateriel« nutzt er ein Medien­

konzept, das sowohl in strukturell-funktionalen als auch in hermeneutisch- interpretativen Theoriezusammenhängen anschlußfähig ist.

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Homing und Eckert rechnen zu den »Ubergriffsthesen« auch Rationa­

lisierungsthesen im weiteren Sinn. Sie beziehen sich dabei unter anderem auf Positionen, wie ich sie in verschiedenen Arbeiten selbst vertreten ha­

be. Eine »Anmerkung in eigener Sache« sei deshalb erlaubt. Zunächst ging es zu Beginn der Technik-im-Alltag-Diskussion um eine Akzentuie­

rung bestimmter »reckenhafter« Entwicklungen vor allem in den Haushal­

ten in Abhebung von und Ergänzung zu einer um das Konzept der Status­

symbolik kreisenden Konsumsoziologie der siebziger Jahre - der For­

schungsrichtung, die einer Soziologie mundaner Gegenstände und alltägli­

cher Verrichtungen am nächsten kam - gipfelnd in so schönen Büchern wie Mary Douglas’ »The World of Goods«.

Wichtiger war und ist mir aber ein ganz anderer Argumentationszu­

sammenhang, der im übrigen den Grundintentionen Arnold Gehlens nä­

her liegt als dem Versuch Hans Lindes: daß zum Ausgangspunkt einer Techniksoziologie das Phänomen der Entkörperlichung sozialer Prozesse und Strukturen gemacht wird. Als Grundfrage ergibt sich, wie Handeln über Dinge möglich ist ohne Verlust des systemischen Charakters von Handeln, den die Körperbasiertheit wenn nicht garantiert, so doch er­

leichtert. Technik ist die kulturelle Art und Weise, wie das geleistet und gesichert wird. Von dieser Ausgangsposition her habe ich argumentiert, derart entkörperlichtes Handeln per Delegation an geeignet konstruierte Dinge, sprich technische Artefakte, funktioniere vorerst eben nur für die

»rationalisierbaren« Anteile des Handelns. Die Erweiterung dinglicher Sozialwelten, die Abwicklung ausgedehnter Handlungskomplexe über Ge­

räte und Maschinen und die Bereithaltung entsprechender Wissensbe­

stände und Fertigkeiten, so die These, setzte Rationalisierungsprozesse zwingend voraus.

Mit Hilfe der Konzepts der Mehrfachintegration, in dem technische (und andere rationalistische) Formen der Integration nur einen unter an­

deren Modi darstellen, habe ich Technisierungsprozesse von Anfang an als spannungsreiche Abfolgen von äußerer Anpassung und personaler oder kollektiver Selbstversicherung beschrieben. Dabei wurde insbesonde­

re stets betont (allerdings regelmäßig erst im zweiten Argumentations­

schritt, ein bedauerlicher rhetorischer Lapsus), man habe wohl prinzipiell

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vom genetischen und systematischen Primat nicht-technischer (nichtratio­

nalistischer) Formen der Handlungsintegration auszugehen.4

Daraus resultiert auch meine mehrfach dargelegte Skepsis gegenüber technischen und eben auch techniksoziologischen Visionen vom »Compu­

ter als sozialem Gegenspieler«. In der Tat stellen gegenwärtig vor allem Computer und Computerforscher »rationalistische« Interpretationen in Frage. Pikanterweise unterstellen Soziologen und Computeringenieure dabei gleichzeitig diesen Gebilden zumindest potentiell so etwas wie eine besondere kognitive Reinheit.

Ich habe die Privilegierung der Computer in der Techniksoziologie oft kritisiert, weil sie den Blick darauf verstelle, daß hier etwas zu beobachten ist, was auch für bescheidenere Geräte zutreffe. Aber wenn die Computer, wie das ja zweifellos der Fall ist, die Vorstellungskraft derartig und auf ei­

nige Dauer anregen, dann ist der Gedanke schwer von der Hand (?) zu weisen, daß es sich hier doch um eine ganz besondere Qualität der Inter­

aktion zwischen Körpern und ihren Maschinen, zwischen Gesellschaft und ihrer Technik handelt.

Historisch betrachtet wurde in neuzeitlichen Gesellschaften der sozia­

le Prozeß um immer mehr dinglich-technische Arrangements erweitert.

Technisierung in diesem Sinn der Delegation von Handlungsanteilen an technische Dinge hat außerordentliche Konsequenzen für die Formen so­

zialer Kontrolle, für die Verteilung von Wissen und Werten in der Gesell­

schaft und für die gesellschaftliche Arbeitsteilung.5 Man kann auch an­

nehmen, daß wir uns gegenwärtig, anthropologisch gesprochen, erst am Anfang dieser der Spezies »homo sapiens« eigenen Art der Evolution be­

finden, sofern nicht mit Hilfe eben dieser evolutionären Errungenschaft die vorzeitige Selbstausrottung bewirkt werden sollte.

4 Damals in Anlehnung vor allem an die Begrifflichkeiten von Jean Piaget und dessen Schüler Ernst E. Boesch (Akkommodation/Assimilation), zwei fast vergessene Pio­

niere einer dingbezogenen Sozialwissenschaft; siehe etwa Joerges 1981.

5 In der Soziologie hat man den Vorgang allerdings nie als konzeptuell bedeutsam anerkannt, vielmehr so weit ausgeblendet, daß, als ein neuer großer Schub der Handlungsdelegation - und damit eine massive Verschiebung der Trennungslinie zwischen körperlicher und außerkörperlicher Arbeit - gelang, das Bild vom »Ende der Arbeitsteilung« die kollektive Phantasie beflügeln konnte.

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Dem Alltagsauge und noch viel mehr dem soziologischen Auge ent­

geht meist, daß das »rein Technische«, das »rein Funktionelle« ein genuin sozialer Tatbestand, ein Produkt kollektiver Sinngebungen bzw. -bestrei- tungen ist. Wie ist es gelungen (eine der großen Leistungen der sogenann­

ten Moderne), diese augenscheinlich unangreifbare Neutralität und A-So- zialität des Technischen herzustellen und aufrechtzuerhalten? Man muß in der Techniksoziologie diesen Vorgang verstehen, statt sich zum Opfer gesellschaftlicher Interdoktrination zu machen, und zwar gerade indem man das Spezifische der Konstruktion des Technischen aufdeckt.

Festhalten möchte ich schließlich, daß die ganze Problematik des (dinglichen) Artefaktbezugs quer liegt zu und indifferent ist gegenüber den Debatten um Anpassung an Technik versus Aneignung von Technik.

Einer Betonung der Artefaktebene ipso facto »Technikdeterminismus« zu unterstellen ist deshalb unsinnig.6

Gerade nach den Erfahrungen mit den französischen Kollegen auf dem genannten Kolloquium bleiben die Fragen nach dem Stellenwert der eingebildeten Technik, des Imaginären in der Technik - und in der Tech­

niksoziologie. Reichen die verbreitete und modische These von der »Ent­

materialisierung« und ein damit verbundener Rückzug der soziologischen Analyse auf hochsprachliche Repräsentationen (von Repräsentationen) aus?7 Oder müssen wir gar lernen, mit Dingen, mindestens vom Compu­

ter an aufwärts, wie mit Quasi-Subjekten, also Zeichen-, genauer gesagt Sinnproduzenten umzugehen? Hörning sieht darin, daß Dinge zu »Quasi- Subjekten« werden können, eine unleugbare soziale Tatsache (Hörning 1988, S. 76).

Für eine »Soziologie der Sachen« gewinnt das Thema an Bedeutung, wie der unter Umständen feine Unterschied zwischen einem soziologisch sanktionierten Animismus und einer »Hermeneutik der Dinge« respek­

6 Man muß es aber auch einmal sagen: Die Technikdeterministen, die in den vergan­

genen Jahren für so viel herhalten mußten, haben keine Namen, jedenfalls keine so­

zialwissenschaftlichen. Das in dieser Sache vielzitierte Buch »The Social Construc­

tion of Technological Systems« (Beijker/Hughes/Pinch) ist gesättigt mit Anti-De- terminismus-Rhetorik, enthält aber keinen einzigen Beleg für eine entsprechende Aussage aus der Feder eines lebenden Kollegen.

