Altindisches und Christliches.
Von U. Oldenberg.
Ev. Luc. 2, 27 kommt Symeon in den Tempel iv rö nvsviiari.
Beruht das auf dem Vorbild des buddhistischen Pfades des Windes, den
der luftdurchfliegende Heilige wandelt? Pischel (DLZ. 1904, 2939)
hatte dies vermutet, ich (Theol. LZ. 1905, 67 f.) es bestritten. P.
machte geltend , daß , nach ihm sehr auffallenderweise , das nvsvjia
hier nicht, wie in den beiden vorangebenden Versen, als ci-yiov be¬
zeichnet ist. Darin konnte ich meinerseits nichts Auffallendes finden
und hielt überbaupt die Rolle dieses nvevfia oder nvivjia Zyiov für
so leicht aus der neutestamentlichen Vorstellungsweise erklärbar,
daß jeder Anlaß zum Hinblick auf Indien fehlte. Das TCvsvfia —
so kann ich meine a. a. 0. kurz angedeutete Auffassung spezieller
ausdrücken — wirkt in seiner geheimnisvollen Macht in Symeon
genau so wie es auch sonst häufig im NT. (übrigens auch im AT.)
im Menschen wirkt, verleiht ihm innere Gewißheit, wie es sonst
innere Gewißheit verleiht, lenkt seinen Schritt an einen bestimmten
Punkt, wie es auch sonst mit übernatürlichem Impuls hierhin und
dorthin führt, dies und jenes zu tun antreibt. Dies nvsv^a ist das,
wofür es anzusehn das Nächstliegende ist: das rechte israelitische
bez. christliche nvev^a; mit dem Luftwandeln des indischen Wunder¬
glaubens hat es nichts zu tun.
Pischel kommt jetzt bei Gelegenheit seiner Untersuchungen
über den von ihm angenommenen indischen Ursprung des christ¬
lichen Pischsymbols auf Symeon's nvev(ia zurück (Sitz.-Ber. der
Berl. Akad. 1905, 532 A. 4). Es ist nur eine Anmerkung, die er
dem Gegenstand widmet. Aber in den wenigen Zeilen handelt es
sich um bedeutsame Dinge und tiefe Gegensätze der Methode. So
ist es wohl recht ein paar Worte darüber zu sagen.
Das zunächst ist ganz kurz zu erledigen, daß P. sich mir gegen¬
über auf van den Bergh van Eysinga, Ind. Einflüsse auf
evangel. Erzählungen S. 23 A. I beruft. Dort wird nur ausgeführt,
daß hier bei dem nvevfia nicht an den „heiligen Geist' im erhabenen
Sinn des Worts zu denken ist. Damit ist die an der Stelle ob¬
waltende Vorstellung präzisiert, aber kein Argument dafür gegeben,
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daß etwas der geläufigen neutestamentlichen Ideenwelt irgendwie
Fremdes vorläge, wofür wir die Erklärung nicht näher finden könnten als in Indien.
Kommen wir aber auf dem Weg von Lukas zum Buddhaca¬
rita oder Mahävastu damit weiter, daß P. dann bemerkt: , Warum
könnten nicht in Luc. 2, 25. 26 ayiov und ayiov später hinzu¬
gefügt worden sein, wenn 2, 27 iv tö nvev^iari die ursprüngliche
Lesart wäre? Vorsicht ist natürlich geboten".
Ich glaube, der letzte Satz, dem ich rückhaltlos zustimme,
enthält die beste Kritik des ersten. Wenn ich darauf hingewiesen
hatte, daß das nvev(ia von v. 27 nicht von dem rcvivfia ayiov von
V. 25. 26 losgelöst werden kann, so daß also jenes durch das Epitheton
ayiov von indischen Zusammenhängen abgeschnitten zu werden in
Gefahr kommt, hat P. wirklich mit allzugroßer Leichtigkeit Abhilfe
bereit. Warum nicht das Adjektiv beidemal streichen? Daß gegen
das überlieferte Wort auch nicht ein Schatten von Verdacht vor¬
liegt, daß es dem Sprachgebrauch, wenn auch nicht des Mahävastu
so doch des NT. (siehe z. B. Gunkel, Wirkungen des heil. Geistes
43 A. 1, 102 f.; Cremer, Wörterb.«, 719 f.) so gut wie nur
möglich entspricht, macht ihn nicht irre. Auch nicht, daß dann
bei der Deutung auf den Wind (ohne diese Deutung wäre die
Streichung doch zwecklos) die Sonderbarkeit herauskommt , daß
Symeon die Verheißung des Christusanblickes von dem Windhauch
empfangen hätte, der ihn dann in den Tempel führt. Wollen wir
eine indologische Exegese des Evangeliums gutheißen, die, wo dieses
nicht willig ist, Gewalt braucbt? —
Ich kann übrigens den Eindruck nicht zurückdrängen, daß die
Hauptuntersuchung, der Pischel dies kritische Parergon angehängt
hat, an ähnUchen Klippen wie dieses scheitert. Gleich dem nvivfia,
das den Symeon in den Tempel führt, stammt nach P. auch das
Ichtbyssymbol aus Indien. Wie dort, so fehlt es auch hier an einer
Prüfung der doch zunächst in Betracht kommenden Möglichkeit,
daß die betreffende Vorstellung aus Voraussetzungen, die innerhalb
der christlichen Kultursphäre liegen, sich ausreichend erklären könnte.
