Drei unbenannte Megastlienesfragmente über die pravrafyä
H. Lüders zum 70. Geburtstage gewidmet
Von Bernhard Breloer, Berlin
Philostrat berichtet im zweiten Buche seiner Lebens¬
beschreibung des Apohonius von Tyana*) über die Be¬
dingungen, die zu erfüUen sind, bevor ein Inder in den Orden
der Philosophen aufgenommen wird. Der indische König
Phraotes") — er spricht griechisch — weist Apollonius auf
die Regellosigkeit des Philosophierens in Griechenland hin.
Diesem gefährlichen Zustand stellt er dann die feste indische
Ordnung gegenüber, in der nur reinblütige, ausgewählte
Personen die Erlaubnis zum Philosophieren erhalten').
1) Ausgaben: K. L. Kayser, Zürich 1844, 53. Leipzig 1870/71.
F. C. Conybeare, London 1912 mit Übers, deutsch: Fl. Jacobs, Stutt¬
gart 1829—32. E. Balzer, Rudolstadt 1883 mit Erl. Lit. Christ, Gesch.
d. gr. Lit. 1924. 772—785. Neuer: G. R. Mead, A. di Tiana, Turin 1926,
R. Goosens, Un texte relatif ä l'Asvamedha Journal Asiatique 217
(1930), 280ff. J. Charpentier, The Indian travels of A. Uppsala 1934
(ZDMG 1935, 421), Mario Meünieb, Paris 1936.
2) W. W. Tabn nimmt in seinem glänzenden Buche The Greeks in
Bactria ^ India, Cambridge 1938, S. 341 die These Herzfeld's Arch.
Mitt. IV (1912) 113, daß Phraotes als Paliform von apratihata den
Gundofarr bezeichnete, als bewiesen an, vgl. aber unten S. 293.
3) Die indischen Philosophen, insbesondere die Gymnosophisten, sind in der klassischen Literatur ein dauernder Gegenstand des Inter¬
esses gewesen. Vgl. Breloer-Bömer, Fontes religionum Indicarum,
Bonn 1939, Index rerum s. v. Bragmani. Dort die Textstelle: S. 112f.
Notizen über eine eigentümliche Lebensweise, insbesondere Enthaltung
von Fleischgenuß und Eremitentum kommen schon im Skylaxbericht
(Herodot III, 100) vor und wandern durch die spätere Literatur. Durch
die Alexanderhistoriker sind die Eremiten beschrieben worden und
haben im Gesamtorganismus den fünften Platz erhalten (Verf. ZDMG 13
[1934] 147 IT.). Megasthenes hat dann die Brahmanen von den Eremiten geschieden, sie aber beide in eine Klasse gebracht, die an die erste Stelle im sozialen Aufbau gerückt wurde, obwohl ihre Zahl als gering bezeichnet
B. Brbloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 255
Das erste Fragment
Philostrat II, 30: „Bei uns aber hängen wenige dem Philo¬
sophieren an, sie werden auf folgende Weise geprüft:
Der junge Mann muß, wenn er über achtzehn Jahre alt
ist [dasselbe ist auch, glaube ich, bei euch das Maß der Voll¬
jährigkeit], über den Hyphasisstrom gehen zu den Männern,
zu denen du unterwegs bist, nachdem er vorher in der Öffent¬
lichkeit erklärt hat, daß er die Absicht habe, zu den Philo¬
sophen zu gehen, damit jeder, der wolle, ihn daran hindern
könne, sich als nicht , Reiner' {xad'OQOi;) anzuschließen.
Rein nenne ich jemanden zunächst in bezug auf das, was
Vater und Mutter betrifft, daß gegen sie kein Tadel (öveidog)
bekannt sei, dann deren Eltern und das dritte Geschlecht
aufwärts, daß kein Frevler, kein Prasser*) und kein Wucherer
darunter sei.
Wenn aber kein Makel an diesen (drei Generationen) be¬
kannt ist noch irgendein Flecken überhaupt, dann nehmen
sie (die Eremiten) den jungen Mann in Augenschein und er¬
proben ihn zunächst, ob er Gedächtnis besitzt, dann, ob er von
Natur bescheiden ist und nicht nur dieses vortäuscht, ob er
nicht trunksüchtig ist (lUE'&varixög)"), nicht naschhaft (Uxvog), prahlerisch (dAafcov), lachlustig (<pik6yei.cog), vorschnell (&Qa-
ffi5c), frech (q>doidoQog) ist, ob er dem Vater, der Mutter,
den Lehrern, den Erziehern gehorsam ist, vor allem, ob er
keinen schlechten Gebrauch von seiner Jugend macht.
Die Angaben über seine Erzeuger und über deren Er¬
zeuger sammelt man aus Zeugen [und aus Dokumenten, die
im öffentlichen Archiv (drjixoaia) liegen]...*). Die (Einzel¬
ist (B. J. Timmeb, Megasthenes en de indische Maatschappij , Amsterdam
1930, 70—113). cf. L. D. Barnett, Pramnai in Bulletin of the School
of Oriental Studies (BSOS) VI, 2, S. 285 ff. O. Stein, Graeco-Indian
Notes BSOS VII (1933), S. 55ff.
1) Vgl. Plato, Gorgias 524 E.
2) Die indische Systematik kennt 6 Laster. Die Identifizierung ist hier unerheblich.
3) Hier setzt Frgt. II ein, das den Zusammenhang unterbricht und
deswegen hier fortgelassen ist.
256 B. Bbeloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
heiten) über die jungen Männer (selbst) lernen sie (die Ere¬
miten) dadurch kennen, daß sie dieselben vor Augen haben.
Viel von den menschlichen Sitten (Charakter) verkünden
nämlich die Augen, viel liegt in den Augenbrauen und Wangen
zu beurteilen und zu schauen, woraus Weise (ao(poi) und
Naturkundige {(pvaixoi) die Seelen {vovq) durchschauen wie
Bilder im Spiegel (Glas)*).
Da nämlich die Philosophie dort hoch geachtet ist und
dieser (Philosoph) bei den Indern Ehre genießt, besteht die
volle Notwendigkeit der Auswahl (exßaaaviCsa&ai) derjenigen,
die sich ihr zuwenden und der Unterwerfung unter zehn¬
tausend Prüfungen. [Wie wir bei den Lehrern") das tun und
das Philosophieren bei uns zu einer Prüfung {doxifiaaia) führt,
habe ich deutlich erklärt. Mit meiner eigenen Geschichte
verhält es sich folgendermaßen.]""
Der innere Zusammenhang unserer Textstelle ist klar:
Der Zugang zur Philosophie unterliegt einer strengen Aus¬
wahl, weil die Philosophen in Volk und Staat eine höchst
ehrenvolle Stellung einnehmen. Sie müssen ,,rein" (xa'&agög)
sein. Diese Reinheit besteht aus einer Makellosigkeit der
Familie bis ins dritte Glied, also einer Blutsreinheit. Erst
wenn diese geprüft ist, wird der Bewerber auf seinen Cha¬
rakter hin geprüft, und zwar im persönlichen Umgang, durch
positive {ßaaavÖQ probatio) und negative (Shyxog confutatio)
Beweismittel, also durch eine Prüfungszeit, durch ein Noviziat.
Obwohl unzweifelhaft die Prüfung der Abstammung
(Blutsprobe) dem Noviziat vorausgeht, ist der Text über
diesen Punkt nicht so ausführlich, wie man ihn wünschen
möchte. Der Grund wird in einer Kürzung zu suchen sein,
die später zu besprechen ist. Immerhin läßt der Wortlaut
keinen Zweifel über den Zusammenhang aufkommen, da die
1) Über die indische Anschauung vgl. Manu VIII, 25, 26, wo in
beiden Fassungen Sprache {svara), Farbe [varna), Miene [ingita),.
Haltung [äkära), Auge [cak^us) und Bewegung [cestita) genannt sind,
wozu die zweite Fassung noch den Gang [gati) hinzufügt, der wohl in
Bewegung enthalten sein kann.
2) Es handelt sich nämlich um die Lehrer des Königs Phraotes
und dieser setzt dem Apollonius ihre Vorzüge auseinander, vgl. S. 293.
B. Breloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 257
Charakterprüfung jenseits des Hyphasis von den Eremiten
vorgenommen werden muß, jedoch die Blutsprobe — und
die rechtliche Lösung aus Familie und Gemeinschaft, die
hier von Philostrat übergangen worden ist — vor der Heimat¬
behörde abzulegen ist. Es handelt sich dabei um ein öffent¬
liches Verfahren, in dem der Absicht des Auswanderers wider¬
sprochen werden kann, in dem er seine eigenen Aussagen
durch positive Zeugnisse erhärten muß, und zwar durch
Zeugen und durch Dokumente. Der antike Autor nennt dieses
Verfahren Dokimasie und verweist damit auf ein Rechts¬
institut, das die Athener benutzten, um ungeeignete Bewerber
von einem Amt oder von der Eintragung in die Bürgerlisten
auszuschließen. Mit seinen altertümhchen Formen, die sich
aus dem Sippengedanken ergeben, weist es auf ältere Zeit
zurück, auf ältere Prozeßformen.
Es lohnt sich, der Notiz über die Dokimasie des indischen
Weltflüchtigen das Formular der athenischen Dokimasie eines
Bewerbers um das Archontenamt hinzuzufügen. Aristoteles
gibt im Staat der Athener eine ausführhche Darstellung des
Verfahrens*). Dem Amtsbewerber werden folgende Fragen
vorgelegt :
„Wer ist dein Vater und aus welchem Demos (stammt er)?
Wer ist deines Vaters Vater")?
Wer ist deine Mutter?
Wer ist deiner Mutter Vater und aus welchem Demos
(stammt er)?"
Der Vorsitzende des Rates, der die Fragen stellt, fragt
nun nach seinen religiösen Bindungen gegen Zeus und Apollon,
nach seiner Ahnenverehrung, nach seinem Wohlverhalten
1) Cap. LV. Vgl. zur Dokimasie: Lipsius, Das attische Recht und
Rechtsverfahren, 2 Bde, Leipzig 1905—15. Busolt, Griechische Staats¬
kunde, 3. Aufl. 1920, S. 947, 1045 u. a. II 275. Glotz, La cite antique, 1928, 255—58.
