101 Oxfam Positionspapier
SPERRFRIST: 23:00 Uhr MEZ, 20. MÄRZ 2007
Zukunft verbaut
Wie Handels- und
Investitionsabkommen zwischen reichen und armen Ländern die
Entwicklung untergraben
Der stillschweigende Vormarsch von bilateralen und regionalen Handels- und Investitionsabkommen zwischen reichen und armen Ländern gefährdet die wirtschaftliche Entwicklung in den Entwicklungsländern und ihre Teilhabe am Welthandel.
Vorangetrieben von den USA und der Europäischen Union,
beinhalten diese Abkommen weitreichende Regelungen, die
gerade diejenigen Politiken der Entwicklungsländer massiv
einschränken, die für die Bekämpfung der Armut entscheidend
sind.
Zusammenfassung
Der stillschweigende Vormarsch von Handels- und Investitionsabkommen zwischen reichen und armen Ländern gefährdet die wirtschaftliche
Entwicklung in den Entwicklungsländern und ihre Teilhabe am Welthandel.
Die reichen Länder, allen voran die USA und die Europäische Union (EU), betreiben mit noch nie da gewesenem Eifer den Abschluss regionaler und bilateraler Freihandelsabkommen (FTA). Dies geschieht, ohne dass globale Gipfeltreffen und internationale Medienberichterstattung die öffentliche Aufmerksamkeit darauf lenken. Etwa 25 Entwicklungsländer haben mittlerweile Freihandelsabkommen mit Industrieländern unterzeichnet und mehr als 100 Abkommen werden gerade verhandelt. Im Durchschnitt werden jede Woche zwei bilaterale Investitionsabkommen unterzeichnet. Diese Entwicklung geht an kaum einem Land vorbei, wie arm es auch sein mag.
Die reichen Länder benutzen diese bilateralen und regionalen Freihandels- und Investitionsabkommen, um Zugeständnisse zu erlangen, die sie bei der Welthandelsorganisation (WTO) nicht erreichen können. Die
Entwicklungsländer können sich nämlich in der WTO zusammenschließen, um günstigere Regelungen auszuhandeln. Die USA nennen ihren Ansatz
„konkurrenzbetonte Liberalisierung“ („competitive liberalisation“)1, während die EU ihre Absicht bekundet hat, bilaterale Vereinbarungen als
„Sprungbretter für zukünftige multilaterale Abkommen“ zu nutzen.
Die EU behauptet, dass diese neue Generation bilateraler und regionaler Abkommen unverzichtbar sei, damit die Entwicklungsländer in Afrika, der Karibik und im pazifischen Raum ihren Zugang zu den europäischen
Märkten in einer Form erhalten können, die mit den WTO-Regeln kompatibel ist. Sie hat gegenüber den armen Ländern auch wiederholt erklärt, dass die EU in den Verhandlungen keine „offensiven wirtschaftlichen Interessen“
verfolge und dass es lange Zeiträume für die Umsetzung der Abkommen geben werde. Ihre weit reichenden Liberalisierungsvorschläge und ihr aggressives Vorgehen stehen jedoch im Widerspruch zu diesen Bekundungen.
Der unaufhaltsame Vormarsch solcher Handels- und Investitionsabkommen, die großenteils hinter verschlossenen Türen verhandelt werden, droht die angestrebte Armutsreduktion mittels Handel und Globalisierung zu unter- graben. In einer zunehmend globalisierten Welt sollen den Exporteuren und Konzernen in reichen Ländern auf Kosten armer Bäuerinnen und Bauern sowie Arbeitskräften Vorteile verschafft werden, mit schwerwiegenden Folgen für Umwelt und Entwicklung.
