Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit
Wissenschaft, Gesundheit und Information in Europa - ein Symposium in Marseille
DEUTSCHES
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issenschaft und Technik nehmen in den Gesellschaf- ten auch der europäischen Staaten einen zentralen Platz ein. Es stellt sich immer drängender die Aufgabe, ihre Ergebnisse und Er- kenntnisse gezielt zu nutzen als Ent- scheidungsgrundlage für politische und ökonomische Gremien sowie für den einzelnen Bürger. Dabei gilt es im Hinblick auf die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, den In- formationsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern und De- fizite in einzelnen Ländern auszu- gleichen.Für den Sektor „Gesundheit"
ergeben sich besondere Probleme und Aufgaben, die 37 Referenten aus 8 europäischen Ländern bei dem Symposium „Science, Sante et Infor- mation en Europe" zu erarbeiten versuchten, das im November 1991 unter dem Patronat der französi- schen Minister für Forschung und Technologie, Gesundheit und Kom- munikation sowie von C. Lalumire, Generalsekretärin des Europarates, und F. M. Pandolfi, Vizepräsident der EG-Kommission, in Marseille stattfand. Dabei wurden unter dem Leitgedanken, „Information" be- rücksichtigt die Bereiche For- schungspolitik, Gesundheitspolitik, Gesundheitsindustrie, wissenschaft- liche Fortbildung der Ärzteschaft, Öffentlichkeit und der kranke Bür- ger.
Harmonisierung der Gesundheitsforschung
Wissenschaftliche Ergebnisse, die für diese Bereiche Bedeutung haben können, werden in zunehmen- dem Umfange in immer kürzeren Zeiträumen erarbeitet, so daß sich die Notwendigkeit ihrer zielgerichte- ten, systematisierten Erfassung und Ordnung ergibt. Als Leitidee, an der eine solche zielgerichtete Systemati- sierung ausgerichtet werden könnte, wurden der Begriff „Gesundheit"
schlechthin oder, wohl eher ange- messen, einzelne Aspekte dieses Ge- bietes vorgeschlagen. In engem Zu- sammenhang hiermit ergibt sich die Notwendigkeit zur Evalution vorlie- gender Daten. Verbindliche Metho-
den wurden nicht angegeben, viel- mehr beklagt, daß sie häufig unter den speziellen Gesichtspunkten des Datennutzers vorgenommen wird.
Die Forderung, mehr noch als bisher die Art dieser Evaluation bei dem Beginn einer Studie verbindlich fest- zulegen, fand überwiegend Unter- stützung.
Die Organisation der Gesund- heitsforschung bietet in den europäi- schen Ländern ein recht unter- schiedliches Bild, das hier im Detail nicht nachgezeichnet werden kann.
Als Extrempositionen seien erwähnt die zentrale staatliche Forschungs- förderung mit mehr oder weniger sorgfältiger, teils allerdings auch als völlig unzureichend kritisierter Be- rücksichtigung regionaler Belange, sowie andererseits die regionalisierte Gesundheitsforschung, wobei oft- mals ein Mangel an überregionaler Koordination zur Vermeidung von unnötigen Paralleluntersuchungen zu beklagen ist. Die EG-Kommission sieht hier eine Aufgabe in der Har- monisierung, wobei ausdrücklich das Prinzip der Subsidiarität betont wurde.
Valide Daten dienen als Ent- scheidungsgrundlage für künftige Forschungs- und Gsundheitspolitik, sie sind ebenso unerläßlich für eine dem Stande wissenschaftlicher Er- kenntnis entsprechende ärztliche Versorgung der Bevölkerung. Der auf diesem Gebiet vorzunehmende Wissenstransfer hat Ergebnisse der Grundlagenforschung, der klini- schen Forschung sowie der „industri- ellen Gesundheitsforschung", insbe- sondere der Pharmaforschung, zu berücksichtigen.
Hier erhebt sich die drängende Forderung, den Arzt bei der Aus- wahl und insbesondere bei der Be- wertung neuer wissenschaftlicher Er-
kenntnisse zu unterstützen, so daß er maßgeschneidert für seine Bedürf- nisse die Fülle der Informationen nutzen kann. In diesem Zusammen- hang werden Maßnahmen zur Quali- tätssicherung der ärztlichen Berufs- ausübung hohe Bedeutung gewin- nen, wie sie bereits in einigen euro- päischen Staaten unter durchaus un- terschiedlichen Rahmenbedingun- gen und mit verschiedener Methodik entwickelt wurden oder eingeführt werden sollen.
Wege der Fortbildung
Von den zahlreichen Möglich- keiten der hier zu erwähnenden ärzt- lichen Fortbildung, die in den euro- päischen Staaten ein uneinheitliches Bild bietet, wurden bei dem Sympo- sium die klassischen Publikationsme- dien — Lehrbuch, Fachzeitschrift, all- gemeine medizinische Zeitschrift — berücksichtigt, wobei der Verfasser auf Einladung der Veranstalter das Aufgabenspektrum des Deutschen Ärzteblattes darstellen konnte. Der Wert des Literaturstudiums für die tatsächliche ärztliche Berufsaus- übung wurde kontrovers beurteilt:
Von mehr oder weniger marginal bis
„hauptsächliches Mittel" des Wis- senstransfers und unverzichtbare Grundlage für die dem Stand aktuel- len Wissens entsprechende ärztliche Entscheidung.