2) Hier fällt die Frage nach dem Demos aus, um den Einwanderern
nach der zweiten Generation die Bewerbung zu ermöglichen. Bei dem
mütterlichen Vater wird sie dagegen gestellt. Vgl. Busolt, S. 974 Anm. 4.
Pollux VIII, 85 verlangt Athener von beiden Seiten durch drei Gene¬
rationen. Vgl. Ps. Demosth. LIX 92, 104, 106.
17*
258 B. Bbeloeb, Drei unbenannte Megastlienesfragmente usw.
gegen die Eltern und zuletzt nach der Erfüllung seiner
Steuer- und Dienstpflicht.
Nach Erledigung dieses einfachen, aber instruktiven For¬
mulars richtet der Vorsitzende an den Bewerber die Auf¬
forderung*):
„Rufe für diese (Angaben) die Zeugen 1" worauf die Zeugen
zu dem Kandidaten treten.
Nunmehr richtet der Vorsitzende an die Versammlung
die Frage:
„Will jemand gegen diesen einen Widerspruch erheben?"
Meldet sich niemand, so gibt er den Stimmstein für alle ab;
meldet sich jemand von den Ratsmitghedern, so eröffnet er
ein Verfahren mit Anklage und Verteidigung, das durch Ab¬
stimmung beendet wird. In entsprechender Weise wurde auch
die Aufnahme in die Bürgerlisten bei Eintritt der Volljährig¬
keit vorgenommen. Außerdem diente die Dokimasie bei der
Bewerbung um fast alle anderen Ämter zur Fernhaltung
ungeeigneter Elemente, da der betont formale Charakter des
Verfahrens in seinem ersten Teil und die Freiheit des Ein¬
spruchs im zweiten Teil diesen Zweck begünstigen.
Die Zeugen bekräftigen die Antwort auf das feststehende
Formular. Bei einem Einspruch gegen den Bewerber wird
ihr Zeugnis angegriffen, das also für das Verfahren entschei¬
dend ist. Sie haften für den Kandidaten, der nach der Art
der gestellten Fragen aus ihrem eigenen Rechtskreis stammt,
der gemeinsamen Sippe angehört. Dieselben Personen werden
auch bei der Eintragung in die Bürgerlisten herangezogen
werden. Sie sind mehr Eidhelfer als Gerichtszeugen.
Was nun über die indische Dokimasie zu sagen ist, mag
zunächst außer Betracht bleiben. Sicher ist, daß Philostrat
1) Arist. LV 3: iiäXti (qprjfflr) zovrav tovs (idQxvgag. Die athe¬
nischen Zeugen machen Iceine Aussagen. Ihre Angaben werden vorher
schriftlich festgelegt und im Gerichtssaal aufgestellt. Sie wurden nicht vereidigt, nur wenn ein Zeuge sich von dem schriftlichen Zeugnis los¬
sagen wollte, hatte er die feierliche Exomosie mit Berühren des Altars oder des Opfertieres zu leisten. Lepsiüs 870, Demosth. g. Steph. I 600 119, 20ff.
B. Breloer, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 259
oder vielmehr seine Vorlage ein solches Verfahren vor uns
erstehen läßt. Nicht allein, daß der Zweck, die Fernhaltung
ungeeigneter Bewerber, der gleiche ist; auch die Gleichheit
des Frageformulars, sein Inhalt, die Feststellung einer rein
formalen Qualifikation, die nichts über die innere besagt,
lassen darüber keinen Zweifel zu*). Dabei ist aber festzu¬
halten, daß Philostrat (diesmal aber nicht seine Vorlage) sich
keine Mühe gibt, den Leser über den Hergang des Verfahrens
aufzuklären. Vielmehr schließen seine Angaben die Dokimasie,
die auf mündlicher Zeugenvernehmung beruht, aus. Er gibt
nämlich an, daß der Kandidat neben Zeugen auch Urkunden
beibringen kann. Wenn er aber eine Urkunde über seine
Abstammung beibringt, so ist der Zeuge (Eidhelfer) über¬
flüssig. Einspruch und Anfrage können dann lediglich durch
den Bewerber beantwortet werden. Die Antwort entbehrt
der Bekräftigung durch den anwesenden Zeugen. Kann aber
der Bewerber auch Unbescholtenheitszeugnisse über seine
Eltern und Großeltern vorlegen? Philostrat ist offenbar dieser
Meinung. Es darf Eiber bezweifelt werden, daß seine Vorlage
diesen Gedanken ausgedrückt hatte. Nicht allein, daß der
Dokumentenprozeß sich wesentlich von der mündlichen Ver¬
handlung mit den Zeugen (Eidhelfern) unterscheidet; es wird
später zu zeigen sein, aus welchem Grunde die Anwesenheit
der Familie notwendig war. Außerdem zerreißt das Auf¬
kommen der Dokumente in dem Text so sichtbar den Zu¬
sammenhang, daß die Zufügung der beiden Worte xai yga/i/xd-
Tcov als verdächtig bezeichnet werden kann. In der Vorlage
ist nur von mündlicher Verhandlung mit Zeugen die Rede
gewesen.
Philostrat, der Sophist, hat aber bei Megasthenes gelesen,
daß im indischen Vertragswesen die Zeugen nicht erforderlich
sind"), und anderseits die Registrierung im indischen Staate
1) Dazu kommt noch ein weiteres Moment, der Consensus der Sippe,
der sich in ihrem Auftreten als Zeuge ausdrückt und im indischen
Bereich sicher, im griechischen wohl auch, obligatorisch auswirkt.
2) Strabo XV 1,53 p. 709: oväk fiagrvQcov ovSi etpQayiSav avrott
Sslv. Eine gründlich mißverstandene Stelle (vgl. Breloer, Altind.
Zeitschrift d. DUO Bd. 93 (Neue Folge Bd. 18) IS
260 B. Breloer, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
eine hervorstechende Rolle spielte*). Was liegt also näher,
als daß sich Philostrat berechtigt glaubt, an die Seite des
von seiner Vorlage genannten Zeugenprozesses nun seiner¬
seits auch den Urkundenprozeß") zu setzen und den un¬
zweifelhaften Beleg für diesen Zusatz aus Megasthenes selbst,
aus einer Stelle, die bisher nicht bekannt war, zu entnehmen.
Der weitere Verlauf der Untersuchung wird ergeben, daß
Philostrat an derselben Stelle, an der er das zweite Fragment
des Megasthenes eingeschoben, ein drittes Fragment fort¬
gelassen hat, das zum Verständnis des Zusammenhanges
erforderlich ist. Im übrigen dürfte der Wortlaut des Megasthe¬
nes nicht sonderlich entstellt worden sein.
Das zweite Fragment
Der Einschub, den Philostrat aus einem anderen Zu¬
sammenhang entnommen hat, lautet:
„Sobald nämhch der Inder gestorben ist, sucht sein Haus
eine (von den sechs) Behörde auf, die von den Gesetzen dazu
bestimmt ist, (in einer Liste) aufzuzeichnen, wie er gelebt
hat. Und wenn der Beamte (Archen) sich getäuscht hat oder
getäuscht worden ist, dann bestrafen ihn die Gesetze damit,
daß er kein einziges Amt mehr verwalten kann, da er das
Leben (den Lebenslauf) eines Menschen verfälscht habe."
Privatrecht usw., 1928, S. 70ff.), zu der sich heute neue Gesichtspunkte
anführen lassen, die den Zusammenhang mit den Grundgedanken des
alten Rechts herstellen.
1) Schon die Notiz, daß der beackerte Boden fiskalisches Eigentum sei, das ini Tciäetais in Quotalpacht gegeben werde (vgl. Breloer, Das Grundeigentum in Indien, 1927, S. 52), setzt einen ungeheuren Apparat
voraus. Dazu kommen noch die Angaben über das Steuerwesen (Bre¬
loer, Staatsverwaltung im alten Indien, Teil I: Finanzverwaltung und
Wirtschaftsführung, 1934), von dessen Umfang die Settlements der
englischen Verwaltung ein ungefähres Bild zu geben vermögen. Die
Akten der vorenglischen Verwaltungen sind teils verschwunden, teils
schwer zugänglich. Verf. a. a. 0., S. 23—59.
2) Nach Meg. gab es gar keinen Urkundenprozeß (Verf. Privatrecht 74ff.), jedoch behandelt dieser Bericht des Philostrat die öffentliche
Urkunde, die von Meg. in der erwähnten Angabe nicht einbegriffen
worden ist. Trotzdem ist der Einschub des Philostrat nicht zu ver¬
kennen.
B. Bkeloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 261
Der Inhalt dieser Notiz des Megasthenes ist verständlich
und läßt auch den Grund erkennen, der den Philostrat zur
Einfügung bewogen hat. Es erscheint ihm nämlich selbst¬
verständlich, daß die Großeltern des Bewerbers häufig ge¬
storben sind, und deshalb schwierig, die Blutsprobe und den
Beweis der Unbescholtenheit durch Gerichtszeugen zu führen.
Letzterer wird also deshalb durch behördliche Zertifikate ge¬
führt. Wenn auch von Megasthenes nichts über solche Zertifi¬
kate gesagt ist, so geht aus seiner Mitteilung doch hervor,
daß die Lebensumstände genau eingetragen wurden. Die Er¬
teilung einer Abschrift aus den behördlichen Listen liegt also
im Bereich der Möglichkeit, von der Philostrat Gebrauch
gemacht hat.
