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Archiv "Charakterisierung der Multisystematrophie: Erster internationaler Kongreß in London am 22. und 23. März 1997" (20.06.1997)

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Academic year: 2022

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nter Multisystematrophie (MSA) wird klinisch eine spo- radisch auftretende Erkran- kung des Erwachsenenalters verstanden, die durch die variable Kombination von Symptomen eines Parkinson-Syndroms, einer Klein- hirnerkrankung, einer Störung des autonomen Nervensystems sowie der Pyramidenbahnen gekennzeichnet ist. Morphologisch finden sich Zell- verlust, Entmarkung und Gliose mit unterschiedlichen Schwerpunkten in Striatum, Substantia nigra, Locus coeruleus, Brückenfußkernen, Pur- kinjezellen, unterem Olivenkern, Va- guskerngebiet, Onuf-Kern, Brücken- querfasern und mittlerem Kleinhirn- stiel. Erst in den letzten Jahren konnten relativ spezifische oligo- dendrogliale, zytoplasmatische Ein- schlußkörper (GZE) identifiziert werden, die zum Konzept von der

MSA als einer klinisch-pathologi- schen Entität beitrugen. Da fast alle Patienten im Krankheitsverlauf ein Parkinson-Syndrom aufweisen und bei bis zu zehn Prozent der klinisch als idiopathische Parkinson-Krank- heit (PK) diagnostizierten Fälle aut- optisch eine MSA zugrunde liegt, war es nur konsequent, den ersten Kon- greß über MSA in Verbindung mit dem zwölften internationalen Sym- posium über die PK in London auszu- richten. Ziel war es nach den Worten des Organisators, N. Quinn (Lon- don), Wissenschaftlern verschiede- ner Disziplinen, die sich mit unter- schiedlichen Aspekten der MSA be- schäftigen (beispielsweise Bewe- gungsstörungen, autonome Störun- gen, zerebelläre Störungen, Neuro- pathologie, bildgebende Diagnostik), die gemeinsame Diskussion zu er- möglichen.

A-1729

M E D I Z I N KONGRESSBERICHT

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 25, 20. Juni 1997 (53)

Klinische und

diagnostische Aspekte

Klinik und Verlauf

N. Quinn (London) legte einlei- tend die diagnostischen Kriterien für die MSA dar. Hiernach spricht man von „möglicher“ MSA, wenn bei ei- nem über 30 Jahre alten Patienten entweder ein L-DOPA-resistentes Parkinson-Syndrom oder aber Klein- hirnsymptome in Verbindung mit ei- nem Parkinson-Syndrom auftreten.

Eine „wahrscheinliche“ MSA liegt vor bei „möglicher“ MSA und zusätz- lichen autonomen Störungen oder Pyramidenbahnzeichen. Das zusätzli- che Kriterium eines pathologischen Sphinkter-EMG für diese Kategorie sollte aus Gründen der Vereinfachung entfallen. Eine „definitive“ MSA wird autoptisch diagnostiziert.

Die Datenlage zur Epidemiolo- gie und zum natürlichen Krankheits- verlauf ist nach Y. Ben-Shlomo (Bri- stol) wegen der Seltenheit der Er- krankung und aufgrund nicht einheit- licher Diagnosekriterien unbefriedi-

gend. Man schätzt, daß pro Jahr auf sieben bis zehn Patienten mit PK ein Fall von MSA kommt. Die Prognose der MSA ist deutlich schlechter im Vergleich zur PK. Im Mittel verster- ben die Patienten nach etwa fünfjähri- gem Krankheitsverlauf, wobei eine vorwiegend zerebelläre Symptomatik mit einer etwas besseren Prognose as- soziiert ist.

F. Tison (Bordeaux) analysierte die Bewegungsstörungen bei MSA und wies auf die mitunter schwierige klinische Unterscheidung des Parkin- son-Syndroms bei MSA und PK hin.

Weitergehende Veränderungen von Striatum, Globus pallidus sowie sup- plementärem motorischem Kortex tragen hierbei zu einer komplexen pa- thophysiologischen Situation bei, wel- che die unbefriedigende Wirkung von L-DOPA erklärt.

Den zerebellären Störungen bei MSA widmeten sich T. Klockgether (Tübingen), J. Berciano (Santander) und S. Gilman(Ann Arbor) im Rah- men einer Podiumsdiskussion. Hier- bei wurde gezeigt, daß etwa 30 Pro- zent der sporadischen idiopathischen

Ataxien mit spätem Beginn das Voll- bild einer MSA mit ihrer schlechten Prognose entwickeln können. Die no- sologische Stellung der erblichen und nicht erblichen Ataxien in bezug auf die MSA wurde jedoch weiterhin kon- trovers beurteilt.

