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Gewerkschaften und Sozialdemokratie in den fünfziger und frühen sechziger Jahren

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IV. Hegemonie und Stagnation:

Gewerkschaften und Sozialdemokratie in den fünfziger und frühen sechziger Jahren

1. Die Macht der gewerkschaftlichen Organisation:

Die Industriegewerkschaften Bergbau und Metall

Nach 1945 gehörten die Gruben der Maxhütte in Sulzbach und Auerbach und der BBI neben dem oberbayerischen Pechkohlenrevier zu den organisatorischen Schwerpunkten der IG Bergbau in Bayern. Die IG Bergbau-Ortsverwaltung in Wackersdorf zählte zu den aktivsten Gruppen im süddeutschen Raum, aus der immer wieder hochrangige Funktionäre hervorgingen. Die Ausgangslage war für die bayerischen Gewerkschafter im Montanbereich nach dem Zweiten Weltkrieg in mehrfacher Hinsicht besonders schwierig gewesen: Der Ende März 1947 in München gegründete Bayerische Gewerkschaftsbund1 hatte zwar eine starke Zen- trale, aber nur schwache Einzelgewerkschaften, die nur unzureichend auf die schwierigen regionalen und branchentypischen Probleme reagieren konnten. Erst in der Bezirkskonferenz vom 5. und 6. März 1949 entstand aus der bayerischen Landesgewerkschaft Bergbau und Hüttenwesen der Bezirk Süddeutschland der Industriegewerkschaft Bergbau mit Sitz in Bochum, wobei die vormalige Landes- gewerkschaft mehr als 7000 ihrer Mitglieder an die IG Metall abgeben mußte und die Zuständigkeit für die Beschäftigten der Hüttenindustrie verlor.2

Der neugegründete Bezirk Süddeutschland, mit Geschäftsstellen in Stuttgart, München, Freiburg und Amberg, umfaßte zunächst nicht nur Teile von zwei Be- satzungszonen, der amerikanischen und französischen, sondern auch mehrere Länder, was anfangs zu erheblichen Schwierigkeiten führte. Aus ihren organisato- rischen Stützpunkten rekrutierte sich auch das gewerkschaftliche Führungsperso- nal der ersten Stunde: Bezirksleiter Hermann Werthmann kam genauso wie sein Stellvertreter Josef Winzinger und der Bezirksjugendsekretär und spätere SPD- Landtagsabgeordnete Anton Weilmaier aus der oberbayerischen Pechkohle; im Bezirksausschuß saßen mit Andreas Piehler, Hans Meisl, dem späteren BBI Arbeitsdirektor, Karl Lepicek und Adolf Steigenberger vier weitere Vertreter aus Penzberg und Peißenberg, während der BBI-Betriebsratsvorsitzende Georg Baierl die ostbayerischen Braunkohlenreviere vertrat.

1 Zur Geschichte des Bayerischen Gewerkschaftsbundes fehlen bislang umfassende Forschungen, nur unzureichend ist Lanig-Heese, Gewerkschaften.

2 Archiv der IG BE, A (Org.) 6, Industrie-Gewerkschaft Bergbau, Bezirk Süddeutschland, Jahresab- schluß für die Zeit vom 1 . 1 . - 3 1 . 1 2 . 1 9 4 9 , S. 1 ff.

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a) Mitgliederentwicklung, Organisationsstruktur, politische Leitbilder Nach der Gründung des Bezirks Süddeutschland der IG Bergbau 1949 zählte man in der Stuttgarter Geschäftsstelle gerade 1576 Mitglieder3, in München und Am- berg waren es zusammen immerhin 18627 Organisierte. Ein Vergleich mit dem Ruhrgebiet macht allerdings die unterschiedlichen Dimensionen zwischen Ruhr- und bayerischem Bergbau deutlich: Mehr als 275 000 Kumpel arbeiteten zwischen Recklinghausen und Essen in den Zechen unter Tage, 15 mal mehr als in Bayern.4

Erst für das Jahr 1950, also dem Zeitpunkt, als der Bezirk Süddeutschland auch satzungsgemäß in die Industriegewerkschaft Bergbau eingegliedert wurde, liegen detaillierte Angaben über die organisatorische Dichte und finanzielle Stärke der IG Bergbau in ihren einzelnen Tarifbezirken Süddeutschlands5 vor. Die Ge- schäftsstellen Amberg und München waren die mit weitem Abstand mitglieder- stärksten: Während in Freiburg und Heilbronn6 zusammen knapp 3700 Mitglie- der vor allem in den Bereichen Kali, Salz und Salinenabbau arbeiteten, waren in Amberg, dem Sitz der IG Bergbau Nordbayern, 19506378 und in München 8742 Arbeiter und Angestellte organisiert. In München dominierte die oberbayerische Pechkohle mit mehr als 86 Prozent und 7534 Gewerkschaftsmitgliedern alle übri- gen bergbaulichen Unternehmen, während der Einzugsbereich der Geschäfts- stelle Amberg, der die vielfältigste geologische Struktur aufwies, von den Berei- chen Braunkohle (1.732), Kaolin (1.212), Schwefelkies (917) und Ton (833) ge- prägt war. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad lag in München bei 97 Pro- zent, in Amberg bei 88,7 Prozent und in Freiburg bei 80,5 Prozent.7 Je kleiner die Betriebe waren, desto schwerer war es für die IG Bergbau, in den Unternehmen Fuß zu fassen. Vor allem in Kleinbetrieben mit oft nur drei oder vier Beschäftig- ten, wie beispielsweise beim Abbau von Ton und Torf oder auch Schwefelkies, stieß die IG Bergbau auf erhebliche Rekrutierungsschwierigkeiten. Hier fehlten die Betriebsräte, die fast alle in der Gewerkschaft waren, und oft auch die Ortsver- waltungen der IG Bergbau, die als Motoren und Katalysatoren gewerkschaftlicher Politik und gewerkschaftlicher Werbung dienten.

Die IG Bergbau Nordbayern, in deren Tarifbezirk die BBI und die Gruben der Maxhütte lagen, reagierte auf dieses Problem mit vermehrter Werbungs- und Ver- sammlungsaktivität. Im Jahr 1950 initiierte sie mit 128 Versammlungen annähernd zehn Mal so viele wie in München und Heilbronn. Im Zentrum standen neben aktuellen tarifpolitischen Fragen, der Diskussion um die Rolle der Angestellten in der Gewerkschaft und die zukünftige Gestaltung der Jugendarbeit vor allem die aktuelle Krise der oberpfälzischen Braunkohlenindustrie. Keine der kleineren Gruben schien den Sommer überleben zu können, Entlassungen standen bevor, und in der strukturschwachen Oberpfalz waren auch Ersatzarbeitsplätze nicht in Sicht. Die besondere Problemlage des Bezirks Nordbayern wurde dabei sichtbar:

5 Archiv der IG BE, A (Org.), Jahresbericht 1950, Organisation und Personal; Angaben nach ebenda.

4 Jahrbuch 1948/49. Hrsg. vom Hauptvorstand der I G Bergbau, Bochum o.J., S. 521.

5 Alle Angaben nach Archiv der IG B C E , A (Org.) 9.1, Mappe 2.

6 Die Geschäftsstelle war nach dem Beitritt zur IG Bergbau von Stuttgart nach Heilbronn verlegt worden, um näher an den Betrieben Nord-Württembergs zu sein.

7 Archiv der I G BE, A (Org.) 9.1, Mappe 2. Die Zahlen für die Geschäftsstelle Heilbronn weisen er- hebliche Fehler auf und sind nicht verläßlich.

