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Kulturvergleichende Ansätze

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Kulturvergleichende Ansätze

Cross··Cultural Approaches

Gisela Trommsdorff

&

Boris Mayer

Ausgangspunkt für eine kulturinformierte Differentielle und Persönlichkeitspsy- chologie ist die Frage, ob und wie individuelle Differenzen in Persönlichkeits- merkmalen mit Kulturbesonderheiten zusammenhängen und durch diese aufge- klärt werden können. Eine weiter gehende Frage ist, ob individuelle Differenzen durch kulturelle Faktoren überlagert werden, so dass die Unterschiede zwischen den Kulturen stärker als die zwischen den Personen innerhalb einer Kultur sind.

Der Begründer der experimentellen Psychologie, Wilhelm Wundt, hat in seiner mehrbändigen Völkerpsychologie (1900 bis 1920) bereits dargelegt, dass psycho- logische Phänomene nicht ohne Berücksichtigung ihres kulturellen Kontextes an- gemessen erklärt werden können. Nachdem dies jedoch lange kaum zur Kenntnis genommen wurde, haben inzwischen verschiedene psychologische Teildiszipli- nen die Bedeutung kulturvergleichender Ansätze erkannt (v gl. Handbücher von Berry et al. , 1997; Trommsdorff & Komadt, in Druck; kulturpsychologische Fach- zeitschriften sowie zahlreiche Einzeleditionen und Monografien).

Anthropologische deskriptive Studien zu nicht westlichen Kulturen (u. a. von Margaret Mead und Ruth Benedict) haben schon früh den Einfluss von Kultur auf die menschliche Entwicklung und damit auf Kulturunterschiede von Persön- lichkeitsmerkmalen zu belegen versucht. Damit waren Grundlagen für die An- lage-Umwelt-Debatte und die psychoanalytisch geprägte "Culture and Persona- lity"-Schule gelegt. Einfache Kausalbeziehungen zwischen Umwelt (Kultur) und Persönlichkeit sind heute allerdings aus theoretischen und methodischen Gründen nicht mehr anzunehmen, u. a. weil weder Kultur noch Persönlichkeit als homo- gene Einheiten gesehen werden können.

1 Kultur und Persönlichkeit

Kultur lässt sich als ein von den Kulturangehörigen geteiltes, emotional veranker- tes und mehr oder weniger heterogenes Deutungssystem verstehen. Kulturelle Fak- toren wie Sprache, Werte und Sozialisation beeinflussen die Persönlichkeit und ihre Entwicklung. Unter Persönlichkeit verstehen wir ein kohärentes Muster von Erleben und Verhalten, das situations spezifisch variieren kann und bestimmte Men- schen von anderen unterscheidet.

2 / Hannelore Weber ... (eds.). Göttingen: Hogrefe, 2005, S. 220-228

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-83148

URL: http://kops.ub.uni-konstanz.de/volltexte/2009/8314/

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In manchen Studien werden Kultur und Persönlichkeit gleichgesetzt, z. B. werden Kulturen durch "modale" Persönlichkeitsmerkmale (im Sinne einer Stereotypisie- rung, z. B. der deutschen, der südländischen oder der asiatischen Persönlichkeit) charakterisiert. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich Kultur und Persönlichkeit auf unterschiedliche Analyseebenen beziehen und Kultur- und Persönlichkeitspro- file daher nicht ohne weiteres gleichzusetzen sind. Auch kann eine Kulturpsycho- logie nicht durch eine Persönlichkeitspsychologie ersetzt werden oder umgekehrt.