Die schlimmsten dieser Abkommen entziehen den Entwicklungsländern die Möglichkeit, ihre eigenen Volkswirtschaften effektiv zu steuern und damit die ärmsten Menschen zu schützen. Indem die Bestimmungen weit über jene,
1Diese Strategie zielt auf ein gleichzeitiges Vorantreiben der Handelsliberali- sierung auf bilateraler, regionaler und multilateraler Ebene ab. Die
Verhandlungen sollen beschleunigt werden, indem der Handel mit Ländern, die ein Freihandelsabkommen abschließen wollen, liberalisiert wird, um dadurch Druck auf andere Länder auszuüben, multilateral zu verhandeln.
die auf multilateraler Ebene verhandelt wurden, hinausgehen, werden den armen Ländern weitreichende Regeln auferlegt, die nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können. Nationale Politiken zur Förderung von Entwicklung werden so systematisch behindert.
Die USA und die EU setzen Regeln zum geistigen Eigentum durch, die den Zugang armer Menschen zu lebenswichtigen Medikamenten einschränken und die Saatgut und andere landwirtschaftliche Inputs so verteuern, dass sie für Kleinbauern und -bäuerinnen unerschwinglich werden. Lokalen
Unternehmen in Entwicklungsländern wird dadurch zudem der Zugang zu neuen Technologien erschwert. Zum Beispiel würde das geplante
Handelsabkommen zwischen den USA und Kolumbien die Kosten für Medikamente bis zum Jahr 2020 um 919 Mio. US-Dollar erhöhen. Dieser Betrag würde ausreichen, um 5,2 Millionen Menschen durch das öffentliche Gesundheitssystem zu versorgen. Unter dem Freihandelsabkommen der USA mit Zentralamerika und der Dominikanischen Republik (DR-CAFTA) drohen die Preise für Agrarchemikalien um ein Mehrfaches zu steigen.
Die in den Freihandelsabkommen enthaltenen Regelungen zur
Liberalisierung von Dienstleistungen drohen, lokal ansässige Unternehmen aus dem Markt zu drängen, den Wettbewerb zu reduzieren und die
Monopolmacht großer Unternehmen auszudehnen. Als beispielsweise Mexiko 1993 im Zuge der Vorbereitungen auf das Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada (NAFTA) die Finanzdienstleistungen liberalisierte, stieg der Anteil ausländischen Eigentums am Bankensystem innerhalb von sieben Jahren auf 85%, aber die Kreditvergabe an mexikanische
Unternehmen fiel von 10% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 0,3%. Dies entzog armen Menschen in ländlichen Gebieten die wichtige Möglichkeit zur Kreditaufnahme.
Zudem stellen diese neuen Regelungen potenziell eine Bedrohung für den Zugang armer Menschen zu unentbehrlichen öffentlichen Dienstleistungen dar. In einigen Freihandelsabkommen mit den USA verpflichten sich Entwicklungsländer, ausländischen Investoren den Zugang zu den
öffentlichen Versorgungsbetrieben zu gewähren, wenn die Privatisierung des Sektors, d.h. die Öffnung für inländische Privatunternehmen, bereits erfolgte.
Gemäß den durchgesickerten Entwürfen des EU-Verhandlungsmandats für Freihandelsabkommen mit ASEAN, Indien, Zentralamerika, den Anden- staaten und Südkorea strebt die EU ähnliche Regelungen für Wasser- und andere Versorgungsunternehmen an.
Neue Investitionsregelungen in vielen dieser Abkommen hindern die Regierungen der Entwicklungsländer daran, ausländische Unternehmen dazu zu verpflichten, Technologien weiterzugeben, lokale Arbeitskräfte auszubilden oder Inputs lokal zu beziehen. Unter solchen Bedingungen werden ausländische Investitionen nicht in die nationale Wirtschaft
eingebunden, wird keine menschenwürdige Beschäftigung geschaffen und werden Löhne nicht erhöht. Stattdessen nimmt die Ungleichheit zu.
Die Investitionskapitel der Freihandelsabkommen sowie die bilateralen Investitionsabkommen setzen arme Regierungen dem Risiko aus, von ausländischen Investoren verklagt zu werden, wenn diese durch neue Verordnungen ihre Profite gefährdet sehen, selbst wenn solche Reformen im öffentlichen Interesse sind. Gegenwärtige Schadensersatzansprüche
gegenüber Argentinien wegen Notmaßnahmen, die während der Finanzkrise
der Jahre 2001/2002 getroffen wurden, werden auf 18 Mrd. US-Dollar geschätzt.