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1. D i e Macht der gewerkschaftlichen Organisation 1 7 9

Die diversifizierte geologische Struktur und die Struktur der Betriebsgrößen machten die Unternehmen besonders krisenanfällig. Die kleinen Gruben und Ze- chen waren allesamt der Konkurrenz aus dem Ruhrgebiet und der Tschechoslo- wakei nicht gewachsen; die Kohle von dort war nämlich nicht nur billiger, son- dern hatte zudem noch einen höheren Heizwert. Zehn von 19 Gruben hatten nach Ansicht des sozialdemokratischen Bergbauexperten Andreas Piehler keine Zu- kunftsaussichten mehr.8 In akuter Gefahr waren 2800 Arbeitsplätze, deren Verlust für die industriearme Oberpfalz ein arbeitsmarkt- und strukturpolitisches Fiasko gewesen wäre. Uber die Zukunft der Braunkohle in Bayern gingen die Einschät- zungen freilich weit auseinander. Andreas Piehler forderte die Staatsregierung auf, einen Kredit über 500000 D M zu gewähren, um zumindest die kurzfristigen Schwierigkeiten überwinden zu helfen. Vor allem müsse bis zum nächsten Winter gewartet werden, um Bayerns Energieversorgung nicht völlig von der politischen Entwicklung im Osten abhängig zu machen. Ziel könne in jedem Fall nur sein, den bayerischen Braunkohlenbergbau „endlich einmal in einer Hand"9 zusam- menzufassen. Sozialisierung war also das Schlüsselwort. Der Vertreter des Ar- beitsministeriums, Ministerialdirektor Richard Oechsle, der ebenfalls Sozialde- mokrat war und später selbst Arbeitsminister seiner Partei wurde, vertraute dage- gen mehr auf die heilenden Kräfte des Marktes. „Die Illusion, den Braunkohlen- bergbau auf lange Sicht zu halten, muß aufgegeben werden. Die heute arbeitsfähi- gen Betriebe sollen gehalten, der Markt aufnahmefähig gemacht werden. Dabei spielen Preis und Qualität eine erhebliche Rolle."1 0

Einig waren sich alle Fraktionen des Landtages, daß für den kommenden Win- ter jede Tonne Kohle gebraucht würde und hierfür auch in geringerem Umfang Kredite gewährt werden müßten. Das einzige Unternehmen, das von der Kohlen- krise nicht in seiner Existenz bedroht werde, sei, so der Staatssekretär im Wirt- schaftsministerium Hugo Geiger, die B B I in Wackersdorf, die mit ihrer Anbin- dung an das Dampfkraftwerk über einen festen Abnehmer verfüge. Die anderen Gruben stünden hier weitaus schlechter da, zumal die Braunkohle der Oberpfalz nicht besonders wetterfest sei und rasch an Heizwert verliere.

Hinzu kam für die Betriebe die neue Grenzlage, die die oberpfälzischen Be- triebe, die schon bisher durch die schwache Infrastruktur der Region im Wettbe- werb benachteiligt gewesen waren, noch zusätzlich schwächte." Die unterschied- lichen Konjunkturentwicklungen von Eisenerz, Stein-, Ton-, Flußspat- und Braunkohlenbergbau machten es ungleich schwerer als in Südbayern, gewerk- schaftlich geschlossen zu agieren, da die Verhandlungen nicht für ganze Bran- chenzweige, sondern nur für einzelne Unternehmen geführt werden konnten.

In den ersten Jahren nach 1945 waren für die IG Bergbau Nordbayern zwei hauptamtliche Funktionäre tätig: Fritz Ritzinger, bereits vor 1933 in der ostbaye- rischen Bergarbeitergewerkschaft aktiv und seit 1945 wieder Gewerkschaftssekre-

> AdbL, Ausschuß für Wirtschaft, 33. Sitzung vom 13. 7. 1948, S. 5 ff.

' AdbL, Ausschuß für Wirtschaft, 33. Sitzung vom 13. 7. 1948, S. 3.

10 AdbL, Ausschuß für Wirtschaft, 33. Sitzung vom 13. 7. 1948, S. 11.

11 Staatsarchiv Amberg, BA Burglengenfeld, 22683, Bericht über die wirtschaftliche Rentabilität der Oberpfälzer Braunkohle im Verhältnis zur Konkurrenz aus der Tschechoslowakei aus dem Jahr 1949.

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tär, und Georg Graßler, ebenfalls alter Gewerkschaftssekretär und spezialisiert auf Angestelltenfragen.

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1952 trat mit Adolf Fabry ein Vertreter einer neuen Genera- tion gewerkschaftlicher Funktionäre

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an die Spitze der IG Bergbau, die nicht mehr in der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung der Weimarer Republik wur- zelte, sondern ihre Jugend im Dritten Reich verbracht und ihre ersten verantwort- lichen Positionen nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen hatte. Adolf Fabry, 1921 in Kappel bei Freiburg im Breisgau geboren, war Bergmann. Seit 1950 ge- hörte er als Jugendvertreter dem Bezirksausschuß an, 1950/51 wurde er vom Vor- stand

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auf die gewerkschaftseigene Akademie der Arbeit in Frankfurt

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geschickt, die jungen, angehenden Funktionären des Deutschen Gewerkschaftsbundes eine akademische, speziell auf den gewerkschaftlichen Alltag hin konzipierte Ausbil- dung ermöglichen sollte, auch wenn sie nicht das Abitur vorweisen konnten.

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Das elfmonatige Studium wurde von der Gewerkschaft finanziert und verfolgte neben der allgemeinen Wissensvermittlung das Ziel, die jungen Frauen und Män- ner zu befähigen, „Vorgänge und Verhältnisse denkend zu erfassen und geistig- seelisch zu bewältigen und sich als Glieder einer Gemeinschaft zu fühlen und danach zu handeln."

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Unterrichtet wurden die Teilnehmer durch prominente gewerkschaftsnahe Professoren und Intellektuelle wie den Sozialpolitikexperten Ludwig Preller oder den katholischen Theologen und Sozialethiker Oswald von Nell-Breuning. Auf Fabrys Lehrplan standen im ersten Trimester eine allgemeine Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten und die Grundzüge der industriel- len Welt. Besonderen Wert legte die Akademie zudem in den ersten drei Monaten auf die Vermittlung von generellen Arbeitstechniken, eine Einführung in die Volkswirtschaft und das BGB mit dem Schwerpunkt Arbeitsvertragsrecht sowie die Entwicklung der Sozialpolitik und der politischen Geschichte des Industrie- zeitalters.

18

Im zweiten Trimester ging es um die theoretische Schulung der Funk- tionäre und die Vertiefung der volks- und rechtswissenschaftlichen Kenntnisse des ersten Ausbildungsabschnitts. Hinzu kamen, mit zeitlich etwas geringerem Aufwand, Lehrveranstaltungen zur Sozialpolitik und Betriebswirtschaft, zum Verfassungsrecht und zur Wirtschaftstheorie. Karl Marx wurde im Unterricht ge- nauso behandelt wie John Maynard Keynes

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, die amerikanischen Neoklassiker oder die katholischen wie evangelischen Sozial- und Wirtschaftsethiker. Im letz-

12 Vgl. Die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie in Nordbayern. Geschichte der Geschäfts- stelle in Amberg, o.O.o.J., S. 79.

13 So argumentiert auch Ulrich Beer, Die junge Generation der Gewerkschaften. Gründe und Hin- tergründe von Nachkriegsjugendlichen zu gewerkschaftlicher Aktivität, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 7 (1956), S. 219-225.

14 Archiv der IG BCE, Bezirk Süddeutschland, Bezirksvorstand, Protokoll der Geschäftsstellenlei- terkonferenz vom 15. 1. 1950.