Zur Analyse der Beziehungen zwischen Kultur und Persönlichkeit sind zwei me- thodologische Ansätze zu unterscheiden: Der kulturpsychologische Ansatz zielt analog zu einem idiographischen Vorgehen in der Persönlichkeitspsychologie (-+ Idiographische und nomothetische Ansätze) auf die Analyse kulturspezifischer Besonderheiten ab ("emischer Ansatz"), während der kulturvergleichende Ansatz ähnlich zum nomothetischen Vorgehen Generalisierungen über Kulturen hinweg betont und Universalien testet ("etischer Ansatz"). Unter der ersten Perspektive beschränkt man sich häufig auf die Darstellung der Merkmale nur einer Kultur, z. B. auf die Beschreibung von Besonderheiten der Entwicklung des Kindes in Japan (Stevenson, Azuma & Hakuta, 1986). Unter der zweiten Perspektive ist der Kulturvergleich als quasi-experimentelle Methode angelegt, mit Kultur als unab- hängiger Variable, die Unterschiede in der abhängigen Variablen (Persönlichkeit) bedingt. Kulturvergleichende Ansätze haben u. a. das Ziel, durch geeignete Me- thoden ethnozentrische Voreingenomrnenheiten aufzudecken und häufig nur im Westen geprüfte Theorien zu validieren bzw. zu modifizieren. Dies erfolgt u. a.

durch die Entkonfundierung ansonsten vermischter Variablen und die Vergröße- rung der Varianz auf Grund der theoretisch fundierten Einbeziehung mehrerer Kulturen. Zum Beispiel sind in vielen Kulturen die Variablen "Alter" und "Dauer des Schulbesuchs" konfundiert. Bei Untersuchungen zur kognitiven Entwicklung können die Einflüsse dieser beiden Variablen daher oft nicht getrennt werden. Durch Einbeziehung von Kulturen, in denen Alter und Schulbesuch nicht konfundiert sind (z. B. weil nicht alle Kinder die Schule besuchen), kann festgestellt werden, ob bestimmte Fähigkeiten auf den Schulbesuch zurückzuführen sind oder sich auch ohne formale Bildung entwickeln.

Da die Art des "Einflusses" von Kultur auf ein bestimmtes Merkmal wegen der Komplexität des Kulturkonstruktes nicht genau erfasst werden kann, wird häufig versucht, diejenigen kulturellen Aspekte (Kontextbedingungen) zu bestimmen, auf die die beobachteten Kulturunterschiede zurückgehen. Beispielsweise kann das bessere Abschneiden ostasiatischer im Vergleich zu westlichen Probanden in Mathematiktests mit der Bedeutung von Lernen und Übung im konfuzianisch ge- prägten Kulturkreis erklärt werden.

Das Thema Kultur und Persönlichkeit hat die großen Debatten in der Psychologie geprägt, vor allem die Anlage-Umwelt-Kontroverse, die heute weit gehend durch

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die verhaltens genetische Forschung an normativer Einseitigkeit verloren hat ( - Verhaltensgenetik). Daraus entstanden weitere Kontroversen zwischen nomo- thetischen und idiographischen (bzw. kulturvergleichenden und kulturpsycholo- gischen) Ansätzen. Aus einer extrem kulturrelativistischen Sicht ist alles Verhal- ten situationsspezifisch und nicht über Kulturkontexte generalisierbar. Es lassen sich dann weder globale, kontextübergreifende, noch spezifische Vorhersagen für Persönlichkeitsmerkmale auf Grund bestimmter früher Erfahrungen annehmen.

Generalisierende Aussagen sind demnach unmöglich. Demgegenüber gehen einige Persönlichkeitsforscher von allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen aus, die un- abhängig von situativen Kontexten existieren. So nimmt McCrae (2001) an, dass fünf Kemelemente die Persönlichkeit beschreiben (die "Big Five", - Eigen- schaftstheoretische Ansätze), dass diese als primär biologisch fundiert wichtige Überlebensqualitäten besitzen sowie relativ unveränderbar über die Lebensspanne sind. Kritik an diesem Trait-Ansatz des Fünf-Faktoren-Modells beruht auf der Annahme, dass Menschen ihre Entwicklung aktiv gestalten und damit Konsistenz und Wandel im Verhalten je nach situativen Anforderungen erfolgt. Dies entspricht auch der neueren entwicklungspsychologischen Sicht, nach der Interaktionen von biologischen Faktoren (Genen) und Umwelt die Entwicklung und relative Ver- änderbarkeit von Persönlichkeitsmerkmalen über die Lebensspanne unter aktiver Mitwirkung der Person beeinflussen, ohne dass auf generalisierbare Aussagen ver- zichtet werden muss.