7 Zur Analyse dieser Problematik im Kontext der Deutung der Computertechnik vgl.

Krämer (1991).

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tiert werden kann. Man muß ja doch einsehen, daß ein grundlegender U n­

terschied zwischen Verfahren der Interpretation von Texten, von Perso­

nen, von Organismen und von kulturellen Artefakten nicht erkennbar ist (vgl. dazu Dennett 1990). Zu den kulturellen Artefakten sind alle sozialen Hervorbringungen, insbesondere alle institutioneilen Strukturen zu rech­

nen, also das, was gemeinhin als Gegenstand der Soziologie im engeren Sinn gilt. Es gehören dazu aber eben auch die gemachten Dinge, die es - wie die Sprache - ermöglichen, die Höllen und die Paradiese der in den Körpern eingeschlossenen Selbste zu verlassen und Gesellschaft zu bilden.

Es ist, wie mir scheint, noch einiges zu tun, bevor Soziologen das so sehen und die Interpretation der Dinge, wie sie da draußen Vorkommen, als selbstverständlichen Teil ihres Geschäfts verstehen.8

Auch hier haben im übrigen, wie schon zu den Zeiten des realistischen Romans, literarische »Ethnograpien der Dingwelt« den Sozialwissenschaf­

ten nicht nur stilistische Vorzüge zu offerieren.9 Die Diskussion kann weiter gehen.

Literatur

Baker, Nicholson (1988): The Mezzanine. A Novel. New York: Weidenfeld & Nicolson Dennett, Daniel C. (1990): »The Interpretation of Texts, People and other Artifacts«.

ZiF-Serie M in d and Brain, 15. Bielefeld

Gras, Alain / Joerges, Bernward / Scardigli, Victor (Hg.) (1991): Les technologies de la vie quotidienne ou la societe branchee. Paris: Harmattan

Hoffmann, U te (1990a): »Technik im Alltag«. In: WZB-Mitteilungen, 48, S. 40-42 Hoffmannn, Ute (1990b): »Technik und Alltag: Konturen eines Workshops«. In: Ver­

bund sozialwissenschaftliche Technikforschung, Mitteilungen, 7, S. 7-18

Hörning, Karl H. (1988): »Technik im Alltag und die Widersprüche des Alltäglichen«.

In: B. Joerges (Hg.): Technik im Alltag. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 51-94

8 Aussichtsreich aber in der Tat manche Arbeiten zur Computertechnik; ich verweise etwa, bei allen früher geäußerten Vorbehalten, auf die nachdenkliche Analysen von Erhard Tietel und Elfriede Löchel (1991).

9 Als eine hinreißende Studie der Dinge und Kleinsttechniken des konsumeristischen Alltags sei »The Mezzanine« (Baker 1988) allen Technik-im-Alltag-Soziologlnnen als geheimes Brevier empfohlen.

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Joerges, Bemward (1981): »Zur Soziologie und Sozialpsychologie alltäglichen techni­

schen Wandels«. In: G. Ropohl (Hg.): Interdisziplinäre Technikforschung. Berlin:

Schmidt, S. 137-151

Joerges, Bernward (1988): »Technik im Alltag: Annäherungen an ein schwieriges Thema«. In: B. Joerges (Hg.): Technik im Alltag. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 7-19 Krämer, Sybille (1991): »Die Säkularisierung der Symbole«. In: B. Joerges (Hg.): Wis­

senschaft - Technik - Modernisierung. WZB dp FS I I 91-503, S. 19-30

Lutz, Burkart (Hg.) (1989): Technik in Alltag und Arbeit. Berlin: edition sigma

Ostner, Ilona (1991): »Technik im Alltag - Technologische Herausforderungen oder:

Technopolisvisionen«: In: Kölner Zeitschrift fü r Soziologie un d Sozialpsychologie, 43 (1), S. 202-205

Tietel, Erhard / Löchelm, Elfriede (1991): »Die Untersuchung von Intersubjektivität als charakteristisches sozialpsychologisches Phänomen im Umgang mit dem Com­

puter«. In: Verbund sozialwissenschaftliche Technikforschung, Mitteilungen, 7, S. 95- 111

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Ilona Ostner

Einführung

D er Beitrag versucht, den Stand soziologischer Forschung zum Thema des Verhältnisses von Technologie und Alltag wiederzugeben: »Wie behan­

deln, wie besprechen soziologische Diskurse dieses Verhältnis?«

Überblickt man die aktuelle Diskussion, dann bezieht sie sich vor al­

lem auf folgende Themen und Gebiete:

(1) auf den umfassenden Bereich des Verhältnisses von Technologie, Kultur und Zivilisation: der Folgen von Technologien im allgemeinen auf die jeweilige Kultur einer Gesellschaft und auf die Individuen so­

wie umgekehrt auf die Frage, welchen Einfluß die jeweilige Kultur einer Gesellschaft auf die Erfindung, Produktion, Verbreitung und Akzeptanz von Technologien hat;

(2) auf das Verhältnis von Technologie bzw. Technologien und Sozialisa­

tion: Welche Effekte haben insbesondere die neuen Technologien auf die kindliche Entwicklung, auf jugendliches Verhalten, auf das Fami­

lienleben, auf Bildung und Erziehung?

(3) auf die Frage des Verhältnisses von Frauen und Technologien: Gibt es einen spezifisch weiblichen Umgang mit Technik?

(4) auf Einsatz und Wirkung von Technologien in privaten Haushalten;

(5) auf Technologie und Freizeit (Gestaltung): Nimmt die Technologie den Menschen die Freizeit ab?

(6) auf den neuen Bereich der Home Computer: Sind sie Erwerbsmittel oder eher Spielzeug?

(7) auf Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien insbesondere in sozia­

len Problemlagen: in der Altenhilfe, im Krankenhaus, bei Behinde­

rung.

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Der Beitrag gibt einen Überblick zu diesen Themenbereichen. Dieser Überblick bleibt notwendig selektiv. Die Vielzahl und Vielfalt der Veröf­

fentlichungen mußte kleingearbeitet werden. Methodisch wie theoretisch folgte der selektive Zugriff auf den Stand der soziologischen Forschung zu

»Technologie und Alltag« einem roten Faden, das heißt hier: einem durchgängigen Thema, das man allen Forschungs- und Theoriearbeiten entnehmen bzw. das man in sie hineintragen kann. In der Diskussion um Technologien im Alltag steht oft recht unversöhnlich Aussage gegen Aus­

sage, Urteil gegen Urteil. Polarisierende Argumentationsmuster nehmen zu in dem Maße, wie sich ein Untersuchungsthema von der Analyse der Modalität der jeweiligen Technologie entfernt. Die in diesem Beitrag an­

gesprochenen Arbeiten können entlang den für sie typischen Kontrover­

sen sortiert werden, die in ihnen mehr oder weniger offen enthalten sind.

Nachfolgende Überlegungen beziehen sich vor allem auf deutschspra­

chige sozialwissenschaftliche Literatur. Diese Einschränkung verstärkt die Selektivität der Darstellung. Mit ihr, also mit der Beschränkung auf die deutsche soziologische Tradition der Technikdiskussion, eröffnet sich aber auch eine interessante soziologiegeschichtliche Perspektive.

