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Archiv "Fortpflanzungsmedizin: Absage an jede Art eugenischer Zielsetzung" (02.06.2000)

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ie Geburt des ersten „Retor- tenbabys“ Louise Joy Brown hatte im Jahr 1978 für welt- weites Aufsehen gesorgt. Heute ist die In-vitro-Fertilisation (IvF) in vie- len Ländern Routine. In Deutsch- land sind den Methoden der Fort- pflanzungsmedizin durch das Em- bryonenschutzgesetz (EschG) Gren- zen gesetzt. Bundesgesundheitsmini- sterin Andrea Fischer will dies je- doch durch ein neues Fortpflan- zungsmedizingesetz abgelöst sehen, da ihr die Gesetzgebung von 1991 nicht mehr zeitgemäß erscheint. Zur besseren „Entscheidungsfindung“

hatte sie Ende Mai rund 600 Ärzte, Natur- und Geisteswissenschaftler, Juristen sowie Politiker zu einem dreitägigen Symposium nach Berlin eingeladen. Dort zog sich vor allem die Problematik der Präimplantati- onsdiagnostik (preimplantation ge- netic diagnosis = PGD), der auch ein eigener Tagesordnungspunkt gewid- met war, wie ein roter Faden durch die Diskussion. Es ging unter ande- rem aber auch um den Einsatz von Keimzellspenden sowie die Gewin- nung und Verwendung humaner em- bryonaler Stammzellen.

Mit Hilfe der Fortpflanzungs- medizin könne ein Kinderwunsch Realität werden, auch wenn die bio- logischen Voraussetzungen dagegen sprächen, sagte Fischer zu Beginn der Veranstaltung. „Was jedoch aus Sicht des Einzelnen ein Fortschritt ist, kann Konsequenzen haben, die die Gesellschaft womöglich ganz grundlegend verändern.“ Die Mög-

lichkeit, individuelles Leid zu ver- hindern, bedeute keine Rechtferti- gung dafür, auch alles Machbare zu tun. Durch die neuen Techniken könne ein Klima entstehen, das den perfekten Menschen immer mehr zur Norm werden lasse und das es schließlich als rechtfertigungsbe- dürftig erscheinen lasse, wenn ein behindertes Kind zur Welt kommt.

Diese Auffassung wurde von zahl- reichen Teilnehmern des Symposi- ums geteilt. So sagte Prof. Dr. rer.

biol. habil. Elmar Brähler, Leipzig, dass die Entwicklung der medizini- schen Technik im Einzelfall zur pro- grammierten Zeugung im Labor un- ter Einbeziehung von individuellen und sozial akzeptierten Wunschkri- terien führen könnte. Die Männer würden zu Statisten degradiert, die Frauen würden zu Objekten der Lust, die Kinder zu Produkten.

Mehrere Vertreter von Behinder- tenverbänden verwahrten sich eben- falls dezidiert gegen jegliche Form selektiver pränataler Diagnostik.

Kritik an PGD

Einem „Machbarkeitswahn“ er- teilte auch der Präsident der Bundes- ärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe, eine Absage.

Er warnte aber gleichzeitig davor, die Vorteile der modernen Fort- pflanzungsmedizin zu übersehen.

So bewerteten kinderlose Ehepaare die Reproduktionsmedizin oft als letzte Möglichkeit, ihrem Leiden

mit Hilfe fortpflanzungsmedizinischer Technik begegnen zu können. In Deutschland sei es in den letzten Jahren zu einer enormen Auswei- tung im Bereich der Reproduktions- medizin gekommen. Neue wissen- schaftliche Entwicklungen und mo- lekularbiologische Kenntnisse hät- ten es außerdem möglich gemacht, im Rahmen der In-vitro-Fertilisation die Anlage schwerster genetischer Erkrankungen – allerdings nur sol- cher – durch die PGD schon in einer sehr frühen Phase der Entwicklung menschlichen Lebens zu erkennen.

