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Rockmusik in den 50er und 60er Jahren

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Matthias S. Fifka

Nomos

2. Auflage

Von der jugendlichen Rebellion zum Protest einer Generation

Rockmusik in den

50er und 60 er Jahren

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Matthias S. Fifka

Von der jugendlichen Rebellion zum Protest einer Generation

Rockmusik in den

50 er und 60 er Jahren

2. Auflage

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Titelbild

Fotos: © Robert Altman; Collage: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8487-5819-7 (Print) ISBN 978-3-8452-9936-5 (ePDF)

2. Auflage 2019

© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

BUT_Fifka_5819-7_2A.indd 4 13.06.19 10:09

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Vorwort

Die Idee, ein Buch über Rockmusik im gesellschaftlichen und politischen Kontext der 50er und 60er Jahre zu schreiben, entstand im Frühjahr 2005, als ich gebeten wurde, einen Vortrag über amerikanische Jugendkultur in dieser Zeit zu halten. Ich entschied mich dafür, dieses Referat an Künstlern wie Elvis Presley, Chuck Berry, den Beatles, den Rolling Stones und Bob Dylan auszurichten, da ihre Musik der wichtigste Bestandteil der jeweili- gen Jugendkultur war. In den 50er Jahren brachte die frühe Rockmusik wie kein anderes Medium jugendliche Rebellion zum Ausdruck, ehe sie in den 60er Jahren zum Sprachrohr eines umfassenden gesellschaftlichen und politischen Protests wurde. Diese Überlegung liegt auch diesem Buch zu- grunde, zu dessen Entstehung viele Kollegen und Freunde in den beiden letzten Jahren maßgeblich beigetragen haben.

Mein erster Dank gilt Herrn Prof. Dr. Reinhard R. Doerries und Herrn Prof. Dr. Daniel Gossel für ihre vielfältigen Anregungen und Kommentare, die für die Konzeption und Ausarbeitung des Manuskripts unerlässlich wa- ren. In Herrn Gossels Schuld stehe ich zudem, da er aufgrund der unmit- telbaren Nähe unserer Büros nicht selten dröhnenden, psychedelischen Klängen ausgesetzt war, seine Tür aber dennoch stets für mich offenstand, wenn sich Fragen aufwarfen.

Obgleich sie sich räumlich weitgehend außerhalb der Lärmzone befan- den, möchte ich Frau Barbara Häfner und Frau Heidi Thiesen ebenso herz- lich danken; zum einen für die von ihnen geschaffene angenehme Atmo- sphäre an unserem Lehrstuhl, zum anderen für ihre Unterstützung wäh- rend der letzten Jahre. Außerdem danke ich Herrn Prof. Dr. Andreas Falke für den Freiraum, den er mir stets für meine Arbeit gelassen hat, und Herrn Dr. Andreas Beierwaltes vom Nomos Verlag für die freundliche Zu- sammenarbeit.

Ein ganz besonders herzlicher Dank geht an Monika und Thomas Neu- baum für die Gastfreundschaft in ihrem spanischen Domizil, wo mehrere Kapitel dieses Buches entstanden sind. Danken möchte ich auch Frau Kris- tina Klag für ihre sorgfältige und strenge Korrektur einzelner Kapitel.

Den größten Dank schulde ich abermals meinem Vater, Herrn Erich Fif- ka, der durch seine vielfältige Unterstützung immer wieder für zeitliche Entlastung gesorgt und in gewohnt souveräner Manier das vollständige

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Manuskript Korrektur gelesen hat. Alle verbleibenden Fehler gehen natür- lich zu meinen Lasten.

Nürnberg, im Oktober 2006 Matthias S. Fifka

Vorwort

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Vorwort zur 2. Auflage

Mehr als zehn Jahre sind vergangen, seit die erste Auflage dieses Buches er- schienen ist. In dieser Zeit haben die Beatles mehr Schallplatten verkauft als jeder andere Künstler weltweit, und die Rolling Stones haben über 100 ausverkaufte Konzerte gegeben. An Chuck Berrys Begräbnis in St. Louis im April 2017 nahmen über 1.000 Menschen teil, um dem „Urvater“ des Rock’n’Roll die letzte Ehre zu erweisen. Ein Jahr vorher wurde Bob Dylan der Nobelpreis für Literatur verliehen.

Offensichtlich haben diese Künstler, die zusammen mit anderen die 50er und 60er Jahre musikalisch prägten, auch in der jüngeren Vergangen- heit nichts von ihrer Faszination verloren. Noch immer bewegen sie oder die Erinnerung an sie Menschen auf der ganzen Welt. Dies mag einer ge- wissen Sentimentalität geschuldet sein, aber auch daran liegen, dass viele der in ihren Liedern aufgegriffenen Themen heute ebenso brisant sind wie damals: soziale Ungerechtigkeit, Rassendiskriminierung, Krieg und Macht- missbrauch. Sie waren die ersten, die Rockmusik als Medium nutzen, um gesellschaftlichen und politischen Protest zu artikulieren, und dadurch Millionen vor allem junger Menschen mobilisierten.

Diese Mobilisierung erreichte ihren Höhe-, aber auch Wendepunkt im August 1969, als 400.000 Menschen sich in der Nähe der Ortschaft Bethel im Bundesstaat New York zum bis heute legendären, fast mystifizierten Woodstock-Festival zusammenfanden. Trotz widriger Umstände, die von starken Regenfällen, nicht vorhandene Sanitäranlagen bis hin zu fehlen- den Lebensmitteln reichten, kam es zu keinerlei nennenswerten Zwischen- fällen, wodurch sich das Motto des Konzerts zu bewahrten schien: „Three Days of Peace & Music.“

In der „wirklichen“ Welt, außerhalb der „Woodstock-Blase“, war Frieden keineswegs bezeichnend für das Jahr 1969. Der Vietnamkrieg erreichte sei- nen Höhepunkt, die von der militanten Untergrundorganisation Weather- men in Chicago organisierten „Days of Rage“ führten zu mehreren Toten, und auch in deutschen Städten kam es zu blutigen Zusammenstößen zwi- schen zumeist studentischen Demonstranten. Der Mythos der friedvollen Gegenkultur fand schließlich am 6. Dezember mit der Ermordung des Afroamerikaners Meredith Hunter auf einem Konzert der Rolling Stones in Altamont, Kalifornien, ein jähes Ende.

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Der fünfzigste Jahrestag dieser geschichtsträchtigen Ereignisse ist Grund genug für eine zweite Auflage dieses Buches, das die gesellschaftlichen und politischen Geschehnisse und Entwicklungen der 50er und 60er Jahre im Spiegel der Rockmusik beleuchtet. Dafür, dass sie möglich gemacht wur- de, danke ich Frau Dr. Sandra Frey, Herrn Alexander Hutzel, M.A. und Frau Alexandra Beutelmann vom Nomos Verlag sehr herzlich.

Erlangen, im März 2019 Matthias S. Fifka

Vorwort zur 2. Auflage

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis 11

Einleitung

Kapitel 1 13

Rockmusik in den 50er und 60er Jahren – ein Überblick

1.1

17 Rock- und Popmusik: Ein Abgrenzungsversuch

1.2 21

Die Entstehung des Rock and Roll

Kapitel 2 25

Die „Classic Rockers“ der 50er Jahre: Rebellen in einer konservativen Ära

Kapitel 3

36 Die frühen 60er Jahre: Die Ruhe vor dem Sturm

Kapitel 4 68

„Girl Groups“ und „Teen Idols“

4.1 71

Die Beach Boys und die Surf-Rock-Welle

4.2 79

Die „British Invasion“: Die musikalische Eroberung Amerikas

Kapitel 5

88 The Beatles

5.1 90

The Rolling Stones

5.2 130

The Who

5.3. 166

Folk-Rock: Die Barden des Protests

Kapitel 6 206

Bob Dylan

6.1 210

The Byrds

6.2 242

Der „San Francisco Sound“: Die Musik der Gegenkultur

Kapitel 7 262

The Grateful Dead

7.1 271

Jefferson Airplane

7.2 303

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Psychedelic Rock und Hardrock: Trance, Eskapismus und Ekstase

Kapitel 8

332 The Jimi Hendrix Experience

8.1 333

The Doors

8.2 365

Die 70er Jahre: „After all, it’s only Rock and Roll“

Kapitel 9 411

Literaturverzeichnis 421

Stichwortverzeichnis 433

Inhaltsverzeichnis

10

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Abkürzungsverzeichnis

AFN Armed Forces Network CIA Central Intelligence Agency CORE Congress of Racial Equality CSN Crosby, Stills & Nash CSNY Crosby, Stills, Nash & Young FBI Federal Bureau of Investigation

HUAC House Un-American Activities Committee

LP Long Play

LSD Lysergsäurediethylamid

LSE London School of Economics and Political Science MTV Music TeleVision

NAACP National Association for the Advancement of Colored People RAF Royal Air Force

SDS Students for a Democratic Society

SNCC Student Nonviolent Coordinating Committee UCLA University of California Los Angeles

WASP White Anglo Saxon Protestant

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Einleitung

„Rock ‘n’ roll smells phony and false. It is sung, played and written, for the most part, by cretinous goons and by means of its almost imbecilic reiteration, and sly, lewd, in plain fact, dirty lyrics [...] it manages to be the martial music of every side-burned delinquent on the face of the earth.“

Frank Sinatra (1958)

Als der bekannte Entertainer Frank Sinatra im Jahr 1958 auf unverhohlene Weise seine tiefsitzende Abneigung gegen Rock and Roll äußerte,1 hatte dieser neue Musikstil längst seinen unaufhaltsamen Siegeszug in den Verei- nigten Staaten angetreten. Bereits drei Jahre vorher, im Frühjahr 1955, hat- te Bill Haleys „(We’re Gonna) Rock Around the Clock“ für acht Wochen die Spitze der amerikanischen Charts erklommen und damit den Grund- stein für den kommerziellen Erfolg des Rock and Roll gelegt. Auch in Westeuropa läutete Haleys Jahrhunderthit die Ära des Rock and Roll ein und belegte 1955 in England den sechsten Platz der Jahreshitparade. In Deutschland rangierte er etwas später gar auf Platz zwei der Jahreshitpara- de 1956, nur übertroffen von Freddy Quinns „Heimweh“ und gefolgt von Peter Alexanders „Der Mond hält seine Wacht“.2 Diese eigenwillige Kon- stellation zeugt davon, dass Rock and Roll auch in Deutschland junge Hö- rer gefunden und kommerzielle Bedeutung erlangt hatte, aber keineswegs die dominierende Musikrichtung war. Vor allem die ältere Generation stand der neuartigen „Radaumusik“, gespielt von „Jugendverderbern“ wie Haley, sehr ablehnend gegenüber. So wurden er und seine Band, The Comets, im Westen Deutschlands als „Kometen der Triebentfesselung“ be- zeichnet, während die DDR-Parteizeitung Neues Deutschland gar von einer

„Orgie amerikanischer Unkultur“3 sprach.