Schlüssel begriffe zu Kulturvergleichenden Ansätzen

Kulturpsychologie. Psychologische Teildisziplin zu kulturspezifischen Beson- derheiten und der gegenseitigen Bedingtheit von Kultur und psychologischen Funktionen.

Kulturvergleichende Psychologie. Psychologische Teildisziplin zur Prüfung der universellen Gültigkeit von (meist im westlichen Kulturkreis hervorgebrachten) Theorien durch interkulturelle Vergleiche.

Emischerletischer Ansatz. Unterscheidung geht auf die Begriffe Phonemik und Phonetik zurück. Zum einen werden kulturspezifische Phänomene (ernisch) und zum anderen überkulturelle Gemeinsamkeiten untersucht (etisch). Eng verwandt mit der Unterscheidung zwischen Kulturpsychologie und Kulturvergleichender Psychologie.

Kulturspezijika. Psychologische Eigenschaften oder Funktionen in einem be- stimmten kulturellen Kontext.

Universalien. Psychologische Eigenschaften oder Funktionen, die unabhängig vom kulturellen Kontext auftreten.

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Individualismus/Kollektivismus. Wertedimensionen, die auf der Kulturebene unterschieden werden: zum einen steht das Wohl des einzelnen im Vordergrund (Individualismus), zum anderen das Wohl der Gruppe (Kollektivismus).

Idiozentrismus/Allozentrismus. Werthaltungen, die auf der Individualebene als unabhängige Dimensionen unterschieden werden. Idiozentrische Personen wer- den als eher selbstorientiert und allozentrische Personen als eher sozial orientiert bezeichnet.

Level- versus struktur-orientierte Studien. Kulturvergleichende Studien können auf den Vergleich von Ausprägungen bestimmter Variablen (level-orientiert) oder/und auf den Vergleich von Zusammenhängen zwischen psychologischen Konstrukten (struktur-orientiert) ausgerichtet sein.

Kulturübergreifende Äquivalenz. Wichtige Voraussetzung für den (quantitativen) Kulturvergleich. Je nach Fragestellung (z. B. struktur- oder level-orientiert) sind unterschiedliche Stufen der Äquivalenz erforderlich.

Bias (Verzerrung). Alle systematischen Fehlerquellen, die dazu führen, dass Unterschiede zwischen Kulturen nicht eindeutig auf den Faktor "Kultur" zu- rückzuführen sind. Vorhandensein von Bias führt zu Nichtäquivalenz.

2 Universalien und Kulturspezifika

Generell werden hinsichtlich biologisch verankerter Merkmale geringere und hin- sichtlich sozialer Merkmale stärkere Kulturunterschiede beobachtet. Die Annahme, dass die Big Five auf Grund ihrer vermuteten biologischen Grundlage universell auftreten, wird durch Ergebnisse kulturvergleichender Studien in Frage gestellt (Übersicht von Triandis & Suh, 2002). So konnte z. B. der Faktor Offenheit (für Erfahrungen) vor allem in kollektivistischen Kulturen (z. B. China) nicht immer nachgewiesen werden. Inkonsistente Befunde und methodische Probleme (z. B.

vorrangige Verwendung von Studentenstichproben) erlauben bisher keine abschlie- ßende Aussage darüber, ob die Struktur von Persönlichkeitsmerkmalen universell dem Muster der Big Five entspricht, und ob ihr Auftreten, ihre Genese und ihre Funktion universell gleich sind. Kulturinformierte Studien zeigen vielmehr, dass je nach Kultur bestimmte Persönlichkeitsmerkma1e besonders hoch geschätzt wer- den und andere weniger. Auch konnte z. B. für chinesische Kulturangehörige ein zusätzlicher Faktor "interpersonale Bezogenheit" nachgewiesen werden, der pri- mär bei Angehörigen kollektivistischer Kulturen auftritt.

