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Ihre Majestät, Christina von Schweden (2/5)

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SWR2 Musikstunde

Ihre Majestät, Christina von Schweden (2/5)

Folge 2: Krone zu verschenken Von Sylvia Roth

Sendung vom: 11. Januar 2022 (Erstsendung 8. Januar 2019) Redaktion: Dr. Ulla Zierau

Produktion: SWR 2019

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2 Diese Woche rund um Christina von Schweden – einen wunderschönen Guten Morgen wünscht Sylvia Roth.

Der schwedische Reichstag ist nervös. Nicht nur wegen der hohen Staatsverschuldung, die Christinas üppige Hofhaltung mit sich bringt. Auch nicht nur wegen der vielen Katholiken, die an Schwedens Hof herumspazieren. Nein, man ist zunehmend beunruhigt, weil Ihre Majestät keinerlei Anstalten zeigt, sich zu verheiraten. Sie ist nun volljährig, interessiert sich aber offenkundig wenig für die Zukunft der Wasa-Dynastie. Dabei liegt die Lösung ja eigentlich schon klar auf der Hand, schließlich schwärmt Christina seit Kinderzeiten für ihren vier Jahre älteren Cousin, den Pfalzgrafen Karl Gustav. Eine Ehe mit ihm wäre ideal zur Sicherung des schwedischen Throns – oder etwa nicht?

M 01: Guillaume Dumanoir:

Suite du ballet de Stockholm Intrada (0'45)

I: Le Concert des Nations, ML: Jordi Savall

CD: Auvidis, 3298490099087, ES9908, LC 07496

Tatsächlich tauscht Christina als Teenager zärtliche Briefe mit ihrem Cousin – doch kaum ist sie volljährig, kaum also wird die Geschichte akut, lacht sie nur noch über Karl Gustav: „Das, was ich in der Jugend versprochen, ist aus jugendlichem Unverstand geschehen“, lässt sie den Cousin wissen. Und der steht nun da, mit dem Korb im Arm und grübelt, warum der Wind nun plötzlich so anders weht. Passt es Christina vielleicht nicht, dass er von seinen ersten Kriegszügen verfettet und verroht zurückkommt, im Schlepptau ein uneheliches Kind ...?

Wie dem auch sei, es muss ja nicht Karl Gustav sein, auch andere Mütter haben Söhne – vom dänischen Königshof etwa gehen heftig werbende Signale aus. Doch auf das Drängen des Reichsrats antwortet Christina, sie wolle selbst „Zeit, Stunde und Gelegenheit ihrer Verheiratung“ bestimmen. Zwei weitere Jahre verstreichen ergebnislos. Als Christina 23 Lenze zählt, klopft der Reichsrat nachdrücklicher an – und Christina reagiert ungehalten:

„Die Ehe bringt Abhängigkeiten mit sich, die ich nicht leiden kann,“ lässt sie wissen. Der Ehestand sei eine „Sklaverey“, niemals wolle sie die „Ackerfurche eines Mannes Pflug sein“

und schon allein die Vorstellung, schwanger zu werden, ekle sie an.

So viel weibliche Selbstbestimmtheit überfordert die Zeitgenossen – irgendetwas kann nicht stimmen mit dieser Frau! Ist sie in Wahrheit vielleicht ein Mann? „Trotz ihres Geschlechts ist nichts Weibliches an ihr“, berichtet ein Augenzeuge, der Jesuit Karl Alexander Manderscheidt. „Ihre Stimme ist die eines Mannes und ebenso ihre Art zu sprechen, ihre Bewegungen und Gesten.“ Sie reite so schnell, dass niemand ihr folgen könne, und außerdem kämme sie sich ihr Haar „nur einmal in der Woche, zu manchen Zeiten sogar nicht öfter als alle vierzehn Tage.“

Ihr Leben lang wird Christina von solchen Phantasien über ihre Identität verfolgt. Gleich nach ihrem Tod wird man sich auf ihren Leichnam stürzen und ihn obduzieren – mit dem Ergebnis, dass sie natürlich eine Frau war. Trotzdem stellt noch der schwedische Schriftsteller August Strindberg Christina in einem seiner Dramen als Zwitterwesen dar. Man konnte sich ihr Verhalten einfach nicht erklären. Warum hatte sie eine solche Abneigung gegen die Ehe?