»Zivilisation« versus »Kultur«

Eine Wurzel der deutschen Soziologie - man kann hier zum Beispiel an W. H. Riehl und den romantischen Konservatismus denken - liegt in der Kritik am vielgesichtigen Zivilisationsprozeß, von dem man sagte, er zer­

störe »Kultur«. Diese »Kultur« ist etwas ganz spezifisch Deutsches, das sich nicht ohne weiteres ins Englische oder Französische, in den engli­

schen oder französischen Begriff der »Kultur« übersetzen läßt (vgl. dazu Elias 1978). Sprach man in diesen Ländern von »Zivilisation«, um die neue Kultur zum Ausdruck zu bringen, scheint der deutsche Kulturbegriff ablehnend gegen den der »Zivilisation« gerichtet. Setzt man beide Begrif­

fe synonym, dann beziehen sie sich auf so unterschiedliche Fakten, wie

»auf den Stand der Technik, auf die Art der Manieren, auf die Entwick­

lung der wissenschaftlichen Erkenntnis, auf religiöse Ideen und Gebräu­

che« (Elias 1978, S. 1). Der Begriff »Zivilisation« kann sich auf fast alles

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beziehen in der modernen Gesellschaft, da es von nun an beinahe nichts zu geben scheint, was man nicht in einer eher zivilisierten oder in einer unzivilisierten Form tun kann. »Zivilisation« weist darauf hin, daß dem in­

dividuellen Handeln immer mehr zur Verfügung gestellt wurde. Elias ver­

knüpft den Begriff mit dem des Nationalbewußtseins. Als zivilisierte Völ­

ker versuchen sich die alteuropäischen von den »primitiveren« zeitgenös­

sischen Gesellschaften abzuheben. Sie haben sich durch den Stand ihrer Technik, durch die Art ihrer Manieren usw. von diesen entfernt. Schon Elias betont, daß den verschiedenen Nationen des Abendlandes »Zivilisa­

tion« nicht das gleiche bedeutet. Enthält in Frankreich und England das Wort den Stolz dieser Nationen auf ihren Fortschritt, so verweist im deut­

schen Sprachgebrauch »Zivilisation« zwar auf etwas ganz Nützliches, aber das Wesen des Menschen kann der Begriff nicht bezeichnen. »Kultur« ist Selbstausdruck oder Selbstbezeichnung des Menschen gegenüber einer sich zivilisierenden Gesellschaft. In dieser spezifisch deutschen Bedeutung gewinnt der Kulturbegriff oft etwas Subversives. Meist jedoch verweist er auf etwas Statisches, etwas Fortdauerndes und etwas, das sich kaum ver­

ändert. »Kultur« wird oft als das Gegenteil von Zivilisation verwendet, wenn man mit ihr »Flüchtigkeit«, »Ungewißheit«, »Unsicherheit«, »Offen­

heit«, »Kontingenzen aller Art auf der strukturellen Ebene« und »verein­

zelte und vereinzelnde Selbstbezogenheit« auf der Handlungsebene meint. Diese Entgegensetzung ist in der von »Gemeinschaft« oder dem

»Volk« versus »Gesellschaft« enthalten.

Tief verwurzelt mit deutschen politischen Traditionen beeinflußte die­

se Entgegensetzung viele Versuche, eine moderne Gesellschaft zu entwik- keln; sie erklärt auch teilweise das partielle Scheitern. Als eine Ideologie hat diese polarisierende Diskussion zunächst explizit, dann mehr und mehr unter der Hand den sozialen Wandel in Deutschland und bis heute in der Bundesrepublik begleitet. Man kann den deutschen Weg in die mo­

derne kapitalistische Gesellschaft als einen beschreiben, der kontinuier­

lich zwischen Rückgriff und Bauen auf Tradition einerseits und einem un­

vermeidlichen »Sich-Einlassen« auf notwendige Innovationen andererseits vermittelt. Er hat zu dem geführt, was man eine »unvollständige Moderni­

sierung« der deutschen Gesellschaft nennen könnte. Diese kontinuierliche Vermittlung zwischen Tradition und Innovation erklärt auch die »dynami-

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sehe Stabilität« und die entsprechenden Lebensstile, die sich in der Nach­

kriegszeit in der Bundesrepublik entwickelt haben. Eher dualisierende Konzepte haben seit der Nachkriegszeit die Familie als Institution und die Geschlechtsrollen in ihr geformt. Auf diesen Punkt wird später noch ein­

mal eingegangen.

Diese Kulturkritik ist häufig mit einer Kritik an den sich durchsetzen­

den neuen Technologien verbunden gewesen. Sie wurde um so heftiger und um so offener geäußert, je mehr diese Technologien und mit ihnen ein instrumentell strategischer Umgang mit Sachen und, wie oft befürch­

tet, auch mit Menschen Einzug in das Alltagsleben hielten. Technologien, ihre Logiken, sollen dazu beigetragen haben, daß sich das Leben der Men­

schen immer mehr vereinzelt und pluralisiert, daß immer mehr immer strategischer mit sich selbst und anderen nun auch in der Privatsphäre umgehen. In »Die Zerstörung der Vernunft« hat Georg Lukäcs auf über­

spitzte Weise eine Linie gezogen von Nietzsches Verachtung einer alles anähnlichenden demokratischen Zivilisation - die tatsächlich um so mögli­

cher wurde und mit ihr das Konsumniveau anstieg, wie es auch für den normalen Bürger möglich wurde, Technologien, die nun nicht mehr länger exklusive Güter waren, in seinem Alltagsleben zu verwenden - zu den viel­

fältigen Traditionen einer kulturpessimistischen Sicht der technologischen Zivilisation. Diese eher negative Sicht auf die technische Zivilisation führ­

te zu den vielfältigen Versuchen, sich von ihr so weit wie möglich zurück­

zuziehen, ihr zu entfliehen, wie es manchen intellektuellen Kreisen zum Beispiel in der Lebensreformbewegung oder durch die Lebensphilosophie gelang. Ein eher kulturpessimistisches Gegeneinander-ausspielen von Zi­

vilisation einerseits, Kultur andererseits findet sich zum Beispiel bei Hans Freyer (1925), der das Technologische mit dem Ökonomischen identifi­

ziert und beides als anarchische Prinzipien begreift, die das menschliche Leben in ein bloß mechanisches verwandeln. Solche Art Kritik dürfte die Entwicklung individueller wie kollektiver Handlungsfähigkeit angesichts einer ohnehin unvermeidbaren technologischen Evolution entmutigt ha­

ben.

Im Deutschland des 19. Jahrhunderts führte die allgemeine Tendenz, technologische Entwicklung in polarisierender Weise zu diskutieren, zu einem ganz spezifischen Diskurs: zu dem der »Rationalisierung der Le­

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bensweise«. Konsequent bedeutete »Rationalisierung« in diesem Konzept weniger, daß nun private Haushalte technologisch besser ausgestattet sein sollten, um - wie zum Beispiel in den USA - Leben und Arbeit der Frauen dort leichter zu machen. Eher umgekehrt verhandelte dieser Diskurs, wie man durchaus auch ohne Technik Alltagsroutinen in einer vernünftigen, gesunden, sparsamen und disziplinierten Weise organisieren kann und soll. Durch diese Art von Rationalisierungsdiskurs und seiner Umsetzung zum Beispiel in städtebauliche Programme wurden vor allem Frauen zu­

hause gehalten. Vollzeitig damit beschäftigt, die Lebensweise in diesem geistigen Sinn zu rationalisieren, sind dann auch Frauen diejenigen gewe­

sen, die für Erfolg wie auch für das Scheitern im Familienleben gelobt bzw. zur Verantwortung gezogen wurden. Zerrüttung in der Familie, Ge­

walt gegen Ehefrau und Kinder, männlicher Alkoholismus, all dies wurde als Folge nicht rationaler Lebensweise vor allem der Frauen interpretiert.

Diese hier recht einfach dargestellten soziologiegeschichtlichen Zu­

sammenhänge sollen nicht weiter vertieft werden. Kurz zusammengefaßt:

Für eine Diskussion des Themas »Technologie und Alltag(sleben)« ist eine Beschränkung auf den deutschen soziologischen Stand der Forschung durchaus fruchtbar. Sie scheint sehr rasch zu dem zu führen, was im Kern dieses Thema mitzuschwingen scheint: die Frage der Beständigkeit oder Unbeständigkeit von Kultur und Tradition, des kulturellen Wandels, von Beharrlichkeit oder Widerstand.