Auch die Bindungstheorie (Bowlby, 1969) geht von einem universellen, biolo- gisch verankerten Prinzip der Persönlichkeitsunterschiede, ihrer Entwicklung und Funktion aus. Bindung wird als emotionales Band zwischen einem Kind und

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seinen primären Bezugspersonen verstanden, das hinsichtlich seiner qualitativen Ausprägung (sichere oder unsichere Bindung) umweltabhängig ist, und insbe- sondere von der Feinfühligkeit der Bezugspersonen beeinflusst wird. Die so ge- lernte individuelle Bindung bewirkt innere Vorstellungsmodelle ("inner working model") über die Bezugspersonen, die Umwelt und das Selbst. Auf Grund früher Bindungserfahrungen werden spätere Erfahrungen organisiert und beeinflussen die Persönlichkeitsentwicklung. So entwickeln sicher gebundene Kinder u. a. ein positiveres Selbstwertgefühl. Empirische Studien haben das Auftreten von (min- destens) drei Bindungstypen in verschiedenen Kulturen nachgewiesen, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung (bzw. unterschiedlichem Verhältnis) und unter unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen. Zum Beispiel können sich die Ver- haltensindikatoren für Sensitivität der Mutter kulturspezifisch unterscheiden, aber die gleiche Funktion für die Entwicklung von Bindungssicherheit des Kindes haben (Rothbaum, Weisz, Pott, Miyake & Morelli, 2000). Auch das kindliche Ex- plorationsbedürfnis ist kulturspezifisch unterschiedlich, eher objektbezogen im westlichen und eher personenbezogen im asiatischen Kontext. Ungeklärt ist, ob Bindungssicherheit (vermittelt über das "inner working model") universell als ein Persönlichkeitsmerkmal im Sinne einer überdauernden oder einer eher beziehungs- spezifischen Ausprägung (Trait oder State) verstanden werden kann, und wie des- sen Entwicklung über die Lebensspanne verläuft. Hierzu fehlen kulturvergleichende Studien mit einer kulturangemessenen Erfassung von Bindungsqualität.

Zur Beschreibung von Unterschieden auf der Kulturebene hat sich vor allem das Konzept Individualismus/Kollektivismus (das allerdings empirisch nur in mo- demen, nicht in traditionalen Gesellschaften untersucht wurde) bewährt (Hof- stede, 2001; Triandis, 1995). Ihm entspricht auf der Individualebene die Unter- scheidung zwischen allozentrischen (sozialorientierten) und idiozentrischen (selbstorientierten) Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Werthaltungen). Auch wenn diese Merkmale gegensätzlich erscheinen, können sie durchaus gleichzeitig in einer Person ausgebildet und z. B. situationsspezifisch wirksam sein. In allen Kulturen leben sowohl idiozentrische als auch allozentrische Personen, in indi- vidualistischen und kollektivistischen Kulturen allerdings jeweils in unterschied- licher Relation.

In kollektivistischen im Vergleich zu individualistischen Kulturen sind Traits we- niger verhaltenswirksam und werden dort auch als weniger stabil angesehen, da situative Anforderungen dort eine höhere subjektive Bedeutung und einen stärke- ren Einfluss haben (Church, 2000). Dies jedoch als Ausdruck eines geringeren Bedürfnisses nach kognitiver Konsistenz zwischen Einstellungen und Verhalten zu deuten, wäre ein ethnozentrisch geprägter Fehlschluss, der die Priorität von sozialorientierten Werten für Verhalten in kollektivistischen Kulturen übersieht.

Diese Befunde stellen die universelle Gültigkeit des traditionellen Persönlichkeits- konzeptes an sich in Frage.

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Kulturspezifika und individuelle Entwicklung

In Ostasien wurde ein eher holistisches und Widersprüche vereinbarendes Den- ken im Gegensatz zu einem eher nach abstrakten Prinzipien organisierten west- lichen Denken nachgewiesen (Nisbett, 2(03). Angehörige kollektivistischer Kulturen attribuieren eher auf externe situative Bedingungen, sie zeigen im So- zialverhalten (das bevorzugt auf wenige enge Beziehungen der Eigengruppe beschränkt ist) mehr Konformität und Kooperation und weniger Konflikt und Aggressivität, sie bringen eher beziehungs- als selbstorientierte Emotionen zum Ausdruck, und ihre Leistungs- und Hilfemotivation ist eher pflichtorientiert und weniger auf das Selbst als auf die Eigengruppe bezogen.