15 Die Akademie der Arbeit war die bereits in der Weimarer Republik gegründete Kaderschmiede für den gewerkschaftlichen Funktionärsnachwuchs. Die Ausbildung, die ohne Hochschulabschluß möglich war, richtete sich vor allem nach den Aufgabenfeldern zukünftiger Gewerkschaftssekre- täre. Für die Bildung eines schlagkräftigen Funktionärskorps war die A d A von nicht zu unter- schätzender Bedeutung. Vgl. Gerhard Kroebel, Die Aufgaben der politischen und sozialen Hoch- schulen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte (2) 1951, S. 473 ff.; ebenso Dieter Schewe, Hochschul- reform und Hochschulexperiment, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 4 (1953), S. 673-678.

16 Vgl. Akademie der Arbeit, Mitteilungen, Neue Folge 8 (September 1953), S. 2 f.

" Ebenda, S. 17.

's Ebenda, S. 20.

19 Zur Biographie vgl. Charles Hession, John Maynard Keynes, Stuttgart 1986.

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1. Die Macht der gewerkschaftlichen Organisation 181 ten Trimester stand die praktische Anwendung der theoretischen Kenntnisse im Vordergrund. Adolf Fabry und die anderen 53 Teilnehmer, die überwiegend aus der Ö T V und der IG Metall stammten20, wurden nun speziell für ihre Tätigkeiten in Betrieben, gewerkschaftlichen Verwaltungsstellen, Sozialversicherungsanstal- ten oder Genossenschaften vorbereitet. Bei der Vermittlung achteten die Dozen- ten darauf, möglichst solche Probleme zu behandeln, die einen unmittelbaren Ge- genwartsbezug hatten und nicht dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm entsprun- gen waren. Ergänzt wurden die Kurse der Akademie durch Arbeitsgemeinschaf- ten, in denen die Studierenden selbständig den Unterrichtsstoff nachbereiten soll- ten, ein umfangreiches Kulturprogramm, Betriebsführungen, aktuelle politische Vorträge und journalistische Praktika. Für viele der Teilnehmer war dies die erste Begegnung mit einer qualifizierten, umfassend angelegten wissenschaftlichen Ausbildung.

Die anderen Teilnehmer waren wie Adolf Fabry im Durchschnitt etwa 30 Jahre alt. Die meisten konnten schon auf eine Karriere als Betriebsrat oder Jugendver- treter in ihrer Gewerkschaft zurückblicken. Allerdings hatten von Fabrys Jahr- gangsteilnehmern nur 14 eine höhere Schulbildung, die es ihnen erleichterte, die komplexen Aufgaben einer Verwaltungsstelle oder die Vorbereitung von Tarifver- handlungen zu übernehmen. Die meisten hatten nur die Volksschule besucht oder waren durch ihre Teilnahme am Krieg in ihrem Ausbildungsweg blockiert wor- den.21 Immerhin hatte die Zeit in den Kriegsgefangenenlagern, die einige der jun- gen Gewerkschafter nach Kriegsende verbringen mußten, mit dazu beigetragen, ihre Fremdsprachenkenntnisse zu verbessern, so daß rund 26 Prozent Englisch sprachen. Die große Mehrheit stammte aus Arbeiterfamilien (60,3 Prozent), 18,8 Prozent aus Angestellten- oder Beamtenhaushalten. Adolf Fabry hatte wie der überwiegende Teil des Nachwuchses nach den vielfach enttäuschten Hoffnungen des Dritten Reiches noch vor der Währungsreform in der Gewerkschaft eine neue politische Heimat. Doch was machte diese neue politische Heimat aus? Gehörten auch Adolf Fabry und die nachwachsenden Gewerkschafter zu der von Helmut Schelsky beschriebenen „skeptischen Generation"22, die betont nüchtern und ab- geklärt, von allen Ideologien enttäuscht sich auf eine „sachlich-fachliche"23 Hal- tung zurückgezogen hatte? Die Ergebnisse einer Umfrage unter den Absolventen der ersten Jahrgänge der Akademie der Arbeit, zu denen auch der spätere IG Bergbau-Funktionär gehörte, waren keinesfalls eindeutig. In Fabrys Generation der zwischen 1918 und 1928 geborenen Junggewerkschafter finden sich nur wenige Vertreter eines politischen Radikalismus mit einem einheitlichen, ge- schlossenen Weltbild. Dementsprechend bot auch der Marxismus nur für einen sehr kleinen Teil ein attraktives Deutungsmuster; Begriffe wie „Arbeiterklasse"

oder „Proletariat" tauchten in der Regel nur noch selten in ihren politischen Äu-

20 Vgl. Akademie der Arbeit, Mitteilungen, N e u e Folge 8 (September 1953), S. 26 f.

21 Vgl. Helmuth R. Wagner, Eine neue Gewerkschafts-Generation, in: Akademie der Arbeit, Mittei- lungen, N e u e Folge 11 (Februar 1956), S. 8-28, hier S. 10.

22 Helmut Schelsky, Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf 1957; dazu Franz-Werner Kersting, Helmut Schelskys „Skeptische Generation" von 1957. Zur Publikations- und Wirkungsgeschichte eines Standardwerkes , in: VfZ (50) 2002, S. 4 6 5 ^ 9 5 .

23 Wagner, Gewerkschaftsgeneration, S. 18.

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ßerungen auf. Selbst aus dem Gedankengebäude des Sozialismus und seinen un- terschiedlichen ideengeschichtlichen Variationen gewann nur eine Minderheit der Gewerkschafter die Instrumente zur umfassenden gesellschaftlichen Analyse. Als Motive für ihr gewerkschaftliches Engagement nannten die Kursteilnehmer eine moralische oder humanistische Verpflichtung, sich für die Arbeiterschaft einzu- setzen.

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Für einen erheblichen Teil spielten zudem christliche und religiöse Be- weggründe eine wichtige Rolle, „Solidarität" zu üben; bezeichnenderweise hatten nur wenige von ihnen mit der Kirche gebrochen.

Der Großteil des Ausbildungsjahrganges blieb also skeptisch gegenüber abge- schlossenen Ideologien. Es wäre aber falsch anzunehmen, den jungen Gewerk- schaftern um Adolf Fabry hätte jedes politische Bewußtsein gefehlt. Kaum einer sah sich selbst als rein pragmatischen Sachpolitiker; was sie antrieb war die vage Vorstellung, die Interessen der Arbeiterschaft zu vertreten, als deren Sprachrohr sie sich fühlten. Der Königsweg war für die meisten aber keine radikale Gesell- schaftskritik, sondern der Gedanke der Sozialpartnerschaft, der Mitbestimmung und der Wirtschaftsdemokratie. Von ihren Gewerkschaftskollegen, die bereits vor 1933 aktiv gewesen waren und deren Erbe sie antreten sollten, unterschied sie die Erfahrung der geschlossenen gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen So- zialisation. Die bitteren Erlebnisse des Krieges hatten ein übriges dazu getan, manche jugendliche Begeisterung für radikale und totalitäre Ideologien rasch ab- kühlen zu lassen. Doch daß der „Mißbrauch ihres jugendlichen Idealismus für die niedrigen Zwecke des Nationalsozialismus" zu einer „Verwerfung aller bewußten Bindungen"

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in dieser Generation geführt hatte, erscheint mehr als zweifelhaft.

So skeptisch, wie Helmut Schelsky vermutet hatte, blickte der gewerkschaftliche Nachwuchs jedenfalls zu Beginn der fünfziger Jahre nicht in die Zukunft, eher schon realistisch und hoffnungsvoll, schließlich ahnte er, welche Chancen die neue staatliche Ordnung für die Arbeitnehmer und für ihn persönlich bot. Mit dieser Zuversicht trat Fabry wenige Monate nach Abschluß seines Studiums an der Aka- demie der Arbeit seine neue Aufgabe als Leiter der IG Bergbau und Energie Orts- verwaltung in Amberg an, die er mehr als dreißig Jahre, von 1952 bis 1983, aus- übte.