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3 Warum wollte sie keinen „fromm Gemahl“, der doch schon in den höfischen Hochzeitsliedern ihrer Eltern so schön besungen wurde?

M 02: Bartholomeus Rothmann:

Ein fromm Gemahl (2'25)

I: Chamber Choir from the School of Music at the Göteborg University, ML: Hans Davidsson CD: Gustavus Rex & Cristina Regina, Musica Sveciae, MSCD 305

Ein Hochzeitslied von Bartholomeus Rothmann, das möglicherweise bei der Vermählung von Christinas Eltern aufgeführt wurde, mit tänzerischem Rhythmus und klarer Botschaft: „Ein fromm Gemahl ist lobens werth, ein trewer Schatz auff Erden“ heißt es im Text aus dem Buch Salomos. Wir hörten den Kammerchor der Universität Göteborg unter der Leitung von Hans Davidsson.

Nur zu deutlich registriert man am Hof, dass die junge Königin nicht nur heiratsunwillig ist, sondern auch noch offen mit der schönen Hofdame Ebba Sparre flirtet. Christina nennt Ebba zärtlich Belle und stellt sie dem englischen Botschafter Whitelocke unverblümt als ihre

„Bettgenossin“ vor. Sicher, in Zeiten kalter schwedischer Winter war es nicht ungewöhnlich, dass man zu zweit unter der Decke lag. Doch auch als Christina ihre Freundin zur Beruhigung der Gemüter mit einem Mann verheiratet, nehmen die Spekulationen kein Ende – weit über die Grenzen Schwedens hinaus zerbricht man sich die Köpfe. Am französischen Hof ist man sicher, dass Christina unglücklich in einen ihrer Höflinge verliebt sei, in Graf Magnus de la Gardie – Mademoiselle de Scudéry schreibt sogar einen Roman darüber. Man überlegt, ob es mit der Ehe nicht klappe, weil Christina zu hässlich sei. Der französische Botschafter Chanut berichtet aus Stockholm nach Paris: „Hätten Sie die schwedische Königin einen einzigen Tag lang gesehen, würden Sie niemals glauben, dass ein Mann – so großzügig er auch wäre – es wagen würde, in sie verliebt zu sein.“

Böse Worte. Schützt Christina sich mit ihrem Ehe-Boykott also schlicht und ergreifend vor möglichen Verletzungen?

M 03: Thomas Baltzar:

Allemande in g-Moll (2'10) I: Gabriele Steinfeld (Violine)

CD: Klingende Hamburgensien, Genuin classics, GEN 17462, LC 12029

Eine Allemande von Thomas Baltzar, dem Kammerviolonisten Christinas von Schweden.

Gabriele Steinfeld spielte auf einer Barockvioline aus dem norddeutschen Raum.

Um den Reichstag zu beruhigen, bestimmt Christina ihren als Ehemann verschmähten Cousin wenigstens zum Thronerben. Sollte ihr etwas zustoßen, gebe es in ihm einen Nachfolger – das müsse erst einmal reichen. Gleichzeitig betont sie unaufhörlich, dass Frauen auf dem Thron sowieso nichts zu suchen hätten – sie seien vollkommen „ungeeignet für das Herrscheramt“ und sie selbst bilde „keine Ausnahme von dieser Regel“.

Understatement? Koketterie? Nein: Vorausschauende Taktik. Denn schon bald lässt Christina eine Bombe platzen: Sie eröffnet dem versammelten Reichsrat, dass sie die Krone niederlegen und die Herrschaft an Karl Gustav übergeben wolle. Im Reichsrat ist man schockiert. Kanzler Oxenstierna versucht sie umzustimmen, erinnert sie an die Pflicht

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4 gegenüber ihrem Volk und lockt mit zusätzlichen Summen für die königliche Hofhaltung.