Doch gerade diese Art der Dia- gnostik stieß auf scharfe Kritik zahl- reicher Kongressteilnehmer. „Prä- implantationsdiagnostik ist de facto Eugenik, unabhängig von den Ab- sichten oder Einstellungen derjeni- gen, die sie praktizieren“, betonte Privatdozentin Dr. phil. Kathrin Braun, Hannover. Für Dr. med. Dr.

phil. Barbara Meier, Salzburg, könn- te durch die Anwendung von PGD eine fragwürdige Entwicklung von einem Wunsch nach einem Kind zu einem „Recht“ beziehungsweise ei- ner „Pflicht“ zu einem gesunden Kind die Folge sein.

Der Theologe Prof. Dr. theol.

Ulrich Eibach, Bonn, sieht die Präim- plantationsdiagnostik sogar als mit dem Grundgesetz unvereinbar, nach dem die „Menschenwürde unantast- bar und unverlierbar jedem Augen- blick des Lebens von der Zeugung bis zum Tod zugeeignet ist“. Mit der PGD werde gegen dieses Verständnis von Menschenwürde verstoßen, „da- A-1503

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 22, 2. Juni 2000

Fortpflanzungsmedizin

Absage an jede Art eugenischer Zielsetzung

Bundesgesundheitsministerin Fischer möchte das Embryonenschutzgesetz durch ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz ablösen.

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durch, dass eine konflikthafte Konkur- renz zwischen dem Leben des Embryos und den Lebensinteressen der Frau be- ziehungsweise des Paares nicht natur- haft schon vorliegt, sondern erst durch das bewusste Handeln Dritter, der Ärz- te, hervorgerufen wird mit dem Ziel, die Embryonen bei mangelnder Qua- lität zu verwerfen“. PGD öffne die Tore zu weitergehenden Selektionen von und Manipulationen an Embryonen.

Hoppe betonte dagegen, dass ein sehr restriktiver Einsatz der Präim- plantationsdiagnostik eine deutliche Absage an jede Art von eugenischer Zielsetzung und Selektion begründe.

Da die Medizin mit dieser diagnosti- schen Möglichkeit in Grenzbereiche ärztlichen Handelns vordringe, habe die Bundesärztekammer durch ihren Wissenschaftlichen Beirat einen „Dis- kussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ vor- gelegt“ (Heft 9/2000). Darauf, dass im Zusammenhang einer Diskussion über PGD auch über den Paragraphen 218 StGB neu nachgedacht werden müsse, hatte Hoppe bereits auf dem 103. Deutschen Ärztetag in Köln hin- gewiesen. Der Frankfurter Neonato- loge Prof. Dr. med. Volker von Loewe- nich wies darauf hin, dass der mensch- liche Embryo im Glase strikten Schutz genieße, während er im Uterus nur sehr eingeschränkt geschützt sei. Beim nicht implantierten Embryo treffe der Tod ein so gut wie nicht ausdifferen- ziertes Individuum. Die Alternative zum Nichtimplantieren sei die gesetz- lich mögliche Abtreibung, bei der ein viel weiter ausdifferenziertes mensch- liches Wesen getötet würde, über des- sen Leidensfähigkeit man nichts Ge- naues wisse. Vor allem aber für die be- troffene Frau sei die Abtreibung die weitaus traumatischere Intervention.

Braun vertrat die Auffassung, dass die Schwangerschaft ein einzigar- tiger „Umstand“ sei, der mit keinem anderen gleichgestellt werden könne.

Der Embryo beziehungsweise Fötus könne nicht durch Dritte gegen den Willen der Frau geschützt werden, oh- ne die Würde der Frau zu verletzen.

Da dies bei Embryonen außerhalb des Frauenleibes nicht der Fall sei, könn- ten und müssten diese geschützt wer- den. PGD könne nicht mit Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau legitimiert werden.

Fischer wendet sich jedenfalls ge- gen eine neue Diskussion über die Ab- treibungsgesetzgebung. Die bestehen- de Regelung sei Ergebnis einer lang- wierigen und schwierigen Kompromiss- findung. Es gebe keine Veranlassung, diesen Kompromiss wieder infrage zu stellen, da die Möglichkeit der vorge- burtlichen Auswahl von Embryonen nicht mit einer tatsächlich eingetrete- nen Schwangerschaft verglichen wer-

den könne. Die Gesundheitsministerin ist der Überzeugung, dass eine Ver- knüpfung mit der strafrechtlichen Bewertung des Schwangerschaftsab- bruchs jedwede Entscheidungsfindung in Sachen Fortpflanzungsmedizin un- möglich machen werde.

