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„Baden wird ein Weltmarktplatz werden“

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um. Schnurgerade durchtrennten die Gleise in der Oberrheinebene die gewachsenen Flure, kühne Viadukte überspannten die Täler, im Schwarzwald durchbrachen Tunnels die Berge. Bahnhöfe und Gleisanlagen veränderten das Gesicht der Städte.

Reich bebildert und ansprechend gestaltet, zeichnet der Ausstellungskatalog nicht nur die Veränderung der Kulturlandschaft Südwest- deutschlands nach, sondern er dokumentiert auch die sozialen und kulturellen Veränderungen, die mit dem Siegeszug der Eisenbahn verbunden waren.

RDEN ++ BADEN WIRD EIN WELTMARKTPLATZ WERDEN + + BADEN WIRD

9 783170 232655 ISBN 978-3-1702-3265-5

175 JAHRE EISENBAHN AM OBERRHEIN

ISBN 978-3-17-023265-5

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175 Jahre Eisenbahn am Oberrhein

„Baden wird ein Weltmarktplatz werden“

Begleitband zur Ausstellung

des Generallandesarchivs Karlsruhe 2013 Bearbeitet von Martin Stingl

Verlag W. Kohlhammer Stuttgart 2013

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Titelbild: Eisenbahn auf der Strecke zwischen Liverpool und Manchester, Abbildung (Ausschnitt) in der Denkschrift von Ludwig Newhouse über den Bau einer Eisenbahn im Großherzogtum Baden (GLA Karlsruhe, Bibliothek Co 139), kombiniert mit historischen Fahrkarten der badischen Eisenbahn (GLA Karlsruhe, G Technische Pläne II EB 2 Nr. 60).

Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 by Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart Gestaltung: Xdream GmbH, Karlsruhe

Druck: Pitney Bowes, Rüsselsheim

Kommissionsverlag: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Printed in Germany

ISBN 978-3-17-023265-5

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4 Vorwort

...

MARTINSTINGL

6 Erhöhung des National-Reichthumsdurch eine nichts consumirende Maschine?

Hoffnungen und Ängste bei Badens Start ins Eisenbahnzeitalter

...

Ausstellungskatalog

18 Konzepte und Entscheidungen.

Der Eisenbahnlandtag von 1838 30 Anfänge und Impulse.

Die ersten Züge rollen

42 Neue Landschaften und neue Städte.

Badens Magistrale von Mannheim nach Basel und Konstanz

60 Brückenschläge und Krisen.

Baden und Europa

72 Mobilität und Raumbeherrschung.

Der reisende Mensch, seine Zeit und seine Umwelt ...

Ausgewählte Quellen

zu den Anfängen der Eisenbahn in Baden 95 Begleitschreiben von Ludwig Newhouse zur

Vorlage seines Vorschlag zur Herstellung einer Eisenbahn im Großherzogtum Baden … an die Erste Kammer des Badischen Landtags, 22. Juli 1833

100 Votum des Abgeordneten der Zweiten Kammer des Badischen Landtags, Franz Josef Müller, Rastatt, Gastwirt und Gutsbesitzer, während der 6. Sitzung des Eisenbahnlandtags am 9. März 1838 103 Eingabe der Gemeinde Seckenheim an das

Badische Innenministerium zur geplanten Trassenführung durch ihre Gemarkung, 14. Mai 1838

108 Bau der ersten Lokomotive aus badischer Produktion: Eingabe von Keßler & Martiensen an die Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus, Sektion für den Eisenbahnbau, 10. März 1841 ...

111 Abgekürzt zitierte Literatur

Inhalt

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„Diese Dampffahrten rütteln die Welt, die eigentlich nur noch aus Bahnhöfen besteht, unermüdlich durcheinander wie ein Kaleidoskop, wo die vorüber- jagenden Landschaften, ehe man noch irgendeine Physiognomie gefasst, immer neue Gesichter schneiden, der fliegende Salon immer neue Sozietäten bildet, bevor man noch die alten recht überwunden hat“ – mit diesen Worten leitete Joseph von Eichen- dorff (1788–1857) seine autobiographische Schrift

„Erlebtes“ ein. Das Reisen mit der Eisenbahn wurde für den Romantiker zum Inbegriff der Moderne, deren Fortschritte er mit großer Skepsis kommentierte.

Die „Gesellschaft im fliegenden Kasten“ – wie er die Mitreisenden bezeichnete – sahen dies ganz anders:

sie waren von der Schnelligkeit der Lokomotiven begeistert, während der Dichter die Verkürzung der Reisezeit zutiefst bedauerte: man könne meinen, es „käme bei Lebensstrafe darauf an, dem Reisen, das doch mein alleiniger Zweck war, auf das aller- schleunigste ein Ende zu machen.“

Auch im Großherzogtum Baden hätte Eichendorff in den 1830er Jahren kaum auf Verständnis für seine Vorbehalte hoffen dürfen. Seit 1833 wurde im Land intensiv über den Betrieb einer Eisenbahn diskutiert, 1838 nahm der Landtag ein Gesetz an, das nicht nur den Bau der badischen Hauptbahn von Heidelberg

bis an den Bodensee beschloss, sondern auch festlegte, dass dieses ehrgeizige Projekt als staatliche und nicht privatwirtschaftliche Maßnahme realisiert werden sollte. Bereits 1840 rollten zwischen Heidelberg und Mannheim die ersten Züge, 1863 erreichte die Strecke in Konstanz den geplanten Endpunkt. Wie eine lang gezogene Klammer, immer dem Lauf des Rheins folgend, bildete der Trassenverlauf die Konturen des Großherzogtums ab und verband so die verschiedenen Regionen des jungen Staates.

Das Generallandesarchiv Karlsruhe erinnert mit der Ausstellung „175 Jahre Eisenbahn am Oberrhein.

Baden wird ein Weltmarktplatz werden“ an den Start des Großherzogtums in das Eisenbahnzeitalter im Jahr 1838. In fünf Kapiteln zeichnet die Präsentation nach, wie stark der Eisenbahnbau die Kulturland- schaft und die Architektur der Städte veränderte, die Ausstellung belegt zudem, wie tief und nachhaltig das neue Verkehrsmittel Wirtschaft und Gesellschaft Badens veränderte. Und – so macht die Schau deutlich – Joseph von Eichendorff sollte mit seinen Bedenken Recht behalten: Die Eisenbahn führte Menschen zusammen und brachte Waren kostengünstig und schnell zu ihren Käufern. Doch die neue Mobilität forderte ihren Preis: Pünktlichkeit wurde zum obersten Gebot, die Bahnhofsuhr wurde zum Inbegriff

Vorwort

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der Normierung der Zeit, die den Menschen die Vertaktung des Fahrplans im alltäglichen Leben auf- zwang – Epochensignaturen der Moderne, die wir heute als so selbstverständlich ansehen, dass wir sie als solche kaum mehr wahrnehmen.

Die Ausstellung ist (fast) ausschließlich aus den Beständen des Generallandesarchivs Karlsruhe er arbeitet. Die umfangreiche Überlieferung der Eisenbahn in Baden, die für den Zeitraum von den Anfängen in den 1830er Jahren bis zur Privatisierung der Deutschen Bundesbahn im Generallandesarchiv aufbewahrt wird (Bestand 424 Bundesbahndirektion Karlsruhe), umfasst rund 800 Regalmeter und ist zum Großteil durch Online-Findmittel erschlossen.

Neben den relevanten Schriftstücken sind hier zeit- genössische Fotografien und umfangreiches und detailgenaues Karten- und Planmaterial überliefert.

Die Ebene der politischen Entscheidungsfindung ist in den Akten der Ministerien und des Landtags dokumentiert. Stiche und Grafiken aus den reichen und wertvollen Sammlungsbeständen verdeutlichen, wie die technischen Veränderungen sich in der Wahr- nehmung der Menschen niederschlugen. So entsteht ein facettenreiches Bild der Geschichte der Eisen- bahn in Baden, das in seinem Ausblick auch aktuelle Fragen der Mobilität in der Moderne anschneidet.

Am Schluss steht der Dank: Dr. Martin Stingl hat im Generallandesarchiv Karlsruhe die Ausstellung konzipiert und realisiert. Zudem hat er die reich bebilderte Begleitpublikation erarbeitet, der er aus seiner fundierten Kenntnis der Überlieferung heraus einen Quellenteil beigegeben hat, in dem erstmals zentrale Dokumente zur Frühgeschichte der Eisenbahn in Baden ediert sind. Die Werkstätten (Reprografie und Bestandserhaltung) haben die digitalen Bild - vorlagen erstellt und die Ausstellung konservatorisch begleitet. Die Gestaltung der Ausstellung und das Layout der Begleitpublikation lagen in den Händen von Norbert Schiek (Xdream, Karlsruhe). Ihnen allen gilt unser Dank!

Karlsruhe, im Mai 2013

Prof. Dr. Wolfgang Zimmermann Leiter des Generallandesarchivs Karlsruhe

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um Badens Start ins Eisenbahnzeitalter so zu nennen – wohl nicht viel anders gelautet als die der Kritiker von Stuttgart 21.

Technische Neuerungen und ehrgeizige Großprojekte jeder Art rufen in der Öffentlichkeit immer gemischte Reaktionen hervor. Das ist heute nicht anders, als es vor 175 Jahren auch schon war. Dass der badische Stuttgart 21 – das Milliardengrab.

Mit Hochgeschwindigkeit an die Wand.

Der Irrsinn deutscher Verkehrspolitik.

Ein Beispiel technokratischer Arroganz.

Vom Turmbau zu Babel zum Tiefbau in Stuttgart.1 Murks 21.

