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Werner Rammert

1. Einleitung

Wir sind es gewohnt, Technik eng mit der Eigenschaft »materiell«1 zu as­

soziieren. Technik, das sind auf den ersten Blick die Werkzeuge, Geräte, Maschinen und Anlagen, welche die Fabriken, Büros, Städte, Landschaf­

ten und Haushalte bevölkern. Vergleicht man beispielsweise eine Manu­

faktur des 18. Jahrhunderts mit einer Fabrik von heute, wird die Zunahme der technischen Ausstattung, die materielle Verdichtung des Produktions­

geschehens, offensichtlich.

Es scheint keine Frage zu sein, daß der Wandel der Arbeits- und Sozi­

alverhältnisse eng an die Veränderungen der Technik gebunden ist. Karl Marx hat diese Beziehung auf die Formel gebracht: Wenn die Handmühle

»eine Gesellschaft mit Feudalherren« ergibt, dann ergibt die Dampfmühle

»eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten« (Marx 1972, S. 130).

Ohne einen strengen Determinismus zu implizieren, wird in eher »ma­

terialistischen« Ansätzen eine geradlinige Verbindung zwischen den mate­

riellen Artefakten und den sozialen Verhaltensweisen, den technischen Systemen und den sozialen Organisationsformen, unterstellt, etwa nach dem Muster: Ein Fließband ergibt eine disziplinierte und entqualifizierte Arbeitskooperation, oder ein Atomkraftwerk ergibt einen autoritären und kontrollierenden »Atomstaat«.

1 In seiner Konzeption für die Ausstellung »Die Immaterialien« identifiziert Jean- Francois Lyotard »les materiels« mit den Apparaten in Beruf und Haushalt (Lyo­

tard u. a. 1985, S. 10). In der deutschen Tradition wird von Sachen der Kategorie

»Gerät« (Linde 1972, S. 12) und von »gegenständlichen Artefakten« (Ropohl 1979, S. 43) gesprochen.

Ob sich dieses Band auf das Alltagsleben einfach verlängern läßt, zu welchen Ergebnissen und zu welchen Verschlingungen es führt, soll im zweiten Abschnitt näher untersucht werden.

Technik war bisher nur als fertiges Produkt, als sachliches Artefakt, in den Blick gekommen. Es scheint jedoch fraglich zu sein, ob wir aus der stofflichen Gestalt allein ihren sozialen Charakter erschließen können.

Ein zufällig zersplitterter Stein oder seine einmalige Benutzung, um den Bauch eines Beuteltieres aufzuschlitzen, machen daraus zum Beispiel noch kein Messer. Erst wenn die Archäologen nachgewiesen haben, daß die Steinsplitter zweckbezogen erzeugt und diese dauerhaft und verbreitet in dieser Funktion benutzt worden sind, können sie von einem Werkzeug der Steinzeitgesellschaft reden (vgl. Leroi-Gourhan 1980, S. 120 ff.).

Das soziale Wesen der Technik erschließt sich weniger aus dem Pro­

dukt als vielmehr aus dem Prozeß. Es geht nicht um materielle Technik, sondern um immaterielle Schemata der Technisierung (vgl. Husserl 1982, S. 49 ff., Blumenberg 1981, S. 10,16). Das Material speichert nur den Ent­

wurf für eine Technisierung, während der technische Entwurf dem Mate­

rial seine stofflich zweckmäßige und sozial zweckhafte Form verleiht.

Ein solcher Begriff der Technisierung hält sich für verschiedene Mate­

rialitäten offen, nicht nur für Sachen, sondern auch für Handlungen und Symbole, die zu unterschiedlichen technischen Gebilden verkoppelt wer­

den können (Rammert 1989, S. 152 ff.).

Die Beziehungen zwischen diesem Technikbegriff und dem Alltagsle­

ben sind vielfältiger und verschlungener. Im Umgang mit der Technik können sich unterschiedliche Sinngebungen ergänzen oder kreuzen. Für die Genese neuer Techniken ist mit rivalisierenden Technikentwürfen zu rechnen. Und für einige neue Techniken kehrt sich die Beziehung inso­

fern um, als sie ihre Wurzeln in den Technisierungen des Alltagslebens finden und nicht in den mechanischen Maschinen der Industrie und den deduktiven Systemen der Naturwissenschaften. Diesen verschlungenen Pfaden wird im dritten Abschnitt nachgegangen.

