• Keine Ergebnisse gefunden

Blick. licht 12/17 KULTURMAGAZIN C O T T B U S - L A U S I T Z - K O S T E N L O S

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Blick. licht 12/17 KULTURMAGAZIN C O T T B U S - L A U S I T Z - K O S T E N L O S"

Copied!
32
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

.

KULTURMAGAZIN COTTBUS-LAUSITZ-KOSTENLOS

Blick

licht

12/17

(2)
(3)

Impressum:

Herausgeber:

Blattwerk e.V.

Redaktion:

Bernd Müller, Jens Pittasch, Robert Amat-Kreft Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes:

Robert Amat-Kreft Mitarbeiter:

Agneta Lindner, Daniel Ebert, Bernardo Cantz

Layout und Edition:

Matthias Glaubitz Anzeigen:

Agneta Lindner anzeigen@blattwerke.de Druck:

Druck & Satz Großräschen Auflage: 4.100 Kontakt:

Blattwerk e.V., Karlstr. 24, 03044 Cottbus, Tel:

0355/4948199 0176/24603810 redaktion@blattwerke.de, www.kultur-cottbus.de

Unaufgefordert eingesandte Texte und Termine haben keinen Anspruch auf Veröffentlichung.

Spenden an:

IBAN: DE09 1805 0000 3111 1038 70, BIC: WELADED1CBN,

Sparkasse Spree-Neiße mit Unterstützung von: zahlreichen Einzelpersonen und des Studentenwerkes Frankfurt/Oder

Dezember. Wir haben Weihnachten und Silvester, und vor diesem Hintergrund stelle ich fest, dass es gar nicht so leicht ist, für diese Ausgabe ein Editorial zu schreiben.

Eigentlich hatte ich vor, euch, den Lesern, eine Moralpre- digt zu halten. Ich wollte euch von der Armut in Deutsch- land erzählen, die es zu lindern gilt; ich wollte euch da- von erzählen, dass der weihnachtliche Kaufrausch für viele Stress und Überstunden bedeutet. Aber eine Stim- me sagte mir: Ihr wisst das alles. Euch muss ich das nicht mehr erzählen.

Stattdessen erzähle ich euch von Claudia. Ob sie wirklich so heißt, spielt keine Rolle, ich weiß es auch gar nicht. Ich hörte über einen Bekannten von ihr, der mit ihr zu tun hatte. Claudia ist Mitte dreißig, hat drei Kinder, sie ist al- leinerziehend, und bis vor kurzem ist sie drei Jobs nach- gegangen, um nicht von Hartz IV abhängig zu sein. Freie Zeit hatte sie bisher kaum.

Ihr Leben hat sich vor ein paar Monaten gravierend geän- dert. Sie erlitt einen Herzinfarkt. Ihr Körper hat die Bela- stung einige Jahre durchgehalten, bis nichts mehr ging und sie ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Sie hatte Glück, sie lebt. Aber seitdem kann sie nicht mehr ar- beiten. Ihr Körper braucht Zeit, um wieder halbwegs be-

lastbar zu sein.

Claudia ist kein Einzelfall. Anderen geht es ähnlich, auch wenn nicht alle vom Schicksal so hart getroffen werden wie die junge Mutter. Mit Blick auf Weihnachten macht mich das nachdenklich. Wieviele es wohl sein werden, die sich kaputt machen müssen, um ihren Kindern überhaupt etwas unter den Tannenbaum legen zu können? Wieviele haben schon resigniert? Ich wage keine Schätzung, und eine Zahl aus der Statistik krame ich auch nicht hervor.

Etwas anderes, etwas Positives gibt es aber aus der Re- daktion zu berichten: Wir waren fleißig und haben unser Kulturmagazin weiterentwickelt. Nach vielen Jahren er- scheint es jetzt in einem komplett neuen Layout. Ich hoffe, es gefällt euch.

Wir wollen Weihnachten gern im Kreise unserer Lieben genießen, genauso wie die Mitarbeiter unserer Druckerei auch. Deshalb gibt es für die kommende Ausgabe einen früheren Redaktionsschluss. Wenn ihr etwas schicken wollt, erfragt bitte den genauen Termin. Lasst euch aber nicht so viel Zeit!

Bernd Müller

Editorial

Cover:

15 Jahre Galerie Fango - Die Ausstellung 15 Jahre jenseits von ausgetreten Pfaden und doch ganz mittendrin - in der Galerie Fango am 16.12.17 ab 20:00 Uhr

Inhalt

4 Kultur

aktuelles aus der Kulturszene

6 LausitzerBühnen

Onkel Wanja, Sunset Boulevard

8 Ausstellungen

Kunst aus der DDR

10 Musik

Neuigkeiten auf CD und Vinyl, Attila the Stokebroker - Live at The Greys

11 Buch-Tipp

Domenico Losurdo „Gewaltlosigkeit. Eine Gegengeschichte“, János Székely, „Verlockung“

12 Lesebühne

mit Matthias Heine und Udo Tiffert

14 Filme

Film-Tipp: INNEN LEBEN, BAUER UNSER; Kino-Tipp: Zeit für Stille, Manifesto

16 Termine

unser Veranstaltungskalender für Cottbus und die Lausitz

31 Adressen

Orientierungshilfe für den Großstadtdschungel

1217

(4)

Kultur in Originalsprache / OmU

culture in its mother tongue

The Big Sick

Based on the real-life courtship between Kumail Nanjia- ni and Emily V. Gordon, THE BIG SICK tells the story of Pa- kistan-born aspiring comedian Kumail, who connects with grad student Emily after one of his standup sets.

However, what they thought would be just a one-night stand blossoms into the real thing, which complicates the life that is expected of Kumail by his traditional Mus- lim parents.

When Emily is beset with a mystery illness, it forces Kumail to navigate the medical crisis with her parents, Beth and Terry who he‘s never met, while dealing with the emotional tug-of-war between his family and his heart.

English with German subtitles Di 12.12. 20 Uhr at OBENKINO In Pursuit of Silence

In Pursuit of Silence is a meditative exploration of our re- lationship with silence, sound and the impact of noise on our lives. Beginning with an ode to John Cage’s ground- breaking composition 4’33”, In Pursuit of Silence takes us on an immersive cinematic journey around the globe– from a traditional tea ceremony in Kyoto, to the streets of the loudest city on the planet, Mumbai during the wild festival season – and inspires us to experience silence and celebrate the wonders of our world.

English with German subtitles

Sa 09.12. 18 Uhr , Mo 11.12. 20 Uhr, Di 12.12. 18 Uhr, Mi 13.12. 20 Uhr at OBENKINO

Un beau soleil intérieur

Isabelle, divorcée, un enfant, cherche un amour. Enfin un vrai amour.

Français avec sous-titres allemands Mo 18.12. 18 Uhr à OBENKINO Zusammen durch die Vorweihnachtszeit!

Der Paritätische Brandenburg und die Freiwilligena- gentur Cottbus laden ein. Gemeinsam backen, basteln und singen ausländische Studierenden, Geflüchtete und schon länger in Cottbus lebende Menschen.

Wir sehen uns beim Sprechcafé Sachsendorf (jeden Donnerstag von 17-19Uhr) am 7. Dezember im Sozio- kulturellen Zentrum (Zielona-Gora Straße 16) und am 19. Dezember beim Sprechcafé Sandow (jeden Dienstag von 17 - 19 Uhr) im Bürgerhaus SandowKahn (Elisabe- th-Wolf-Straße 40a) - kommt vorbei und sprecht, lacht, singt, bastelt mit! Anmeldungen sind nicht nötig!

Coming together in Christmas time

The Pariätische Brandenburg and the volunteer center Cottbus invite students, refugees and locals to sing, bake and create handicraft together.

Meet us at Sprechcafé Sachsendorf (Thursdays 5 - 7 p.m.) December 7 at Soziokulturelles Zentrum (Zielona-Gora Straße 16) and at Sprechcafé Sandow (Tuesdays fom 5 - 7 p.m.) at Bürgerhaus SandowKahn (Elisabeth-Wolf-Stra- ße 40a) - Stop by and let us have a good time together. No need for registration!

- Kultur

15 Jahre jenseits von ausgetreten Pfaden und doch ganz mittendrin – Kulturforum Cottbus e.V. / Gale- rie Fango - das ist der vollständige Name einer Bar, einer Galerie, eines Veranstaltungsorts für Kon- zerte, Lesungen, Theater, Performances, manch- mal auch schon eines Cafés und eines Ateliers. Die Fango ist eben das, was man gerade braucht. Diese raumgewordene Wundertüte wirbelt nun bereits seit 15 Jahren Sand durch die Cottbuser Kultursze- ne. Am 16. Dezember eröffnet die Galerie ihre Jubi- läumsausstellung.

