• Keine Ergebnisse gefunden

Sexualpädagogik in der Sozialen Arbeit im aktuellen Diskurs

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Aktie "Sexualpädagogik in der Sozialen Arbeit im aktuellen Diskurs"

Copied!
49
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

H o c h s c h u l e N e u b r a n d e n b u r g Studiengang Soziale Arbeit

Sexualpädagogik in der Sozialen Arbeit im aktuellen Diskurs

Bachelorarbeit zu Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts (B.A.)

Vorgelegt von Cindy Görner

Erstbetreuer: Prof. Dr. Claudia Steckelberg Zweitbeteuer: Prof. Dr. Matthias Müller Tag der Einreichung: 25.06.2015

(2)

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 1

2 Was ist Sexualität? ... 2

2.1 Exkurs ... 3

2.1.1 Sexualität im Kindesalter ... 3

2.1.2 Sexualität im Jugendalter ... 4

3 Sexualpädagogik ... 5

3.1 Hochschule Merseburg – University of Applied Sciences ... 6

3.2 Sexualität und Pädagogik ... 8

3.2.1 Sexualpädagogische Kompetenzen ... 8

3.3 Die Geschichte der Sexualpädagogik ... 10

3.4 Emanzipatorische Sexualpädagogik ... 11

3.5 Sexualpädagogische Arbeitsfelder ... 12

3.5.1 Sexualpädagogik im Kindergarten und Hort ... 12

3.5.2 Sexualpädagogik in der offenen Kinder- und Jugendarbeit ... 13

3.5.3 Sexualpädagogik in der Heimerziehung ... 13

3.5.4 Sexualpädagogische Mädchen und Jungenarbeit ... 14

3.6 Normen der Sexualität ... 16

3.7 Über Sex reden ... 17

4 Beratung und Therapie ... 17

4.1 Beratung ... 17

4.1.1 Methodik ... 18

4.1.2 Die Sexualanamnese ... 21

4.1.3 Aufgaben der Sexualberatung ... 21

4.2 Sexualtherapie ... 22

4.2.1 Der Verlauf der Sexualtherapie ... 22

5 Sexuelle Bildung, Erziehung und Aufklärung ... 23

5.1 Sexuelle Bildung und Erziehung ... 24

5.1.1 Sexualerziehung in Grundschulen ... 25

5.1.2 Sexualerziehung in der Sekundarstufe I ... 26

5.1.3 Lehrplan einer Sonderschule in Mecklenburg - Vorpommern... 27

5.2 Sexuelle Aufklärung ... 30

6 Sexuelle Sozialisation ... 31

(3)

7.1 Die Debatte um die „sexuelle Vielfalt“ ... 33 7.2 Sexualpädagogik der Vielfalt ... 36 8 Fazit ... 41

(4)

1

Lesehinweis

Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die männliche Form verwendet, auch wenn beide Geschlechter gemeint sind.

1 Einleitung

Zum Einstieg meiner Arbeit stellen Sie sich folgendes vor:

Sie sind auf einer Feier und jemand fragt Sie nach ihrem Beruf. Nach der Ant-wort, dass Sie als Sexualpädagoge tätig sind, können folgende Assoziationen gestellt werden:

x „Reaktion Nummer 1:

„Was machen denn Sie so beruflich?“

„Ich arbeite im Bereich der Sexualpädagogik.“ „Ah, Sozialpädagogik.“

„Nein, Sexualpädagogik.“

„Ah ja ... Haben Sie übrigens schon gesehen, es gibt einen ganz ausge-zeichneten Rotwein am Büffet.“

x Reaktion Nummer 2:

„Und, was machen denn Sie so beruflich?“ „Ich bin Sexualpädagoge.“

„Oh, das ist sicher eine interessante Arbeit. Als Sexualtherapeut erfahren Sie doch eine Menge intimer Details aus dem Leben Ihrer Klienten.“ Und auch wenn Sie dieses Missverständnis wiederholt klarstellen – Sie werden im Verlauf des Gesprächs immer wieder als Sexualtherapeut an-gesprochen werden.

x Reaktion Nummer 3:

„Und, was machen denn Sie so beruflich?“ „Ich bin Sexualpädagogin.“

„Ach, das ist ja toll! Also, wenn ich mir vorstelle, wie schwer es die Ju-gendlichen heute haben, mit dem ganzen Sex in den Medien und ohne

(5)

2

brauchbare Vorbilder – da ist es doch total wichtig, dass jemand da ist, der sie begleitet und unterstützt usw.“

x Reaktion Nummer 4:

„Und, was machen denn Sie so beruflich?“ „Ich bin Sexualpädagogin.“

„Ach, das ist ja interessant. Also, da wäre ich sehr gerne mal dabei. Das von Ihnen präsentiert zu bekommen, stelle ich mir durchaus reizvoll vor. Und vielleicht könnten Sie mir sogar noch etwas Neues beibringen.“ x Reaktion Nummer 5:

„Was machen denn Sie so beruflich?“ „Ich bin Sexualpädagoge.“

„Ah ja, mhm. Das ist das mit Aufklärung und so, ja? Aber, sagen Sie: Brauchen das die Jugendlichen heute überhaupt noch? Ich meine, die wissen doch eh schon alles. Müssen da noch eigens Sexualpädagogen auf sie angesetzt werden?“

Und dann, etwas später im Gespräch:

„Sagen Sie, ist das eigentlich ein Beruf, von dem man leben kann?“ “1

2 Was ist Sexualität?

Die Bedeutung dieses Wortes lässt sich aus dem Wort Sexus, Geschlecht ab-leiten.2 Bei der Deutung des Begriffes Sexualität gibt es verschiedene Ansich-ten. So beschreibt Stein - Hilbers die Sexualität als „abhängig von grundlegen-den wissenschaftstheoretischen, philosophischen und weltanschaulichen An-nahmen…“3, wobei Kleinschmidt, Martin und Seibel Sexualität als ein menschli-ches Bedürfnis definieren.4 Meiner Meinung nach ist Sexualität ein menschli-ches Bedürfnis, welmenschli-ches sich durch die ganze Biographie zieht, die sich aber im Laufe des Lebens verändert. So sind die Bedürfnisse eines Kindes zum Bei-spiel die körperliche Nähe durch kuscheln. In der Pubertät verändert sich das

1

Hauptvortrag von Karlheinz Valtl (Internetquelle)

2 Vgl. Hertoft 1993, S.177 3

Stein-Hilbers 2000, S.26

4

(6)

3

sexuelle Interesse und die Körperlichkeit wird intensiver. Der Körper verändert sich, das andere Geschlecht wird interessanter und koitale Erfahrungen werden gemacht. Im Alter nimmt die Libido dann wieder ab, sodass hier die Zärtlichkeit im Vordergrund steht.5 Sexualität ist aber nicht nur anhand des reinen Ge-schlechtsaktes festzumachen, sondern dabei geht es auch um Schmusen, Küs-sen oder auch Selbstbefriedigung.

Kurz gesagt ist Sexualität ein Thema was jeden von uns angeht, egal ob jung oder alt. Aber obwohl es heute kein Tabuthema mehr ist, wird nicht gerne offen darüber gesprochen. Dabei ist menschliche Sexualität etwas ganz normales und jeder durchlebt seine eigene Reise durch diese spannende Zeit.

2.1 Exkurs

2.1.1 Sexualität im Kindesalter

Kinder leben ihre Sexualität sehr egozentrisch aus, was sich darin widerspie-gelt, dass sie sich anfangs nur mit ihrem eigenen Körper vertraut machen. Erst später erforschen sie auch die Körper der Eltern durch schmusen oder die Kör-per anderer Kinder durch Rollenspiele (z.B. Vater – Mutter – Kind-Spiel).6

Sigmund Freud hat sich mit der kindlichen Sexualität aus psychoanalytischer Sicht beschäftigt und damit einhergehend ein Phasenmodell erstellt.

Die orale Phase (1. Lebensjahr)

In der ersten Phase geht es hauptsächlich um die orale Befriedigung, wie zum Beispiel durch das Lutschen am Daumen oder das saugen an der Brust der Mutter zur Nahrungsaufnahme. Das Saugen gibt dem Kind ein Gefühl der Be-friedigung und der Geborgenheit. „In der oralen Phase wird das Urvertrauen oder –misstrauen in Bezug auf das eigene Können und im Verhältnis zur Um-welt angelegt.“7 Wenn ein Kind zu Lutschen beginnt, hat es zusätzlich auch das Bedürfnis nach Hautkontakt und körperliche Wärme, welches auf derselben Ebene liegt wie die orale Befriedigung.

5 Vgl. Ebd. 6 Vgl. Wanzeck-Sielert 2013, S. 355-356 7 Hertoft 1989, S. 31

(7)

4 Die anale Phase (2. und 3. Lebensjahr)

Ungefähr ab dem zweiten Lebensjahr lernt das Kind seinen Schließmuskel zu beherrschen. Dabei empfindet es nach dem Stuhlgang beziehungsweise nach dem Urinieren eine Art Befriedigung und Entspannung und setzt es mit dem Gefühl der sexuellen Befriedigung gleich, aber nur auf die Organe bezogen. Da Kinder dafür gelobt werden, wenn sie ihr Geschäft auf dem Töpfchen oder der Toilette verrichten, empfinden sie es als etwas Gutes und so passiert es auch mal, dass sie mit den Ausscheidungen spielen. Doch das wird von den Eltern nicht gut geheißen; man soll es doch ganz schnell weg spülen. So lernt das Kind, dass es nicht ein Teil des Körpers ist, sondern sich außerhalb des Kör-pers befindet. Sobald die Kleinen ihr Geschäft zur rechten Zeit, am rechten Ort machen, wird das Kind gelobt. Schafft das Kind es aber nicht rechtzeitig, so sind die Eltern enttäuscht.8 Das kann Auswirkungen auf das spätere Leben ha-ben.

Die phallische Phase (4. – 6. Lebensjahr)

In dieser Phase bezieht sich das Kind nun auf die Geschlechtsorgane. Die Mädchen und Jungen haben nun schon die ersten Erfahrungen mit dem eige-nen Körper gemacht und wissen über die Geschlechtsunterschiede Bescheid. Nun beginnen sie andere Körper zu erforschen, wie zum Beispiel den der Eltern oder andere Kinder. Beliebt ist nun zum Beispiel auch das „Vater-Mutter-Kind-Spiel“, wo auch der Koitus in das Spiel mit einbezogen wird, aber eher aus der Sicht der Geschlechterrollenverteilung. Auffällig für diese Phase ist auch das Auftreten der elternbezogenen Verliebtheit. Mädchen bewundern ihren Papa und Jungs ihre Mutter. Zudem ist auch zu beobachten, dass die Eltern nun auch die Vorbildrolle übernehmen. Jungs wollen so groß und stark sein wie der Papa und die Mädchen so schön wie ihre Mutter.

