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Europa sozial gestalten

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Deutscher

Gewerkschaftsbund Bundesvorstand

Berlin, Juni 2005

Europa sozial gestalten

Stellungnahme des DGB

zur Mitteilung der Kommission –

Sozialpolitische Agenda (KOM (2005) 33 endg.)

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Gliederung

Seite

1. Einleitung 3

2. Allgemeine Bewertung und Vorschläge des

DGB für soziale Mindeststandards 5

3. Strategischer Ansatz: Vertrauen stärken –

politische Schwerpunkte 7

4. Beschäftigung und Arbeitsqualität –

Strukturwandel gestalten 9

4.1 Europäische Beschäftigungsstrategie 9 4.2 Neue Dynamik für die Arbeitsbeziehungen 11

4.3 Europäischer Arbeitsmarkt 11

5. Eine solidarische Gesellschaft: Chancengleichheit

für alle 12

6. Fazit 14

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1. Einleitung

An die neue sozialpolitische Agenda für den Zeitraum 2006 bis 2010 sind beson- dere Erwartungen geknüpft. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Lissabonstrategie ei- ner Halbzeitbilanz unterzogen wird, geht es darum, die Bedeutung der Sozialpolitik für die Erreichung der Ziele von Lissabon stärker in den Vordergrund zu rücken.

Der Anspruch der Lissabonstrategie, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Steigerung des Wirtschaftswachstums mit der Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen und der Stärkung des sozialen Zusammenhalts zu verbin- den, muss eingelöst werden. Dazu bedarf es einer europäischen Politik, die diese Ziele gleichwertig verfolgt und damit die Lissabonstrategie wieder ins Gleichge- wicht bringt. Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik sowie Umweltpolitik sind in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, damit das Europäische Sozialmo- dell nachhaltig gesichert werden kann.

Das Europäische Sozialmodell basiert auf dem allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Bekenntnis zur Demokratie sowie den Grundwerten Freiheit und soziale Gerechtig- keit. Dieses Bekenntnis zu einer sozialen Marktwirtschaft und zu diesen Grundwer- ten ist in der zukünftigen EU-Verfassung, insbesondere in der Europäischen

Grundrechtecharta erstmals für die gesamte Union festgeschrieben. Alle Mitglied- staaten der Union weisen – bei unterschiedlicher Ausgestaltung im Einzelnen – gemeinsame Merkmale von Sozialstaatlichkeit auf, die insgesamt das Europäische Sozialmodell ausmachen. Zu diesen gemeinsamen Merkmalen gehören

- auf dem Solidaritätsprinzip beruhende soziale Sicherungssysteme zur Absicherung der großen Lebensrisiken,

- gesetzlich und tarifvertraglich geregelte Arbeitsbedingungen zum Schutz der Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer,

- Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer und ihrer Interessen- vertretungen;

- Systeme industrieller Beziehungen bzw. des sozialen Dialogs zum Interessen- ausgleich zwischen den Sozialparteien,

- gemeinwohlorientierte Dienste von allgemeinem Interesse zur Bereitstellung ge- sellschaftlich notwendiger Infrastrukturleistungen und sozialer Dienste.

Dieses Europäische Sozialmodell durch wirksame Instrumente auf europäischer Ebene zu wahren und weiterzuentwickeln ist Aufgabe europäischer Sozialpolitik.

Zu diesen Instrumenten gehören vor allem soziale Mindeststandards zur Anglei- chung der Arbeits- und Lebensbedingungen auf dem Wege des Fortschritts, sei es durch eine Gesetzesinitiative der EU-Kommission oder über verbindliche Vereinba- rungen zwischen den europäischen Sozialpartnern im sozialen Dialog. Handlungs- felder europäischer Sozialpolitik sind die europäischen Beschäftigungsstrategie, die Koordinierungsprozesse zur sozialen Integration und Reform der sozialen Siche- rungssysteme sowie insbesondere die europäische Sozialgesetzgebung.

In der Arbeitsmarktpolitik fordert der DGB die positiven Ansätze präventiver und aktiver Arbeitsmarktpolitik in den EU-Beschäftigungsleitlinien wieder in den Vor- dergrund zu rücken. Mit Strukturreformen am Arbeitsmarkt und bei den sozialen Sicherungssystemen allein wird die Arbeitslosigkeit nicht nachhaltig verringert werden können.

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Der DGB fordert daher die Verstärkung

- aktiver und präventiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, insbesondere für Ju- gendliche, Langzeitarbeitslose, ältere Arbeitnehmer und Frauen,

- der beruflichen Aus- und Weiterbildung als lebenslanger Prozess, um veränder- ten Arbeitsanforderungen gewachsen zu sein,

- der Verbesserung der Qualität der Arbeit als Voraussetzung für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben und die Vermeidung von vorzeitigem Ausscheiden,

- von Maßnahmen zum Abbau geschlechtsspezifischer Benachteiligungen am Ar- beitsmarkt, insbesondere durch Bereitstellung ausreichender Betreuungseinrich- tungen für Kinder und pflegebedürftige ältere Menschen.