Wie zum Überfluß liefert Megasthenes auch noch eine
wichtige Garantie für die Richtigkeit der behördlichen Ein¬
tragungen, die von Philostrat der ersten Notiz angefügt wird
und nun den zweiten Satz bildet. Die genannten Archonten
gehören nämlich der indischen Aristokratie an, die Megasthe¬
nes (und vor ihm wohl der genialere Onesikritos) als die
regierende Oberschicht beschrieben hatte, mit der man zuerst
in den Städten zwischen Kabul und Indus, besonders aber
in Nysa bekannt geworden war*). Die oben angegebene Be¬
strafung bedeutet praktisch gleichzeitig mit dem Verlust der
Privilegien wahrscheinlich auch den Ausschluß aus der herr¬
schenden Schicht. Die Sorgfalt in der Registerführung ist
hinreichend durch den drohenden Verlust der Existenz ge¬
sichert, das wollte Megasthenes dartun. Philostrat kam diese
Angabe sehr gelegen. Sie war aber sicherlich zu weit gegriffen
für den Zweck, für den er sie benutzte, nämlich um die Sorg¬
falt bei der Auswahl der Philosophen klarzustellen. Dazu
hätte der erste Satz ausgereicht. Er konnte aber diese Sank¬
tionsbestimmung gut gebrauchen und hat kein Bedenken
getragen, sie hier anzufügen. Wir haben ihm dafür zu danken,
da uns die Schärfe dieser Bestimmung aus anderen Quellen,
so weit zu sehen ist, noch nicht bekannt geworden ist.
1) Vgl. Verf. ZDMG 14 (1935) 40—54 über Nysa 61—66.
18*
262 B. Breloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
Die Beziehung der angeführten Stelle zu Megasthenes ist
offenbar. Sie geht auf die bekannte Darstellung der mittleren
Beamtenschaft zurück, die sich bei Strabo XV 50—52 p. 707
bis 709 fmdet und zeigt an, daß Strabo die Darstellung des Me¬
gasthenes gekürzt hat. Letzterer ist viel ausführlicher gewesen.
Die kunstvolle indische Verwaltungsmaschinerie wird in
der Hauptsache von einer durch lange Tradition eingespielten
mittleren Beamtenschaft, der Provinzialverwaltung, bedient.
Die Zentralverwaltung gehört einer anderen Schicht an, ebenso
die untere Einheit, die unendliche Zahl der Dörfer mit ihrer
typischen Selbstverwaltung. Die Stadtverwaltung, mit der
sich die behandelte Megasthenesstelle befaßt, nimmt schon
wegen der verhältnismäßigen Seltenheit der Städte eine
Sonderstellung ein. Sie wird von einem Gremium von dreißig
Beamten verwaltet*).
. Dieses Kollegium von dreißig Aedilen, von Megasthenes
Astynomen genannt, besteht aus sechs Pentaden"). Sie lassen
1) Es scheint so, als wenn sich in den Stadtverwaltungen echte
Kommissionsarbeit nachweisen ließe. Bevor man jedoch Einsicht in
die Akten, die noch vorhanden sind, genommen hat, läßt sich darüber nichts Sicheres sagen. Vgl. einstweilen ZDMG 14, 61 IT. Ganz anders O. Stein in Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie XV 274 ff., der glaubt,
daß Megasthenes sich vorgenommen habe, ,,den griechischen Lesern
ein Volk von hohem sittlichen Stand zu schildern" und ventiliert
dieses Thema in der ausführlichen Darstellung nach allen Seiten so,
daß oft der Eindruck entsteht, es handele sich um konkrete Tatsachen
und nicht um Vermutungen und Ansichten, die man nicht unbedingt
anzunehmen braucht. Sein Urteil über die Darstellung bei Strabo
lautet (S. 280): ,, Jedenfalls macht der bei Strabo erhaltene Bericht den
Eindruck, als hätte M. die Beamtungen nach griechischem Muster ge¬
gliedert; auch die Befugnisse und Aufgaben scheint er unter dem Einfluß seiner griechischen Erziehung geschildert zu haben." Ich kann dem Verfasser nicht folgen. Soweit seine Feststellung eine Generalablehnung des M. bedeuten soll, halte ich die Vermutung nicht für begründet. So¬
weit sie Einzelheiten betrifft, ist mir die konkrete Bedeutung der Be¬
hauptungen nicht ersichtlich. Ich würde M. erst recht für eine unersetz¬
liche Quelle halten, wenn uns der Nachweis einer Fälschung gelingen sollte; denn das setzt Kenntnisse voraus, die uns heute wohl noch fehlen.
2) Pentaden oder Fünferkollegien sind wenigstens in später Zeit
in Indien die Schiedsgerichte. Das Sprichwort sagte: ,,Das Kollegium
B. Bbeloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 263
sich von uns zweckmäßig in zwei Gruppen teilen, von denen
sich die erste Gruppe besonders mit der Personenaufsicht,
die zweite dagegen mehr mit der Kontrolle des Güterverkehrs,
mit Stapelzwang und Zollrechten beschäftigt, welche die
Existenzrechte der Stadt berühren. Die erste Gruppe zählt drei
Pentaden und gehört also mehr zur Polizei, die zweite von eben¬
falls drei Pentaden mehr zur Steuerverwaltung. Die Grenzen
schwimmen aber, weil das indische Prinzip keine klare Schei¬
dung zuläßt. Die Scheidung dient dazu, unserer durch Her¬
kommen begrenzten Vorstellung die nötigen Stützen zu liefern.
Die erste Gruppe von drei Pentaden, also 15 Astynomen,
läßt sich abermals in zwei Ressorts einteilen. Die erste Pentade
befaßt sich mit der gewerblichen Produktion der Stadt, also
mit der Grundlage ihres Wohlstandes (Gewerbepolizei). Die
beiden anderen Pentaden dagegen haben echte Polizeifunk¬
tionen, sie überwachen die Personenstandsführung, deren
Genauigkeit außer der jetzt behandelten Megasthenesstelle,
die lehrreich genug ist, auch noch das Artha-Sästra des Kau¬
talya mit peinlicher Deutlichkeit offenbart*). Die eine der
beiden Pentaden bearbeitet den eigenen Personenstand der
Stadt, die Einheimischen, die andere führt die Fremdenliste,
beaufsichtigt also die fremden Passanten, die Konzessionen
und Niederlassungen. Die neu ermittelte Megasthenesstelle
beschäftigt sich mit der Pentade, die den einheimischen
Personenstand beaufsichtigt").
Die Notiz, die Strabo in seiner oben erwähnten Darstellung
hinterlassen hat, lautet :
„Die dritten (Astynomen, die zur Klasse der Archonten
gehören')) aber sind diejenigen, welche die Geburten und die
Todesfälle aufführen (und zwar) wann und wie, (also mit An¬
ist der höchste Gott." Panch parameshvara. vgl. Wilson, Glossary of judicial and revenue terms, London 1855, s. v. Panchäyat.
1) Vgl. Verf., Staatsverw. 368—92 und passim.
2) In der Zählung des M. Gewerbe-, Einheimische, Fremden-Polizei die zweite Pentade. Zu Wtos und iivot vgl. Mitteis-Wilcken, Papyrus¬
kunde I, 26 f. Rostowczbw, Kolonat 74 f. Zur Form der Konzessionen
W. H. Moreland, From Akbar to Aurangzeb, London 1923, 220—32.
3) Damit gehören sie zur Aristokratie, vgl. oben S. 261.
264 B. Bbeloer, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
gäbe des Todestages und der Lebensumstände) sowohl der
Steuer wegen als auch (zu dem Zwecke), daß notorisch
(öffentlich bekannt) seien
a) die Geburten, die adligen und die minderen,
b) die Todesfälle*)."
Es handelt sich um eine Registerführung, die nur dann
einen Sinn hat, wenn sie Ein- und Austritt registriert, also
Geburt und Tod"). Auch der Grund für die Registerführung
ist unmißverständlich angegeben, nämlich als Grundlage für
die Besteuerung und zum Zwecke der Beurkundung. Der
erste Grund wird auch denen unverdächtig vorkommen, die
an eine Rekonstruktion griechischer Zustände oder an eine
andere Fiktion glauben wollen. Steuern sind nicht auf das
antike Griechenland beschränkt, sie werden auch anderswo
als mit der menschlichen Zivilisation untrennbar verbunden
angesehen. Jedoch nehmen sie in Indien aus den verschieden¬
sten Gründen') eine besondere Ausdehnung an, die neben
anderem auch zu einer besonderen Kontrolle der Beamten
zwingt, an deren Ehrlichkeit infolge der wechselnden Ver¬
hältnisse hohe Anforderungen gestellt werden. Die Beamten
haben also zum mindesten ein starkes Interesse an der recht¬
zeitigen Löschung von ausfallenden Steuersubjekten.
Die notorische Beurkundung, von der Strabo spricht,
erhält durch die Notiz des Philostrat eine besondere Note,
da der Beamte seine Stellung verliert, wenn er „das Leben"
eines Einwohners verfälscht. Im Zusammenhang mit dem
eben erst besprochenen finanziellen Grunde erhält diese An¬
gabe schon mehr an Gewicht. Es handelt sich um eine Grund-
1) Strabo XV 51 p. 708: rgitoi S" slaiv ol tag ysviaeie'"'l ^cvcirovs i^erä^ovaiv, nore xai näg' rwv te cpoQcav i^aqiv xai oncog firj acpavtig elsv ai xgsixtovs xai j^eigovg yovai »al 9ävaroi.
2) Die Ein- bzw. Austragung bedeutet Iceineswegs eine komplizierte
Registerführung, wie schon Timmer a. a. O. 213 gegen O. Stein be¬
merkt hat, sondern eine einfache und sparsame Form, keineswegs aber
etwas Imaginäres. Die Liste ist mit ganz geringen Mitteln an Intelligenz und Material zu führen. Ein Dorfkataster ist schwieriger.
3) Weil das Riesenland Plan- und Vorratswirtschaft braucht und
dabei sehr krisenfreundlich ist, vgl. Verf., Staatsverw. 13—22 u. a.
B. Bbeloeb, Drei unbenannte Megastlienesfragmente usw. 265
liste, nach der sich andere Behörden zu richten haben. Men¬
schenfreundlichkeit scheint hier nicht im Spiel zu sein*).
Außerdem mag der Hinweis darauf von Wert sein, daß
Megasthenes nicht irgendwelche Phantasiestadt beschreibt,
sondern auf seinen Erfahrungen in der Riesenstadt Pätali¬
putra fußt. Er bewegt sich in konkreten Verhältnissen.