Was man so oft im Dunst von Bier und Kneipenlaune übersieht ist, dass der Kulturforum Cottbus e.V. ein ehrenamtlicher Verein ist, der von Beginn an bis heu- te von ehrenamtlich arbeitenden Mitgliedern ge- tragen wird; sei es die Bewirtschaftung der Bar, das Hängen und Abhängen der Ausstellungen (mehr als 130 in den vergangen Jahren) oder die zahlreichen handwerklichen Arbeiten, die im Laufe der Zeit nö- tig waren. Aus völlig freien Strukturen, unabhängig von öffentlichen Trägern, ohne öffentliche finanzi- elle Unterstützung haben es die Macherinnen und Macher der Fango geschafft nicht nur einen Ort für ihre Gäste regelmäßig zu öffnen, sondern auch im- mer wieder mit neuen Inhalten zu beleben: Work- shops verschiedenster Art, Kreativkurse, Kunst- und Musikfestivals. Ganz nebenbei so scheint es, wur- den auch kleine und große Krisen überwunden. Ein Wasserschaden, temporärer Mitgliederschwund, Anstieg der Miete, Auseinandersetzungen mit den Behörden und ähnliches mehr brachten das Projekt mehrmals in beachtliche Schieflage. Immer wieder gab es da aber eine Gruppe von Menschen, die die Energie aufgebracht haben, um die Fango durchzu-

bringen und zu erhalten.

Ab dem 16. Dezember richtet die Galerie Fango das Spotlight nun auf sich selbst. In einer bunten Aus- stellung mit kleinen Objekten, Installationen, na- türlich vielen Bildern und noch mehr Geschichten soll erinnert werden an die vergangen 15 Jahre Ar- beit, an die Herausforderungen, an die Erfolge und vor allem an die Menschen, die in dieser Zeit durch den Sand geschritten sind um die Fango zu dem zu machen, was sie bis heute ist – ein Ort der Freiheit und der Gemeinschaft.

Einen Ehrenplatz wird eine Auswahl von Werken des Cottbuser Künstlers Sven Pfennig einnehmen.

Seiner Kunst ein Forum zu geben war vor vielen Jah- ren der Antrieb von Vereinsgründer und bis heute Vorstandsvorsitzenden Jan Gerlach. Die Kunst Sven Pfennigs bildet gewissermaßen die DNA der Unter- nehmung Fango, sei es ideell oder tatsächlich, denn bei genauem Hinsehen bzw. nach neugierigem Fra- gen kann man entdecken, dass die Räume gespickt sind mit vielen kleinen und großen Relikten des Künstlers.

Zur Ausstellungseröffnung wird es ein besonderes Schmankerl geben. Der junge Pianist Pavel Kuz- netsov (*1992) gibt im Sand ein Solokonzert mit ei- ner Auswahl von klassischen Werken. Man könnte fast behaupten, es ist eine Art Probelauf für sein So- lodebüt, welches er im Januar in der Berliner Phil- harmonie spielen wird. Danach wird gefeiert und angestoßen auf die Vergangenheit, auf das Heute, auf die Zukunft in der Amalienstraße 10.

Ausstellung: 15 Jahre Galerie Fango, 16.12.2017 um 20 Uhr.

15 Jahre Galerie Fango – die Ausstellung

(5)

Kommentar

Weihnachten ist kommet. Das schön-schizo- phrene Ende ist wieder da und klingglöckelt ausnahmslos an jeder Tür. Nicht jeder macht auf, manch and‘re ist abwesend und nicht wenige Dritte machen Sonderleiharbeiten bei „omazan“

(oder wie das heißt) in Leipzig oder bei diversen Paketlieferdiensten. Ich liebe diese Zeit. Liebte sie schon immer. Besonders natürlich als Kind, unbefangen und unendlich unwissend. Weih- nachtszeit, Geschenkezeit.

Dieses Jahr wünsche ich mir nicht viel, dafür et- was Außergewöhnliches: einen Generalstreik.

Einen, der etwas in deutschen Landen noch nie Dagewesenes gebiert, nämlich: einen General- streik. Einen Widerstand, der am lebkuchenher- zigen Ende vor allem Einen arbeitslos macht, nämlich den dickfeisten, rotgekleideten Mann mit weißem Rauschebart. Ja, was ich mir sehn- lichst wünsche, ist ein Kaufhype strike oder wie das in der Jugendsprache heißen würde. Kon- sumtempel und Einkaufsmeilen, die zwar eine 24-stündige Offenheit, aber nicht einen einzigen Kunden vorweisen können und deshalb ihre Verkäufereifachangestellt*Innen vorzeitig in die Feiertage entlassen. Ich wünsche mir Inter- net-Verkaufsportale, bei denen die eingehenden Bestellungen gegen Null tendieren und sich die braven Server wegen Minimalstbelastung von selbst abschalten. Omazan, abey, zolanda – große gähnende Leerseiten auf den Bildschir- men. Oder vielleicht ein digitales optisches Rau- schen, ein Ameisenwirrwarr, wie man es früher von den Analogfernsehern kannte.

„Weihnachtsmann stürzt ab auf AlG II – alle 99 Wichtel auf einen Schlag obdachlos“ würde die Blöd betiteln, aber keiner will es lesen. Alle sind froh, dass sie mitmachen beim größten Konsum- streik der Überhaupt-Zeit. Das Letzte, was Mitte Dezember gekauft wurde, war eine Nordmann- oder Blautanne. Die wird aufgestellt und leucht- äugelnd geschmückt am Vormittag des 24. Und letztlich fiebern alle den Abendstunden entge- gen. Dann wird es nämlich nur drei Dinge geben:

Glühwein, Kerzenschein, Liederlein.

Hallelujah,

Ihre Hildegard Schmidt-Pachulke Der Call for Entries für das Studierendenfilmfesti-

val 2018 startet am 13. November

Das Internationale Studierendenfilmfestival Seh- süchte ruft Filmstudierende und Nachwuchs¬filme macher*innen aus der ganzen Welt auf, ihre Filme einzureichen. Bei den Wettbewerbskategorien han- delt es sich um Spielfilm (lang/kurz), Dokumentar- film (lang/kurz), Animations-, Genre-, Kinder- und Jugendfilm, besondere Produktionsleistung sowie um Musikvideo, Drehbuch und Pitch. Das Festival begrüßt die Einreichung von Virtual Reality-Produk- tionen sowie Experimentalfilmen und steht mit sei- nem Programm für ein internationales, junges und mutiges Gegenwartskino. Der Einsendeschluss für das diesjährige Studierendenfilmfestival ist der 07.

Januar 2018. Das Festivalteam wartet seh(n)süchtig auf filmische Werke aus aller Welt.

Das Motto der 47. Festival-Edition lautet METAMOR- PHOSIS. Damit stehen die Wandlungsprozesse in unterschiedlichen Bereichen des Lebens und Films im Vordergrund. So werden gesellschaftliche Um- brüche sozialer, weltanschaulicher oder politischer Natur im Film inhaltlich und ästhetisch widerge-

In Zagreb, Prag und Rom waren sie bereits in den letzten Jahren mit ihrer temporären Urban Art Aus- stellung, welche ihre ursprünglichen Wurzeln vor 14 Jahren in Cottbus hat, zu Besuch.

Im Herbst dieses Jahres war nun das Urban Art Team mit über 40 Kunstwerken aus Cottbus und dem gesamten Bundesgebiet in Den Haag, der Stadt des internationalen Strafgerichtshofs.

Sämtliche eingereichte Arbeiten wurden zum The- ma „Justitia“ von Künstlern aus dem Street-Art-Mi- lieu eigens für diese Ausstellung angefertigt. Mit der Unterstützung durch ortsansässige Künstler und dem Projekt „the hague street art“ wurden die Exponate zuerst in einer Fotoaktion am internatio- nalen Strafgerichtshof fotografiert, um danach an den Wänden des UN-UN-Gefängnisses in Form einer

Sehsüchte freut sich auf Filmeinreichungen

spiegelt und technologische Veränderungen haben Auswirkungen auf die filmischen Ausdrucksmittel und die Position des Kinos innerhalb der Medien- welt. Außerdem schafft Film durch das Ansprechen von Reizen, Sinnen und Emotionen eine individu- elle Wahrnehmung bei den Zuschauer*innen, wo- durch sie sich in einer ständigen Metamorphose ihrer selbst befinden. Die Filmschaffenden werden dazu ermutigt, die verschiedenen Möglichkeiten von Metamorphose aufzuzeigen. Einreichungen zu anderen Themen sind aber selbstverständlich auch herzlich willkommen.

Sehsüchte zählt zu den größten Studierendenfilm- festivals Europas und ist ein wichtiges Sprungbrett für den internationalen Filmnachwuchs. Das Festi- val wird seit 1972 von Studierenden der Filmuniver- sität Babelsberg KONRAD WOLF veranstaltet. Kon- zeption und Organisation des Festivals liegen auch in diesem Jahr wieder vollständig in den Händen der Bachelor- und Masterstudierenden der Medien- wissenschaften.

Das 47. Sehsüchte-Festival findet vom 25. bis 29.

April 2018 in Potsdam-Babelsberg statt.

Ausstellung inszeniert zu werden.

Am 22. Dezember 2017 ab 20:00 Uhr werden alle teilnehmenden Werke, welche nun wieder ihren Weg nach Cottbus gefunden haben, in der Kloster- straße 30 live zu sehen sein. Garniert werden die sehr abwechslungsreichen und inspirierenden Ar- beiten mit Fotos und Geschichten ihrer Reise, Hin- tergrundgedanken der Künstler sowie musika- lischer Untermalung.

Das Urban Art Team freut sich auf einen inspirie- renden Abend und lädt Kunst- und Kulturinteres- sierte hierzu herzlich ein.