Kapitel 1

1 Das oben genannte Zitat wurde entnommen aus Gertrude Samuels, „Why They Rock“, The New York Times, 12.1.1958, SM16.

2 Zur Erfolgsgeschichte von „Rock Around the Clock“ siehe Jim Dawson, Rock Around the Clock – The Record that Started the Rock Revolution (San Francisco: Back- beat Books, 2005).

3 Zitiert nach Thomas Kramar, „50 Jahre: Rock Around the Clock“, Die Presse, 10.4.2004, http://diepresse.at/Artikel.aspx?id=415754&ressort=ku [16.9.2005].

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Auf beiden Seiten des Atlantiks beschränkte sich der Widerstand gegen die neue Musikrichtung jedoch nicht nur auf verbale Attacken, sondern äußerte sich auch in Auftrittsverboten für Musiker und in der Verbannung ihrer Lieder aus Radio- und Fernsehprogrammen. Im Juli 1956 verhängte der Bürgermeister von Ashbury Park, New Jersey, ein Verbot von Rock- and-Roll-Konzerten in allen öffentlichen Einrichtungen, nachdem wäh- rend eines Konzertes von Haley 25 Jugendliche wegen dort erlittener Bles- suren ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.4 Ähnliche Forderun- gen wurden in Deutschland laut, als das junge Publikum bei einigen Auf- tritten Haleys im Herbst 1958 Halleneinrichtungen demolierte. Solche Vorkommnisse veranlassten Eltern häufig zu der Folgerung, Rockmusik tue nichts weiter, als ihre Kinder zu Gewalt zu animieren, wie auch das Music Journal befand: „Aside from the illiteracy of this vicious ‘music,’ it has proved itself definitely a menace to youthful molds, and an incitement to juvenile delinquency. There is no point in soft-pedaling these facts any longer. The daily papers provide sufficient proof of their existence.”5

Die Begeisterung der Jugendlichen für Rock and Roll resultierte jedoch nicht aus einer latenten Gewaltbereitschaft, sondern war vielmehr Aus- druck der Rebellion gegen die in ihren Augen überholten Moral- und Se- xualvorstellungen dieser Tage. Nur noch bedingt konnten sie sich mit dem konservativen Umfeld der Eisenhower-Präsidentschaft in den USA, der MacMillan-Administration in Großbritannien oder der Adenauer-Ära in Deutschland identifizieren und begehrten gegen die scheinbare Doppel- moral ihrer Eltern auf. Diese wiederum waren umso dankbarer, als Rock- musik Ende der 50er Jahre in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden schien und durch „jugendfreie“ Popmusik ersetzt wurde. Allerdings währte diese Auszeit nur kurz. Nach etwa vier Jahren kehrte Rock and Roll 1964 mit ganzer Kraft zurück und blieb nicht mehr nur Ausdruck der Rebellion gegen moralische Werte, sondern entwickelte sich zu einer Form des Pro- tests gegen das gesamte gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche System.

Die Entwicklung der Rockmusik in den 50er und 60er Jahren ist Gegen- stand dieses Buches. Sie soll anhand der maßgeblichen und einflussreichen Künstler und Stilrichtungen aufgezeigt werden, wobei die Auswahl keines- falls Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Es wäre unmöglich, alle namhaf- ten Rockmusiker in einem Buch darzustellen, zum einen, weil der Platz hierfür nicht ausreichen würde, zum anderen, weil die Einschätzung, wel-

4 „Rock ‘n’ Roll”, Time Magazine, 23.7.1956. Vol. 68, No. 4, 34.

5 The Music Journal, Februar 1958, Vol. 16, 3.

Kapitel 1 Einleitung

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che Künstler zu den bedeutenden ihres Genres zu zählen sind, ohnehin einer unvermeidlichen Subjektivität des Autors unterliegt. Dennoch gibt es einige Kriterien, die bei einer möglichst fundierten Auswahl hilfreich sind. Die Anzahl der verkauften Singles und Alben erlaubt beispielsweise, den Erfolg eines Musikers oder einer Band bei den Hörern zu messen. Vie- le verkaufte Platten wiederum sind allerdings nicht automatisch ein Indi- kator für die musikalische Bedeutung eines Künstlers oder einer Gruppe.

So verkaufte die Band The Monkees von ihrem gleichnamigen Debütal- bum, das im Januar 1967 erschien, fünf Millionen Exemplare und die glei- che Stückzahl von ihrem zweiten Album More of the Monkees aus dem April 1967. Damit belegen sie Platz acht und neun der meistverkauften Al- ben der 60er Jahre, unmittelbar vor dem Album Revolver (1966) der Beat- les.6 Trotz des kommerziellen Erfolges, und hier sind sich Kritiker einig, war die Musik der Monkees weder innovativ, noch war sie prägend für zeit- genössische oder spätere Musiker. Vielmehr war die Band eine versuchte Kopie der frühen Beatles, die sich 1967 längst von leichter Popmusik abge- wandt hatten, was Plattenfirmen dazu veranlasste, neue Bands zu suchen oder zu formen, die dieses Segment ausfüllen würden. Nicht umsonst wur- den die Mitglieder der Monkees, von denen zwei anfänglich nicht einmal ein Instrument spielen konnten, während eines Castings ausgesucht.7 Kei- nes der Alben der Monkees konnte sich dementsprechend im Rahmen einer Umfrage des Rolling Stone Magazine unter den 500 wichtigsten Alben der Popgeschichte platzieren, die von 172 Musikern, Produzenten, Song- writern, Journalisten und Managern von Plattenfirmen gewählt wurden.8 Natürlich hat auch eine solche Befragung keinen verbindlichen Charakter, allerdings ist durch den Querschnitt der befragten Personen eine gewisse Objektivität gewährleistet.

Neben allgemeinen Umfragen bieten auch explizite Äußerungen von Musikern darüber, welche Künstler sie geprägt oder beeinflusst haben, einen Anhaltspunkt bei der Auswahl. Die vielleicht größte Aussagekraft besitzt jedoch die Musik selbst. Durch aufmerksames Zuhören lässt sich häufig feststellen, an welchen früheren oder zeitgenössischen Bands oder Solokünstlern sich der jeweilige Musiker orientiert hat. Darüber hinaus er-

6 Gene Sculatti, 100 Best-Selling Albums of the 60s (Kettering: Hothouse, 2004) 198–

7 Katherine Charlton, Rock Music Styles – A History (Boston, u.a.: McGraw Hill,202.

2003) 136.

8 Rolling Stone Magazine, „The RS 500 Greatest Albums of All Time”, http://www.rolli ngstone.com/ news/story/_/id/5938174 [20.7.2005].

Kapitel 1 Einleitung

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möglicht auch die gesellschaftliche Komponente Rückschlüsse über die Bedeutung eines Musikers oder seiner Lieder. So wurde Bob Dylans „Blo- win’ In The Wind“ (1963) zur Hymne der afroamerikanischen Bürger- rechtsbewegung, während sich die Protestbewegung gegen den Vietnam- krieg mit Country Joe McDonalds „I-Feel-Like-I’m-Fixin’-To-Die Rag“

(1965) identifizierte.

Der gesellschaftliche oder politische Hintergrund, vor dem ein Lied ge- schrieben wurde oder ein Musiker gewirkt hat, darf also nicht außen vor bleiben, wenn die Bedeutung und die Entwicklungsgeschichte von Rock- musik betrachtet werden. In den 50er und 60er Jahren war Rock and Roll als Jugendmusik unweigerlich ein Spiegelbild der generationsbedingten Spannungen in westlichen Gesellschaften und brachte jugendlichen Un- mut und Protest zum Ausdruck.

Nach seiner Entstehung Mitte der 50er Jahre entwickelte sich Rock and Roll als Musik mit afroamerikanischen Wurzeln rasch zum Vehikel der Re- bellion gegen elterliche Wertvorstellungen, die sowohl in den USA als auch in Westeuropa – bedingt durch eine fortwährende Verunsicherung und die Entbehrungen während der Kriegs- und Nachkriegsjahre – stark konservativ und materiell geprägt waren. Aufgrund seines provokanten und emotionalen Charakters bot Rock and Roll die ideale Plattform, um gegen die Bevormundung und die scheinbar verkrusteten und überholten Moralprinzipien der Eltern aufzubegehren. Während die Rockmusik der 50er Jahre also jugendliche Rebellion zum Ausdruck brachte, stellte sie je- doch – ebenso wie ihre Hörer – das gesellschaftliche und politische System noch nicht in Frage.