Hochemotionale Szenen spielen sich ab, ein Reichsrat bittet mit Tränen in den Augen:

„Gnädigste Königin, geht nicht von uns. Können Eure Majestät es denn irgendwo besser finden als Sie es hier haben?“

Christina aber lässt sich nicht erweichen. Ihr Cousin, so beharrt sie, tauge weit besser zur Krone. Zwar wird sich die Diskussion ganze drei Jahre hinziehen, doch am Ende setzt Christina sich durch: Im Juni 1654 legt sie in einem feierlichen Zeremoniell die Krone nieder – sie muss sie sich selbst vom Kopf nehmen, weil keiner ihrer Untertanen es wagen will. Ihr italienischer Hofkomponist Vincenzo Albrici schreibt eigens für die Abdankung ein besonderes Werk: Das erste „Vater unser“ der Musikgeschichte in schwedischer Sprache, Fader var.

M 04: Vincenzo Albrici:

Fader var (4'45)

I: Susanne Ryden (Gesang), Corona Artis Ensemble, ML: Hans Davidsson CD: From Cloister to Cluster, Swedish Music Anthology, MSCD 910

Das erste „Vater unser“ in schwedischer Sprache, komponiert von einem italienischen Komponisten: Vincenzo Albricis „Fader var“, interpretiert von Susanne Ryden und dem Corona Artis Ensemble.

Vier Stunden nachdem Christina die Krone niedergelegt hat, wird ihr Nachfolger zum König von Schweden gekürt. Christina geht während der Zeremonie spazieren. Und die Historiker rätseln bis heute: Was genau war der Grund für ihre Abdankung? Wuchsen ihr die Staatsschulden über den Kopf? Hatte sie genug von den Kämpfen mit Oxenstierna und den Bevormundungen durch die Herren des Reichstags? Oder sehnte sie sich schlicht und ergreifend nach einem anderen Leben? Einem unbeschwerteren Leben? Viele Jahre später wird sie in ihren Aphorismen schreiben: „Niemand gehorchen zu müssen, ist ein größeres Glück, als der ganzen Erde zu gebieten.“

Mögen also durchaus sehr persönliche, emotionale Motive eine Rolle spielen, so betreibt Christina ihre Abdankung dennoch mit rationalstem Kalkül: Im Abdankungsvertrag sichert sie sich eine lebenslängliche Rente von 200.000 Reichstalern pro Jahr, außerdem die Überschreibung der Inseln Gotland, Öland und Ösel, sowie zweier Städte in Schweden und Pommern. Zusätzlich lässt sie bereits vor der Niederlegung der Krone jede Menge Kostbarkeiten aus dem Stockholmer Palast auf ein Schiff verladen und nach Frankreich verschicken: Ihre umfassende Bibliothek, ihre Kunstsammlung, Gobelins, Möbel und Handschriften – all das, was man im barbarischen Schweden ja sowieso nicht brauchen könne ...

Wenige Tage nach ihrer Abdankung macht sie sich denn auch vom Acker – nicht ohne einen letzten, verzweifelten Heiratsantrag des neuen Königs von Schweden abzuschmettern. Sie nimmt nicht die Flotte von zwölf stattlichen Kriegsschiffen, die Karl Gustav großzügig bereit stellt, sie reist auch nicht zur Erholung ins belgische Spa, wie angekündigt. Nein. Als Mann verkleidet und unter dem Pseudonym eines „Grafen Dohna“ reitet sie auf ihrem Pferd in Richtung des kriegszerstörten Deutschland. Ihre erste Station ist Hamburg.

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5 M 05a/b: Johann Schop:

Courandt à 5 (1'10)

I: Hamburger Ratsmusik, ML: Simone Eckert CD: Thorofon, Bella Musica, CTH 2464, LC 01958

Ohne die Musik von Ratsmusicus Johann Schop ist Hamburg Mitte des 17. Jahrhunderts nicht denkbar: Das waren Tänze aus Schops Feder, gespielt von der Hamburger Ratsmusik unter der Leitung von Simone Eckert.