Kulturkritik und Alltagsleben

Wie bereits angedeutet, ist in der deutschen Tradition, vielleicht mehr als in allen anderen westlichen Ländern, jede Kritik der Technologie gleich­

zeitig eine der Zukunft unserer Kultur wie auch des Zustands unserer Ge­

sellschaft. Dies gilt um so mehr, wie im Mittelpunkt der sozialwissen­

schaftlichen auch die psychologische Fragestellung »Technologien im All­

tagsleben« steht, und es gilt um so mehr, wie dieses Alltagsleben identifi­

ziert wird mit dem Familienleben. Noch die Soziologen und Philosophen der Frankfurter Schule betrachten das Familienleben als etwas, das eine besondere, eine widerständige Struktur und Logik enthält, anders als die

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Sphäre des Marktes, in der die Technologien erfunden, entwickelt, produ­

ziert und von der aus sie verbreitet werden.

In der deutschen Soziologie wie in der französischen, man kann hier an die Arbeiten von Henri Lefebvre (1977) oder an die von Roland Bar­

thes (1982) denken, werden die vielfältigen Beziehungen zwischen einer Techniksoziologie und einer Kultursoziologie dann augenfällig, wenn es um Alltagsroutinen geht. Diese Koinzidenz legt nahe, daß Kultur - hier in der Bedeutung von »Gesellschaft« - wie auch »Zivilisation« tatsächlich im Spiel ist (vgl. die Arbeiten von Scardigli 1983, 1987; Douglas 1966, 1974;

Joerges 1988), und zwar unabhängig davon, welche Logik in einer Techno­

logie eingebaut ist. D er Zustand, die Besonderheit der jeweiligen Kultur, ihrer Traditionen, die jeweiligen Lebensweisen und Lebenswege werden durch die jeweilige Technologie verkörpert; die jeweilige Kultur hat Ein­

fluß auf den Grad der Verbreitung eines technischen Geräts, sie bestimmt die Technologiepolitik und das Ausmaß, in dem die einzelnen diese Gerä­

te im Alltag akzeptieren. Kultur, Sitten und Traditionen bestimmen die Art und Weise wie auch das Ergebnis des alltäglichen Umgangs mit Tech­

nologien.

Unsere Gesellschaften sind differenzierter geworden. Der eben er­

wähnte Einfluß kultureller Traditionen auf die Aneignung von Technolo­

gien aller Art im Alltag läßt sich dann auch differenzierungstheoretisch fassen (vgl. Simmel 1989b). Gegenüber jedem Technikdeterminismus könnte man behaupten, daß das Ausmaß, in dem Familienmitglieder heu­

te vereinzelte Individuen geworden sind, die, mehr oder weniger gezwun­

gen, oft freiwillig ihr Leben selbst in die Hand nehmen, der Grad also, in dem eine Gesellschaft in diesem Sinne differenziert (individualisiert) wur­

de, die technologischen wie auch - umgekehrt - die kulturellen Folgen des technologischen Wandels bestimmt.

Das kann an einem kleinen Beispiel veranschaulicht werden. Der westdeutschen Gesellschaft gelang es, so etwas wie die Idee der »immobi­

len Frau« zu realisieren. Bei dieser Idee, die Wirklichkeit wurde, handelte es sich um eine Mutter oder eine Ehefrau, die an das Haus gebunden ist, um auf die Kinder und den Ehemann zu warten, wann immer auch diese nach Hause kommen werden. Dieses kulturelle Muster strukturiert die Umgangsweisen mit Technologien in der Familie. Im Unterschied dazu

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wurde in den USA oder in den skandinavischen Ländern auf allgemeiner Ebene, also gleichermaßen für Frauen und Männern, die Idee gefördert, auf eigenen Füßen zu stehen. Alltagstechnologien werden hier eine ande­

re Bedeutung erhalten.

»Kultur«, ein relativ kohärentes, wenn auch sich kontinuierlich verän­

derndes Set von Ideen, Einstellungen, Herangehensweisen, Praktiken und Ritualen, kann also rationale Differenzen im Umgang mit Technologien in den westlichen Gesellschaften erklären (vgl. Scardigli 1987). Warum ha­

ben sich zum Beispiel in der Bundesrepublik seit Beginn der sechziger Jahre in den privaten Haushalten im Durchschnitt zuerst die Fernsehgerä­

te und erst, nachdem diese angeschafft waren, sozusagen nach Art der zweiten Wahl, die Waschmaschinen durchgesetzt (vgl. dazu: Meyer/Schul- ze 1989)? Welche Namen, welche Sauberkeitsstandards, welche Vorstel­

lungen des angemessenen Platzes der Frau mußten sich verändert haben, bevor sich die Waschmaschine als Einzeltechnologie im bundesdeutschen Haushalt durchsetzen konnte (vgl. Hausen 1987)? Es gibt immer mehr Anzeichen dafür, daß die Lohnabhängigen heute bereiter sind als früher, Schichtarbeit anzunehmen. Diese Schichtarbeit werde das vorhandene Muster des Alltagslebens verändern, damit möglicherweise auch den Ein­

zug von noch mehr Haushaltstechnologien fördern. Man könnte also fra­

gen, welcher kulturelle oder soziale Wandel, welcher Wandel in den Ein­

stellungen zur Bedeutung des Familienlebens eingetreten ist und erklären kann, weshalb vielleicht immer mehr Lohnabhängige ihren früheren Wi­

derstand gegen die Schichtarbeit aufgeben und neue Formen der Schicht­

arbeit, wie sie zum Beispiel auch durch die neuen Technologien in der Er­

werbssphäre notwendig werden, akzeptieren. Wiederum ist das erklärende Moment das vorhandene kulturelle Muster und nicht der technologische Fortschritt an sich. Umgekehrt kann man natürlich auch fragen, inwieweit Haushaltstechnologien wiederum das Familienleben derart reorganisie­

ren, daß sie neue kulturelle Änderungen in Gang setzen.

Die neuere Diskussion des Verhältnisses von »Technologie und All­

tagsleben« unterstreicht den Erklärungsgehalt von Kultur.

(19)

»Gute« versus »schlechte« Welt: »Lebenswelt« versus »Alltagsleben«?

Wie »Kultur«, so ist auch der Alltagsbegriff vieldeutig. Oft meint er Ent­

gegengesetztes. Häufig wechseln die Bedeutungen. Aus diesem Grund neigen Soziologen eher dazu, den Alltagsbegriff zu meiden oder ihn nur in engdefinierten Kontexten anzuwenden, zum Beispiel als Alltagswissen (im Unterschied zum professionellen, funktional spezifischen Wissen) oder als

»Alltagspraxis« bzw. »Handlungsfähigkeit im Alltag«. Ähnlich schwierig ist es, den Lebensweltbegriff zu bestimmen. Manchmal wird »Lebenswelt«

mit »Alltagsleben« in eins gesetzt, manchmal wird dieses strikt von der

»Lebenswelt« unterschieden. Der jeweilige Umgang mit den Begriffen hängt davon ab, ob der Lebensweltbegriff in Anlehnung an das Erbe oder in Absetzung vom Erbe der Lebensphilosophie verwendet wird. Dort wur­

de der Lebensweltbegriff manchmal verwendet, um eine gesunde, gute Welt voller Selbstevidenz und natürlicher Praxis zu behaupten. Solch eine Behauptung kann sicher nicht länger aufrechterhalten werden.

In mancher Verwendung verweisen »Alltagsleben« und »Lebenswelt«

auf dasselbe Muster und dieselbe Orientierung des Handelns und der In­

teraktion. Ist dies der Fall, dann stimmen die meisten Autoren darin über­

ein (vgl. Hörning 1988; Joerges 1988b; Weingart 1988), daß das Alltagsle­

ben wie folgt näher bestimmt werden kann:

- Das Alltagshandeln ist un- oder »vor«-differenziert (vgl. dazu die Ar­

beiten von Georg Simmel 1890/1989); die Praktiken des Alltags weisen einen relativ geringen Grad an Formalisierung in einen technischen Sinn auf.