Fabrys Arbeitsbereich blieb in den dreißig Jahren seiner Tätigkeit weitgehend unverändert. Er war verantwortlich für die Leitung der Geschäftsstelle und vor allem für den Kernbereich gewerkschaftlicher Arbeit, die Tarifpolitik. Alles, was damit zusammenhing, lief bei ihm im Mosacherweg zusammen, er saß am Ver- handlungstisch, er koordinierte die Absprachen zwischen Gewerkschaft und Be- triebsräten und hielt den Kontakt mit der Münchner und Bochumer Zentrale. Der Geschäftsstellenausschuß, dem Fabry ebenfalls vorstand, legte die Richtlinien für die regionale Tarifpolitik fest, hier fanden die unterschiedlichen Industriezweige ein Forum des Informationsaustausches, und hier wurden alle drei Monate aktu- elle wirtschafts- und sozialpolitische Fragen diskutiert.

26

» Ebenda, S. 19 f.

« Ebenda, S. 26 f.

26 Archiv der IG BCE Nordbayern, Protokollbuch des Geschäftsstellenvorstandes, Protokoll Nr. 1 vom 20. 12. 1952.

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1. Die Mach: der gewerkschaftlichen Organisation 183

Mitgliederentwicklung

Die I G Bergbau Nordbayern selbst änderte ihr Gesicht in Fabrys Amtszeit radi- kal. Schon ein erster Blick auf die Beschäftigten- und Mitgliederentwicklung macht die Dramatik des Strukturwandels deutlich27: Waren Ende 1957 noch 8895 Arbeiter und Angestellte in der Montanindustrie des Geschäftsstellenbereiches beschäftigt, so sank die Zahl bis 1967 auf 6336. Weitere zehn Jahre später war die Quote noch einmal um 10,7 Prozentpunkte gefallen, nun zählte man nur noch 5254 Arbeiter und Angestellte.

Die Beschäftigtenentwicklung verlief bei Arbeitern und Angestellten in unter- schiedliche Richtungen. Während sich die Zahl der Arbeiter zwischen 1957 und 1967 um 34,2 Prozentpunkte von 8294 auf 5452 reduzierte, konnten die Ange- stellten in dem gleichen Zeitraum ein Plus von mehr als 32 Prozentpunkten ver- buchen; ihre Zahl stieg damit von 601 auf 884. Zwischen 1967 und 1977 setzte sich dieser Trend fort: Die Zahl der beschäftigten Arbeiter nahm noch einmal um 1350 (24,7 Prozentpunkte) ab, die Angestelltenschaft stabilisierte sich nicht nur, son- dern legte nochmals um 268 zu. Innerhalb von zwanzig Jahren büßte der nord- bayerische Bergbau damit mehr als vierzig Prozent seiner Arbeiter ein. In der Mitte der sechziger Jahre verlief der Abbau an Arbeitsplätzen besonders rasch, in den siebziger Jahren verlangsamte er sich, ohne aber ganz eingedämmt werden zu können.

Quote und Zahl der organisierten Gewerkschafter spiegeln diesen Negativtrend ebenfalls wider: Konnte die I G Bergbau Nordbayerns 1957 immerhin 81,8 Prozent aller Beschäftigten im Montanbereich erfassen, so waren es 1967 nur noch 69,4 Pro- zent. Die entscheidende Wende erfolgte in den Jahren zwischen 1964 und 1966, in denen einige der Gruben aus den Altindustrielandkreisen Burglengenfeld und Sulzbach-Rosenberg schließen mußten.2 8 Die I G B E verlor in zehn Jahren 39,6 Pro- zent oder 2879 ihrer zahlenden Mitglieder, wobei diese katastrophale Entwicklung vor allem auch dadurch entstand, daß viele Arbeiter der Gewerkschaft den Rücken kehrten. „Die Arbeiter sind vom gewerkschaftlichen Denken abgekommen", faßte das Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses Hammer die Entwicklung zu- sammen.2 9 Die Ortsverwaltung Wackersdorf der I G Bergbau brauchte über solche Verluste nicht zu klagen. Im Gegenteil: Der Organsiationsgrad konnte sogar noch gesteigert werden. Seit 1959 waren alle Arbeiter der B B I in der I G Bergbau orga- nisiert, und auch die neuen Belegschaftsmitglieder wurden unmittelbar bei ihrer Einstellung durch die Betriebsräte für die Gewerkschaft geworben.3 0 Die I G Berg-

27 Vgl. D i e Industriegewerkschaft Bergbau und Energie in Nordbayern. Geschichte der Geschäfts- stelle in Amberg, o.O.o.J., S. 78. Alle Zahlenangaben nach ebenda.

28 Archiv der I G B C E N o r d b a y e r n , Protokollbuch des Geschäftsstellenvorstandes, Protokoll Nr. 41 vom 26. 9. 1966, S. 149.

29 Archiv der I G B C E Nordbayern, Protokollbuch des Geschäftsstellenvorstandes, Protokoll Nr. 23 vom 2 4 . 4 . 1961, S. 79.

30 Angaben bei Karl Braunreiter, Festrede aus Anlaß des 80jährigen Bestehens der Ortsgruppe Wak- kersdorf, 22. 10. 1989, Kopie im Besitz des Verf. 1959 war es bei der B B I zum Konflikt zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft gekommen, als die Werksleitung die Beitragskassierung abschaf- fen wollte. Die Gewerkschaftsfunktionäre bemühten sich daraufhin, von allen Belegschaftsange- hörigen eine Lohnabtretungserklärung einzuholen, und konnten damit eine Steigerung der O r g a - nisationsquote von 95 Prozent auf 100 Prozent erreichen; Hinweis nach ebenda. Leider fanden sich weder in den Akten noch bei den Interviews Hinweise auf diesen Konflikt. D a die Quellen-

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bau konnte hier ihre hegemoniale Stellung weiter behaupten und auch neue Arbei- ter und Angestellte von der Gewerkschaftsidee überzeugen.

Neben dem Mitgliederschwund ist noch ein weiterer Prozeß zu beobachten:

die Uberalterung der Gewerkschaft. Ende 1957 waren in Nordbayern 805 Ge- werkschaftsmitglieder

31

Rentner, was einem Anteil von 9,96 Prozent entsprach.

Zehn Jahre später war die Zahl der Pensionisten bereits auf 1387 gestiegen. Der leichte Rückgang der organisierten Rentner um 117 auf 1361 bis zum Jahr 1977 war vor allem auf den Austritt von Pensionisten zurückzuführen, die nicht mehr gewillt waren, nach ihrer Zeit im Erwerbsleben Beiträge an die Industriegewerk- schaft zu zahlen.

Für das organisatorische Netzwerk der IGBE hatte der Mitgliederschwund ka- tastrophale Folgen. Denn bereits zu Beginn der sechziger Jahre deutete sich an, was zehn Jahre später zu einer strukturellen Krise der Bergarbeitergewerkschaft in Nordbayern werden sollte: der Verlust der regionalen Verankerung. Von ur- sprünglich 54 Ortsgewerkschaftsgruppen im Jahr 1950 waren 1978 lediglich 18 übrig geblieben.

Strukturwandel und Gewerkschaftspolitik in der nordbayerischen Montanindustrie

Der Druck auf die IG Bergbau nahm seit Ende der fünfziger Jahre von verschie- denen Seiten her stetig zu: Der internationale Wettbewerb

32

führte auf dem euro- päischen Erz-, Kaolin- und Energiemarkt zu einem verschärften Konkurrenz- kampf, dem die oberpfälzischen Gruben kaum gewachsen waren. „Die Eisen- grube Auerbach", stellte Adolf Fabry am 22. Oktober 1960 resigniert fest, „liegt mit seinen fsic] Gestehungskosten höher, als die Einfuhr schwedischer hochwer- tiger Erze mit ihren Transportkosten. Ebenfalls werden russische Erze preisgün- stig angeboten, hier handelt es sich um rein politische Preise."