Die Sozialpolitik muss als eigenständiges Handlungsfeld auf europäischer Ebene gestärkt werden und zwar durch eine aktive Politik

- zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung unter besonderer Be- rücksichtigung neuer Armutsrisiken,

- die Vertiefung des Erfahrungsaustauschs über Reformstrategien in der sozialen Sicherung mit dem Ziel, den Erhalt ihrer sozialen Funktion mit der nachhaltigen Sicherung ihrer Finanzierungsgrundlagen in Einklang zu bringen,

- der Durchsetzung sozialer Mindeststandards zum Schutz der Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer und zur Wahrung ihrer Beteiligungs- und Mitbestim- mungsrechte sowie die der betrieblichen Interessenvertretungen.

Bestehende Richtlinien bedürfen der Überprüfung mit dem Ziel der Anhebung des Schutzniveaus. Dies betrifft z. B. die EU-Richtlinie zur Gestaltung der Arbeitszeit, zur Arbeitnehmerentsendung und die Europäische Betriebsratsrichtlinie. Ebenso ist eine EU-weite Regelung der Arbeitsbedingungen von Leiharbeitskräften vordring- lich, die den Gleichbehandlungsgrundsatz mit den Beschäftigten des Einsatzbetrie- bes durchsetzt. Die Beratungen im Gesundheits- und Sozialministerrat müssen schnellstmöglich wieder aufgenommen werden. Der DGB kritisiert nachdrücklich den Änderungsvorschlag der EU-Kommission zur Arbeitszeitrichtlinie, da er den Flexibilisierungsspielraum zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen erweitert, die un- zumutbare Verlängerung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit ermöglicht und damit dem Ziel der Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zuwiderläuft. Der DGB wendet sich gegen einen Paradigmenwechsel in der europäischen Sozialgesetzgebung und fordert, dass die Revision der Arbeitszeitrichtlinie zu einer Anhebung des Schutzniveaus führen muss, wie es dem Auftrag des Vertrages entspricht.

Der DGB ist der Auffassung, dass die neue sozialpolitische Agenda mit einem Ak- tionsprogramm für die nächsten fünf Jahre verbunden werden sollte. Als Orientie- rung sollten dabei die sozialen Grundrechte in der zukünftigen EU-Verfassung die- nen. Ausgehend davon sollte das sozialpolitische Aktionsprogramm sowohl die Ü- berprüfung bestehender Richtlinien mit dem Ziel der Anhebung des Schutzniveaus als auch neue Vorschläge für die Sozialgesetzgebung beinhalten.

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Nach Auffassung des DGB kommt es gerade im Rahmen der Halbzeitüberprüfung der Lissabonstrategie darauf an, die europäische Sozialpolitik und ihre produktive Rolle zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung durch ein solches Aktions- programm sichtbar zu machen.

2. Allgemeine Bewertung und Vorschläge des DGB für soziale Mindeststandards Der DGB unterstützt die Zielsetzung der EU-Kommission nach „Modernisierung und Entwicklung des Europäischen Sozialmodells“ sowie „Förderung des sozialen Zusammenhalts“ als Bestandteil der Lissabonstrategie sowie der Strategie für nachhaltige Entwicklung. Er teilt jedoch nicht die Auffassung der EU-Kommission, wonach es hierbei um „die soziale Dimension des Wirtschaftswachstums“ gehe.

Die darin zum Ausdruck kommende nachrangige Rolle der Sozialpolitik gegenüber der Wirtschaftspolitik wird der produktiven Rolle der Sozialpolitik für die Steige- rung von Wachstum und Beschäftigung nicht gerecht. Die Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Aufbau eines aktiven Wohlfahrtsstaates gehört gleicher- maßen zu den Zielen der Lissabonstrategie wie die Steigerung von Wettbewerbs- fähigkeit und nachhaltigem Wirtschaftswachstum. Ein hohes Sozialschutzniveau gehört zu den zentralen Elemente des Europäischen Sozialmodells und die sozialen Sicherungssysteme tragen entscheidend zum sozialen Zusammenhalt einer Gesell- schaft bei.

Im Gegensatz zu der oftmals vertretenen Auffassung, wonach hohe Sozialausga- ben den wirtschaftspolitischen Zielen entgegenstehen, belegen empirische Daten verschiedener europäischer Länder das Gegenteil. Darauf hat die Expertengruppe

„Zukunft der Sozialpolitik in der erweiterten Europäischen Union“ in ihrem Bericht vom August 2004 aufmerksam gemacht. Nach einer Studie des Europäischen Poli- tikzentrums von 2004 weist eine Reihe von Ländern mit einer hohen Wirtschafts- leistung zugleich auch ein hohes Sozialschutzniveau auf. Und diejenigen Länder, die im internationalen Ranking des Weltwirtschaftsforums bei der Wettbewerbsfä- higkeit am besten abschneiden, tätigen zugleich hohe Investitionen in die Sozialpo- litik und die sozialen Sicherungssysteme und weisen ebenso hohe Beschäftigungs- quoten und niedrige Armutsquoten nach Sozialtransfers auf.