2.1.2 Sexualität im Jugendalter

Im Verlauf der letzten Jahre hat sich das Sexualverhalten der Jugendlichen verändert. Noch vor rund 45 Jahren war es ihnen nicht möglich, ihre Sexualität

8

(8)

5

frei zu entfalten. Doch sie haben für ihre Freiheiten gekämpft und das mit Er-folg.9

Die Jugend von heute ist zwar aufgeklärter und selbstbewusster geworden, doch offen ausleben dürfen die jungen Erwachsenen ihre Sexualität nicht. Viele Eltern denken, dass ihre Teenager nur ‚das eine‘ im Kopf hätten und immer da-zu bereit wären.10 Das ist aber nicht der Fall. Denn die Liebe spielt eine große Rolle bei den Jugendlichen, das heißt: ‚Ohne Liebe kein Sex‘.

Ein weiterer positiver Wandel ist, dass die Verhütung bei den Heranwachsen-den eine wichtige Rolle spielt. Das beliebteste Verhütungsmittel beim ersten Mal ist das Kondom, was damit zusammenhängen könnte, dass die Jugendli-chen heutzutage besser über sexuell übertragbare Krankheiten Bescheid wis-sen. Bei einer länger andauernden Partnerschaft wechseln viele junge Paare zur Pille. Ein weiterer wichtiger Aspekt der für die jungen Leute sehr wichtig ist, ist die Treue.11

Die Hauptansprechpartner für die Fragen der Jugendlichen ist neben der Schu-le die ProFamilia. In der Familie wird als Bezugsperson, sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen, überwiegend die Mutter angegeben, wobei die Jungs sich auch mehr Gespräche mit dem Vater wünschen würden. Doch diese halten sich bei den Aufklärungsgesprächen eher zurück. Später tauschen sich die Teena-ger auch Teena-gern unter gleichaltrigen aus.12

Zusammenfassend kann man sagen: „So vernünftig wie heute war die Jugend noch nie.“13

3 Sexualpädagogik

Die Sexualpädagogik beschäftigt sich mit:

x „ihren Gegenstandsbereich, d.h. den Menschen als ein auf Erziehung angewiesenes Sexualwesen zu definieren,

9 Neubauer 2013, S. 364 10 Vgl. Neubauer 2013, S.367 11 Vgl. Neubauer 2013, S.370 12 Vgl. Neubauer 2013, S.371-372 13 Neubauer 2013, S.374

(9)

6

x vorhandene sexualerzieherisch relevante Konzepte auf ihre anthropolo-gischen, gesellschaftlichen und teleologischen Grundannahmen zu prü-fen und neue zu entwickeln,

x die sexualerzieherische Wirklichkeit empirisch-methodisch und kritisch-analytisch zu beschreiben,

x Handlungstheorien und –modalitäten zu reflektieren und

x Im Zusammenhang mit den jeweils zuständigen pädagogischen ‚Schwesterdisziplinen‘ (Vorschul-, Sonder-, Sozial-, Schul-, Medienpäda-gogik und Erwachsenenbildung) ihre speziellen Realisierungsprobleme zu bearbeiten“14

3.1 Hochschule Merseburg – University of Applied Sciences

Die Hochschule Merseburg ist die einzige Schule, in der man den Fachbereich ‚Sexualpädagogik‘ studieren kann. In dieser wird ebenso wie in der Hochschule Neubrandenburg der Bachelorstudiengang ‚Soziale Arbeit‘ angeboten. Hier be-steht für die Studierenden die Möglichkeit, ab dem zweiten Drittel des Studiums den Schwerpunkt „Sexualpädagogik und Familienplanung“15 zu wählen. Um diese erworbenen Grundkompetenzen zu spezialisieren, wird in dieser Hoch-schule der Masterstudiengang „Angewandte Sexualwissenschaft“16 angeboten. In diesem Studiengang werden Grundlagen zur Sexualität, zu partnerschaftli-chen und familiären Lebensweisen, sowie Basiskompetenzen der Beratung thematisiert. Weiterhin wird in vier Lernzielebenen unterteilt:

x „Entwicklung persönlicher Reflexionsfähigkeit (Ebene der Selbsterkennt-nis)

x Aneignung von relevanten Fachkenntnissen (Wissensebene)

x Befähigung zur zielgruppenspezifischen praktischen Arbeit (didaktisch-methodische Ebene)

x Befähigung zum Projektmanagement und zur Selbstevaluierung […]“17

14

Sielert 2013, S.44-45

15 Weller 2013, S.768 16

Bischoff, Hanke, u.a. 2014, S.165

17

(10)

7

Da die Bewerberrate sehr hoch ist, jedoch nur 21 Plätze zur Verfügung stehen, ist es sehr schwierig einen Platz zu ergattern. Zudem gestaltet es sich sehr mühsam nach dem Abschluss in diesem Bereich Fuß zu fassen, da es den Be-ruf ‚Sexualpädagoge‘ im beBe-rufsrechtlichen Sinne nicht gibt.18 Jedoch können die erworbenen Sexualkompetenzen auch in Arbeitsfeldern wie der Schulsozi-alarbeit oder auch in der Heimerziehung sehr hilfreich sein. Die Kompetenzen werden in den sechs Semestern auf 10 Module aufgeteilt, wobei Modul 11 die Erarbeitung der Masterarbeit umfasst. In den Modulen werden unter anderem Themen aufgegriffen wie politische und rechtliche Grundlagen, themenspezifi-sche sexuelle Bildung und Selbsterfahrung, Forschung und Praxis, Beratung im Kotext von Partnerschaft sowie Schwangerschaftsberatung.19 „Das Studium befähigt die Studierenden zu selbst bestimmter, verantwortlicher und fachlicher kompetenter Tätigkeit insbesondere:

x zur Ausübung sexueller Bildung in der Tradition emanzipatorischer Se-xualpädagogik als einem inhaltlichen Fokus in verschiedenen psychoso-zialen Arbeitsfeldern und deren zielgruppenbezogener Spezifizierung x in klientzentrierter Beratung, Begleitung und Behandlung im Kontext

partnerschaftlicher oder sexueller Probleme, in Fragen der Familienpla-nung und Schwangerschaft, sowie in Zusammenhang mit sexueller Ge-walt

x zu innovativer sexualwissenschaftlicher Forschungs- und Projektarbeit x zu Management, Leitung und Evaluation von Projekten zur Übernahme

von Leitungsverantwortung in öffentlichen und privaten Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens sowie gesundheits-, sozial-, jugend-, frauen-jugend-, und familienpolitischer Strategiebildung.“20

18 Müller 2013, S.797

19

Vgl. Bischoff, Hanke, u.a. 2014, S.167-177

20

(11)

8 3.2 Sexualität und Pädagogik

Das Verhältnis von Pädagogik und Sexualität:

x „Der Sexualpädagogik wird eine besondere Legitimation aberverlangt, die sie vorwiegend in Form von Verhinderungen erlangen kann.

x Ein kritisches Thema ist die Verfügbarkeit von Information über Sexuali-tät (Medien, vom Kinderbuch über Broschüren bis zur Pornografie) – und die Frage: Darf der/die Lernende sich Informationen aktiv und selbstbe-stimmt einholen oder nur gezielt aufbereitet erhalten?

x In der Diskussion werden für die Argumentation als zentrale Begriffe Werte und Reife herangezogen. […]“21

Das zeigt uns, dass auch in diesen aufgeklärten Zeiten ein hoher Bedarf an In-formation und Kommunikation besteht. Ein Grund dafür könnte sein, dass se-xualpädagogische Themen bis heute nur wenig in den Schulen, als auch in den Hochschulen behandelt werden. Das Thema Sexualität wird meistens nicht be-handelt oder nur als kurzen Exkurs in dem Fach Biologie aufgegriffen. In mei-nen 3 Jahren Studium hatte ich nicht die Möglichkeit eimei-nen Kurs über Sexual-pädagogik zu belegen, da es leider nicht angeboten wurde. Lediglich ein Kurs zum Thema „Prostitution“ oder „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Ju-gendliche“ wurde angeboten, welche ich aber wegen der begrenzten Teilneh-merzahl nicht besuchen konnte.

Auch bin ich der Auffassung, dass Lehrer in den allgemeinbildenden Schulen sich auf den Richtlinien und Lehrplänen des „gemeinsamen Auftrags von Schu-le und Elternhaus“ ausruhen.22

3.2.1 Sexualpädagogische Kompetenzen

Sexualpädagogen brauchen nicht nur Kenntnisse über das menschliche Sexu-alverhalten, sondern müssen auch selbstreflexiv zu ihrer eigenen Sexualität stehen. So sollten sie nicht nur über die biologischen Vorgänge, Techniken oder Verhütung wissen vermitteln können. Wichtig in diesem Bereich ist es auch die Gespräche emotional ansprechend zu gestalten und die vielfältigen

21

Semper 2012, S.196

22

(12)

9

hungsaspekte, Lebensstile, Lebenssituationen und Werthaltungen zu berück-sichtigen.23 In der sexualpädagogischen Arbeit gibt es drei Kompetenzebenen:

x Sachkompetenz: Sie umfasst das Wissen über fachwissenschaftliche und politisch-gesellschaftliche Diskurse, sowie über die Bedeutung des Körpers, der Sinnlichkeit und der Sinne für die Identitätsentwicklung. Auch sind Kenntnisse über die körperliche Entwicklung, Verhütungsmit-tel, Schwangerschaft, Schwangerschaftsabbruch, sexuell übertragbare Krankheiten, sexuelle und reproduktive Rechte, verschiedene Sozialisa-tionsmuster, kulturelle Besonderheiten und Erwerb von sexuellem Wis-sen in Kindheit und Jugend erforderlich.

x Handlungskompetenz: Die Handlungskompetenz bezieht sich auf die pädagogisch-didaktischen Kenntnisse, die dazu befähigen, Themen wie Sinnlichkeit, Lust und Scham im sexualpädagogischen Kontext ange-messen anzusprechen. Besonders bei diesen Themen ist es wichtig, ei-ne für alle verständliche Sprache zu wählen und eiei-ne von Respekt getra-gene Atmosphäre zu schaffen.