Die »materialistischen« Auffassungen der Beziehung zwischen Tech­

nik und Alltagsleben betonen die Abhängigkeiten, verlängern sie von der Fabrik bis in die Haushalte und das private Leben hinein (zugespitzt bei Joerges 1987, vgl. auch Biervert/Monse 1988). Die These vom Arbeiter als

»Anhängsel der Maschinerie« wird zur »Kolonisierung der Lebenswelt«

unter die technisch-funktionalen Imperative des Industriesystems und zur Peripherisierung des Individuums gegenüber großtechnischen Systemen ausgeweitet (vgl. u. a. Holling/Kempin 1989, S. 15).

Demgegenüber neigen »kulturalistische« Auffassungen eher zur Ak­

zentuierung der vielfältigen Kultivierungs- und Aneignungsmöglichkeiten von Techniken (vgl. u. a. Hörning 1987, Rammert 1987, Diskowski/

Harms/Preissing 1989). Sie laufen Gefahr, den besonderen Charakter der Technik als Symbol gegenüber anderen Trägern aus den Augen zu verlie­

ren. Aus ihrer beliebigen semantischen Rahmung kann nicht auf eine grenzenlose soziale Gestaltbarkeit geschlossen werden.2

Wie kann man dem materiellen Charakter von Techniken theoretisch gerecht werden und die Technik gleichzeitig für vielfältige kulturelle Aus­

drucksformen offenhalten? Um diese beiden Positionen zu vereinen, wer­

den im vierten Teil anthropologische (McLuhan 1968) und soziologische Medienkonzepte (Luhmann 1984, 1986) vorgestellt, um sie zu einer »me­

dientheoretischen« Technikauffassung zu verbinden.3

2. Technik als sachliches Artefakt: Die materiellen Bande zwischen Technik und Alltagsleben

Das schon oben angesprochene theoretische Muster von Karl Marx bleibt für viele neuere Ansätze prägend: Die Beziehung zwischen Technik und Alltagsleben wird analog zum Zusammenhang von Technik und Produk­

tionssystemen konzeptualisiert. Auf der Ebene des individuellen Alltags­

handelns - darunter fassen wir alle Handlungssituationen, die nicht formal organisiert sind - ergeben sich verschiedene Verknüpfungen:

Erstens wird das Alltagsleben indirekt durch die strukturellen Vorga­

ben der industriellen Produktionstechnik berührt. Die räumliche Tren­

2 Vgl. auch die Warnung von Burkart Lutz (1989, S. 77-79) vor den Grenzen der »An­

eignungsperspektive«.

3 Diese medientheoretische Auffassung sollte nicht mit der etablierten Theorie der Massenmedien und der Massenkommunikation verwechselt werden (vgl. Rammert 1989b).

nung von Produktions- und Wohnstätten, die zeitliche Scheidung von Ar­

beitszeit und Freizeit und die Ausstattung der Privathaushalte mit Geld­

einkommen haben die Grundlage für die »moderne« Form des Alltagsle­

bens gelegt.

Zweitens werden mittels neuer Produktionstechniken Nahrungsmittel und kurzlebige Gebrauchsgüter massenhaft als industrielle Fertigprodukte hergestellt, wodurch die Subsistenzweise vieler Haushalte und die Kon­

sumgewohnheiten verändert werden (vgl. Lutz 1984).

Drittens wirkt sich die Massenproduktion langlebiger und investiver Konsumgüter, wie Kühltruhen, Mikrowellenherde, Waschmaschinen, aber auch Autos usw., auf Eigenproduktion, Arbeitsteilung und Lebensstil der Haushalte aus (vgl. Gershuny 1983).

Viertens bedingt der Anschluß an technische Netze der Versorgung, zum Beispiel mit Energie, aber auch der Entsorgung von Abfall, eine zu­

nehmende Abhängigkeit des einzelnen vom Funktionieren dieser techni­

schen Infrastruktursysteme (vgl. Braun/Joerges in diesem Band). Die Net­

ze der Kommunikations- und Nachrichtentechnik verringern außerdem die privaten Rückzugsmöglichkeiten und strukturieren die Zeitschemata des Alltagslebens.

Die Analogie von technisch bedingter »Produktionsweise« und tech­

nisch bedingter »Lebensweise« scheint offensichtlich zu sein: Die indu­

strielle Technik schafft nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern liefert mit ihren technischen Produkten, mit ihren technischen Verfahren und mit ihren technischen Vernetzungen auch noch das Material für den Um­

bau des Alltagslebens.