So viel Betrug passt auf kein Plakat.2

Diese und viele andere Schlagworte, die zugleich kritisch wie einfallsreich sind, beherrschten in der heißen Phase der Auseinandersetzungen um die Tief - legung des Stuttgarter Hauptbahnhofs die Schlag - zeilen in den Medien, sie waren auf Transparenten zu lesen, wurden an Bauzäunen angebracht und ins Internet eingestellt. Trotz der Volksabstimmung vom 27. November 2011 ist dieses Thema noch immer nicht ad acta gelegt.

Wir können heute nicht wissen, wie man in 175 Jahren über die Stimmen der Gegner und diejenigen der Befürworter von Stuttgart 21 denken wird, ob man die ersteren als notorische Nein-Sager gegen jede Art von technischem Großprojekt belächeln und die letzteren als weitsichtige Planer bezeichnen wird, die Recht behalten haben. Eines freilich scheint man mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen zu dürfen:

hätte es vor 175 Jahren eine so breite politische Öffentlichkeit gegeben wie heute, die sich frei und durch keine Zensur behindert über moderne Kom- munikationsmittel, wie wir sie heute kennen, hätte artikulieren können, dann hätten die eingangs zitierten Schlagworte der Gegner von Baden 1838 –

Erhöhung des National-Reichthums

durch eine nichts consumirende Maschine ?

Hoffnungen und Ängste bei Badens Start ins Eisenbahnzeitalter

Eisenbahnbaugesetz vom 29.3.1838.

GLA Karlsruhe Bibliothek Zc 198, S. 121 f.

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Landtag im März 1838 mit überwältigender Mehrheit – in beiden Kammern fast einstimmig – den Bau einer Eisenbahn im Großherzogtum Baden von Mann- heim bis Basel beschloss, und dass noch im gleichen Jahr mit dem Bau der Eisenbahn begonnen wurde, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass diesem Beschluss ein jahrelanger Prozess der Entscheidungs- findung in Verwaltung und Politik vorausgegangen war. Man hat es sich nicht leicht damit gemacht.

Von einem kurz entschlossenen, leichtfüßig-visionären und euphorischen Aufbruch kann man im Jahr 1838 nicht sprechen. Der Schritt war wohlüberlegt und wurde ausgiebig und kontrovers diskutiert.

Sorgfältiges Abwägen des Für und Wider bedeutet oft, dass Entscheidungsprozesse in die Länge gezogen werden. 1838 war das – verglichen mit der Dauer von Entscheidungs- und Planungsvorgängen bei großen öffentlichen Bauprojekten in unserer Zeit – nicht der Fall. Ganz im Gegenteil: man ist aus heutiger Sicht erstaunt, wie relativ schnell doch alles ging.

Als Geburtstag der Eisenbahn in Europa und welt- weit gilt allgemein der 27. September 1825, als im Nordosten Englands, zwischen Stockton und Darling- ton, zum ersten Mal eine Dampflokomotive auf eisernen Schienen fuhr. In Baden begann eine breite öffentliche Diskussion um den Bau einer Eisenbahn im Jahr 1833.3Das war acht Jahre nach dem Ereignis in England und doch alles andere als spät, gab es doch im Jahr 1833 außerhalb Englands keine einzige ausschließlich dampfgetriebene Eisenbahnlinie in ganz Europa. Die Grundsatzentscheidung, eine Eisenbahn zu bauen, fiel in Baden auf ministerieller Ebene 1836, wenige Monate nach der Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg und Fürth. Bis zum Beschluss des Landtags vor 175 Jahren, mit dem Bau tatsächlich zu beginnen, vergingen von da an weniger als eineinhalb Jahre, die nicht etwa mit fruchtlosem Warten oder zögerlichem Debattieren verstrichen sind, sondern die angefüllt waren mit den notwendigen konkreten Planungen

über Streckenverlauf, Bautechnik und Kosten, so dass noch im Jahr des Landtagsbeschlusses der Bau der ersten Strecke starten konnte. Damit waren diese insgesamt fünf Jahre des Überlegens, Konzipierens und Sich-Informierens zwischen 1833 und 1838 eine erstaunlich kurze Zeitspanne, besonders wenn man bedenkt, welch gravierende Folgewirkungen der Einführung des neuen Verkehrsmittels zum Zeit- punkt der Entscheidungsfindung absehbar waren.

Mit welchen Wirkungen rechnete man? Welche Vor- teile versprach man sich von der Eisenbahn? Oder anders formuliert: welchen Nachteilen galt es abzu- helfen? Wie war die verkehrswirtschaftliche Lage Badens am Vorabend des Eisenbahnlandtags von 1838?

Beilage zum Odenwälder Boten vom 12.3.1850.

GLA Karlsruhe 345 A Nr. 904

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Aussicht auf den Bodensee von Konstanz aus mit Dampf- schiff, ca. 1832.

GLA Karlsruhe J-B Bodensee 1

Baden war in den 1830er Jahren ein agrarisch ge- prägtes Land mit stark anwachsender Bevölkerung.

Landwirtschaft, Handwerk, Gewerbe und Handel boten keine ausreichenden Beschäftigungsmöglich- keiten für die nachwachsende Generation. Die Aus- wanderung nach Amerika diente als Ventil, das den Bevölkerungsdruck abzubauen half.

Punktuell zeigten sich erste zarte Pflänzchen der Industrialisierung, etwa in Gestalt der Spinnerei und Weberei in Ettlingen – Deutschlands erster Aktien- gesellschaft in der Baumwollindustrie – oder der Zuckerfabrik Waghäusel – zeitweilig der größte Zuckerproduzent auf dem europäischen Kontinent.

Nachdem Baden 1836 dem Zollverein beigetreten war, erlebten Handel und

Verkehr einen Aufschwung.

Der Transport von Waren und Menschen, ohne den es keine Industrialisierung und keinen Handel geben

konnte, erfolgte über ein Netz von Landstraßen, das stetig ausgebaut und gepflegt wurde. Außerdem wird Baden durch eine der wichtigsten Wasserstraßen Europas durchzogen, den Rhein, dessen Korrektion und bessere Schiffbarmachung gestartet war, als man über den Eisenbahnbau zu diskutieren begann.

Das erste Dampfschiff auf dem Rhein fuhr 1825, im gleichen Jahr wie die erste dampfgetriebene Eisen- bahn zwischen Stockton und Darlington. Aber trotz all dieser Verbesserungen im Straßen- und Wasser- bau war der Transport von Gütern und Menschen in Baden langwierig, teuer, stark witterungsabhängig und vor allem in seinen Kapazitäten und Reichweiten eng begrenzt.4

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Es kommt vor diesem Hintergrund nicht von un- gefähr, dass es ein Kaufmann war, ein Mitglied der Mannheimer Handelsinnung, der im Jahr 1833 die öffentliche Diskussion um den Bau einer Eisenbahn in Baden anstieß: Ludwig Newhouse.

Von ihm stammt der Leitsatz dieser Ausstellung:

Baden wird ein Weltmarktplatz werden. Zu finden ist er in seiner 1833 im Druck erschienenen Schrift Vorschlag zur Herstellung einer Eisenbahn im Großherzogthum Baden von Mannheim bis Basel und an den Bodensee, als zweckmäßigstes Mittel, Landbau, Handel und Gewerbe in größern Flor zu bringen, den Gütern und Producten einen bessern Werth zu verschaffen und so den National-Reichthum zu erhöhen.5Der opulente Titel dieser Denkschrift fasst die wesentlichen Gründe, die Newhouse für den Eisenbahnbau in die Waag- schale warf, zusammen. Es ging ihm vor allem um die Beschleunigung und Verbilligung des Warenaus- tauschs. Sein Hauptaugenmerk legte er auf die Interessen der Handeltreibenden, was nicht bedeutet, dass er die Vorteile für das produzierende Gewerbe – nämlich verbilligte Rohstoffe und größere Absatz- märkte – nicht gesehen hätte: er hielt sie für Folge- wirkungen aus den primären Handelsvorteilen. Diese Akzentuierung auf den Handel ist wenig verwunder- lich, weil das industriell produzierende Gewerbe in Baden zu dieser Zeit ja noch in den Kinderschuhen steckte.6

Zwei Jahre nach Newhouse, den man außerhalb Badens heute kaum mehr kennt, trat eine zweite Persönlichkeit auf den Plan, die ungleich populärer ist und zu den Eisenbahnpionieren im nationalen, wenn nicht gar internationalen Maßstab gezählt werden muss: Friedrich List.7In seinem Memoire die Eisenbahn von Mannheim nach Basel betreffend8von 1835 beantworte er die von ihm selbst gestellte Frage Was wird Baden durch diese Eisenbahn gewinnen? mit einem wahren Feuerwerk an Argumenten; es lohnt sich, diese im Wortlaut zu zitieren: Sein Ackerbau und sein Weinbau werden dadurch mächtig gefördert

werden. Der Markt feiner Weine (…) wird außerordent- lich an Ausdehnung gewinnen. Gleiches wird der Fall sein in Beziehung auf andere Producte (…). Der Landwirth wird auf der einen Seite seine Produkte besser absetzen, auf der andern Seite seine Bedürfnisse und namentlich diejenigen, die auf die Verbesserung seines Ackerbaues unmittelbaren Einfluß haben, z.B.