Diese Entwicklung wurde erst in den 60er Jahren vollzogen, als Rock and Roll zum wichtigsten Medium des sogenannten „Anti-Establishment“

wurde, das die in der Gesellschaft vorherrschenden sozialen, wirtschaftli- chen und politischen Maximen ablehnte. Das Establishment war in den Augen derer, die es ablehnten, geprägt durch die Normen und Werte einer weißen und zumeist protestantischen Mittel- und Oberschicht angelsächsi- scher Herkunft, den „White Anglo-Saxon Protestants“ („WASPs“). Die Mu- sik spielte eine wichtige Rolle, um eine „neue“ Weltanschauung und Le- bensweise zu definieren und zu demonstrieren. Dadurch war Rock and Roll nicht länger nur eine bloße Reaktion auf das gesellschaftliche und po- litische System, sondern trug durch seinen integrativen und als visionär empfundenen Charakter auch aktiv zu der versuchten Änderung dieses Systems bei.

Die folgenden Kapitel sollen die engen Verbindungen zwischen Rock and Roll und jugendlicher Rebellion sowie dem späteren Wunsch nach ge- Kapitel 1 Einleitung

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sellschaftlicher Veränderung aufzeigen. Sie können in diesem Sinne als musikalische Zeitreise durch die 50er und 60er Jahre verstanden werden, die jedoch nicht streng chronologisch verläuft. Vor allem ab 1965 entstan- den diverse, sehr unterschiedliche Stilrichtungen der Rockmusik, deren Entwicklung nicht nacheinander, sondern parallel verlief, was zu zeitlichen Überschneidungen führt. Obwohl bestimmte Zäsuren oder Meilensteine festgemacht werden können, sind die Kapitel dieses Buches nicht an hi- storischen Daten ausgerichtet, sondern an den wichtigsten Rockmusikern jener Zeit und ihren Biografien. Eine kurze Betrachtung der individuellen Lebensläufe und des unmittelbaren sozialen Umfeldes der einzelnen Künstler ist zum Verständnis ihrer Musik ebenso notwendig wie die Analy- se der übergeordneten gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedin- gungen. Insgesamt erlaubt dies eine geschlossene Darstellung, während eine streng chronologische Vorgehensweise ein ständiges und verwirrendes Hin- und Herwechseln zwischen verschiedenen Musikern, Stilrichtungen und Themen erfordern würde.

Der „Trip“, um es im Jargon der 60er Jahre zu sagen, verläuft hauptsäch- lich durch die Vereinigten Staaten, da sie die Wiege der Rockmusik sind und viele der maßgeblichen Entwicklungen dort stattgefunden haben.

Dies heißt jedoch nicht, dass ausschließlich amerikanische Musiker be- trachtet werden, denn britische Künstler wie die Beatles, die Rolling Sto- nes oder The Who waren und sind für die Rockmusik nicht weniger be- deutend. Gelegentlich werden auch kleinere „Abstecher“ nach Deutsch- land gemacht, das zwar in den 50er und 60er Jahren keine wichtigen Rock- musiker hervorbrachte, dessen Jugendliche aber für amerikanischen und britischen Rock and Roll ebenfalls äußerst empfänglich waren.

Rockmusik in den 50er und 60er Jahren – ein Überblick

Der Aufstieg des Rock and Roll zur populären Jugendmusik erfolgte äu- ßerst rasch Mitte der 50er Jahre. Wann die neue Musikrichtung jedoch ge- nau geboren wurde, kann nicht exakt bestimmt werden. Ebenso ist es mü- ßig zu diskutieren, welches Lied der „erste“ Rock and Roll Song überhaupt war. Gehandelt werden Jackie Brenstons „Rocket 88“ aus dem Jahr 1951, die Coverversion dieses Liedes von Bill Haley aus dem gleichen Jahr oder auch Haleys späterer Erfolg „Crazy Man Crazy“ (1953). Ebenso heiße An- wärter sind Elvis’ „That’s All Right, Mama“ (1954) und Chuck Berrys „May- bellene“ (1955). Während solche Einschätzungen dem individuellen Ver- ständnis von Rock and Roll unterliegen, kann allerdings festgehalten wer- 1.1

1.1 Rockmusik in den 50er und 60er Jahren – ein Überblick

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den, dass sich Rock and Roll ab 1956 zu einer eigenständigen Musikrich- tung entwickelt hatte, die von ihren Vorfahren abgegrenzt werden konnte.

Die Entstehung des Rock and Roll, der kein „Retortenbaby“ war, sondern durch eine Kombination unterschiedlicher Musikrichtungen – darunter Blues, Country und Rhythm and Blues – geschaffen wurde, wird in Kapitel zwei beleuchtet.

Das dritte Kapitel widmet sich den Gründervätern des Rock and Roll, die an der eben angesprochenen Synthese maßgeblich beteiligt waren. Sie machten die neue Musik zunächst unter den Jugendlichen in den USA und später in Europa populär und verhalfen ihr so auch zu wirtschaftli- chem Erfolg. Zu den Pionieren dieser Zeit, die etwa von 1955 bis 1959 dauerte, gehören schwarze Musiker wie Chuck Berry, Fats Domino oder Little Richard und weiße Musiker wie Bill Haley, Elvis Presley, Jerry Lee Lewis, Buddy Holly und die Everly Brothers. Nicht zu Unrecht werden sie auch als „Classic Rock and Rollers“ oder kurz „Classic Rockers“ bezeich- net, da sie es waren, die den Rock and Roll aus der Taufe hoben.

Nach der stürmischen zweiten Hälfte der 50er Jahre folgte von 1959 bis 1963 eine Phase der Ruhe, in der die Rockmusik stark kommerzialisiert wurde. Sie ist Gegenstand des vierten Kapitels. Die „Classic Rockers“ hat- ten aus unterschiedlichsten Gründen das Feld geräumt oder räumen müs- sen und die Bühne freigemacht für unanstößige Popkünstler. Die Hitpara- den wurden nun von sogenannten „Teen Idols“ wie Pat Boone oder Con- nie Francis und „Girl Groups“ – beispielsweise The Ronettes oder The Shirelles – erobert. Deren Hits wurden fast ausnahmslos in denselben Stu- dios an der Ostküste in New York und Philadelphia produziert. Von daher ähnelte sich auch ihre Musik sehr stark, der die Plattenindustrie das raue, aggressive Element des „Classic Rock and Roll“ genommen hatte und die zumeist von unverdorbener Romanze und Teenagerliebe handelte. Es kann darüber gestritten werden, ob der „Ostküstenpop“ dieser Zeit überhaupt noch als Rock and Roll bezeichnet werden kann, doch dazu seien nachfol- gend noch einige Worte gesagt. Gleichzeitig entstand an der Westküste je- doch eine neue Stilrichtung, die zweifellos als Rockmusik qualifiziert wer- den kann. Der „Surfsound“ von Dick Dale und den Beach Boys eroberte von Kalifornien aus die USA und überstand in echter Surfermanier im Ge- gensatz zum „Popschmalz“ der Ostküste auch weitestgehend die starke Brandung, die durch die stürmische Ankunft britischer Bands in Amerika ausgelöst wurde.

Diese sogenannte „British Invasion“ wurde angeführt von den zunächst eher braven Beatles, in deren Fußstapfen die Rolling Stones als „bad boys of rock and roll“ folgten. Die Beatles, die nicht nur in den USA eine als Kapitel 1 Einleitung

18

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„Beatlemania“ bezeichnete Massenhysterie auslösten, veränderten durch ihre musikalische Entwicklung und Experimentierfreudigkeit die Rock- landschaft nachhaltiger als jede andere Band. Die Rolling Stones wiede- rum, deren Ursprünge im schwarzen Rhythm and Blues lagen, erweiterten die Grenzen kommerzieller Rockmusik, indem sie auf direkte und provo- kante Weise sexuelle Wünsche, Drogenkonsum und Gewalt in ihren Lie- dern thematisierten. Im Kielwasser dieser zwei wichtigsten britischen Bands der 60er Jahre gingen auch andere britische Gruppen wie The Who oder The Kinks vornehmlich in den USA, aber auch in Kontinentaleuropa an Land, um die Invasion zu komplettieren.

Angeregt durch die Beatles griffen immer mehr amerikanische Folk-Mu- siker zur E-Gitarre. Bis dahin war die elektrische Verstärkung verpönt un- ter den Folk-Sängern, da für sie der Text den wichtigsten Bestandteil der Musik ausmachte und sie stets soziale und politische Missstände in ihren Liedern aufgriffen. Bob Dylan und The Byrds waren die Pioniere, die die Ernsthaftigkeit des Folk mit der Ausdruckskraft und Lautstärke des Rock and Roll verbanden, um ein jüngeres Publikum zu erreichen. Sie beein- flussten durch ihren Folk-Rock, der im sechsten Kapitel dargestellt wird, nicht nur amerikanische Musiker, sondern wiederum auch die Beatles, die in ihrer frühen Zeit zumeist fröhliche Unterhaltungsmusik machten, spä- ter jedoch durch Dylan und die Byrds animiert wurden, auch kritischere und hintergründigere Texte zu schreiben.

Dylans Versuch, soziale und politische Themen in die Rockmusik einzu- bringen, stieß in den gesellschaftlich turbulenten 60er Jahren unter den aufbegehrenden Jugendlichen auf offene Ohren. Besonders in San Francis- co, dem Zentrum der Hippie-Bewegung, entstanden ab 1965 zahlreiche Bands, die gesellschaftliche und politische Ideale zum Gegenstand ihrer Musik machten. Zu den bekanntesten Vertretern dieses „San Francisco Sound“, mit dem sich das siebte Kapitel befasst, zählen The Grateful Dead und Jefferson Airplane.