Läßt man die Steuerfrage zunächst also außer Betracht,
um bei der rein technischen Beurkundung zu bleiben, so
enthält das Register Geburt und Tod mit Zeitangabe und
besonderen Vermerken"). Diese enthalten bei der Eintragung
der Geburt gleichzeitig die Feststellung der Zugehörigkeit
zum Adel oder zu anderen Klassen*). Im Griechischen war
die Einteilung in Adel und Bürgerschaft verständlich, wenn
sich auch die städtische Einwohnerschaft zweifellos in noch
weit feinere Unterscheidungen auflöste. Was nun die indische
Politie betrifft, so hatten schon die Alexanderhistoriker, zu¬
erst in Nysa, das Vorhandensein und das Leben einer Aristo¬
kratie erkannt und beschrieben, wovon uns neben Spuren
die darauf fußende Darstellung des Megasthenes erhalten
ist. Wenn er also dem Wortlaut nach nur zwei Gruppen,
Adel und Nicht-Adel, zu scheiden scheint, so umfaßt doch
der Ausdruck ,,die minderen Geburten" die Differenzierungen 1) „Politische Überwachung" wie O. Stein a. a. O. S. 257 meint, scheint mir etwas zu fortschrittlich gedacht zu sein, ebenfalls kann ich mich mit den ,, statistischen Zwecken" nicht befreunden, weil wir
darunter etwas anderes verstehen müssen. Eine ,, Beurkundung" im
rein technischen Sinne mit der Sicherheit der absoluten Richtigkeit ist alles, was der Text zunächst zu denken erlaubt, abgesehen von der finanziellen Frage, die er selbst erörtert.
Vgl. aber die von O. Stein angezogenen Arbeiten von E. Weiss
bzw. R. Meissneb über Registrierung in hellenistischen Städten und
bei Hammurapi.
2) Daß dafür beim „Fremden" Zuzug und Tod bzw. Ausreise und
unter ganz besonderen Umständen auch bei Einheimischen Abreise
oder Auswanderung eintreten, ergibt sich aus dem Zusammenhang.
3) Lasse», JA II 717 ,,um die glücklichen und unglücklichen Geburten zu erfahren" entspringt noch der romantischen Auffassung der indischen Realien. O. Stein a. a. O. lehnt die Übersetzung ab. Vgl. die xcxoi in
Nysa ZDMG 14 (1935) S. 64. xaxoi und &ya»oL auch Megasthenes
(Strabo XV, 1,59 p. 713).
266 B. Bbeloer, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
der indischen Stufenleiter, von der Megasthenes eine so
lebendige Kenntnis zeigt. Immerhin geht unzweifelhaft aus
demselben Wortlaut die selbe große Scheidung in zwei Klassen
hervor, die aus dem indischen Schrifttum nicht fortzudenken
ist, nämlich in Arier und Nicht-Arier. Es liegt kein Grund
vor, der die Indentifizierung dieser beiden Scheidungen in
Frage stellen könnte. Zum Adel rechnen die drei Stände der
Priester, Krieger (-Adel) und der Gemeinen, während zu den
niederen Geburten die große Gruppe der Unterworfenen mit
ihrer feinen Unterteilung zählte*).
Die Eintragung ins Personalregister beurkundet also
Geburt und Personalstatus des Abkömmlings. Da der Ehe¬
abschluß nicht eingetragen wird — wenigstens deutet nichts
darauf hin —, geht der Eintragung eine Prüfung der vorauf¬
gegangenen ehelichen Verbindung voraus, der viele Varia¬
tionen zur Verfügung stehen, die auf das Erbrecht Einfluß
haben. Die Ehe scheint also für das Personenregister ohne
besondere Bedeutung gewesen zu sein.
Die Löschung im Personalregister vermerkte Zeit und
Umstände des Ablebens. Ebenso wie die Eintragung den
Familienstatus zu klären hatte, was der Text ausdrücklich
bemerkt, hat die Löschung die Klarstellung der bestehenden
Erbrechte zur Folge, worüber der Text nichts sagt. Da jedoch
der Fiskus den Erbenlosen (manchmal den Sohnlosen) beerbt *),
1) Über das echt indische Gebilde der Kastenordnung lassen sich
unendlich viele Bemerkungen machen, die vielfältig variieren, je nach
Verschiedenheit des Standpunktes, den man einnimmt. Man kann
geradezu behaupten, daß man unmöglich eine Behauptung aufstellen
kann, die als unwahr zu bezeichnen ist. Ebensowenig kann man die
Kastenordnung erklären, denn es hieße ja Indien erklären, sie ist eine
Enteiechie Indiens. Zu den Bemerkungen, die ich ZDMG 13, 141 Anm. 3
machte, möchte ich noch deutlicher sagen, daß ich das Kaslensystem, also die Einteilung des vierten Standes, auf den sie sich trotz aller
theoretischen Erörterungen bezieht, für vorarisch halte. Zu Indien
gehört die Kaste aus den zwingenden Gründen, die in der Landschaft liegen; zu den Ariern gehört sie nicht; also ist sie älter. Die Sippengesetze der Arier, diey3ft hier hineingezogen werden, gehören in ein anderes Gebiet, das nicht geographisch beschränkt ist.
2) Staatsverw. S. 207 s. v. anya-jäta, Nr. 7; a-putraka.
B. Bbelobb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 267
sicherlich bei jedem Erbgang Steuereinkünfte verbucht, fällt
dieser Punkt aber unter die Begründung, die dem Register
gegeben ist, es dient nämlich zu Steuerzwecken und zur Be¬
urkundung.
Diese Mitteilung des Strabo über die Löschung wird nun
durch die Notiz des Philostrat vervollständigt, die das Ver¬
fahren beim Todesfall betrifft. Die Behörde nimmt eine
Leichenschau vor und trägt jetzt bei der Löschung den
Lebenslauf des Verstorbenen ein*).
Über die Form der Eintragung in die Listen der dritten
Pentade des Megasthenes kann nichts gesagt werden, was
unmittelbare Gültigkeit beanspruchen könnte. Originalein¬
tragungen liegen nicht vor. Dagegen läßt sich ein Muster
eines solchen Lebenslaufes (ßiog) aus den monatlichen Ab¬
rechnungen des Stadthauptmanns von Poona vorlegen. Es
handelt sich dabei nicht um einen Einheimischen, sondern
um einen Fremden, dessen Vermögen an den Fiskus fiel,
weshalb der Polizeichef die Abrechnung zu liefern hatte. Bei
dieser Abrechnung steht nun auch der Lebenslauf. Vielleicht
ist es ein Auszug, vermutlich aber eine Abschrift aus einer
Personenstandsliste.
Die Abrechnung des Monats Rajab (Caitra) des Jah¬
res 1088 (1700)") enthält neben anderen Einnahmeposten
auch den Heimfall des erbenlosen Vermögens (Baitalmali
paiki)') mit Rs. - 475-10-9. Unter dem 26. des Monats ist
ein Posten von Rs. - 78-4 der Polizeistation (Cävadi) Näräyan
Pet eingetragen. Der Begleittext lautet:
„N. N. hat sich im Grünfutter aufgehalten. War ein
Fremder in Poona. Er hat Sachen eingebracht und sich
mit Grünfutter(beschafTung) ernährt. Er ist dortselbst
gestorben. Sein Bruder M. M. hat deswegen die Sachen
geholt."
1) n&s steht schon bei Strabo, mg Ißico bei Philostrat.
2) Daftar der Peschwas in Poona, Alienation Office Rumal 443.
3) Bait al-mäl Schatzverwaltung, also Fiskus, ist im Maräthi mit
Be tan mal Heimfall des erbenlosen Vermögens an diesen Fiskus zu¬
sammengefallen. Vgl. Elphinston Sei. IV 166.
268 B. Brelobb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
Obige Nachrichten hat der Bätmidär gesammelt. Von
dem besagten M. M. her wurden sie herbeigeschafft und
eine (gerichtliche) Untersuchung veranstaltet.
„Ein (Erbschafts-) Anspruch seinerseits besteht nicht", so lautete der Spruch.
Deswegen: Gegenstände waren vorhanden, sie waren
erlangt, sie wurden verkauft*)".
Das reale Interesse des Fiskus, das sich in der verschieden¬
sten Weise geltend macht, wird in diesem Fähe besonders
deutlich. Ebenso lehrreich ist der Fall hinsichthch der Funk¬
tion des Nachrichtendienstes, der im alten sowohl wie im
neuen Indien als wirksame und stets zuverlässige Sicherung
aller Regierungsfunktionen stillschweigend in Rechnung zu
setzen ist"). Außerdem ist noch zu bemerken, daß eine richter¬
liche Entscheidung über die Ablehnung des brüderlichen Erb¬
anspruches ergangen ist, die entweder der Bruder oder die
Polizeiverwaltung nachgesucht hat.
Entspricht also der verwaltungsmäßige Vorgang, nämlich
die Aufzeichnung eines Lebenslaufes bei Anlaß des Todes
zum Zwecke der Sicherung des fiskalischen Interesses einer¬
seits und der personenrechtlichen Beurkundung anderseits
ohne Zweifel demselben Vorgang, den Megasthenes beschreibt,
so bleibt doch darauf hinzuweisen, daß die Eintragung in
ein Personalregister und ferner die besondere Behörde, die
dieses Personalregister zu führen hat, nicht nachgewiesen ist.
1) Die Versteigerung ergab für Silber und Schmuck Rs. 75-8, für
Stolle 13-1, für Töpfe 1-15, für Eisen 0-14-6, zusammen 91-6-6. Davon erhielt der Schreiber der Informationsbehörde, die vermutlich das von uns gesuchte Register führt, 9-2-6. Andere Gebühren Rs. 4, so daß 78-4 an den Fiskus fielen.
Das Muster ist nicht besonders instruktiv, auch nicht selten. Es
soll nur einen ungefähren Anhalt geben und durch bessere ersetzt
werden. Die Beschäftigung ist mir nicht klar. Es gibt Grünfuttermärkte.
Ich denke mir, daß der Mann auswärts wohnte und durch sein Geschäft
zeitweise in die Stadt kam. Erkundigungen, soweit möglich, führten
nicht weiter. Die Notiz erfüllt aber ihren Zweck an dieser Stelle.
2) Über den Nachrichtendienst des Kotwal (Polizeichef) vgl. z. B.
die Angaben aus der Mogulzeit, Jaddnath Sarkar, Mughal Admini¬
stration, 2. Aufl. 1924, S. 66ff.