Gyps, Salz, Eisen u.s.w., wohlfeiler beziehen. Die Größe dieses doppelten Gewinns wird sich nicht allein in seinem vermehrten Einkommen, sondern auch in dem erhöhten Werth seines Grund und Bodens zu erkennen geben. Die Wasserkraft des Schwarzwaldes, die eine so reiche Quelle des Wohlstandes werden könnte (…), wird bis zu dem Ursprung der Gewässer aufgesucht, Baden wird ein fabrizirendes Land werden. All diese Vorteile für Landwirtschaft, Gewerbe und Handel und für die entstehende Industrie seien, so List, be- reits hinlänglich bekannt. Dagegen – so fuhr er fort – sind andere wohlthätige Folgen (…) weniger beachtet worden, unter andern die Eigenschaft Badens, eine Menge von Fremden aus allen Gegenden von Europa an sich zu ziehen. Jetzt schon ist die Zahl derer, die entweder im Sommer seine Bäder besuchen und seine romantischen Thäler durchstreifen, (…) bedeutend;

um wie viel mehr wird dies der Fall sein, wenn man von Paris, Hamburg und Berlin in ein bis zwei Tagen dieses schöne Land erreichen, und (…) seiner ganzen Länge nach bereisen kann! Die touristischen Vorzüge Badens, die List hier anpreist, hört man in Baden heute natürlich sehr gerne, doch ging es List nicht um die Naturschönheiten des Schwarzwalds und des Oberrheins an sich, sondern um deren wirtschaft - liche Verwertung.

Und was hatten die Gegner des Eisenbahnbaus vor - zubringen? Im Gegensatz zu Stuttgart 21 gab es über Baden 1838 keine Volksabstimmung. Es gab keine Bauplatzbesetzungen, keine Demonstrationen und keine Bauzäune, die medienwirksam mit Symbolen des Protestes hätten behängt werden können. Wir tun uns heute als Historiker schwer, wohl formulierte

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Aussagen von Eisenbahngegnern in Baden zu finden.9 Was uns in den Akten begegnet, ist das vereinzelte Entfernen von Markierungsstäben, die zur Trassierung des Streckenverlaufs in den Boden gesteckt worden waren und die manchen Landwirten in der täglichen Arbeit ein Hindernis waren.10Das waren lokale Aktionen, keine Zeichen breit angelegten, grundsätz- lichen Widerstands. Und dennoch gab es Verlierer des Eisenbahnbaus und es gab Widerspruch, auch wenn er sich offenbar deutlich in der Minderheit befand und es anscheinend schwerer hatte, sich wirk- sam zu artikulieren.

Zu dieser Minderheit von Gegnern des Eisenbahn- baus zählte der Rastatter Landtagsabgeordnete Franz- Josef Müller. So wie Ludwig Newhouse als Fabrikant zu den Gewinnern des technischen Wandels zählen musste, so befürchtete Müller, als Gastwirt und Besitzer eines landwirtschaftlichen Gutes zu den Verlierern zu gehören. In der Landtagsdebatte von 1838 über die Eisenbahnbaugesetze klagte Müller, dass derjenige, der sich kritisch zur Eisenbahn äußere, für engstirnig und rückständig gehalten werde:11 man hat sich zu verwahren, um nicht als Finsterling, der weit hinter der Zeit zurückbleibt, bezeichnet zu werden, so meinte er. Trotzdem erhob Müller seine warnende Stimme, die nach seiner Überzeugung die Stimme der schweigenden Mehrheit im Lande war.

Vom Eisenbahnverkehr würden nur die großen Städte profitieren, wogegen das flache Land veröden würde. Der Wohlstand in Baden hänge nicht davon ab, dass es möglichst rasch per Eisenbahn durcheilt werden könne. Müller wörtlich: Reisende, denen es nur darum zu thun ist, schnell durch’s Land zu kommen, heben den Verkehr im Lande nicht, am wenigsten aber, wenn sie [erg.: es] wie Güter, auf einer todten, nichts consumirenden Maschine durcheilen. Das Bild von der toten, nichts konsumierenden Maschine drückt gut aus, woher Müller kam, nämlich aus der agrarisch geprägten, vorindustriellen Welt. Man würde Müller Unrecht tun, wenn man ihn als rück-

wärts gewandten Nostalgiker bezeichnen würde, denn Baden war damals nun eben einmal, wie vor- hin dargelegt, ein Agrarland. Was Müller sich im Gegensatz zu den Eisenbahnbefürwortern nicht gut vorstellen konnte, war, dass sich an der agrarischen Lebenswelt etwas in guter Weise ändern könnte.

Veränderung bedeutete im Denken der Vormoderne Verschlechterung. Den Wohlstand unseres Landes, so meinte Müller weiter, verdanken wir hauptsächlich dem glücklichen Umstand, daß dasselbe seiner ganzen Länge nach von einer Heerstraße durchschnitten ist, die mit guten Gasthöfen und Wirtshäusern gleichsam besäet ist, welche sich (…) einer – Tag und Nacht – ununterbrochenen Einkehr von Reisenden und Güter- fuhren jeder Gattung zu erfreuen haben. Von diesem Reise- und Güterverkehr profitierten laut Müller außer den Gasthöfen viele andere Zweige der ein - heimischen Wirtschaft: die Landwirtschaft wegen

Landidyll in der Titelkartusche eines Gemarkungsplans von Nimburg, 1777.

GLA Karlsruhe H Nimburg 1

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des Futterbedarfs der Zugtiere sowie wegen der Ver- pflegung der Fuhrleute und Reisenden, das Hand- werk wegen der Reparaturen an Kutschen und Wagen, außerdem waren die Pferdezucht, die Dienst- boten und Gastwirte Nutznießer. In dem Maß, in dem all diese Einkommensquellen versiegten, würde auch der Wert der landwirtschaftlichen Grundstücke sinken. Müller befürchtete deswegen eine Verarmung breiter Schichten durch die nichts consumirenden Maschine(n) und eine Zunahme der Staatsverschul- dung durch dieses unglückliche (…) Unternehmen.

Die Zeit ist über diese Bedenken rasch hinweg ge- gangen. Man ist heute schnell dabei, Newhouse, List und all die anderen Eisenbahnbefürworter, von denen besonderes Staatsrat Karl Friedrich Nebenius erwähnt werden muss, als weitsichtige Köpfe geradezu zu heroisieren und die Gegner als rückwärtsgewandte Verlierer der Geschichte zu belächeln. Doch wie weit- sichtig waren Badens Eisenbahnpioniere wirklich?

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass viele der gewünschten Wirkungen eingetreten sind. Der Eisenbahnbau wurde zum Impulsgeber für die Industrialisierung, nicht nur in Baden, und trug zur Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für die wachsende Bevölkerung bei. Das anschaulichste Beispiel dafür ist die 1837 gegründete Karlsruher Maschinenbaufabrik von Emil Kessler und Theodor Martiensen, die mit der Eröffnung der ersten Eisen- bahnstrecke in Baden in den Lokomotivbau einstieg.

Schon 1842 konnte sie die erste Lokomotive aus ein- heimischer Produktion liefern und stieg dann inner- halb weniger Jahre zu einer der ganz großen deutschen Lokomotivbaufirmen auf. Kessler war es auch, der die Maschinenfabrik im württembergischen Esslingen gründete und damit Pate stand für eine vom Aus- land – so wie man es damals verstand – unabhängige Eisenbahnindustrie in Württemberg.12

Die Eisenbahn mobilisierte Gesellschaft und Wirt- schaft, sie brachte Menschen und Arbeitsplätze zu- sammen, sie lieferte Rohstoffe an Produktionsstand-

orte, sie erweiterte die Absatzmärkte und glich regionale Versorgungsunterschiede aus. Sie erleichterte die Kommunikation zwischen den Menschen und weitete Horizonte. Reisen wurde erschwinglicher und damit sozialer. Die Eisenbahn überwand Gebirgs- züge und schloss entlegene Gegenden an internatio- nale Verkehrsverbindungen an. Das flache Land verödete nicht, wie der Abgeordnete Müller es be- fürchtete, im Gegenteil: die Menge der überlieferten Petitionen gerade ländlicher Städte und Gemeinden um Anschluss an das Eisenbahnnetz ist ungezählt und legt Zeugnis ab von den Hoffnungen, die be - sonders kleinere Gemeinden auf das neue Transport- mittel setzten.13

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Gleichzeitig aber entwickelte die badische Staats- eisenbahn eine Eigendynamik, die so nicht vorherge - sehen wurde. Dass Baden sich dazu entschloss, seine Eisenbahn 1838 abweichend von fast allen anderen Ländern als Staatseisenbahn zu bauen und zu betrei- ben, darf wohl kaum als weitsichtige Vorwegnahme der späteren Entwicklung in anderen Ländern, die auf Verstaatlichung hinaus lief, verstanden werden, sondern war aus der konservativen Furcht geboren, nicht mehr Herr im eigenen Lande zu sein, wenn man das Heft aus der Hand gab. Dass der Eisenbahn auch eine militärische, administrative und staats - politische Bedeutung in dem in der Zeit Napoleons künstlich zusammengewürfelten Großherzogtum

zukommen würde, sah niemand besser voraus als Karl Friedrich Nebenius, den man zwar nicht als den Erfinder des Staatseisenbahngedankens bezeichnen darf, wohl aber als denjenigen, der ihn in Baden durchsetzte. Gerade wegen dieser Bedeutung wollte Nebenius die Eisenbahn ja unter staatlicher Kontrolle behalten.14Doch die Wirkungen der Eisenbahn waren nicht völlig kontrollierbar. Das zeigte sich schon in der Revolution von 1848/49. Die Eisenbahn machte die Menschen mobiler und erleichterte damit auch den Austausch von Gedanken und Meinungen.

Sie brachte 1848/49 die Menschen in die Zentren des Revolutionsgeschehens. Sie brachte umgekehrt frei- lich auch die Truppen ins Land, die die Aufstände

Zerstörung eines Abschnitts der Main-Neckar-Bahn bei Weinheim durch Aufständische 1848: Lageplan des zerstörten Streckenabschnitts. GLA Karlsruhe 305 Nr. 65 K 1

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blutig niederschlugen.15Die Eisenbahn in Baden steckte noch in ihren Kinderschuhen, als sie schon Gegenstand politisch motivierter Sabotageakte wurde.