33

Ähnlich wie im Ruhrgebiet hatten es in der Oberpfalz viele Bergbaubetriebe in den relativ ab- satzsicheren fünfziger Jahren versäumt, so Fabry, „zu rationalisieren und sind jetzt nicht mehr konkurrenzfähig."

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Auch der nordbayerische Tonbergbau blieb von der Bergbaukrise

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nicht verschont. Um das Jahr 1958 wurde die Tongrube

läge zur Geschichte der IG Bergbau Ortsverwaltung Wackersdorf ausgesprochen schlecht ist und sich nur wenige Akten im privaten Besitz befinden, mußte auf eine weitergehendere Analyse ver- zichtet werden.

31 Die Statistik trennt nicht zwischen Rentnern, die zuvor Arbeiter oder Angestellte waren.

32 Vgl. dazu Lauschke, Schwarze Fahnen, S. 5-31; Heinrich Guthermuth, Der Bergbau im Schatten der industriellen Revolution, in: Protokoll. 7. Generalversammlung der IG Bergbau vom 3. bis 8. Juli 1960, Bochum, o.J.; Wilhelm Haverkamp, Strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft und ihre Auswirkungen, in: Bergbau und Wirtschaft 13 (1960), Η. 1; grundsätzlich aus gewerkschaftli- cher Sicht: Industriegewerkschaft Bergbau, Denkschrift zur Lage im Steinkohlenbergbau (15. Ja- nuar 1959), in: Bergbau und Wirtschaft, 12 (1959), H. 2.

35 Archiv der IG BCE Nordbayern, Protokollbuch des Geschäftsstellenvorstandes, Protokoll Nr. 22 vom 22.10. 1960, S. 76.

34 Ebenda; zur Rolle der IG Bergbau in der Kohlenkrise auch Lauschke, Schwarze Fahnen, Werner Abelshauser, Der Ruhrkohlenbergbau seit 1945, München 1984, besonders S. 73 ff.; Christoph Nonn, Die Ruhrbergbaukrise. Entindustrialisierung und Politik 1958 - 1969, Göttingen 2001, S. 64-95.

35 Vgl. Industriegewerkschaft Bergbau, 1957-1960. Statt Kohlen-Krise Energiepolitik. Eine chrono- logische Darstellung, Bochum o.J.

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1. Die Macht der gewerkschaftlichen Organisation 185 Schönhaid bei Wiesau stillgelegt, einige Jahre später folgte die Grube Schippach bei Obernburg am Main. Zeitgleich waren auch die Schwefelkiesgruben in die Krise geraten: 1962 und 1963 wurde die Belegschaft der Bergbau G m b H „Bay- ernland" in der Nähe von Waldsassen von etwa 150 auf 60 Beschäftigte redu- ziert, bis Ende August 1971 auch dieses Unternehmen mangels wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit seinen Betrieb einstellte. Innerhalb von wenig mehr als zwanzig Jahren war ein gesamter Wirtschafts- und Beschäftigungszweig zwi- schen Aschaffenburg, Weiden, Amberg und Regensburg beinahe vom Erdboden verschwunden.3 6

Die anhaltenden Absatzschwierigkeiten und die ausbleibenden Erfolge bei der Werbung von Neumitgliedern ließen die Funktionäre der I G Bergbau schon im Frühjahr 1961 sorgenvoll in die Zukunft blicken: „Entgegen des [sie] Mitglieder- abbaus steht der gesamte Verwaltungsapparat der Gewerkschaft mit unveränder- ter Verwaltungsbesetzung gegenüber. Es muß also bei weiter fallendem Mitglie- derstand auch das Verwaltungspersonal mit abgebaut werden. [...] Die Organisa- tion muß sich mit Nachdruck mit den Verwaltungsschwierigkeiten auseinander- setzen, um wieder gesunde finanzpolitische Verhältnisse zu erreichen."3 7 Die Bo- chumer Hauptverwaltung reagierte auf die finanziellen Engpässe mit einer Politik der Zentralisierung.3 8 Die Kompetenzen der peripheren süddeutschen Geschäfts- stellen wurden zugunsten der Zentrale in Bochum oder der Bezirksgeschäftsstelle in München beschnitten, ihre tarifpolitischen Spielräume beschränkt. Ein erster, auch öffentlich sichtbarer Schritt auf diesem Weg war die Bestellung eines Tarifse- kretärs für den gesamten Bezirk Süddeutschland durch den Hauptvorstand, in dessen Hand zukünftig die Koordination und die Umsetzung der tarifpolitischen Vorgaben lag. Freilich überzeugte das Argument der Zentrale, der Tarifsekretär

„entlaste" die Geschäftsstellen, die damit wieder mehr für die Mitgliederwerbung und -betreuung tun könnten, nur partiell. Die Klagen der Branchenvertreter wa- ren bald unüberhörbar. Sie bemängelten nicht nur organisatorische Defizite, son- dern fühlten sich durch die Zentrale in München oft schlecht informiert und vor ihren Mitgliedern bloßgestellt. Der nordbayerische Bildungsobmann Horst Schwellnus fand deshalb im Geschäftsstellenausschuß große Zustimmung, als er auf der Frühjahrsversammlung 1962 den Bezirksvorstand heftig attackierte: „Es muß künftig im Bezirksvorstand noch Klarheit darüber geschaffen werden, daß die Verhandlungen oder wichtige Entscheidungen, wo die Bezirksleitung feder- führend ist, auch den Geschäftsstellen oder den zuständigen Ortsgruppen sofor- tige Information zugeleitet werden. Ein jeder Funktionär ist seiner Belegschaft ge- genüber verantwortlich und muß über die z. Zt. anstehenden wichtigsten Pro- bleme Bescheid wissen."3 9

36 Zu den Konsequenzen der Wirtschaftskrise für die gewerkschaftliche Jugendarbeit vgl. Süß, Glückauf, S. 78 ff.

37 Archiv der I G B C E Nordbayern, Protokollbuch des Geschäftsstellenvorstandes, Protokoll Nr. 23 vom 24.4. 1961, S. 78.

38 Vgl. Heinrich Guthermuth, Organisationsfragen der IG Bergbau, in: Protokoll. 5. Generalver- sammlung der IG Bergbau vom 7. August bis 13. August 1955, Bochum o.J., 207-220, bes.

S. 218 ff.

39 Archiv der IG B C E Nordbayern, Protokollbuch des Geschäftsstellenvorstandes, Protokoll Nr. 27 vom 2. 4. 1962, S. 94.

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Diese Klagen rissen auch in den folgenden Jahren nicht ab. Im Gegenteil: Mit- gliederverluste und Zechensterben sorgten für ein gereiztes Klima, in dem auch größere Konflikte zwischen der Oberpfälzer Peripherie und dem Münchener Zentrum gediehen. Der Streit eskalierte im Sommer 1963, als bei den Verhandlun- gen über einen neuen Manteltarifvertrag im Gipsbergbau weder die zuständigen Vertreter der IGBE Ortsverwaltungen noch der Geschäftsstellenleiter Adolf Fa- bry konsultiert worden waren. Vor allem für Adolf Fabry, dessen ureigenste Auf- gabe die Aushandlung der Tarife war, bedeutete der Alleingang des Bezirksvorsit- zenden Anton Weilmaier und dessen Tarifsekretär einen Schlag ins Gesicht. Seine Autorität als Verhandlungspartner der Arbeitgeber schien untergraben und damit seine Position innerhalb der Organisation geschwächt.