Nach Auffassung des DGB muss die Zielsetzung von Lissabon, Wettbewerbsfähig- keit und nachhaltiges Wachstum zur Schaffung von mehr und qualitativ hochwer- tiger Beschäftigung mit größerem sozialen Zusammenhalt zu verbinden, eingelöst werden. Die Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum ist kein Selbst- zweck. Sie muss zur Schaffung von mehr und qualitativ hochwertiger Arbeit füh- ren mit dem Ziel Vollbeschäftigung anzustreben. In dem Maße wie dies gelingt, wird auch die finanzielle Belastung der sozialen Sicherungssysteme und die Belas- tung der öffentlichen Haushalte mit Sozialausgaben abnehmen. Der demografische Wandel stellt die sozialen Sicherungssysteme unzweifelhaft vor neue Herausforde- rungen und macht Reformen notwendig um diese zukunftsfest zu machen. Ent- scheidender ist jedoch nach Auffassung des DGB die wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, um durch Stärkung der Einnahmeseite die Finanzierungsbasis der sozialen Sicherungssysteme langfristig zu sichern und die Staatshaushalte zu ent- lasten.

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Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik sind eng miteinander verknüpft.

Eine europäische Politik, die vor allem auf die Steigerung der Wettbewerbsfähig- keit durch Einschnitte bei Sozialleistungen setzt, wird zu einer Verschärfung des Armutsrisikos führen und die soziale Ungleichheit verstärken. Darüber hinaus trägt eine solche rein angebotsorientierte Politik dazu bei, die bestehenden wirtschaftli- chen Probleme eher zu verschärfen, da sie die Binnennachfrage weiter schwächt, eine wesentliche Ursache für das schwache Wirtschaftswachstum in Europa.

Der DGB bedauert, dass die EU-Kommission auf diese Zusammenhänge in ihrer Mitteilung nicht eingeht. Während sie sich in der vorangegangenen sozialpoliti- schen Agenda noch von dieser produktiven Rolle der Sozialpolitik hat leiten lassen, ist dies in der neuen Mitteilung nicht der Fall. Zwar bezieht sie sich auf einige Grundsätze, auf die sich die Umsetzung der neuen sozialpolitischen Agenda stüt- zen soll. Dazu gehört nach Auffassung der EU-Kommission

- eine positive Interaktion von wirtschafts-, beschäftigungs- und sozialpoliti- schen Maßnahmen,

- die Förderung der Qualität am Arbeitsplatz, in der Sozialpolitik und in den Arbeitsbeziehungen,

- die Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme entsprechend aktuellen ge- sellschaftlichen Ansprüchen und die Betonung ihrer Rolle als produktiver Fak- tor,

- die Berücksichtigung der „Kosten einer nicht vorhandenen Sozialpolitik“.

Diese Grundsätze, die der DGB teilt, bleiben jedoch weitgehend ohne Konsequen- zen für die vorgeschlagenen Einzelmaßnahmen. Insbesondere kritisiert der DGB das Fehlen eines sozialpolitischen Aktionsprogramms mit Vorschlägen für die So- zialgesetzgebung. Der DGB unterbreitet hierzu Vorschläge und fordert die EU- Kommission auf, diese aufzugreifen.

DGB-Vorschläge für soziale Mindeststandards:

Arbeitsbedingungen

· Revision der EU-Entsenderichtlinie mit dem Ziel ihre Anwendung zu erleichtern und die Umgehung der Mindestvorschriften durch genauere Fassung der Ent- sendetatbestände auszuschließen (Dienst-/Werkverträge, abhängige Selbstän- dige),

· arbeits- und sozialrechtliche Gleichstellung von Leiharbeitnehmern:

Verabschiedung des geänderten Richtlinienvorschlages der EU-Kommission vom 28.11.2002,

· Regelung der Zusammenarbeit der Behörden bei grenzüberschreitender Leihar- beit,

· arbeits- und sozialrechtliche Gleichstellung von abhängigen Selbständigen,

· Novellierung der Arbeitszeitrichtlinie mit dem Ziel der weiteren Verringerung der Arbeitszeit und Abschaffung des individuellen opt-out, unter Beibehaltung der geltenden Definition der Arbeitszeit,

· Gleichbehandlung und arbeits- und sozialrechtliche Absicherung bei Telearbeit, insbesondere von Arbeitnehmern in Call-Centern,

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· Einrichtung einer flächendeckenden, unentgeltlichen öffentlichen Berufsbera- tung und Arbeitsvermittlung,

· Recht auf gleichen Zugang zur beruflichen Weiterbildung für alle Arbeitneh- mer/innen,

· Entgeltfortzahlung an Feiertagen und im Krankheitsfall.

Arbeits- und Gesundheitsschutz

· Grundlegender Anspruch der Arbeitnehmer/innen gegenüber staatlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Stellen auf präventive Maßnahmen,

· EU-Richtlinie über Berufskrankheiten und ihnen gleichzustellende Erkrankungen (präventive Vorschriften und EU-Liste von Berufskrankheiten),

· Arbeits- und Gesundheitsschutz von abhängigen Selbstständigen (arbeitnehmerähnliche Personen),

Arbeitnehmerrechte im Betrieb

· Benachteiligungsverbot für Arbeitnehmer/innen, die ihre Rechte wahrnehmen und sich gewerkschaftlich betätigen,

· Recht auf Versammlungen im Betrieb unter Berücksichtigung betrieblicher Be- lange,

· Revision der EBR-Richtlinie mit dem Ziel der Ausdehnung des Geltungsberei- ches, der Verbesserung ihrer Beteiligungsrechte und Schaffung wirksamer Sanktionsmaßnahmen,

· Veröffentlichungspflichten der Unternehmen im sozialen Bereich (Sozialbilan- zen),

· Schutz von personenbezogenen und -beziehbaren Arbeitnehmerdaten im Be- trieb,

· Informations- und Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer/innen bei der Gestal- tung ihrer Arbeitsbedingungen einschließlich Reklamationsrechte,

· Recht der Arbeitnehmer/innen auf Anhörung in betrieblichen Angelegenheiten, die ihre Person betreffen,

· Recht der Arbeitnehmervertretungen auf Information, Mitwirkung und Mitbe- stimmung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten.

