Fachgruppe Alter Orient
Leitung: Claus Wilcke (Leipzig)
Folgende Vorträge wurden in der Fachgruppe gehalten:
Vladimir Jakobson (St. Petersburg): Staat und soziale Psychologie.
Ludwig D. Morenz (Oxford): Fremde als potentielle Feinde. Die prophylaktische Szene der Erschlagung der Fremden in Altägypten.
Andrea M. Ulshöfer (Bielefeld): Bibel, Babel und Herodot. Ein Beispiel für das Überleben alter Vorurteile gegen Fremde.
Michael P. Streck (München): Das Kasussystem des Amurritischen.
Josef Tropper (Berlin): Terminativ und Lokativ im Westsemitischen.
Fremde als potentielle Feinde
Die prophylaktische Szene der Erschlagung der Fremden in Altägypten '
Von Ludwig D. Morenz, Oxford
1. Ausland, inferiore Fremde und die ägyptische Grenze'
Fremdes erscheint als oft radikale Provokation des Eigenen, der sich auch die alten Kulturen zu stellen hatten. Wird die Herausforderung angenommen, ergibt sich besseres Verstehen der eigenen Wesenheit. So zielt die Erzählung des in die Fremde verschlage¬
nen Sinuhe aus dem Anfang des Mittleren Reiches' auf eine Verständigung über das in der Krisis der Ersten Zwischenzeit fragwürdig gewordene Ägyptertum durch Palästina als Kontrastfolie. Sinuhe wurde nach seiner Flucht aus Ägypten von dem Herrscher des
oberen Retjenu mit dem amurritischen Namen 'Ammu-nansi' nicht nur freundlich
aufgenommen, sondem sogar an die Spitze seines Stammes gesetzt. Da wird er von
einem rivahsierenden "Starken" (nht) zum Zweikampf gefordert, was Sinuhe als Neid
auf ihn, den Landesfremden erklärt. Er bündelt dieses Gefühl in einer Reihe von
(Doppel-)Versen, deren einen man als Inkompatibilitätssentenz auffassen kann:
"Nicht gibt es den Bogenmarui, der sich dem Papyrusler vereinigt (smS):
Siehe doch (- unmöglich! -) den Papyrus am Berg haften (smn)\" (B 121f ).
Hier entsprechen "Bogenmann" und "Berg" sowie "Papymsler" und "Papyms" einander.
Sowohl phonetisch als auch semantisch eng benachbart sind die Verben sm3 und smn.
Der Papyms erscheint als Metapher für (Unter-)Ägypten, für ägyptische Kultur und
damit für Sinuhe; der Berg dagegen für den oberen Retjenu, für kulturloses Bergland und insbesondere für Sinuhes Herausforderer. So artikuhert das eindrucksvoll irreale Bild vom Papyms auf dem Berg die von Sinuhe in der Fremde empfundene Wurzellosig- keit.
Die beiden alten Flußtaloasen-Kulturen des Vorderen Orients, Sumer und Ägypten,
* Für die anregende Diskussion danke ich den Herren Professoren Homung, Oelsner und Wilcke.
' In diesem ersten Abschnitt versuche ich, Teile eines ägyptischen Fremdenbildes aus der Literatur des Mittleren Reiches zu rekonstruieren. Wenn auch die Literatur nur irmerhalb der Elite zirkulierte, mag das darin gezeichnete Fremdenbild doch weitverbreitetem ägyptischem Selbstverständnis entsprechen. Zu dem Ausländer im Spiegel der ägyptischen Literatur vgl. A. Loprieno: Topo.s und Mimesis. Wiesbaden 1988.
' Textausgabe: R. Koch: Die Erzählung des Sinuhe. Brüssel 1990; letzte Übersetzung: E. BLUMENTHAL:
Sinuhe. In: E. BLUMENTHAL u.a. (Hrsg.): Texte aus der Umwelt des Alten Te.itaments. Bd. III. Lief 5.
Gütersloh 1995, S. 884-911.
' Dieser Name erzeugt für den Modell-Leser palästinisches Lokalkolorit. Die von dem Autor der Sinuhe- Dichmng kreierte mögliche Welt wird substantiell nüt Gegebenheiten der wirklichen Welt angereichert, vgl. L. MORENZ: Kanaanäisches Lokalkolorit in der Sinuhe-Erzählung. In Vorbereit.