Diese Art von Folgewirkung war durch die Eisen- bahnbefürworter der 1830er Jahre in Baden sicher nicht beabsichtigt.

Nicht vorhersehbar war außerdem das ungeheure Ausmaß der Veränderung der Arbeitswelt. Man wollte Menschen in Lohn und Brot bringen, doch scheute man sich beim Bau der ersten Eisenbahn- strecken in Baden vor der Ansammlung großer, un- bekannter, nicht kontrollierbarer Menschenmengen um die Baustellen herum. Für die arbeitsintensiven Erdarbeiten wurden einheimische, den örtlichen Bürgermeistern bekannte und in ihren Wohnorten sozial eingewurzelte Arbeitskräfte bevorzugt. Doch schon beim Bau der Tunnels durch den Isteiner Klotz und dann ganz besonders beim Bau der Schwarz- waldbahn wurden italienische und Tiroler Wander- arbeiter eingesetzt, die nicht mehr ihren festen Platz im überlieferten sozialen Gefüge der Region hatten.

Bald sollte das auch auf viele einheimische Arbeits- kräfte zutreffen, die vom Land in die neue Beschäfti- gungsorte zogen. Eine neue Gesellschaft begann sich abzuzeichnen, die nicht nur mobiler wurde, sondern deren gesamtes Gefüge unstetiger wurde. Das neue Verkehrsmittel ließ sich nicht in die tradierte Gesell- schaftsordnung einfügen. Es trug dazu bei, sie um- zuformen.16

Neben den wirtschaftlichen Folgen, den Aus - wirkungen auf Staat, Politik und auf die politische Ideengeschichte sowie den sozialgeschichtlichen Konsequenzen gab es noch andere Wirkungen, die nicht wirklich planbar waren und teilweise neue Probleme hervorriefen:17

• Das Erscheinungsbild der Städte wandelte sich.

Durch den Bau von Bahnhöfen verschoben sich innerstädtische Entwicklungs- und Verkehrsachsen.

Hotels, Gaststätten und Geschäfte siedelten sich in Bahnhofsnähe an. Viele Bahnhöfe wurden im Lauf

weniger Jahrzehnte wegen ihrer Lage gleichsam Opfer der Dynamik, die sie einst selber mit ange- stoßen hatten, weil sie mit ihren raumgreifenden Gleisanlagen der städtebaulichen Entwicklung und dem weiteren Ausbau der Verkehrswege irgend wann im Wege standen. Die Probleme, die Stuttgart mit seinem Kopfbahnhof heute hat, sind alles andere als neu, es gab sie schon vor langer Zeit auch im badischen Streckennetz, beispielsweise in Heidelberg, Karlsruhe und Basel.

• Durch das Eisenbahnfahren veränderte sich das Verhältnis der Menschen zu Raum und Zeit.

Distanzen waren schneller und leichter zu über- winden, die Welt wurde kleiner, die Wahrnehmun- gen beim Reisen flüchtiger. Reizüberflutung durch ein Übermaß an Wahrnehmungen in zu kurzer Zeit ist ein Phänomen, das das frühe Eisenbahn- zeitalter ansatzweise bereits kannte.18

• Die Wahrnehmung der Natur veränderte sich. Im Flachland durchschnitten die Bahnstrecken in langen Geraden alte Wege und Fluren.

Das bedeutete tiefe Eingriffe in private Eigentums- verhältnisse und in die Lebensgewohnheiten der in der Regel vom Landbau lebenden Bevölkerung.

Und es geschah nicht immer zur Freude der un- mittelbaren Anwohner.19Berge wurden mit Tunnels durchstochen, Täler durch kühne Viadukte überwunden. Das lärmende Stampfen der Dampf- lokomotiven drang in einsame Gegenden vor.

Nach einigen Jahrzehnten Eisenbahnbau gab es nur noch wenige Landstriche ohne Verkehrs- durchdringung mit ihren Vor- und Nachteilen.

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Heute, 175 Jahre nach dem Baubeginn der Eisen- bahn in Baden, ist dieses Verkehrsmittel aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Millionen von Menschen gelangen auf Schienenwegen täglich zu ihren Arbeitsstellen. Der vor allem in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts stark angewachsene Individualverkehr bedeutete nicht das Ende der Eisenbahn, im Gegenteil, sie erlebte eine Renaissance im Zeitalter von Staus und Behinderungen, wie sie alltäglich im Verkehrsrundfunk für die Autofahrer durchgegeben werden.

175 Jahre Eisenbahn in Baden könnte genauso gut 2015 gefeiert werden, begann doch der Betrieb der Eisenbahn am 12. September 1840. Es geht in dieser Ausstellung aber um Badens Start ins Eisenbahnzeit- alter, und das Startsignal fiel am 29. März 1838, dem Tag der Verkündigung der drei Gesetze über den Bau, die Finanzierung und den Grunderwerb für die Eisenbahn in Baden. Und es gibt 2013 noch weitere Jubiläen zu feiern. Da ist zum einen der 200. Geburts- tag von Emil Kessler, dem Begründer des Loko - motivbaus in Südwestdeutschland. Auf ebenfalls 175 Jahre kann 2013 die Eisenbahn im benachbarten Elsass zurück blicken.20Vor 150 Jahren erreichte die badische Hauptbahn ihren Zielort, Konstanz am Bodensee – das großangelegte Projekt einer ganzen Generation war damit vollendet. Und schließlich wurden zwei große Bahnhöfe der badischen Staats- eisenbahn vor 100 Jahren in Betrieb genommen:

der Badische Bahnhof in Basel und der heutige Karlsruher Hauptbahnhof. Es sind also viele eisen- bahnbezogene historische Daten, die sich 2013 jähren, und die dieses Jahr zum Jubiläumsjahr der Eisen- bahn am Oberrhein machen.

Aufkleber zum freiwilligen autofreien Sonntag am 8. Juni 1980.

GLA Karlsruhe S Umweltschutz Nr. 973

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Ländlich-kleinstädtische Lebenswelt und neue Technik treffen aufeinander:

die Dampflokomotive Vulkan überquert die neue Eisenbahnbrücke bei Ladenburg, ca. 1850.

GLA Karlsruhe J-B Ladenburg 6

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Anmerkungen

1 Fundstellen in der Reihenfolge der Zitate: Thomas Wüpper, in:

Frankfurter Rundschau 24.11.2009 (http://www.fr-online.de/

wirtschaft/infrastrukturprojekt-stuttgart-21---das-milliarden- grab,1472780,3232710.html); Florian J. Anders und Gerhard Ahrens, in: Bahn-Report Ausgabe 6/2007, S. 99-100 (http://www.

kopfbahnhof-21.de/fileadmin/downloads/presseberichte/bahn_

report_1.pdf); Sebastian Beck, in: Süddeutsche Zeitung 22.10.2010 (http://www.sueddeutsche.de/politik/deutsche-bahn-und-stuttgart- der-irrsinn-deutscher-verkehrspolitik-1.1014749); Michael Stürmer, in: Die Welt 30.08.2010 (http://www.welt.de/9293377);

Sybille Krause-Burger, in: Stuttgarter Zeitung 09.02.2010 (http://www.kopfbahnhof-21.de/ index.php?id=379).

Alle Internet-Adressen nach dem Stand vom 15. Januar 2013.

2 Beide Zitate aus: Tunnelblick. Neues vom dümmsten Bahn - projekt der Welt. Hg. von der Esslinger Initiative gegen Stuttgart 21. Ausgaben 1/2012 und 4/2012, zitiert nach http://www.

tunnelblick.es/press/, Stand: 15. Januar 2013.

3 Vgl. zu den Entscheidungsprozessen und zur Frühgeschichte der Eisenbahn in Baden: Eisenbahn-Fieber. Badens Aufbruch ins Eisenbahnzeitalter. Hg. von Wolfgang von Hippel, Joachim Stephan, Peter Gleber und Hans-Jürgen Enzweiler. Umstadt 1990 (darin vor allem die Beiträge von Wolfgang von Hippel: Gut Ding will Weile haben Teil 1, S. 35–59, und Teil 2, S. 60–73).

Grundlegend für die frühe badische Eisenbahngeschichte ist vor allem Hans-Jürgen Enzweiler: Staat und Eisenbahn. Bürokratie, Parlament und Arbeiterschaft beim badischen Eisenbahnbau 1833–1855 (Europäische Hochschulschriften Reihe II Bd. 643).

Frankfurt/Main u.a. 1995. Zugleich Diss. phil. Konstanz 1992.

Zur Eisenbahngeschichte Deutschlands allgemein mit weiter- führenden Literaturangaben siehe Ralf Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn. Die Herrschaft über Raum und Zeit 1800–1914.

Ostfildern 2005. Zugleich Habil.schr. Frankfurt 2003.

Speziell zu Baden-Württemberg außerdem: Werner Walz:

Die Eisenbahn in Baden-Württemberg. Geschichte der Bahnen in Baden und Württemberg 1840 bis heute. Stuttgart 1980.

4 Vgl. Wolfgang von Hippel: Zu Wasser und zu Lande. Verkehrs- verhältnisse in Baden um 1830/40. In: Eisenbahn-Fieber 1990 (siehe Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur). S. 16–34.

5 Gedruckt in Karlsruhe 1833, Zitat S. 134.

6 Siehe zu dieser Denkschrift den Quellenanhang, Dokument 1.

7 Zu List stellvertretend für die ältere Literatur: Heinz Alfred Gemeinhardt: Friedrich List. Eisenbahnpionier und Impulsgeber.