C. Mathias(London) und P. Low (Rochester) zeigten, daß schwere au- tonome Störungen einen integralen Bestandteil des klinischen Spektrums der MSA darstellen. Das häufigste Symptom hierbei ist bei männlichen Patienten Impotenz, die der Entwick- lung neurologischer Störungen um bis zu sieben Jahre vorausgehen kann.

Darüber hinaus tragen kardiovagale und adrenerge Funktionsstörungen sowie Dysphagie mit Aspiration ent- scheidend zur Mortalität der Patien- ten bei. Die Blasenstörungen mit er- höhter Miktionsfrequenz und Drang- inkontinenz gehen nach C. Fowler (London) und F. Stocchi (Rom) zu- meist auf Zellverluste im Onuf-Kern sowie in der intermediolateralen Säu- le des Rückenmarkes zurück. In dia- gnostischer Hinsicht gilt eine Potenti- aldauer von über 16 Millisekunden für zehn motorische Einheiten im Sphinkter-Elektromyogramm als re- lativ spezifisch für die MSA.

Bildgebung

M. Savoiardo (Mailand) be- schrieb Magnetresonanztomographie- (MRT-)Befunde bei MSA-Patienten, die mit der topographischen Vertei- lung von Gliose und Demyelinisation korrelieren. So finden sich auf T2-ge- wichteten Bildern Hypointensitäten in den postero-lateralen Anteilen des Putamens, die in niedrigen Feldstär- ken (0,5 T) auch hyperintens erschei- nen können. Ebenfalls hyperintens ist das Signal in den Brückenquerfa- sern, mittleren Kleinhirnstielen und Kleinhirnhemisphären in der T2- Wichtung. T. Klockgether(Tübingen) stellte ein Verfahren zur dreidimensio- nalen MRT-Volumetrie vor, das eine selektive Erfassung der Atrophie der betroffenen Regionen ermöglicht und

Charakterisierung der Multisystematrophie

Erster internationaler Kongreß in London am 22. und 23. März 1997

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somit hilfreich in der differentialdia- gnostischen Abgrenzung zu spinoze- rebellären Ataxien sowie zur PK ist.

Eine fortgeschrittene MSA läßt sich mit der striatalen Dopamin-2- Rezeptor-Darstellung mittels Single- Photonemissions-Computertomogra- phie zwar von der PK abgrenzen, hin- gegen ist nach W. Oertel (Marburg) die Bedeutung dieses nuklearmedizi- nischen Verfahrens in der frühen Dif- ferentialdiagnose zwischen MSA und PK noch unklar. D. Brooks(London) zeigte, daß sich im PET ein reduzier- ter putaminaler Glukose-Metabolis- mus sowie eine reduzierte Dopamin- Rezeptor-Darstellung nachweisen und diagnostisch nutzen lassen.

Pathogenese und

therapeutische Strategien

Neuropathologie

Ätiologie und formale Pathoge- nese der MSA sind weiterhin unbe- kannt. Nach derzeitigem Verständnis spielen jedoch die GZE eine zentrale Rolle in ihrer Pathogenese. Wie D. Hanger(London) zeigte, enthalten diese GZE Protein Tau, welches für den Zytoskelettaufbau eine wichtige Funktion hat. Angesichts etwa des hyperphosphorylierten Tauproteins

der Alzheimerschen Neurofibrillen- Veränderungen scheint die MSA die einzige neurodegenerative Erkran- kung zu sein, bei der eine oligoden- drogliale Taupathologie die führende zelluläre Läsion darstellt. P. Lantos (London) schlug ein Modell zur Pa- thogenese vor, nach dem eine primäre oligodendrogliale Zytoskelettstörung – aufgrund unbekannter ätiologischer Faktoren – zu Schädigungen der Mye- linscheide mit nachfolgender axona- ler und retrograder neuronaler Zer- störung führt. Als weiteren Hinweis für seine Theorie führte er dabei Un- tersuchungen von S. Probst-Cousin et al.(Münster) an, die oligodendroglia- len Zelltod via Apoptose bei MSA zeigten.

Therapeutische Strategien Die Entwicklung einer medika- mentösen Therapie der MSA ist durch das Fehlen eines geeigne- ten Tiermodells nach Ansicht von P. Jenner (London) erheblich er- schwert.