B. Bbeloeb, Drei unbenannte Megastlienesfragmente usw. 269
Ob der Bätmidär als solche Behörde zu gelten hat, kann
zunächst noch nicht ausgeführt werden. Er hat jedenfalls ein
Geschäftszimmer mit Schreibern und hat für den Lebenslauf
zehn Prozent des Versteigerungserlöses erhalten.
Die Frage nach dem Umfang und der Funktion der von
Megasthenes genannten Kommissionen, denen nach unseren
Quellen scheinbar Einzelbeamte gegenüberstehen, macht zu¬
nächst Schwierigkeiten*). Sie läßt sich aber in anderem Zu¬
sammenhange befriedigend beantworten.
Die Notiz des Philostrat über die dritte Stadtpentade ist
also dem Text des Megasthenes entnommen, aus dem Strabo
seine Darstellung entnommen hat. Sie geht über diese hinaus,
da sie auf das Verfahren eingeht, das bei Strabo nicht be¬
schrieben ist.
Das dritte Fragment
In der vegetarianischen Schrift des Porphyrios negi oTioxfjg
ifiymxcov findet sich in IV 17 p. 257") eine Beschreibung der
indischen Weisen, die auf Bardesanes zurückgeführt wird.
Der Gesamtinhalt ist wesentlich von Megasthenes hergenom¬
men, soviel kann gesagt werden, ohne daß der Zusammenhang
bisher genau untersucht worden ist'). Die Stelle, an der
Porphyrios Bardesanes über den Eintritt in den Orden der
Sramana spricht, lautet:
,,Wenn jemand vorhat, sich in den Verband (to rdyina)
einschreiben zu lassen, dann tritt er vor die Archonten der
Stadt (der Stadt, wenn er sich darin aufhält, oder des Dorfes) *)
und entäußert sich der Besitztümer und des gesamten anderen
Vermögens. Sein Haar wird kurz am Körper geschoren (wörtl.
das was vom Körper absteht), er nimmt die (weiße?)*) Robe
1) Stein, Megasthenes u. Kautilya, Wien 1921. S. 257. Timmeb a. a. O.
2) Ausgabe Bibl. Teubner. Nauck, 1886. Vgl. Bbblobb-Bömeb,
Fontes, S. 132, 2 ff.
3) Verf. hofft darüber noch mehr ausführen zu können. Vgl. O. Stein in Bulletin of the School of Oriental Studies 7, S. 55 ff.
4) Einschub Porphyrios-Bardesanes.
5) axötri die weiße Robe, welche die Perser von den Medern über¬
nommen haben.
1 S
270 B. Breloer, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
und wandert aus zu den Eremiten. Weder für die Frau noch für
die Kinder (wenn er Besitz hat) macht er sich nunmehi Sorge,
oder rechnet überhaupt für sich*). Für die Kinder sorgt der
König, damit sie das nötige haben, für die Frau aber die An¬
gehörigen {olxeloi)."
Der Text beschreibt unverkennbar eine Vermögensüber-
gabe des Ordenswihigen an eine Treuhand, vermuthch die
Behörden selbst. Der Weltflüchtige entäußert sich seines Ver¬
mögens und gleichzeitig seiner Verpflichtungen. Er ist für
diese Welt abgeschieden, stirbt den Klostertod.
Derselbe Vorgang wird von Philostrat und Porphyrios
verschieden dargestellt. Beide erläutern ein förmliches Ver¬
fahren vor den Behörden. Der erste legt Wert auf die Prüfung
der Abstammung und der Unbescholtenheit. Das Verfahren
bezeichnet er als Dokimasie. Der zweite dagegen fmdet diesen
Punkt nicht so interessant wie die Vermögensübergabe, die
Befreiung von der Unterhaltspflicht und nicht zum wenigsten
die Genehmigung der Behörden. Es ist nicht zu leugnen, daß
dieser wirtschaftliche Prozeß nur mit Zustimmung der be¬
teiligten Personen zu erledigen ist, daß diese allseitige Zu¬
stimmung nur dann zu erlangen ist, wenn die Voraussetzungen
der von Philostrat beschriebenen Dokimasie gegeben sind.
Nur wenn der Ordenswillige von lauterer Absicht geführt ist,
werden Familie und Staat dem Verlust einer Arbeitskraft
zustimmen. Insofern läßt sich ein innerer Zusammenhang der
beiden so verschieden anmutenden Fassungen nicht leugnen.
Der äußere Zusammenhang ist einerseits durch die Be¬
schreibung der in zwei Gruppen zerfallenden Gesamtklasse
der Philosophen gegeben, die zum erstenmal in dieser Form
bei Megasthenes auftritt und dessen Ausdrücke und Wen¬
dungen auch hier gebraucht werden"). In der vorliegenden
Stelle sind es die unverkennbar städtischen Verhältnisse, die
Porphyrios wiedergibt. Die Angabe, daß es auf dem Dorf
nicht anders sei, ist offenbar von ihm seiner Quelle zugefügt
1) i7ii(SrQ0(pr}v fj xiva X6yov In noiov^LSvog ^ nubs aitbv oXtos vofii^iov.
2) Darüber wird noch in anderem Zusammenhange zu handeln sein.
B. Bbbloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 271
worden. Außerdem wird sich zeigen, daß für das Dorf durch¬
aus nicht dasselhe gilt wie für die Stadt. Stadtluft macht frei,
galt auch für das alte Indien. Megasthenes hat die Bindung
der Bevölkerung an das Land unmißverständlich dargetan.
Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, daß die Bezeichnung
der Behörden als Archonten auch auf Megasthenes verweist,
der diese Behörden so ausführlich dargestellt hatte.
Wird der Zusammenhang bejaht, dann wird auch der
Standpunkt des Philostrat verständlich. Er wollte die
Schwierigkeit des Zugangs zum Orden, die Sorgfalt in der
Auswahl zur Darstehung bringen. Die Befreiung von allen
wirtschaftlichen und sozialen Verpflichtungen hätte sicherlich
beim Leser diesen guten Eindruck trüben können.
Zusammengenommen erweitern die drei Fragmente des
Megasthenes die bisherige Kenntnis über den Eintritt in
einen Orden, indem dieser öffentliche Akt vor der Behörde,
die den Klostertod eines Gemeindezugehörigen genehmigt,
erstmalig beschrieben und auf diese Weise unsere Aufmerk¬
samkeit auf die indischen Quellen gelenkt wird, die darüber
noch zu berichten wissen.
Die amtliche Entlassung aus dem Wirtschaftsleben
Der Quellenbefund gibt wie so oft zunächst ein ehr¬
würdiges Schema, das den Einblick ins reale Leben wegen
seiner apriorischen Form verdeckt. Bei näherem Zusehen
zeigen sich dann die Trümmer uralter Vorstellungen, die in
unbekannte Zeiträume führen.
Die Basis des politischen Denkens, das man mittels einer
Konstruktion, die ihre Echtheit noch zu bewähren hat, als
brahmanisch zu bezeichnen pflegt, die Grundlage der Lebens¬
ordnung, der spirituelle Boden der Kastenordnung, ist die
vierfache Abstufung der Stände in die Ordnung: Brahmanen,
Krieger, Vaidya und Südra, und der Lebensabschnitte in
Schüler, Hausvater, Eremit und Bettler*). Die staatliche
1) Vgl. dazu neuerdings A. Geiobb, Die indoarische Gesellschafts¬
ordnung, Tübingen 1935, S. 101—149, 194—200, der das Doktrinäre,
272 B. Bbeloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
Gewalt hat die Aufgabe — neben der Erhaltung des Land¬
friedens*) — diese bestehende Ordnung der Stände und Lebens¬
stufen unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Aufgabe
dieser Ordnung bedeutet das Chaos"). Die großen Gebiete
des öffentlichen Lebens werden auf diese Weise nicht durch
Normen, durch Gesetze im modernen Sinne geregelt, obwohl
sie ihre Geltung haben, sondern durch Ordnungen, durch
Einfügung in lebendige, organische Gebilde. Diese arische
Ordnung — arisch insofern als sie ihre volle Geltung auf die
oberen Stände, besonders die Brahmanen beschränkte*) —
schreibt nun hinsichtlich der vier Lebensstufen eine bestimmte
Reihenfolge vor, nämlich Lehrzeit, Berufsausübung, dann
die Abscbichtung aus der Gemeinschaft und zuletzt die völlige
Lösung aus der Gemeinschaft. Die Vorschriften legen also
Wert darauf, daß die vierte Stufe, die völlige Lösung von
jeglicher Gemeinschaft, von den einfachsten Bedürfnissen
des Lebens, erst dann vorgenommen wird, wenn der Arier —
hier wieder der Brahmane — die dritte Stufe der Abscbichtung
aus der Gemeinde durchschritten hat*). Gegenüber den von
Megasthenes beschriebenen Fällen, wo der junge Mann mit
Eintritt der Volljährigkeit bereits aus der Gemeinschaft aus¬
scheidet, liegt hier ein Widerstand der brahmanischen Ord¬
nung-vor, dessen Natur nicht ohne weiteres erkennbar sein
mag. Das alte Gesetzbuch des Manu*) hat jedenfalls starr
an dieser Ordnung festgehalten, die im Artha-Sästra des
Kautalya eine nüchterne Bestätigung erhält, welche wiederum
auf Megasthenes verweist. Nach dieser Ordnung darf der Arier
Apriorische aus seiner Vorstellung heraus lebendig macht. Dazu Verf.
OLZ 40 (1937), S. 181—185, Timmeb a. a. O. S. 61 ff. J. Jolly, Recht und Sitte, Straßburg 1896 über die Lebensstufen 148—150. Kasten passim.
1) Jolly a. a. O. 129 (§ 43).
2) Vgl. Verf., Privatrecht, S. 129, 141 f. StaaUverw. 6%fi.
3) Daß diese Bezeichnung nicht der Annahme eines vorarischen
Bestehens der Kasten widerspricht, dürfte verständlich sein.
4) Vgl. J. Jolly a. a. O. § 55 S. 150.