Kennzeichnend für die Musik aus San Francisco waren auf der instru- mentalen Ebene lange, oft improvisierte Gitarrensolos, die – häufig ge- paart mit dem Konsum psychoaktiver Drogen – die Zuhörer in euphorisch tranceähnliche Zustände versetzen sollten, um der Selbsterfahrung und Bewusstseinserweiterung zu dienen. Bekannt für psychedelische Elemente in der Musik waren neben den Bands aus San Francisco auch Jimi Hendrix mit seiner Band The Jimi Hendrix Experience und The Doors, die sich tref- fender Weise nach dem Roman The Doors of Perception (1954) von Aldous Huxley benannt hatten. Der Autor beschrieb darin als bewusstseinserwei- ternd empfundene und durch den Konsum von Meskalin herbeigeführte 1.1 Rockmusik in den 50er und 60er Jahren – ein Überblick

(19)

Erlebnisse. Huxley gilt zusammen mit dem Psychiater Humphry Osmond auch als Schöpfer des Wortes „psychedelisch“9, das im „Psychedelic Rock“

seinen Niederschlag fand. Obwohl Ende der 60er Jahre das Interesse an dieser Stilrichtung schwand, trugen Bands wie Pink Floyd und Led Zeppe- lin den Psychedelic Rock in die 70er Jahre hinein.

Im letzten Kapitel erfolgt schließlich ein kurzer Ausblick auf die 70er Jahre, in denen der Rock and Roll weitestgehend seine politische und ge- sellschaftliche Motivation verlor, nachdem sich die Jugend- und Protestbe- wegung in den USA als auch in Europa erschöpft hatte. An die Stelle höhe- rer Ziele und Ideale traten verstärkt hedonistische Motive, die sich in Form von „sex, drugs and rock ‘n’ roll“ in der Musik niederschlugen. Die Rock- musik diente mehr und mehr der persönlichen Unterhaltung und wurde aufgrund der aufwendigen musikalischen Arrangements zu einer Kunst- form – dem „Art Rock“. Bekannte Bands wie Led Zeppelin, Deep Purple, Kiss oder Pink Floyd strebten danach, sich durch bombastische, glamourö- se Produktionen und möglichst laute und ausgefallene Bühnenshows ge- genseitig zu übertreffen. Das Protest-Element der Rockmusik wurde erst Ende der 70er Jahre durch den stilistisch eher minimalen Punkrock wie- derbelebt, der den Unmut, die Ängste, aber auch die Aggression vieler Ju- gendlicher zum Ausdruck brachte.

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass die Einordnung der betrachteten Musiker in die jeweiligen Kapitel anhand der von ihnen vertretenen Stil- richtung oder des geographischen Ursprungs keinesfalls einen ausschließli- chen Charakter hat und diesen auch nicht haben kann. Viele Solisten und Bands der 60er Jahre haben im Laufe ihrer Karriere mehrmals ihre Stilrich- tung geändert und könnten von daher auch verschiedenen Kapiteln dieses Buches zugeordnet werden. Die Beatles beispielsweise schufen mit Sgt. Pep- per’s Lonely Hearts Club Band (1967) sicherlich eines der bedeutendsten Psychedelic Rock Alben der Geschichte und könnten von daher auch dem Kapitel, das sich mit Psychedelic Rock befasst, zugeordnet werden. Ebenso wäre es möglich, die Bands, die maßgeblich für den „San Francisco Sound“

waren, im Kapitel zu Psychedelic Rock zu betrachten, da sie diese Stilrich- tung entscheidend mitprägten. Der Amerikaner Jimi Hendrix wiederum, der einer der bekanntesten Vertreter des Psychedelic Rock war, könnte mit etwas Abstraktion sogar zur späteren „British Invasion“ gezählt werden, da ihm erst nach seinen Erfolgen in Großbritannien der Durchbruch in den USA möglich war.

9 Der Begriff setzt sich zusammen aus dem griechischen „psyche“ (=Seele) und „de- los“ (=offenbar).

Kapitel 1 Einleitung

20

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Obwohl keine eindeutigen Zuordnungen möglich sind und von daher auch keine Kapitel mit ausschließlichem Charakter geschaffen werden können, erfolgt die Einordnung der einzelnen Musiker nicht wahllos, son- dern anhand von Kriterien, die kennzeichnend für ihre Musik waren. Für den Erfolg und die Bedeutung der Beatles oder der Rolling Stones in den USA war ihre englische Herkunft ganz maßgeblich, und es muss bezwei- felt werden, dass ihnen der Durchbruch gelungen wäre, wenn sie amerika- nische Bands gewesen wären. Die geographische Herkunft ist auch für die Bands besonders bedeutend, die dem „San Francisco Sound“ zugeordnet werden, da sie in der liberalen Metropole an der Westküste ein besonderes, nahezu einzigartiges Umfeld fanden, das ihre Musik entscheidend prägte.

Musikern wie Bob Dylan oder den Byrds fehlt eine solche geographische Gemeinsamkeit, dennoch lassen sie sich treffend unter dem Genre des

„Folk-Rock“ zusammenfassen, da die Kombination von Elementen des Rock und des Folk für ihre Musik charakteristisch war.

Rock- und Popmusik: Ein Abgrenzungsversuch

Es ist kein leichtes Unterfangen, Rock- und Popmusik zu definieren oder eine klare Linie zwischen beiden Genres zu ziehen, denn zu groß sind ihre Überschneidungen. Dennoch lassen sie sich anhand einiger Merkmale be- dingt gegeneinander abgrenzen. Was die stilistische Ebene anbelangt, so liegt eine gängige Unterscheidung zwischen beiden Musikrichtungen da- rin begründet, dass Pop- im Gegensatz zur Rockmusik weniger aggressiv, schnell und rau ist. Dementsprechend haben Instrumente in der Rockmu- sik eine größere Bedeutung als im Pop; vor allem E-Gitarren, Bässe und Schlagzeuge. Obwohl solche Merkmale eine erste grobe Abgrenzung zulas- sen, ist eine eindeutige Zuordnung von Bands mit ihrer Hilfe nicht mög- lich. So kann diskutiert werden, ob die Beatles eine Rock- oder eine Pop- band waren. Der Einsatz von Instrumenten spielte für sie zweifellos eine gewichtige Rolle, doch wurden die meisten ihre Lieder nicht unbedingt als aggressiv oder rau empfunden. Vielmehr sprach ihre Musik aufgrund von eingängigen, harmonischen Melodien eine große Zahl von Hörern beider Geschlechter aus nahezu allen Altersgruppen und sozialen Schich- ten an.

Diese Ausrichtung auf ein breites Publikum ist das grundlegende Merk- mal von populärer Musik, oder kurz „Popmusik“, die vornehmlich der Un- terhaltung dient und kommerzielle Absichten verfolgt. Um eine möglichst große Hörerschaft zu erreichen, bedient sie sich eines einfachen und har- 1.2

1.2 Rock- und Popmusik: Ein Abgrenzungsversuch

(21)

monischen Stils, der keinerlei musikalische Vorbildung voraussetzt, wäh- rend Kunstmusik ohne ein musikalisches Grundverständnis kaum ge- schätzt werden kann. Weitere gängige Elemente sind eine leicht einzuprä- gende Melodie, ein Aufbau in Strophen mit einem wiederkehrenden Re- frain – häufig auch in Reimform – und ein einfacher Rhythmus. Die Mu- sik der Beatles weist neben dem Einsatz von E-Gitarren, Bass und Schlag- zeug auch alle diese Merkmale auf – zumindest in den Anfangsjahren der Band –, weshalb nicht zu Unrecht behauptet wird, dass die Beatles es wa- ren, die die wichtigsten Elemente des Pop in die Rockmusik einbrachten.

Wie bereits angedeutet, arbeiteten die Beatles vor allem in den ersten Jahren ihrer Karriere mit einfachen, leicht aufzunehmenden Melodien, doch änderte sich dies ab 1965, als ihre Musik zunehmend komplexer wur- de. Die musikalische Entwicklung, die viele Bands durchlaufen, bereitet deshalb häufig weitere Schwierigkeiten bei dem Versuch, sie einer Stilrich- tung zuzuordnen. Zusätzlich erschwert wird dies dadurch, dass der Begriff

„Popmusik“ im Laufe der Zeit einen gewissen Bedeutungswandel erfahren hat. So wurde in den 60er Jahren mit Popmusik noch eindeutig Jugend- musik im Stile der Beatles oder der Rolling Stones assoziiert, weshalb in der zeitgenössischen Literatur die Begriffe „Rockmusik“ und „Popmusik“

weitestgehend synonym gebraucht wurden, ehe unter „Popmusik“ mehr und mehr eine leichte, unkritische und an ein breites Publikum gerichtete Unterhaltungsmusik verstanden wurde. Zwischenzeitlich wird der Begriff häufig sogar mit einem abfälligen Unterton verwandt, der signalisieren soll, dass es sich um anspruchslose „Trivialmusik“ handelt.

Neben der stilistischen, bietet auch die textliche Ebene einige, wenn auch schwache, Anhaltspunkte für eine Differenzierung zwischen Pop- und Rockmusik. Die Texte von Popsongs sind, dem heutigen breiteren Ver- ständnis des Begriffes folgend, zumeist einfach zu verstehen. Obwohl gele- gentlich Metaphern verwendet werden, setzen sie kein spezifisches Wissen voraus und halten Abstand von umstrittenen politischen und sozialen The- men. Es kann auch behauptet werden, dass der Text häufig überhaupt kei- ne Rolle spielt, wie die Beliebtheit von anderssprachiger Popmusik be- weist, deren Text von einem Teil ihrer Hörer überhaupt nicht verstanden wird. Ein Grund hierfür ist, dass Popmusik zumeist einem übergeordneten Lebensgefühl Ausdruck verleiht, das modern sein will, weshalb die Pop- musik auch häufig mit bestimmten modischen Trends einhergeht.