Aktuelle Informationen finden Sie unter:

www.urbanartteam.blogspot.de.

URBAN ART 14

„Rückschau Den Haag und Ausstellung der teilnehmenden Kunstwerke“

Foto: Urban Art Cottbus Am Strafgerichtshof In Den Haag 2017

Kultur -

(6)

- Lausitzer Bühnen

Hat, wer FRANCESCO und TELL gesehen hat, den ganzen Fabian gesehen?

Ich hoffe es nicht.

USHER spricht dagegen, ONKEL WANJA laut dafür.

Wobei DER FALL DES HAUSES USHER (4/2012) ein anderes Genre ist und allein durch die Musik von Philip Glass ein genialer Ausnahmefall. Und auch FRANCESCO (9/2015) ist keine wirkliche Referenz für ein Schauspiel.

Mit ONKEL WANJA legt Jo Fabian, seine erste Cott- buser Arbeit als Schauspieldirektor des Staatsthe- aters vor. Und der Werkzeugkasten dafür scheint bekannt.

Die Akteure sind bereits da - Rockmusik kracht durch den Saal, gefolgt von meditativen Streicher- klängen - dann … passiert nichts mehr. Längere Zeit nicht. „Francesco“, flüstert es im Publikum. Tatsäch- lich ist das die zu diesem Stillleben passende Asso- ziation.

Immerhin gibt das Zeit, die übervolle Bühne anzu- schauen, beziehungsweise dies zu versuchen, denn

weiter, als bis zur massiven Hauswand reicht von kaum einem Platz der Blick. Dabei folgt erst da- nach der Salon und noch nach diesem grasen Zie- gen (echte).

Nun düst ein Flieger über´s Haus (akustisch) und weist darauf hin, dass es bei Fabian nicht mehr 1896 ist. Die konkrete Zeit ist wohl schlicht egal. Es ist kurz vor Zwölf, für immer, wie eine stehengebliebe- ne Uhr passend zur Szenerie zeigt.

Viel los ist da nicht, in Russland, auf dem Land. Das ist nun jedem klar. Mitdenken hat es bis hierhin nicht gebraucht. „Wer nicht denken will, fliegt raus.“, ist Jo Fabians Interview in der Lausitzer Rundschau überschrieben. Angesprochen hat er da seine Dar- steller, der Satz jedoch steht für seinen Anspruch auch ans Publikum. Das hat kürzlich sein TELL klar- gemacht. Ebenso die sofortige Teilung der Theater- zuschauer. In die, die das wollen und können - und in die, die man an die Hand nehmen muss und die erwarten, dass es immer jemanden gibt, der ihnen sagt, wo es langgeht.

Gesehen: ONKEL WANJA

Premiere 4. November 2017, Staatstheater Cottbus

Ich weiß, dass ich im Theater bin

und ich weiß, dass ich um mein Leben nicht zu fürchten brauche. Ich brauche weder zu fürchten die Bevormundung meines Geistes noch die schmerzhafte Zerlegung meines Körpers in seine Teile.

Ich habe keine Angst vor der langen Weile, die vor mir liegt, noch muss ich die Kurzweil fürchten.

Was ich im Kunstwerk erkenne, soll nicht vorbestimmt sein, es ist ganz allein mein eigenes Erkennen.

Ich werde seinetwegen weder gelobt noch getadelt.

Ich werde genau so wenig gelobt oder getadelt für mein Nichterkennen. Da ich weder das eine noch das andere zu fürchten habe, steht mir frei, beides in Anspruch zu nehmen,

Ich will verstehen, was die Künstler mir sagen wollen.

Dazu benutze ich die mir verliehene Gabe der Interpretation.

Aber auch der Fehlinterpretation werde ich mich nicht verschließen, da ich weiß, dass ich das eine vom anderen nicht unterscheiden kann. Niemand wird mir deswegen eine Böswilligkeit unterstellen.

Ich wünsche, dass ich das Theater am Ende unversehrt und unbehelligt wieder verlassen kann.

Falls aber ein Feuer ausbricht, werde ich mich ruhig und gefasst verhalten, bis man mich auffordert, das Applaudieren zu beenden und einen Ausgang aufzusuchen.

Für den ganz unwahrscheinlichen Fall, dass der Funke auf mich überspringt,

werde ich das Feuer unaufgefordert in die Stadt hinaus tragen und als brennende Fackel Zeugnis davon ablegen, was hier geschah.

Wir danken dem Herrn,

welcher in einem überfüllten Feuer “THEATER” schrie.

Der Text von Jo Fabian entstand während der Proben zur Inszenierung ONKEL WANJA im Herbst 2017.

Premiere 4. November 2017 im Großen Haus.

„Was für ein schöner Tag.“, spricht dann jemand. Wer, ist nicht klar, auch nicht, wo der Sprecher ist.

Was noch mehrmals passiert. Denn wegen des durch Mikros abgenommenen Tons, kommen die Stimmen - wenn nicht gerade ganz frontal gesprochen - immer

vom gleichen Ort, aus den Lautsprechern.

Mikrofone stehen auch noch zusätzlich herum, eins am Loch in der Wand, wo wohl mal ein Spiegel war.

Da hinauf klettert ein Mann: „Dann fang ich mal an.“

Es ist Wanja, und der liefert eine Zustandsbeschrei- bung.

Womit auch das Kernwort gefallen ist: Beschreibung.

Denn wie bei WILHELM TELL wird auch diesmal we- niger ein Stück gespielt, sondern werden eher des- sen Umstände beschrieben. Tschechows Vorlage kommt Fabians Sichtweise ganz und gar entgegen, sind doch Stillstand, wie auch das Nicht-Gezeigte dessen Herausforderung an den Betrachter. Etwas Handlung passiert dann fast wie nebenbei. Im Vor- dergrund steht das Beobachten der Personen an diesem Tag, der kein besonderer ist. Wie der davor Foto: ONKEL WANJA, Szenenfoto mit Lisa Schützenberger (Jelena), © Marlies Kross

(7)

Lausitzer Bühnen -

Lausitzer Bühnen Gesehen , Gehört, Gespräche

Es ist die große Isabel Dörfler Show. Als Gast gibt sie die Hauptrolle der Norma Desmond und wirkt durch und durch als Star. Möglicherweise sogar über die Rolle heraus, wie es beim stürmischen Ap- plaus scheint, als sie aus Hollywood so gar nicht wieder in Cottbus ankommen will.

Wo sie stimmlich und in der Präsenz auch tatsäch- lich etwas zu groß erscheint, für die Bühne des Staatstheaters. Orte, die sie sonst ausfüllt, der Friedrichstadt-Palast etwa, erfordern ein anderes Auftreten. Zugleich markiert dieser Umstand auch fast den einzigen Kritikpunkt der Inszenierung, die Distanz zwischen Cottbuser Ensemble und Stargast ist einfach zu groß. Natürlich ist ein Teil davon ge- wünscht und zeigt die Entrückung der Desmond zur Realität. Das aber erklärt nicht die Kluft im Zusam- menspiel. Dörfler macht ihr eigenes Ding, wodurch dem Stück der Zusammenhalt fehlt und mehrmals der Fluss verloren geht.

Dabei sind die Isabel Dörfler zur Seite gestellten Akteure ebenfalls Leute mit Format, Können und Erfahrung. Speziell im Bereich des Musicals ist klar, dass Hardy Brachmann und Heiko Walter eine Bank sind. Und obwohl nur kurz im Einsatz, beindruckt Christian Henneberg.

Apropos Eindruck; das aus Chor, Solisten und Tän- zern gemischte Filmvolk liefert mehrmals beson- ders gelungene Episoden. Das klingt gut, sieht gut aus - nur mit der Textverständlichkeit hapert es.

Grund ist das nicht nur in diesen Momenten sehr laute Orchester. Da der Text aber nicht tiefgreifend ist, bleibt das bis auf Ohrenklingeln ohne Folgen.

Die für Frau Dörfler zu kleine Bühne nutzt Barbara Krott (Bühne und Kostüme) dagegen bestens. Ein Dreh hier entlang, und wir sind im Gewimmel der Hollywood-Studios. Ein Dreh dort entlang, und wir sind in der Desmond-Villa. Das Licht weg, und über die Ebenen der Bühne rauscht eine rasante Auto- verfolgungsjagd. Das Licht an, und wir sind am Set

einer aufwendigen 1001-er Nacht Produktion. Das ist toll gemacht.