In: Die Welt bewegt sich. Quellen und Beiträge zur frühen regionalen Eisenbahngeschichte. Vorträge des Landesgeschicht- lichen Symposiums im Rahmen der Heimattage Baden- Württemberg am 18. September 2009 in Reutlingen. Hg. von Heinz Alfred Gemeinhardt und Volker Trugenberger. Stuttgart 2011. S. 8–20.

8 GLA Karlsruhe 421 Nr. 8.

9 Vgl. im Anhang Dokument 3.

10 Vgl. Hans-Jürgen Enzweiler: Gut Ding will Weile haben, Teil 4:

Der Bau der ersten badischen Bahnstrecke von Mannheim nach Heidelberg 1838–1840 – Probestrecke oder Spazierfahrt?

In: Eisenbahn-Fieber 1990 (siehe Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur). S. 98–115.

11 Verhandlungen der Stände-Versammlung des Großherzog thums Baden am außerordentlichen Landtage 1838, enthaltend die Protokolle der zweiten Kammer mit deren Beilagen. Karlsruhe o.J. [1838]. S. 199–205.

12 Horst Wagenblass: Der Eisenbahnbau und das Wachstum der deutschen Eisen- und Maschinenbauindustrie 1835 bis 1860.

Ein Beitrag zur Geschichte der Industrialisierung Deutschlands (Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 18).

Stuttgart 1973, speziell zu Emil Kessler in Karlsruhe S. 89–92.

13 Siehe beispielsweise die Überlieferung des Petitionsausschusses der 2. Kammer des Badischen Landtags: GLA Karlsruhe Bestand 231.

14 Siehe dazu Enzweiler 1995 (siehe Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur), S. 89–94 und 96–132; Dieter Ziegler: Eisen- bahnen und Staat im Zeitalter der Industrialisierung. Die Eisen- bahnpolitik der deutschen Staaten im Vergleich (Vierteljahr- schrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Beihefte 127).

Stuttgart 1996, zu Baden S. 325–331.

15 Vgl. zu diesem Thema allgemein Lothar Gall und Ralf Roth:

1848/49. Die Eisenbahn und die Revolution. Berlin 1999. Zur militärischen Dimension der Eisenbahn in Baden s. auch Uwe Sieg: Eisenbahnen am Hochrhein und an der oberen Donau.

Militärisch-politische Intentionen und Eisenbahnbau im deutschen Südwesten 1850–1914 (Beiträge zur südwestdeutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte 21). St. Katharinen 1996.

16 Ausführlich bei Enzweiler 1995 (s. Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur), S. 132–248.

17 Dazu allgemein: Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisen- bahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19.

Jahrhundert. Frankfurt a.M. 5. Aufl. 2011; Hermann Glaser:

Kulturgeschichte der Deutschen Eisenbahn. Gunzenhausen 2009.

18 Vgl. Peter Borscheid: Zeitzünder. Zeit der Züge – Zeit des Tempos.

In: Auf eisernen Schienen so schnell wie der Blitz. Regionale und überregionale Aspekte der Eisenbahngeschichte (Schriften des Staatsarchivs Marburg 19). Hg. von Andreas Hedwig. Marburg 2008. S. 121–130, hier S. 126.

19 Siehe die Quellenedition im Anschluss an den Katalogteil, Dokument 3.

20 Im April 1838 begann der Bau der ersten elsässischen Eisen- bahnstrecke zwischen Mülhausen und Thann, im September 1839 wurde sie eröffnet. Siehe Otto Föhlinger: Geschichte der Eisenbahnen in Elsass-Lothringen und ihres Transport-Verkehres.

Straßburg 1897. S. 5-10.

(20)

Kapitel 1

(21)

Der Landtagsabgeordnete Gottlieb Bernhard Fecht (1771–1851) sprach im Herbst 1831 zum ersten Mal in der Zweiten Kammer des Badischen Landtags von der Möglichkeit eines Eisenbahnbaus in Baden.

Er wurde wenig beachtet. Zwei Jahre später war das anders. Am 22. Juli 1833 legte der Mannheimer Fabrikant und Kommerzienrat Ludwig Newhouse (1779–1854) den beiden Kammern des Landtags eine umfangreiche Denkschrift vor: Vorschlag zur Herstellung einer Eisenbahn im Großherzogthum Baden von Mannheim bis Basel und an den Bodensee.

Konzepte und Entscheidungen

Der Eisenbahnlandtag von 1838

Gottlieb Bernhard Fecht (1771–1851) GLA Karlsruhe J-Ac F 84

Unterschrift von Ludwig Newhouse auf dem Begleitschreiben zur Vorlage seines Vorschlags zur Herstellung einer Eisenbahn im Großherzogtum Baden … an die Erste Kammer des Badischen Landtags, 1833. GLA Karlsruhe 231 a Nr. 439

(22)

Und noch einmal zwei Jahre später, am 21. April 1835, trat Friedrich List (1789–1846) mit seinem Memoire die Eisenbahn von Mannheim nach Basel betreffend an den Landtag heran. Zur Prüfung dieser Vorschläge wurden Kommissionen eingesetzt, Meinungen eingeholt, Konzepte entworfen und Gutachten geschrieben. In der badischen Ministerial - bürokratie kam in der Eisenbahnfrage Karl Friedrich Nebenius (1784–1857) maßgebende Bedeutung zu.

Er legte 1836 einen umfangreichen Bericht vor, in dem er sich vom gesamtwirtschaftlichen Nutzen und von der langfristige Rentabilität des Eisenbahnbaus überzeugt zeigte. Vor allem trat Nebenius dafür ein,

die Eisenbahn in staatlicher Regie zu bauen und zu betreiben statt durch private Gesellschaften.

Er befürchtete, die staatliche Bürokratie könnte sonst ihren Einfluss an unkontrollierbare private Kapital- geber verlieren. Damit plädierte Nebenius für einen Sonderweg Badens im Vergleich zu den meisten übrigen Staaten.

Die endgültige Entscheidung fiel auf dem Landtag von 1838, der durch Großherzog Leopold eigens zum Zweck der Beratung der Eisenbahnfrage zu- sammengerufen wurde. Inzwischen war Eile geboten, denn Badens linksrheinische Nachbarn trieben konkurrierende Eisenbahnbauprojekte voran.

Im März 1838 verabschiedeten die beiden Kammern des Landtags mit großer Mehrheit drei Gesetze, die den Weg für den Bau, die Finanzierung und den Grunderwerb für den Eisenbahnbau frei machten.

(23)

1.1 Marktplatz in Pforzheim mit Postkutsche, ca. 1850

GLA Karlsruhe J-B Pforzheim 12

Bevor die Eisenbahn die Städte erreichte – Pforzheim z.B. wurde erst 1861 an das Streckennetz angeschlossen –, waren Postkutschen das einzige regelmäßig verkehrende öffentliche Verkehrsmittel auf dem Landweg im Personenfernverkehr.

Obwohl die Postkurse zu Beginn des 19. Jahrhunderts modernisiert und beschleunigt wurden und obwohl der Ausbau des Netzes an Fernstraßen in Baden vor -

angetrieben wurde, war das Reisen mit der Kutsche unbequem, langwierig, relativ teuer und witterungs- anfällig. In den Berichten von Reisenden aus der Anfangszeit der Eisenbahn wird immer wieder betont, wie schnell und sanft den Menschen die Reise auf eisernen Schienen gegenüber der Fahrt auf unebenen Landstraßen oder über das Kopfsteinpflaster in den Städten erschien. Die Zeit der Postkutsche war mit dem Beginn des Eisenbahnbaus noch lange nicht zu Ende.

Lit.: Enzweiler 1995. S. 23–52; Roth 2005. S. 14–28.

(24)

1.2 Ständehaus in Karlsruhe, ca. 1835

GLA Karlsruhe J-B Karlsruhe 112

Die badische Ständeversammlung, wie der Landtag hieß, war kein ständig tagendes Gremium wie die heutigen Parlamente, sondern wurde durch Ent- schließung des Staatsoberhaupts zu bestimmten Terminen zusammengerufen. Gemäß der badischen Verfassung von 1818 musste der Landtag mindestens alle zwei Jahre zusammentreten, um über den Staats- haushalt zu beraten. Der Landtag von 1838 lag außer- halb dieses Turnus. Als Großherzog Leopold ihn am 22. Dezember 1837 für das kommende Frühjahr einberief, lag die vorausgegangene Versammlung weniger als fünf Monate zurück. Einziger Beratungs-

gegenstand war die Eisenbahnfrage. Nach den jahre- langen Prüfungen und Diskussionen im Vorfeld des Eisenbahnlandtags ging es 1838 nicht mehr um das Ob des Eisenbahnbaus, sondern nur noch um das Wie.

Der Landtag verabschiedete drei Gesetze: das Gesetz über die Anlegung einer Eisenbahn von Mannheim nach Basel, das Gesetz über die Aufbringung der Mittel zum Eisenbahnbau und das Gesetz über die Grundstücksenteignung für den Streckenverlauf.

Das zuerst genannte Gesetz, das eigentliche Eisen- bahnbaugesetz, wurde bei nur zwei Gegenstimmen in der Zweiten Kammer und bei vier Gegenstimmen in der Ersten Kammer des Landtags angenommen.

Lit.: Verhandlungen 1838; Wolfgang von Hippel und Peter Gleber: Gut Ding will Weile haben, Teil 3. In: Eisenbahn-Fieber 1990. S. 74–97.