Freihandelsabkommen können armen Ländern auch radikale Zollsenkungen auferlegen, welche die Existenzgrundlagen von Kleinbauern und -bäuerinnen bedrohen und Regierungen daran hindern, Zölle zur Förderung der
einheimischen, verarbeitenden Industrie einzusetzen. Zum Beispiel schlägt die EU in den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) vor, die ärmsten Länder der Welt zu verpflichten, einen Großteil ihrer Zölle vollständig abzubauen. Gleichzeitig gehen die Freihandelsabkommen nicht die
negativen Auswirkungen an, die die Subventionen der reichen Länder durch Dumping auf arme Länder haben, oder die Vielzahl der nichttarifären Handelshemmnisse, die weiterhin den Zugang zu den Märkten der reichen Länder behindern.
Insgesamt wird mit diesen neuen Regelungen zunehmend die staatliche wirtschaftspolitische Steuerungsfähigkeit untergraben, indem Macht von den Regierungen auf weitgehend nicht rechenschaftspflichtige multinationale Unternehmen übertragen wird. Dadurch werden den Entwicklungsländern die politischen Spielräume geraubt, die sie zur Entwicklung ihrer
Volkswirtschaften benötigen und die ihnen erlauben würden, auf den globalen Märkten Fuß zu fassen.
Obwohl die Regierungen der Entwicklungsländer sich in der WTO und in einigen regionalen und bilateralen Abkommen als zunehmend
durchsetzungsfähig erwiesen haben, hat sich in den gegenwärtigen Verhandlungen an den ungleichen Machtverhältnissen zugunsten der reichen Länder und großer, politisch einflussreicher Unternehmen nicht wirklich etwas geändert. Ferner haben kleine Unternehmen,
Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Frauenorganisationen und indigene Völker in Entwicklungsländern sehr wenige Möglichkeiten zur Partizipation; ihre Rechte und Bedürfnisse werden weitgehend ignoriert.
Handel und Investitionen sind unerlässlich für Entwicklung, und die Ungleichheiten, die die globalen Handels- und Investitionsbedingungen kennzeichnen und verzerren, müssen dringend korrigiert werden. Allerdings verhindern ungleiche und ausbeuterische Freihandelsabkommen und bilaterale Investitionsabkommen gerade diejenigen Politiken, die die Entwicklungsländer für die Armutsbekämpfung benötigen. Sie sind nicht dazu geeignet, Handel und Investitionen in den Dienst der Entwicklung zu stellen oder eine sicherere, gerechtere Welt zu schaffen.
Um das Blatt zu wenden und Handel und Investitionen in den Dienst von Entwicklung zu stellen, fordert Oxfam, dass Handelsregeln, ob multilateral, regional oder bilateral,
• die Notwendigkeit der Sonder- und Vorzugsbehandlung von
Entwicklungsländern anerkennen, damit diese Armut bekämpfen und sich entwickeln können;
• es den Entwicklungsländern ermöglichen, international zugesicherte Flexibilitäten in ihren Gesetzgebung zum geistigen Eigentum
anzuwenden, um die öffentliche Gesundheitsversorgung und bäuerliche und ländliche Existenzgrundlagen zu gewährleisten und um traditionelles Wissen und die biologische Vielfalt zu schützen;
• grundlegende öffentliche Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung von
Liberalisierungsverpflichtungen ausnehmen;
• das Recht von Regierungen anerkennen, den Zugang ausländischer Investoren insofern zu regulieren, dass Entwicklung gefördert und menschenwürdige Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Abkommen sollten Verpflichtungen enthalten, die für alle Arbeitskräfte die grundlegenden Kernarbeitsnormen durchsetzen.
• Möglichkeiten zur umfangreichen Beteiligung aller Interessensvertreter am Verhandlungsprozess sicherstellen, mit vollständiger
Veröffentlichung der Informationen für die Öffentlichkeit, einschließlich der Ergebnisse unabhängiger Auswirkungsabschätzungen.
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