x Selbstreflexionskompetenz: Um die Sach- und Handlungskompetenzen gewinnbringend einsetzen zu können, stellt die Selbstreflexionskompe-tenz eine wichtige Voraussetzungen, aber auch Herausforderung dar. Denn sie umfasst vor allem die Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstre-flexion. Man sollte sich über seine eigenen Stärken und Schwächen und seiner eignen sexuellen Entwicklung bewusst sein.24

Es gibt zurzeit keine spezielle Ausbildung zum Sexualpädagogen. In den päda-gogischen Ausbildungen oder Studiengängen werden lediglich nur allgemeine Aspekte der Sexualität behandelt. In der Hochschule Merseburg werden jedoch in den Masterstudiengängen Sexologie und angewandte Sexualwissenschaft angeboten. 23 Vgl. Herrath 2002, S. 4 24 Vgl. Henken, Bellmann 2013, S. 16-17

(13)

10 3.3 Die Geschichte der Sexualpädagogik

Die 40er und 50er Jahre:

Die vierziger Jahre waren von Prostitution und damit einhergehend von Ge-schlechtskrankheiten geprägt, welche zur „Volkskrankheit“25 wurden, da es kei-ne passenden Mittel und Medikamente zur Bekämpfung gab. Dadurch galt als oberstes Gebot, diese Krankheiten zu bekämpfen. Da sich die Geschlechts-krankheiten immer mehr ausbreiteten, wurde den Bürgern nahe gelegt, mit Kondomen zu verhüten. Zu der Zeit gab es Kondome jedoch nur „unter dem Ladentisch“26 zu kaufen. Zudem wurden alle Mädchen und Frauen ab dem 16. Lebensjahr dazu aufgefordert regelmäßige Kontrolluntersuchungen bei einem Arzt durchführen zu lassen. „In allen Abschlussklassen der allgemeinbildenden und der Berufsschulen fanden Vorträge über das Wesen der Geschlechts-krankheiten statt […].“27 Nach dem Verbot von Bordellen fand die Sexualerzie-hung wieder mehr Beachtung.

In den Fünfzigern bestimmten die Ärzte das sexualpädagogische Klima. Der Schwerpunkt in diesem Jahrzehnt lag immer noch bei der Bekämpfung von Ge-schlechtskrankheiten, aber hier finden sich auch die Anfänge der schulischen Sexualpädagogik.28 Rudolf Neubert leistete einen Beitrag zur Sexualpädagogik und trieb die gesellschaftliche Aufklärung an. Unter anderem schrieb er auch zahlreiche Kinder- und Jungendaufklärungsbücher.

Die 60er und 70er Jahre:

1962 fand die erste Rostocker Tagung zu den Fragen der Geschlechtserzie-hung statt. Die Themen waren unter anderem:

x Befruchtung und Embryonalentwicklung x Schwangerschaft und Geburt

x Das Neugeborene und seine Pflege

x Sexuell übertragbare Krankheiten und deren Vorbeugung, Sexualstörun-gen, Krebsvorsorgeuntersuchungen

x Familienplanung und Empfängnisverhütung

25

Stumpe, Weller, u.a. 1995, S. 22

26 Stumpe, Weller, u.a. 1995, S. 22 27

Stumpe, Weller, u.a. 1995, S. 22

28

(14)

11

x Abartigkeiten, Sexualverbrechen, Kinder- und Jugendschutz x Partnerschaftsprobleme, Konfliktlösungsstrategien

x Probleme bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung der Geschlech-ter, der Lebensweisen und sexuellen Orientierung

x Bürgerliche und überholte Auffassungen von Sexualität, Ehe und Fami-lie29

Im Jahre 1964/1965 fanden noch weitere Tagungen von der Universität Ros-tock statt. Der Wissenschaftliche Rat des Ministeriums für Volksbildung gründe-te 1966 die „Forschungsgemeinschaft Sexualpädagogik“.30 1968 wurde erst-mals der Sexualpädagogische Unterricht in den Schulen eingeführt. In den Siebzigern wurden Spezialkurse explizit für die Sexualerziehung aufgenommen, welche aber schon 1977 wieder gestrichen wurden.

Die 80er Jahre:

Ein Ziel in diesem Jahrzehnt war die Erweiterung der Ziele in der Sexualpäda-gogik, welches auch erreicht wurde. Die Arbeitsgruppe „Sexualverhalten und Sexualerziehung“ wurde 1987 mit dem Ziel der Auswertung vorhandener sexo-logischer Forschungsergebnisse über alle Altersstufen und besondere Gruppen der Bevölkerung gegründet.31

3.4 Emanzipatorische Sexualpädagogik

Die emanzipatorische Sexualpädagogik:

x Ist für die Gleichberechtigung von Homo- und Heterosexuellen x Ist für die sexuellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen x Ist wachsam gegenüber jeder Form von Zensur

x Ist für die Autonomie des Subjektes als gesellschaftliche Triebkraft x Ist für Aufklärung im klassischen Sinne

x Verspricht nicht, eine für alle gültige Orientierung vorzugeben

29 Vgl. Stumpe, Weller, u.a. 1995, S. 30-31 30

Vgl. Stumpe, Weller, u.a. 1995, S.27

31

(15)

12

x Unterstützt das Individuum darin, die Fähigkeit zur eigenständigen und partnerschaftlichen Gestaltung des sexuellen Lebens zu entwickeln x Tritt für den Eigensinn der Individuen und für ihr Recht ein

x Vertraut auf das Entwicklungspotential, das in der sexuellen Aktion und Interaktion selbst steckt

x Bemüht sich um eine möglichst realistische, nüchterne und wissenschaft-lich fundierte Sichtweise von Sexualität

x Wagt es, neben dem hellen auch jenes dunkle Gesicht der Sexualität anzusehen, ohne darauf gleich mit dem pädagogischen Reflex des „Reinhalten“- und „Beschützen-Wollens“ zu reagieren

x Ist skeptisch gegenüber staatlichen Programmen zur sexuellen Erzie-hung

x Widerspricht allen Ansätzen, die eine feststehende Orientierung auf der Ebene sexuellen Verhaltens vorgeben

x Ist gegen einen allseitigen Jugendschutz, der gegen jedes Risiko eine Präventionsmauer bauen will32

3.5 Sexualpädagogische Arbeitsfelder

3.5.1 Sexualpädagogik im Kindergarten und Hort

Die Ansichten der Mitarbeiter in Kindertagesstätten, ob Kinder schon eine eige-ne Sexualität haben, gehen auseinander. Einige behaupten, dass Kleinkinder noch nicht sexuell handeln und nichts darüber wissen, andere wiederum be-obachten, dass sexuelles Verhalten (z.B. bei Rollenspielen wie Mutter-Vater-Kind) durchaus stattfindet. Viele Erzieher übersehen aber auch manche Aktivi-täten der Kinder oder gehen gar nicht erst darauf ein. Dabei haben die sexuel-len Handlungen einen großen Einfluss auf die spätere persönliche, als auch sexuelle Entwicklung.33 Einigen Erziehern ist es unangenehm in die sexuellen Handlungen der Kinder einzugreifen. In diesen Fällen ist es hilfreich sich in Teambesprechungen mit den Kollegen auszutauschen. Auch in Fortbildungen oder Elterngesprächen bietet sich die Möglichkeit darüber zu sprechen. „Sexu-alerziehung im Kindesalter meint nicht punktuelle Wissensvermittlung, sondern

32

Vgl. Osbar, Specht, u.a. 1999, S.19-21

33

(16)

13

eine sexualfreundliche Erziehungshaltung, bei der Kinder im Alltag durch Be-zugspersonen verständnisvoll begleitet werden. Eine sexualfreundliche Erzie-hung akzeptiert Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit, ihren sexuellen Interessen, Bedürfnissen und Ausdrucksformen.“34 Als mediale Hilfsmittel bieten sich kind-gerechte Bücher an, mit denen das Thema alters- und entwicklungsgerecht be-handelt werden kann.

3.5.2 Sexualpädagogik in der offenen Kinder- und Jugendarbeit

Im Jugendalter ist Sexualität ein wichtiges Thema. Die Pubertät setzt ein, der Körper verändert sich und das andere Geschlecht wird interessanter. Wenn sich die jungen Erwachsenen nachmittags im Jugendclub treffen ist es nicht selten, dass der neuste Klatsch und Tratsch ausgetauscht wird. Ein typisches Gespräch unter Mädchen könnte sein: ‚Hast du schon gehört wer sich geküsst hat?‘ oder bei den Jungs: ‚Die Neue in unserer Klasse ist echt heiß.‘. In dieser Phase machen sich die Teenager viele Gedanken über ihrer Sexualität und trauen sich oft nicht mit ihren Eltern darüber zu sprechen. Wenn sie sich dann an den Jugendclubleiter wenden werden sie jedoch oft an Beratungsstellen verwiesen, da die Mitarbeiter oft nicht wissen, wie sie auf solch spezielle Fragen antworten sollen und es ihnen schwer fällt über solch intime Themen zu re-den.35 In der offenen Kinder- und Jugendarbeit würde es sich anbieten einige Projekte zum Thema Sexualität oder Pubertät durchzuführen, doch wird das leider nur sehr selten umgesetzt.

3.5.3 Sexualpädagogik in der Heimerziehung

Die Sexualerziehung ist ein Teil der Gesamterziehung und somit auch ein we-sentlicher Bestandteil der Heimerziehung. Diese kann jedoch nicht geplant wer-den, sie entsteht aus alltäglichen Situationen. Leider ist auch hier Sexualität ein Tabu-Thema. „Allzuoft wird Sexualität als notwendiges Übel angesehen, wel-ches problembehaftet ist und möglichst unterbunden wird.“36 Dabei sollte eine sexualfreundliche Atmosphäre zur Voraussetzung gehören. Auch in Heimein-richtungen werden sexuelle Handlungen gerne übersehen und auf spezifische Fragen wird meist nur kurz eingegangen. Das liegt aber auch daran, dass die

34 Vgl. Ebd.

35

Vgl. Osbar, Specht, Wanzeck-Sielert, u.a. 1999, S.155

36

(17)

14

Heimerzieher nicht fachspezifisch geschult werden und daher nicht genauer auf die Fragen der Kinder und Jugendlichen eingehen können. Fachteamgespräche und Fortbildungen könnten aber auch hier weiterhelfen. Eine weitere Möglich-keit wäre, gemeinsam mit den Jugendlichen einen Thementag zu veranstalten oder auch einen Besuch in einer Beratungsstelle zu vereinbaren.