(25)

1.3 Begleitschreiben von Ludwig Newhouse zur Vorlage seines

„Vorschlag zur Herstellung einer Eisenbahn im Großherzogtum Baden“

an die Erste Kammer des Badischen Landtags, 22.7.1833

GLA Karlsruhe 231 a Nr. 439

Über die Persönlichkeit von Ludwig Newhouse wissen wir wenig. Es ist noch nicht einmal ein Bild von ihm bekannt. Beat Rudolph Ludwig Neuhausen, wie er eigentlich hieß, wurde am 29. Juli 1779 in Erlach am Bieler See in der Schweiz geboren. 1812 ließ er sich in Mannheim als Tabak- und Kölnisch- Wasser-Fabrikant nieder. Großherzog Leopold verlieh ihm 1822 den Titel eines Kommerzienrats, vermutlich weil Newhouse sich publizistisch für die Erbfolge der Kinder aus der zweiten, unebenbürtigen Ehe Großherzog Karl Friedrichs eingesetzt hatte.

Großherzog Leopold war der älteste Sohn aus dieser Ehe. 1824 wurde Newhouse Mitglied der Mannheimer Handelsinnung. 1842 ging er mit seinen Unter - nehmungen in Konkurs und starb im Mai 1854.

Newhouse sah sich als eigentlicher Wegbereiter der Eisenbahn in Baden und war gegen Ende seines Lebens tief enttäuscht über die ausgebliebene Anerkennung.

Lit.: Wolfgang von Hippel: Gut Ding will Weile haben, Teil 1.

In: Eisenbahn-Fieber 1990. S. 35–59; Newhouse 1879.

(26)

Die Anregung zur Veröffentlichung seiner Denk- schrift gewann Newhouse aus der Eröffnung der Strecke Liverpool-Manchester 1830. Es handelte sich um die erste Eisenbahnstrecke, auf der ausschließlich Dampflokomotiven nach einem festen Fahrplan verkehrten – und nicht zusätzlich zum Dampf - betrieb auch Pferdewagen wie auf der 1825 eröffneten Strecke Stockton-Darlington oder auf der 1835 in Betrieb genommenen ersten deutschen Eisenbahn- strecke zwischen Nürnberg und Fürth.

Newhouse zeigte sich sehr gut informiert über die Eisenbahnen in England. Er malte in den hellsten Farben die Vorteile aus, die Baden wegen seiner geographischen Lage durch den Eisenbahnbau genießen würde:

Zeitgewinn und Frachtersparnis, erleichterte Commu- nication und Wohlfeilheit des Transportes, ist es, was den Landbau, Handel und Gewerbe bei Freiheit, wie wir sie genießen, allein begünstigen und in Flor und Gedeihen bringen können. (…) Erkennen wir ganz unsere Lage. Baden am Oberrheine, am Scheidepuncte gelegen, wo Mittel- und Unterrhein, schiffbarer in so langer Strecke als irgend ein andrer Fluß Europas;

Baden im Mittelpuncte dieses Welttheils, durch den Bodensee und den Rhein in immediatester, bequemster Berührung (…) mit Italien und Frankreich, mit den gewerbsfleißigsten aller Völker, den Schweizern und Engländern, mit den handelstüchtigsten Holländern (…) vermittelst Eisenbahnen mit denen des Nordens, Hamburg und Bremen; Baden, von dem die Schweiz alles beziehen kann, was sie braucht (…), Baden wird und muß (…) ein großer Bazar, ein Weltmarktplatz werden, auf den alle Kunst- und Industrie-Producte, und alle Erzeugnisse, die Gegenstände des Handels sind, gebracht werden, sobald die Grundbedingungen:

1.4 Ludwig Newhouse:

Vorschlag zur Herstellung einer Eisenbahn im Großherzogthum Baden von Mannheim bis Basel und an den Bodensee, Karlsruhe 1833

GLA Karlsruhe Bibliothek Co 139

(27)

höchst schnelle und aller wohlfeilste Beförderung des Gütertransportes, sich in unserm Lande vereinigt finden.

(S. 134).

Newhouse handelte alles andere als uneigennützig.

Er war Geschäftsmann. Er wollte Bau und Betrieb der Bahn durch eine zwar staatlich geförderte, aber doch rein private Aktiengesellschaft realisieren und versprach sich persönlich Gewinne davon.

Lit.: Newhouse 1833.

Beilage „Pack und Transport Dampfwagen auf der Eisenbahn zwischen Liverpool und Manchester“ aus der Denkschrift von Ludwig Newhouse

(28)

1.5 Karl Friedrich Nebenius (1784–1857)

GLA Karlsruhe J-Ac N 9

Nebenius begann seine Laufbahn in der badischen Ministerialverwaltung, die ihn bis auf den Posten des Innenministers führen sollte, im Jahr 1806 und somit in einer Zeit staatlicher Umbrüche, die ihm weit - reichende Mitgestaltungsmöglichkeiten eröffneten.

Die badische Verfassung von 1818 ging auf einen Entwurf von Nebenius zurück. Er betreute die Ein- führung des metrischen Systems für Maße und Gewichte in Baden, machte sich als Reformer des Bildungswesens in Baden und als Verfechter des Beitritts Badens zum deutschen Zollverein einen Namen. Am langfristigsten prägend wirkte sein Ein- treten für den Gedanken einer Staatseisenbahn für Baden.

Als Impulsgeber für den Eisenbahnbau in Baden kann man Nebenius aber nicht bezeichnen. Als Newhouse 1833 seinen Eisenbahnvorschlag vorlegte, reagierte er mit Skepsis. Er hatte Zweifel an der Rentabilität des Unterfangens und hielt den Ausbau des Straßennetzes für vordringlicher. Unter dem Eindruck der europäischen Entwicklung und des Umschwungs in der politischen Diskussion des Landtags um die Zeit, als List seine Denkschrift vorlegte, revidierte Nebenius seine Position. Seine Stellungnahmen blieben zwar hinhaltend, jedoch wohlwollend. Vor einer endgültigen Entscheidung wollte er die vielen ungeklärten Fragen der Technik, der Kosten und der Rentabilität der Eisenbahn geklärt wissen. Vor allem ging es ihm um die Träger- schaft des Eisenbahnbaus: privat wie von Newhouse favorisiert oder staatlich wie damals in Belgien realisiert? Im Januar 1836 berief Großherzog Leopold ein Eisenbahnkommittee unter dem Vorsitz von In- nenminister Winter, um all diese Fragen zu erörtern.

Nebenius übernahm im Eisenbahnkommittee die Prüfung der Rentabilität und der wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Eisenbahnbaus – vor allem aber befasste er sich intensiv mit der Art der Aus - führung. In seinem Gutachten für das Eisenbahn- kommittee von 1836 trat er entschieden für Bau und Betrieb der Bahn auf Staatskosten ein. Weil der Eisenbahnbau die gesamte Gesellschaft tangiere, müsse der Staat sich engagieren. Nur durch staatliches Engagement könne man privaten Spekulations - geschäften, die nicht dem Gemeinwohl dienten,

(29)

vorbauen. Selbst wenn der Streckenbau sich als unrentabel erweisen sollte, spräche doch der mittel- bare, gesamtgesellschaftliche Nutzen für den staat - lichen Betrieb.

Während die frühen Eisenbahnen in Deutschland in sehr starkem Umfang durch private Gesellschaften gebaut und betrieben wurden, verfolgte Baden ziemlich konsequent von Anfang an das Konzept der Staatseisenbahn. Das Motiv dafür war wohl nicht so sehr weise Voraussicht, sondern mehr die konser- vative Sorge, staatlichen Einfluss in der herauf - ziehenden liberalen Wirtschaftsordnung aus der Hand zu geben.

Lit.: Enzweiler 1995. S. 86–132; Brüning 2010; Ziegler 1996. S. 325–

331.

1.6 Friedrich List (1789–1846)

GLA Karlsruhe Bibliothek An 1

Mit Friedrich List griff im Jahr 1835 der bekannteste Vordenker des Eisenbahnwesens in Deutschland in die Debatte in Baden ein. List hatte damals schon ein sehr bewegtes Leben hinter sich. Sein Eintreten für die Überwindung der innerdeutschen Zollgrenzen und seine Kritik an den politischen Zuständen und an der öffentlichen Verwaltung in seiner württem- bergischen Heimat hatten ihn früh in Konflikt zu seiner Landesregierung gebracht. Nachdem er einige Monate in Festungshaft gesessen hatte, wanderte er 1825 in die USA aus. Dort kam er mit den Anfängen des Eisenbahnwesens in Berührung und verwertete seine Eindrücke publizistisch für das Publikum in Deutschland. Die Ernennung zum amerikanischen Konsul ermöglichte ihm die Rückkehr nach Europa.

Ab 1832 lebte er in Leipzig. Dort veröffentlichte er 1833 seine berühmte Schrift Ueber ein sächsisches

(30)

Eisenbahn-System als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahn-Systems und insbesondere über die Anlegung einer Eisenbahn von Leipzig nach Dresden.

Darin ließ er eine Karte für ein deutsches Eisen- bahnnetz abdrucken, in welcher die Strecken ohne Rücksicht auf die politischen Grenzziehungen in Deutschland eingezeichnet waren. Der Aufbau eines deutschen Eisenbahnnetzes und die Beseitigung der innerdeutschen Zoll- und Handelsschranken waren für List zwei komplementäre Mittel zur Über- windung der Rückständigkeit in der gewerblichen Entwicklung Deutschlands. In Lists Konzept kam der Oberrheinstrecke für die Verbindung von Nord und Süd entscheidende Bedeutung zu. In seiner Karte von 1833 war die badische Hauptbahn von Mannheim nach Basel bereits eingezeichnet, der er dann 1835 eine eigene Schrift widmete. Die Eisen- bahn war für List ein revolutionäres Mittel zur Förderung von Wirtschaft und der Kultur. In seinen Augen diente sie letztlich der Überwindung der Kleinstaaterei und der überkommenen Gesellschafts- ordnung.