„Kollege Käppner-Gipsbergbau erklärt, daß neuerdings durch die Tarifabteilung keine Mit- teilungen an die Funktionäre mehr kämen, sondern die Funktionäre würden durch die Werksleitungen erfahren, was tarifpolitisch geschehen sei. So habe er jetzt erfahren, daß der Lohntarif gekündigt worden sei, daß im Urlaub eine Änderung des Manteltarifvertrages er- folgt sei. Er fragt deshalb den Kollegen Fabry, ob dieser informiert sei. Dieser erklärt hierauf, daß er davon nichts wisse. Auf G r u n d dieser Mitteilungen und Beanstandungen in der Tarif- arbeit entwickelt sich eine allgemeine Diskussion. Es wird von Seiten der Vorstandsmitglie- der festgestellt, daß die Vorbereitungen und die Durchführung der Tarifverhandlungen viel zu langsam von [sie.] sich gehe. Man sei bisher gewohnt gewesen, daß meist v o r den Kündi- gungen Entwürfe vorgelegt würden, oder zumindest gleich darauf mit den Kollegen beraten w ü r d e und daß dann versucht würde, die Verhandlungen schnell voranzutreiben und in kür- zeren Abständen zu verhandeln. Das jetzige Tempo sei, so erklärten die Vorstandsmitglieder, nicht tragbar."40

Der gereizte Ton und die gesamte Stoßrichtung der Entschließung waren für die innergewerkschaftliche Auseinandersetzung äußerst ungewöhnlich. Verletzte persönliche Eitelkeiten spielten dabei gewiß eine Rolle. Vor allem aber ging es um eine grundsätzliche Neugewichtung zwischen den verschiedenen gewerkschaftli- chen Organen.

41

Die unter den Vorzeichen der Effizienzsteigerung und Professio- nalisierung durchgeführte Zentralisierung verlief also keineswegs reibungslos und konfliktfrei. Die politische Schlagkraft, so wurde in München und Bochum argu- mentiert, resultiere aus starken bürokratischen Verwaltungsapparaten, die einen genaueren Uberblick über die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Gesamtent- wicklungen besäßen.

42

Deswegen war es nicht verwunderlich, daß die Vorgehens- weise der nordbayerischen Gewerkschafter auf entschiedenen Widerspruch in der Zentrale stieß. Bei der Sitzung des Geschäftsstellenausschusses am 16. September 1963 wies der Bezirksstellenleiter Anton Weilmaier persönlich die Kritik zurück und rief die Kollegen aus Amberg zur Räson: „Koll. Weilmaier ergriff anschlie-

40 Archiv der IG BCE Nordbayern, Protokollbuch des Geschäftsstellenvorstandes, Protokoll Nr. 30 (undatiert, vermutlich August 1963), S. 106.

41 Zur innergewerkschaftlichen Zentralisierung und deren Kritik vgl. Joachim Bergmann, Organisa- tionsstruktur und innergewerkschaftliche Demokratie, in: ders., Beiträge zur Soziologie der Ge- werkschaften, Frankfurt am Main 1979, S. 210-239, hier S. 218ff.

42 Vgl. dazu Joachim Treu, Stabilität und Wandel in der organisatorischen Entwicklung der Gewerk- schaften. Eine Studie der organisatorischen Entwicklung der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, Frankfurt am Main 1979, S. 210ff.; Protokoll des 3. Gewerkschaftstages der IG Bergbau und Energie am 9. und 10. September 1963 in der Kongreß- und Messehalle in Düsseldorf, hrsg.

vom Hauptvorstand der IG Bergbau und Energie, Bochum 1983, S. 26 ff.

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1. D i e M a c h t der gewerkschaftlichen O r g a n i s a t i o n 187 ßend das Wort und begründete die Dringlichkeit seiner Teilnahme an dieser Sit- zung. Er verwies insbesondere darauf, daß alle Probleme, die den süddeutschen Raum betreffen, in 1. Linie von der Bezirksleitung aus gesteuert und gelöst wer- den sollen."43 Weilmaier reklamierte für sich die Verantwortung und die Entschei- dungsgewalt bei allen wesentlichen Fragen der Tarifpolitik. Alle Bestrebungen zu mehr Eigenständigkeit lehnte er schroff ab und machte unmißverständlich deut- lich, daß er keinesfalls bereit sei, etwa zugunsten der Geschäftsstellen Kompeten- zen abzugeben. Danach schien keiner der Gewerkschafter mehr den Mut zu ha- ben, die Mißstände und Irritationen offen anzusprechen. Bis Ende der sechziger Jahre fand sich niemand mehr, der die Münchner Bezirksstelle offen attackierte.

IG Metall in Nord- und Ostbayern

Die Probleme der IG Metall waren andere. Dies hing vor allem mit der Konjunk- tur der Eisen- und Stahlindustrie zusammen, die durch den Korea-Krieg einen au- ßerordentlichen Boom erlebt hatte44: Allein der durchschnittliche Auftragsein- gang für die Walzstahlerzeugnisse, einem der wichtigsten Gradmesser für die Ent- wicklung der Weiterverarbeitungsindustrie, stieg zwischen 1949 und 1950 von 445 000 Tonnen auf 1 160 000 Tonnen.45 Die Schere zwischen Auftragseingang und Produktionskapazität ging im Laufe des Jahres 1950 immer weiter auseinander, die Auftragsbücher wurden immer dicker, und die Lieferzeiten für Bandstahl, Walzdraht und Feinbleche, alles Produkte, die auch in den Maxhüttenwerken46 produziert wurden, verzögerten sich.47 Nur für kurze Zeit und in Reaktion auf das Ende des Korea-Krieges erfuhr die konjunkturelle Entwicklung der Eisen- und Stahlindustrie einen kurzen Einbruch, der allerdings, wie bei der Max- und der Luitpoldhütte, als sehr schmerzlich empfunden wurde.48 Im Laufe des Jahres 1954 zogen die Investitionen der Eisen- und Stahlkonzerne wieder an und erreich- ten zwischen 1955 und 1956 ihren vorläufigen Höhepunkt. Zwischen 1952 und 1961 investierten die Konzerne der Eisen- und Stahlindustrie rund drei Milliarden Dollar und steigerten damit die Produktionsleistungen in einem bis dahin nicht gekannten Umfang.4 9 Während die deutschen Montankonzerne 1952 noch 18,6 Mio. Tonnen Rohstahl produziert hatten, konnten sie ihre Leistung bis 1957 auf 28 Mio. steigern; bis zum Jahr 1961 erhöhte sich die Rohstahlproduktion noch- mals und lag schließlich bei 33,5 Mio. Tonnen. Ein Ende der Zuwachsraten war

43 Archiv der IG B C E Nordbayern, Protokollbuch des Geschäftsstellenvorstandes, Protokoll Nr. 31 vom 16.9. 1963, S. 110.

44 Ausführlich dazu Müller, Strukturwandel, S. 184-203.

45 Die deutsche Eisen- und Stahlindustrie, Statistische Vierteljahrshefte, Oktober-Dezember 1950, S. 73.

46 Für die Maxhütte galten die positiven Folgen des Korea-Booms in gleicher Weise. Finanzdirektor Burkart hielt das Geschäftsjahr 1951/1952 im Hinblick auf die Auslastung und die Produktionser- wartungen für ein „außergewöhnlich günstiges Jahr", in dem die Maxhütte das absolute „Spit- zenergebnis" in ihrer Unternehmensgeschichte erzielt habe. DGB-Archiv im AdsD, BR-Max- hütte, 193, Aufsichtsratssitzung vom 31. 8. 1953.

47 Vgl. Stahl und Eisen 16 (1950), S. 730.

4» DGB-Archiv im AdsD, BR-Maxhütte, 199, Aufsichtsratssitzung vom 25. 7. 1955, Bericht Direk- tor Enzmann.

49 Vgl. Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1952-1962. Ergebnisse, Grenzen und Per- spektiven. Bericht eines Sachverständigenausschusses unter Vorsitz von Rolf Wagenführ, hrsg. von der E G K S , Hohe Behörde, Luxemburg 1963, S. 108.