Muss vor der Pause zunächst Einiges erklärt und müssen die Figuren und deren Hintergrund erst eingeführt werden, was mitunter - besonders we- gen der wirklich holperigen Übersetzung - irgend- wie nicht recht fließen will, kommen Handlung und Geschehen später deutlich in Schwung. Trotz, nicht wegen, der eher einfallslosen Webber-Kompositi- on gelingt Regisseur Klaus Seiffert und seinen Ak- teuren schließlich ein sehenswertes, ja sogar be- merkenswertes Stück. Jens Pittasch

Gesehen: SUNSET BOULEVARD

Premiere 14. Oktober, gesehen am 3. November 2017, Staatstheater Cottbus

SUNSET BOULEVARD

Musical nach dem Film von Billy Wilder Musik von Andrew Lloyd Webber

Buch und Gesangstexte von Don Black & Christopher Hampton

Deutsch von Michael Kunze

Musikalische Leitung ALEXANDER MERZYN Regie KLAUS SEIFFERT

Bühne BARBARA KROTT Kostüme BARBARA KROTT Choreografie MARIO MARIANO

Ensemble: Norma Desmond - Isabel Dörfler, Joe Gillis - Hardy Brachmann, Betty Schaefer - Debra Stanley, Max von Mayerling - Heiko Walter, Cecil B. de Mille - Ulrich Schneider, Artie Green - Christian Henneberg, Myron/

Manfred - Dirk Kleinke, Mary/Psychologin - Liudmila Lokaichuk, Joanna/Astrologin - Carola Fischer, Schul- deneintreiber/Verkäufer - Ingo Witzke, Schuldenein- treiber u.a. - Nils Stäfe, Morino u.a. - Matthias Bleidorn, Sheldrake/Verkäufer - Jens Klaus Wilde, Ärztin/Repor- terin - Gesine Forberger, Katherine/Glenn/Masseuse - Sandra Bösel, Anita/Masseuse - Katharina Dittmar, Girl/Danielle u.a. - Meike Funken, Kosmetikerin - Beate Dittmann-Apel

ONKEL WANJA von Anton Tschechow Deutsch von Angela Schanelec

nach einer Übersetzung von Arina Nestieva Bearbeitung und Fassung von Jo Fabian Regie JO FABIAN

Bühne und Kostüme PASCALE ARNDTZ

Ensemble: Alexander Wladimirowitsch Serebrjakow - Thomas Harms, Jelena Andrejewna - Lisa Schützenber- ger, Sofja Alexandrowna (Sonja) - Lucie Thiede, Maria Wassiljewna Wojnizkaja - Sigrun Fischer, Iwan Pe- trowitsch Wojnizkij (Wanja) - Axel Strothmann, Michail Lwowitsch Astrow - Gunnar Golkowski, Ilja Iljitsch Tele- gin - Amadeus Gollner, Marina - Michaela Winterstein, Tänzerin - AnnaLisa Canton/Mandy Krügel, Pianist - Hans Petith

und der danach.

Was sie da so tun, hat Regisseur Fabian den Schau- spielern nicht komplett vorgegeben. Hier ist es dann, das Mitdenken. Das lange vor der Aufführung begonnen haben muss und mit der Premiere nicht endet. Wo Vorgabe endet und Improvisation begin- nt, weiß das Publikum nicht. Überhaupt gibt es weit mehr, als eine Möglichkeit, das Geschehen zu be- greifen oder auch es einfach wirken zu lassen.

Das, ich sagte es, muss man allerdings wollen und zulassen. Wer sich darauf einlässt, bemerkt ein paar herrliche Einfälle und erfährt eine wirklich gute Zu- spitzung. Denn mit einem Mal verdichtet sich alles, findet doch noch eine Menge statt, um sich aus dem Ernst sofort wieder zu verabschieden und die wei- tere Verarbeitung bei uns zu lassen.

Getragen von Darstellern, die durchweg Bemer- kenswertes leisten, zwischen komisch und nach- denklich, endlos gelangweilt und motiviert - und garniert mit Ideen, von denen man nicht jede ver- stehen muss, entwickelt sich ein Abend der unge- wohnten Art, der im Abgang vor allem eins ist: rich- tig gutes Theater.

Jens Pittasch

Foto: SUNSET BOULEVARD, Szenenfoto mit Isabel Dörfler (Norma Desmond) © Marlies Kross

(8)

- Austellung

Kunst aus der DDR ist das Thema von drei Aus- stellungen, die am 3. Dezember im Brandenbur- gischen Landesmuseum für moderne Kunst am Standort Cottbus eröffnet werden. Die Ausstel- lung zum Modemagazin SIBYLLE würdigt das Schaffen legendärer Fotografinnen und Foto- grafen wie Sibylle Bergemann, Arno Fischer, Ro- ger Melis, Ute und Werner Mahler und viele an- dere. Der Fotograf Joachim Richau ist mit einer beeindruckenden Serie zur Alltagsrealität im ländlichen Brandenburg der 1980er Jahre ver- treten. Darüber hinaus präsentiert das Museum erstmalig Ronald Paris mit seiner anspielungs- reichen Bildserie zum Werk von William Shake- speare. Mit den Ausstellungen widmet sich das Landesmuseum der aktuell breit geführten Dis- kussion um die Kunst aus der DDR und den Tradi- tionslinien ostdeutscher Kunst. (pm/bm)

Kunst

aus der DDR

Roger Melis Berlin 1969,

aus der Austellung „SIBYLLE. Fotografien eines Modemagazins“

© Roger Melis

(9)

Austellung -

SIBYLLE.

Fotografien eines Modemagazins

Die Zeitschrift SIBYLLE galt als Vogue des Ostens und war eine Ausnahmeerscheinung in der DDR.

Hier gab es Mode zu bestaunen, die es in den Läden nicht zu kaufen gab. Die Ausstellung beleuchtet die Bedeutung der Zeitschrift für die Entwicklung der Fotografie in der Deutschen Demokratischen Re- publik.

In der Ausstellung werden über zweihundert Werke aus drei Jahrzehnten von dreizehn Fotografinnen und Fotografen vorgestellt. Sie zeugen von den Ent- wicklungsphasen der Modefotografie in der DDR, in die der künstlerische Stil der sozial engagierten Fotografen einfloss, die die Wirklichkeit aus einer dem Menschen zugewandten Perspektive zeigen wollten. Die Modezeitschrift wurde zu einem Fo- rum künstlerisch ambitionierter Fotografie, in dem eine freie Entfaltung und Selbstverwirklichung der Kreativen möglich war, ohne der Zensur anheim zu fallen.

BLmK, Cottbus – Dieselkraftwerk 03.12.2017 – 11.02.2018

Joachim Richau:

HORIZONT oder die Illusion der Fremde 1984-1996 Die Ausstellung blickt auf das fast 40-jährige Schaf- fen des 1952 in Ost-Berlin geborenen Fotografen Joachim Richau zurück. Er begann Ende der 1970er- Jahre als Autodidakt und ist sei 1983 freiberuflich tätig.

Besonders interessant ist die umfangreiche Serie

„Annäherung und Begegnung – Bilder aus Beerfelde“

(1984-87). Darin hält Richau mit selektivem Blick Alltagskonstellationen in einem kleinen branden- burgischen Dorf in der Nähe von Fürstenwalde fest.

In ungeschönten und zugleich sensiblen Bildern er- zählt er von den Menschen und ihrer Lebenswelt.

Für Richaus „dokumentarisch“ angelegte Arbeiten in Schwarzweiß, die bis Mitte der 1990 Jahre entste- hen, wie beispielsweise die Serien „Berliner Traum“

und „finales“, ist eine subjektive Herangehenswei- se an die vorgefundene Realität kennzeichnend.

Die Fotografie ist eher emotional als analytisch ausgerichtet.

BLmK, Cottbus – Dieselkraftwerk 03.12.2017 – 28.01.2018

Ronald Paris.

Shakespeare

Ausgangspunkt für den Zyklus von Aquarellen, Zeichnungen und Gouachen des in Rangsdorf le- benden und arbeitenden Künstlers Ronald Paris bil- den die Sonetten und einige ausgewählte Theater- stücke von William Shakespeare.

Die 154 Gedichte und die Dramen des englischen Dichters widmen sich zumeist der Liebe. Doch eng an die Liebe sind Themen wie Angst vor Liebesverlust, Reproduktion, Unsterblichkeit, Altern, Eifersucht, Rollenzuschreibungen und Geschlechterkonstruk- tion geknüpft. Shakespeare behandelt jedoch nicht nur die heterosexuelle Liebe. Homoerotische Andeu- tungen sind zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Pro- vokation für die gesellschaftlichen Konventionen.

Ronald Paris‘ Werkzyklus ist keine reine Illustrati- on. Vielmehr angesiedelt zwischen Kommentar und visueller Übersetzung greift er Shakespeares The- men auf und transformiert die Sprachrhythmen in Bildrhythmen.

BLmK, Cottbus – Dieselkraftwerk 03.12.2017 – 11.02.2018

Ronald Paris,1984, Shakespeare auf einem Narren reitend, Aquarell, Foto: Wolfgang Lücke, VG Bild Kunst Bonn 2018

(10)

10 - Musik-Tipp

Abwechslungsreich mit Ohrwurmcharakter

Individuality ist das dritte Album von dem in Berlin lebenden Musikproduzenten Sinan Mercenk. Die 14 Stücke sind teilweise in Istanbul und Berlin ent- standen. Auf dem Album haben renommierte Künst- ler wie Pat Appleton (De-Phazz), Anne Schnell (Jojo Effect), Nathalie Claude, Jen H Ka aus Paris, Nikola Materne, Miss Natasha Enquist, Chui-Min Yoo (Ali- ce Francis) sowie Aycan Kato (Tochter von Günseli Kato) mitgewirkt. Auf dem Album experimentierte Mercenk mit Sounds aus den Genres, Electronica, Deep House, Downbeat, Soulful Music, Bossa und Synth Pop, teilweise haben die Track’s Ohrwurm- charakter (Radio Versionen). Die zahlreichen Fea- tures zeigen das Individuality abwechslungsreich ist.

