Zur Chronologie der Schichten von Jericho.
Von Carl Watzinger.
Bei den Ausgrabungen von Sellin und der Deutschen
Orientgesellschaft in Jericho 1908/9 haben sich drei Epoeben
durch ihre Bauten und die Funde als besonders bedeutsam für
die Stadtgescbichte herausgestellt, die in dem Plan der 1913
erschienenen Veröffentlicbung durch blaue, rote und grüne
Färbung gekennzeichnet sind. Die älteste von den dreien,
die „blaue" Schicht, umfaßt die erste sich deutlich ausprägende
Siedlung auf der Höhe des Stadthügels, die von einem doppelten
Ziegelmauerring umschlossen war. Nach ihrer gewaltsamen
Zerstörung erfuhr das alte Stadtgebiet in der nächsten „roten"
Epoche eine bedeutende Erweiterung; die Ziegelmauern der
ersten Festung verschwanden unter einer künstlichen An¬
schüttung ; eine neue Ringmauer mit geböschtem Sockel wurde
um den Fuß des Hügels gelegt; die Verbindung mit der Kuppe
stellten schmale, die Hänge emporführende Treppen her, die
z. T. über die zerstörten Mauern der ersten „blauen" Schicht
hinwegliefen. Der gleichen Epoche ließ sich eine erst in
neuerer Zeit beim Bau des Quellbassins stark abgetragene
Palastanlage auf der Höhe des Hügels über der Quelle zu¬
schreiben, und ein gleichzeitiges Häuserquartier wurde im
Norden hinter der Ringmauer aufgedeckt. Als auch diese
gewaltige Neugründung einer gründlichen Zerstörung anheim¬
gefallen war, ist der Hügel noch einmal in der Periode der
dritten „grünen" Schiebt besiedelt worden; eine auf dem
Quellbügel aufgedeckte Häusergruppe lieferte ein besonders
reiches Inventar von Funden, und Spuren dieser Siedlung
fanden sich auch sonst auf dem Hügel verstreut.
Die Aufeinanderfolge dieser Schichten und damit die rela¬
tive Clironologie ist durch den Tatbestand gesichert; anders
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132 C. Watzingeb, Zur Chronologie der Schichten von Jericho
stellt es mit der absoluten Datierung, die wir auf Grund der
literarischen Überlieferung und der Funde in der Veröffent¬
lichung angenommen haben. Unter dem Eindruck der biblischen
Tradition, in der sich zwei Hauptepochen der Stadtgeschichte
herauszuheben scbienen, die Zerstörung der kanaanitischen
Festung durch Josua und die Neugründung durch Chiel unter
Ahab, haben wir die „blaue" Schicht als kanaanitisch, die
„rote" als israelitisch und die „grüne" als jüdisch bezeicbnet.
Die Fundtatsachen damit in Einklang zu bringen, war nur
möglich durch die Annahme, daß Jericho in seiner kulturellen
Entwicklung um Jahrhunderte hinter den weiter nach Süden
und Westen liegenden Kulturstätten zurückgeblieben sei. Aber
auch so ließ sich die untere Grenze der „blauen", kana¬
anitischen Schicht im äußersten Fall nur bis gegen 1500
herabsehieben, während der von uns israelitisch genannten, in
Wahrheit kanaanitischen, Keramik eine überlange Lebensdauer
zugeschrieben werden mußte, um sie überhaupt mit der Neu¬
gründung Chiels vereinigen zu können. Diese irrige Beurteilung
läßt sich beute einwandfrei richtigstellen i).
Als der Druck unserer Veröffentlichung dem Abschlüsse
nahe war, erschien Macalisteb's grundlegende Arbeit über
die Resultate seiner langjährigen Grabungen in Gezer; neben
der Schichtenbeobachtung gestatteten ihm die Gräberfunde,
wie sie uns in Jericho versagt geblieben waren, eine gesicherte
absolute Chronologie. Für die Zeit von Ende des zweiten bis
zur Mitte des ersten Jahrtausends haben Mackenzie's Funde
in 'Ain Schams weitere wertvolle Aufscblüsse gegeben. Schon
1914 war mir daher klar geworden, daß die in der Veröffent¬
lichung von Jericbo angenommene Chronologie aufgegeben
werden müsse. Auch Sellin war, wie er mir seiner Zeit
1) Auch in den Besprechungen der Veröffentlichung von Vikcent, Revue Biblique 1913, 450 ff. und von Thiebsch, Zeitschrift d. D. Palästina- vereins 1913, 40 kamen Bedenken über die Chronologie der Schichten
zum Ausdruck, ohne daß die richtige Lösung gefunden wurde. Die Er¬
gebnisse der Ausgrabungen von Gezer für die Chronologie der Keramik hat Schweitzeb, Untersuchungen zur Chronologie der geometrischen Stile in Griechenland I, 1917, S. 36, Anm. zuerst ausgewertet und darnach auch die Datierung der Schichten von Jericho im wesentlichen zutreffend beurteilt.
