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Wider die blanke Ohnmacht der Lehrer : was tun mit Schülern, die als nicht schulfähig gelten?

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Academic year: 2022

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ehrer klagen zunehmend über Schüler, die sie in einem bislang nicht gekannten Ausmaß in schier endlose und enervierende Konflikte verstricken, so dass der eigentliche Auftrag der Schule häufig nicht mehr zu gewährleisten ist. In erbit- tert geführten Kämpfen werden auf beiden Seiten Blessuren geschlagen, ist oft nichts als blanke Ohnmacht und daraus resultierende Wut zu spüren. Verschüttete Entwicklungs- potenziale hie, Verlust an Professio- nalität da sind markante Kennzei- chen dieses Konflikts. Es verwun- dert nicht, dass die Neigung wächst, diesen Jugendlichen schlichtweg zu attestieren, sie seien nicht schulfä- hig, und sie auszuschulen. Vor die- sem Hintergrund hat sich der Verlag Brandes & Apsel lobenswerterweise entschlossen, eine Reihe »Störer und Gestörte« herauszugeben. Denn die Fragen bleiben: Wie lässt sich diese brisante Situation entschärfen, welche Alternativen gibt es? Wel- che Kompetenzen brauchen Lehrer, welche methodischen Interventio- nen sind angezeigt, um einen bes- seren Umgang mit Konflikten wie Sachthemen zu erreichen?

Im ersten Band dieser Reihe le- gen Thomas von Freyberg und An- gelika Wolff die Ergebnisse eines in- terdisziplinären Forschungsprojekts von Psychoanalytikern und Sozio- logen vor, in dessen Verlauf vier

»Fälle« so genannter nicht beschul- barer Jugendlicher gemeinsam betrachtet, diagnostiziert und disku- tiert wurden. Mitarbeiter des Insti- tuts für Sozialforschung und des In- stituts für analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie in Frankfurt haben sich mit ihrer je eigenen Perspektive sehr detail- liert und differenziert der Situation betroffener Schüler angenähert.

Beginnend mit der lebensge- schichtlichen Anamnese, über die kritische Auseinandersetzung mit den institutionellen Schauplätzen von Schule – und in der logischen Folge des störenden Verhaltens mit Einrichtungen der Jugendhilfe – bis hin zur Darstellung wie Reflexion der persönlichen Begegnung mit diesen Jugendlichen und schließlich der interdisziplinären Falldiskussion

werden erschütternde Geschichten und Schicksale offenbar. Der Leser erhält einen sehr dichten Eindruck belasteter oder gar gescheiterter So- zialisationserfahrungen in der Her- kunftsfamilie. Wie mit einem Wie- derholungszwang kehren diese un- gelösten Probleme in den Schulall- tag zurück und werden vor allem in den Beziehungen zu den Lehrern szenisch reproduziert. Die Pädago- gen realisieren nicht, dass – was sich zunächst paradox ausnimmt –

»Fördern und Fordern« für die schwierigen Jugendlichen eine existenzielle Bedrohung darstellt, auf die sie mit der ihnen möglichen Art reagieren. Aus Angst und Miss- trauen, elementar zu Schaden zu kommen, arbeiten sie daran, die Beziehung zu den zunächst durch- aus gutwilligen Erwachsenen zu zerstören. Wird dieses Manöver nicht verstanden, fühlen sich die Jugendlichen persönlich zurückge- wiesen. Von da an greift das rigide Regelwerk der Institution mit im- mer härteren Sanktionen und am Ende mit dem Schulverweis.

Das eigentlich Ernüchternde ist, dass die professionell Tätigen kaum ausgebildet sind, diese Zusammen- hänge wahrzunehmen, und sich auch nicht darum bemühen – etwa in Form von Fallkonferenzen –, diese Lücke zu schließen. Der Band verdeutlicht, dass es Lehrern ohne dieses Wissen nur schwer möglich ist, den Beziehungsfallen zu entge- hen, in die sie immer wieder – und das mehr unbewusst als bewusst – hineingezogen werden. Und die Autoren machen klar, dass dieses Wissen zwingend mit der Bereit- schaft und Fähigkeit, sich in die Ein- stellungen der Schüler einzufühlen, verknüpft ist. Diese Empathie er- möglicht es den Pädagogen dann auch, die eigene affektive Verstri- ckung zu erkennen. Erst dann scheint es realistisch, dass die Be- ziehungen sich positiv entwickeln können und nicht – wie bislang – häufig misslingen. So kann Schule wieder Erfolg haben.

Durchgängig wird in den Texten eine »strukturelle Verantwortungs- losigkeit« in Schule und Jugendhil- fe konstatiert: Individuelle und in-

stitutionelle Störung gehen eine unsägliche Mesalliance ein – eine Formulierung, die selbstredend den Lehrern, die im Berufsalltag erheb- lichen Kränkungen ausgesetzt sind, nicht gefällt und zunächst eher ihre Abwehr noch weiter verstärkt. Be- dingt durch meist unzureichend er- lebte häusliche Beziehungserfah-

rungen mangelt es den Schülern an reifen Persönlichkeitsstrukturen, die es ihnen erlauben, sich sogleich auf die geforderten Sachthemen ein- zulassen. Als Reaktion baut Schule schnell auf Strafe und Selektion;

und Jugendhilfe gerät vor dem Hin- tergrund einer schwachen Position gegenüber den nicht per se koope- rationswilligen Eltern in Gefahr, die festgestellten Störungspotenziale zur Autonomie zu verklären. Diese fatal anmutende Wechselwirkung wird im Buch klar analysiert und deutlich benannt, das war dringend notwendig. Das Buch klagt nicht an, im Gegenteil – es enthält wichti- ge Hinweise, wie man bei richtiger Einschätzung dieses leidigen Zusam- menspiels zu konstruktiven Lösun- gen kommen kann, die für alle Be- teiligten auch und vor allem emo- tionale Entlastung bereit halten.

G u t e B ü c h e r

65 F o r s c h u n g F r a n k f u r t 3 / 2 0 0 5

Wider die blanke Ohnmacht der Lehrer

Was tun mit Schülern, die als nicht schulfähig gelten?

Thomas von Frey- berg, Angelika Wolff (Hrsg.) Störer und Ge- störte – Konflikt- geschichten nicht beschulbarer Jugendlicher Band 1, Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt 2005, ISBN

3-86099-813-7, 317 Seiten, 24,90 Euro.

Der Autor

Prof. Dr. Manfred Gerspachlehrt am Fachbereich Sozialpädagogik der Fach- hochschule Darmstadt. Seine Schwer- punkte sind Arbeit mit verhaltensauf- fälligen Kindern, Heilpädagogik und Psychoanalytische Pädagogik. Zu diesen Themen hat er zwei Bücher veröffent- licht »Wohin mit den Störern?« (1998),

»Kinder mit gestörter Aufmerksamkeit«

(zusammen mit Hartmut Amft und Die- ter Mattner 2004).

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