Sinan Mercenk: Individuality Album-VÖ: 8.12.17

Zwischen

Resignation und Hoffnung

Verzerrte Bässe und verdammt laute Gitarren ste- hen mittlerweile eher selten für Indierock, noch seltener für deutschsprachigen. Auf ihrem Debütal- bum „Vom Stochern in der Asche“ scheint es für die Berliner Band Löwen am Nordpol aber Mittel zum Zweck zu sein: eingängige Gitarren-Bretter liegen dem Hörer zu Füßen und laden ein, besprungen und betanzt zu werden, während man Geschichten er- zählt bekommt, die mitunter davon handeln, dass Löwen lieber nicht am Nordpol, sondern in New York oder gleich bei den Aliens wären, Kurt Cobain vermissen oder den Kopf von Donald Trump fordern.

Dabei gelingt ihnen eindrucksvoll der Spagat zwi- schen Resignation und Hoffnung, ohne ins Depri- mierende oder Oberflächliche abzudriften.

Löwen am Nordpol: Vom Stochern in der Asche Album-VÖ: 3.11.17

Das Alte und das Neue vermischen

Im Sound von WILD LIES verschwimmen die Grenzen zwischen dem hedonistischen goldenen Zeitalter des Hard Rock – Guns ’n‘ Roses, Aerosmith, Led Zep- pelin – mit der Aggression, dem krachenden Sound und Haltung der modernen Helden wie Bullet For My Valentine und Avenged Sevenfold. An der Ober- fläche liefern sie hoch aufragenden Hooks, hartnä- ckigen Melodien und überlagerte Gesangsharmo- nien, doch gräbt man nur ein wenig tiefer, kommt ihre herausragende Technik zum Vorschein, die es ihnen ermöglicht, zwischen Hard Rock, Heavy Metal und ein klein wenig Alternative Rock zu wechseln.

„Wir haben unseren Sound als Gruppe definiert, in- dem wir versuchen, das Alte und das Neue zu vermi- schen“, bestätigt der Frontmann Matt Polley.

Wild Lies: Prison of Sins Album VÖ: 23.09.17 Als ich diese CD in die Hand bekam, dachte ich zu-

erst: „Cool, ein englischer Singer/Songwriter, viel- leicht geht das ja in die Richtung Billy Bragg oder sowas“. Danach kam der Gedanke: „hoffentlich nicht schon wieder irgendwelches Lalala-Folkrock- gedudel, das besser in‘s Musikantenstadl passt als in meinen CD-Player“. Da kommt nämlich nur schö- ner, eigenwilliger und rauer Folk rein. Aber das hier ist ne richtig gute Spoken Word-Platte. Und das komplett auf Englisch.

Ich hab mich dann erstmal eine Runde über Atti- la belesen und mitbekommen, dass er bereits seit 1981 Tonträger veröffentlicht, und das auch mit sei- ner Band Barnstormer, in der anfangs sogar Captain Sensible von The Damned am 6-Saiten-Stromappa- rat mitspielte. Generell ein recht sympathischer, po- litisch aktiver Typ und Punk der ersten Stunde, wie ich das hier so mitbekomme. Und mitbekommen lässt sich das mit dieser CD durch seine Gedichte, in denen er immer wieder politische und sozialkri- tische Themen aufgreift. Dafür nutzt er eine sehr klare, aber trotzdem farbenfrohe Sprache und eine stets persönliche Erzählweise. Er ist weit weg von abgehobenem Geschwafel, sondern erzählt, was

er erlebt hat: als Punk, Arbeiter, Liebhaber, Kom- munist und Antifaschist. Und so sind die Gedichte auch sehr lebendig, ebenso wie seine dramatische, vielseitige – aber nicht anstrengende – Vortrags- weise. Teilweise gehen mir einige Feinheiten der

englischen Sprache leider verloren, aber das stört mich nicht. Ich mag Attila‘s britischen Akzent sehr gerne, tut gut im Ohr. Zum Schluss gibt‘s noch zwei

Songs, bei welchen er sich selbst mit Mandola be- gleitet und von denen einer ein The Clash-Ripoff mit eigenem Text ist.

Die CD ist ne Runde Sache, und das nicht nur phy- sisch. Ich konnte die 40 Minuten gut und ohne Lan- geweile durchhören - was für gesprochene Texte nicht wenig bedeutet - und war an einigen Stellen sogar gefesselt. Das einzige Manko ist inhaltlicher Natur: er beschreibt sich selbst im Gedicht „Missi- onaries“ als marxistisch-leninistisch, ohne weiter auszuführen, was das für ihn bedeutet. Aber dies- bezüglich würde ich mich gerne mal mit ihm auf ein Ale in Brighton treffen und darüber diskutieren und wahrscheinlich mit einem guten Kumpel mehr wie- der nach Hause gehen.

Text: Seife

Attila the Stockbroker

Live at The Greys

Attila the Stockbrocker: Live at The Greys Label: Mad Butcher Records

Album-VÖ: September 2015 auf CD

(11)

Gewalt ist in unserer Gesellschaft verpönt. Wer sich dennoch ihrer bedient, auf den warten der Staatsanwalt und die soziale Ächtung. Im politischen Kontext darf nur von einer Seite Gewalt ausgehen – vom Staat.

Politischer Protest der Bevölkerung soll in unserer Gesellschaft friedlich vor- getragen werden, so das Dogma. Als politische Vorbilder werden in diesem Zu- sammenhang gern Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder gar der Dalai Lama genannt. Gandhi hat als Vertreter des „gewaltlosen Widerstands“ Indien vom Joch der Briten befreit; King mit seinem „gewaltlosen Widerstand“ einen entscheidenden Beitrag dafür geleistet, dass in den USA die Bürgerrechte auch für Afroamerikaner gelten.

Der italienische Philosoph und Historiker Domenico Losurdo beschäftigt sich in seinem Buch „Gewaltlosigkeit. Eine Gegengeschichte“ mit der seit Jahrzehnten populär gemachten Großerzählung der Gewaltlosigkeit als Bewegungsform großer gesellschaftlicher Veränderungen. Sie entpuppt sich zu erheblichen Teilen als grobgestrickte Ideologie. Intelligent weist Losurdo nach, dass sämt- liche Vertreter des „gewaltlosen Widerstands“ in bestimmten Situationen Ge- walt als politisches Mittel nicht ausschlossen oder wie im Fall von Gandhi, diese sogar propagierten und politisch in Kauf nahmen.

Schon die Gegner der Sklaverei in den USA, die auch als Erfinder der moder- nen pazifistischen Bewegung gelten, standen bei Ausbruch des Bürgerkriegs vor einem Dilemma: Entweder sie akzeptieren die strukturelle Gewalt gegen- über der schwarzen Bevölkerung oder sie akzeptieren den Krieg gegen die Süd- staaten. Ihrem Credo konnten sie nur mit einer ideologischen Hilfskonstruktion treu bleiben. Sie sahen die Verfechter der Sklaverei nicht mehr als „Menschen“

an, sondern als „Bestien“, die nur mit Gewalt bezwingbar seien.

Von den meisten Widersprüchen ist Gandhi geprägt, die von der bürgerlichen Geschichtsschreibung gern ausgespart werden. Im Ersten Weltkrieg, als sein Konzept des gewaltfreien antikolonialen Widerstands reifte, bot er sich den Briten als „Hauptrekrutierer“ indischer Freiwilliger an. Dadurch wollte er – ganz im Sinne des damals weit verbreiteten Rassismus – die Inder aufwerten.

Dasselbe im Zweiten Weltkrieg.

Die von Gandhi propagierte Kampfmethode führte nach Losurdo nur zu einer Verschiebung der Gewalt, nämlich zu einer Selbstauslieferung seiner Anhän- ger an die Gewalt der kolonialen Ordnungskräfte. Die Menschen ließen sich nicht nur widerstandslos schlagen, verstümmeln und töten. Manche streckten den prügelnden Polizisten sogar ihre Kleinkinder entgegen und nahmen deren Opferung in Kauf.

Pazifismus ist eine Illusion; in der Geschichte ist er immer wieder an vorhan- dener struktureller Gewalt gescheitert, sei es in Form der Sklaverei, des Kolo- nialismus oder des Imperialismus. Losurdos Buch hilft, sich von bürgerlichen Mythen zu befreien. (bc)

Mythos Gewaltlosigkeit

Zum Buch:

János Székely (2016):

„Verlockung“,

Zürich, Diogenes Taschenbuch, 986 Seiten

ISBN:978-3-257-24363-5 Preis: 14 Euro

Blicklicht Buch-Tipp

Zum Buch:

Domenico Losurdo (2015):

„Gewaltlosigkeit. Eine Gegenge- schichte“,

Hamburg, Argument Verlag mit Ariadne, 272 Seiten

ISBN: 978-3-86754-105-3 Preis: 33 Euro

Buch-Tipp - 11

Verlockung

Béla ist ein unehelicher Bauernjunge aus der ungarischen Provinz in der Zwi- schenkriegszeit. Seine Mutter, selbst noch sehr jung, geht nach Budapest, um ein wenig Geld zu verdienen. Sein Vater war auf Durchreise, als er seine Mut- ter kennenlernte und sie einfach nahm. So wächst Béla bei einer ausgedienten Hure auf, die eine Art „Pension“ für uneheliche Kinder betreibt und sich die

„Kinderpflege“ fürstlich bezahlen lässt. Das Heim wird für den Jungen zur wah- ren Schinderstätte: „Ich wuchs heran wie Unkraut“. In die Schule darf Béla erst mit zehn Jahren gehen. Jeden Tag läuft er kilometerweit dorthin, wobei seine Füße nur mit Zeitungspapier umwickelt sind. Für Schule ist kein Geld da.