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C. Watzinoer, Zur Chronologie der Schichten von Jericho 133
mitteilte, zur gleichen Überzeugung gelangt. Aber erst 1922
gab mir ein "Vortrag in der Schwedischen Orientalischen Gesell¬
schaft in Stockholm Gelegenbeit, meine veränderte Anscbauung
auch öffentlich auszusprechen i). In letzter Zeit hat dann die
Entdeckung der Königsgräber von Byblos und die eben er¬
schienene Veröffentlichung von Albeight über die amerika¬
nischen Grabungen in Teil el-Fül (Gibea) die absolute Chro¬
nologie noch weiter gesichert und damit aucb die Baugeschichte
von Jericbo auf einen festen Boden gestellt 2).
Als Glanzzeit Jerichos erscheint nach den Ausgrabungen
die Epoche der zweiten „roten" Schicht. Damals
hat die Stadt ibre größte Ausdehnung erlangt; ihre Fläche
war systematiscb bebaut, wie die einheitliche Anlage und
gleiche Orientierung der Häusergruppe auf der Nordseite zeigt,
und wohlgesichert durch die mächtige Ringmauer am Fuß des
Hügels. So wird sie ibre Entstebung einem Fürstenwillen
verdanken. Nach den Vasenfunden fällt ihre Blüte in die
Zeit des Mittleren Reicbs in Ägypten, mit ibrer Gründung
wird man also wohl bis in den Anfang des 2. Jahrtausends
heraufgehen dürfen. Die zahlreichen Henkel von Amphoren
mit Abdrücken von Skarabäen des Mittleren Reicbs und der
Hyksoszeit, die Übereinstimmung der charakteristischen Vasen
mit denen, die in den Fürstengräbern der Zeit Amenemhets III.
und IV. in Byblos gefunden sind, sichern diese Ansetzung.
Sie wird auch durch die schon in der Veröffentlichnng unserer
Ergebnisse hervorgehobenen Beziehungen der Gefäßformen zu
Metallgeschirr der mittelminoischen Epoche Kretas und der
frühen Bronzezeit im Norden nur bestätigt. Die Bauart der
Festungsmauer mit geböschtem Sockel ist in Kleinasien aus
Troia II und Boghaz-köi und dann aus Nordsyrien durch
1) Ein (schwedischer) Auszug des Vortrags ist veröfFentlicht: Svenslia Orientsällskapets Arsbok 1923, S. 100.
2) Vgl. Albright. Annual of the American Schools of Oriental
Eesearch IV (1924), der S. 11, Anm. 2, 19 und 147 unsere Chronologie richtigstellt, vgl. auch dens., Journal of the Palestine Oriental Society II, 133 f., ihm folgt mit Recht Thomsen, Art. Jericho in Ebekt, Real- lexikoD der Vorgeschichte VI, 153 flF., der einen guten Überblick über die Ergebnisse der Grabung bietet.
134 C. Watzkoe», Zur Chronologie der Schichten von Jericho
Sendschirli bekannt; sie dürfte nach Jericho aus Kleinasien
über Nordsyrien gelangt sein. Der Haustypus, ein Breitraum,
dem in voller Breite ein Vorraum oder eine Halle vorgelagert
ist, 1st in seiner einfachsten Gestalt bei den Häusern der
Nordseite erhalten; bei dem Palast auf dem Quellhügel sind
an diese Grundform von außen hinten und an den Seiten fast
quadratische (einst mehrstöckige?) Nebenräume angewachsen.
Die näcbsten Verwandten dieses Haustypus, freilich aus jüngerer
Zeit, sind die hintereinander geschalteten Breiträume assyrischer
Paläste, die mit und ohne Nebengelasse den Kern eines Raum¬
komplexes bilden, und das nordsyrisch-bettitische Hilani, das
die Säule als neues Element mit der alten Raumform ver¬
bunden zeigt. Wenn wir in Jericho diese Hausform schon
am Anfang des 2. Jahrtausends flnden, sie aber andererseits
im Hauran bis in die römische Kaiserzeit weitergelebt hat,
so darf man sie wolü als eine am Rand der syriscben Wüste
und im Gebiet des Oberlaufs des Tigris heimische, boden¬
ständige Gestaltung des Hauses anseben. Dazu stimmt, daß
sie den Hettitern in Kleinasien unbekannt ist. Die Zerstörung
der starken Festung der „roten" Stadt ist nocb vor der Mitte
des 2. Jahrtausends, vielleicht scbon bald nach 1600 erfolgt.