- Oder - nur auf den ersten Blick im Widerspruch dazu - es wird behaup­

tet, daß das Alltagshandeln hochgradig formalisiert ist. Statt »Formali­

sierung« sollte man hier besser von »Ritualisierung« sprechen, von Ri­

tualen, die kontinuierlich die Bedeutung und die Erinnerung daran mit sich tragen, daß Alltagspraktiken in einer Gemeinschaft entstehen, und diese Gemeinschaft durch Alltagspraktiken bzw. durch ihre Rituale zu­

sammengehalten wird. Mary Douglas (1974) zum Beispiel interpretiert den modernen Antiritualismus als eine Tendenz, die ihrer Meinung nach zunehmend vorherrscht, als etwas, das zwangsläufig zu einer eher individualistischen, selbstorientierten und einer weniger an Kollektiven

(20)

orientierten Praxis führen wird. Neue Technologien haben eine entri- tualisierende Tendenz. Da Alltagshandeln aber seiner Bestimmung nach in Ritualen wurzelt und Rituale produziert, kann man davon aus­

gehen, daß mit den neuen Technologien im Alltag auch neue Rituale entstehen werden, sich also zwangsläufig mit der Diffusion neuer Tech­

nologien für den Alltagsgebrauch eine »Re-Ritualisierung« entwickeln wird (vgl. Joerges 1988b, S. 40).

- Alltagshandeln wird häufig auch durch kontrastierende Merkmale ge­

kennzeichnet: zum Beispiel durch »ritualisierte Vernunft« versus »for­

male Rationalität« (vgl. ebenda, S. 41).

Die spezifische Logik von Alltagsleben und Alltagshandeln, so die Kern­

annahme vieler Autoren, weist jede Art von technologischen Determinis­

mus zurück. Stattdessen ist die Alltagskategorie sehr gut geeignet, uner­

wartetes Handeln und divergenten Gebrauch von Technologien zu erklä­

ren. Ingenieure, die Technologien für den Alltagsgebrauch in Alltags- Settings erfinden, müssen in Erfindung und Entwicklung der Geräte die spezifische Logik des Alltags berücksichtigen, wie diffus, kontingent, di­

vergent diese auch sein mag, und ihre Geräte dieser Logik anpassen. Des­

halb sind so viele Geräte im Haushalt auch kinderleicht zu bedienen.

Folgt man der neueren Diskussion zum Verhältnis von Technologie und Alltag, dann werden die Begriffe »Alltag«, »Wissen« und »Praxis« in einer Weise verwendet, daß sie weniger Anähnlichung und Novellierung, sondern Distinktion, Vielfalt, Kontingenz, also eher Widerständigkeit als Affirmation und Entfremdung unterstreichen. Möglicherweise fällt dieser kulturtheoretische Technologiediskurs mit dem postmodernen zusammen.

Das kritische Moment der Alltagsdiskussion, das entfremdungstheore­

tische, ist damit in den Hintergrund gedrängt worden. Von dem »Alltag«

oder vom »Alltäglichen« spricht man im Unterschied zum »Nicht-Alltägli- chen«, dem »Außergewöhnlichen«. Mit dem Alltag verbindet man eigent­

lich auch das banale, die Banalität, meint man all das, was scheinbar unbe­

deutend ist: einfachste Handlungen, Routinen, Gewohntes, zum Beispiel den schlichten Vollzug des Lebens Tag für Tag. Gerade auch aus dieser Perspektive erscheint der Alltag dann oft als falsch, als ohne Höhe- und ohne Tiefpunkte. Technologien schaffen dann die Flachheit des Alltags nicht ab, stellen sie sogar möglicherweise neu her, wenn auch in veränder-

(21)

ter Form. Freizeittechnologien versprechen Zerstreuung, Abwechslung und Kurzweil gegen die Langeweile. Alltag beinhaltet Gewöhnung und Gewohnheit, macht blind und stumpf auch Sachen gegenüber. Was be­

kannt ist, paraphrasiert Henri Lefebvre (1977), ist (noch lange) nicht er­

kannt; dies gilt für das Alltagsleben wie für die Menschen und Sachen, mit denen man im Alltag zu tun hat. Dies gilt vielleicht weniger für die techni­

schen Regeln: Man muß ein Minimum beherrschen, um Maschinen bedie­

nen zu können. Damit sind aber die sozialen Regeln bei Verbreitung und Anwendung der Geräte längst nicht erfaßt.

Die Art und Weise, wie die Technologie angeeignet wird, ist wiederum abhängig davon, wie der Alltag erlebt wird. Widersprüche, Konflikte, Ent­

fremdung, für manche Autoren konstitutiv für den Alltag in einer moder­

nen arbeitsteiligen Tauschgesellschaft, bestimmen mit dem Alltag auch den alltäglichen Umgang mit Sachen wie mit Menschen. Je beschränkter der Alltag, je mehr Zwänge es gibt, desto weniger Aneignung ist möglich bzw. um so eher erhalten auch die alltäglichen Sachen Bedeutungen für die Menschen, mit denen diese dann versuchen, ihre Beschränktheit we­

nigstens ins Imaginäre zu überschreiten. Ulrike Prokop (1976) untersucht dies an der Beschränktheit des Frauenalltags und den wie immer auch un­

angemessenen Versuchen (Imaginationen zum Beispiel) von Frauen, die­

se Beschränktheit zu überschreiten. Manche Frauen, vor allem arme, ver­

suchen sich für die Enge und Statik ihrer Lebensweise zu entschädigen, in­

dem sie sich demonstrativ auf die Alltagsroutine fixieren, die sie hassen und aus der sie gleichzeitig identitätsstiftende Elemente zu gewinnen su­

chen (vgl. ebenda, S. 112). Auf diese Weise produziert die eigene Wasch­

maschine mehr und anderes als saubere Wäsche. Henri Lefebvre spricht vom »gesellschaftlichen imaginären« Ende, das ist in Anschluß an Sartre eine abwesende Realität, die sich eben gerade in ihrer Abwesenheit in dem kundtut, was dieser »Analogon« Ende nennt, das heißt in einem Ob­

jekt, das als Analogieträger dient und von einer Intension durchdrungen wird. Wenn auf die Waschmaschine und die Stapel frischer Wäsche oder auf das Auto Wünsche projiziert werden, zum Beispiel Wünsche nach Macht, Anerkennung und Selbstwert, so hängt dies mit der Beschränkt­

heit der realen Handlungsmöglichkeiten zusammen (vgl. ebenda, S. 213, Anm. 93).

(22)

An solchen Gedanken scheiden sich die wissenschaftlichen Geister.

Technologien im Alltag, sagen die einen, setzen seine Beschränktheit fort, entfremden die Menschen weiter von sich und den anderen und vervielfa­

chen möglicherweise diese Entfremdung und Verblendung oft auf qualita­

tiv neuer Ebene. Die Apparate haben dann in erster Linie der Produktion von Kultwerten zu dienen (vgl. Benjamin 1977). Die Wirklichkeit der Sa­

chen erscheint nicht mehr als gemachte und veränderbare, sondern als na­

türliche, die sich von selbst versteht (vgl. Barthes 1982). Das ist ihr Imago.

Andere Wissenschaftler oder Politiker wiederum sehen in der immer rascheren Vermehrung von Technologien für jedermanns und jeder Frau Gebrauch überhaupt erst den Ansatz, um aus der Beschränktheit der Al­

lerweltskultur der Alltagswelt aussteigen und sich so individualisieren zu können (vgl. zum Beispiel Eckert/W inter 1987).

Die Wirkungen von Technologien im Alltag sind ungewiß und immer noch relativ unbekannt. Mehrdeutigkeit, Ungewißheit, Kontingenz sind trotz aller Ritualisierung im Alltag angelegt. Deshalb unterscheiden sich Wirkungen und Anwendung von denen, die von den Herstellern, von Marketing und Politik absichtsvoll oder unbeabsichtigt im Gerät und in seinen Logiken inkorpuriert worden sind. Dieses mangelnde Wissen um Zusammenhänge erklärt das Interesse von Wissenschaft und Politik an Technologien im Alltag, vor allem, wenn im »Alltag« mehr und anderes ist als der relativ überschau- und planbare Erwerbsbereich.