In Hamburg regelt Christina Geldgeschäfte bei ihrem Bankier Diego Teixeira. Er ist einer der vielen sephardischen Juden, die zu dieser Zeit an Alster und Elbe leben. Die „Amazone aus dem Norden“ sorgt für Aufruhr unter den hanseatischen Gemütern: Nach einer Einladung außerhalb der Stadtmauern kehrt sie nachts erst nach der Torsperre zurück und lässt den Bürgermeister aus dem Bett trommeln, damit er ihr Einlass gewähre. Im Gottesdienst in der St. Petri-Kirche, einer der schönsten protestantischen Kirchen Hamburgs, hält der Pastor eine eigens auf Christina gemünzte Predigt, sie aber blättert unterdessen in ganz und gar unchristlichen Gedichten von Vergil. Und als Kantor Thomas Selle sein für sie komponiertes

„Salve Regina Sueciae“ anstimmen will, verlässt sie den Gottesdienst. Kirchenmusik ist nicht so ihres – dabei hätte sie Selles weltliche Lieder ganz bestimmt gemocht.

M 06: Thomas Selle:

Sag mir doch liebes Echo mein (1'50)

I: Jochen Wilfrieds (Gesang), Stephen Stubbs (Laute) NDR Eigenproduktion, 1.6.1988, M817780011

In der SWR2 Musikstunde sang Jochen Wilfrieds ein Lied von Thomas Selle, Hamburger Kantor und Musikdirektor zurzeit von Christinas Besuch an Alster und Elbe.

Nach wenigen Wochen in Hamburg zieht Christina weiter nach Antwerpen, wo viele berühmte Künstler leben, allen voran Peter Paul Rubens, den sie zutiefst bewundert. Auch als abgedankte Königin erweitert sie ihre Gemäldesammlung – wo sie kann, kauft sie, getreu ihres Mottos: „Gesundheit und Geld hat man darum, dass man es verwenden soll.“ Kein Wunder, dass sie schon in Antwerpen sämtliche Reserven aus ihrer Reisekasse verschleudert hat und auf Pump leben muss ...

An ihre Freundin Belle, die sie schmerzlich vermisst, schreibt sie: „Ich esse gut, schlafe gut, lese ein wenig, plaudere, lache, sehe mir französische, italienische oder spanische Theaterstücke an und lasse die Zeit in angenehmster Weise verstreichen. Mit einem Wort – ich höre keine Predigten mehr (...). Denn der Mensch soll zufrieden leben, soll essen, trinken und singen.“ Sie sei, so fügt sie noch an, „Christina im Glück“.

Unterdessen zerreißt man sich in Europa das Maul. Man hat Christinas Verhalten nun einige Wochen lang beobachtet und ist sich sicher, dass ihre Abdankung einzig und allein aus egoistischen Gründen stattgefunden hat: „In was für einer Zeit leben wir, da die Königinnen ihr Zepter ablegen und als Privatiers leben möchten, für sich selbst und für die Musen,“

empört sich sogar einer von Christinas eigenen Leuten, ihr ehemaliger Hofbibliothekar, der niederländische Gelehrte Isaac Vossius. Christina schert sich nicht und lebt eben für sich selbst und für die Musen. Ganz sicher hat sie in Antwerpen auch die schönen

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6 Cembaloklänge der Ruckers-Familie kennen gelernt, die die besten Tasteninstrumente der Zeit baute. Schon der Lehrer von Christinas Hofkomponist Andreas Düben, Jan Pietersoon Sweelinck, hatte bei Ruckers ein Cembalo gekauft, das man bis heute im Amsterdamer Rijksmuseum besichtigen kann.

M 07: Jan Pieterson Sweelinck:

More Palatino (3'30) I: Marco Vitale (Cembalo)

CD: Marco Vitale, Ruckers 1604, Ayros, 5902768283013, LC 78648

Gespielt auf einem Antwerpener Ruckers-Cembalo aus dem Jahre 1604: Eine Komposition von Jan Pieterson Sweelinck, interpretiert von Marco Vitale.