Eines Tages schickt die Mutter kein Geld. Nachdem die Essensrationen des Kin- des für längere Zeit gestrichen wurden, muss ihn die Mutter abholen und mit in den Slum der Großstadt nehmen. Sie wohnen in einer Wohnung im Stadtteil Neu-Pest, wo sie für kümmerlichen Lohn als Wäscherin arbeitet.

Irgendwann bekommt Béla die Chance seines Lebens: Er darf als Liftboy im größten Hotel Budapests anfangen. Für ihn eröffnet sich eine vollkommen neue Welt, die große Welt der Reichen. Auch wenn er von der Freizügigkeit der wohlhabenden weiblichen Hotelgäste zunächst irritiert ist, lässt er sich auf Spielchen ein, denen er nicht gewachsen ist. Der Frau des ungarischen Vertre- ters beim Völkerbund in Genf darf er den Hund ausführen, und an einem Abend darf er ihr eine Flasche Sekt aufs Zimmer bringen. Der Gast, mit dem die Dame anzustoßen wünscht, ist Béla selbst.

Den Verlockungen der Welt der Reichen tritt ein anderer Sog entgegen: die Idee der proletarischen Revolution. Ein Kollege gibt ihm „Das ABC des Sozia- lismus“ zu lesen, und Béla beschließt, seine Zukunft nicht länger „im weichen Bett des Kapitalismus“ zu suchen. Dann aber tritt auf Verabredung mit dem Personalchef, den man im Hotel hinter vorgehaltener Hand nicht von ungefähr

„Mussolini“ nennt, der „Greifer“ in Bélas Leben. Dem Aktivisten der Nationalen Bewegung genügt die bloße Nähe des Horthy-Regimes zum Faschismus Musso- linis und zum Nationalsozialismus Hitlers nicht. Béla soll sich als Spitzel in die Sozialdemokratische Partei einschleichen; sollte er sich weigern, droht ihm die Entlassung. Derart in die politischen Ränke hineingezogen, flieht Béla als blin- der Passagier auf einem österreichischen Donauschiff.

János Székelys Roman „Verlockung“ ist ein Porträt Ungarns in der Zeit zwischen den Weltkriegen und zeigt die Diskrepanz zwischen beiden Welten, in denen sich Béla bewegt, auf der einen Seite die elenden Behausungen der Arbeiter und auf der anderen Seite die glitzernde Welt der Reichen. Béla ist inmitten der sozialen Konflikte und politischen Spannungen jener Zeit, die auch Székely zur Flucht aus Ungarn veranlasst haben. So musste der Autor aus Ungarn fliehen, nachdem Ad- miral Horthy nach dem Ersten Weltkrieg mit der gegenrevolutionären Nationa- larmee in Budapest einmarschierte, weil er ein Antikriegsgedicht veröffentlicht hatte. „Verlockung“ wurde in den 1950er Jahren zu einem Welterfolg. (bc)

(12)

vonMatthiasHeine

Knut war 12 Jahre alt und mit seinen Eltern im Som- merurlaub. In Kyritz an der Knatter. Irgendwie hat- ten seine Eltern und besonders der Vater den Flitz, dass Knut in den Ferien von sechs Wochen wenig- stens zwei zu arbeiten hatte. Ferienarbeit. Wenn sich sein Vater, der sein ganzes Leben lang…. Bla- blabla… das in den Kopf gesetzt hatte, dann war daran nur noch schwer zu rütteln. Knut beugte sich dem ziemlich schnell. Ein bisschen pervers fand er allerdings, dass der Vater eine Ferienarbeitswoche in den gemeinsamen Familienurlaub gelegt hatte.

Andererseits war das auch die Möglichkeit, weni- ger Zeit mit den Eltern zu verbringen. Also halb pervers, halb gut – so wie das Leben. Der Vater, ein Sparfuchs, hatte privaten Kontakt zu Herrn Fintel, in dessen Pension die Familie untergekommen war und fragte den, ob denn irgendwelche Arbeiten an- fielen, Dinge zu reparieren seien etwa. Tätigkeiten also, die ein Zwölfjähriger leisten könnte, ohne et- was zu versauen und ohne zu explodieren. Im Ge- genzug könne man mit dem Gesamtpreis etwas runter gehen. Den Jungen selbst würde der Vater auszahlen. Später.

Fintel überlegte nicht lang. Er hatte seit vielen Jah- ren eine Baustelle, die so groß war wie die Unlust, sie anzugehen. Das Grundstücksende hinter sei- nem Haus, noch hinter dem weitläufigen Garten, begrenzte ein etwa 200 Meter langer, 80 cm hoher Holzzaun. Diesen Zaun gab es schon, als Fintel das Grundstück vor zehn Jahren vom alten Alfred Wink- mann, beziehungsweise von seinen Kindern, ab- gekauft hatte. Der alte Winkmann zog dann in die Wohnanlage Lebensfreude und verstarb zügig.

„Den Zaun hinten kanna streichen. Farbe und Pinsel sind im Schuppen. Zaun streichen kann jeder. Vor- her bisschen abschmirgeln. Weiß alles. Morgen früh um sechs Uhr dreißig kanna losgehen“, sagte Fintel

zum Vater und über Knuts Kopf hinweg, als stünde der nicht auch dabei. Die Beiden gaben sich sehr männlich die Hand, bestimmten über Knuts Leben und beschlossen damit den Vertrag.

Am nächsten Morgen um sechs Uhr kam die Mutter an sein Bett und schüttelte Knut vorsichtig aus dem Schlaf. Sie hatte Stullen geschmiert, Orangenlimo- nade und eine Banane in einen Stoffbeutel gepackt.

„Zähne putzen und ab, du Räuber“, hatte sie Knut ins Gesicht gehaucht und roch dabei wie das Gegenteil von Zähne putzen vermischt mit Rotwein. Knut zog sich seine älteste Hose an und das Nicki mit dem Feuerwehrauto drauf, das er nie im Leben mehr anziehen wollte, weil er in der Schule schon dafür ausgelacht wurde. „Wo brennts denn, Knuti? Ey Feu- erwehrklops, zeig mal deinen Schlauch.“ Und dann haben sie ihm einen heißen Kopp gemacht.

Im Schuppen fand er schnell Farbe, Pinsel und Schleifpapier. Fintel hatte alles hin gestellt und einen Zettel dagelassen. „Um zwölfe gibt’s was Warmes im Haus, bei der Renate. Pinsel nach Ge- brauch bitte ordentlich auswaschen. Der Tach ist kurz und nicht aus Gummi. Fintel.“

Als Knut mit seinen Arbeitsmaterialien und seinem Fresspaket den Zaun erreichte, kam ihm die Situa- tion in vielerlei Hinsicht endlos vor. Er konnte das Ende des Zaunes kaum sehen. Hinter ihm stand in der Ferne das Haus und voraus blickte er in den Horizont, an dessen Ende irgendwo die Knatter flie- ßen musste. Wozu und für wen strich er eigentlich diesen Zaun, dachte er und strich noch nicht mal.

Er schaute auf die Uhr. Es war sechs Uhr fünfund- dreißig. Knut streckte die Zunge lang heraus und machte eine fürchterliche Grimasse. Für wen?

Mit dem Pinselende hebelte er, nicht ungeschickt, die erste Farbdose auf, tunkte den Pinsel hinein und strich ihn sauber an den Rändern ab. Er macht sich

Glaubensfrage

an die erste Zaunlatte. Dann an die zweite, dann an die Zaunleisten und hatte schließlich nach ei- ner halben Stunde konzentrierter Arbeit ein erstes Zaunsegment gestrichen.

Die Arbeit machte Spaß irgendwie. Sie war konkret und der Arbeitsfortschritt, also das Geschaffte, war unmittelbar erlebbar. Selbstwirksamkeit 100 Pro- zent. Gegen 10.30 Uhr stand die Sonne schon eini- germaßen hoch am Himmel. Knut schwitzte.

8 Meter Zaun hatte er geschafft. Knut schritt das Ergebnis immer wieder stolz ab. „Sagen wir zehn“, sprach er in die Einsamkeit.

Er hatte mal eine Geschichte gelesen, da musste ein Junge auch einen Zaun streichen. Also er wurde dazu verdonnert, so wie Knut. In einer Tour kamen bei dem Leute vorbei. Andere Kinder, die ihm Din- ge schenkten, um ein bisschen Zaun streichen zu dürfen. Das war ihm beim Lesen damals total unlo- gisch erschienen. Jetzt am Zaun war ihm alles klar.

Allerdings selbst wenn einer käme, Knut würde ihm keinen Zentimeter Zaun abgeben. Er wollte das al- lein schaffen. Außerdem war allein irgendwie auch ganz gut. Nur Knut, der Zaun, die Natur und der Ho- rizont.

Gegen 11.30 Uhr waren sie plötzlich einer mehr.