3.5.4 Sexualpädagogische Mädchen und Jungenarbeit 3.5.4.1 Sexualpädagogische Mädchenarbeit

„Sexualpädagogische Mädchenarbeit kann und sollte Mädchen in ihrem Selbstwertgefühl stärken, ihnen Möglichkeiten eröffnen, ihre Bedürfnisse unab-hängig vom Mainstream wahr- und ernst zu nehmen und sie darin unterstützen, Entscheidungen wirklich autonom zu treffen.“37 Die sexualpädagogische Mäd-chenarbeit hat ihren Ursprung in der neuen deutschen Frauenbewegung.38 Eine Aufklärung durch Personen kann durch nichts ersetzt werden. Fragen, die sich Mädchen stellen, beziehen sich auf die Themen der Körpervorgänge, Verhü-tung und Beziehung.39 Einige junge Frauen suchen auch das Gespräch mit der Mutter, jedoch ist diese nicht die Hauptansprechpartnerin und kann auch nicht immer alle Fragen zum Thema Sexualität beantworten. Ein weiterer Teil der Aufklärung findet in der Schule statt. Doch in dieser Institution ist das Hauptau-genmerk auf die biologischen Aspekte gelegt. Dabei ist Sexualität für Mädchen, besonders in der Pubertät, ein wichtiges und spannendes Thema. Wichtige Schwerpunkte für junge Frauen sind die Themen Geschlechtsverkehr und vor allem die richtige Verhütung. Mögliche Anlaufstellen für die Teenager sind eini-ge Beratungsstellen, wie zum Beispiel die ProFamilia, wo sich überwieeini-gend Pädagoginnen um die Beantwortung der zahlreichen Fragen der Mädchen be-mühen. Es gibt die Möglichkeit der Gruppengespräche und der Einzelberatung, wobei bei Mädchen in der Pubertät die Einzelgespräche eher gefragt sind. „Für sexualpädagogische Mädchenarbeit sind Konzepte nach wie vor erforder-lich. Mädchen brauchen:

37 Bültmann 2013, S.319 38 Vgl. Bültmann 2000, S. 10 39 Vgl. Martin 1998, S. 249

(18)

15

x Möglichst niederschwellige Angebote

x Situatives Aufgreifen von Signalen, Alltagsgeschehnissen, realen Bedin-gungen

x Angebote, die die lustvolle Seite der Sexualität und Sinnlichkeit fördern x Modelle vorhandener Überlebenstechniken

x Individuelle Angebote, die kulturelle Eigenheiten berücksichtigen x Pädagoginnen, die sie akzeptieren

x Pädagoginnen, die Klarheit schaffen x Pädagoginnen, die Angebote formulieren

x Pädagoginnen, die ressourcenorientiert anstatt defizitorientiert arbeiten x Pädagoginnen, die die Veränderungen der gesellschaftliche

Bedingun-gen berücksichtiBedingun-gen

x Die Möglichkeit etwas auszuprobieren. Ein Repertoire ist bereits vorhan-den!“40

3.5.4.2 Sexualpädagogische Jungenarbeit

In der sexualpädagogischen Jungenarbeit sieht es schon ganz anders aus. Hier gibt es zum Beispiel nicht mal in Großstädten öffentlich ausgewiesene und be-kannte Angebote.41 Wo in der sexualpädagogischen Mädchenarbeit eher Pä-dagoginnen gefragt sind, ist hier die männliche Bezugsperson gefragt. Leider fehlen in allen Bereichen der Sozialen Arbeit männliche Pädagogen.

Die Sexualpädagogische Jungenarbeit sollte vor allem Wissen über den Körper und dessen Veränderungen vermitteln sowie über sexuelle Vorgänge und se-xuelles Handeln. Ebenfalls interessiert sind die jungen Männer an Themen wie die „Jungenrolle/Männerrolle, Männliche Sexualität und Verhütung […].“42 Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veranstaltete 1966 den ers-ten Fachkongress „Der Mann im Kinde“ zur sexualpädagogischen Jungenarbeit. Dort zeigten sie, „wie notwendig die Unterstützung dieser Arbeit ist […]“.43 Es wurde auch deutlich, dass es an flächendeckenden sexualpädagogischen An-geboten für Jungen fehlt. Es fehlt an anerkannten Rahmenkonzepten und es fehlt die Einsicht, dass Jungenarbeit auch dann eine Berechtigung hat und

40

Martin 1998, S.252

41 Vgl. Winter und Neubauer 1998, S.126 42

Munding 2013, S.327

43

(19)

16

reich ist, wenn Jungen nicht auffällig werden.44 Die jungen Männer werden mit ihren Fragen und Problemen nicht so umfangreich umsorgt, wie es bei den Mädchen der Fall ist. Doch leider fehlt es noch an Konzepten, die von den Pä-dagogen und Sozialarbeitern herangezogen werden müssten. „Sexualpädago-gische Jungenarbeit braucht:

x Männer mit Vorbildcharakter;

x zur Verankerung eine politisch und rechtlich abgesicherte Zustimmung auf breiter Ebene;

x Rahmenpläne und Ausbildungsrichtlinien;

x didaktisch-methodische Materialien und eine breite öffentliche Akzep-tanz.“45

3.6 Normen der Sexualität

Das Wort Norm leitet sich von dem lateinischen Wort norma ab und bedeutet Richtschnur.46 Soziale Normen kann man auch als Regeln des gesellschaftli-chen Zusammenlebens bezeichnen. Solche Regeln können zum Beispiel Ge-setze, Sitten oder Bräuche sein. Normen gehen von der Gesellschaft oder von den vorgegebenen Rechtsvorschriften aus. Im sozialen Umfeld gilt alles als „normal“, was nicht weiter auffällt. Normenbrüche können zu Gewissensbissen, Prestigeverlust oder auch Strafen führen. Sprachlich wird dies oftmals durch ‚du darfst‘ oder ‚du darfst nicht‘ beziehungsweise ‚Das ist Tabu‘ dargestellt.47

Aus sexueller Sicht wird das „Trias Liebe - Sexualität - Ehe“48 als normal ange-sehen. Das würde wiederum bedeuten, dass alle weiteren Liebes- und Bezie-hungsmuster als unnormal gelten würden. In der Gesellschaft werden zum Bei-spiel Perversion, Vergewaltigung und Pädosexualität als ‚unnormal‘ bezeichnet, wobei hingegen Masturbation, Homosexualität, Sexsucht und Vorlieben gegen-über sadomasischen Praktiken ‚weniger drastisch‘ sind.49

44 Vgl. Ebd. 45 Schroll 1998, S.259 46 Vgl. Lautmann 2013, S.205 47 Vgl. Lautmann 2013, S206 48 Lautmann, 2013, S.209 49 Vgl. Lautmann 2013, S. 208

(20)

17

3.7 Über Sex reden

Den Jugendlichen fällt es sehr schwer mit ihren Eltern beziehungsweise mit einem Pädagogen über Sexualität oder ihre Probleme zu reden. Andererseits fällt es ihnen leichter sich mit gleichaltrigen Freunden auszutauschen. Mädchen reden mit ihren Freundinnen überwiegend über die Beziehung zu ihrem Freund, wobei sich die Jungs untereinander eher über ihre sexuellen Erfahrungen aus-tauschen. Den jungen Frauen fällt es auch wesentlich leichter über Sexualität zu sprechen als den Jungs.50 Viele wissen aber auch nicht wie sie über dieses sensible Thema reden sollen und finden oftmals nicht die richtigen Worte. Die meisten sprachlichen Barrieren stehen aber im Zusammenhang mit privaten Themen, wie zum Beispiel bei Fragen zur Selbstbefriedigung, welche noch im-mer sehr schambehaftet sind.51

4 Beratung und Therapie 4.1 Beratung

Die Voraussetzung für eine Beratung ist, dass ein Problem bestehen muss. Die Strukturierung eines Gespräches liegt beim Berater, wobei die inhaltliche Aus-richtung vom Klienten ausgeht.52 Die sexualpädagogische Beratung hat keinen besonderen Ort, das heißt, wenn ein Klient zum Beispiel nach einem Gruppen-setting eine spezielle Frage an den Pädagogen richtet, muss dieser unmittelbar reagieren, indem er entweder die Frage sofort beantworten kann, den Klienten einen Termin für ein späteres Gespräch anbietet oder ihn an einen Kollegen beziehungsweise eine andere Institution verweist.53 Bei der Beratung geht es nicht nur darum Informationen zu vermitteln, sondern vor allem ist es wichtig, die Klienten bei ihren persönlichen Problemen zu unterstützen. Hierbei spielt das Timing insofern eine wichtige Rolle, als dass man die „richtigen Ratschläge, zum Richtigen Zeitpunkt“ gibt.54 Im Großen und Ganzen geht es bei der

50 Vgl. Dannenbeck, Stich 2002, S.199 51 Vgl. Neubauer, Winter 1998, 323-324 52 Vgl. Semper 2013, S. 656 53 Vgl. Semper 2013, S.657 54 Hertoft 1989, S.89

(21)

18

pädagogischen Beratung um die „Hilfe zur Selbsthilfe“.55 In dem PLISSIT-Modell geht es um folgende vier Beratungsebenen:

x „Permission (Erlaubnis):

Der Therapeut gibt direkt oder indirekt zu erkennen, daß er gewillt ist, sexuelle Fragen zu besprechen.

x Limited information (Begrenzte Information):

Der Therapeut gibt eine Reihe relevanter Informationen über das aktuelle Thema.

x Specific suggestions (Spezifische Empfehlungen):

Der Therapeut gibt direkte Ratschläge/Anweisungen, wie ein sexuelles Problem evtl. gelöst werden kann.

x Intensive therapy (Intensive Therapie): Eigentliche Sexualtherapie.“56

4.1.1 Methodik

In der Sexualberatung ist die Sprache eine der ersten Hürden, die es zu über-winden gilt. So fehlen uns zum Beispiel oft die richtigen Worte um die Liebe oder auch die Sexualität richtig zu definieren. Auch fragen sich viele Berater noch bis heute, wie sie mit den Klienten ohne sprachliche Barrieren ein Ge-spräch führen sollen. Hilfreich kann es dabei sein, sich auf die Sprache des Kli-enten einzulassen. Man kann dabei in 6 verschiedenen sexuellen Sprachen unterscheiden:

x „Die medizinische Fachsprache:

o Die Ausdrücke sind meist lateinische oder griechische Fremdwor-te, die in medizinischen Lehrbüchern und in der Sexualwissen-schaft Verwendung finden.