Soziale Dienstleistungen

· Rahmenrichtlinie über Dienstleistungen von allgemeinem und allgemeinem wirt- schaftlichen Interesse (DAWI) mit Abgrenzungskriterien und Qualitätsstandards unter Berücksichtigung der Besonderheiten sozialer Dienste.

3. Strategischer Ansatz: Vertrauen stärken – politische Schwerpunkte

Die EU-Kommission schlägt einen strategischen Ansatz mit folgenden Elementen vor: Zum Einen soll das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den gesellschaft- lichen Wandel gestärkt werden durch einen generationenübergreifenden Ansatz im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung, die Bildung von Partner- schaften für den Wandel und das Eintreten für das Europäische Sozialmodell in in- ternationalen Arbeitszusammenhängen.

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Zum anderen will sie die politischen Schwerpunkte auf die Förderung der Beschäf- tigung und die Bewältigung des Strukturwandels sowie die Schaffung einer solida- rischen Gesellschaft, die Chancengleichheit für alle herstellt, legen.

Aus Sicht des DGB ist es für die Union derzeit besonders vordringlich verloren ge- gangenes Vertrauen in der Bevölkerung für die europäische Integration wieder zu gewinnen. Wie Umfragen im Vorfeld der Verfassungsreferenden sowie der nega- tive Ausgang der Referenden in Frankreich und den Niederlanden und auch die kontroverse Debatte über den Vorschlag für eine EU-Richtlinie „Dienstleistungen am Binnenmarkt“ zeigen, überwiegt derzeit eine euroskeptische Stimmung. Die Europäische Union kann hier nur Glaubwürdigkeit zurück gewinnen, wenn die eu- ropäische Politik zu einer Verbesserung der sozialen Lage der Menschen führt. Die neue sozialpolitische Agenda spielt hierbei eine wichtige Rolle. Die in diesem Zu- sammenhang vorgeschlagenen Maßnahmen sind nach Auffassung des DGB unzu- reichend im Hinblick auf die Erreichung dieses Ziels, so sinnvoll sie auch im Einzel- nen sein mögen.

Der DGB begrüßt das zwischenzeitlich vorgelegte Grünbuch zum demografischen Wandel, das die Entwicklungen und Herausforderungen analysiert und eine breite europäische Debatte ermöglichen soll. Der DGB ist der Auffassung, dass im Sinne eines generationenübergreifenden Ansatzes besonderes Augenmerk auf die Aus- wirkungen für die jüngere Generation gelegt werden muss. Der DGB unterstützt daher die europäische Initiative der Regierungen von Deutschland, Spanien, Frank- reich und Schweden für einen europäischen Pakt für die Jugend mit Vorschlägen für konkrete Maßnahmen in den Bereichen Beschäftigung und soziale Integration, allgemeine und berufliche Bildung, Mobilität und Jugendaustausch. Dieser vom Frühjahrsgipfel beschlossene Pakt muss integraler Bestandteil der zukünftigen Ak- tivitäten der Union in allen relevanten Politikfeldern werden. Der DGB wird zum Grünbuch demografischer Wandel gesondert Stellung nehmen.

Weiter schlägt die EU-Kommission die Einrichtung eines jährlichen Forums zur E- valuierung der sozialpolitischen Agenda vor. Der DGB ist der Auffassung, dass die- ses Forum dazu benutzt werden sollte über die Perspektiven des Europäischen So- zialmodells zu diskutieren und die Aktivitäten auf europäischer Ebene anzurei- chern. Der DGB erwartet insbesondere, dass die gewerkschaftlichen Vorschläge für die Weiterentwicklung der europäischen Sozialgesetzgebung hier aufgegriffen werden.

Nachdrücklich unterstützt der DGB die Absicht der EU-Kommission das Europäi- sche Sozialmodell in den internationalen Arbeitszusammenhängen zu propagieren und weltweit für menschenwürdige Arbeitsbedingungen einzutreten. Die Union kann hier nur glaubwürdig sein, wenn sie die Errungenschaften des Europäischen Sozialmodells auch unter veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen be- wahrt und überzeugend dafür eintritt, dass wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt miteinander einhergehen müssen und können.