Am Horizont sah Knut einen schwarzen Punkt flim- mern. Erst dachte er, das könne nur Einbildung sein und strich das nächste Zaunsegment zu Ende. Beim nächsten Blick war aus dem Punkt eindeutig ein Kreis geworden oder eher ein Oval. Gegen die Son- ne war das schwer zu erkennen. Knut arbeitete wei- ter. Beim nächsten Blick schien die Sache noch kla- rer. Eine Person lief da. Und wenn er nicht irrte, lief die Person direkt auf ihn zu.

Blödsinn. Wer weiß, wo so ein Mensch hinwill, dach- te Knut und tunkte den Pinsel zurück in die Farbe, um beim nächsten Aufsehen festzustellen, dass die

Lese bühne

„Wo bitte geht’s zu Gott?“ fragt sich das kleine Ferkel in dem Kinderbuch von Michael Schmidt-Salomon, nachdem es ein Plakat gesehen hatte. Das Plakat ist der Anfangspunkt einer Reise zu den verschiedenen Religionen. Nicht ganz so neugierig ist Knut, der Jugendliche in Matthias Heines Geschichte. Der Weg zu Gott eröffnet sich für ihn in den Ferien in Form einer Frau, die ihn bei der Arbeit am Gartenzaun anspricht. Eine Begegnung, die Knut nicht mehr vergisst. (bm)

12 - Lesebühne

Foto: Die Lesebühne im „Faulen August“ © Schwartzman P. Vanderbuilt

(13)

Die Tüchtigen

von Udo Tiffert Die Tüchtigen stehen

fünf Uhr auf, auch am Wochenende.

Oder zehn nach Vier.

Sie wissen wo‘s lang geht, wann das Auto zur Durchsicht muß, klopfen die Fußmatten

regelmäßig aus. Im Kofferraum liegt ‘ne

Küchenrolle.

Die Tüchtigen kaufen atmungsaktive Winter-

jacken Ende Februar, gesenkt. Kaufen zwei.

Die Tüchtigen machen Überstunden ohne sie aufzuschreiben, erzählen

jedem daß sie dem Chef schonmal einige Takte

sagen!

Viele glauben ihnen das: Und der Chef schätzt die Tüchtigen, nie fordert einer mehr Geld. Bis auf

den einen, der zum Konkurrenten wechselte,

eine Ausnahme, egal.

Die Tüchtigen sind Öl und Sand zugleich,

im Getriebe: Sorgen dafür, daß es läuft

und daß es bleibt, und bleibt, und bleibt, und bleibt...

Person eine Frau zu sein schien. Eindeutig eine war.

Die Figur, der Gang, auch die Zielstrebigkeit. Lang- sam verschwand die Silhouette, wich echten Farben und Haaren, Kleidern, Mustern, Konturen, Falten- würfen… wich Mehrdimensionalität. Die Frau ging weiter zielstrebig in seine Richtung. Wie viele Meter würde sie noch von ihm entfernt sein? Nicht länger als das Ende des Zaunes, dachte Knut.

Wo wollte sie denn hin? Zum Fintel vielleicht? Aber da hätte sie vorhin schon viel eher nach rechts ab- biegen müssen. Es sei denn, sie wollte über den Zaun steigen. Aber dafür war sie zu alt. Vielleicht Dreißig. Schwer zu schätzen. Jedenfalls schon alt.

Eine Grenze ist eine Grenze. Da steigt man nicht darüber. Höchstens noch mit sechszehn, aber dann nicht mehr, dachte Knut. Wenn man eingeladen ist oder erwartet wird, kann man genauso gut das Haupttor benutzen, als Erwachsener.

Knut strich weiter am Zaun. Die Frau kam immer näher. Was will die? Die Mittagsfrau oder was?

Knut befühlte seine Stirn. Alles normal. Wie lange kommt die denn schon? Knut schaute auf seine Uhr.

Die sagte 11.45 Uhr. Das ist lang. Knut konnte jetzt die Augen der Frau erkennen. Diese Frau kann ich mir nicht merken. Also falls mich mal einer nach ihr fragt…, dachte Knut. Weder die Augen, noch al- les andere an der Frau waren irgendwie bemerkens- wert. Nichts Besonderes. Durchschnittlich, wie man sagt. Marianna Musterfrau, Augen blaugrau, Haare aschblond, langes Kleid, beige, eine Strickjacke, hellgrün und Schuhe, flache. Unter dem Arm trug die Frau Papiere oder ein Buch.

Die Frau hatte ihr Ziel erreicht. Jetzt war es unmiss- verständlich. Den ganzen Weg war sie zielstrebig auf Knut zugegangen und mit einem Mal war sie da.

Beinahe hätte er sich erschreckt. Knut ließ den Pin- sel in die Farbdose gleiten und erhob sich.

Er strich sich die Hände an der Hose ab und über- legte noch, ob er ihr eine Hand geben sollte. Die Rechte? Nein dreckig. Die Linke? Nein unhöflich.

Den Ellbogen hinhalten? Irgendwie auch blöd. Also

tat er nichts und so standen sie voreinander.

Die Frau sah Knut offen in die Augen. Dann fragte sie: „Möchten Sie mit mir über Gott reden?“ Knut schwieg. Jetzt erkannte er auch das Buch unter ih- rem Arm. Nach einer kleinen Unendlichkeit sagte er: „Nein“.

Die Frau stand noch einige Sekunden und schaute.

Ein merkwürdiger Augenblick. Dann drehte sie auf dem Fuß um und ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Bald waren die Faltenwür- fe ihres Kleides nicht mehr genau zu erkennen und das aschblond ihrer Haare wurde gegen die Sonne zu Schwarz. Bald machte sich Knut wieder an seine Arbeit und sah hin und wieder in Richtung Horizont.

Dort wurde die Silhouette einer Frau zu einer Per- son, zu einem Oval, zu einem flirrenden Punkt, der schließlich verschwand hinter dem Horizont oder in der Knatter.

Es war inzwischen Mittagszeit. Knut ging ins Haus und Frau Fintel gab ihm einen Teller Linsensuppe mit Brot. „Kannst Renate sagen.“, sagte Frau Fin- tel. Knut nickte und aß. Er dachte über seine Be- gegnung nach. Schon nach dem Essen hatte er die Frau fast vergessen. Knut strich den Zaun in nur drei Tagen fertig und wurde dafür vom Fintel und auch vom Vater gelobt. In diesem Urlaub durfte Knut zu- sammen mit dem Vater ein Bier trinken. Sein Erstes.

Das schmeckte wie Kotze, fand er und trank, weil Männer Bier trinken und weil er dem Vater gefallen wollte.

Als Knut später erwachsen war, ging er nie in die Kirche. Niemals. Er hatte keinen besonderen Bezug zum Weihnachts-, oder Osterfest und kreuzte bei Religion immer „keine“ an. Nur manchmal, wenn die Familie nicht zu Hause war und er allein in sei- nem Bett lag, dachte er noch an die Frau, wie an ei- nen Traum.

Und seine vertane Chance, zu Gott zu finden. Dann schlief er ein.

Lesebühne - 13

Foto: Udo Tiffert © Schwartzman P. Vanderbuilt

(14)

INNEN LEBEN: Delhani (Juliette Navis) und Oum Yazan (Hiam Abass) blicken auf den Krieg vor der Tür (©Weltkino Filmverleih)

Überleben inmitten des Krieges

Drama: INNEN LEBEN

Syrien. Der Krieg des Westens gegen das syrische Volk tobt. Die Ehefrau und Oum Yazan harrt mit ihrem Schwiegervater, ihren drei Kindern und der philip- pinischen Haushaltshilfe in ihrer Wohnung im zweiten Stock eines Mehrfami- lienhauses aus. Sie gewährt dem jungen Paar aus der zerstörten Nachbarwoh- nung und ihrem Baby Unterschlupf. Oum Yazans Ehemann ist fort und wird für den Abend erwartet. Die Fenster der Wohnung bleiben aus Angst vor Scharf- schützen mit Vorhängen bedeckt, während aus der Ferne Explosionen, Schüsse und Helikoptergeräusche zu hören sind. Die Wasserversorgung ist zusammen- gebrochen und jeder Gang nach draußen gefährlich.

INNEN LEBEN zeigt die Realität des Krieges – nicht aus Sicht kämpfender Sol- daten, sondern aus Sicht der Zivilisten, die inmitten der Gewalt versuchen müs- sen, zu überleben. Der Film ist inspiriert von einer Begebenheit in Syrien: Dem Regisseur Philippe Van Leeuw wurde im Dezember 2012 von einer Freundin aus Damaskus erzählt, ihr Vater sei für drei Wochen in seiner Wohnung in Aleppo eingesperrt gewesen – ohne Telefonanschluss oder andere Kommunikations- möglichkeiten, weil die Stadt durch Bomben so sehr zerstört war. In dem Film ist es die Familie von Oum Yazan, die nur unter Lebensgefahr ihre Wohnung ver- lassen kann.

Oum Yazan gelingt es zunächst, den Familienalltag aufrecht zu erhalten. Ge- meinsam wird gegessen, der Großvater unterrichtet seinen Enkel und die Töch- ter streiten sich darum, wer zuerst ins Bad gehen darf. Als es zu schweren Bom- benexplosionen im Viertel kommt, überschlagen sich die Ereignisse.