Im folgenden sollen sehr knapp Forschungsergebnisse zu den einzel­

nen, oben aufgelisteten Gegenstandsbereichen referiert werden. Und die Abfolge der Bereiche ist pragmatisch. Zunächst werden die Arbeiten ver­

sammelt, die eher unspezifisch und allgemein mögliche Zusammenhänge zwischen Technologie einerseits und Kultur und Persönlichkeit anderer­

seits diskutieren und dabei eine gesellschaftstheoretische Bewertung vor­

nehmen. Die nachfolgenden Schwerpunkte sind spezifischer, teils auch konkreter. Ordnendes Prinzip der Darstellung ist die Frage nach einer möglichen, die referierte Forschung leitenden Kontroverse.

(23)

Entweder-Oder Weder-Noch-Diskurse und andere Kontroversen zum Verhältnis von Technologie und Alltag: Die Kulturdebatte

Man kann durchaus behaupten, daß die deutsche Diskussion des Verhält­

nisses von Technologie und Alltag mehr oder weniger explizit einer Linie folgt, die mit »Kulturpessimismus« versus »Kulturoptimismus« umschrie­

ben werden kann.

Die Pessimisten in der Diskussion teilen sich wiederum in die Grup­

pen derer, die in der Technik den Schuldigen für alles Übel sehen, und die der anderen, für die die Art der technologischen Entwicklung nur ein In­

diz mehr für den allgemeinen, zu kritisierenden gesellschaftlichen Zu­

stand ist. Man könnte diese Gruppe also unterteilen in die konservativen und in die kritischen Kulturpessimisten. Das kulturkritische pessimistische Moment tritt um so mehr hervor, wenn das Thema eher auf einer allge­

meinen und diffusen Ebene abgehandelt wird.

So könnte man durchaus Adornos (1951/1985) Notizen und die Ar­

beiten seines Schülers Oevermann (1983) unter die Rubrik eines »kriti­

schen Kulturpessimismus« fassen. Der technologische Wandel und die Art und Weise, in der Technologien eingesetzt und angewendet werden, zeigt an, in welchem Zustand sich moderne kapitalistische Gesellschaften befin­

den. Für Adorno zum Beispiel verliert selbst die Art und Weise, in der eine Tür geschlossen wird, ihre Unschuld (sein Beispiel weist darauf hin, daß dem Zuwerfen der Tür eines Autos oder der eines Kühlschranks die Art und Weise der Konstruktion ihrer jeweiligen Türgriffe vorausgeht).

Jedes kleine, jedes noch so winzige Fragment einer Alltagstechnologie und -praxis vermittelt Einsichten, nicht nur in die Art und Weise, mit der moderne Menschen mit Dingen umgehen, sondern auch mit sich selbst, und schließlich mit anderen. Darauf weist auch Henri Lefebvre hin. In einer feinsinnigen dialektischen Analyse entwickelt Oevermann die inzwi­

schen vielfältig vermittelten, immer subtileren entfremdenden Effekte von Fernsehprogrammen und kann dadurch erklären, weshalb inzwischen die fiktive Welt des Fernsehens zur Wirklichkeit und die Wirklichkeit immer mehr zur Fiktion und zum Medienereignis geworden ist.

Nicht nur kritische Soziologen, zum Beispiel solche der Frankfurter Schule, neigen dazu, die Wirkungen der Technologien im umfassenderen

(24)

Kontext eines unaufhörlichen Prozesses moderner Gesellschaften zu dis­

kutieren, durch den Individuen ihre bislang noch stabile Einbettung in Fa­

milien oder Gemeinschaften weiter verlieren und gezwungen werden, mehr und mehr vereinzelt auf ihre eigene Faust zu leben (vgl. für die USA: Bellah u. a. 1985; für die Bundesrepublik: Beck 1986). Technologien wie das Auto, darin sind sich alle einig, begünstigen und beschleunigen den gesellschaftlichen Differenzierungs- und Individualisierungsprozeß, sie verallgemeinern und differenzieren auf neue. Das Auto mag alltäglich geworden sein und an Faszination verlieren (vgl. Sachs 1984), es hilft aber immer noch hervorragend, Milieus, milieuspezifische Stile, also Lebenssti­

le, weiter herauszudifferenzieren und wieder zu verallgemeinern.

Es gibt auch entgegengesetzte Diskurse. Vereinzelung und vereinzeln­

de soziale Trends ermöglichen anderen zufolge überhaupt erst die Entste­

hung neuer Lebensformen und neuer Bedeutungen von »Geselligkeit«.

Diese neue Geselligkeit und der dazugehörige Prozeß der Vergesellung sind dann modern und nicht mehr traditional. Neue Technologien und ih­

re fast universelle Bereitstellung helfen also in dieser Perspektive, eine neue soziale, das heißt hier eine neue gesellige Gesellschaft zu schaffen und zu gestalten. Deshalb sehen die »Optimisten« in der massenhaften Verbreitung von Technologien aller Art auch keinen Grund zum Besorgt­

sein. Sie zwingen geradezu zu individuellen Selektionen. Die Wahlmög­

lichkeiten steigen ins Unermeßliche, entsprechend vielfältig seien die Se­

lektionen und die sozialen Differenzierungen, die sich aus diesen Selek­

tionsentscheidungen ergeben. In dieser Version ermöglichen Technolo­

gien überhaupt erst die Pluralisierung von Lebenswelten und von »Indivi­

dualitätsmustern«, Vielfalt also in diesem Sinn, Vielfalt vor allem dann von Nachfragemärkten. Letztere bewirken wiederum eine Tendenz zu zu­

sätzlichen Produktdifferenzierungen und -erweiterungen.

Die Antworten auf Fragen der Wünschbarkeit oder der Sozialverträg­

lichkeit, Fragen auch der Lebensqualität sowie Ergebnisse zum Thema Technikakzeptanz fallen verschieden aus, je nach dem, welcher Stand­

punkt gewählt wird: der pessimistische oder der optimistische, den man den des »Optionserweiterungsoptimismus’« nennen könnte. Letzterer un­

terstellt freien Zugang zu Märkten und Informationen über Märkte für al­

le, also Markt- wie auch Produkttransparenz.

(25)

Kulturpessimistisch mag auch die Diskussion um die »Entschriftli- chung unserer Kultur« durch die neuen Medien angelegt sein. Schriftlich­

keit ist in der modernen Welt zu einer wesentlichen Voraussetzung von Moral in universeller Perspektive geworden. Jede Kritik an gesellschaftli­

chen Verhältnissen kann ohne interaktive Medien, also »Medien, die die Chance des Zwischenrufs gewähren (vor allem Zeitungen und Flugblät­

ter)«, nicht existieren (vgl. Elwert/Giesecke 1987, S. 423).

Ethische Probleme stellen sich unausweichlich in dem Maße, wie tech­

nische Fortschritte nun die menschliche Natur unmittelbar in den Bereich des Mach- und Rekonstruierbaren rücken (van den Daele 1986). Zur Lö­

sung dieser ethischen Probleme werde, so van den Daele, häufig Zuflucht bei einer Norm der »Natürlichkeit« gesucht. Der Status solch einer Norm bleibe aber recht prekär. Und die Kritik an der Anthropomorphic, der Menschenangleichung in der Computerdiskussion, versucht, eine Grenze zwischen Mensch und totem Ding, seinem Produkt, zu ziehen. Vieles an der ethischen und an der Anthropomorphiedebatte mag typisch deutsch sein. Dies mag vor allem für den Rekurs auf »Natur« gelten. Hier schwingt oft die Idee einer quasi noch unschuldigen und unberührten Na­

tur mit. Möglicherweise hat diese Idee inzwischen den Platz der »Kultur«

eingenommen.

In der fortgeschrittensten Diskussion zum Verhältnis von »Technolo­

gien und Alltag« versucht man, diese Entgegensetzungen zu überwinden.