5) M. Wintebnitz in der Jacobi-Festschrift 222 ff. hat Manu, so¬
weit ich sehe, merkwürdigerweise nicht behandelt.
B. Bbeloer, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 273
nicht aus dem Beruf heraus die völhge Lösung vornehmen,
sondern muß erst die Altersabschichtung abwarten.
Manu sagt: „Nachdem er den dritten Teil seines Lebens
auf diese Weise in den Wäldern verbracht hat, soll er den
vierten Teil des Lebens umherwandern, nachdem er die Ge¬
lüste aufgegeben hat*)."
Die folgenden Verse variieren dieses Thema, ohne weiter
zu führen. Vers 38 dagegen bringt den gesuchten Punkt,
nämlich den Eintritt in die Heimatlosigkeit.
„Nachdem er das Präjäpatya-Opfer ausgeführt hat, dessen
Opfergabe die ganze Habe ist, legt der Brahmane die Feuer
in sein Selbst und wandert aus (vom Hause aus" was aber
sicher aus ,,vom Walde aus" verbessert ist)").
Das Manu-bhäsya des Medhätithi (9.—10. Jahrh.), unser
ältester Kommentar, verweist in seiner Erläuterung zunächst
auf den Yajurveda, in dem die völlige Aufgabe unter dem
Sarva-medha beschrieben ist'). Auf noch älteres Gebiet führt
die Bemerkung des Medhätithi, daß ein Teil seiner Vorgänger,
also wahrscheinlich der ältere Teil, dieses Opfer für einen
Purusa-medha, ein ,, Menschenopfer" halte. Dieses Opfer
stimmt in seinem Ritual vielfach mit dem A§va-medha, dem
berühmten Pferdeopfer überein. Es ist nach dem Kätyäyana-
Srauta-Sütra XXI, 1, 2 nur für einen Brahmanen und einen
Räjanya (Krieger-Adel) darzubringen. Am Schluß des Opfers
läßt der Opferer (nicht der Priester) die Feuer in sich hinein¬
gehen, verehrt dann mit dem Anuväka Väjasaneyi-Samhitä
XXXI, 17 die Sonne, begibt sich darauf in den Wald, um
1) Manu VI, 33: vanesu ca vi-hrtyaivam trtiyam bhagam äyusah caturtham äyuso bhägam lyaktvä sangän pari-vrajet.
2) VI, 38: Prä/äpatyäm ni-rüpyestim sarva-vedasa-daksivtäm
ätmany agnin sam-ä-ropya brähmanäh pra-vrajed grhät.
Letzteres aus vanät verbessert, denn sonst wird gerade der Sinn der
vorausgehenden Verse problematisch gemacht.
3) A. Weber, The White Yajurveda, Part I : The Väjasaneyi-
Sanhitä usw., Berlin-London 1852, Kap. XXXII—XXXIV. Part II:
The ^atapatha-Brähmana, Berlin-London 1855, Kap. XIII, 6, 2, 20.
Part III: The Kätyäyana-iSrauta-Sülra, XXI.
18«
274 B. Bbeloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
nie zurückzukehren*). Der König übergibt ahen Besitz samt
seinen Leuten, der Brahmane seinen Besitz. Daß diese Über¬
gabe des Königs nicht ganz symbolisch zu verstehen ist, zeigt
die Erörterung in den Mimämsä-Sütra VI, 7, 2, die bis in
die moderne Zeit hinein die Frage, ob Patrimonium auch
Eigentum bedeutet, ob der König Eigentum an seinem König¬
reich besitzt, begleitet hat").
Es ist nicht zu bezweifeln, daß diese alten Kommentatoren
recht hatten, denn der Wortlaut zeigt die Übereinstimmung.
Hillebrand ist deswegen zuzustimmen, wenn er meint, daß
diese Bestimmungen das Opfer (also den Menschen) zur
ältesten Form des pärivräjya oder paribbäjaka machen*).
Die Bestimmungen dieser alten Texte, die den Fall bereits
berücksichtigen, daß der Exmittierte doch noch in der Ge¬
meinschaft (nach der Sprache der Texte im Dorfe) verbleibt,
stellen bereits einen Zustand völligen Verfalls der alten In¬
stitutionen dar. Die Handlung hat symbolischen Charakter
erhalten, die Exmission ist ein spiritueller Vorgang geworden.
Das dritte Stadium, die Abscbichtung, ist nicht vorgenommen
worden. Der Exmittierte lebte vorher nicht im Wald, sondern
in der Gemeinschaft, und kehrt auch dahin zurück. Die so¬
zialen Verhältnisse haben sich inzwischen so geändert, daß
nur noch das Symbol, das Ideal geblieben ist. Das ist auch
der Zustand, der sich bei Manu gehalten hat. Er ist charakteri¬
siert durch das vöUige Verschwinden der dritten Lebensstufe,
des abgeschichteten Mannes, der allein oder mit seiner Frau
in den Wald zieht, nachdem er seine Enkel gesehen und
seinem Sohn seinen Platz übertragen hat. Das reguläre Ende
dieser dritten Stufe ist der symbolische Opfertod, der viel¬
leicht einst ein wirklicher Tod gewesen ist. Die vierte Stufe
1) A. Hillbbband, Ritualliteratur im Grundr. Straßburg, § 77
B. 153. A. B. Keith, Religion cß Philosophy of the Veda, 1925, S. 347f.
the human sacrifice.
2) Juristisch betrifft sie allerdings mehr die Differenzierung der
Verfügungsfähigkeit als die Frage des Eigentums, das vielfachen Be¬
schränkungen unterliegt. Vgl. R. Shamashastbi, Forms of Government in
Ancient India, in Annais of BORI XII (1933), S. 14 ff.
3) a. a. O.
B. Breloer, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 275
erscheint in diesem Zusammenhang als eine Beendigung des
Lebens, nicht als ein Wechsel in den Lebensstand des Bettlers,
der ein neues Element in diesen Zusammenhang hineinbringt.
Hier stehen sich verschiedene Welten, und sicherlich ver¬
schiedene soziale Verhältnisse gegenüber.
Sieht man von den metaphysischen Tiefen*) ab, ohne sie
zu leugnen, so gehört die Abscbichtung des Alters in soziale
Verhältnisse, welche die volle Manneskraft beanspruchen,
aus denen schon das reifere Mannesalter ausgeschlossen werden
muß. Das ist ohne Zweifel beim Krieger der Fall. Sein Beruf
erfordert die kräftigsten Jahre. Der Jüngling und der reifere
Mann gehören beide nicht in ihre Reihen. Es ist also be¬
deutsam, daß der Purusa-medha, das erwähnte Menschen¬
opfer, nur für Brahmanen und Kriegeradel zuständig ist.
Eine von Medhätithi zitierte Quelle, die Jäbälä-Smrti, ent¬
hält also die richtigen Hinweise, wenn sie die vier Lebens¬
stufen auf die vier Stände in absteigender Form verteilt.
Der Brahmane durchläuft alle vier Stufen, der Krieger nur
die ersten drei. Der Vaidya hat nur zwei, nämlich die Stufe
des Haushalters und die des Abgeschichteten. Der Südra da¬
gegen hat nur die Stufe des Haushalters, er dient von Anfang
an, wie der Vaiäya, verbleibt aber im Erwerbsleben, nur der
Arier wird abgeschichtet. Die Abscbichtung ist also ein Vor¬
recht der Arier, sie beendet ihren Lebenslauf mit Ausnahme
des Brahmanen. Für diesen sind ferner die Bestimmungen des
vierten Abschnittes gegeben, ein langsamer Hungertod ur¬
sprünglich, eine Aussetzung, die sich unter späteren ver¬
schiedenen sozialen Verhältnissen zu einer neuen Institution
ausgewachsen hat, die von der ursprünglichen wesentlich
verschieden war. Sie hat dann schließhch die Abscbichtung
von der einen Seite her abgelöst, während von der anderen
die ergiebigere Wirtschaft oftmals und schließlich überhaupt
eine Abscbichtung erübrigte.
Die Verwandtschaft mit dem Pferdeopfer und die Be¬
schränkung auf die beiden oberen Stände begründen die
1) Vgl. Har Dutt Sharma, Contributions to the History of Brahma¬
nical Asceticism. The Poona Orientalist vol. Ill No. 4 (1939).
Zeltschrift d. DMO Bd. 93 (Neue Folge Bd. 18) 19
276 B. Brelobr, Drei unbenannte Megastlienesfragmente usw.
Formulierung, daß die arische Form der pravrajyä ein ehe¬
mals echtes Opfer des bereits abgeschichteten Kriegers war,
während die Brahmanen (dieselbe Handlung symbolisch
nahmen und) den langsamen Tod der Einsamkeit suchten.
Die Abscbichtung erfolgte also im reiferen Mannesalter, die
pravrajyä bei Eintritt stärkerer Hilflosigkeit, eine letzte
feierliche Gemeinschaftshandlung. Die Abscbichtung stellt
eine Trennung zweier Geschlechter dar, wobei anscheinend
die jüngere Generation bleibt und die ältere Kolonien bildet.
Als untere Grenze der Abscbichtung wird die Zeit zwischen
35 und 45 zu gelten haben. Die Epen und die SagenstofTe
liefern manche Erzählung von einem König, der in den Wald
gezogen ist, wobei die Entscheidung, ob der jüngere oder
der ältere oder ein änderet zu gehen hat, ohne Bedeutung ist.
Entscheidend ist der Zeitpunkt, das Nachrücken und Drücken
der nächsten Generation.
Ob der betroffene Adelskrieger nun den Zeitpunkt für
gekommen erachtet, sich abschichten zu lassen, die religiös
gebotene Stufe zu betreten, wird oft vom physischen Druck
der Verhältnisse und seiner eigenen Kraft bestimmt werden.