Aus einer solchen Analogie wird häufig auf eine mehr oder weniger stark determinierende Beziehung von der Technik auf das Alltagsleben geschlossen. Ein strenger Determinismus wird unterstellt, wenn bestimmte sachliche Artefakte ein neues Verhalten erzwingen oder den einzelnen in nur schwer oder kostspielig hintergehbare Abhängigkeiten bringen. Wer ein Auto erwirbt, muß die Fahrkompetenz erlernen; wer ein Telefon in der Wohnung anschließen läßt, kann lästige Anrufe nicht unterbinden, oder wer eine Elektroheizung installiert, ist auf das Funktionieren der Stromversorgung vollständig angewiesen.

Von diesen »Sachzwängen« lassen sich weichere Formen des Drucks auf eine Veränderung des Verhaltens unterscheiden. Sie entstehen da­

durch, daß ein effektives und kostensparendes Nutzen der technischen Ar­

tefakte bestimmte der Technik angepaßte Verhaltensweisen nahelegt.

Durch die Aneignung von Sachen werden die Eigentümer, ihr Vermögen, ihre Interessen und ihre Erfolgschancen »auf eine der Sache inhärente Zweck-Mittel-Kombination auf Zeit festgelegt« (Linde 1972, S. 68).

In diese Richtung zielen auch diejenigen theoretischen Ansätze, die eine Mechanisierung und Ökonomisierung des Alltagslebens nach dem Muster der industrie-kapitalistischen Rationalisierung befürchten (vgl.

Joerges 1987, S. 305 ff.; zu den Grenzen dieses Ansatzes vgl. Rammert 1987a). Die Technik wird dann zum Vehikel dieser Prinzipien. Ihre Aus­

breitung wird zum Indiz für die Unterwerfung des Alltagslebens unter die technischen und ökonomischen Imperative des Industriesystems. So wird die Errichtung des ISDN-Netzes in der Bundesrepublik Deutschland als

»Verkabelung« der Bürger karikiert und unter den Schlagworten »Koloni­

sierung« der Lebenswelt und »Zersetzung der Kommunikation« debattiert (vgl. Mettler-Maibom 1990).

Es dürfte deutlich geworden sein, daß mit dieser Auffassung von Technik als sachlichem Artefakt und der Betonung der materiellen Bande zwischen Technik und Alltagsleben in der Regel nicht ein strenger techni­

scher Determinismus vertreten wird, sondern eher eine Position durch Sa­

chen vermittelter sozialer Zwänge (Joerges 1989, S. 46). Die Materialisie­

rung sozialer Normen und Präferenzen in technischen Strukturen wird als Verlängerung im Industriesystem vorherrschender Prinzipien in das All­

tagsleben hinein konzeptualisiert. Um im Bild zu bleiben: Die Bande wer­

den als fest verknüpfte Fäden wie bei Marionetten oder als relativ fixe Verdrahtungen für Verhaltensspielräume im Alltagsleben angesehen.

Die Kritikpunkte an der »materialistischen« Auffassung der Bande lassen sich noch weiter präzisieren:

Erstens wird generell der Zwang, der von den Sachen ausgehen soll, in seiner Intensität und seiner Ausbreitung weit überschätzt. Daß eine Brük- ke absichtlich so niedrig gebaut wird, damit ein Doppeldeckerbus aus einem schlechteren Stadtviertel nicht in ein feineres Wohnquartier wech­

seln kann - wie Langdon Winner (1980) als Beispiel anführt - ist wohl eher

die Ausnahme. Sachliche Artefakte können zwar bestimmten sozialen E r­

wartungen Nachdruck verleihen, etwa ein Fließband einer Aufforderung, gleichmäßig und zügig durchzuarbeiten, oder eine Mauer, den Weg nicht geradeaus fortzusetzen; aber erst durch zusätzliche Symbole oder Anwei­

sungen erfüllen Sachen ihre soziale Funktion. In den Novembertagen von 1989 haben wir sehen können, wie leicht die Berliner Mauer als Bauwerk überwunden werden kann!

Zweitens verleitet die Analogiebildung von Produktionsweise und all­

täglicher Lebensweise häufig dazu, die Differenz zwischen den formal or­

ganisierten Handlungssystemen der Arbeitswelt und den vielfältig verwo­

benen Beziehungsgeflechten der Alltagswelt zu übersehen. Unterschiedli­

che Eigentums- und Verfügungsverhältnisse über die Sachen bewirken, daß die Zwänge der Unterwerfung unter technisch vermittelte Handlungs­

anforderungen in Fabrik und Büro viel größer sind als in den übrigen aus- serberuflichen Lebensbereichen. Die freie Wahl beim Erwerb einer Sache, die Entscheidung für eine bestimmte Nutzungsform und der Einbau in das eigene soziokulturelle Milieu entlarven die meisten »Sachzwänge« als selbst verschuldete Unmündigkeit, mangelnde Courage oder fehlende Phantasie, die Sachen nach eigenem Geschmack zu kultivieren.