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4. Beschäftigung und Arbeitsqualität – Strukturwandel gestalten 4.1 Europäische Beschäftigungsstrategie

Für die europäische Beschäftigungsstrategie kündigt die EU-Kommission eine Neuausrichtung für 2005 an, die sich an den Prioritäten des Berichts der Kok- Kommis-sion Beschäftigung orientiert: Förderung der Anpassungsfähigkeit, besse- re Integration in den Arbeitsmarkt, mehr Investitionen in die Humanressourcen, wirksamere Steuerung der Umsetzung. Die Leitlinien 2005 sollen in Verbindung mit den wirtschaftspolitischen Grundzügen vorgelegt werden. Der DGB weist dar- auf hin, dass die hochrangige Gruppe zur Zukunft der EU-Sozialpolitik konkrete Vorschläge für die Schwerpunktsetzung in den neuen Beschäftigungsleitlinien un- terbreitet hat. Danach sollten diese konzentriert werden auf die frühere und besse- re Integration Jugendlicher in den Arbeitsmarkt und die Schaffung von Übergän- gen zwischen Ausbildung und Beruf sowie die Integration von Frauen und älteren Arbeitnehmern. Ein weiterer Schwerpunkt soll nach der Expertengruppe auf der Förderung der Arbeitsqualität durch Maßnahmen der Arbeitsorganisation und des Arbeits- und Gesundheitsschutzes liegen, was zugleich die Integration Älterer er- leichtert. Im Bereich des lebenslangen Lernens schlägt die Gruppe ebenfalls ver- schiedene Maßnahmen als Bestandteil der Beschäftigungsleitlinien vor. Ebenso soll die Unterstützung und Bewältigung der sozialen Folgen des Strukturwandels, ins- besondere in den neuen Mitgliedstaaten, einen größeren Stellenwert erhalten. Der DGB bedauert, dass die EU-Kommission auf diese Vorschläge der Expertengruppe nicht erkennbar zurückgreift und ihr Konzept für die Neuausrichtung der Beschäfti- gungsleitlinien nicht näher ausführt. Zwar wird auf die Notwendigkeit der Förde- rung der Arbeitsqualität hingewiesen ohne dies jedoch weiter zu konkretisieren.

Der Gesundheits- und Sozialministerrat hat sich am 02. Juni 2006 auf einen Vor- schlag für die Beschäftigungsleitlinien im Rahmen der integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung 2005 – 2008 verständigt. Der DGB stellt mit Ge- nugtuung fest, dass viele Anregungen der Expertengruppe zur Neuausrichtung der Beschäftigungsleitlinien darin aufgegriffen werden. Der DGB begrüßt insbesonde- re, dass der Rat sich dafür entschieden hat, die konkreten Zielvorgaben für die In- tegration Langzeitarbeitsloser und Jugendlicher sowie zur Erhöhung der Erwerbs- quote von Frauen und der Schaffung entsprechender Voraussetzungen hierfür (Betreuungseinrichtungen für Kinder und pflegebedürftige Personen) beizubehal- ten, die im Entwurf der EU-Kommission fallen gelassen wurden (KOM 2005) 141 endg.)

Nach wie vor kritisch sieht der DGB allerdings solche Formulierungen in den Leitli- nien, die zur Anpassung arbeitsrechtlicher Vorschriften im Hinblick auf mehr Flexi- bilität auffordern oder die als Vorgabe für die nationale Entgeltpolitik der Ta- rifvertragsparteien verstanden werden können, auch wenn diese gegenüber dem Entwurf abgeschwächt wurden. Der DGB wendet sich gegen Bestrebungen über europäische Vorgaben in den Beschäftigungsleitlinien in die Tarifautonomie ein- zugreifen. Insgesamt gehen die vom Arbeits- und Sozialministerrat gebilligten Be- schäftigungsleitlinien jedoch nach Auffassung des DGB in die richtige Richtung.

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Die Rolle des Europäischen Sozialfonds (ESF) zur Unterstützung der europäischen Beschäftigungsstrategie wird lediglich im Zusammenhang mit der Verbesserung der Steuerungsmechanismen zur Umsetzung angesprochen und eine Kommunikati- onsstrategie angekündigt. Der DGB kritisiert, dass die EU-Kommission die Funktio- nen des ESF als ein wichtiges Instrument zur Förderung der Humanressourcen, von arbeitsmarktbezogenen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nicht einmal be- nennt. Gerade im Zusammenhang mit der anstehenden Reform der EU-

Strukturfonds wäre es aus Sicht des DGB notwendig auf die wichtige Rolle des ESF zur Unterstützung arbeitsmarktpolitischer Integrationsmaßnahmen und des le- benslangen Lernens einzugehen.

Grundsätzlich positiv bewertet der DGB die Ausführungen in der sozialpoliti- schen Agenda zur Begleitung des wirtschaftlichen Strukturwandels, die offen- sichtlich von der Expertengruppe zur Zukunft der Sozialpolitik inspiriert sind. Auf- fällig ist jedoch, dass die EU-Kommission auf die sozialen Folgen von Unterneh- mensumstrukturierungen nicht eingeht. Um Konzepte zur Bewältigung der sozialen Folgen geht es jedoch gerade und zwar in einer Weise, die einen fairen Interessen- ausgleich zwischen wirtschaftlichen und Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ermöglicht. Die EU-Kommission macht im Wesentlichen Vorschläge zum Verfahren und zu Instrumenten wie z. B. die Einrichtung eines Forums aller hochrangigen Akteure und Betroffenen zur Begleitung von Unternehmensumstruk- turierungen. Auf die Zusammensetzung eines solchen Forums oder gar die Ziele und Inhalte geht sie nicht näher ein. Ebenso wenig weist sie auf die Bedeutung der Arbeitnehmerrechte und die europäische Sozialgesetzgebung in diesem Zu- sammenhang hin. Der DGB ist jedoch der Auffassung, dass die Richtlinien zum Schutz bei Massenentlassungen, beim Betriebsübergang, zur Information und Kon- sultation der Arbeitnehmer sowie die Europäische Betriebsratsrichtlinie wichtige Instrumente zur Bewältigung der sozialen Folgen des Strukturwandels unter Mit- wirkung der Arbeitnehmer und ihrer Interessenvertretungen darstellen.