55

Semper 2013, S.664

56

(22)

19

o Sie zielt auf Genauigkeit und Objektivität und legt großen Wert auf präzise Sachinformation.

o Sie ist jedoch abstrakt, emotional steril und eine Art Geheimspra-che für Fachleute, die sich unter Abspaltung des affektiven Erfah-rungsbereiches über Sexualität verständigen wollen.

o Beispiele: Penis, Vagina, Klitoris, Lubrikation, Ejakulation, Koitus.

x Die Bürokratensprache:

o Die Ausdrücke finden im Bereich der öffentlichen Kommunikation, in Gesetzestexten, im behördlichen Verkehr und im Schulunter-richt Verwendung. Es sind die deutschen Bezeichnungen von Fachworten.

o Sie zielt auf Sachlichkeit, Neutralität und Klarheit.

o Sie ist emotional kühl, jedoch leicht verständlich und allgemein akzeptiert, wird von allen Sprachen am häufigsten gebraucht und in schriftlichen Texten ebenso verwendet wie im privaten Ge-spräch.

o Beispiele: Glied, Scheide, Kitzler, Samenerguß, Geschlechtsver-kehr.

x Die Alltagssprache:

o Sie besteht aus Worten, die ohne Vorbehalt täglich in der zwi-schenmenschlichen Kommunikation gebraucht werden können. Für die Benennung der Geschlechtsorgane und des Geschlechts-verkehrs fehlen Ausdrücke. Dies macht deutlich, daß der Bereich der Sexualität in der Gesellschaft nach wie vor tabuisiert ist.

o Sie zielt auf Neutralität und Verständlichkeit.

o Sie ist in ihrer Emotionalität nicht einseitig festgelegt und be-schränkt sich auf diejenigen Randgebiete der Sexualität, die nicht der Tabuisierung unterliegen.

o Beispiele: Ausdrücke für die Geschlechtsorgane und den Ge-schlechtsverkehr fehlen! Typische Begriffe dieser Sprache sind z.B. Hintern, Popo, Binden, Regel, Pille.

(23)

20

x Die Kindersprache:

o Sie umfaßt jene Ausdrücke, die Erwachsene für Kinder erfunden haben, nicht eigentlich das Vokabular, das Kinder im Gespräch untereinander benutzen.

o Sie verschleiert und vermittelt stark verminderte Sachinformation. Im sexuellen Bereich finden sich nur Ausdrücke für die sichtbaren Geschlechtsorgane.

o Sie ist verniedlichend. Zielt auf Ablenkung und wird überwiegend in Gesprächen verwendet, die Erwachsene mit Kindern führen. Im Gespräch zwischen Erwachsenen wirkt sie inadäquat.

o Beispiele: Pimmel, Pfifli, Zipfel, Schwänzchen, Weggli, Pipi, Mü-schelchen, Muschi, (Ausdrücke für den Geschlechtsverkehr feh-len).

x Die blumige Sprache:

o Auch ihr Vokabular ist im sexuellen Bereich stark eingeschränkt. Ihre Ausdrücke klingen feierlich und pathetisch.

o Sie zielt auf verhüllende und indirekte Umschreibungen.

o Sie ist emotional übersättigt und findet vor allem in konfessionel-len Aufklärungsschriften Verwendung.

o Beispiele: da unten, Liebesakt, Schlüsselchen, Spalte, körperlich Vereinigung, Höhepunkt.

x Die Vulgärsprache:

o Sie besteht aus Worten mit hohem Bekanntheitsgrad, die jedoch in der Öffentlichkeit teilweise verpönt sind.

o Sie ist emotional derb, abwertend und frauenfeindlich.

o Sie zielt auf Direktheit, Peinlichkeit und Lächerlichkeit und wird vor allem von Jugendlichen, Arbeitern, Zuhältern und Prostituierten verwendet.

o Beispiele: Schwanz, Schwengel, Riemen, Möse, Fotze, bumsen, ficken, vögeln, bürsten, nageln, mausen, orgeln.“57

57

(24)

21 4.1.2 Die Sexualanamnese

Die Sexualberatung muss sich auf Klienten mit sexuellen Problemen einstellen, denn es ist zu erwarten, dass die Anzahl dieser in den nächsten Jahren steigen wird.58 In einem Beratungsgespräch sollten das sexuelle Erleben und die Zu-friedenheit mit dem Sexualleben zu Sprache kommen. Auch die sexuelle Funk-tionsfähigkeit sollte nicht außer Acht gelassen werden. Die Sexualanamnese Gliedert sich in:

x Die Anfangsphase x Die Mittelphase

o Augenblicklicher Zustand der sexuellen Schwierigkeiten o Entstehung der sexuellen Schwierigkeiten

o Sexuelle Entwicklung beider Partner x Die Abschlussphase59

4.1.3 Aufgaben der Sexualberatung

In der Sexualberatung geht es darum, bereits vorhandene Probleme oder Stö-rungen zu beheben. Aber es geht dabei auch um präventive Arbeit, das heißt, dass man durch frühzeitige Aufklärung und Informationsvermittlung einigen spä-ter auftretenden sexuellen Problemen vorbeugen kann. Man kann die Sexual-beratung in drei Aufgabenbereiche unterteilen. In erster Linie ist Sexualbera-tung die „Vermittlung von Information über die sexuelle Entwicklung und das Zusammenspiel körperlicher und seelischer Faktoren zur Erreichung eines be-friedigenden Sexuallebens.“60 Hier stehen die sexuelle Entwicklung und Fehl-entwicklung im Vordergrund. Die zweite Aufgabe besteht darin, die einseitigen Vorstellungen und Hemmungen abzubauen und als letztes gilt es, den Klienten bewusst zu machen, dass die Sexualität ein Zusammenspiel zweier Partner ist.61 58 Vgl. Buddeberg 1996, S.47 59 Vgl. Buddeberg 1996, S. 56-57 60 Buddeberg 1996, S.92 61 Vgl. Buddeberg 1996, S.92

(25)

22 4.2 Sexualtherapie

Das Konzept, nachdem heute viele Therapeuten arbeiten, wurde von Masters und Johnson entwickelt und beinhaltet drei Hauptmerkmale:

x die Paartherapie, x die Teamtherapie und

x die symptomorientierten Verhaltensanweisungen.62

4.2.1 Der Verlauf der Sexualtherapie

Die Sexualtherapie kann man in sechs Phasen Gliedern:

1. Die Vorgespräche

Das erste Zusammentreffen von Klient und Berater kann sowohl schrift-lich als auch mündschrift-lich stattfinden. Im weiteren Verlauf sollte man das Hauptaugenmerk auf den Grund des Zusammentreffens legen.

2. Die Anamneseerhebung

Bei der Anamnese geht es darum, den Klienten und seine Vorgeschichte besser kennenzulernen. In dieser Phase wird empfohlen, mit neutralen Themen zu beginnen. Die Erhebung sollte aber auf jeden Klienten indivi-duell erstellt werden.

3. Die Körperliche Untersuchung

Vor Therapiebeginn kann es hilfreich sein, eventuelle körperliche Ursa-chen für die sexuellen Probleme auszuschließen. Voruntersuchungen können zum Beispiel hilfreich sein, wenn ein Klient kürzlich krank war oder ist, bei Männern über 50 oder bei Frauen in den Wechseljahren.

4. Der Behandlungsvertrag

In diesem Vertrag werden die wesentlichen Bedingungen für den Verlauf der Therapie festgehalten. Zum Beispiel welche Probleme angesprochen

62

(26)

23

werden sollen und wie der Lösungsweg aussehen soll, wie lange die Be-handlung gehen soll und auch wie hoch das Honorar ausfällt.

5. Die Behandlung

Hier geht es darum, die Kenntnisse des Klienten über die sexuellen Funktionen zu verbessern und Missverständnisse und Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Bei der Paartherapie ist es auch wichtig, dass bei den Terminen immer beide anwesend sind.

6. Die Nachbehandlung

Nach dem Abschluss einer Therapie steht es dem Klienten immer offen, den Berater nochmals aufzusuchen um vielleicht über die Erfolge oder auch Misserfolge zu berichten.63

5 Sexuelle Bildung, Erziehung und Aufklärung Begriffserklärungen:

x Sexuelle Bildung: Selbstformung der eigenen Sexualität

x Sexualerziehung: Nimmt Einfluss auf die sexuelle Entwicklung des Men-schen

x Sexualaufklärung: Vermittlung von Informationen und Fakten

x Sexualpädagogische Beratung: Kann in der Sexualerziehung integriert werden

x Sexuelle Sozialisation: Ist unabhängig von der Sexualerziehung64

63

Vgl. Hertoft 1989, S.107-111

64

(27)

24

Abb.1 65

5.1 Sexuelle Bildung und Erziehung

„Thesen zu einer nichtrepressiven Sexualerziehung:

x These I: Grundlage und Richtschnur aller Sexualerziehung muss die Einsicht sein, dass das augenblickliche Glück des Heranwachsenden nicht einem zukünftigen aufgeopfert werden darf.

x These II: Was die Sexualerziehung zu erziehen hat, ist die Sexualität. x These III: Alle Sexualerziehung muss von der Grundeinsicht ausgehen,

dass die Sexualität zwei Funktionen hat: die Funktion der Lustgewinnung und die Funktion der Fortpflanzung.

x These IV: Sexualerziehung ist möglich, weil die Sexualität formbar, kulti-vierbar ist.

x These V: Die Sexualerziehung hat nicht die Aufgabe, einengend auf das Sexualleben zu wirken, sondern sie soll freimachen zum Genuss und zur Liebe.

x These VI: Sexualerziehung muss frei sein von Angst.

x These VII: Sexualerziehung muss vernünftig sein; sie muss rational be-gründet sein, damit sie rational einsichtig ist.

x These VIII: Sexualerziehung ist zugleich politische Erziehung.

x These IX: Der Sexualerzieher sollte als ein Mensch in Erscheinung tre-ten, der selbst in der Lage ist, ein Sexualleben zu führen, zu dem er die Heranwachsenden erziehen will.