Drittens erweisen sich viele »Sachzwänge« weniger als Zwänge, die von den Sachen ausgehen, denn vielmehr als Gewohnheiten, mit den Sachen in einer unhinterfragten Weise umzugehen. Autos müssen zum Beispiel nicht rasantes und Fußgängern gegenüber rücksichtsloses Fahren nahele­

gen, wie man in der Bundesrepublik Deutschland meint, sondern können sehr wohl in einer anderen Weise kultiviert werden, wie es das amerikani­

sche Beispiel belegt. Wie eine Sache genutzt wird und wie sie sich auf die sozialen Beziehungen auswirkt, hängt zu einem erheblichen Teil von na­

tionalen Stilen des Umgangs mit einer Technik und von klassen-, ge- schlechts- und milieuspezifischen Haltungen gegenüber einer Technik ab.4

Die Tatsache, daß diese kulturellen Muster sich wiederum auf die un­

terschiedliche Gestaltung der technischen Artefakte auswirken, wie den Einbau von Automatikgetrieben und komfortablen Sofasitzen in amerika­

nische Autos und von Sportschaltungen und Schalensitzen bei deutschen

4 Siehe zur Geschlechtsspezifität die Beiträge von Sibylle Meyer, Eva Schulze und Ilona Ostner in diesem Band.

Fabrikaten, weist auf die enge Verknüpfung von Alltagskultur und Tech­

nik in die umgekehrte Richtung hin. Der Anteil des Alltagslebens selbst an seiner eigenen Technisierung und an der Kultivierung der technischen Artefakte sollte nicht vernachlässigt werden.

3. Technik als kulturelles Artefakt: Der »Geist« der Technisierung oder die Entbindung der Technik aus der Kultur

Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß das materielle Artefakt allein den Sozialwissenschaftlern wenig Aufschluß über den sozialen Cha­

rakter einer Technik geben kann. D er Technik als fertigem Produkt kann er nicht abgeschaut werden, sondern er entbirgt sich erst im Prozeß des Hervorbringens (Heidegger 1962, S. 12). Dieses Hervorbringen begreifen wir in Anschluß an Husserl und Blumenberg als Technisierung (Blumen­

berg 1981, S. 16, 34 ff.). Sie ist wie die Ästhetik oder die Wissenschaft eine symbolische Äußerungsform (Cassirer 1985, S. 43). Sie unterscheidet sich von den anderen durch ein spezifisches Verhältnis zur Welt: Technisie­

rung zielt auf die Konstruktion von funktionierenden Wirkzusammenhän­

gen unter Absehung von kausalen und moralischen Fragen ab. Sie bedient sich dabei der Schematisierung von natürlichen und sozialen Prozessen und kombiniert die idealisierten Einheiten zu Sequenzen der Problemab­

arbeitung (vgl. Luhmann 1975, S. 71). Das Konstruktionsschema, die Ar­

chitektur oder der Algorithmus sind der »Geist«, der die materiellen Glie­

der eines technischen Artefakts beseelt und belebt. Nicht die Materialität von Gehäuse, Siliziumchips und Kontaktdrähten kennzeichnet den Com­

puter, sondern die Organisation der elementaren funktionalen Kompo­

nenten (Simon 1981, S. 22).

Wie wirkt sich ein in dieser Weise bestimmter »Geist« der Technisie­

rung auf das Alltagsleben aus?

Autoren, die von der »Maschine« in der menschlichen Psyche ausge­

hen (vgl. Bamme u. a. 1983, S. 159 ff.), unterstellen ein Zick-Zack-Band der gegenseitigen Verstärkung von Technik und Alltagsleben. Sie sehen eine lange Kette der Technisierung psychischer Äußerungen, die schon bei den Griechen mit der binären Schematisierung durch die zweiwertige

Logik anfinge und im gegenwärtigen Digitalcomputer seinen materiellen Niederschlag fände. Die Ausbreitung der digitalen Informations- und Kommunikationstechniken verstärkt nach dieser Auffassung nur die ver­

hängnisvollen Tendenzen zur Maschinisierung menschlicher Beziehungen, die schon im Alltagsleben angelegt sind (vgl. Holling/Kempin 1989; Mett- ler-Maibom 1990).