Doch auch diese Eigenschaften lassen sich durchaus auf Rockmusik übertragen, die ebenfalls mit bestimmten Kleidungsstilen einhergeht, text- lich einfach gehalten sein kann und nicht selten von Menschen gehört wird, die der Sprache des Sängers nicht mächtig sind. Im Gegensatz zu Kapitel 1 Einleitung

22

(22)

Popmusikern versuchen Rockmusiker allerdings häufig, durch kritische und manchmal auch aggressive Texte ihrer Unzufriedenheit mit sich selbst oder anderen Ausdruck zu verleihen und auf bestimmte Probleme – wel- cher Art auch immer – hinzuweisen. Allerdings muss gesagt werden, dass Rockmusik nicht immer eine kritische Komponente besitzt und gesell- schaftliche oder politische Missstände anprangert, wie sie es in den 60er Jahren herausragend getan hat. In den 70er Jahren machten die meisten Rockbands, wie etwa Led Zeppelin oder AC/DC, kommerziell äußerst er- folgreiche Rockmusik, die sich weitestgehend unter der Formel „sex, drugs and rock ‘n’ roll“ zusammenfassen ließe und eher unterhaltenden Charak- ter hatte.

Während auf der stilistischen und textlichen Ebene also noch bedingt Abgrenzungen zwischen Rock- und Popmusik vorgenommen werden kön- nen, verwischt ein Unterschied unter kommerziellen Gesichtspunkten na- hezu gänzlich. Rockmusik, die kommerziell erfolgreich ist, ist zwangsläu- fig auch immer populäre Musik, da sie von vielen Menschen gehört und gekauft wird und damit „populär“ ist. Aus diesem Grund ist es nicht unge- rechtfertigt, wenn Popmusik als weitreichender Oberbegriff gesehen wird, zu deren vielen Erscheinungsformen auch die Rockmusik gehört.

Nicht weniger problematisch ist der Versuch, die Begriffe „Rock and Roll“ und „Rockmusik“ gegeneinander abzugrenzen. Weitestgehend be- steht Einverständnis darüber, dass „Rockmusik“ als Oberbegriff alle Stil- richtungen umfasst, die bis heute aus der Musik von Künstlern wie Elvis, Chuck Berry oder Jerry Lee Lewis hervorgegangen sind. Mit „Rock and Roll“ hingegen wird gelegentlich nur die Rockmusik der 50er und 60er Jahre assoziiert. Manche Autoren gehen sogar soweit, darauf zu verweisen, dass die Kurzform „Rock ‘n’ Roll“ die Musik der Jahre 1955 bis 1958 be- schreibt, „Rock and Roll“ die anschließende Periode bis 1964 umfasst und

„Rockmusik“ schließlich alle späteren Richtungen einschließt.10 Dieser or- thographische Kunstgriff erscheint jedoch wenig sinnvoll, denn zum einen ist „Rock ‘n’ Roll“ eben nur die Kurzform von „Rock and Roll“ und be- schreibt den gleichen Inhalt. Eine Unterscheidung wäre etwa so, als ob man „isn’t“ und „is not“ eine unterschiedliche Bedeutung beimessen wür- de. Zum anderen wäre demnach der „Rock and Roll“ bzw. „Rock ‘n’ Roll“

von Elvis, Lewis und ihren musikalischen Weggefährten keine „Rockmu- sik“, obwohl der „Rock and Roll“ zweifellos den Urahn aller späterer Rock- richtungen darstellt.

10 Charlie Gillett, The Sound of the City – The Rise of Rock & Roll (London: Souvenir Press, 1996) 23.

1.2 Rock- und Popmusik: Ein Abgrenzungsversuch

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Um unklare und wenig nachvollziehbare Differenzierungen zu vermei- den, werden „Rockmusik“, „Rock and Roll“ und „Rock ‘n’ Roll“ in den folgenden Kapiteln als synonyme Begriffe verwandt. Eine Abgrenzung ein- zelner Stilrichtungen oder Ausprägungen erfolgt vielmehr durch Begriff- lichkeiten, die für den jeweiligen Stil kennzeichnend sind. Die erste Phase des Rock and Roll von 1955 bis 1959 wird deshalb mit dem Begriff „Clas- sic Rock and Roll“ umschrieben werden, obwohl dieser im deutschen Sprachgebrauch eher selten ist. Ebenso werden weitere englischsprachige Begriffe herangezogen, um bestimmte Stilrichtungen des Rock and Roll ausdrucksstark zu charakterisieren, unabhängig davon, ob sie sich mehr, wie im Falle von Psychedelic Rock und Folk-Rock, oder weniger – wie et- wa der „Surf-Rock“ der Beach Boys – auch im deutschen Wortschatz eta- bliert haben.

Kapitel 1 Einleitung

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Die Entstehung des Rock and Roll

„The blues had a baby and they called it rock and roll.”

Muddy Waters

Wenngleich Rock and Roll in den ausgehenden 50er Jahren vornehmlich die Herzen eines weißen Publikums eroberte und weiße Künstler das Gen- re in den 60er Jahren dominierten, lagen seine Ursprünge in erster Linie in der Musik der Afroamerikaner. Zwar hatte auch die weiße Folk- und Coun- trymusic, die ebenfalls Elemente schwarzer Musik beinhaltet, nicht uner- heblichen Einfluss auf den Rock and Roll, doch war es die schwarze Blues- music, die ihn maßgeblich prägte.

Blues

Erste Formen des Blues waren bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert im Süden der USA entstanden und knüpften teilweise an traditionellere For- men schwarzer Musik wie dem Gospel, den „Worksongs“ und „Fieldhol- lers“ an, die von den schwarzen Sklaven gesungen worden waren. Dadurch geprägt, sind auch die späteren Bluestexte zumeist autobiographischer Na- tur und erzählen vom Leid des Sängers, von Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Heimweh, Hunger, finanzieller Not, aber auch unglücklicher oder unerwi- derter Liebe.1 Dieser grundsätzlich melancholischen Natur verdankt der Blues auch seinen Namen („to be blue“ = traurig, trübsinnig, niederge- schlagen sein), wenngleich unbekannt ist, wer den Begriff „Blues“ als Be- zeichnung für die entstehende Musikrichtung prägte. Das Wort „blue“ ist auch in den „blue notes“ wiederzufinden, jenen verminderten Tönen der Dur- und Molltonleiter, die für den Blues charakteristisch sind.2

Kapitel 2

1 Paul Friedlander, Rock and Roll – A Social History (Boulder: Westview Press, 1996) 16–17.

2 „Blue notes“ sind Töne, die zwischen kleiner und großer Terz oder zwischen einer reinen und einer verminderten Quinte liegen. Eine exakte Notierung und Defini- tion ist nicht möglich, da diese Töne der Interpretation des Musikers unterliegen.

Ihr Ursprung liegt vermutlich in der afrikanischen Pentatonik (fünftonig), weshalb

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Obwohl im ländlichen Süden der USA zahlreiche unterschiedliche Bluesformen entstanden sind, die zumeist unter dem Oberbegriff „Coun- try Blues“ zusammengefasst werden, hatte der Blues aus dem Mississippi Delta (Delta Blues) den nachhaltigsten Einfluss auf die spätere Rockmusik.

Im Gegensatz zu dem Blues aus Küstenstaaten wie Georgia, North und South Carolina war der Delta Blues ungeschliffen, rau und sehr emotional.

Zu seinen bekannteren Vertretern zählen Robert Johnson, Charley Patton und McKinley Morganfield, der als Muddy Waters berühmt wurde.3 Wa- ters, der 1915 in Rolling Fork, Mississippi, geboren wurde und dort auf- wuchs, spielte zunächst Delta Blues, ging später jedoch nach Chicago, wo er Ende der 1940er Jahre eine Band gründete.4

In Chicago, der Heimat von etwa 400.000 Afroamerikaner nach dem 2.

Weltkrieg, wurde Waters bekannt als einer der Mitbegründer des Chicago Blues. Diese neue Bluesrichtung zeichnete sich vor allem durch den Ein- satz elektrischer Gitarren aus und integrierte Elemente des Swing und Boogie-Woogie, was sie im Gegensatz zum klassischen Country Blues schwungvoller machte. Wenngleich schon andere Blues-Musiker vor Mud- dy Waters E-Gitarren eingesetzt hatten, zum Beispiel Aaron „T-Bone“

Walker, geht die bis heute in der Rockmusik dominierende Verwendung der E-Gitarre mit nur wenigen Riffs5 auf Muddy Waters zurück. Sein Ein- fluss auf Musiker späterer Generationen lässt sich auch daran erkennen, dass sein Lied „Rollin’ Stone“ einer britischen Band, die knapp 20 Jahre später zu einer der erfolgreichsten Rockbands überhaupt werden sollte, als Namensvorlage diente.6

Neben Muddy Waters zählt auch John Lee Hooker (1917–2001), der ebenfalls in Mississippi geboren wurde, zu den bekanntesten Vertretern des Chicago Blues, wenngleich er die meiste Zeit seines Lebens in Detroit verbrachte. Im Gegensatz zu Waters hielt Hooker jedoch stärker an den

sie im Zwölfton-System einzuordnen sind. Dazu: Charlton, Rock Music Styles – A History, 13.

3 Woher der Künstlername Muddy Waters kam, ist ungewiss. Bekannt ist lediglich, dass Muddy Waters in seiner Kindheit gerne mit den Händen in flachen Weihern fischte („to muddy“). Charlton, Rock Music Styles – A History, 19.