Von irgendwoher scheinen sich Reste eines freiwilligen Alters¬
todes bis in das Ritual des Purusa-medha hinein erhalten zu
haben. Zwar scheinen die Schilderungen, die Herodot III 99
und 100 von den Padaiern entwickelt hat, nicht ohne Mi߬
deutung zu sein. Er unterscheidet zwei Gruppen Inder,
Nomaden und andere. Erstere essen Fleisch, letztere töten
nichts Lebendiges. Von den ersteren sagt er: ,,Den, der ins Alter
gelangt, opfern und verzehren sie*)." Seine vorhergehende
etwas zynisch anmutende Erklärung, daß nicht viele soweit
kämen, da die Verwandten die erste Schwäche benutzten,
sich der Anfälligen zu entledigen, zeigt, daß er keinen reli¬
giösen Gedanken in der von ihm geschilderten Handlung
sehen will. Die Kalatier, die nach Herodot III 38 vor Darius
erscheinen, betrachten ihre Handlungsweise als eine Ehr-
1) III 99: TOV yctQ Sri y^e^S Sinix6fisvov ^vaavtse KaTsvaxiovtai.
Lassen, Ind. Alterthumskunde II 634 nimmt, auf Quellen gestützt, an,
daß es sich um aborigine Stämme handelt.
B. Bbkloek, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 277
furchtsschuld gegen ihre Eltern. Von anderen sagt Hero¬
dot III 100: „Wer von ihnen in Krankheit fällt, geht in die
Einsamkeit und legt sich nieder. Es kümmert sich niemand
um ihn, wenn er stirbt oder krank ist*)." Das ist also ein Fall
der Aussetzung. Lassen") sieht hierin die brahmanischen Ein¬
siedler, also gewissei maßen ihre pravrajyä, wie sie oben
angedeutet worden ist. Es mag nun dahingestellt sein, ob
die Mitteilung Herodots richtig aufgefaßt worden ist, welche
Verbreitung diese Formen gefunden haben, und ob sie etwas
mit dem Purusa-medha zu tun haben. Daß sie jeder Grund¬
lage entbehrt, ist nicht anzunehmen, wenn auch Ursprung
und Einzelheiten dunkel sind').
Die älteste Form der vierstufigen brahmanischen Lebens¬
ordnung kennt nur drei volle Stufen, an deren Ende viel¬
leicht und in besonderen Fällen ein Ausscheiden aus
dieser Gemeinschaft eintritt, das auf einen feierlichen Tod
zurückgeht*). Ein Ausbau der dreistufigen zur vierstufigen
1) og S' av ig vovaov avxwv niarj, iX9ä)v ig xriv igriiiov xiexai' cpQOvxi^si äh oiiäclg oürf ano9av6vxos oüxe xafiovxog.
2) Lassen a. a. O. 635.
3) Vgl. Hirt, Die Indogermanen, S. 455f. Schräder, Reallexikon,
unter: Alte Leute, bes. F. Paddler, Alten- und Krankentötung usw. in
Wörter und Sachen XVII S. 1—57. Ders., Die Volkserzählungen von
der Abschaffung der Alterstötung, Helsinki 1937.
4) Die Anschauung würde sich aus einem starken Kontinuitäts¬
glauben, wonach niemand als Alter oder Kranker ins Jenseits gehen
will, erklären lassen. Siehe Paddler a. a. O. S. 9, der sie für nicht indo¬
germanisch hält. Beachtlich ist das Zeugnis des Prokop, De hello
Gothico II 14: über die Heruler:
Wenn sie nämlich alt oder krank wurden, durften sie nicht mehr
leben, sondern sobald jemand altersschwach oder krank wurde, mußte
er seine Verwandten bitten, ihn sobald als möglich vom Leben zum
Tode zu bringen. Dann türmten sie einen Scheiterhaufen, auf dem der
Betreffende Platz nahm, und schickten einen Heruler mit einem
Dolche zu ihm ... Nach der Tat stieg der Täter herab und sie zündeten den Scheiterhaufen an allen vier Enden an: war die Flamme erloschen,
wurden die Knochen gesammelt und dem Schoß der Erde übergeben.
Dieses Bild ist dem Scheiterhaufen des erkrankten Kalanos, des
indischen Philosophen, der Alexander begleitete, so ähnlich, daß ich
meine, es gehöre in dieselbe Reihe hinein.
Vgl. aber die fein abgewogene Untersuchung von R. Fick NGWG 1938.
19«
278 B. Breloeb, Drei unbenannte Megastlienesfragmente usw.
Form liegt aber bereits vor den geschichtlichen Zeugnissen,
die uns erhalten sind*). Mit Ausnahme der drei heiligen
Feuer, die sich nicht zu einer Vierzahl erweitert haben,
zeigen in den Erweiterungen zur Vierzahl die vierten Formen
ein Element, das der Dreiform fremd ist. Bei den Veden hat
sich der Begriff der Dreiheit (trayi) erhalten, obwohl man
seit alters vier Veden kennt"). Der alte Trivarga dharma-
artha-käma ist zwar (vielleicht schon in alter Zeit) durch
moksa ergänzt worden, aber dieser vierte Lebenszweck hat
sich in dieser Reihe nicht durchsetzen können, er ist anderer
Herkunft. Die Standesaufteilung in Priester, Kriegeradel und
Volk ist ein Schema, das bei vielen Völkern angewandt werden
kann. Die große Masse der Nichtarier bilden zwar dem Schema
nach den vierten Stand, nach allgemeiner Anschauung ist
aber das reale Verliältnis eine große nichtarische Mehrheit
gegenüber einer kleinen arischen Minderheit. Auch hier
fügen sich wie in den genannten Fällen zwei verschiedene
Dinge zusammen. Ebenso ist es nun auch mit den Lebens¬
stufen. Das volle rüstige Mannesalter trennt nach unten die
Ausbildungszeit der Jugend, nach oben die Abscbichtung
des reiferen Mannesalters ab. Diese drei Stufen gehören zu
einer Einheit. Die Stufe des aus der Gesellschaft austretenden
Religiösen gehört in eine andere Kategorie, die ihre Form
vermuthch im Buddhismus*) nach eigenen Gesetzen entwickelt
hat. Sie hat dem arischen System nicht das Alter, sondern
die Jugend abgefangen. Während im arischen System der
rüstige j unge Mann im Mittelpunkt steht, auf der einen Seite
die Jugend, auf der anderen das Alter, steht im Mittelpunkt
des buddhistischen Systems der Mönch, auf der einen Seite
der Novize, auf der anderen mit seinen Vorrechten der alte
Mönch. Während in den anderen Fällen die Angleichung eines
der vorhandenen Ordnung fremden Prinzips mit dem Ent¬
stehen der sogenannten brahmanischen Kultur zusammen-
1) Vgl. dagegen M.Wintebnitz a. a. O. S. 217: Es gibt nur drei Äsramas.
2) Bemerkenswert scheint mir Kautalya: Säma-rg-yajur-vedäs trayas trayi. Atharvetihäsa-vcdau ca vedälf..
3) Vgl. dagegen M. Winternitz a.a.O. S. 226. Shabma a.a.O. S.12f.
B. Bbeloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 279
fällt, läßt sich wahrscheinlich die Entwicklung dieser neuen
Ordnung und ihr Einbruch über die ganz anders geartete
vierte Stufe in das brahmanische System verfolgen. Diese
vierte Stufe ist offenbar auch schon in vorgeschichtlicher Zeit
entstanden. Man wird nur noch annehmen dürfen, daß ihre
Ausdehnung nach unten mit dem langsamen Verschwinden
der dritten Stufe zusammenhängt. Dieses Verschwinden
setzt wiederum eine grundlegende Veränderung in den sozi¬
alen Verhältnissen voraus, eine Besserstellung hinsichtlich
der Ernährung, eine Intensivierung der Arbeit oder schlie߬
lich auch eine merkliche Verdünnung der arischen Herren¬
schicht. Es ist nicht schwer, darüber Vermutungen anzustellen,
schwerer aber, sich auf eine bestimmte Ursache festzulegen,
da vermutlich alle genannten und noch einige unbekannte
zusammengewirkt haben, um die Abscbichtung so weit hin¬
auszuschieben, bis die vierte Stufe an der Reihe war, und
schließlich auch diesen Abschied von der Welt zu einem
symbolischen Akt zu machen*), als den uns ibn schon die
ältesten Zeugnisse schildern, die wir besitzen.
Immerhin hat Manu das Verbot der pravrajyä vor Er¬
reichung des Alters bewahrt. Yäjnavalkya III 56 hat den¬
selben Wortlaut, wenn auch anders geordnet. Zu diesen
religiös gut fundierten Quellen tritt nun noch die juristische
Norm des Kautalya mit dem ganzen Gewicht seiner prakti¬
schen Nüchternheit und Härte. Sein Bestreben, zu koloni¬
sieren, ist unverkennbar und stellt ihn in eine Reihe mit den
großartigen Unternehmungen der hellenistischen Herrscher
der Zeit nach Alexander"). Das erste Kapitel des zweiten
1) Die Stärlce der Ordnung liegt natürlich im Metaphysischen be¬
gründet, in Tiefen, die hier nicht erörtert werden sollen. Man wird sich
also vor Augen halten, daß mit den oben gemachten, die formelle
Konstruktion behandelnden Erörterungen nicht der wesentliche Kern
der Institutionen getroffen wird, der uns fast unerreichbar ist.
2) Verf., Grundeigentum S. 55—67, 78—93, 106—113. Neuerdings
nimmt auch W. W. Tarn in The Greeks in Bactria & India, Cambridge
1938, S. 152f. aus anderen Gründen zwischen Indien und der helle¬
nistischen Welt konkretere Beziehungen an, als bisher angenommen
wurden.
280 B. Breloer, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
Buches handelt dementsprechend über die ländliche Kolo¬
nisation und enthält die Gedanken, die man sich über die
Landesverwaltung macht. Bemerkenswert sind dabei die An¬
ordnungen zur Verhinderung der Landflucht. Über die Ver¬
abschiedung aus dem Wirtschaftsleben bringt er die nicht
falsch zu verstehende Anordnung:
,, Wessen Geschlechtskraft geschwunden ist, mag wandern,
nachdem er von den Richtern verabschiedet ist. Andernfalls
soll er in Zwang genommen werden*)."