Konstruktive Diskussion

Doch sollte das Embryonen- schutzgesetz überhaupt revidiert oder durch ein neues Gesetz abgelöst wer- den? Ebenso wie bei der PGD gehen auch bei dieser Frage die Meinungen auseinander. Im Bereich der Fort- pflanzungsmedizin seien Staat und Ärzteschaft gleichermaßen gefordert, sagte Hoppe. Während die Ärzte- schaft „sehr frühzeitig berufssrechtli- che Regelungen zur Fortpflanzungs- medizin erlassen hat und laufend ak- tualisiert, ist es Sache des Bundesge- setzgebers, die vor allem sozialrecht- lich erforderlichen Rahmenbedingun- gen für eine ethisch vertretbare Fort- pflanzungsmedizin zu entwickeln“.

Der Gesetzgeber wäre gut beraten,

„die medizinischen und naturwissen-

schaftlichen Fragen sowie Fragen der ärztlichen Ethik im System ärztlicher Selbstverwaltung zu belassen“.

Der CDU-Bundestagsabgeordne- te Hubert Hüppe lehnt jegliche Ände- rung des Embryonenschutzgesetzes ab.

„Über Parteigrenzen hinweg besteht Einigkeit, dass der Schutz menschli- cher Embryonen unangetastet bleiben muss.“ Doch eben dieser Schutz ist für Fischer durch das Gesetz offensichtlich nicht mehr eindeutig gewährleistet.

Denn zum Beispiel bei der PGD gehen die Rechtsauslegungen auseinander.

Während das Bundesgesundheitsmini- sterium die Präimplantationsdiagno- stik mit dem EschG für unvereinbar hält, kommt Prof. Dr. med. Hermann Hepp, München, zu dem Schluss, dass die Präimplantationsdiagnostik an ei- ner nicht mehr totipotenten Zelle mit dem Embryonenschutzgesetz verein- bar sei (dazu Heft 18/2000). Am Ende des Symposiums war sich Fischer in diesem Punkt sicher: Sie will in einem neuen Fortpflanzungsmedizingesetz die PGD verbieten. Auch der Geneh- migung einer Eizellspende stehe sie nach wie vor skeptisch gegenüber. Der möglicherweise zu regelnde Wider- spruch bei der Verwendung embryona- ler Stammzellen sei ihr erst auf dem Symposium wirklich deutlich gewor- den. Diese Problematik hatte Prof. Dr.

iur. Dr. h. c. Rüdiger Wolfrum erläutert.

Er hatte darauf aufmerksam gemacht, dass die fremdnützige Forschung an Embryonen in Deutschland weitgehen- der als in anderen Staaten verboten sei.

„Bleibt in Deutschland die Herstellung von embryonalen Stammzellen verbo- ten, wäre es dann nicht konsequent, in Deutschland auch die Anwendungen aus den entsprechenden Forschungs- arbeiten zu untersagen, um dem Vor- wurf der doppelten Moral zu entge- hen?“ fragte Wolfrum.

In vielen anderen Bereichen soll die Debatte, deren konstruktiven Be- ginn in Berlin die Ministerin begrüßte, fortgeführt werden. Deutlich wurde bei dem Symposium bereits jetzt, dass eine gesetzliche Regelung der angesproche- nen Probleme, die nach dem Willen der Gesundheitsministerin noch in dieser Legislaturperiode durchgesetzt werden soll, nicht nur den Embryonenschutz betrifft, sondern Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftliche Wertehaltung haben wird. Gisela Klinkhammer A-1504

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 22, 2. Juni 2000

Bisher keine Richtlinie

In Presseberichten zur Präim- plantationsdiagnostik ist häufig die Rede davon, die Bundesärzte- kammer befürworte mittels einer Richtlinie die PGD unter strengen Auflagen. So ist es nicht. Bisher je- denfalls. Die Bundesärztekammer hat lediglich einen Diskussionsent- wurf zur einer solchen Richtlinie vorgelegt; der wurde in Heft 9/2000 veröffentlicht. Daran schließt sich bis heute eine kontroverse Diskus- sion an. Eine Beschlussfassung der Bundesärztekammer steht aus. DÄ

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