Doch nein, ganz fehlt eine Erwägung hierüber nicht. P. konstatiert,
daß weder die neutestamentliche Erzählung vom Fisch mit dem
Stater, noch die von den wunderbaren Fischfängen, noch die von
der Speisung der Tausend das Ichtbyssymbol erklärt, daß auch das
AT. und sonstige semitische Quellen versagen. Jeder wird selbst¬
verständlich fragen, wie es denn aber, gegenüber den gesuchten
Anknüpfungen an jene neutestamentlichen Geschichten, mit der aller-
nächstUegendfen Erklärung steht, der aus dem bekannten Akrostichon.
Mit Erstaunen findet man, daß P. diese Erklärung überhaupt nicht
eines Worts würdigt. Das Akrostichon selbst zwar erwäbnt er als
Tertullian bekannt. Er bemerkt ferner, daß man, da unter dem
Bilde des Fisches der Erlöser oder Retter bezeichnet werden sollte,
das g von Ix&vs als aartjQ deutete. Damit wird , wie man sieht
kurzweg vorausgesetzt, daß erst das Fischsymbol da war und dann
seine einzelnen Buchstaben gedeutet wurden. Die Möglichkeit, daß
umgekebrt das Symbol seine Existenz eben aus der Deutung der
einzelnen Buchstaben schöpft, wird dabei kurzweg ignoriert, ünd
docb kann es evidentermaßen für den, der den cbristlichen Ichtbys
vom indischen Fisch der Manusage und des Visnuglaubens ableiten
will, keine gebieterischere Pflicht geben, als sicb vor allera dadurch freie Bahn zu schaffen, daß er jene Möglichkeit als ausgeschlossen,
daß er sie wenigstens als gezwungen erweist. Wie solches zu er¬
weisen wäre, sehe ich freilich nicht. Verdi war eine Zeit lang
lebendes Symbol des italienischen Patriotismus. Wird es Andern
gelingen, eine bedeutende Vorgeschichte dieses Symbols aufzudecken ?
Bis das geschehen ist, begnüge ich mich mit der Erklärung aus
den Anfangsbuchstaben von Vittorio Emanuele Hb d'ltalia. Steht es
mit dem Ichthys anders? Es wäre, meine ich, das seltsamste Zu¬
sammentreffen, wäre aus irgend anderweitigen Motiven christlicher
oder außerchristlicher Herkunft der Pisch zum Symbol Jesu ge¬
worden, und hätte man dann gemerkt, daß rein zufällig die Buch¬
staben von Ichthys so trefflich die in fünf Worten ausgedrückte
Quintessenz des christlichen Glaubens verkörpern. Andrerseits ist
das doch natürlich genug, daß, war das Akrostichon einmal ent¬
deckt, dann sachlich-symbolische Beziehungen zwischen Jesus und
dem Fisch aufgefunden wurden, weicbe die Buchstabenspielerei durch
tieferen Sinn veredelten: J. als der im Wasser (der Jordantaufe)
Geborene , als Speise der Seinen u. dgl. ; so zeigt ja gleich die
bekannte Ichthysstelle Tertullians (De bapt. 1, wie es scheint noch
aus dem 2. Jahrh.) sowohl auf das Akrostichon deutlich genug hin
als auch auf die Taufe. Etwa in diesem Sinn faßt das Verhältnis
auch H. Achelis auf (Symbol des Fisches. 1888, S. 15. 51): ist
es erlaubt darüber ohne den leisesten Versuch der Widerlegung
hinwegzugehen, um den Fisch aus — Indien herzuholen ? Stimmen
denn die christlichen Vorstellungen , die wir um den Ichthys
gelagert finden , in irgend welchen bestimmteren Zügen zu dem
indischen Fisch, dem Hinüberführer über die Not der Wasserfluten ?