Diese Notiz zeigt, daß man auf dem Lande mit jedem
Bauern rechnete, daß der Bauer an die Scholle gebunden war,
was schon Megasthenes bemerkt hatte"), der auch das Ver¬
hältnis zwischen Fiskus und Bauer sehr gut als eine Quotal¬
pacht bezeichnet hatte. Der Staat hat also eine Genehmigung
zur Berufsaufgabe zu erteilen, die auf dem Lande nicht vor
Eintritt des Alters erhältlich war. An Stelle der sakralen
Form des brahmanischen Systems zeigt sich hier die amtliche
Regelung, die keineswegs die andere ausschließt. Diese amt¬
liche Regelung ist Gegenstand der behandelten Megasthenes-
Fragmente. Zwei weitere Bestimmungen legen den Charakter
der Verhandlung vor den Behörden bloß. Die erste bestimmt:
„Wer abwandert, ohne für Weib und Kind Vorsorge getroffen
zu haben, erhält die erste Gewaltbuße*)." Diese Vorsorge
unterscheidet sich von der Unterhaltspflicht*), die alle Nach¬
kommen, die Frau, Ellern, minderjährige Brüder, Schwestern,
Töchter, Witwen umfaßt. Die Unterhaltspflicht erläutert
1) 111,19 p. 48, 8: lupta-vyaväyah pra-vrajed ä-prcchya dharma-
sthän. anyathä ni-yamyeta.
Der Text ist durch Kommentar Gan.s, Lesart C und Zusammen¬
hang mit Manu und Yäjnavallcya gesichert. Vgl. Äpastamba 119, 24, 7 ff.
MBh XII, 10, 22. 2) Verf., Grundeigentum S. 61.
3) a. a. O. S. 48,6: putra-däram a-prati-vi-dhäya pravrajatah pürva- säfiasa-dandafi-
Über die Strafart kann noch nichts ausgesagt werden, aus der Be¬
nennung sind keinerlei Schlüsse zu ziehen. Die Strafe ist Angelegenheit des Staates und hat mit dem Privatverhältnis nichts zu tun. Sie beträgt
anscheinend das 4—8 fache der Buße für Verstoß gegen die Unter¬
haltspflicht gegen die Gesamtfamilie.
4) a. a. O. S. 48, 4 f.
B. Bbeloeb, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 281
schon hinreichend die Schwierigkeit, eine Genehmigung der
Behörden zu erlangen. Sie erläutert aber gleichzeitig auch
die Tatsache, daß der Versuch, sich den Unterhaltsverpflich¬
tungen zu entziehen, gemacht werden konnte*). Die krisen¬
freundliche Wirtschaft begünstigt neben anderem einen
Arbeitsaustausch bei wirtschaftlichen Notlagen, der das In¬
stitut der zeitbestimmten Abwesenheit (hrasva-praväsa) und
der unbestimmten, der Verschollenheit {dirgha-praväsa) ge¬
bildet hat"). Die zeitbestimmte Abwesenheit dürfte wohl
jährlich zur Regenzeit unterbrochen worden sein. Dann eilte
jeder, der sich in der Fremde befand, nach Hause zu seiner
Familie*). Die gewöhnhche Abwesenheit erfolgte zum Zwecke
des Erwerbes, also von Berufs wegen, um die Familie zu unter¬
stützen. Wenn sie aber sich in Verschollenheit umwandelte,
dann machte sie die Frau zur Witwe, sie löste die Familie
auf und legte die Sorge für die Hinterbliebenen auf andere
Schultern. Tod, VerschoUenbeit und Austritt aus der Welt
als Religiöser stehen in dieser Hinsicht gleichartig*) neben¬
einander. Gleichartig ist ihre Wirkung hinsichtlich Frau und
Kinder. Kautalya gibt zunächst die Regelung hinsichtlich
der hinterbliebenen Ehefrau:
„Die Gattin eines auf lange Zeit ausgewanderten, eines
Weltflüchtigen, eines Verstorbenen soll sieben „Monate" war¬
ten. Eine, die geboren hat, ein Jahr.
Darauf soll sie zum Bruder des Gatten gehen (und zwar
zu einem Bruder, der von der gleichen Mutter abstammt). Sind
1) Die juristische Form sagt nichts über tatsächliches Vorkommen, wie gelegentlich angenommen wird, sondern reguliert eine Möglichkeit, deren Erscheinen in der Wirklichkeit noch eines Beweises bedarf.
2) Vgl. Kautalya unter Titel III 59 (viväha-samyukte u. a.) hrasva
und dirgha-praväsa. Ehefristen in Gedächtnisschrift für E. Sbckel,
Berlin 1927, S. 190—92.
3) Vgl. den Meghadüta des Kälidäsa.
4) Vgl. z. B. Väsistha XVII 77. Wenn die Frau die Auswanderung
wegen artha oder dharma nicht billigt, muß sie sich verhalten
wie gegen einen Verstorbenen.
Es gibt also zwei Möglichkeiten, Erwerb oder religiöser Antrieb.
Bemerkenswert ist die Feststellung, daß die Abwanderung der Billigung der Frau bedarf.
282 B. Bbkloek, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw.
deren viele, dann zum nächsten, zum redlichen, zum unter¬
haltsfähigen, zum jüngsten oder zum unbeweibten. Ist keiner
da, dann zu einem Geschlechtsgenossen auch wenn er nicht
von der gleichen Mutter abstammt oder zu einem Familien¬
mitglied. Dann gilt dieselbe Reihenfolge (wie oben) nämlich
zum nächsten (usw.)*)."
Ehepflichtig") sind also zunächst diejenigen Brüder des
Mannes, die von der gleichen Mutter abstammen, dann die
Agnaten bis zum 7. Ahn und zuletzt diejenigen die zum
gleichen kula (Stamm) gehören. Die Reihenfolge in jeder
dieser drei Klassen ist folgende: zunächst derjenige, der am
nächsten ist, also in der Geburt folgt. Entzieht sich dieser
seiner Pflicht*), dann fällt die Pflicht auf den redlichen*),
dann auf den, der dazu fähig ist. Wenn keiner darunter ist,
dann fällt sie auf den jüngsten. Dieser kann sich zuungunsten
eines unbeweibten befreien. Die Verpflichtung steigert sich
also in der Abstufung. Diese ist aber in dieser Reihenfolge
gewählt, weil das Wahlrecht in der umgekehrten Folge läuft.
Bei Vorteilen wählt der erste, bei Nachteilen fallen diese
auf den letzten der drei Reihen.
Die Nachricht des Megasthenes, daß die Hausgenossen
{olxetoi) für die zurückgebliebene Frau sorgen, stimmt also
wörtlich und sachlich mit den Normen des Kautalya überein,
der nach der Tradition sein Zeitgenosse gewesen sein soll.
Ebenso deutlich ist die Übereinstimmung hinsichtlich der
Kinder. In dem Kapitel über die Landbesiedelung bestimmt
Kautalya :
1) Text a. a. O. III 59 p. 159, 11: Dirgha-praväsinah pravrajitasya
pretaysa vä bhäryä sapta-tirthäny äkänkseta. samoatsaram prajätä.
Tatah, pati-sodaryam gacchet. bahusu pratyäsannam dhärmikam bharma-
samartham kanistham a-bhäryam vä. Tad-abhäve'py a-sodaryam sa-pi-
v4am kulyam väsannam. etesäm esa eva kramah-
Zu pratyäsanna Vgl. pratyanantara Manu VIII 185f. Närada II 10.
Zum Text vgl. J. J. Meter, Das altindische Buch vom Welt- und Staats¬
leben, Leipzig 1925, S. 254 mit Literaturangaben.
2) Darum handelt es sich offenbar gegebenenfalls.
3) Ist er a-dhärmika.
4) Der sich verpflichtet hat.
B. Breloer, Drei unbenannte Megasthenesfragmente usw. 283
„Der König soll unterhalten: Kinder, Greise, Kranke,
Mittellose und Herrenlose, die Frau, die nicht geboren hat
und die Söhne derjenigen, die geboren hat*)."
Aus dem Text geht zweierlei hervor: 1. die Versorgung
der Frau, die Kinder hat, obliegt in jedem Falle der Familie,
wie oben besprochen worden ist. 2. wie Megasthenes sagt,
übernimmt der Staat dagegen die Vormundschaft über die
Söhne. Der Text gibt auch die Verwaltungsstelle an:
„Das Gut der Kinder sollen die Dorfältesten pflegen bis zur
Erlangung der Geschäftsfähigkeit. Auch das Gut der Götter")."
Damit ist für die dörfliche Lage völlige Klarheit geschaffen.
Die Gebundenheit läßt keinen Werktätigen fort, solange er
noch zeugungsfähig ist. Wenn er die Erlaubnis der Behörden
erhalten will, so muß der Weltflüchtige zunächst seine Frau
in seiner Familie unterbringen. Dann hat er das Vermögen
der Kinder, also der Unmündigen an die Dorfältesten heraus¬
zugeben. Das ist derselbe Vorgang der Erbauseinandersetzung
wie beim Tode (däya-vibhägä), also der bürgerliche Tod des
Weltilüchtigen. Die eindeutigen Bestimmungen des Land¬
rechts lassen ihm aber offenbar zu Kautalyas Zeiten nur
eine Flucht übrig. Unterstrichen wird diese intransigante
Haltung noch durch die Bestimmungen, daß der König auf
dem Lande keinen anderen Exmittiertenstand (pravräjita-
bhäva) duldet als den Stand des Abgeschichteten (Waldein¬
siedlers vana-prastha) und mit einer noch deutlichen Spitze
gegen die Buddhisten keinen anderen Sangha (Verband) als
den auf Basis des gleichen Blutes. Der Bettel und die Bud¬
dhistenklöster sind also auf dem Lande untersagt. Was das
im Lande der Dörfer besagt, ist Verweisung auf die wenigen
Städte und die unendlichen Einöden*). In den Städten wird
die Ablösung aus dem Wirtschaftsleben nicht so schwierig
gewesen sein wie auf dem Lande. Das Verfahren, nämlich
1) a. a. O. S. 47, 19: Bäla-vrddha-vyädhita-vyasany-anäthämi ca räjä bibhryät. striyam a-prajätäm prajätäyäs ca puträn.
2) Bäla-dravyam gräma-vrddhä vardhayeyur ä vyavahära-präpartSt.
deva-dravyam ca.
3) Vergl. Strabo 719 xarä nöXiv fjjv ^ xai xar' Ajgovg.