Diese verschiedenen kognitiven, sozialen, emotionalen und motivationalen Prä- ferenzen und Fähigkeiten haben vermutlich jeweils unterschiedliche Anpas- sungsfunktionen in den verschiedenen Kulturkontexten. Kulturspezifische Ent- wicklungsaufgaben und -bedingungen (u. a. Eltern-Kind-Beziehung) vermitteln die jeweils "optimalen" Fähigkeiten über entsprechende Entwicklungspfade (vgl. Greenfield, Keller, Fuligni & Maynard, 2(03) und deren Transmission über Generationen. Diese entwicklungspsychologisch fundierte Sichtweise er- weitert den statischen um einen dynamischen Ansatz, der allerdings kulturver- gleichende Längsschnittstudien erfordert.

3 Methodische Probleme des Kulturvergleichs

Kulturvergleichende Studien sind oft entweder auf Vergleiche der Ausprägung bestimmter Variablen (level-orientierte Studien) oder auf Vergleiche von Zusam- menhängen zwischen Variablen (struktur-orientierte Studien) ausgerichtet (vgl.

Van de Vijver, in Druck). Ein Beispiel für den ersteren Fall sind Kulturvergleiche zur unterschiedlichen Ausprägung der Big Five. Beispiele für struktur-orientierte Studien sind Kulturvergleiche zum Zusammenhang zwischen mütterlicher Sen- sitivität und Bindungssicherheit des Kindes.

Ob Kulturvergleiche auf Ausprägung und/oder Struktur fokussieren, ist mit der Frage der kulturübergreifenden Äquivalenz und damit der interkulturellen Ver- gleichbarkeit von Konstrukten und Instrumenten verbunden. Drei Stufen der Äqui- valenz sind zu unterscheiden: Konstruktäquivalenz liegt vor, wenn das gemessene Konstrukt in verschiedenen Kulturen dasselbe bedeutet. Wenn zusätzlich bei einem Instrument die Skalenabstände zwischen Kulturen vergleichbar sind, liegt Mess- einheitsäquivalenz vor. Die höchste Form der Äquivalenz ist die vollständige Ska- lenäquivalenz, bei der auch der Skalennullpunkt über die Kulturen identisch ist.

Während für eine struktur-orientierte Studie das Vorliegen von Konstruktäquiva- lenz ausreicht, ist für Vergleiche der Ausprägungen von Variablen streng genommen

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vollständige Skalenäquivalenz erforderlich. Diese höchste Stufe der Äquivalenz ist allerdings schwer erreichbar, da Kulturvergleiche anfällig für systematische Fehlerquellen (Bias) sind.

Blas

Bias kann auf verschiedenen Ebenen auftreten. Konstruktbias besteht, wenn das gemessene Konstrukt in den untersuchten Kulturen nicht identisch ist und andere Merkmale umfasst. So sind z. B. Intelligenz, soziale Kompetenz, Selbst- kontrolle oder "filiale Pietät" in verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Verhaltensweisen verbunden.

Drei Arten von Methodenbias werden unterschieden:

1. Stichprobenbias bezieht sich auf die Nichtvergleichbarkeit von in verschie- denen Kulturen erhobenen Stichproben (z. B. unterschiedlicher Bildungs- stand);

2. Instrumentenbias bedeutet einen kulturspezifisch unterschiedlichen Um- gang mit Instrumenten durch die Probanden, was zu systematischen Effek- ten führt (z. B. differentielle Bevorzugung von Extremwerten einer Skala in verschiedenen Kulturen);

3. Durchführungsbias kann z. B. durch Kommunikationsprobleme zwischen Interviewern und Interviewten auf Grund unterschiedlicher Muttersprachen entstehen.