Andere Autoren stellen nicht so sehr auf die wirkliche Funktionsweise der Techniken ab. Es interessiert sie weniger, wie der Computer als sym­

bolverarbeitende Maschine wirkt, sondern seine symbolische Funktion.5 Sie nehmen an, daß eine Technik auf das Alltagsleben einwirkt, indem sie Modelle und Metaphern bereitstellt, welche die unterschiedlichsten Phä­

nomene gleichsam wie unter einer Lupe bündeln und gleichzeitig die Wirklichkeit in neuer Weise sozial konstruieren. Solche »defining technol­

ogies«, zu denen Computer zählt - aber auch die psychoanalytische Tech­

nik könnte man dazurechnen -, liefern die semantischen Versatzstücke, aus denen sich die Mythen des Alltags bilden.

Der Mythos des Computers beruht nach Jörg Pflüger und Robert Schurz auf der »technologischen Metapher des umfassenden, berechenba­

ren Funktionierens« (Pflüger 1990). Er steht für Eindeutigkeit, Algorith­

misierung und Formalisierung und verleitet im Alltag zur Vermeidung ambivalenter Situationen, zu »mechanischem Denken« und zur Unterstel­

lung programmierbarer Realitäten. Die Evidenz solcher Bande zwischen symbolischen Funktionen des Computers und psycho-sozialen Verhaltens­

änderungen meinen sie mit dem experimentellen Nachweis von »maschi­

nellen Charakteren« unter den Computernutzern erbracht zu haben (Pflü- ger/Schurz 1987).

Die Bande scheinen mir auch hier zu fest und einseitig geknüpft zu sein und keinen großen Unterschied zur materialistischen Knüpftechnik darzustellen. Man könnte fast von einem »symbolischen Determinismus«

sprechen. Zwei Einwände sollen vorerst genügen: Symbolwelten wie My­

then sind zum einen nicht so widerspruchsfrei und eindeutig wie formale Symbolsysteme, als daß sie nur in eine Richtung und ohne Differenzen wirkten. Zum anderen ist mit dem Herauspräparieren ihrer zentralen

5 Vgl. den Überblick über die sozialwissenschaftliche Computerforschung von Weh- ner/R am m ert (1990).

Leitideen noch gar nichts über die Umsetzung in alltägliches Verhalten ausgesagt. Die Experimente reichen auf keinen Fall für den Nachweis der Verhaltensrelevanz des Computermythos aus, da im wesentlichen nur Einstellungen ermittelt wurden.

Wenn Sherry Turkle den Computer nicht als materielles, sondern als

»evokatorisches Objekt« untersucht, geht es auch ihr um die Technik als M etapher und Projektionsmedium. Sie fragt nicht nach den Geräten und ihren Auswirkungen auf das menschliche Handeln und Denken, sondern nach den unterschiedlichen Beziehungen zu einem technischen Artefakt, welche Metaphern liefern »für das, worauf es im Leben ankommt«

(Turkle 1984, S. 395). Die einheitlich wirkende »defining technology« und der große Mythos vom allumfassenden Regelwerk kann dadurch in viele Fäden aufgelöst werden, die in unterschiedlichen Computerkulturen zwi­

schen semantischer Rahmung einer Technik und Stilen des alltäglichen Umgangs mit ihr gesponnen werden. Der Computer legt keinen »harten«

Programmierstil nahe; an ihm brechen sich gleichsam unterschiedliche Haltungen zur Welt, zum Beispiel kontroll-orientierte gegenüber kreativ risiko-orientierten.

Die Leitsemantiken für den Umgang mit dem Computer - so konnten wir in unserer eigenen Untersuchung der Computernutzung im Alltag feststellen (Böhm/Rammert/W ehner 1989; Böhm/W ehner 1988, 1990) - ändern sich mit den sozio-kulturellen Milieus, auf die er trifft. Wird er von

»Glasperlenspielern« im intellektuellen und akademischen Milieu eher als geistige Herausforderung angesehen, bauen ihn die »Bastler« als Wunder­

kiste in ihre Hobbywelt ein; nähern sich ihm Aufstiegswillige aus den un­

teren Schichten beflissen und strebsam als Vehikel der beruflichen Karrie­

re, stellen ihn modisch orientierte Gruppen aus den mittleren Schichten selbstbewußt als ästhetisches oder semiprofessionelles Prunkstück ihres Lebensstils aus. Der Umgang mit dem Gerät und die Folgen für das All­

tagsleben differieren deutlich von der jeweils eingenommenen Haltung und kulturellen Überformung der Technik (vgl. Hörning 1988, S. 79 ff.).