INNEN LEBEN hat kein Happy End. Und wer die Bilder von freudestrahlenden Menschen nach der Befreiung von Aleppo gesehen hat, der versteht, dass es für die Menschen in Syrien nur ein echtes Happy End geben kann: Frieden. (bm)

Zum Film:

Regie: Philippe Van Leeuw Darsteller: Hiam Abbass, Dia- mand Abou Abboud, Juliette Navis, Mohsen Abbas

Land: Belgien / Frankreich / Libanon

Jahr: 2017

Der Film gewann auf der 67.

Berlinale den Publikumspreis der Sektion Panorama.

Ab 1. Dezember ist INNEN LEBEN auf Blu-Ray, DVD und digital erhältlich.

Billige Nahrung – teuer erkauft

Dokumentation: BAUER UNSER

BAUER UNSER zeigt, wie es auf Bauernhöfen zugeht. Regisseur Robert Schabus bleibt in seiner Dokumentation vordergründig unparteiisch. Doch so vielfältig die Bauern, vom Biobauer bis zum konventionellen Agraringenieur, so einhel- lig der Tenor: So kann und wird es nicht weitergehen. Das Mantra der Industrie – schneller, billiger, mehr – stellen die meisten von ihnen in Frage.

Produzent Helmut Grasser hatte vor dem Film gedacht, die Zeit der Großgrund- besitzer in der Landwirtschaft sei vorbei. Er musste feststellen, dass er sich irrte: Die Zahl der Großgrundbesitzer wächst, die kleineren und mittleren Bau- ern müssen aufgeben. Neu ist dieser Trend zwar nicht (seit Karl Marx fand man ihn immer wieder bestätigt), vor seinen bisweilen tödlichen Folgen verschließt man oft genug die Augen. Allein in Frankreich nehmen sich pro Jahr etwa 600 Landwirte das Leben, weil sie dabei sind, alles zu verlieren. Bauer ist dort die Berufsgruppe mit der höchsten Selbstmordrate.

Kapitalismus und Globalisierung sind es vor allem, die den Bauern die Existenz schwermachen. In der Masthaltung eines Schweines zahlt der Bauer mittler- weile 9 Euro aus eigener Tasche, um es überhaupt produzieren zu können. Die Tiere fressen Soja, das in Lateinamerika und Afrika in großem Stil angebaut wird, damit bei uns 1kg Schweinefleisch billig verkauft werden kann.

Und wer glaubt, durch bewussten Konsum etwas verändern zu können, der täuscht sich, meint Grasser. Der Konsument habe aber fast gar nichts zu sagen.

„Es gehört zur neoliberalen Weltordnung, dem einzelnen Menschen Verantwor- tung für etwas aufzuerlegen, was er/sie gar nicht ändern kann“, so Grasser.

BAUER UNSER ist ein sehenswerter und spannender Film, in dem deutlich wird, wie Politik und Gesellschaft immer öfter vor der Industrie kapitulieren. (bm)

Zum Film:

Regie: Robert Schabus Produzent: Helmut Grasser Land: Österreich/Belgien/Fran- kreich

Jahr: 2016

Genre: Dokumentation Der Film ist auf DVD, Blu-ray und Video-on-Demand erhältlich.

1 - Film-Tipp

(15)

Die Stille genießen

Dokumentation: Zeit für Stille

Für uns, die wir ständig mit Lärm und Geräuschen umgeben sind, dürfte dieser Filmbeginn gewöhnungsbedürftig sein: Vier Minuten und 33 Sekunden experi- mentelle Stille. Mit ihnen beginnt ZEIT FÜR STILLE, ein Film der auf meditative Weise versucht, unsere Beziehung zu Stille, Geräuschen und dem Einfluss von Lärm auf unser Leben zu untersuchen.

Im Laufe der Jahrtausende hätten schon viele versucht, das Thema auf den Punkt zu bringen, meint Regisseur Patrick Shen. Anstatt es auf den Punkt zu bringen, hätten er und sein Team versucht, das Thema auszuweiten und so der Unbeschreiblichkeit der Stille zu huldigen. So spiegele die Dreh- und Schnittar- beit des Films unsere Wahrnehmung der Welt wider, wenn wir still sein würden:

Keine Kranfahrten, schwungvolle Drohnenaufnahmen oder Kameraschwenks.

Der Film folge einem behutsam komponierten, am menschlichen Stoffwechsel orientierten Rhythmus.

Der Film nimmt uns mit auf eine faszinierende filmische Reise um die Welt: Von einer traditionellen Teezeremonie in Kyoto in die echofreie Kamme der Orfield Labs in Minneapolis (der stillste Ort der Welt), auf die Straßen der lautesten Stadt der Welt, Mumbai, während der wilden Festzeit, in den Denali-Nationalpark in Alaska, in die unter dem Lärm der Hochbahnen leidenden New Yorker Schulen, in das Zen- und Trappistenkloster und zu dem „stummen Wanderer“, der im Rah- men eines Schweigegelübdes durch ganz Nordamerika gewandert ist.

Der Film, so der Wunsch des Regisseurs, soll das Publikum dahingehend bewe- gen, Stille genießen zu lernen und einen neuen Blick auf die Welt ermöglichen.

(bm)

Gedanken und Visionen als Gradmesser ihrer Zeit

Collage: Manifesto

Unter der Regie des renommierten Filmkünstlers Julian Rosefeldt ist die zwei- fache Oscar-Gewinnerin Cate Blanchett in zwölf verschiedenen, großartigen Episoden zu sehen, die allesamt diverse zeitlose Manifeste verschiedener Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts behandeln. MANIFESTO greift auf die Texte von Futuristen, Dadaisten, Situationisten und anderen Künstlergruppen zurück. Rosefeldt hat diese Manifeste bearbeitet, in zwölf Collagen neu zusam- mengefügt und so die Ideen von Claes Oldenburg, Yvonne Rainer, Kazimir Ma- levich und vielen mehr miteinander verwoben.

Künstlermanifeste sollten als Gradmesser ihrer Zeit verstanden werden, sagt Regisseur Julian Rosefeldt. In ihnen sei oftmals Gedanken und Visionen Aus- druck verliehen worden, deren Legitimität zu ihrer Zeit noch nicht bewiesen gewesen sei. „Das 1932 veröffentlichte ‚Draft Manifesto‘ des John Reed Club of New York zum Beispiel, in dem beschrieben wurde, wie eine kapitalistische Weltordnung aus den Fugen gerät, liest sich heute noch, als wäre es gerade erst veröffentlicht worden“, so Rosefeldt.

Der Grundgedanke von MANIFESTO war, nicht einfach die diversen Manifeste zu verfilmen, sondern Blanchett sie verkörpern zu lassen. „Sie ist das Manifest“, so Rosefeldt. Und von Anfang an sei klar gewesen, dass sie viele Persönlich- keiten auf einmal darstellen werde. Am Ende hat Blanchett zwölf Charaktere gespielt: Von der Brokerin, über eine Punkerin, bis zu einem Obdachlosen.

MANIFESTO soll ein Weckruf sein, um angesichts nationalistischer und rassi- stischer Tendenzen in der Politik und den Medien unsere scheinbar bereits er- reichten Werte der Toleranz und des Respekts zu verteidigen. (bm)

Zum Film:

Regie: Patrick Shen Land: USA Jahr: 2017

Genre: Dokumentation Der Film läuft im Dezember im Obenkino.

Zum Film:

Regie: Julian Rosefeldt Darsteller: Cate Blanchett Land: Deutschland Jahr: 2017

Der Film läuft Anfang Dezember im Obenkino.

Kino-Tipp - 1

Cate Blanchett als tätowierte Punkerin – Estridentismus ©Julian Rosefeldt und VG Bild-Kunst

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Für das 100 Meter Finale hatten sich gleich drei Olper U16 Sprinterinnen in den Vorläufen qualifiziert, Alina Hoberg, Christin Schneider und Julia Hippler...

Die Stadtverwaltung unterstützt derzeit bestehende Kooperationen mit Verbänden und Vereinen für die Schulgartenarbeit von Schulen (u. Kleingartenvereine, Um- weltvereine

Weitere fachdidaktische Literatur wird in der Veranstaltung bekanntgegeben Verwendbarkeit für Studiengänge:. Studiengang Modul

Falls du das Kleid nähst und die Längenmaße anpassen möchtest, dann wählst du den errechneten Betrag (1,2cm) und zeichnest ihn parallel zur Taille und zur Länge dazu... Ich bin

Durch diese beiden Interessen, das Coaching und die Tiere, habe ich mich dazu ent- schieden eine intensivere Auseinandersetzung mit dem systemischen Coaching mit Tie-

Europäische Kommission KOM Brüssel 28 Mitglieder Kommissare auf Vorschlag der EU-Staaten, nach Zustimmung des EP vom ER ernannt, für 5 Jahre schlägt Gesetze vor

Gemäß der Geschäftsordnung der Kärntner Landesregierung wird die grundsätzliche Genehmigung zur Zuschlagserteilung an den Bieter „Die Kärntner Volkshochschulen“ für

„1. Der Bericht der II. Gabriele Schaunig-Kandut über den dargelegten Förderungsantrag der „meine Heimat Gemeinnützige Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft