Psychoanalytische Familientherapie
Zeitschrift für Paar-, Familien- und Sozialtherapie .R s *AHRGANG s s (EFT )
)33. Psychosozial-Verlag
Zeitschrift »Psychoanalytische
Familientherapie« im Psychosozial-Verlag
Herausgeber: Bundesverband Psychoanalytische Paar- und Familientherapie (BvPPF), www.bvppf.de
Redaktion: Trin Haland-Wirth, Joseph Kleinschnittger, Inken Seifert-Karb, Prof. Dr. Hans-Jürgen Wirth; Walltorstraße 10, 35390 Gießen,
Telefon 0641/9699780, Fax 0641/96997819, E-Mail: hjw@psychosozial-verlag.de Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Burkhard Brosig, Dr. Miriam Haagen, Prof. Dr. Günter Reich, Prof. Dr. Georg Romer, Michael Stasch, Hilke Volker Verlag: Psychosozial-Verlag, Walltorstraße 10, 35390 Gießen,
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Umschlagabbildung: Ernst Ludwig Kirchner: »The Couple; Self-Portrait with Erna«, 1934
Druck: CPI books GmbH, Leck Satz: Andrea Deines, Berlin Erscheinungsweise: halbjährlich
Bezugsgebühren: Für das Jahresabonnement € 25,– (inkl. MwSt.) zuzüglich Versand- kosten. Studentenabonnement 25% Rabatt zuzüglich Versandkosten. Lieferungen ins Ausland zuzüglich Mehrporto. Das Abonnement verlängert sich jeweils um ein Jahr, sofern nicht bis zum 15. November eine Kündigung erfolgt. Preis des Einzelheftes
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Die Deutsche Bibliothek – CIP Einheitsaufnahme: Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.
Datenbanken: Die Zeitschrift Psychoanalytische Familientherapie wird regel mäßig in der Internationalen Bibliographie der geistes- und sozialwissenschaftlichen Zeitschriftenliteratur (IBZ – De Gruyter Saur) und in der Publikationsdatenbank PSYNDEX des Leibniz-Zentrums für Psychologische Information und Dokumen- tation (ZPID) erfasst.
ISSN 1616-8836
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Psychoanalytische Familientherapie Nr. 28 15. Jg. (2014) Heft I
Inhalt
Miriam Haagen
»Zu der Einsamkeit ohne Vater kam noch die Einsamkeit
in der Welt« 5
Trauer bei Kindern und Jugendlichen um den Tod eines Elternteils
Burkhard Brosig
Homosexuelle Elternschaft 27
Nachdenken über eine familiäre Lebensform Birgitt Kreuter-Hafer
Bis ins dritte und vierte Glied 39
Eine transgenerationale Perspektive in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
Aus dem Archiv
der Psychoanalytischen Familientherapie Thea Bauriedl
Die Triangularität menschlicher Beziehungen und der Fort -
schrittsglaube in der psychoanalytischen Entwicklungstheorie 59 Inken Seifert-Karb
Triangularität, Transformation und Trianguläres Bewusstsein 79 Überlegungen zur Aktualität von Thea Bauriedls »Triangularität
menschlicher Beziehungen und der Fortschrittsglaube der psychoanalytischen Entwicklungstheorie«
Rezensionen 99
Inhalt
Nachrichten aus dem Bundesverband 107
Autorinnen und Autoren 109
Veranstaltungshinweise 113
Antrag auf Mitgliedschaft im BvPPF 116
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Psychoanalytische Familientherapie Nr. 28 15. Jg. (2014) Heft I
»Zu der Einsamkeit ohne Vater
kam noch die Einsamkeit in der Welt«
Trauer bei Kindern und Jugendlichen um den Tod eines Elternteils
1Miriam Haagen
Zusammenfassung: Kinder von sterbenden oder verstorbenen Eltern haben ein erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens psychisch zu erkran- ken. Vorstellungen, dass ein Kontakt mit Sterben und Tod der seelischen Entwicklung von Kindern abträglich sei und dass Kinder davor zu schüt- zen seien, verhindert nicht selten eine offene Kommunikation darüber insbesondere mit jüngeren Kindern. Häufig fragen Eltern, wie sie ihren Kindern den bevorstehenden Tod eines nahen Angehörigen vermitteln könnten, oder ein unverarbeiteter Verlust wird Anlass für eine Psychothe- rapie oft Jahre später. Immer wieder wird Kindern ein letzter Besuch bei einem Sterbenden oder Verstorbenen mit dem Hinweis auf eine mögliche Traumatisierung verwehrt. Anhand von Beispielen wird ein Einblick in die psychodynamischen Prozesse bei chronischen und lebensbedrohlichen körperlichen Erkrankungen in Familien gegeben.