In Brüssel, der nächsten Station, ist Christina Gast bei Erzherzog Leopold Wilhelm, dem habsburgischen Statthalter der Niederlande. Ein umtriebiger Mäzen: Seine Kunstsammlung stellt viele andere in den Schatten, seine Akademien sind berühmt, und außerdem besitzt er eine hervorragende Hofkapelle – geleitet vom römischen Komponisten Gioseffo Zamponi.

Zamponi hat bereits mit seinem musikalischen Drama „Ulisse all’isola di Circe“ für Aufsehen gesorgt: Die erste Opernaufführung in den Habsburgischen Niederlanden überhaupt, anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten des spanischen Königs Philipp IV. Eine aufwendige Bühnendekoration, zahlreiche Szenenwechsel, verblüffende Maschinentechnik – eine kleine Sensation. Und als Christina nun vier Jahre nach dem großen Ereignis in Brüssel auftaucht, will der Erzherzog sich nicht lumpen lassen: In aller Eile baut man das Bühnenbild wieder auf, samt Maschinen, Wolken, Flugvorrichtungen – all dem eben, was es für eine Zauberoper rund um Odysseus und die magische Circe so braucht ...

M 08a/b: Gioseffo Zamponi:

Ulisse all’isola di Circe

Ulisse: Il mondo non ha più fieri terrori (3'30) (1'40, evtl. Sprung auf Nachspiel 0'20) (2'0) Mercurio: Nova gioia (4'45) (Rezitativ ab 1'05)

I: Furio Zanasi (Ulisse), Zachary Wilder (Mercurio), Capella Mediterranea, ML: Leonardo García Alarcón

CD: Ricercar, 5400439003422, LC 08851

Nichts Schrecklicheres als das Meer gibt es auf der Welt – findet der schiffbrüchige Ulisse, gerade am Strand der Insel von Circe gelandet. Aber Götterbote Merkur weiß Rat und ermutigt Ulisse zu neuer Freude. Das waren Furio Zanasi als Ulisse und Zachary Wilder als Mercurio in einer Aufnahme mit der Capella Mediterranea unter der Leitung von Leonardo García Alarcón.

Christina erlebt mit Zamponis „Ulisse all’isola di Circe“ vermutlich die erste vollständige Opernaufführung ihres Lebens. Ein Werk im venezianischen Opernstil, lebendig nicht nur durch buffoneske Verkleidungs- und Verwirrszenen, sondern auch im Gesang und der musikalischen Ausgestaltung.

„Königin Christine von Schweden, die sich immer noch hier im Palast aufhält und mit allen möglichen Ehren bedient und behandelt wird, bezeugte große Achtung und Neugierde für die

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7 seltene, großartige gesungene Komödie,“ berichtet die Presse. Ja, Christina ist so begeistert, dass sie die Oper ein zweites Mal sehen will.

Also greift Leopold noch einmal in die Tasche ...

M 09: Gioseffo Zamponi:

Ulisse all’isola di Circe

Schlusschor: Cosi saggia e cosi forte (1'45)

I: Capella Mediterranea, Choeur de Chambre de Namure, ML: Leonardo Garcia Alarcon CD: Ricercar, 5400439003422, LC 08851

Der Schlusschor aus Zamponis „Ulisse all’isola di Circe“, in einer Aufnahme unter der Leitung von Leonardo García Alarcón.

Aber natürlich ist Christina nicht nur zum Musikhören nach Brüssel gekommen. Dass sie den katholischen Boden der flämischen Herrscher betritt, muss etwas anderes zu bedeuten haben. Eigentlich ahnen alle, was – doch keiner wagt es, den Gedanken zu Ende zu denken.

Ist auch gar nicht nötig, denn das macht Christina schon selbst: Am Weihnachtstag des Jahres 1654 konvertiert sie, die Tochter des protestantischen Löwen Gustav Adolf, in Brüssel zum katholischen Glauben.