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nicht abzusehen, und die Prognosen der Hüttenexperten gingen davon aus, daß der Weltstahlverbrauch zwischen 1960 und 1975 von 340 Mio. Tonnen Rohstahl um mindestens 630 Mio. Tonnen zunehmen würde.50

Während also die IG Bergbau im Ruhrgebiet wie auch in Nordbayern seit Mitte der fünfziger Jahre gegen die Kohlekrise und das Zechensterben ankämpfen mußte51, konnten die Arbeitnehmervertreter in der Metallindustrie mit größerer Gelassenheit in die Zukunft blicken. In den Betrieben der Max- und der Luitpold- hütte, wo der Kern der aktiven Gewerkschafter arbeitete, waren zu Beginn der fünfziger Jahre rund 7700 Metallarbeiter organisiert52, 1961 war ihre Zahl bereits auf 9306 angestiegen.53 Für den gleichen Zeitraum meldete die bayerische IG Me- tall stolz einen Mitgliederzuwachs von 48470 an die Gewerkschaftszentrale in Frankfurt: 1950 waren 166820 IG Metall-Mitglieder in München registriert, 1961 hatte sich ihre Zahl auf 215290 und damit um 29,1 Prozent erhöht.54 Die Verwal- tungsstelle in Regensburg, die weniger als Amberg durch die Montanindustrie ge- prägt war und zu der als schwerindustrielles Unternehmen nur das Walzwerk in Haidhof gehörte, war eine der wenigen Verwaltungsstellen in der Bundesrepu- blik55, die trotz günstiger Konjunktur einen realen Mitgliederverlust hinnehmen mußte: 1951 wurden von Regens bürg aus rund 910056 Mitglieder verwaltet, zehn Jahre später waren es nur noch rund 7770.57 Hier lagen auch besondere Verhält- nisse vor. Die Industriegewerkschaft Metall in Regensburg, die Ende September 1946 in einer Versammlung von Betriebsräten und Vertrauensleuten der umliegen- den Werke gegründet worden war58, litt noch bis in die frühen sechziger Jahre an den Folgen des „Bayernstreiks" von 1954, bei dem über 100000 bayerische Me- tallarbeiter für höhere Löhne und Gehälter in den Ausstand getreten waren.59 Der

50 Vgl. Müller, Strukturwandel, S. 293.

51 Nonn, Ruhrbergbaukrise, S. 97-113.

52 Geschäftsbericht 1952/1953 des Vorstandes der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepu- blik Deutschland, Frankfurt am Main (1954), S. 202 und S. 206.

53 Geschäftsbericht 1960/1961 des Vorstandes der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepu- blik Deutschland, Frankfurt am Main (1962), S. 378.

51 Ebenda, S. 376; der Tarifbezirk Süddeutschland mit Sitz in München war zwar flächenmäßig der größte aller Tarifbezirke, doch stand er von den Mitgliederzahlen nur an vierter Stelle. Auch die Zuwachsraten der Organisierten nahmen sich im Vergleich zum Bundesgebiet sehr bescheiden aus:

Hier lagen die bayerischen IG Metaller vor Hagen an vorletzter Position; vgl. ebenda.

55 1950 hatte die IG Metall in Westdeutschland 1290098 Mitglieder, 1961 waren es bereits 1849572;

Angaben nach ebenda.

56 Geschäftsbericht 1952/1953 des Vorstandes der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepu- blik Deutschland, Frankfurt am Main (1954), S. 206.

57 Geschäftsbericht 1960/1961 des Vorstandes der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepu- blik Deutschland, Frankfurt am Main (1962), S. 381.

58 Vgl. Metall und Metaller/innen in und um Regensburg. 100 Jahre IG Metall, Verwaltungsstelle Re- gensburg. Ausgewählt und bearbeitet von Walter Meyer, hrsg. von der Verwaltungsstelle Regens- burg der Industriegewerkschaft Metall, Regensburg o.J. (1991), S. 121 ff.

5' Ausführlich dazu Rudi Schmidt, Der Streik in der bayerischen Metallindustrie von 1954. Lehr- stück eines sozialen Konflikts, Köln 1995; die Arbeit, die auf eine unveröffentlichte Dissertation aus dem Jahr 1975 zurückgeht, ist bislang die einzige, die sich genauer mit dem größten Streik in der bayerischen Nachkriegsgeschichte beschäftigt. Allerdings hat Schmidt darauf verzichtet, so- wohl die Literatur nach 1975 einzuarbeiten als auch überhaupt weitergehende Forschungen zur bayerischen Nachkriegsgeschichte zu berücksichtigen. Problematisch ist zudem seine Entschei- dung, staatliche oder verbandliche Akten nicht hinzuzuziehen, so daß seine Darstellung vielfach unausgewogen bleibt; vgl. dazu Dörrich, Schönhoven, Industriegewerkschaft, Dok. 69 vom 27. 7.

1954, S. 519-522.

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1. Die Macht der gewerkschaftlichen Organisation 189 Streik, an dem sich die Maxhüttenbetriebe und die Luitpoldhütte aus tarifver- tragsrechtlichen Gründen nicht beteiligten60 - die Betriebe waren bis 1959 nicht im Verein der Bayerischen Metallindustrie (VBM), sondern im Arbeitgeberver- band der Bayerischen Erzbergbau- und Hüttenbetriebe organisiert - , endete mit einer für die IG Metall schmerzlichen Niederlage.61 Die Unternehmer hatten den Konflikt als Testfall für die zukünftige Machtverteilung in der Tarifpolitik be- nutzt62 und waren deshalb mit unnachsichtiger Härte gegen die Streikenden, die gewerkschaftlichen Funktionäre und die verantwortlichen Betriebsräte vorgegan- gen.63 Ihnen war es außerdem gelungen, den Tarifkonflikt in eine Region wie Bay- ern zu verlagern, die aufgrund ihrer räumlichen und gewerkschaftlichen Organi- sationsstruktur der Unternehmerseite ganz andere Vorteile bot als das in Nord- rhein-Westfalen oder Baden-Württemberg der Fall gewesen wäre. In Regensburg hatten zwar mehr als 94 Prozent der Organisierten in den metallverarbeitenden Betrieben für einen Arbeitskampf gestimmt, doch die anfänglich hohe Streikbe- reitschaft legte sich nach und nach. Insbesondere die Angestellten in der IG Metall schreckten sofort zurück, als die Unternehmer bereits kurz vor Streikbeginn deutlich machten, daß sie auf den Arbeitskampf mit fristlosen Kündigungen rea- gieren würden.6 4

Der Verlauf des Streiks ließ keinen Zweifel, daß die Gewerkschaftsführung in München, die ihrer Sache so sicher gewesen war, ihre Kräfte weit überschätzt hatte. Die Streikfront blieb nur in den Betrieben einigermaßen geschlossen, deren gewerkschaftliche Tradition vor das Jahr 1933 zurückreichte. In neuen, kriegsver- lagerten Betrieben wie bei Siemens, die über keine altgediente Stammarbeiter- schaft und kein dichtes gewerkschaftliches Netzwerk verfügten, ebbte die Pro- testwelle bald ab. Den Gewerkschaften gelang es dort nicht, die Belegschaft gegen den steigenden Druck der Unternehmer zu immunisieren und ihnen auch finan- ziellen Schutz zu bieten. Die Konsequenzen des mageren Schiedsspruchs, der le- diglich eine geringe Erhöhung des Ecklohnes der Zeit- und Akkordlöhne brachte, waren Gift für die Gewerkschaftsarbeit: Scharenweise traten Mitglieder aus, die finanziellen Ressourcen waren weitgehend aufgebraucht, und in den Betrieben mußten die gewerkschaftlichen Vertrauensleute oft und oft wieder bei Null begin- nen.