Lit.: Heinz Alfred Gemeinhardt: Friedrich List. Eisenbahnpionier und Impulsgeber. In: Die Welt bewegt sich 2011. S. 8–20; Glaser 2009. S. 27–33.

(31)

1.7 Friedrich List:

Memoire die Eisenbahn

von Mannheim nach Basel betreffend mit eigenhändigem Begleitschreiben

an die Zweite Kammer des Badischen Landtags, Leipzig 21.4.1835

GLA Karlsruhe 421 Nr. 8

Ähnlich wie Newhouse war List überzeugt davon, dass alle Wirtschaftszweige Badens vom Eisenbahn- bau profitieren würden. Für die Landwirtschaft könnten durch den erleichterten Transport neue Absatzmärkte erschlossen werden. Für die zaghaft entstehende Industrie sei der Waren- und Rohstoff- transport der entscheidende Wachstumsfaktor.

Der Handel würde erblühen. Für Baden würde sich mit dem Fremdenverkehr ein neuer Erwerbszweig eröffnen. Als neuen Aspekt brachte er in seinem Memoire die staatspolitischen Faktoren in die Diskussion ein: Nicht zu vergessen sind ferner die Vortheile, welche eine so enge Verbindung des schmalen, aber weit gestreckten Landes in administrativer, militärischer und gesellschaftlicher Beziehung mit sich führen wird. Außerdem ging es nach List für Baden im Jahr 1835 gar nicht mehr um die Vorteile des Eisenbahnbaus, sondern um die Abwendung von Gefahren durch Untätigkeit. Der Eisenbahnbau sei mittlerweile für Baden schlichtweg notwendig, weil seine Nachbarstaaten ähnliche Projekte verfolgten und die Verkehrs- und Handelsströme um Baden herumgelenkt zu werden drohten.

(32)

Kapitel

2

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Der Bau der ersten Eisenbahnstrecke Südwest- deutschlands zwischen Mannheim und Heidelberg begann im Herbst 1838. Zwei Jahre später war sie fertig. Ohne offizielle Feierlichkeit wurde die Über- gabe an den öffentlichen Verkehr auf den 12. Septem- ber 1840 festgesetzt. Für die Fahrt auf der 18,9 km langen Strecke benötigte man etwa 35 bis 40 Minuten.

Auf den in Breitspur verlegten Schienen fuhren aus Manchester importierte Dampflokomotiven der Firma Sharp, Roberts & Co. Sie trugen die Namen der Wappentiere des Großherzogtums Baden: Löwe und Greif.

Baden verfügte damals noch nicht über eine leistungsfähige Maschinenbauindustrie. Doch sie sollte, angeregt durch den Eisen- bahnbau, sehr bald entstehen.

Die erste in Baden produzierte Lokomotive, die Badenia, wurde im März 1842 in Dienst gestellt.

Hergestellt wurde sie durch die erst 1837 gegründete Karlsruher Firma Keßler & Martiensen. Die Badenia war nichts anderes als ein Nachbau der beiden Loko- motiven, die Sharp, Roberts & Co. wenige Jahre zu- vor geliefert hatte. Keßler & Martiensen stellte eigens für den Bau der ersten badischen Lokomotive Fach- kräfte aus England und Frankreich ein, die über die nötige Erfahrung verfügten. Aus der Firma Keßler &

Martiensen ging die Maschinenfabrik Esslingen her- vor, die vor allem die württembergische Eisenbahn mit Lokomotiven belieferte.

Anfänge und Impulse

Die ersten Züge rollen

Modell der Lokomotive Löwe im Verkehrsmuseum Karlsruhe.

GLA Karlsruhe 421 Zugang 1993-90 F Schi 203/70

(34)

Ansichten eines Personenwagens Dritter Klasse, eines Wagens für alle drei Klassen und eines Vieh- transportwagens auf der Strecke Mannheim-Heidelberg, 1842.

GLA Karlsruhe G Technische Pläne II EB 3 Nr. 50 (2), Taf. 10 Darstellung der ersten badischen Lokomotive Löwe aus dem Jahr 1841 und der ersten badischen Wagen, 1905.

GLA Karlsruhe o.Sign.

(35)

2.1 Verordnung Nr. 6980 der Großherzoglichen Oberpostdirektion Die Eröffnung der Eisenbahn betreffend, 8.9.1840

GLA Karlsruhe Bibliothek Zc 212

Die erste Eisenbahnstrecke Badens wurde im Gegensatz zur ersten deutschen Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg und Fürth ohne Einweihungs- feier eröffnet. Es gab nicht mehr als eine unscheinbare Bekanntgabe im Verordnungsblatt der Großherzoglich Badischen Oberpostdirektion, die bis 1843 für den laufenden Betrieb der Eisenbahn zuständig war. Die Gründe für diese Zurückhaltung kennen wir nicht.

Lit.: Wolfgang von Hippel und Joachim Stephan:

Sang- und klanglos ins Eisenbahnzeitalter. In:

Eisenbahnfieber 1990. S. 12–15; Verordnungsblatt Post 1840.

(36)

2.2 Vertragsentwurf über die Lieferung der ersten beiden Lokomotiven Löwe und Greif durch die Maschinenfabrik Sharp, Roberts & Co., Manchester, April/Mai 1839

GLA Karlsruhe 421 Nr. 114

Baden war wie alle deutsche Staaten zu Beginn des Eisenbahnzeitalters nicht in der Lage, seine Lokomotiven selber zu produzieren. Sie wurden importiert aus dem Mutterland des Eisenbahnbaus und der Industrialisierung, aus England.

In allen deutschen Ländern erhielten die ersten Lokomotiven individuelle Namen, die meistens an Städte, Land- schaften, Personen oder Gewässer anknüpften. Im Fall der ersten Loko- motiven, die in Baden zum Einsatz kamen, handelte es sich um die Wappen- tiere des Großherzogtums Baden:

Löwe und Greif.

Lit.: Wagenblass 1973. S. 24–43.

(37)

2.3 Seitenansicht der Lokomotive Löwe,

gebaut von Sharp, Roberts & Co., Manchester, 1842

GLA Karlsruhe G Technische Pläne II EB 3 Nr. 50 (2), Taf. 11

Die Firma Sharp, Roberts & Co. baute für die badische Staatseisenbahn zwischen 1839 und 1843 insgesamt sechs Lokomotiven der später so genannten Gattung I a mit den Namen Löwe, Greif, Heidelberg,

Mannheim, Roberts und Freiburg. Für die Einweisung der badischen Bahnbediensteten in die Bedienung und Wartung der für sie neuartigen Maschinen wurde ein Mechaniker der Herstellerfirma, Thomas Turner, auf die Dauer von zwei Jahren in Baden unter Vertrag genommen.

Lit.: Kuntzemüller 1956.

(38)

2.4 Übersichtsplan der Strecke Mannheim-Heidelberg mit Ansichten der beiden Bahnhöfe, 1842

GLA Karlsruhe J-B Baden (Land) 4

Ähnlich wie die Strecke Nürnberg-Fürth in Bayern verband Badens erste Eisenbahnstrecke zwei dicht beieinander liegende Städte. Noch bewegte man sich ganz im regionalen Rahmen, auch wenn die Perspek- tive der Einbindung in das entstehende nationale und europäische Streckennetz schon vorhanden war.

Die Strecke Mannheim-Heidelberg lag quer zur Hauptrichtung der heutigen Hauptbahn.

Der Anschluss nach Norden und Süden hätte am direktesten entweder in Mannheim oder in Heidelberg erfolgen können, jedoch entschied man sich für das kleine Friedrichsfeld in der Mitte, um keine der beiden Städte zu benachteiligen – ein in typischer Weise politischer Kompromiss. Baden baute seine ersten Streckenabschnitte in Breitspur (1600 mm), weil man sich davon technische Vorteile versprach.

Weil aber alle Nachbarländer auf die schmälere Normalspur setzten (1435 mm), musste Baden sein gesamtes Netz 1854/55 umrüsten.

Lit.: Kuntzemüller 1940. S. 16–23.

(39)

größe dienten die Tarife für den Personenverkehr mit Pferdekutschen zwischen Mannheim und Heidelberg.

Erfahrungswerte über die Betriebs kosten der Bahn, die man der Tarifgestaltung hätte zu Grunde legen können, gab es noch nicht. Preisvergleiche mit anderen Bahnen in Europa und in Deutschland wurden zwar vorgenommen, jedoch war deren Wert begrenzt, vor allem weil die Streckenlängen zu unterschiedlich waren.

2.5 Tarifübersicht der badischen Staatseisenbahn, 1840

GLA Karlsruhe 421 Nr. 260

Über die Tarifgestaltung machte man sich in den Monaten vor der Betriebsaufnahme der ersten Eisen- bahnstrecke sehr intensiv Gedanken. Der Tarif sollte es auch der breiteren Bevölkerung möglich machen, mit der Bahn zu reisen. Als maßgebliche Orientierungs-

(40)

2.6 Ein Zug mit der Lokomotive Greif verlässt den Heidelberger Bahnhof, 1842

GLA Karlsruhe G Technische Pläne II EB 3 Nr. 20

Der Architekt des Heidelberger Bahnhofs, Friedrich Eisenlohr, griff auf Stilelemente der Romanik und der Gotik zurück und verband so den Bahnhof mit der Silhouette des Heidelberger Schlosses zu einem historisierenden Ganzen. Die ersten Bahnhöfe kleideten sich gewissermaßen in alte Gewänder, obwohl sie ein neues Zeitalter ankündigten.

Lit.: Wolfgang von Hippel: Überall sparsam, aber nirgends ärmlich … In: Eisenbahn-Fieber 1990. S. 145–184.