65

(28)

25

x These X: Das Glück, um das es in der Sexualerziehung geht, ist immer auch das Glück der anderen.“66

Eine große Herausforderung in der Sozialen Arbeit ist es eine „ernstgenomme-ne und lebenswelttaugliche“67 Sexualerziehung anzubieten. Das heißt, dass alle angebotenen Maßnahmen wirklich sexuell bilden. In der sexuellen Bildung ist es wichtig, dass jeder eine eigene Sexualität entwickelt und diese auch ausle-ben kann. Die Gesundheitserziehung ist auch ein wesentlicher Bestandteil in der Sexualerziehung, aber nur insofern, dass die Kinder und Jugendlichen zum Beispiel auch über sexuell übertragbare Krankheiten aufgeklärt werden. Denn sowohl die körperliche wie auch die seelische Gesundheit haben einen großen Einfluss aus das Sexualleben.68 Doch die sexuelle Bildung in Schulen ist leider immer noch nicht selbstverständlich. So wurde erst 2001 die flächendeckende Sexualerziehung in Ostdeutschland eingeführt.69 Mittlerweile gibt es auch mehr Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrer. Die Sexualerziehung in der Schule lässt sich aber nur schwierig gestalten. Dort geht es nämlich überwie-gend darum, Kenntnisse zu vermitteln und Aufklärungsdefizite auszugleichen. Es bewegt die Jugendlichen jedoch dazu, sich mit dem Thema Sexualität aus-einanderzusetzen. Es gibt auch einige Grenzen, die den Lehrern die Aufklärung im Unterricht erschweren. Zum Beispiel müssen sie sich an den vorgegebenen Lehrplan halten. Zudem wird der Sexualkundeunterricht von den Heranwach-senden als Zwangsveranstaltung angesehen, da die Leistungen im Unterricht bewertet werden. Eine weitere Grenze wird der Schule durch die Eltern gezo-gen, welche einige Methoden nicht immer gut heißen. Es fehlen aber auch Aus- und/oder Fortbildungsmöglichkeiten. Um die Lehrer im Sexualkundeunterricht zu unterstützen, gibt es auch die Möglichkeit, Sexualpädagogen aus Bera-tungsstellen mit in den Unterricht einzubinden.

5.1.1 Sexualerziehung in Grundschulen

In den Grundschulen gibt es kein separates Fach in dem Sexualkunde gelehrt wird. Hier werden die Grundlagen mit in den Sachkundeunterricht integriert. Zu den Grundlagen gehören Kenntnisse über den Körper, die Geschlechter, die

66 Valtl 1997, S.13 67 Sielert 2014, S.40 68 Etschenberg 2012, S.9 69 Vgl. BZgA 2001, S.5

(29)

26

Fortpflanzung und die Körperhygiene. In der ersten Klasse liegt das Hauptau-genmerk darin, die Unterschiede der Geschlechter zu erkennen und bis zur sechsten Klasse kommen dann die Kenntnisse über die Zeugung, die Schwan-gerschaft, die Geburt, körperliche und seelische Veränderungen in der Pubertät und sexuell übertragbare Krankheiten hinzu.70 Die Behandlung sexueller The-men im Unterricht soll vor allem dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche lernen offen und verantwortungsbewusst mit ihrer eigenen Sexualität umzuge-hen. Leider werden die Lehrer nicht umfangreich geschult, sodass es ihnen an Kompetenzen zu diesem Thema fehlt. Zudem haben die Schulen nur ein sehr begrenztes Spektrum an Unterrichtsmaterialien. Aushilfe verschafft in diesem Punkt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, welche altersgerechte Materialen kostenfrei zur Verfügung stellt. Diese sind jedoch sehr schnell ver-griffen. Hier besteht aber die Möglichkeit einige Materialien aus dem Netz zu erhalten unter der Internetadresse „sexualaufklaerung.de“71. Eine weitere Schwierigkeit für die Lehrer stellt sich in der Frage, wie man am besten mit den Kindern ins Gespräch über das Thema Sexualität kommt. Am einfachsten fällt es den Lehrenden, wenn es sich aus bestimmten Anlässen ergibt, wie zum Bei-spiel die Schwangerschaft einer Lehrerin oder der Mutter eines Kindes, die Hochzeit von Familienangehörigen, die Scheidung der Eltern oder auch der Gebrauch von Kraftausdrücken der Kinder untereinander.72

5.1.2 Sexualerziehung in der Sekundarstufe I

Die Schüler der oberen Klassenstufen haben, was den Sexualkundeunterricht angeht, schon ganz andere Wünsche und Bedürfnisse. Ihnen ist es vor allem wichtig, dass der Unterricht sich nicht nur auf das Vermitteln von biologischem Wissen bezieht, sondern hier werden anschaulichere Methoden gebraucht. Ju-gendliche legen in der Zeit der Pubertät viel Wert auf die schulische Aufklärung, da sie vor allem für die Jungs die wichtigste und bei manchen Teenagern auch die einzige Quelle ist.73 Eine Anregung wäre auch auf die Benotung bei sexuel-len Themen zu verzichten, da es schwierig ist das Verständnis von Sexualität zu zensieren und daraus einhergehend auch ein Zwangskontext entsteht.

70 Vgl. Milhoffer 2013, S.582 71 Milhoffer 2013, S.584 72 Vgl. Milhoffer 2013, S. 586 73 Vgl. Schmidt 2013, S.596

(30)

27 5.1.3 Lehrplan einer Sonderschule in Mecklenburg - Vorpommern

Wie könnte denn ein Lehrplan aus unseren Schulen aussehen? Ich hatte die Möglichkeit mir einen Einblick zu verschaffen und mit dem Lehrplan für die Sonderschulen für Förderung der Geistigen Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern zu arbeiten. Dort findet man unter dem Bereich „Persönlichkeit und soziale Beziehungen“74 unter dem Unterpunkt „3. Geschlecht und Sexuali-tät“75 einige Vorgaben zur Gestaltung des Unterrichts zum Thema Sexualität. Zuerst wird allgemein beschrieben, wie die Lehrenden mit dieser Thematik ar-beiten sollen und welche Aspekte zu berücksichtigen sind:

x Sexualerziehung findet in allen Altersstufen statt x Sexuelle Übergriffe sind untersagt

x Lerninhalte und –methoden orientieren sich an aktuellen Situationen, am Entwicklungsstand und an den Wünschen und Bedürfnissen der Schüler x Der Unterricht kann in der Klasse, in Gruppen, geschlechtlich getrennt

oder auch in Einzelgesprächen durchgeführt werden

x Lehrer sollten sich um eine einfache und fachliche Sprache bemühen x Sexualerziehung ist Aufgabe des Elternhauses und der Schule

x Eltern werden über die Inhalte Informiert76

Weiterhin wird der Lehrplan in fünf Bereiche unterteilt: x 1. Männliche und weibliche Körper:

o Äußere und innere Geschlechtsorgane des Mannes

Hier geht es darum die inneren und äußeren Geschlechtsorgane und –merkmale zu benennen und auf Intimhygiene zu achten o Äußere und innere Geschlechtsorgane der Frau

Hier geht es darum die inneren und äußeren Geschlechtsorgane und –merkmale zu benennen

o Schwangerschaft und Geburt

Hier geht es darum alle Informationen rund um die Schwanger-schaft und den Geburtsvorgang zu vermitteln, Wissen über den

74 Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2003, S.41 75

Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 2003, S.57

76

(31)

28

Zeugungsvorgang erlangen und Wünsche, Ängste und Fantasien zu äußern

o Veränderungen in der Pubertät

Hier geht es darum die Veränderungen am Körper zu erkennen und wahrzunehmen, das Wachstum zu erleben, über Verände-rungen zu sprechen und Antworten auf Probleme zu finden

o Erster Samenerguss und Monatsblutung

Hier geht es darum auf den ersten Samenerguss vorbereitet zu sein, sich über die Menstruation zu informieren und vorbereitet zu sein, verschiedene Damenhygieneartikel kennen, auf Körperhygi-ene zu achten und über die psychischen und körperlichen Befind-lichkeiten zu sprechen

x 2. Ich als Mädchen – Ich als Junge o Rollenverhalten in Spiel und Freizeit

Hier geht es darum den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln gemeinsam aktiv zu sein, Vorlieben zu teilen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu entdecken und Grenzen zu erkennen

o Kleidung und Geschlecht

Hier geht es darum in geschlechtsspezifische und geschlechtsun-spezifische zu unterscheiden und Kleidungsvorschriften (z.B. von anderen Kulturen) kennen zu lernen

o Frauen und Männer als Rollenvorbilder

Hier geht es darum sich mit der Rollenverteilung innerhalb der Familie auseinanderzusetzen und sich mit dem Klischee ‚starker Junge – schwaches Mädchen‘ zu beschäftigen

o Medial vermittelte Rollenbilder

Hier geht es darum das öffentlich vermittelte Bild der Geschlech-terrolle in Frage zu stellen und im Spiel bewusst die gegenge-schlechtliche Rolle zu übernehmen

(32)

29

x 3. Abwehr von sexueller Gewalt o Nähe und Distanz

Hier geht es darum in vertraute und fremde Personen zu unter-scheiden und grenzüberschreitendes Verhalten zu erkennen o Bedürfnisse und Grenzen in Bezug auf Körperkontakt

Hier geht es darum die Grenze der erlaubten Annäherung sichtbar zu machen, aufdringliches Verhalten mit einem klaren Nein ab-wehren, sich körperlich und verbal richtig wehren und das Wissen, dass in Gefahrensituationen körperliche Abwehr erlaubt ist

o Körperpflege und Intimsphäre

Hier geht es darum die eigene Intimsphäre zu bewahren und ein angemessenes Schamgefühl zu entwickeln

o Formen sexueller Gewalt

Hier geht es darum die Übergriffe bekannter und unbekannter Personen zu erkennen und Veränderungen vertrauter Personen richtig zu deuten

o Geheimnisse und Drohungen

Hier geht es darum schöne Geheimisse (z.B. Liebesbriefe) für sich zu behalten und zu erkennen was ein schlechtes Geheimnis ist (z.B. von jemandem bedroht zu werden)

o Hilfe in Anspruch nehmen

Hier geht es darum Vertrauenspersonen von seinen Missbrauchs-erlebnissen zu erzählen und öffentliche Stellen, wie einen Arzt, aufzusuchen

x 4. Zärtlichkeit, Liebe und partnerschaftliche Beziehung o Zärtlichkeit und Liebe