4 Zu Leben und Werk von Muddy Waters siehe Sandra B. Tooze, Muddy Waters: The Mojo Man (Toronto: ECW Press, 1996).

5 Ein Riff ist eine immer wiederkehrende, kurze und zumeist rhythmische Tonfolge, die das gesamte Musikstück prägt.

6 Keith Richards von den Rolling Stones schrieb auch das Vorwort für Robert Gor- dens Buch Can't be Satisfied: The Life And Times Of Muddy Waters (New York: Little, Brown and Company, 2002).

Kapitel 2 Die Entstehung des Rock and Roll

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Traditionen des Delta Blues fest, wie dem sogenannten „call-and-response“, das seine Ursprünge in den „Worksongs“ und „Fieldhollers“ der Sklaven hatte. Dabei unterbricht der Sänger für eine gewisse Zeit sein Lied, um den Zuhörern die Möglichkeit zu geben, auf den von ihm gesungenen Text zu antworten. In Hookers vielleicht bekanntestem Stück „Boom Boom“ hören die Instrumente immer dann auf zu spielen, wenn eine Zeile gesungen wird, auf die die Instrumente dann gewissermaßen antworten.

Auch die Animals, eine britische Rockband, behielt diese Technik in ihrer Coverversion des Liedes aus dem Jahr 1965 bei.7

Der Chicago Blues mit seinen Elementen des Swing und Boogie-Woogie kann als spezielle Richtung des übergeordneten Urban Blues gesehen wer- den. Dieser „städtische“ Blues grenzte sich vom traditionellen Country Blues dadurch ab, dass nicht mehr nur ein Sänger mit Gitarre oder Mund- harmonika auftrat, sondern die Lieder von Bands gespielt wurden, die so- wohl über Rhythmusinstrumente wie Bassgitarre, Schlagzeug oder akusti- sche Gitarre als auch über Soloinstrumente, etwa Saxofon oder Piano, ver- fügten. Die akustische Gitarre war im Vergleich zu den anderen Instru- menten zu leise, um sie als Soloinstrument einsetzen zu können, was maß- geblich zur Entwicklung der E-Gitarre beitrug.

Einer der bekanntesten Vertreter des Urban Blues ist Riley B. King („Blues Boy“ King oder verkürzt B.B. King), der 1925 in Mississippi gebo- ren wurde. King ging Ende der 40er Jahre nach Los Angeles, wo er einen Plattenvertrag beim späteren Gründer von Sun Records, Sam Phillips, der auch Elvis den ersten Plattenvertrag gab, unterschrieb. Bis heute ist B. B.

King als Live- und Studiomusiker aktiv. Im Jahr 2000 nahm er zusammen mit Eric Clapton, der schon 1979 eine Konzerttournee mit Muddy Waters unternommen hatte, das Album Riding With The King auf. Bereits 1988 hat- te King zusammen mit der irischen Rockband U2 den Film und das Liveal- bum Rattle and Hum aufgenommen und den Blues dadurch auch einem jüngeren Publikum zugänglich gemacht.8

Ebenfalls in Mississippi geboren wurden zwei weitere Blues-Legenden, die maßgeblichen Einfluss auf Rockmusiker späterer Tage hatten. Elmore James (1918) war einer der ersten Musiker aus dem Delta, die in Chicago mit Jazzmusikern spielten und dadurch dem Blues eine neue Richtung ga- ben. Außerdem wurde James bekannt dafür, dass er ein Metallröhrchen als eine Art Plektron verwendete und damit über die Saiten strich. Diese Tech- nik wurde später von Jimi Hendrix, Eric Clapton und Lewis Brian Jones

7 Charlton, Rock Music Styles – A History, 19.

8 B.B. King und David Ritz, Blues All Around Me (New York: Perennial, 1999).

Kapitel 2 Die Entstehung des Rock and Roll

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von den Rolling Stones nachgeahmt. Brian Jones war so von James begeis- tert, dass er sich am Anfang seiner Karriere sogar den Künstlernamen Elmo Lewis gab.9

Nicht weniger einflussreich als James war Chester Arthur Burnett (1910–1976), der bei einer Größe von fast zwei Metern und drei Zentnern Gewicht über ein bemerkenswertes Stimmvolumen verfügte und damit oft einem Wolfsgeheul ähnliche Töne imitierte, was ihm den Bühnennamen Howlin’ Wolf einbrachte. Burnetts rauer Stil machte ihn zum Vorbild für Bands wie die Doors, Cream, Grateful Dead und die Rolling Stones. 1972 nahm Burnett zusammen mit vielen populären Rockmusikern dieser Tage – darunter Clapton, Steve Winwood, Ex-Beatle Ringo Star und die beiden Stones Bill Wyman und Charlie Watts – das Album The London Howlin’

Wolf Sessions auf,10 was abermals die Bedeutung der Blues-Väter für die Rockstars der 60er und 70er Jahre unterstreicht.

Während der Instrumentalbereich des Blues eine reine Männerdomäne war, blieb der Gesang häufig Künstlerinnen vorbehalten. Die erste profes- sionelle Bluessängerin war Gertrude Pridgett (1886–1939), die unter ihrem Künstlernamen Ma Rainey oder auch als „The Mother of the Blues“ be- kannt wurde. Ihr Gesangsstil war gekennzeichnet von stöhnenden Klage- lauten, langen Pausen und verzerrten „blue notes“ und einem gewaltigen Stimmvolumen, das notwendig war, um die begleitenden Instrumente zu übertönen. Bereits 1923 nahm sie ihre erste Platte auf und unterzeichnete einen Vertrag mit Paramount Records. Bei einigen ihrer Aufnahmen wur- de sie von Jazzgrößen wie Louis Armstrong oder Colemann Hawkins be- gleitet.11 Rainey hatte auch maßgeblichen Einfluss auf die acht Jahre jün- gere Bessie Smith (1894–1937), die ihre Karriere als Gesangspartnerin von Rainey begann und 1929 eine der Hauptrollen im Film St. Louis Blues spielte. In den 30er Jahren machte Smith einige Aufnahmen mit Big-Band- Leader Benny Goodman, der als einer der ersten mit rassistischen Tabus brach und schwarze Künstler in sein Orchester aufnahm. Jedoch blieb es bis in die 50er Jahre hinein eine Ausnahme, dass schwarze und weiße Mu- siker zusammen auftraten oder vor einem gemischten Publikum spielten.

Bezeichnenderweise rankten sich auch für lange Zeit Gerüchte um den frühen Tod von Bessie Smith, da ihr unmittelbar nach einem Autounfall angeblich die Behandlung in einem Krankenhaus für Weiße versagt wor-

9 Friedlander, Rock and Roll – A Social History, 105.

10 Charlton, Rock Music Styles – A History, 19.

11 Sandra Lieb, Mother of the Blues: A Study of Ma Rainey (Amherst: University of Massachusetts Press, 1981).

Kapitel 2 Die Entstehung des Rock and Roll

28

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den wäre. Erst 1972 konnte Chris Albertson durch Interviews mit dem be- handelnden Arzt und dem Fahrer des Krankenwagens beweisen, dass Smith direkt in ein naheliegendes Krankenhaus für Schwarze gebracht wurde, da getrennte Krankenhäuser für Schwarze und Weise gängige Praxis im Süden der USA waren, und niemals um Aufnahme in ein „weißes“

Krankenhaus ersucht worden war.12 Trotz ihrer kurzen Karriere prägten Ma Rainey und Bessie Smith die Musik späterer Sängerinnen wie Mahalia Jackson, La Vern Baker und Janis Joplin.

Folk und Countrymusic

Neben dem Blues hat der Rock and Roll seine Wurzeln auch im Folk und der Countrymusic.13 Der amerikanische Folk geht zurück auf die musikali- sche Tradition der verschiedenen Einwanderergruppen, die Liedgut aus ihren Heimatländern mit in die USA brachten. Da Folk im Gegensatz zur Kunstmusik nicht notiert war, sondern mündlich überliefert wurde, unter- lag er stets einer großen Veränderung, abhängig von der Interpretation des jeweiligen Künstlers. Zudem wurden auch neue Themen, die sich aus den veränderten oder andersartigen Lebensumständen in der neuen Heimat er- gaben, in die Lieder integriert. So griffen mehr und mehr Musiker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts soziale Probleme wie die Sklaverei, die Gleichstellung der Frauen oder auch den Alkoholmissbrauch in ihren Lie- dern auf. Der Fokus des Folk lag also hauptsächlich auf Text und Gesang, weshalb Instrumente stets nur begleitenden Charakter hatten und traditio- nelle Folkmusiker eine elektronische Verstärkung konsequent ablehnten.

Erst Bob Dylan brach Mitte der 60er Jahre mit dieser Maxime, was zu hefti- gen Kontroversen innerhalb der Folk-Gemeinde führte.14 Bei Dylans legen- därem Auftritt auf dem Newport Folk Festival, bei dem er erstmals live mit Verstärkern vor einem größeren Publikum spielte, soll der bekannte Folk-

12 Chris Albertson, Bessie (New York: Stein and Day, 1972).

13 Die deutschen Schreibweisen für „Folk(music)“, „Countrymusic“ und „Folkrock“

variieren sehr stark, was nicht verwunderlich ist, da sich nicht einmal renommier- te englischsprachige Fachmagazine wie der Rolling Stone auf eine Schreibweise ei- nigen können. Hier findet man beispielsweise die Schreibweisen „Folk-Rock“,

„Folkrock“ oder auch „Folk Rock“, die als solche auch in die deutsche Literatur übernommen wurden. Um hier eine einheitliche Schreibweise zu gewährleisten, wurde sich an den Vorschlägen des Duden orientiert.

14 Charlton, Rock Music Styles – A History, 40.

Kapitel 2 Die Entstehung des Rock and Roll

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Sänger Pete Seeger sogar mit einer Axt in den Händen gedroht haben, die Stromkabel durchzuschlagen.