Stichworte: sterbende Eltern, Trauer bei Kindern und Jugendlichen, lebensbedrohliche Erkrankungen in der Familie
Abstract: Children of dying parents are at an increased risk of mental health problems; the younger the children the more helpless most parents feel in communicating the diagnosis and it’s consequences to their chil- dren. Parents ask how to explain the forthcoming death of a relative to the children or the present a symptomatic child who experienced a serious
1 Überarbeitete Version eines Vortrags, gehalten am 14. September 2012 am psychoanalytischen Institut Metzer Straße Bremen anlässlich der Ausstellung Zerbrechlich von Isabel Valecka. Ich danke Frau Valecka und Frau Kyek sowie den anonymen Gutachtern der PaFT für wertvolle Anregungen. Dem Hogrefe Verlag danke ich für die Möglichkeit, einige Abschnitte aus dem Buch Sterben und Tod im Familienleben zu zitieren (Haagen & Möller, 2013).
Miriam Haagen
loss many years ago to the psychotherapist. Many times parents refuse a last visit at the deathbed because of fear to traumatise the child. In many cases, counselling with regard to parenting, children’s problems and fam- ily interaction may be helpful. Clinicians should be aware that children’s reaction to their parent’s illness does depend on their developmental stage and may include somatic complaints of psychogenic origin.
Keywords: dying parents, children and adolescents in mourning, life- threatening illness in the family
Gesunde Kinder sterbenskranker Mütter oder Väter fanden bisher wenig Beachtung in Forschung und Klinik. Eltern und medizinisches Personal wissen wenig über die Bedürfnisse dieser Kinder und fühlen sich im Hin- blick auf eine kindgerechte krankheitsvermittelnde Kommunikation ge- genüber den Kindern oft hilflos und überfordert. Das kann so weit führen, dass behandelnde Ärzte und Psychologen gelegentlich nicht wissen, ob ihre Patienten Kinder haben. Sie vergessen es oder wagen es nicht, danach zu fragen. Erst wenn die Kinder mit dramatischen Symptomen auf sich aufmerksam machen oder beispielsweise auf die Intensivstation wollen, werden Therapeuten »notfallmäßig« dazu gerufen. Im ambulanten Bereich werden Kinder häufig erst viele Jahre nach dem Tod eines Elternteils in kindertherapeutischen Praxen vorgestellt.
Wie bin ich zu diesem Thema gekommen? Fünf Jahre lang habe ich an der kinder- und jugendpsychiatrischen Universitätsklinik in Hamburg eine Spezialambulanz für Kinder schwer körperlich erkrankter Eltern maß- geblich mit aufgebaut und entwi- ckelt. Unser Ziel war, die Medizin dafür zu sensibilisieren, dass Kinder von den Auswirkungen mitbetroffen sind, wenn ein Elternteil erkrankt ist oder stirbt. Es ist seit langem be- kannt, dass es sich bei diesen Kin- dern um eine Risikopopulation für die Entwicklung späterer seelischer Störungen handelt, es existieren aber bisher kaum präventive Kon- zepte. Wir wollten erreichen, dass psychische Entwicklungskrisen der Kinder früher erkannt werden und
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Psychoanalytische Familientherapie Nr. 28 15. Jg. (2014) Heft I
»Zu der Einsamkeit ohne Vater kam noch die Einsamkeit in der Welt«
gegebenenfalls gezielte Hilfe anbieten. Zuallererst führte eine Ausein- andersetzung und Reflexion unserer eigenen Erfahrungen, Annahmen, Ängste und Schwierigkeiten im Kontakt mit Familien, in denen ein Mitglied sterbenskrank oder verstorben war, zu einer vertieften Aus- einandersetzung mit Trauerprozessen bei Erwachsenen und Kindern sowie verschieden klinischen und theoretischen Konzepten. Wir waren überrascht, dass etwa ein Drittel der Familien, die unsere Beratung auf- suchten, ein sterbenskrankes oder verstorbenes Familienmitglied hatten.
Die Familien hatten bisher im Gesundheitssystem keine Hilfen gefunden und erwarteten diese nun von unserer neu gegründeten Beratungsstelle.