Der DGB begrüßt die Ankündigung, die zweite Phase der Anhörung der europäi- schen Sozialpartner zu Umstrukturierungen und zur Überprüfung der Richtlinie ü- ber die Europäischen Betriebsräte einzuleiten. Die diesbezügliche Mitteilung der EU-Kommission vom 31.03.2005 wurde der Öffentlichkeit am 05. April vorge- stellt. Der DGB kritisiert, dass beide Themen miteinander verknüpft werden und die EU-Kommission, entgegen den Forderungen der Gewerkschaften, keine Vor- stellungen zur Verbesserung der Europäischen Betriebsratsrichtlinie im Rahmen der zweiten Konsultationsphase unterbreitet. Die Europäischen Betriebsräte spielen zweifelsohne eine wichtige Rolle bei Umstrukturierungsmaßnahmen und ihre Rech- te müssen gerade im Hinblick auf die Mitgestaltung solcher Prozesse erweitert werden. Dies erfordert aus Sicht des DGB eine gesetzgeberische Initiative zur Re- vision der Europäischen Betriebsratsrichtlinie, die völlig unabhängig von möglichen Gesprächen und Vereinbarungen im freiwilligen sozialen Dialog zum Thema Um- strukturierungen notwendig ist. Der DGB wird zur Mitteilung der EU-Kommission gesondert Stellung nehmen.

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4.2 Neue Dynamik für die Arbeitsbeziehungen

Die EU-Kommission will der Entwicklung der Arbeitsbeziehungen durch Weiterent- wicklung der Sozialgesetzgebung, Stärkung des sozialen Dialogs und Förderung der sozialen Verantwortung der Unternehmen eine neue Dynamik verleihen. In die- sem Zusammenhang beabsichtigt die EU-Kommission ein Grünbuch zur Entwick- lung des Arbeitsrechts vorzulegen, in dem aktuelle Trends der Entwicklung der Arbeitsverhältnisse analysiert und die Rolle des Arbeitsrechts zur „Schaffung eines sicheren Umfeldes und bei der Anpassung an neuere Entwicklungen“ untersucht werden sollen. Die Debatte dieses Grünbuchs könne zu einer „Modernisierung und Vereinfachung“ des derzeit geltenden Rechts führen, so die EU-Kommission. Der DGB wendet sich gegen jegliche Bestrebungen das Arbeitsrecht zu deregulieren.

Er ist der Auffassung, dass bei der Überprüfung des Arbeitsrechts der Auftrag des Vertrags handlungsleitend sein muss, der darin besteht, dass Mindestvorschriften zu einer Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen auf den Wege des Fort- schritts führen sollen. Der DGB begrüßt die Ankündigung der EU-Kommission 2005 eine Initiative zum Schutz personenbezogener Arbeitnehmerdaten zu er- greifen und erwartet, dass dies auch tatsächlich erfolgt.

Der DGB unterstützt die Vorschläge der EU-Kommission für den Bereich der Ge- sundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, insbesondere die Hervorhebung des Prä- ventionsgedankens für die angekündigten Initiativen. Die Mitteilung über die neue Strategie im Arbeits- und Gesundheitsschutz 2007 bis 2012 sollte vor allem auch neue Gesundheitsrisiken analysieren, den Schutz bisher nicht berücksichtigter Ar- beitnehmergruppen einbeziehen und sich mit der Frage befassen, wie die Umset- zung der bestehenden Vorschriften zum Arbeits- und Gesundheitsschutz insbeson- dere in den neuen Mitgliedstaaten verbessert und unterstützt werden kann.

Der DGB unterstützt ebenso die Absicht der EU-Kommission, den sozialen Dialog sowohl auf branchenübergreifender als auch auf sektoraler Ebene weiter zu för- dern und den europäischen Sozialpartnern mehr logistische und technische Unter- stützung zukommen zu lassen. Nach Auffassung des DGB ist dies insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten besonders notwendig, da hier die Strukturen des sozi- alen Dialogs noch wenig entwickelt und im Aufbau befindlich sind.

Die EU-Kommission beabsichtigt weiter Initiativen im Bereich der sozialen Verant- wortung der Unternehmen zu ergreifen mit dem Ziel, die Entwicklung von

Grundsätzen sozialer Verantwortung der Unternehmen auf europäischer Ebene zu fördern. Der DGB ist der Auffassung, dass die vielen guten Beispiele über Verhal- tenskodizes und andere freiwillige Maßnahmen der Unternehmen zur Übernahme sozialer Verantwortung, die im europäischen stake-holder-Forum dargestellt wur- den, hierfür eine gute Grundlage bilden. Der DGB unterstützt daher die Bemühun- gen der EU-Kommission zu einem verbindlichen Instrument auf europäischer Ebene zu kommen.

4.3 Europäischer Arbeitsmarkt

Die EU-Kommission beabsichtigt, verschiedene Initiativen zu ergreifen, um beste- hende Hemmnisse bei der grenzüberschreitenden Mobilität zu beseitigen und die Herausbildung eines echten europäischen Arbeitsmarktes zu fördern.