Nebenbei sei noch bemerkt, daß die Computerhersteller wiederum das Design der Geräte und die Pflege ihres Markenimages nach diesen se­

mantischen Leitvorstellungen aus den Computerkulturen ausrichten. Die Fäden laufen auch aus dem Alltag zurück zum Industriesystem.

Es konnte gezeigt werden, daß erst der Umgang mit den Sachen die Technik zu einem relevanten sozialen Faktor macht. Weder das materielle Substrat noch die ursprüngliche Idee, die hinter einer technischen Erfin­

dung steht, wirken sich unmittelbar auf das Alltagsleben aus. Die Verbin­

dungen sind nicht einseitig ursächlich, sondern interaktionistisch aufzufas­

sen: Geräte und Ideen sind Angebote, die von verschiedenen Alltagskul­

turen aufgegriffen, umgedeutet und im Umgang neu kreiert werden (so auch Eckart/W inter 1987). Die sozialen Innovationen im Umgang mit technischen Innovationen wirken sich wiederum auf die Orientierung der weiteren technischen Entwicklung aus.

Diese Annahme hat auch Implikationen für die Technikgenese. Es ste­

hen keine fertigen Techniken mit sachlich identischen Gestalten, wie uns häufig in Erfindungsgeschichten nahegelegt wird. Die Erzeugung einer neuen Technik ist als Kette von Technisierungsprojekten und Nutzungsvi­

sionen verschiedener sozialer Akteure zu rekonstruieren, die ständig defi­

nieren, neu aushandeln und begrenzen, welche Form eine Technik oder ein technisches System annehmen soll (vgl. u. a. Callon 1983; im Über­

blick Rammert 1988).

D er Anteil der Kultur an der Geburt einer neuen Technik läßt sich auch am Beispiel der Entwicklung des Telefons demonstrieren. Daß es heute selbstverständlich als zweiseitiges Verständigungsmedium benutzt wird, ist das Ergebnis eines sozialen Experimentierens mit unterschiedli­

chen Nutzungskonzepten: als Experimentiergerät für Naturforscher, wel­

che damit die Richtigkeit physiologischer Theorien des Sprechens und Hörens beweisen wollten; als einseitiger Nachrichtengeber für Telegraphi­

sten und militärische Vorposten nach dem Transportkonzept der Telegra­

phie; und als Kabelrundfunk für Opern-, Theateraufführungen und Nach­

richtensendungen (vgl. Rammert 1989a).

Für Juristen mag schon die Patentschrift, für Techniker der funktio­

nierende Apparat und für Ökonomen das verkaufte Gerät als Technik zählen. Für den soziologischen Beobachter machen jedoch erst die beim Entwurf einer Technik explizit erwartete oder implizit unterstellte Nut­

zung und die wirklichen technischen Praktiken im alltäglichen Umgang eine Technik aus. Zugespitzt formuliert: Erst die kulturelle Definition und

die soziale Innovation einer technischen Praxis bringen eine neue Technik für die Gesellschaft hervor.

Häufig wird auch unterstellt, daß die Technik als fremde Macht in das Alltagsleben eindränge und seine Kommunikations- und Denkweisen zer­

setzte. Dabei wird vergessen, daß die Idee der Technisierung dem Alltag überhaupt nicht fremd ist, sondern sogar eines seiner Charakteristika. Im Alltag werden Schematismen des Erlebens und Handelns erzeugt, dort werden Situationen idealisiert und vereinfacht (vgl. Blumenberg 1981, S. 42 ff.), um sich dadurch von der Komplexität der Umwelt zu entlasten und um Unsicherheiten der Kommunikation in manipulierbare Opera­

tionssequenzen zu transformieren (vgl. Luhmann 1975, S. 71). Nicht daß die Technik überhaupt in den Alltagsbereich eindringt, ist das Problem, sondern welche Technisierungsstrategien unterschiedliche Techniken im­

tionssequenzen zu transformieren (vgl. Luhmann 1975, S. 71). Nicht daß die Technik überhaupt in den Alltagsbereich eindringt, ist das Problem, sondern welche Technisierungsstrategien unterschiedliche Techniken im­