Symptomatische Therapieansät- ze umfassen daher etwa die Selbstka- theterisierung bei einem Restharn- volumen über 100 ml sowie die Applikation von Dexamino-D-Argi- ninvasopression gegen die posturale Hypotension und den nächtlichen

Harndrang. Gelegentlich werden die Ernährung über eine nasogastrale Sonde oder perkutane endoskopische Gastrostomie erforderlich. Die nur selten schwere Spastik kann, wenn nötig, mit Baclofen beeinflußt wer- den. Prominente Myoklonien werden mit Clonazepam oder Valproat gelin- dert. Amantadin kann zeitweise sym- ptomatisch hilfreich sein, wenngleich ein Einfluß auf die Krankheitspro- gression nicht beobachtet wird. Inspi- ratorischer Stridor kann mitunter ei- ne Tracheotomie oder Stimmbandla- teralisation notwendig machen. Die wenigen bisher operierten Patienten profitierten nicht von einer neuro- chirurgischen Pallidotomie.

Die derzeit für die Patienten nützlichsten Therapieansätze liegen im Bereich der Physio-, Ergo- und Sprachtherapie sowie in der adäqua- ten Ausstattung mit Hilfsmitteln, wie etwa Rollstühlen. Insgesamt, faßte N. Quinn (London) zusammen, han- delt es sich bei der MSA um eine fata- le, schreckliche Erkrankung, bei der es nur wenig gibt, was man dem Pati- enten an Hilfe anbieten kann.

Anschrift des Verfassers

Dr. med. Stefan Probst-Cousin Institut für Neuropathologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Domagkstraße 19 · 48149 Münster

A-1730

M E D I Z I N

KONGRESSBERICHT/FÜR SIE REFERIERT

(54) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 25, 20. Juni 1997 Drei Institute an der amerikani-

schen Ostküste, die sich mit der Alz- heimerschen Krankheit befassen, haben in Gemeinschaftsarbeit ver- sucht, eine Methode zu finden, die eine Prognose der Dauer des Krank- heitsverlaufs bis zum Zeitpunkt der Vollpflegebedürftigkeit und bis zum Tod ermöglicht. Dazu wurde über sieben Jahre der Krankheitsverlauf bei 236 Patienten beobachtet; eine Kohorte von 105 Patienten folgte zur Validierung der Ergebnisse. Die Pa- tienten wiesen bei Studienbeginn die von den amerikanischen Fachgesell- schaften festgelegten Symptome für die Diagnose des Krankheitsbeginns auf. Aus mehreren Faktoren wurde an Hand der halbjährlichen weiteren Untersuchungen der Studienteilneh-

mer ein prädiktiver Index für die Endpunkte Pflegebedürftigkeit und Tod gebildet: Dauer der Erkrankung vor der ersten Untersuchung, Alter, das standardisierte Ergebnis einer Untersuchung des psychischen Sta- tus sowie das Vorhandensein oder die Abwesenheit psychotischer Sym- ptome und extrapyramidaler Zei- chen. Durch Multiplikatoren ergab sich ein prädiktiver Index zwischen 1 und 4,4, wobei die höhere Zahl die günstigere Prognose angibt. Daraus ergeben sich Tabellen, aus denen zu entnehmen ist, in wieviel Monaten jeweils 25, 50 und 75 Prozent der Pa- tienten zu Vollpflegefällen werden oder sterben. Auch wurde versucht, den Apolipoprotein-E-Status mit zu verwerten; er stellte sich aber als sta-

tistisch unbedeutender Risikofaktor heraus.

Die Untersuchung, so betonen die Autoren, hat vor allem theoreti- schen Wert. Sie könnte Möglichkei- ten zur Erweiterung klinischer Studi- en zur Behandlung der Alzheimer- Patienten eröffnen. Um solche Grundlagen zu erreichen, wurden Pa- tienten ausgeschlossen, bei denen beispielsweise vorangegangener Dro- genmißbrauch, Schizophrenie und andere größere Psychosen oder auch vorangegangene Elektroschockthe- rapien festgestellt worden waren. bt

Stern Y et al.: Predicting time to nursing home care and death in individuals with Alzheimer disease. JAMA 1997; 277:

806–812.

Dr. Yaakov Stern, Sergiewsky Center, 630 W 168 St, New York, NY 10032, USA.

Prognose der Alzheimer-Krankheit

Referenzen

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