Auch wenn es in aller Heimlichkeit passiert, sickert die Nachricht in Windeseile durch die Lande. Ein Skandal! Schließlich sind die Wunden des verheerenden Religionskriegs noch längst nicht verheilt. Was für ein Affront! Warum tut sie das? War ihr Lehrer und Erzieher, Johann Matthiae, zu tolerant? Hat sie sich zu viel mit der freigeistigen Philosophie des René Descartes auseinandergesetzt? Haben die katholischen Musiker an ihrem Hof sie indoktriniert? Geht es ihr überhaupt um Religion? Oder um eine weitere Beleidigung Schwedens? Man findet keine Antwort. Es scheint, als gefalle es Christina ungemein, Rätsel aufzugeben. Ihr Verhalten wirkt unberechenbar bis in die letzte Pore hinein.

Im Vatikan jedoch reibt man sich die Hände. Welch Triumph für die Gegenreformation! Ein prominentes protestantisches Kind kehrt in den Schoß der katholischen Kirche zurück – denn längst ist klar, wohin Christinas Reise schlussendlich führen wird: Rom soll ihr zukünftiger Wohnsitz sein. Papst Alexander VII. will sie in der Ewigen Stadt aber nur dann empfangen, wenn sie Luthers Glauben in aller Öffentlichkeit abschwört, Kniefall vor dem päpstlichen Gesandten inklusive. Und er weiß auch schon, wo dieses öffentliche Bekenntnis stattfinden soll: in der habsburgischen Hofkirche in Innsbruck. Dort ist man überrumpelt von der unverhofften Ehre, wappnet sich aber in kürzester Zeit für den großen Empfang – und kauft in Regensburg noch schnell 24 neue Trompeten für den Einzug Ihrer Majestät.

M 10: Paul Hainlein:

Sonata à 5 Battalia ex C (5'44, Cut bei 1'20) I: Jean-Francois Madeuf & Ensemble

CD: Die Birckholtz-Trompete von 1650, edition raumklang, RK 2805, LC 05068

Paul Hainlein, Sohn einer berühmten Nürnberger Trompetenbauerfamilie, der auch in Regensburg wirkte, schrieb diese Sonata a Battalia. Wir hörten sie mit Trompeten aus Christinas Zeit, interpretiert von Jean François Madeuf und seinem Ensemble.

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8 Am 3. November 1655 betritt Christina von Schweden die Innsbrucker Hofkirche in einem schlichten schwarzen Seidenkleid, als einzigen Schmuck trägt sie ein Diamantkreuz. Sie kniet vor dem Altar nieder, verliest das tridentinische Glaubensbekenntnis und bekennt sich damit öffentlich zur katholischen Religion. Eine festliche Predigt folgt, ein nicht minder festliches Te Deum schließt sich an – bis heute erinnert in Innsbruck eine Gedenktafel an das historische Ereignis. Eine Woche lang wird gefeiert – mit Musik vom Feinsten. Endlich kann Christina den schon in Schweden von ihr so geschätzten Antonio Cesti kennen lernen, den Innsbrucker Hofkapellmeister. Dank seiner Werke zählt der Innsbrucker Hof zu den bedeutendsten Pflegestätten der Oper im deutschsprachigen Raum, man besitzt dort die erste deutsche Bühne mit festem Sängerensemble.

Als Hauptereignis der Festivitäten wird Cestis Oper „L'Argia“ uraufgeführt – eine turbulente, im antiken Zypern angesiedelte Liebes-Verwirr-Geschichte rund um Prinzessin Argia. Cesti hat die Oper wohl schon vor der Nachricht von Christinas Innsbrucker Konversion fertiggestellt, doch schreibt er eigens für die schwedische Königin noch einen Prolog. Darin preist Amor die Tugenden Christinas: „Christina leuchtet genau so wie die Sterne am Himmel,“ heißt es. „Mit ihrer Weisheit und Schönheit entflammt sie die Herzen. Bewundert die schwedische Pracht!“

M 11: Antonio Cesti:

L'Argia

De gotici splendori (5'0)

I: Francesca Aspromonte (Gesang), PentaTone, ML: Enrico Onofri CD: Prologue, il pomo d'oro, 2794906466, LC 12686

De goti splendori, der Prolog, den Antonio Cesti seiner Oper „L'Argia“ anlässlich der Innsbrucker Konversion Christinas von Schweden vorangestellt hat. Es sang Francesca Aspromonte, begleitet vom Ensemble Il pomo d'oro unter der Leitung von Enrico Onofri.