Bereits 1941 hatte Seeger im Alter von 22 Jahren die Almanac Singers gegründet, eine traditionelle Folkband, die vor allem für einen Aufbau starker Gewerkschaften, die Beendigung des Zweiten Weltkrieges und die Garantie von Bürgerechten für die Afroamerikaner in ihren Liedern ein- trat. Als sich die Almanac Singers 1948 auflösten, rief Seeger noch im glei- chen Jahr die Weavers ins Leben, die mit den Aufnahmen bekannter Folk- songs wie „Goodnight Irene“ oder „Kisses Sweeter Than Wine“ nationale Berühmtheit erlangten.15 Anfang der 50er Jahre litten die Weavers wäh- rend der Kommunisten-Verfolgung in den USA unter Untersuchungen durch das House Un-American Activities Committee16, da sie dem linken poli- tischen Spektrum nahestanden. 1953 lösten sie sich vorübergehend auf.

Mit Seegers Kompositionen waren später auch andere Musiker erfolg- reich. Das Folk-Trio Peter, Paul and Mary hatte 1962 mit „If I Had a Ham- mer“ einen Hit, und ein Jahr später erreichte der Rock and Roll Musiker Trini Lopez mit diesem Titel die amerikanischen Charts. Im Herbst 1965 belegten The Byrds mit Seegers Komposition „Turn! Turn! Turn!“, die einem Bibeltext entlehnt war, den Spitzenplatz in der Hitparade. Seeger, der 1919 In New York geboren wurde, entstammte einer musikalischen Fa- milie. Seine Mutter Constance Edson war eine bekannte Violinistin, und sein Vater Charles Seeger unterrichtete als Musikwissenschaftler an Univer- sitäten in New York und Kalifornien. Zusammen mit John A. Lomax und dessen Sohn Alan Lomax hatte Charles Seeger eine Vielzahl amerikani- scher Folksongs notiert und aufgenommen. John A. und Alan Lomax wie- derum veröffentlichten 1947 mit Folk Song USA eine erste umfassende Sammlung traditioneller Lieder und archivierten später auch im Auftrag des Kongresses amerikanische Folksongs für die Library of Congress.17

15 Seeger selbst hat eine Geschichte der Folk Music, gepaart mit autobiographi- schem Material, veröffentlicht: Pete Seeger, The Incompleat Folk Singer (New York:

Simon and Schuster, 1972).

16 Das House Un-American Activties Committee war ein Komitee im Repräsentanten- haus des Kongresses, das mögliche, gegen die Vereinigten Staaten gerichtete Um- triebe untersuchte. Die Arbeit des Komitees, das 1945 ins Leben gerufen wurde und dem auch Richard Nixon angehörte, richtete sich in erster Linie gegen ver- meintliche Anhänger kommunistischer Ideologien in Regierungsbehörden, aber auch gegen Künstler in der Musik- und Filmbranche.

17 John A. Lomax und Alan Lomax, Folk Song USA: The 111 Best American Ballads (New York: Duell, Sloan and Pearce, 1947).

Kapitel 2 Die Entstehung des Rock and Roll

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Zahlreiche ihrer Aufnahmen machten sie zusammen mit Woody Gu- thrie, der ebenfalls Mitglied der Almanac Singers gewesen und neben See- ger der bedeutendste Folkmusiker der 40er und 50er Jahre war. Guthrie, der mit vollem Namen Woodrow Wilson Guthrie hieß, kam 1912 in Okla- homa zur Welt, just in dem Jahr, in dem sein Namensvetter Woodrow Wil- son zum Präsidenten gewählt wurde. 1935 ging Guthrie wie viele andere

„Okies“ auch nach Kalifornien, um der Verödung des Farmlandes im Mitt- leren Westen, der „Dust Bowl“, zu entkommen. Dort hatte er erste kleinere Erfolge als Radiosänger.18 1940 zog Guthrie nach New York City, wo er en- ge Verbindungen zu Folk- und Protestmusikern aus einem kommunistisch geprägten Milieu knüpfte und sich Seegers Almanac Singers anschloss.

Während sich die Almanac Singers gegen den Krieg aussprachen, unter- stütze Guthrie jedoch später den militärischen Kampf gegen den Faschis- mus und diente während der Kriegsjahre als Musiker in der Handelsmari- ne. Sein Markenzeichen zu dieser Zeit war eine Gitarre, auf die er „This Machine Kills Fascists“ geschrieben hatte.19 Nach dem Krieg veröffentlich- te Guthrie ein Liederbuch, das auch seinen bekanntesten Song „This Land is Your Land“ enthielt, den er bereits 1940 geschrieben hatte. „This Land is Your Land“ war in seiner ursprünglichen Fassung ein Protestsong gegen soziale Ungerechtigkeit in den USA, und Guthrie prangerte die ungleiche Verteilung materiellen Besitzes an: „One bright sunny morning in the shadow of the steeple, By the relief office I saw my people, As they stood hungry, I stood there wondering if this land was made for you and me [God blessed America for me].”20 Guthries Lied war eine Anspielung auf Irving Berlins „God Bless America”, eine Lobeshymne auf die Vereinigten Staaten, die Guthrie für nicht zutreffend hielt. Im Originalmanuskript hat- te Guthrie deshalb auch zunächst die Textzeile „God blessed America for me“ vorgesehen, diese aber ausgestrichen und durch „this land was made for you and me“ ersetzt.21 Im Laufe der Zeit entfernte er jedoch die sozial- kritischen Passagen, sodass sich das Stück mehr und mehr zu einem patrio- tischen Lied entwickelte und gelegentlich als „Folk-Nationalhymne der USA“22 bezeichnet wird. Obwohl Guthrie ab 1954 wegen der Nervenkrank- heit Chorea Huntington die meiste Zeit bis zu seinem Tod 1967 im Kran-

18 Seeger, The Incompleat Folk Singer, 41–42.

19 Charlton, Rock Music Styles – A History, 40.

20 Woody Guthrie; Copyright © 1972 Ludlow Music.

21 Ein Faksimile des Manuskripts kann eingesehen werden bei The Woody Guthrie Foundation and Archives, http://www.woodyguthrie.org/foundation/research.htm..

22 Robert Shelton, No Direction Home – The Life and Music of Bob Dylan (London:

New English Library, 1986) 79.

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kenhaus verbringen musste, blieb er ein Magnet und Vorbild für jüngere Folk-Musiker.

Dazu gehörte auch der damals noch unbekannte Bob Dylan, der ihn im Februar 1961 im Hospital besuchte und von Guthries charismatischer Art fasziniert war. Seine Bewunderung für den dahinsiechenden Folk-Helden kommt in Dylans Lied „Last Thoughts on Woody Guthrie“ aus dem Al- bum The Bootleg Series, Volumes 1–3 (1991) zum Ausdruck: „And where do you look for this hope that yer seekin’, [...], You can either go to the church of your choice, Or you can go to Brooklyn State Hospital, You’ll find God in the church of your choice, You’ll find Woody Guthrie in Brooklyn State Hospital.”23 Dylan schloss eine enge Freundschaft mit Woody Guthrie und auch mit dessen Sohn Arlo, der wie Dylan einer der musikalischen Helden der Protestbewegung in den 60er Jahren werden sollte.

Während der Einfluss des Folk auf die spätere Rockmusik hauptsächlich in sozial-kritischen Texten lag, war es im Falle der Countrymusic eher die instrumentale Komponente, an der sich die ersten Rockmusiker orientier- ten. Countrymusic ist eine spezielle Form der Folkmusik, die zunächst im Süden der USA entstand und in erster Linie unterhaltenden Charakter hat- te. Sie war zumeist Tanzmusik und wurde auf Gitarren, Fideln und später auch auf dem Klavier oder der Mundharmonika gespielt. Mit der zuneh- menden Bedeutung des Radios in den 20er Jahren gewann Country auch Anhänger in anderen Teilen der USA, und der WSM Barn Dance (WSM war der Name des Radiosenders) wurde ab 1925 zu einem der populärsten Programme. In den 30er und 40er Jahren entwickelte sich eine Vielzahl an unterschiedlichen Stilrichtungen der Countrymusic, von denen einige wie- derum Elemente des Folk und des Blues beinhalteten, weshalb klare Tren- nungen zwischen den einzelnen Richtungen zumeist nur schwer möglich sind.24

Eine Spielart der Countrymusic, die in den vierziger Jahren entstand, war Bluegrass, dessen Name sich an den Bundesstaat Kentucky („The Blue Grass State“) anlehnt, weil dort im Frühjahr und Sommer ein blaugrünes Gras blüht. Bluegrass zeichnet sich aus durch etwa vier bis sieben Musiker, die über Rhythmus- als auch Soloinstrumente verfügen, sowie durch einen markanten, hohen Nasalgesang. Der Vorläufer des Bluegrass war die Musik der Carter Family, eines Trios aus Virginia, das 1927 erste Plattenaufnah- men machte und bis 1930 mehr als 300.000 Alben verkauft hatte. Die Car- ter Family kombinierte als eine der ersten Gruppen alte Kirchenlieder, Bal-

23 Bob Dylan; Copyright © 1973 Special Rider Music.

24 Charlton, Rock Music Styles – A History, 41–43.

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laden oder Folksongs mit Gitarrenmusik und gab der Gitarre dabei nicht nur die Rolle eines Rhythmusinstruments, sondern setzte sie auch als Leadinstrument ein.25 Zu der zweiten Generation der Carter Family gehör- te auch June Carter, die ab 1961 mit Johnny Cash auf Tournee ging und diesen 1968 heiratete.