Hier geht es darum die Unterschiedlichen Arten von Zuneigung kennenzulernen und das Wissen, dass Liebe und Zärtlichkeit Ver-trauen voraussetzen

o Verliebt sein

Hier geht es darum körperliche Empfindungen richtig beschreiben zu können, das Verliebt sein zu erkennen und Gefühle richtig aus-drücken zu können

(33)

30

o Partnerschaftliche Beziehung

Hier geht es darum unterschiedliche Lebensformen zu kennen und zu akzeptieren (z.B. bei Alleinerziehenden), die Möglichkeiten zur Gestaltung einer Partnerschaft zu kennen und mit Verletzungen in der Partnerschaft, wie z.B. bei einer Trennung, umzugehen und diese zu verarbeiten

x 5. Gelebte Sexualität und Verantwortung o Formen gelebter Sexualität

Hier geht es darum Geschlechtsverkehr als besondere Ausdrucks-form von Liebe zu erkennen und über Sexualpraktiken Bescheid zu wissen, die zu einer Schwangerschaft führen (z.B. ungeschütz-ter Geschlechtsverkehr) und welche eine Schwangerschaft ver-meiden (z.B. Geschlechtsverkehr unter Verwendung von Verhü-tungsmitteln)

o Verhütung

Hier geht es darum alle Verhütungsmittel zu benennen und deren Verwendung zu erklären und gegebenenfalls die Anwendung von Kondomen zu üben (richtiges öffnen und überstreifen)

o Besuch beim Frauenarzt

Hier geht es darum die Anlässe für einen Besuch beim Frauenarzt zu kennen

o Übertragbare Krankheiten

Hier geht es darum die übertragbaren Krankheiten zu kennen und zu wissen, wie man sich richtig schützt77

5.2 Sexuelle Aufklärung

Als erstes ist zu sagen, dass es zwischen sexueller Bildung und Erziehung und sexueller Aufklärung keinen wesentlichen Unterschied gibt. Man kann es im Alltag auch synonym verwenden. Ich unterscheide hier lediglich in allgemeiner Aufklärung und der schulischen sexuellen Bildung und Erziehung.

77

(34)

31

Laut Gesetz liegt das Hauptaugenmerk bei der Bundeszentrale für Gesundheit-liche Aufklärung:

§ 1 Abs.1 Schwangerschaftskonfliktgesetz

„Die für gesundheitliche Aufklärung und Gesundheitserziehung zuständige Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erstellt unter Beteiligung der Länder und in Zusammenarbeit mit Vertretern der Familienberatungseinrichtun-gen aller Träger zum Zwecke der gesundheitlichen Vorsorge und der Vermei-dung und Lösung von Schwangerschaftskonflikten Konzepte zur Sexualaufklä-rung, jeweils abgestimmt auf die verschiedenen Alters- und Personengrup-pen.“78

Sexualaufklärung berührt alle Felder der Sexualität und ist ein Teil der Erzie-hung. Sie wird gesellschaftlich als präventiv gesehen.79 In der Sexualaufklärung geht es um die Vermittlung von biologischen Fakten, Verhütungsmittel und – methoden, aber auch um die Kompetenzförderung bei der Entwicklung von Ein-stellungen und Verhaltensweisen in der Sexualität.80

6 Sexuelle Sozialisation

Die Fähigkeit sexuell handeln und erleben zu können muss im Laufe des Le-bens erst individuell entwickelt werden. Dabei ändert sich die sexuelle Persön-lichkeit mehrmals in der Biographie eines Menschen. Schon ab dem Zeitpunkt der Geburt hat jeder eine eigene Sexualität. „Die Sozialisation umfasst alle Pro-zesse die ein Kind zu einer handlungsfähigen Persönlichkeit in einer Gruppe oder Gesellschaft werden lassen.“81 Zudem meint sie, die Prozesse die ein Kind durchläuft, um eine eigenständige Persönlichkeit und eine eigenständige Sexu-alität zu entwickeln. Es lassen sich für die Prozesse der sexuellen Sozialisation zwei Ebenen beschreiben:

Zum einen

78

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Internetquelle)

79 Vgl. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1998, S. 19 80

Vgl. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1999, S. 13

81

(35)

32

x Ist sexuelle Sozialisation mit sozialen Praktiken verbunden x Kennt die Gesellschaft nur zwei Geschlechter

x Menschen müssen Mann oder Frau werden

x Sie müssen demzufolge die typisch weiblichen beziehungsweise die typisch männlichen Gefühle, Interessen und Verhaltensweisen an-nehmen

Zum anderen

x Ist die sexuelle Sozialisation historisch, kulturell und regional gebun-den

x Ist die Sexualität von Kindern anerlernt

x Durchläuft die sexuelle Sozialisation soziale Praktiken82

„Bei der intentionalen Sozialisation wird absichtsvoll, zielbewusst und meist auch methodisch durchdacht Einfluss auf ein Kind genommen. Diese Prozesse machen im Kontext der sexuellen Sozialisation die Sexualerziehung aus.“83 Die Sozialisation geschieht beiläufig und wird durch das soziale Umfeld und durch die Medien geprägt. Nicht selten treten dadurch Missverständnisse (wie z.B. durch das Anschauen von pornografischen Filmen) auf.84 Solche Fehlvorstel-lungen von Sexualität können die Entwicklung der eigenen Sexualität behindern und aus diesem Grund sollten Kinder und Jugendliche rechtzeitig aufgeklärt werden. Doch dafür sind professionell ausgebildete Pädagogen und Lehrer nö-tig.

7 Aktuelle Themen

Als Einstieg habe ich eine kleine Übersicht von Caroline Mascher zitiert. Im wei-teren Verlauf werde ich auf die Themen ‚Die Debatte um die sexuelle Vielfalt‘ und auf das Buch ‚Sexualpädagogik der Vielfalt‘ genauer eingehen.

82 Vgl. Stein-Hilbers 2000, S.10 83 Etschenberg 2012, S. 10 84 Vgl. Etschenberg 2012, S.10

(36)

33

„Öffentliche Erregung: Sexualkundeunterricht x 2007

o Nach Protesten wird die Kindergartenbroschüre „Kinder, Liebe, Doktor-spiele“ deutschlandweit zurückgezogen.

x 2013

o Streit um Schulbuch: Nach Elternprotesten in Berlin legt der Loewe-Verlag „Wo kommst du her?“ (von 1991) nicht weiter auf.

x 2014

o Ein Plakat des Münchener Familienreferats entfacht Ärger: Es zeigt nur homosexuelle Paare mit Kindern.

o In Hamburg wird das Buch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ von der Emp-fehlungsliste für Lehrer gestrichen.

o Petition und Proteste gegen „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ als Bestandteil des Lehrplans in Baden-Württemberg. o Streit in Niedersachsen um Antrag der rot-grünen Fraktionen, „Vielfalt“

zur Pflicht in Schulbüchern zu machen.“85

7.1 Die Debatte um die „sexuelle Vielfalt“

In der Debatte um die „sexuelle Vielfalt“ geht es darum, dass die rot-grüne Frak-tion in Baden-Württemberg ein Arbeitspapier für den neuen Bildungsplan 2015 erstellte, in dem es darum geht, dass alle sexuellen Identitäten im Unterricht behandelt werden sollen. Hier geht es um folgende fünf Leitlinien:

x „Berufliche Orientierung,

x Bildung für nachhaltige Entwicklung, x Medienbildung,

x Prävention und Gesundheitsförderung, x Verbraucherbildung.“86

Im ersten Punkt wird unter anderem festgelegt, dass die Schüler sich mit ihrer eigenen sexuellen Identität und Orientierung befassen und vorurteilsfrei mit

85

Mascher 2015, S.57

86

(37)

34

deren sexuellen Identitäten umgehen sollten. Im zweiten Punkt heißt es, dass die Schüler die verschiedenen Formen des Zusammenlebens kennenlernen sollen und sich auch mit den „LSBTTI-Menschen“ 87 (LSBTTI bedeutet: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle), auseinander-setzen sollen. Im dritten Abschnitt soll es darum gehen, dass die Kinder und Jugendlichen über das Internet Informationen zu den Lebenssituationen der LSBTTI-Menschen sammeln sollen und sich dadurch mit den Menschenrechten und dem Thema Diskriminierung auseinandersetzen sollen. Im vierten Punkt wird kurz beschrieben, dass die Themen Vielfalt der Sexualität, erkennen der eigenen Sexualität, die Geschichte der Unterdrückung anderen Sexualitäten und deren Rechte (wie das Allgemeine Gleichstellungsgesetz oder das Trans-sexuellengesetz) im Unterricht besprochen werden sollen. Im letzten Punkt wird beschrieben, dass die Schüler ihre eigenen Bedürfnisse, ihr Körperbild und ihre sexuelle Orientierung reflektieren sollen.88

Diese Konkreten Vorschriften kommen aber nicht bei jedem gut an. So hat ein Realschullehrer eine Petition gegen die neuen Richtlinien gegründet um Unter-schriften zu sammeln. Zudem wurde sogar eine Internetseite für diese Petition eingerichtet, welche mittlerweile über 192.000 Unterstützer hat. Im Januar 2014 hat die Presse zum ersten Mal über dieses Thema berichtet. So schreibt die ‚Süddeutsche Zeitung‘: „Auslöser sind Pläne der grün-roten Landesregierung […]. Die Initiatoren sprechen von einer ‚Ideologie des Regenbogens‘.“89 Auch die ‚Frankfurter Allgemeine‘ (im weiteren Verlauf FAZ) nahm zu diesem brisan-ten Thema Stellung und stellte zum einen fest, dass in dem Arbeitspapier zwar geschrieben wird, dass Schüler die unterschiedlichen Formen des Zusammen-lebens kennenlernen sollen (s.o.), aber die „Ausführungen zu Ehe und Fami-lie“90 werden mit keinem Wort erwähnt. Weiterhin schreibt die FAZ: „Die bil-dungspolitische Sprecherin der grünen Landesfraktion, Sandra Boser, bezeich-nete einige Formulierungen des Arbeitspapiers als ‚unglücklich‘.“91 Der ‚Spiegel‘ geht in seinem Artikel auf die Petitionsanhänger ein und schreibt dazu, dass dessen Argumente sehr wirr sind. Als Beispiel hat die Zeitung folgendes

87

Arbeitspapier www.kultusportal-bw.de (Download) 2013, S.12

88

Arbeitspapier www.kultusportal-bw.de (Download) 2013, S.5-32

89 Süddeutsche Zeitung am 9.1.14 (Internetquelle) 90

Frankfurter Allgemeine am 12.1.14 (Internetquelle)

91

(38)

35

führt: „Der Bildungsplan reflektierte nicht die ‚negativen Begleiterscheinungen eines LSBTTIQ-Lebensstils‘ – aufgezählt werden Suizide, Drogen, HIV und psychische Erkrankungen.“92 Mit ‚LSBTTIQ‘ ist in diesem Fall lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell und queer gemeint. Zudem kommt in diesem Artikel auch zu Sprache, dass die Petition auch Unterstützung von der rechten Szene erhält. Dies erkennt man daran, dass diese einen Groß-teil der Unterschriften für die Petition ausmachen. Unter den Unterzeichnern sind aber auch Lehrer und Kinderärzte vertreten, die behaupten „Kinder würden ‚mit diesem Menschenbild verwirrt‘ […] ‚Wie soll unser Land fortbestehen, wenn es moralisch so zersetzt wird?‘ “93 Dabei geht es dem Kultusministerium gar nicht darum die Kinder und Jugendlichen umzuerziehen, sie wollen ihnen nur die Vielfalt und Akzeptanz anderer sexueller Lebensstile näher bringen.