Der erste Heidelberger Bahnhof, von dem heute nichts mehr zu sehen ist, wurde als Kopfbahnhof angelegt, weil der Bau eines Durchgangsbahnhofs nur weit abseits westlich der Stadt möglich gewesen wäre. Die beiden turmartigen Gebäude, zwischen denen die Züge passierten, dienten als Wasserreser- voirs und wurden von Maschinenhäusern flankiert.

Gut zu erkennen sind die Bahnsteighallen dahinter.

(41)

2.7 Verzeichnis der Fahrzeiten auf der Strecke Mannheim/Heidelberg-Karlsruhe, 1843

GLA Karlsruhe 421 Nr. 265

Von Mannheim nach Heidelberg brauchte man rund 40 Minuten, von Heidelberg bis Karlsruhe noch einmal rund 80 Minuten, zusammen also etwa 2 Stunden und somit doppelt so lang wie mit einem heutigen Nahverkehrszug.

(42)

2.8 Bau der ersten Lokomotive aus badischer Produktion:

Eingabe von Keßler & Martiensen an die Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus, 10.3.1841

GLA Karlsruhe 421 Nr. 119

Als in England die ersten Eisenbahnstrecken ge- baut wurden, war die industrielle Entwicklung dort schon längst im Gang. Der Bedarf der Industrie an Transportmitteln trieb den Eisenbahnbau voran.

In Deutschland war das Verhältnis zwischen Eisen- bahnbau und Industrialisierung umgekehrt.

Die Eisenbahn bewirkte entscheidend die Ausbreitung der industriellen Produktionsweise. Eines der heraus- ragendsten Beispiele dafür ist die Maschinenfabrik Keßler & Martiensen. Emil Keßler (1813–1867) und sein Partner Theodor Martiensen gründeten 1837 in Karlsruhe ein Maschinenbauunternehmen, das sehr bald die Chancen durch den Eisenbahnbau erkannte.

Mit seiner Eingabe von 1841 an die Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus, die für die Bauan - gelegenheiten der Eisenbahn zuständig war, wies Martiensen auf die umfangreichen Investitionen hin, die das Unternehmen bis dahin getätigt hatte, und forderte staatliche Unterstützung und Ab - nahmegarantien. Die Oberdirektion des Wasser- und Straßenbaus stellte Keßler & Martiensen die Konstruktionspläne der angekauften englischen Lokomotiven zur Verfügung und sagte dem Unter- nehmen die bevorzugte Berücksichtigung bei künftigen Lokomotivbeschaffungen zu. Theodor Martiensen verließ 1842 den Betrieb und zog nach Wien um. Keßler führte das Unternehmen darauf hin alleine fort. Im gleichen Jahr wurde mit der Badenia die erste in Südwestdeutschland produzierte Lokomotive ausgeliefert. Das war der Beginn eines ungeahnten, wenn auch nicht sehr nachhaltigen Aufschwungs.

Lit.: Peter Gleber: Die Badische Eisenbahn und die Anfänge des Lokomotivenbaues in Baden. In: Eisenbahnfieber 1990, S. 185–193;

Jaeger 1977; Wagenblass 1973. S. 86–108.

(43)

2.9 Maschinenfabrik Keßler & Martiensen, Karlsruhe, ca. 1840

GLA Karlsruhe J-B Karlsruhe 12

Die Maschinenfabrik Keßler & Martiensen befand sich vor dem Ettlinger Tor, ganz in der Nähe des alten Karlsruher Bahnhofs an der damaligen südlichen Bebauungsgrenze der Stadt. Das Unternehmen ent- wickelte sich sehr schnell zu einem der größten Loko- motivbauer in Deutschland. Keßler gründete 1846 die Maschinenfabrik Esslingen in Württemberg.

Keßlers Karlsruher Fabrik geriet im Revolutionsjahr 1848 nach dem Zusammenbruch ihres Kreditgebers, des Bankhauses Haber & Söhne, sowie durch Auf- tragsrückgänge wegen der politisch instabilen Lage

in Zahlungsschwierigkeiten. Keßlers Versuche, die Karlsruher Fabrik zu retten – diesem Ziel diente unter anderem ihre Umwandlung in eine Aktiengesell- schaft – schlugen fehl. 1851 wurde die Firma liquidiert.

Der badische Staat erwarb das Unternehmen.

1852 wurde es in die neu gegründete Maschinenbau- gesellschaft Karlsruhe überführt. Im gleichen Jahr kehrte Keßler Baden den Rücken und siedelte nach Esslingen über. Die Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe, die nicht mehr an die Bedeutung ihres Vorgängers anknüpfen konnte, wurde 1902–1904 in den Südwesten der größer gewordenen Landes- hauptstadt Karlsruhe verlegt. 1929 musste sie Insolvenz anmelden und ging 1930 in Konkurs.

Lit.: Willhaus 2005.

(44)

Kapitel 3

(45)

Der Ausbau der Hauptbahn ging schnell voran.

Begünstigt wurde der Baufortschritt durch die Geländebeschaffenheit des Oberrheingrabens.

1843 kam die Eisenbahn in der Landeshauptstadt Karlsruhe an, 1844 in Offenburg und 1845 in Freiburg.

Während die ersten 225 Streckenkilometer bis Freiburg innerhalb von sieben Jahren gebaut waren, dauerten die nächsten 45 Kilometer bis Basel weitere zehn Jahre. Das hatte in erster Linie politische Gründe.

Die Revolution von 1848 brachte die Baumaßnahmen ins Stocken. Vor allem aber zogen sich die Verhand- lungen mit Basel und der Eidgenossenschaft über den Weiterbau der Eisenbahn über Jahre hin. Basel wurde 1855 an die badische Hauptbahn angeschlossen.

Von dort aus wurde die Strecke bis 1863 an den Bodensee verlängert. Damit war Baden in seiner gesamten Nord-Süd-Ausdehnung durch eine leistungs- fähige Verkehrsachse erschlossen. Heute ist die badische Hauptbahn die längste Strecke im Netz der Deutschen Bahn.

Die Eisenbahn veränderte Landschaftsbilder, durchschnitt Wege, Wiesen und Felder und zwang Bachläufe in ein neues Bett. Von dem neuen Trans- portmittel profitierten vorrangig zunächst die Stadt- bewohner, nicht die Bauern, deren Felder zerschnitten wurden und die täglich einigemal die Wagen gleich eines schwarzen Strichs (GLA Karlsruhe 421 Nr. 37) an sich vorüberziehen sahen, ohne einen unmittelbar spürbaren Vorteil davon zu haben. Auf längere Sicht profitierten allerdings auch die Landbewohner vom Eisenbahnbau. Die Eingaben gerade ländlicher Orte

Neue Landschaften und neue Städte

Badens Magistrale von Mannheim nach Basel und Konstanz

Stationsschild Karlsruhe, gezeichnet von Friedrich Eisen- lohr, 1845.

GLA Karlsruhe 421 Nr. 33

(46)

um Anschluss an das Eisenbahnnetz überwiegen deutlich die Zahl der kritischen Stimmen.

In den größeren Städten wurden repräsentative Bahnhöfe errichtet. Ausgedehnte Gleisanlagen prägten ganze Stadtteile. Der Ausbau des Streckennetzes förderte Industrie- und Gewerbeansiedlungen und initiierte urbanes Wachstum. Dass die Planer der Eisenbahn das Ausmaß der Veränderungen nicht wirklich abschätzen konnten, zeigen die Schicksale

vieler Bahnhofsanlagen in den größeren Städten. Oft engten stadtnah angelegte Bahnhöfe die städtebauliche Entwicklung ein und wurden zu Opfern der Prozesse, die sie selbst mit angestoßen hatten. Ein Beispiel dafür ist der alte Karlsruher Personenbahnhof, der zu den schönsten Bahnhofsbauten Friedrich Eisen- lohrs gezählt hatte und 1913 in den Süden der Stadt verlegt wurde, weil er zu einem innerstädtischen Verkehrshindernis geworden war.

Eisenbahnbrücke über die Kinzig bei Offenburg, ca. 1853. GLA Karlsruhe J-B Offenburg 6

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3.1 Friedrich Eisenlohr (1805–1854)

GLA Karlsruhe J-Ac E 62

Friedrich Eisenlohr wurde am 23. November 1805 in Lörrach geboren. Er absolvierte von 1821 bis 1824 eine Ausbildung in Architektur bei dem Weinbrenner- Schüler Oberbauinspektor Christoph Arnold in Freiburg und danach bei Weinbrenner selbst in Karlsruhe. Nach dessen Tod 1826 bereiste er zunächst Italien, bevor er 1829 in die staatliche Bauverwaltung eintrat. Ab 1832 gehörte er zum Lehrkörper der Polytechnischen Schule in Karlsruhe. Er machte sich vor allem mit Kirchenbauten und dem Wiederaufbau des Schlosses Ortenberg einen Namen.

Seinen Platz in der Geschichte sicherte er sich als Architekt der frühen Hochbauten der badischen Hauptbahn. Eisenlohr erstellte die Pläne für die Empfangsgebäude, sonstigen Bahnhofsgebäude und Bahnwarthäuschen auf freier Strecke zwischen Mannheim und Freiburg. Auch die Schwarzwälder Kuckucksuhr in ihrer heute populären Form geht auf Eisenlohr zurück. Er lieferte im Rahmen eines Wettbewerbs einen Entwurf für ein neues Uhren - gehäuse der Traditionsuhr, wobei er sich an die Architektur seiner Bahnwärterhäuschen anlehnte.

Die Vollendung der Hauptbahn erlebte Eisenlohr nicht mehr. Er starb am 27. Februar 1854 in Karlsruhe.

Lit.: Pretsch 2007.

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