Die Aufführung dauert von neun Uhr abends bis drei Uhr morgens: „Heut zu Nacht ist die grosse Comoedie in dem Comoedi-Hauss in beysein der Königin gesungen worden, welche sechseinhalb stundenlang gewehret“, erfährt man aus den Berichten der Zeitgenossen:

„Achtmahl ist die Bine (haubsächlich) mit trefflicher Vergnügung verändert worden. (...) Dazu gesellte sich auch die Lieblichkeit der Stimmen, die Prächtigkeit der Kleider, der Flug durch die Lüffte und die Bewegung anderer Gerüste.“ Und weiter berichtet der Augenzeuge, dass die Königin so begeistert gewesen sei, dass sie der „Comedi auch das Zweyte mal hat beywohnen wöllen.“

M 12: Antonio Cesti:

L'Argia

Alma mia (4'0)

I: Raquel Andueza (Sopran), Ensemble La Galania, ML: Jesús Fernández Baena CD: Alma mia, Dandelium, Anima e corpo, 7 502258 851296, LC 33207

Eine der berührendsten Arien aus Antonio Cestis Oper „L'Argia“: Die Arie des Soliman, im Konflikt mit sich selbst. Alma mia, meine Seele, was soll ich nur tun? Es sang die spanische Sopranistin Raquel Andueza, begleitet vom Ensemble La Galania.

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9 Ungeachtet der protestantischen Empörungswelle geht Christinas Triumphzug Richtung Rom weiter. Über Trient, Mantua, Ferrara, Bologna, Pesaro und vielen anderen Orten nähert sie sich Rom. In allen Städten, in denen sie Station macht, gibt es Gottesdienste, Festbankette und natürlich Opernaufführungen zu Ehren der prominenten Konvertitin.

Nichts aber gegen die pompöse Feier ihrer Ankunft in Rom. Die heben wir uns für morgen auf, lugen aber schon jetzt, am Ende dieser Musikstunde, von einem der sieben Hügel auf die Ewige Stadt hinunter – und hören dabei eine der schönsten musikalischen Liebeserklärungen an Rom: Alessandro Scarlattis „L'alta Roma“, mit Cecilia Bartoli und den Musiciens du Louvre unter der Leitung von Marc Minkowski. Mein Name ist Sylvia Roth, ich sage Tschüss und freue mich, wenn Sie morgen wieder dabei sind.

M 13: Alessandro Scarlatti:

San Filippo Nero

„L'alta Roma“ (4'15, rein bei 1'05) (3'10)

I: Cecilia Bartoli, Les Musiciens de Louvre, ML: Marc Minkowski CD: Opera Proibita, DECCA, 475 6924, LC 00171

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10 Literatur

Biermann, Veronica: Von der Kunst abzudanken. Die Repräsentationsstrategien Königin Christinas von Schweden, Wien 2012

Findeisen, Jörg-Peter: Christina von Schweden. Legende durch die Jahrhunderte, Frankfurt 1992

Hanheide, Stefan: Königin Christina und die zeitgenössische Musik, in: Christina. Königin von Schweden, Katalog der Ausstellung im Kulturgeschichtlichen Museum Osnabrück, 1997

Königin Christina von Schweden: Gesammelte Werke. Autobiographie. Aphorismen.

Schriften, Hamburg 1995

Leopold, Silke: Die Oper im 17. Jahrhundert, Darmstadt 2004

Losleben, Katrin: Musik - Macht - Patronage. Kulturförderung als politisches Handeln im Rom der Frühen Neuzeit am Beispiel der Christina von Schweden (1626-1689), Köln 2012

Schröder, Dorothea: „Die Stunden hier dauern Ewigkeiten...“ Christina von Schweden in Hamburg, Hamburg 1997

Ueckert, Charlotte: Christina von Schweden: Ich fürchte mich nicht! Leben und Lieben einer Unbeugsamen, Berlin 2016

von der Heyden-Rynsch, Verena: Christina von Schweden. Die rätselhafte Monarchin, Weimar 2000

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