Und können wir Übertragung auf dem Weg, den P. vermutet,
wahrscheinlich finden , durch Turkestan ? Was wissen wir von
Cbristen in Turkestan im zweiten Jahrhundert^) — wir müssen
sogar, wenn Achelis' Datierung des Symbols (a. a. 0. 52) richtig
ist, bestimmter sagen, in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts?
Und mag es damals wirklich Christen dort gegeben haben, und
1) Man vergleiche über die ältesten Spuren des Christentums in jenen Gegenden die Materialien beiHarnaclc, Mission und Ausbreitung des Cliristen- tums 44 2 f. Der Güte Lidzbarski's verdanlie ich noch den Hinweis auf Chwolson, M^m. de l'Acad. de St. Petersb., Serie VII, t. 37, 8 (1890) p. :06ff.
und Lamy, Mem. de l'Acad. de Belgique 53 (1897), 8, p. 112fiF.; dazu in Bezug auf die Anfänge des Christentums im persischen Reich auf J. Labourt, Le Christianisme dans l'empire perse (Paris 1904) p. 9 fr.
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mögen diese in buddhistischen Tempeln die Fischfigur gesehen haben:
ist es wahrscheinlich, daß das sie angeregt hätte, sich ihren Erlöser
unter dem gleichen Bilde vorzustellen ? Worauf es sich dann hinter¬
drein glücklich so getroffen hätte , daß bei Ichthys sicb auch an
'Irjßovg XQiatbg &eov vwg ßcovqQ denken ließ ! Was für Umwege !
Und wo ist der Antrieb sie zu gehen, als böte sich der gerade
Weg nicbt überdeutlich dar?
Piscbel will das Problem im Unterschied von Gubernatis, der
es im Sinn der „vergleichenden Mythologie' behandelt hatte, auf
den „sicheren Boden der indischen Philologie' gestellt haben. Für
die Aufhellung dessen, was wir bei Tertullian oder auf den Skulp¬
turen der Katakomben finden , wäre die indische Philologie der
„sichere Boden" ? Der verehrte Forscher, dem diese Philologie so
Vieles und Großes verdankt, verarge mir nicht, daß ich hier auf
das entschiedenste widerspreche.
Haplologische Silbenellipse im Semitischen.
Von C. Broekelmann.
Meine Bemerkungen über haplologische Silbenellipse im Hebrä¬
ischen (diese Zeitschr. 58, 524) hat Barth (oben S. 165) durch den
Hinweis auf analoge Fälle im Semitischen zu ergänzen gesucht.
Dadurch werde ich erst auf zwei Unterlassungssünden aufmerksam.
Erstens hätte ich die von mir besorgte 5. Auflage der arab. Gramm.
Socin's § 33, Anm. b zitieren sollen ; dann hätte ich Barth nicht
nachträglich darauf hinzuweisen brauchen. Zweitens hätte ich eine
Definition des in Rede stehenden Begriffes geben sollen , was ich
bei einem nachgerade doch hinreichend bekannten T. t. der Sprach¬
wissenschaft für überflüssig hielt, mit Unrecht, wie mir Barth's
Bemerkungen zeigen. Unter haplologischer Silbenellipse, auch sylla¬
bische Dissimilation, syllabische Superposition oder Silbenschichtung
genannt, versteht man den Vorgang, daß zwei Silben, die, entweder
unmittelbar aufeinander folgend oder durch eine Silbe ungleicher
Lautung getrennt, den gleichen oder sehr ähnlichen konsonantischen
Anlaut haben , oder von denen die zweite denselben Konsonanten
im An- und im Auslaut hat, bei simultaner Assoziation in eine
verschmolzen werden (s. Brugmann, Kurze vergl. Gramm, der indo¬
germ. Spr. g 337). Es liegt also auf der Hand, daß die von Barth
aus dem Aram. angeführten Fälle mit der in Rede stehenden Er¬
scheinung nichts zu tun haben. In *hadhad^ > h'däd^ ist ja keine
Silbe geschwunden , sondern nur der anlautende Konsonant der
2. Silbe (m. syr. Gramm. § 82). Ebenso ist die Silbenzahl un¬
geändert, wenn nehhe für neh'^ nach Analogie der Verba med. gem.
eintritt. Dasselbe gilt für ?ieÄM| > n^ke. Auch hebr. "^'ninN
gehört nicht in diese Kategorie, selbst wenn es aus *ahuöta{k ent¬
standen sein sollte, s. aber m. Fem. S. 18.
Da Barth nun aber einmal die Frage nach den Erscheinungen
der haplologischen Silbenellipse im weiteren Bereich des Semitischen
aufgeworfen hat , so möge es mir gestattet sein , schon hier einen
Auszug aus dem darüber handelnden Paragraphen meiner Vergl.
Gramm, der semit. Sprachen mitzuteilen.