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Eine Initiative besteht in dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Übertragbarkeit von Ansprüchen aus betrieblichen Altersversorgungssystemen. Der DGB ermutigt die EU-Kommission, diesen Vorschlag rasch zu unterbreiten, nachdem es aufgrund di- vergierender Standpunkte über die Reichweite einer solchen Regelung nicht zur Aufnahme von Sozialpartnerverhandlungen gekommen ist.

Ein weiterer Vorschlag der EU-Kommission betrifft die Bereitstellung eines optio- nalen Rahmens für transnationale Kollektivverhandlungen, entweder auf Unter- nehmens- oder auf Branchenebene. Nach der Vorstellung der EU-Kommission könnte ein solcher Rahmen dazu genutzt werden Fragen der Arbeitsorganisation, der Beschäftigung, der Arbeitsbedingungen und der Weiterbildung im Sinne einer Partnerschaft für den Wandel grenzüberschreitend zu regeln, wobei es den Sozial- partnern überlassen bleiben soll, ob sie von einem solchen Rechtsrahmen

Gebrauch machen. Wie die Praxis der Europäischen Betriebsräte zeigt, haben diese in vielen Fällen nicht nur von ihrem Recht auf Unterrichtung und Anhörung

Gebrauch gemacht, sondern darüber hinaus auf freiwilliger Basis Vereinbarungen getroffen, die die angesprochenen Themen betreffen. Ebensolche Beispiele für Vereinbarungen gibt es auch im sozialen Dialog auf Branchenebene. Der DGB un- terstützt das Ziel, das in dieser Initiative zum Ausdruck kommt, den sozialen Dia- log auf Unternehmens- und Branchenebene zu fördern und dabei stärker als bisher auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Unternehmen grenzüberschrei- tend tätig sind und Vereinbarungen grenzüberschreitend von Bedeutung sind. Ein optionaler Rechtsrahmen muss dabei den nationalen Besonderheiten der Tarifver- tragssysteme Rechnung tragen. Der DGB fordert die EU-Kommission auf, die Ge- werkschaften zum frühest möglichen Zeitpunkt in die Vorbereitung einer solchen Initiative einzubeziehen und seinen Inhalt mit ihnen abzustimmen.

Wie die EU-Kommission ausführt, ist die Freizügigkeit eine der Grundfreiheiten in Europa. Die bestehenden Instrumente, wie das EURES-Netzwerk und die Koordi- nierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer bedürfen da- her der ständigen Verbesserung. Der DGB hält daher den Vorschlag für sinnvoll, noch 2005 eine hochrangige Gruppe einzurichten, die sich mit den Auswirkungen der EU-Erweiterung auf die Mobilität und das Funktionieren der Übergangsfristen befassen soll und 2006 hierzu einen Bericht vorzulegen. Die Gewerkschaften ver- fügen über einen breiten Erfahrungsschatz in diesem Bereich. Der DGB fordert die EU-Kommission daher auf, die Gewerkschaften in die Arbeit dieser Expertengruppe einzubeziehen.

5. Eine solidarische Gesellschaft: Chancengleichheit für alle

In diesem Aktionsschwerpunkt behandelt die EU-Kommission die Vertiefung des Erfahrungsaustausches über die Reform der sozialen Sicherungssysteme, die Poli- tiken zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, zur Nichtdiskriminie- rung und Chancengleichheit von Frauen sowie die Rolle sozialer Dienstleistungen.

Die EU-Kommission erneuert ihren Vorschlag zur Zusammenführung der Koordinie- rung in den Bereichen soziale Eingliederung, Rente und Gesundheit. Der DGB un- terstützt grundsätzlich die Methode der offenen Koordinierung (OMK) als ein In- strument, den Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene über Reformstrategien in der sozialen Sicherung zu vertiefen und diese an gemeinsamen Zielen auszurich- ten.

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Er wendet sich jedoch gegen Bestrebungen, sich bei der Reform der sozialen Si- cherungssysteme allein von finanzpolitischen Erwägungen und dem Ziel der Haus- haltskonsolidierung leiten zu lassen. Vielmehr muss die europäische Koordinierung im Bereich der sozialen Sicherung nach Auffassung des DGB zum Ziel haben, den Erhalt ihrer sozialen Funktion mit der nachhaltigen Sicherung ihrer Finan-

zierungsgrundlagen in Einklang zu bringen. Der DGB weist darauf hin, dass die OMK in den verschiedenen Sozialschutzbereichen unterschiedlich weit voran- geschritten ist. Während es im Bereich der sozialen Integration seit 2001 einen der europäischen Beschäftigungsstrategie nachgebildeten Prozess mit gemeinsamen Zielen, Nationalen Aktionsplänen im Zweijahresrhythmus und Auswertungsberich- ten der EU-Kommission gibt, ist dies in den Bereichen Alterssicherung und Ge- sundheitssicherung aus sachlich gerechtfertigten Gründen nicht der Fall. Hier hat der Gesundheits- und Sozialministerrat sich lediglich auf unumstrittene allgemeine Ziele und qualitative Länderberichte verständigt. Nach Ansicht des DGB muss die Anwendung der OMK den Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs Rechnung tragen. Daher sollte die OMK im Bereich der sozialen Integration als eigenständiger Prozess fortgeführt werden, zumal die Bekämpfung von Armut und sozialer Aus- grenzung bislang nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hat. Der DGB hält daher eine Zusammenführung dieser sehr unterschiedlichen Politikbereiche zu einer „gestrafften“ OMK im Sozialschutz nicht für angemessen (vgl. DGB Stellung- nahme April 2005).