Sie ist also im Verein mit Beobachtungen an anderen Stätten
ein wichtiges Zeugnis für die frühe Eroberung des Landes
durch die ersten aus dem Osten vordringenden Wüstenstämme.
Die Epoche von um 1500 bis um 1200, im ägäischen Meer
die Blütezeit der mykenischen Kultur und die Zeit ihrer
stärksten Ausstrahlung in die Mittelmeerwelt, die an anderen
Ausgrabungsstätten , besonders in Megiddo, und Gezer, durch
mykenischen Import, durcb einheimische bemalte Keramik und
zuletzt durcb die nach den Philistern benannte Vasengattung
sich deutlich ausprägt, setzt in Jericho so gut wie völlg aus.
Spärliche Reste von bemalter Keramik dieser Zeit haben wir
in der Veröffentlichung nocb der zweiten Stadt zugerechnet.
Wenn wir aber, um den Hiatus zu überbrücken und den An¬
schluß an die Epoche Chiels zu gewinnen, die Lebensdauer
dieser Epoche um Jahrhunderte verlängert haben und ihre
lange Dauer aus der kulturellen Zurückgebliebenheit der vom
C. Watzingeb, Zur Chronologie der Schichten von Jericho 135
Mittelmeer abgelegenen Stadt erklären wollten, &■) war das
ein Irrtum. An einem Aufhören des Gemeinwesens, einer jahr¬
hundertelangen Unterbrechung geordneter Besiedlung ist nach
dem Befund nicht mehr zu zweifeln. Zur Zeit Josuas war
also Jericho eine Trümmerstätte, auf der vielleicht noch ver¬
einzelte Hütten standen.
Die Frage nach den Gründern der „roten" Stadt ist wohl
aus dem Zusammenhang der großen Völkerverschiebungen zu
beantworten, die um die Wende des 3. und 2. Jahrtausends
kleinasiatische Stämme über die Gebirgsgrenzen nach Süden und
bis nach Babylonien geführt haben. Auf diesem Wege werden
die kleinasiatischen und syrischen Elemente der Architektur
auch soweit nach Süden bis nach Jericbo vorgedrungen sein.
Erst ganz allmählich hat seit dem Ende des 2. Jahr¬
tausends die Besiedlung wieder eingesetzt; die Hauptmasse der
Funde aus der dritten „grünen" Epoche gehört erst
dem 10. bis 9. Jahrhundert an. Durch die Grabfunde von
'Ain Schams und durch die neuen Vasenfunde aus Teil el-Fül
ist die Entwicklung der Keramik gerade in dieser Epoche der
frühen Königszeit jetzt soweit aufgeklärt, daß kein Bedenken
besteht, diese Schicht als die des Chiel aus der Zeit des Königs
Abab zu bezeichnen. Seine Neugründung stellt sicb demnach
als sebr viel unbedeutender heraus, als die Überlieferung zu
bezeugen schien. Die Neugründung Chiels hat bis zum Ende
des S.Jahrhunderts Bestand gehabt. Der Befund in den Häusern
der dorfähnlichen Siedlung auf dem Quellhügel macbt es sehr
wahrscheinlich, daß die Bewohner unter Zurücklassung des
gesamten Inventars an zerbrechlichem Tongeschirr ihren Wohn¬
sitz haben verlassen müssen, wozu die geschichtlichen Ereig¬
nisse dieser Zeit ja gut stimmen. Aucb für das folgende Jahr¬
hundert ist Bewobnung der Stätte durch die Funde bezeugt;
doch werden die Funde seit dem 6. Jahrhundert immer spär¬
licher und hören bald gänzlich auf.