Die Lebenssituationen, in denen diese Familien standen und ihre Fragen an uns richteten, berührten und verunsicherten uns sehr und lösten eine intensive Beschäftigung mit medizinischen und ethischen Fragen aus. So fragte beispielsweise ein Vater, der seinen vierjährigen Sohn mit auf die Intensivstation zu dessen sterbender Mutter nehmen wollte, obwohl die Intensivärzte davon abrieten, um unsere Einschätzung.
Sein kleiner Sohn habe den Wunsch geäußert, der Mama noch ein Abschiedsküsschen geben zu wollen, nachdem ihm erklärt worden sei, dass seine Mutter sterben würde. Die Ärzte reagierten zunächst zurückhaltend und äußerten die berechtigte Sorge, der Junge könnte durch den Anblick seiner Mutter traumatisiert werden. Weil der Junge bei seinem Vater aber auf seinem Wunsch bestand, wendeten die Ärzte sich an unsere Beratungsstelle. Zunächst wurden in einem Einzelgespräch mit dem Vater allein die Hintergründe der Erkran- kung seiner Frau, der Entwicklung ihres gemeinsamen Sohnes und der Familie besprochen. Dabei berichtet der Vater auch von eigenen Kindheitserlebnissen mit dem Tod der Großmutter, bei denen er die positive Erfahrung machen konnte, an Familienritualen teilnehmen zu können. Verschiedene Möglichkeiten einer Abschiedssituation (auf der Intensivstation noch an die Geräte angeschlossen oder nach Beenden der Beatmung, zuhause oder in der Kapelle) wurden dem Vater vor- gestellt und mit ihm erörtert. Im Gespräch wird der Vater ermutigt, seinem inneren Gefühl zu folgen, welche Form des Abschieds für seinen Sohn die beste sei. Er entschied sich, seinen Sohn mit auf die Intensivstation zu nehmen und ihm dort die Möglichkeit zu geben, sich von seiner Mutter zu verabschieden. In einem zweiten Kontakt wurde dieser Abschied vorbereitet. Es kamen der Vater, der Sohn und die Großmutter mütterlicherseits. Der Vater erklärte seinem Sohn auch anhand eigener Zeichnungen, was ihn erwarten würde.
Miriam Haagen
Er zeichnete das Intensivbett, die Mama und die Apparate, an die sie angeschlossen war, wie er es mit der Therapeutin besprochen hatte. Anschließend führte er ihn an das Bett seiner Mutter, die Großmutter und die Therapeutin hielten sich im Hintergrund. Der Vater erklärte seinem kleinen Sohn nochmals die Situation während er engen Körperkontakt mit ihm hielt und der Junge streichelte seine Mutter zum Abschied. Das Personal der Intensivstation hatte sich in andere Räume zurückgezogen, den Besuch aber vorbereitet, indem z.B. das Intensivbett, in dem die Mutter lag, so tief wie möglich gestellt worden war. Anschließend beschrieb die Therapeutin den Mitarbeitern ausführlich die Abschiedssituation. Sie waren erleichtert, dass sie diesen Abschied nicht selbst begleiten mussten (aus: Romer
& Haagen, 2007).
Ein anderer Vater, dessen Frau nach einer Operation durch unerwar- tete Komplikationen für hirntot erklärt wurde, erkundigte sich, ob er und seine 15-jährige Tochter bei der Beendigung der Beatmung dabei sein müssten. Andere Eltern meldeten sich unmittelbar nach der Diag- nose stellung einer Krebserkrankung. Die Frage der Kinder, ob der Erkrankte versterben könne, verunsicherte sie. In Gruppengesprächen mit krebskranken jungen Müttern über ihre Kinder wurden mir immer wieder diese ihre Mütter verunsichernden kindlichen Fragen mitgeteilt.
Kasten 1: Fragen von Kindern zu körperlichen Veränderungen (aus Haagen & Möller, 2011)
± Mama, die Haare wachsen doch auch nach, warum wächst die Brust nicht nach? (5 Jahre)
± Wie soll ein Baby denn aus der Brust trinken? (8 Jahre)
± Zeig doch mal der Lehrerin, wie du ohne Haare aussiehst!
(9 Jahre)
± Du siehst Scheiße aus! (6 Jahre)
± Mama, du siehst so hässlich aus, du sollst mich nicht vom Kiga abholen. (4 Jahre)
± Wo ist die Brust jetzt? (3 Jahre)
± Du hast doch Krebs, nicht? Kann ich den mal sehen? (4 Jahre)