Während Bluegrass – wie der traditionelle Folk auch – konsequent auf elektrische Verstärker verzichtete, kam die Honky Tonk Countrymusic nicht ohne sie aus. Als „Honky-Tonks“ wurden Bars oder Saloons bezeich- net, die meist außerhalb der Stadtgrenzen lagen, in denen getrunken und geraucht wurde, und auch Schlägereien und Prostitution waren keine Sel- tenheit. Honky-Tonks waren somit kein Platz für leise Vokalmusik, sondern für ausgelassene, laute Tanzmusik. Der bekannteste Vertreter dieser Stil- richtung wie auch der Countrymusic überhaupt ist bis heute Hank Wil- liams, Sr. (1923–1953). Williams feierte große Erfolge als Solokünstler, spä- ter auch unter dem Pseudonym „Luke the Drifter“, und mit seiner Band The Drifting Cowboys. Obwohl er nur 29 Jahre alt wurde, hatte er elf Nummer-Eins-Hits, darunter fröhliche Lieder wie „Jambalaya“, aber auch schwere Balladen wie „I’ll Never Get Out Of This World Alive“, das seine Lebensgeschichte widerspiegelte. Williams war Zeit seines nur kurzen Le- bens von schweren physischen und psychischen Problemen geplagt und in den Jahren vor seinem Tod schwer alkohol- und morphiumabhängig. Den- noch brachte er die Countrymusic vielen Amerikanern näher.26 Williams machte sie gewissermaßen zur Popmusik und beeinflusste spätere Rock and Roll Musiker wie Elvis Presley, Eddie Cochran oder Jerry Lee Lewis.

Jerry Lee Lewis orientierte sich zudem an einer weiteren Form der Countrymusic, dem Hillbilly Boogie. „Hillbilly“ war ein Spitzname für einfache Menschen schottischer oder irischer Herkunft (daher „billy“), die im Süden der USA in entlegenen Regionen, vornehmlich den Appalachen (den „hills“), wohnten. Das Wort wurde alsbald auch ein Synonym für Countrymusic, die, wenn kombiniert mit Boogie-Woogie, zum Hillbilly Boogie wurde. Boogie-Woogie wiederum ist sowohl die Bezeichnung für einen schnellen Tanz als auch für einen Musikstil, der ursprünglich nur so- lo auf dem Klavier gespielt wurde. Im Laufe der Zeit wurden jedoch neue Instrumente integriert, der Boogie-Woogie blieb aber stets eine schnelle Tanzmusik im Viervierteltakt.27 Die mit der linken Hand auf dem Piano

25 Friedlander, Rock and Roll – A Social History, 19.

26 Colin Escott, George Merritt und William MacEwen, Hank Williams: The Biogra- phy (New York: Little, Brown and Company, 1995).

27 Charlton, Rock Music Styles – A History, 42.

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gespielte Bassbegleitung, die charakteristisch für den Boogie-Woogie ist, wurde auch ein fester Bestandteil früher Rhythm and Blues Musik.

Rhythm and Blues

Der Begriff „Rhythm and Blues“ beschreibt Musik, die unterschiedliche, populäre Musikrichtungen kombiniert, ihren Ursprung jedoch in erster Li- nie im schwarzen Blues hat. In jüngster Zeit werden unter dem Begriff alle Musikrichtungen afroamerikanischen Ursprungs eingeordnet, mit Ausnah- me des Jazz. Wenngleich Jazz und Rhythm and Blues heute als unter- schiedliche Richtungen klassifiziert werden, wurden beide in den 40er Jah- ren von den gleichen Bands – in erste Linie von großen Bigbands wie der Count Basies oder Duke Ellingtons – gespielt. Wegen ihres großen und da- mit sehr teuren Ensembles wurden diese Bigbands in den 50er Jahren aller- dings mehr und mehr von kleineren Bands abgelöst, die vornehmlich Rhythm and Blues spielten. Ihre geringere Lautstärke, die per se nicht aus- reichend war, um größere Tanzsäle zu durchdringen, kompensierten sie durch elektrische Verstärker.28 Im Gegensatz zu den statischen Bigbands, lieferten die kleineren Rhythm and Blues Ensembles oft energiegeladene Shows, die Musiker tanzten über die Bühne und spielten auf ihren Knien oder im Publikum. Neu war auch im Unterschied zum klassischen Blues, der häufig die sozialpolitischen Probleme der Afroamerikaner aufgriff, dass Rhythm and Blues die Zuhörer zum Tanzen animieren wollte, weshalb die Texte oft den Tanz an sich zum Gegenstand hatten. Aber auch sexuell an- zügliche Passagen waren keine Seltenheit. Diese Elemente sollten nur kur- ze Zeit später zentrale Bestandteile des Rock and Roll werden.29

Als kommerziell gebräuchliche Bezeichnung für eine Musikrichtung wurde „Rhythm and Blues“ erstmals in den 40er Jahren verwendet, wenn- gleich bis zu Beginn der 50er Jahre der geläufige Oberbegriff für schwarze Musik „Race Music“ war. Diesen Begriff verwendete auch das Billboard Ma- gazine, das seit 1940 Verkaufslisten von Platten in den USA veröffentlicht hatte, als es 1946 damit begann, auch die Anzahl verkaufter Alben im Be- reich schwarzer Musik festzustellen. Ab 1948 distanzierten sich jedoch die meisten großen Plattenfirmen vom rassistisch geprägten Begriff der „Race Music“. MGM bezeichnete schwarze Musik fortan als „Ebony Music“, Dec- ca und Capitol kreierten den Begriff „Sepia“ und RCA-Victor fasste die Mu-

28 Gillett, The Sound of the City – The Rise of Rock & Roll, 119–123.

29 Charlton, Rock Music Styles – A History, 42.

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sik der bei ihnen unter Vertrag stehenden schwarzen Künstler als „Rhythm and Blues“ zusammen. Im Juni 1949 übernahm auch Billboard die Bezeich- nung von RCA, und gegen 1952 hatte sich der Begriff als Oberbezeich- nung für schwarze Musik durchgesetzt.

Wenngleich Rhythm and Blues keine genaue Stillrichtung beschrieb, so war der Begriff bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre hinein allerdings in einer Hinsicht prägnant. Er beschrieb Musik, die zunächst ausschließlich von Afroamerikanern für ein afroamerikanisches Publikum gemacht wur- de. Die meisten Afroamerikaner hatten nur Interesse an schwarzen Sän- gern und Gruppen, und so schafften es lediglich fünf weiße Künstler zwi- schen 1950 und 1955 in die Rhythm and Blues Charts.30 Einer von ihnen war Bill Haley mit den Liedern „Dim Dim the Lights“ und „Rock Around the Clock“, zwei Rock and Roll Songs, die stark an den schwarzen Rhythm and Blues angelehnt waren.31 Haley wurde dadurch zum ersten weißen Vertreter der „Classic Rockers“.

30 Gillett, The Sound of the City – The Rise of Rock & Roll, 121–122.

31 Die anderen Künstler waren Boyd Bennett mit „Seventeen“, ebenfalls ein Rock and Roll Song, sowie Johnny Ray mit „Cry“ und Les Paul and Mary Ford mit

„How High the Moon“.

Kapitel 2 Die Entstehung des Rock and Roll

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Die „Classic Rockers“ der 50er Jahre: Rebellen in einer konservativen Ära

„The reason kids like rock ‘n’ roll is their parents don’t.”

Sänger und Produzent Mitch Miller Zu Beginn der 50er Jahre fingen Radiosender in Gegenden mit einem ho- hen Anteil an afroamerikanischer Bevölkerung an, vermehrt Rhythm and Blues zu spielen. Dadurch wurden auch weiße Jugendliche, die der zu- meist langweiligen Unterhaltungsmusik weißer Künstler überdrüssig wa- ren, über das Radio vermehrt auf schwarze Musik aufmerksam. Die entste- hende Nachfrage zwang zusehends „weiße“ Plattenläden, Rhythm and Blues in ihr Sortiment aufzunehmen, und veranlasste weiße Discjockeys, bei ihren Sendern schwarze Musik aufzulegen. Einer der ersten Discjo- ckeys, die diesen Schritt wagten, war der 1951 beim Sender WJW1 in Cleveland, Ohio, unter Vertrag stehende Alan Freed. Seine Nachmittags- sendung „Alan Freed’s Moon Dog Rock and Roll House Party“, bei der er ausschließlich Rhythm and Blues spielte, wurde bald auch von anderen Sendern übernommen. Aufgrund seines Erfolges wechselte Freed 1954 zu einem New Yorker Sender und später sogar zu Radio Luxemburg, das auf- grund seiner starken Sendeleistung zur Ausbreitung des Rhythm and Blues in vielen Teilen Westeuropas beitrug. Freed war es auch, der „Rock and Roll“ als ein Synonym für Rhythm and Blues prägte, wenngleich der Be- griff „Rock and Roll“ – ursprünglich ein umgangssprachlicher Ausdruck

Kapitel 3

1 Amerikanische Radiosender werden seit 1927 mit einem Rufzeichen (call sign) aus drei oder vier Buchstaben identifiziert. Als die Zahl der Radiosender in den ausge- henden 20er Jahren dramatisch zunahm, erließ der Kongress 1934 den „Federal Communications Act“, der der amerikanischen Regierung das Recht gibt, jedem Sender ein solches Kürzel zuzuweisen, um Eindeutigkeit zu gewährleisten. Im in- ternationalen Radio-System hatte man den USA die Buchstaben „A“, „N“, „K“ und

„W“ zugewiesen, wobei „A“ und „N“ für behördliche und militärische Zwecke re- serviert wurden, während „K“ und „W“ kommerziellen Radiosendern zufielen. Mit wenigen Ausnahmen erhielten Sender östlich des Mississippi ein mit „W“ begin- nendes Kürzel, während Sendern westlich davon das „K“ als Anfangsbuchstabe zu- gewiesen wurde.

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