Indem die alten Polarisierungen kritisiert werden, produziert so mancher soziologische Text oft auch neue. So kann man zum Beispiel, was die Art und Weise der Technikanwendung im Alltag betrifft, folgende Gegen­

überstellungen ausmachen (vgl. zum Beispiel Joerges 1988a):

- »einsinnig« versus »eigensinnig«

- »universal« versus »distinkt«

- oder »eindeutig« versus »mehrdeutig«.

Wenn es darum geht, gesellschaftliche Veränderungen, die mit dem tech­

nologischen Wandel einhergehen, zu beschreiben, dann sprechen Soziolo­

gen auch manchmal von

- einer »kulturellen Universalisierung« oder von einer »Nivellierung«

versus einer »kulturellen Diversifikation« bzw. »Pluralisierung«; diese

(26)

Pluralisierung soll eine Vielfalt unterschiedlicher Aneignungsweisen und damit verbunden eine Vielfalt von Lebensweisen auf dem Hinter­

grund von Technologieaneignung erklären.

Weitere Unterscheidung in der Beschreibung der Technikaneignung ist die einer

- »Formalisierung« bzw. einer »Wiederstandardisierung«; hier kann nochmals an das erinnert werden, was weiter oben zur reritualisieren- den Wirkung neuer Technologien gesagt wurde.

Jeder dieser Gegenüberstellungen enthält eine Entweder-oder-Frage. Eig­

nen sich die Menschen die Technologien im Alltag in einer unerwarteten, divergenten, ja sogar in einer subversiven Weise an? Gelingt es ihnen un­

ter Umständen vielleicht sogar, durch diese Aneignung einem sozialen Trend der Assimilierung von Lebensstilen zu entkommen? Ist die Techno­

logie in diesem Versuch eine intervenierende oder eine determinierende Variable?

Ich habe vorher schon darauf hingewiesen, daß die fortgeschritteneren Konzepte versuchen, einem polarisierenden Entweder-oder-Argument zu entkommen. Die Ansätze unterscheiden sich dann auch in dem Ausmaß, in dem ihnen dies gelingt. Einige dieser Autoren sind in dem Band von Joerges (1988) versammelt. In diesem lassen sich wenigstens vier unter­

schiedliche Diskurse herauslesen. So geht Joerges (vgl. auch 1987) davon aus, daß die Logik industrieller Technisierung zwangsläufig auf die Tech­

nisierung alltäglicher Lebensformen überspringen muß, weil es dieselben Menschen sind, die in den Kernsystemen agieren, und die auch ihre Le­

bensformen mehr oder weniger freiwillig nach dem Bild dieser Systeme umgestalten. Hörning (1987, 1988) kritisiert diese These: Zwar habe der Alltag dem Eindringen technologischer Rationalität nicht viel entgegenzu­

setzen, dennoch sei er überkomplex, weil nicht völlig formalisierbar. Da­

her komme es zu Spielräumen der Nutzung von Sachen. Weingart (1987, 1988) wiederum rückt die Verwendungszusammenhänge von Technik, professionalisierte versus alltägliche, in den Vordergrund und weist damit die technotome Vorstellung zurück, daß harte Technik auf weiche soziale Handlungsmuster treffe. Sachen für den Alltagsgebrauch passen sich der Logik des Alltagshandelns an. Rammert (1987, 1988) untersucht zunächst den Wandel des Alltagslebens selbst: hin zu einem konsumeristischen Pa­

(27)

radigma. Zwar können weder die Werbung noch die Angebotsmacht die Entscheidungssouveränität der Konsumenten und deren eigensinnige An­

eignung von Sachen überspielen. Aber gerade der Gewöhnungseffekt im täglichen Umgang mit Geräten verstärkt die technologische Mentalität und generalisierte Akzeptanz neuer Techniken.

Technologie und Sozialisation

Die Debatte hier dreht sich vor allem um die Auswirkungen von Fernseh­

programmen auf Kinder. So manche Kontroverse dreht sich um den Punkt, inwieweit die Familie noch als Kosmos (vgl. Tyrell 1987) gesehen werden kann. Das Ausmaß dieses Zusammenhanges und nicht unmittel­

bar das Fernsehprogramm selbst entscheidet über die Wirkungen des Fernsehens auf den Sozialisationsprozeß. Die Sozialisationswirkung von Technologien ist also eingebettet in den Sozialisationsprozeß der Familie, des Kindergartens und der Schule, später der Gleichaltrigengruppe und von deren Sozialisationspotential abhängig. Der Einfluß der Familie auf die Aneignung von neuen Techniken ist um so größer, je mehr es ihr ge­

lingt, eine Eigenstruktur und einen Eigensinn herzustellen und zu bewah­

ren. Tyrell spricht vom Kosmisierungspotential der Familie, ihrer Fähig­

keit zur Grenzziehung nach außen. Wie die Optionsoptimisten verweist auch Tyrell auf unterschiedliche Fernsehnutzungsmuster entsprechend dem jeweiligen familialen Eigensinn.

Auf der anderen Seite hat sich die Familie zunehmend individuali­

siert. Man kann diesen Prozeß als einen beschreiben, der seinen Aus­

gangspunkt nimmt in der Familie als Einheit, als Individuum, das mit einer Stimme spricht, und zu vereinzelten Individuen in kontingenten Fa­

milien und Haushaltszusammenhängen führt. In diesen Prozeß wurden Frauen und Kinder in Familien mehr und mehr individualisiert und zu eigenständigen, getrennten Persönlichkeiten mit berechtigten Ansprüchen an die jeweils anderen Familienmitglieder. Ebenso wurden die vormals getrennten Sphären, hier Familie, dort der Arbeitsplatz; hier Frauen, dort Männer; hier das Weibliche, dort das Männliche weiter aufgelöst. Er hat zu einer Vielfalt und Vervielfältigung von Individuen geführt, die sich in

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einer Welt mit zunehmend verschwimmenden Grenzen bewegen. Damit werden auch die Identitäten brüchiger. Georg Simmel (vgl. 1989; dazu Frisby 1984) hat diesen Prozeß sozialer Differenzierung als Individualisie­

rung vor etwa hundert Jahren minutiös herausgearbeitet. Er mag eines Tages dahin führen, daß die Gesellschaft aus individuellen Einzelnen jen­

seits fast jeder Bestimmung besteht. Vervielfältigung von Lebensstilen und Novellierung der jeweiligen besonderen Bestimmtheit können so Hand in Hand gehen. In jeder Familie beansprucht nun jedes vereinzelte Individuum seinen eigenen Fernseher in seinem eigenen Raum. Der Kos­

mos »Familie« wird aufgelöst bzw. seine Herstellung zur unendlichen, dem flüchtigen ausgesetzten Anstrengung.

Alle haben gleichen Zugang zu den Medien. Optimisten behaupten, die verschiedenen sozialen Gruppen können dadurch dazulernen und ihr Verhaltensrepertoire erweitern. Oft sorgen aber die Medieninhalte für ge- schlechts- wie milieuspezifische Stereotype, in denen zum Beispiel Mäd­

chen und Frauen als die inszeniert werden, die den kürzeren ziehen. Ver­

einzelt vor dem eigenen Fernseher können Jugendliche in eine standardi­

sierende Jugend eingeführt werden. Jugend als Phase der Erprobung un­

terschiedlicher, eigenwilliger Verhaltensstile mag dadurch verschwinden.

Frauen und Technik

Die unterschiedlichsten, wiederum kontroversen Debatten bestimmen dieses Feld. Die Folgen neuer Technologien auf die Frauenerwerbsarbeit, Fragen der Bildung und Ausbildung, bis hin zu der allgemeineren, inwie­

weit man von einem spezifisch weiblichen Umgang mit Technologien sprechen kann, und viele, ebenso kontrastierende Antworten, schließlich auch diejenigen einer eminent politischen und emotionalen Diskussion zu den Folgen neuer Reproduktionstechnologien fallen unter diese Rubrik.