In den folgenden Monaten gingen die Diskussionen weiter und die Situation verhärtete sich immer mehr. Es fanden mehrere Demonstrationen statt, die aber weitestgehend friedlich verliefen. Die rot-grüne Landesregierung überar-beitete ihr Arbeitspapier zum Bildungsplan und änderte die ‚Leitprinzipien‘ in ‚ Leitperspektiven‘. Zudem soll als sechster Punkt „Leitperspektive Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“94 als Ergänzung hinzugefügt werden. Auch die Formulierung ‚sexuelle Vielfalt‘ findet man dort nicht wieder.95 Doch es wird betont, dass sich an den Grundprinzipien nichts geändert hat. Jedoch ist jetzt nicht mehr nur die Rede von sexueller Freiheit, sondern auch von Toleranz im Umgang mit der Vielfalt in personaler, religiöser, kultureller, ethnischer und sozialer Hinsicht.96 Mittlerweile ist auch klar, dass der Bildungsplan nicht im Jahr 2015 in Kraft treten wird, sondern voraussichtlich erst für das Schuljahr 2016/2017. Dieser soll dann für alle „Haupt-, Werkreal-, Real-, Gemeinschafts-schulen sowie für das neunjährige Gymnasium gelten. Für das achtjährige Gymnasium wird es einen eigenständigen Bildungsplan geben.“97 Die Angst der Eltern wird darin geäußert, dass sie glauben durch das Vertiefen von homose-xuellen Themen im Schulunterricht könnten ihre Kinder die ‚normale Familie‘ – Mutter-Vater-Kind – in Frage stellen und werden dadurch in Versuchung

92 Spiegel am 9.1.14 (Internetquelle) 93

Ebd.

94

Frankfurter Allgemeine am 8.4.14 (Internetquelle)

95 Vgl. Süddeutsche Zeitung am 9.4.14 (Internetquelle) 96

Vgl. Ebd.

97

(39)

36

bracht sich sexuell neu zu orientieren. Ihre Vermutung ist auch, dass die Kinder überfordert sein könnten, wenn das Thema Sexualität Fachübergreifend einge-setzt wird.

Da bis zum Ende des Jahres noch zu keiner Einigung kam, werden die neuen Methoden erst einmal in einigen Klassen erprobt und im Nachhinein unter den Lehrern ausgewertet.98 Eine neue Entwurfsfassung des Bildungsplans wird vermutlich erst im Herbst 2015 vorliegen. Doch auch bis heute kommt es noch zu Protesten von Gegnern und Befürwortern des neuen Bildungsplans. Der nächste datiert sich auf den 21.06.2015. Eine Einigung von Regierung, Lehrern und Eltern ist noch nicht in Sicht.

7.2 Sexualpädagogik der Vielfalt

Ein weiteres Thema was hitzig diskutiert wird ist das Buch ‚Sexualpädagogik der Vielfalt‘, welches im Jahr 2012 als überarbeitete zweite Auflage erschien. Darin geht es um zusammengetragene Überlegungen zur Didaktik und Metho-den der Sexualpädagogik, mit Metho-den Ansätzen der Themenzentrierten Interaktion, humanistisch und dekonstruktive Pädagogik sowie emanzipatorische Sexual-pädagogik.99 Es wird dazu angeregt, dass jeder selbstbestimmt, frei und eigen-verantwortlich handelt und eine lustvolle, lebensbejahende Einstellung zum Thema Sex entwickelt. Eine ebenso wichtige Rolle spielen hier sexuelle Erfah-rungen, um die Vielseitigkeit der eigenen Persönlichkeit zu entdecken. Als zent-rale Fragen der Didaktik werden hier folgende genannt:

x „Über welche persönlichen, sozialen und sachbezogenen Kompetenzen sollten die Jugendlichen meiner Zielgruppe verfügen, damit sie selbstbe-stimmt und verantwortungsvoll ihre Sexualität leben können?

x Welche Themen interessieren meine Zielgruppe – vor allem, wenn Per-sonen unterschiedlicher Herkunft, Religion, sexueller Orientierung etc. zusammenkommen?

98

Vgl. Frankfurter Allgemeine am 11.11.14 (Internetquelle)

99

(40)

37

x Für Lehrkräfte stellt sich die zusätzliche Frage: Welche verbindlichen In-halte schreibt mein Bundesland in den Richtlinien zur Sexualerziehung vor?“100

Bei der Methodenanwendung gibt es jedoch noch Diskussionspunkte. Es wer-den unter anderem Übungen aufgeführt, die zum Beispiel Körperberührungen mit einbeziehen oder bei der die Kreativität gefragt ist. „Ein „Muss“ oder ein „Darf-nicht“ gibt es diesbezüglich nicht.“101 Bei der Auswahl der Methode sollte man jedoch darauf achten, seine eigenen Kompetenzen nicht zu überschreiten. In diesem Buch wird auch unmissverständlich beschrieben, dass die Autoren eine geschlechtergetrennte Sexualpädagogik für nicht Sinnvoll halten, da es die Einteilung in Mädchen und Jungen gutheißen würde, was aber nicht zum Prin-zip der Vielfalt passen würde.102 Die Sexualität und ihre individuelle Entwicklung zieht sich durch die ganze Biografie eines Menschen. Da darf die ‚richtige und zeitgerechte Aufklärung‘ nicht zu kurz kommen. Doch es gestaltet sich sehr schwer dem gerecht zu werden. Die Autoren dieses Buches sind sich einig, dass in Kindertagesstätten und in Grundschulen das Entdecken des Körpers und der eigenen Gefühle im Vordergrund stehen und dies von den Erziehern und Lehrern mit einer angemessenen Sprache und Grundlegendem Wissen begleitet werden sollte. In der Pubertät kommt dann die körperliche und seeli-sche Veränderung hinzu. „Durch die Medien und Erzählungen der Gleichaltri-gen entsteht schnell der Eindruck, dass JuGleichaltri-gendliche immer früher den ersten Geschlechtsverkehr haben und auch haben sollen.“103 Doch anhand neuster Statistiken erkennt man, dass sich die Jugendlichen mit dem ‚erste Mal‘ Zeit lassen.

100

Tuider, Müller, u.a. 2012, S.17

101 Ebd. 102

Vgl. Tuider, Müller, u.a. 2012, S.19

103

(41)

38

Abb.1 104

Daher ist es wichtig, den Jugendlichen den Druck zu nehmen der von den Me-dien und anderen Jugendlichen ausgeht. Denn sie sollen ihr eigenes Tempo bestimmen und nicht zu etwas gedrängt werden was sie nicht möchten.

Allgemein ist zur Methodik dieses Buches noch zu sagen, dass alle aufgeführ-ten Übungen und Aufgaben nur als Richtschnur und Anregung gedacht sind. Es ist von den Verfassern nicht vorgesehen diese Übungen zu benoten. Diese soll-te allgemein nur bei Abfrage von biologischem Wissen erfolgen. Zudem ist es wichtig, alle Abläufe der sexuellen Aufklärung und Erziehung vorab mit den El-tern zu besprechen, damit es nicht zu unerwünschten Unstimmigkeiten kommt. Vor der Durchführung der Methoden wird Empfohlen einige Regeln festzulegen. Bewährt haben sich da zum Beispiel:

x „Jede und jeder darf ausreden. x Niemand muss etwas sagen.

x Jede und jeder spricht für sich selbst, nicht für andere. x Lachen ist erlaubt, aber niemand wird ausgelacht.

104

Statista 2015 (Internetquelle)

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

„Der Anschlag von Nizza hat die Ansicht verstärkt, dass Frankreich – im Krieg gegen einen zu allem entschlosse- nen Feind – sich Maßnahmen an die Hand geben sollte, die

Dennoch stellen die Palästinenser und ihre Lager nicht die größte Gefahr für die Stabilität des Libanon dar, wie noch in den siebzi- ger Jahren, als die hochgerüstete und

(1) Die für die soziale Wohnraumförderung maßgebliche Einkommensgrenze beträgt abweichend von § 9 Absatz 2 Satz 1 des Wohnraumförderungsgesetzes vom 13. 1626) geändert worden ist,

machen schön, wenn man sich nicht so fühlt oder ver- wandeln einen in eine neue Person?. Ein guter Friseur kann viel mehr als nur

Symphonie („Pathé- tique“) – die er für sein bestes Werk, das „Kompendium sei- nes ganzen Lebens“ hielt – hatte während der Erstaufführung am 28. Oktober 1893 beim Pu-

2021 braucht es umgehend einen Vorschlag zur Anhebung der Ausbauziele und -mengen sowie einen um- fassenden Vorschlag zur Stärkung von Bürgerenergie, sonst verspielt die Regie-

Wir freuen uns über weitere ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bei der Suche nach den Gar- tenschläfern.“ Das Projekt läuft seit Oktober 2018 und wird im Rahmen des Bun-

Äu- ßert sich die Allergie während der Schwangerschaft zum ersten Mal, so muss der Arzt durch genaues Erfragen oder durch einen Bluttest die Diagnose si- chern?.