Durch die Verschiebung des Beginns der roten Schicht
bis in den Anfang des 2. Jahrtausends rückt nunmehr die
frühe „blaue" Schicht der Ziegelfestung bis in das
3. Jahrtausend herauf. Die schon in der Veröffentlichung
1 8
136 C. Watzingeb, Zur Chronologie der Schichten von Jericho
betonten Beziehungen ihrer Keramik zu der frühbronzezeit-
lichen des ägäischen Meergebietes gewinnen jetzt an Wahr¬
scheinlichkeit, da beide Gattungen gleichzeitig werden. Auch
braucht man jetzt kein Bedenken mehr zu haben, die gewellten
Handgriffe der Krüge an die entsprechenden Formen aus der
Frühzeit Ägyptens anzuknüpfen, der sie nun zeitlich näher
gerückt sind. Die historische Stellung dieser Epoche innerhalb
der übrigen Kulturen des Mittelmeers gewinnt damit wesentlich
an Klarheit und Sicherheit. Von den baulieben Anlagen dieser
Epoche sind nur die imposante doppelte Ziegelmauer und ein
kleines Stück der Innenstadt bei den Ausgrabungen freigelegt
worden. Die dicht übereinander liegenden Fundamente der
Häuser lassen auf eine lange Dauer des Bestehens der Siedlung
schließen. Es wäre sehr zu wünschen, wenn durch Aus¬
grabungen die kulturelle Entwicklung und die Baugeschichte
dieser Frühzeit weiter aufgeklärt werden könnte, da außer in
Gezer und bei Pabkees' Grottengrabung in Jerusalem bisher
diese Epoche kaum berührt und namentlich die Architektur
von anderen Orten so gut wie unbekannt ist. In Jericho, wo
z. B. das Haus des Stadtfürsten auf dem Quellhügel noch zu
suchen wäre, in Megiddo oder in Ai (et-Tell), wo wie in Jericho
diese Epoche kaum durch späte Überbauung bedeckt ist, böte
eine sorgfältige Schicbtengrabung, bei der auch ein auf orien¬
talischem Boden geschulter Architekt nicht fehlen sollte, Aus¬
sichten auf gute Erfolge.
Wenn wir das Ergebnis dieser Nachprüfung der Chronologie
nochmals zusammenfassen, so gehört die blaue Schicht in das
3. Jahrtausend, die rote in die erste Hälfte des 2. Jahrtausends
und die grüne im wesentlichen ins 9. Jahrhundert, in die Zeit
Chiels. Die in der Veröffentlichung gewählten Bezeicbnungen
kanaanitisch, israelitisch, jüdiscb sind also durch altkana¬
anitisch, jungkanaanitisch und israelitisch zu ersetzen. Wenn
man diese Verschiebung der absoluten Daten berücksichtigt,
werden die Ergebnisse der Grabung den Erforschern der Kultur
Palästinas aucb weiter ein brauchbares Hilfsmittel bieten
können.
Hjatsepsu und die Sinaischriftdenkmäler.
Von Hubert Grimme.
Im vorhergehenden Hefte dieser Zeitschrift ist ein Vor¬
trag von Kurt Sethe abgedruckt, mit dem er beabsichtigt, seine
im wesentlichen auf Gardiner sich stützenden Feststellungen
über die Sinaischriftdenkmäler als abschließend, alle anderen
darüber hinausgehenden aber als verfehlt hinzustellen. Letz¬
teres zielt besonders auf mein Buch „Althehräische Inschriften
vom Sinai" ab. Ich kann darauf verzichten, an dieser Stelle
mich mit Sethe über das, was er gegen meine auf die alt-
sinaitiscbe Schrift bezüglichen Thesen vorbringt, auseinander¬
zusetzen; solches ist schon mündlich am 8. Dezember 1925 im
Anschluß an Sethe's Vortrag und vor kurzem auch schriftlich
in meiner Abhandlung „Die Lösung des Sinaiproblems: Die
altthamudische Schrift" i) geschehen. In meiner Entgegnung
schlage ich einen neuen Forschungsweg ein, der vor dem nur
entfernt dem Ziele sich nähernden Sethe's den Vorzug hat,
zu einer definitiven Bestimmung der Sinaischriftzeichen und
ihrer Lautwerte zu führen. Während für Gardiner und Sethe
der Nachweis der ägyptischen Herkunft der Sinaischrift Haupt¬
sache ist, aber bei der großen Zahl der dabei zur Wahl stehen¬
den ägyptiscben Ideogramme und der Unsicherheit der Be¬
deutung der semitischen Buchstabennamen, die mit jenen be¬
legt werden sollen, das Ergebnis nur hypothetischen Charakter
haben kann, sehe ich mein Ziel in der Bestimmung des Wesens
der Sinaischrift, und zwar mit Hilfe einer von mir in die semi-
1) Münster i. W., Aschendorff, 1926.
Zeitschrift d. D.M. G., Nene Folge Bd. V (Bd. 80). 10