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Bericht der Süddeutschen vom 10.02.2012

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V o n R a l f W i e g a n d

Hildesheim– Die Beamten klingelten um halbneun an der Wohnungstür, zehn Poli- zisten waren es gleich. Später einmal hat sich Gazale Salame an die Worte erin- nert, die am Morgen jenes Wintertages fielen. „Bitte packen Sie jetzt Ihre Kof- fer, wir haben keine Zeit.“ Gazale Sala- me begann zu flehen, zu betteln, zu to- ben, aber das half alles nicht. Die schwan- gere Frau und ihre damals einjährige, jüngste Tochter wurden aus der Woh- nung in einem kleinen Dorf östlich von Hildesheim geholt, in den Polizeiwagen verfrachtet, zum Flughafen nach Hanno- ver gebracht und in die Türkei geschickt.

Ihr Mann Ahmed Siali brachte zu diesem Zeitpunkt die beiden älteren Töchter zur Schule – und blieb mit ihnen allein in Deutschland zurück. In all den Jahren, sagt Heiko Kauffmann, die er sich mit der Abschiebepraxis in Deutschland be- schäftigt, „habe ich noch kein Familien- schicksal wie das hier vorliegende er- lebt“. Und er macht das seit 40 Jahren.

An diesem Freitag jährt sich die Tren- nung von Gazale Salame von ihrer in Deutschland lebenden Familie zum sieb- ten Mal. 17 Jahre lang hatte die Frau, heu- te 31 Jahre alt, bis zu jenem 10. Februar 2005 in Deutschland gelebt. Sie war als Kind mit ihren Eltern aus dem libanesi- schen Bürgerkrieg nach Deutschland ge- flohen, angeblich waren sie staatenlose Kurden. Jahre später aber fanden die Be-

hörden heraus, dass die Salames Ende der achtziger Jahre mit Hilfe türkischer Pässe über die Türkei nach Deutschland eingereist sein sollen, dass sie also wo- möglich Türken waren und sich die Ein- reise erschlichen hatten. Gazale Salame war damals ungefähr sieben Jahre alt.

Der mögliche Betrug ihrer Eltern ist der Grund, warum sie und zwei ihrer Kinder heute nicht mehr in Deutschland leben dürfen. Früher hätte man das Sippenhaft genannt.

Heiko Kauffmann, 63, Bundesvor- standsmitglied von Pro Asyl, kämpft seit Jahren für die Rückkehr von Frau Sala- me nach Deutschland. An diesem Sams- tag wird es in Hildesheim eine Kundge- bung geben, nicht die erste. Viele Bürger unterstützen den Kampf für die Familien- zusammenführung, aber der niedersäch- sische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) reagiert nicht darauf. Alles laufe nach Recht und Gesetz, außerdem habe Ahmed Siali selbst schuld daran, kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Nieder- sachsen zu bekommen, weil er straffällig geworden sei; der Mann, nervlich am En- de, ist gegenüber einer Lehrerin aufbrau- send geworden und wegen Nötigung ver-

urteilt worden. Das dauerhafte Bleibe- recht ist aber die einzige Möglichkeit, Frau und Kinder wieder zu sich zu holen.

Dass auch eine mögliche Straftat nicht von Frau Salame begangen worden wä- re, dass sie auch hier wieder für andere büßen muss – die Politik interessiert die- se Ungerechtigkeit nicht.

Ein Brief an Ministerpräsident David McAllister, der „sich wegduckt“, wie Kauffmann sagt, hat bisher ebenfalls noch nichts bewirkt. Kauffmann hat ihm zum Tag der Menschenrechte geschrie- ben, im Dezember vergangenen Jahres – ohne nennenswerte Reaktion. „Fortge- setzter Kindesentzug“ nennt Kauffmann

diese Praxis inzwischen, verübt von Be- hörden. 30 Organisationen und promi- nente Unterstützer haben sich ebenfalls an die niedersächsische Landesregie- rung gewandt, Günter Grass etwa oder die frühere Bundesjustizministerin Her- ta Däubler-Gmelin. Sie bittet David McAllister persönlich, „durch Ihr Ein- greifen zu veranlassen, dass hier endlich Unrecht beendet wird und Menschlich- keit Einzug findet“. Nachbarn und Mit- schüler kämpfen für die Familie.

Doch bisher ohne Erfolg, trotz aller do- kumentierten Verstöße gegen die Verfas- sung, gegen die Europäische Menschen- rechtskonvention, gegen die UN-Kinder- rechtskonvention. Alle Appelle an die Menschlichkeit verhallen. Ahmed Siali, so die niedersächsischen Behörden, könn- te seine Familie ja sofort vereinen, indem er selbst ausreist. Doch er verdient hier das Geld für die zerrissene Familie, er spricht kein Türkisch. Er will als Demo- krat für seine Rechte hier kämpfen und nicht wie seine Frau als Gefangener in ei- nem ihr fremden Land leben müssen.

Ein Reporter derZeithat Gazale Sala- me in Izmir besucht und eine Frau getrof- fen, die an Depressionen leidet und in ärmlichen Verhältnissen lebt. Auch sie hat David McAllister geschrieben, ohne Erfolg. Heiko Kauffmann wird am Sams- tag eine Rede halten bei der Kundgebung in Hildesheim und Platon zitieren: „Nie- mand schafft größeres Unrecht als der, der es in Form des Rechts begeht.“

Sieben Jahre Zerrissenheit

2005 wurde Gazale Salame abgeschoben, ihr Mann und zwei Töchter blieben in Hildesheim – dort gibt es Protest gegen den Kindesentzug

Ein Vertreter von Pro Asyl sagt, so ein Familienschicksal habe er noch nicht erlebt.

Ein Becher mit dem Foto der abge- schobenen Gazale Salame: Ihrem Mann, der mit den älteren Töchtern in Deutschland blieb, sagen die Behör- den, er könnte sei- ne Familie ja sofort vereinen. Er müsse dazu nur selbst ausreisen. Doch er spricht gar kein Türkisch.Foto: ddp

Süddeutsche Zeitung POLITIK Freitag, 10. Februar 2012

Deutschland Seite 6

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