Eine weitere Biasform, Itembias, liegt vor, wenn Personen unterschiedlicher kultureller Herkunft, die z. B. denselben Mittelwert im Gesamtscore eines In- telligenztests aufweisen, auf einem Item dieses Tests einen unterschiedlichen Mittelwert zeigen (differentielle Itemfunktion).

Die Prüfung der Konstruktäquivalenz in verschiedenen Kulturen ist zum Beispiel durch konfirmatorische Faktorenanalysen mit Äquivalenztests der Faktorladun- gen möglich. Oft ist es aber auch notwendig, z. B. über exploratorische Faktoren- analysen bestimmte "Core-Items" zu bestimmen, die den transkulturellen Kern eines Konstruktes ausmachen. Die Gefahr dieses Vorgehens besteht darin, dass Operationalisierungen so weit vereinfacht werden, dass sie das Konstrukt nicht mehr vollständig repräsentieren sowie Kulturspezifika außer Acht lassen.

Kulturvergleichende Analysen können sowohl auf der Kulturebene (mit Kulturen als Untersuchungseinheiten) als auch auf der Individualebene (mit Individuen als Untersuchungseinheiten) durchgeführt werden. Eine Möglichkeit zur Verknüp- fung dieser beiden Analyseebenen ist die Mehrebenenanalyse (vgl. Meulemann, 2002).

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Beispiel einer Mehrebenenanalyse:

Werden Personen aus mehreren Kulturen bezüglich eines Zusammenhanges von Variablen verglichen, ist eine Schätzung des Effekts der unabhängigen Va- riablen sowohl auf der Individualebene als auch auf der Kulturebene möglich.

Um z. B. den Einfluss idiozentrischer Werthaltungen auf die Leistungsmotiva- tion zu ermitteln, wird neben dem Idiozentrismus auf der Individualebene auch der Mittelwert für jede Kultur als Prädiktor in eine Regressionsanalyse aufgenom- men. Der individuelle oder "Within"-Effekt ergibt dann den über alle Kulturen gemittelten individuellen Effekt von Idiozentrismus auf die Leistungsmotivation.

Der Kultur- oder "Between"-Effekt zeigt an, ob zusätzlich zum individuellen Ef- fekt auch der durchschnittliche Idiozentrismus in den verschiedenen Kulturen einen Einfluss auf die abhängige Variable hat. Beispielsweise könnte in allen Kulturen (auf der Individualebene) hoher Idiozentrismus mit hoher Leistungs- motivation einhergehen, aber gleichzeitig in Kulturen mit durchschnittlich hö- herem Idiozentrismus eine eher geringere durchschnittliche Leistungsmotivation (in individualistischen westlichen im Vergleich zu kollektivistischen ostasiati- schen Kulturen) bestehen. Hier wäre dann ein positiver Effekt auf der Indivi- dualebene mit einem negativen Effekt auf der Kulturebene verbunden. Dieses Vorgehen ist vergleichbar mit dem Hierarchisch Linearen Modell (HLM), das auf der Kulturebene zufällige Effekte feststellt.

4 Ausblick

Durch Kulturvergleiche kann die Funktion von Umweltbedingungen (Kultur, spe- zifische Situation) für die Entwicklung von Persönlichkeitsdifferenzen u. a. in

"quasi-natürlichen Experimenten" bei teilweiser Kontrolle der theoretisch ein- flussreichen Faktoren geprüft werden. Zum Beispiel konnte so die grundlegende Annahme des bislang in westlichen Kulturen geprüften traditionellen Trait-psy- chologischen Ansatzes in Frage gestellt und gezeigt werden, dass situative Vari- anz in asiatischen Kulturen häufiger auftritt und dort als angemessen geschätzt wird. Durch eine Integration ernischer und etischer Ansätze können Kulturver- gleiche einen wichtigen Beitrag zu einer kulturinfonnierten Theorie der Per- sönlichkeit leisten. Dabei müssen kulturspezifische wie universelle Aspekte der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Entwicklung gleichermaßen berücksich- tigt werden.

Weiterführende Literatur

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"Theorie und Forschung". Göttingen: Hogrefe.

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