In diesem Zusammenhang will die EU-Kommission die Debatte über nationale Min- desteinkommensregelungen fortsetzen und 2005 eine Anhörung dazu einleiten.

Der DGB fragt sich, wo diese Debatte stattgefunden hat und wer daran beteiligt war. Nach Auffassung des DGB ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten, jedem Bürger und jeder Bürgerin bei Bedürftigkeit soziale Unterstützung in Form eines existenzsi- chernden Mindesteinkommens zukommen zu lassen. Aus den Ausführungen der EU-Kommission wird nicht deutlich, mit welchem Ziel diese Debatte über nationale Mindesteinkommen auf europäischer Ebene geführt werden soll. Ebenso möchte der DGB die Frage aufwerfen, ob es nicht wegen der Dringlichkeit der Probleme sinnvoller wäre, das europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu einem früheren Zeitpunkt als 2010 auszurufen.

Der DGB unterstützt die Politiken der EU-Kommission zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen und zur Nichtdiskriminierung generell. Die Kommission kün- digt eine neue Mitteilung für 2005 an, in der sie ihr politisches Konzept erläutern und Initiativen zur Ergänzung des bestehenden Rechtsrahmens prüfen will. Der DGB begrüßt dies nachdrücklich sowie auch die Organisation eines Europäischen Jahres der Chancengleichheit im Jahr 2007. Da die Richtlinien zur Nichtdiskrimi- nierung in vielen Mitgliedstaaten gerade erst in nationales Recht umgesetzt wor- den sind bzw. dies gerade geschieht, wäre es aus Sicht des DGB sinnvoll zugleich einen Bericht über den Stand der Umsetzung dieser Richtlinien vorzulegen. Die an- gekündigten Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern, insbeson- dere die Einrichtung eines europäischen Genderinstituts und die Neuauflage des Aktionsplans Chancengleichheit für behinderte Menschen finden die Unterstützung des DGB.

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Die EU-Kommission beabsichtigt weiter 2005 eine Mitteilung über die Bedeutung sozialer Dienstleistungen vorzulegen. Der DGB begrüßt dieses Vorhaben nach- drücklich, weil er davon erwartet, dass diese Mitteilung auf die kontroverse De- batte um den Richtlinienvorschlag über Dienstleistungen am Binnenmarkt rück- wirkt und zur Klärung beiträgt. In ihrem Weißbuch über Dienstleistungen von all- gemeinem Interesse hatte die EU-Kommission bereits die Besonderheiten sozialer Dienstleistungen hervorgehoben, die insbesondere im Gemeinwohlauftrag und im Personenbezug bestehen. Soziale Dienstleistungen, ob privat oder öffentlich er- bracht, unterscheiden sich grundlegend von anderen Dienstleistungen am Binnen- markt dadurch, dass sie auf dem Solidaritätsprinzip beruhen, auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten sind und in Erfüllung des Grundrechtes auf sozialen Schutz zum sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft beitragen. Der DGB ist da- her der Auffassung, dass soziale Dienstleistungen grundsätzlich anders behandelt werden müssen als rein marktbezogene Dienstleistungen. Der DGB fordert daher eine Herausnahme sozialer Dienstleistungen aus dem Geltungsbereich der geplan- ten Dienstleistungsrichtlinie. Erforderlich ist vielmehr eine Rahmenrichtlinie über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die diese durch geeignete Kriterien und Qualitätsstandards von rein marktbezogenen Dienstleistungen abgrenzt und den Besonderheiten sozialer Dienste Rechnung trägt.

6. Fazit

Der DGB begrüßt die Mitteilung der EU-Kommission zur sozialpolitischen Agenda und sieht darin einen Beitrag, die Bedeutung der Sozialpolitik für die Erreichung der Lissabonziele herauszustellen. Er kann viele der angekündigten Einzelmaßnahmen unterstützen, wenngleich diese oftmals zu wenig ausgeführt sind, um sie abschlie- ßend beurteilen zu können. Insgesamt wird die Mitteilung jedoch dem Anspruch der Kommission selbst, einen strategischen Ansatz zu verfolgen und den besonde- ren Erwartungen an eine sozialpolitische Agenda im Rahmen der Halbzeitüberprü- fung der Lissabonstrategie nicht gerecht. Insbesondere kritisiert der DGB das Feh- len eines überprüfbaren Programms für die Sozialgesetzgebung. Der DGB erneuert daher seine Vorschläge für soziale Mindeststandards in Europa, die sowohl die Re- vision bestehender Richtlinien als auch neue Vorschläge umfassen müssen. Er for- dert die EU-Kommission auf, ergänzend zu ihrer Mitteilung ein Programm für die Sozialgesetzgebung zu verabschieden, in dem die Vorschläge der Gewerkschaften aufgegriffen werden und das regelmäßig überprüft und weiterentwickelt wird. Wie notwendig soziale Mindeststandards in Europa sind, macht gerade die aktuelle kontroverse Debatte um die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie deutlich. Die Er- leichterung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit darf nicht zu Lohn- und Sozialdumping führen. Sie muss vielmehr einhergehen mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte durch soziale Mindeststandards auf europäischer Ebene.

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