Weitgehende Übereinstimmung herrschte für die Forderung, daß dieser Wissenstransfer für die ärztli- che Berufsausübung auf wissen- schaftlicher Grundlage an ihren Be- dürfnissen auszurichten ist und frei- gehalten werden muß von fremden Einflüssen jeder Genese.
Angesichts der hohen Aufmerk- samkeit, die der Bereich „Gesund- A1-1218 (34) Dt. Ärztebl. 89, Heft 14, 3. April 1992
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ÄRZTEBLATT THEMEN DER ZEIT
heit" offenbar auch in zahlreichen europäischen Staaten genießt, er- scheint eine sachgerechte, verständ- liche Unterrrichtung der Öffentlich- keit über neue medizinische Er- kenntnisse geboten. Da sich ange- sichts des zeitgenössischen Gesund- heitsbewußtseins für die Medizin als Wissenschaft, bisher jedenfalls, kaum das Bedürfnis ergeben hat, die Notwendigkeit ihrer Forschung so nachdrücklich zu begründen, wie das zum Beispiel für geisteswissenschaft- liche Disziplinen zum Überleben ge- radezu unerläßlich ist, sind medizini- sche Forscher oft nicht geneigt, ihre Erkenntisse der nichtwissenschaftli- chen Öffentlichkeit vorzulegen und sie mit ihr zu diskutieren. Als Hin- dernisse wirken sich dabei offenbar aus die notwendige Transpositon der Fachterminologie in eine allgemein verständliche Sprache und die For- derung, eine für den Laien verständ- liche Form der Darstellung zu fin- den, die dennoch mit wissenschaftli- chen Kriterien vereinbar ist.
Sprach
-Probleme
Wissenschaftsjournalisten oder Mitarbeiter der übrigens in Europa noch vergleichsweise seltenen Wis- senschaftsredaktionen bei Tageszei- tungen stehen vor einem ähnlichen Problem: Sie müssen wissenschaftli- che Terminologie und Fachbeiträge erarbeiten, um auf dieser Grundlage einen den Laien ansprechenden Be- richt zu verfassen. Der unverzichtba- re Dialog zwischen Wissenschaftlern und Wissenschaftsjournalisten wür- de die Qualität des Wissenstransfers für die Öffentlichkeit entscheidend verbessern.
Veranstalter, Referenten und Teilnehmer des Symposiums disku- tierten in dem vollen Bewußtsein, daß es bestenfalls gelingen konnte, einige Gesichtspunkte des General- themas anzusprechen, zahlreiche Aspekte jedoch unberücksichtigt bleiben mußten. Bei einem offenbar geplanten weiteren Symposium zum gleichen Thema sollen Ansätze zur Lösung der beschriebenen Probleme erörtert werden.
Prof. Dr. med. Elmar Doppelfeld A1-1220 (36) Dt. Ärztebl. 89, Heft 14,
Kooperationserfahrene Ärzte begründen mit überzeugenden Argu- menten ihre langjährige Zusammen- arbeit mit Selbsthilfegruppen. Sie schätzen nicht nur die persönliche Entlastung und die wechselseitige Ergänzung der Hilfeleistungen hoch ein, sondern sie konnten auch fest- stellen, daß Selbsthilfegruppen sozi- al integrativ wirken und allgemein gesundheitsfördernd auf die Lebens- führung der Patienten, auf die Medi- kamenten-Compliance und auf die Bereitschaft zu aktiver Mitarbeit bei der Behandlung von Krankheiten positiv Einfluß nehmen. Wenn diese Zusammenarbeit zustandekommt, wird sie von allen Beteiligten als nützliche Ergänzung empfunden.
Andererseits beeinflussen noch häu- fig Vorurteile, Skepsis und Unsicher- heiten das nutzbringende Zusam- menwirken negativ.
1 Pilotprojekt
Seit dem Jahr 1988 führen die Kassenärztliche Vereinigung West- falen-Lippe und das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI), Köln, unterstützt durch eine schon bestehende Infrastruktur der 3. April 1992
Selbsthilfegruppen im Bereich der Bezirksstelle Bielefeld, ein dreijähri- ges Pilotprojekt zur Verbesserung solcher Kooperation durch. Eine ex- terne wissenschaftliche Begleitung gewährleistet, abschließend evaluier- te Interventionsmaßnahmen aufzu- zeigen, deren Einsatz auch in ande- ren Regionen erfolgversprechend ist.
Erste Kooperationsbera- tungsstelle eingerichtet
Aufgrund der bisherigen guten Ergebnisse hat die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe be- reits Konsequenzen aus dem Projekt gezogen, indem sie eine Kooperati- onsberaterin fest anstellte. Die Di- plom-Pädagogin hat sich in der Pro- jektarbeit bewährt und wird in Zu- kunft auch anderen Bezirksstellen der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe zum Thema „Ko- operation mit Selbsthilfegruppen"
als Ansprechpartnerin zur Verfü- gung stehen. So können das bisher Erreichte verfestigt und erfolgver- sprechende Ansätze ausgebaut wer- den. Zusätzlich wird diese Beraterin weitere Aufgaben im Bereich „Ge- sundheitsförderung durch Ärzte"
übernehmen.