Geräte und Regeln, die entscheiden, wer sie wann, wie und wozu ver­

wenden darf, eine derart sachvermittelte Arbeitsteilung also, haben immer schon geholfen, Geschlechtsidentitäten herzustellen. Der Einsatz neuer Technologien in Erwerbsarbeit und im Haushalt kann die Trennung von ungleichwertigen Frauen- und Männerbereichen weiter verschärfen. Die

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feministische Technikkritik ist also ein Ansatz, der die Ausgrenzung und Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft erklären hilft. Ger­

traude Krell (1984) interpretiert dies als Folge einer entfremdenden Ten­

denz, die alles Lebendige der instrumentellen Vernunft zu unterwerfen versucht. Weil Weiblichkeit Lebendigkeit symbolisiere, der Arbeitswissen­

schaftler wie auch der Ingenieur aber unfähig sind, lebendig zu gebären, in der Maschine-Mensch-Konstruktion Lebendigkeit ein- und überholen will; wenn außerdem Maßstab der Mensch-Maschine der Mann ist, die Frau daher bestenfalls zwei Drittel Mann-Maschine, bleiben Frauen aus der Technikentwicklung ausgeblendet. Auf die Spitze getrieben zerstört jedoch die feministische Technikkritik ihre eigene Basis. Mit der techni­

schen Vernunft gerät jede Vernunft in Gefahr, diskreditiert zu werden.

Gerade auch in diesem Bereich scheinen sich unter der Hand zwei Standpunkte unversöhnlich gegenüberzustehen. Es sind die Männer als soziale Kategorie, die Technik mit Macht assoziieren und daher kein ver­

nünftiges Verhältnis zur Technik entwickeln, so häufig die feministische Kritik. Spätestens wenn die Maschine kaputt geht, werden auch weibliche Technikmystifikationen sichtbar, mit der Folge, daß Frauen gegenüber Geräten handlungsunfähig werden, diese ebenfalls mystifizieren, während Männer in der Lage seien, sich auf kaputte Maschinen pragmatisch zu be­

ziehen (vgl. Lenk 1982, Ropohl 1985).

Die Naturwissenschaftlerin Evelyn Fox Keller (1986) versucht, den Umgang von Frauen mit Technik durch die größere Nähe von M ännern/

Söhnen zu Beherrschung und Abgrenzung (von der Mutter), die der Frauen/Töchter zu Unterwerfung, Vernetzung und Anhänglichkeit durch die jeweils unterschiedlichen Objektbeziehungen in einem Sozialisations­

prozeß zu erklären, in dem Mütter dominant und Väter weitgehend un­

sichtbar bleiben. Ihr zufolge kann dies für Frauen zu einer Quelle werden, aus der sie Kraft zur Neudefinition von Wissenschaft und Technik schöp­

fen. Entsprechend bedarf es weiblicher Zugangsweisen zum Computer.

Andererseits werden im Ansatz von Fox Keller weibliche und männliche Identifikation, in der Folge dann auch Sphären entgegengesetzt und ge­

geneinander ausgespielt. So einfach werden Töchter nicht zu Frauen wie ihre Mütter. Die Lust am Anderen, am Fremden, an der Differenz, Neu­

(30)

gier ganz allgemein, zum Beispiel an der Technik, kommt in diesen femi­

nistischen Ansätzen nicht vor.

Die Mehrheit der soziologischen Untersuchungen zum Verhältnis von

»Technik und Alltag« erwähnt nicht einmal, daß es meistens Frauen sind, die technische Geräte in privaten Haushalten anwenden und so tatsäch­

lich zu den Trägern dessen werden, was in den so feinsinnigen Analysen als subversive und divergente, als eigensinnige Aneignung beschrieben wurde. Dies führt über zum nächsten Punkt.

Technologie im Haushalt

Auch dieser Schwerpunkt vereinigt heterogene Themen. Mal steht der Haushalt, seine Organisation, wie sie durch Geräte beeinflußt werden, im Vordergrund. Dann aber auch die Frage, inwieweit Technologien tatsäch­

lich Frauen im Haushalt und vom Haushalt befreien: Entfremden Tech­

nologien möglicherweise Frauen von dem, was man seit Jahrzehnten als den ihnen angemessenen Platz behauptet hat? Fördern Techniken im Haushalt die Scheidung, oder die Bereitschaft von Frauen, das Haus zu verlassen, um erwerbstätig zu werden? Bringen sie den Frauen mehr oder weniger Arbeit (vgl. Cowan 1983)? Und wie verändern sie die Logik der Hausarbeit, der Tätigkeit? Wie beeinflussen sie die Geschlechtsrollen und die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau?

Die Optionsoptimierungsoptimisten verweisen hier auf den Zuwachs an neuen Möglichkeiten, die nun auch im Alltagshandeln im Haushalt re­

alisiert werden können. In vielen feministischen Analysen dagegen herrscht Einstimmung darüber, daß gerade im privaten Haushalt der tech­

nische Fortschritt sehr schnell zu dem Punkt kommt, wo die Kosten den Nutzen übersteigen. Dies gilt auch im übertragenen Sinn. Sie verschärfen die Abschottung von Männer- und Frauenbereichen sowohl im Hause als auch außerhalb dessen.

Die These vom Zuwachs an Handlungsmöglichkeiten - gerade für Frauen - ist es wert, weiter verfolgt zu werden. Innovationen erfolgen im Haushalt erst mit langer Verzögerung. Häufig werden die funktionalen Vorlösungen nicht völlig verdrängt (vgl. Linde 1982). Dies mag auch an

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der Eigenart der Sachen liegen, Massengeräte für massenhaften Gebrauch für jedermanns, jederfraus Alltagsbedarf zu sein. Technikanwendung im Haushalt ist eingebettet in einen Zusammenhang, in dem Fragen der technischen Effizienz, der Zeit- und Kostenökonomie nur eine unterge­

ordnete Rolle spielen. Das Gerät, selbst ein Schnürsenkel, hat eine wichti­

ge Bedeutung, die über den konkreten technischen Vollzug hinausgeht.

Schuhe-zubinden-können war eine Voraussetzung für das kindliche Leben ohne Mutter, ohne Hilfe, zugleich ein Ausdruck von Geschicklichkeit in einem gar nicht so simplen Vorgang. Schnürsenkel werden heute im All­

tag durch Klettverschlüsse abgelöst. Sie haben im Alltagshandeln zwischen Mutter und Kind das gemeinsame Einüben von Selbständigwerden und Ablösen in diesem Fall überflüssig gemacht. Vielleicht wurden neue Übungsfelder aufgetan.

Dieses kleine Beispiel soll darauf hinweisen, wie sehr im abgeschiede­

nen Alltag des Haushalts kulturelle Faktoren überwiegen. Überwiegen und jedweden Umgang mit und Einsatz von Geräten bestimmen. Nur durch diesen Rekurs auf Kultur, Tradition, die Logik des Alltagshandelns, kann man erklären, warum eben zum Beispiel auch die Einführung von Mikrowellen im Haushalt nur sehr zögerlich erfolgt, obwohl es wohl in keinem westlichen Land eine derart vollständige und teure Küchenaus­

stattung gibt.

Die bundesdeutsche Küchenausstattung, die Bereitschaft von Frauen, Geräte zu akzeptieren, der Konservatismus im deutschen Haushalt, das heißt die immer noch sehr hohe Eigenarbeit und das geringere Interesse, sich mit Gütern und Diensten aller Art vom Markt zu versorgen, spiegelt ein Stück bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte.

Erinnern wir uns zurück. Nach 1945 ging es darum, eine Familie auf­

zubauen, die weder die Erinnerung an das Dritte Reich trug noch der ent­

stehenden in der DDR glich. In diesem Balanceakt setzte sich eine Struk­

tur im familialen Haushalt durch, in der vor allem Männer vollzeitig er­

werbstätig waren und bis heute noch sind, während Frauen zumindest der Idee nach im Hause auf die Heimkehrenden warteten und bis heute, be­

achtet man die Kindergarten-, Schul- und Ladenschlußzeiten, immer noch warten. Die technologische Ausstattung des bundesdeutschen Haushalts spiegelt diese Tendenz, Frauen in ihrem Heim anzubinden. Schließlich

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