Im Verwaltungsstellenbereich der Industriegewerkschaft Metall Amberg hatte der Bayernstreik der Gewerkschaftsbewegung keine vergleichbar tiefen Wunden geschlagen. Das galt nicht nur für die Mitgliederzahlen, sondern für die gesamte Organisationsstruktur der IG Metall, die neben den Hüttenbetrieben auch die Metallarbeitnehmer im nordöstlichen Tirschenreuth und Weiden umfaßte.65 In

60 Die Unternehmer der M a x - und der Luitpoldhütte waren im Arbeitgeberverband der Bayerischen Erzbergbau- und Hüttenbetriebe zusammengeschlossen.

61 So urteilte schließlich auch der Vorsitzende der IG Metall, Otto Brenner: „Daß die Unternehmer in dem Kampf in Bayern für sich einen Entscheidungskampf sahen, daß es für sie geradezu der Modellfall dafür werden sollte, wie man die organisierte Arbeitnehmerschaft in die Knie zwingt, dafür haben wir einige bestimmte Hinweise." Protokoll des 3. ordentlichen Gewerkschaftstages vom 13.-18. 9. 1954 in Hannover, Frankfurt am Main 1954, S. 167f.

62 Vgl. dazu Verein der Bayerischen Metallindustrie: Streik oder Partnerschaft, o.O.o.J. (1954).

« Vgl. Schmidt, Streik, S. 133-137.

64 Vgl. Verwaltungsstelle Regensburg, Metaller, S. 133.

65 Die Verwaltungsstelle Amberg umfaßte das Gebiet des Stadt- und Landkreises Amberg, die Stadt

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den Jahren 1952/1953 hatten die oberpfälzischen Gewerkschafter etwas mehr als 171 600 D M eingenommen66; ihr Finanzvolumen war damit knapp hinter dem von Erlangen an siebter Stelle aller bayerischen Verwaltungsstellen gelegen. In den fol- genden Jahren konnte Amberg überdurchschnittlich von der Konjunktur in der Metallindustrie profitieren, 1960/1961 lag es auf Rang fünf im innerbayerischen Vergleich. Selbst die Abstände zu den großen Metallindustrie-Zentren in Nürn- berg und München wurden in den zehn Jahren seit der Einführung der Montan- mitbestimmung erheblich geringer.67 Das außerordentliche Wachstum, das nur noch, wenngleich von einem niedrigeren Niveau ausgehend, durch die Ingolstäd- ter IG Metall als Zentrum der bayerischen Automobilindustrie überschritten wurde68, schlug sich auch gleichzeitig in den Ausgaben nieder. Vor allem stellte man neues Personal ein, um die erhöhten Anforderungen durch neue Mitglieder und die steigende Zahl der kleineren Metallbetriebe bewältigen zu können, so daß sich der Posten für Gehälter um rund 37 Prozent erhöhte. Die Weiträumigkeit des Tarifbezirks zwang die IG Metall in Amberg überdies wie kaum eine andere Ver- waltungsstelle dazu, einen erheblichen Anteil der Mittel für den Unterhalt von Fahrzeugen und für Fahrgelder auszugeben - ein Kostenfaktor, der auch den Haushalt der IG Bergbau stark belastet hatte.

Fritz Enderlein war in den Jahren der Expansion der Motor der IG Metall in Amberg. Der 1897 geborene Oberpfälzer war bereits mit 15 Jahren Mitglied des Deutschen Metallarbeiterverbandes geworden, 1932 hatte er nach vielen ehren- amtlichen Funktionen in der Regensburger Gewerkschaftsbewegung den Posten des hauptamtlichen Kassierers übernommen. Schon wenige Tage nach der Macht- ergreifung war der Gewerkschaftsfunktionär und Sozialdemokrat ins Fadenkreuz der Nationalsozialisten geraten; er wurde zunächst für mehrere Jahre in das Kon- zentrationslager Dachau, später in das K Z Flossenbürg gesperrt. Enderlein über- lebte die Haft, trug aber schwer an den Mißhandlungen und den Entbehrungen dieser Zeit. Nach 1945 gehörte er zu den Männern der ersten Stunde, die die Ge- werkschaftsarbeit in der Oberpfalz wieder in Gang setzten: Im Juli 1947 wurde er zunächst Sekretär der IG Bergbau und Hütten und damit sowohl für die Max- und die Luitpoldhütte als auch für die BBI zuständig. Nach der Gründung der IG Metall übernahm er im Frühjahr 1949 die Funktion des 1. Bevollmächtigten in

Weiden sowie die Landkreise Sulzbach-Rosenberg, Neunburg v. Wald, Tirschenreuth, Kemnath, Eschenbach, Vohenstrauß, Neustadt/Waldnaab, Nabburg und Oberviechtach. Zahlstellen befan- den sich in Sulzbach-Rosenberg, Weiherhammer, Bodenwöhr, Trabitz und Tirschenreuth.

66 Zahlenangaben nach Geschäftsbericht 1952/1953 des Vorstandes der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main (1954), S. 186; die größte bayerische Ver- waltungsstelle war München, deren Gesamteinnahmen sich auf 1594978,81 DM beliefen, dahinter folgten mit weitem Abstand Nürnberg, Augsburg und Schweinfurt.

67 Geschäftsbericht 1960/1961 des Vorstandes der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepu- blik Deutschland, Frankfurt am Main (1962), S. 359.

68 Zur Verwaltungsstelle Ingolstadt vgl. die Arbeit von Thomas Schlemmer, „Eine Entwicklung ame- rikanischen Maßstabes". Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der bayerischen Boom-Region In- golstadt 1948 bis 1975 (in Vorbereitung); die Verwaltungsstellen in Kempten und Landshut konn- ten ihre Gesamteinnahmen zwar ebenfalls beträchtlich steigern, fielen aber bayernweit wegen ihres trotz allem geringen industriellen Bedeutungsgrades kaum ins Gewicht; Geschäftsbericht 1960/

1961 des Vorstandes der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main (1962), S. 359.

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1. Die Macht der gewerkschaftlichen Organisation 191 Amberg. Er blieb dies bis 1959, als ihn seine angeschlagene Gesundheit zwang, sein Amt niederzulegen.69

Sein Nachfolger wurde der vierzigjährige Herbert Püschel, der bereits seit Mitte der fünfziger Jahre als potentieller Nachfolger gehandelt worden war. Pü- schel war als Flüchtling erst nach Ende des Krieges in die Oberpfalz gekommen.70

Seine Gewerkschaftslaufbahn hatte bei der Mathiaszeche in Schwandorf begon- nen. Im Braunkohlentagebau arbeitete er zunächst Unter- und Ubertage, als Ma- schinist und Zimmermann. Die Karriere des begabten Organisators verlief in gro- ßen Sprüngen: Im Oktober 1945 war der Sudetendeutsche erst der Gewerkschaft beigetreten, 1948 wurde er freigestellter Betriebsratsvorsitzender und Mitglied der SPD. Die Gewerkschaft berief ihn in die Tarifkommission, er wurde Mitglied im Gesamtbetriebsrat der Maxhütte, der die Mathiaszeche gehörte, und Zahl- stellenleiter der Süddeutschen Knappschaft. Anfang der fünfziger Jahre besuchte Püschel beinahe zeitgleich mit Adolf Fabry die Akademie der Arbeit in Frankfurt und stieg 1957 zum hauptamtlichen Kassierer auf. Nach zwei Jahren als 1. Bevoll- mächtigter wurde Püschel 1961 zum Arbeitsdirektor der Luitpoldhütte bestellt und als Bundestagskandidat der SPD nominiert.

Neben den beiden hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären Püschel und Enderlein bildeten 12 Beisitzer sowie ein zweiter ehrenamtlicher Bevollmächtig- ter die Leitung der Ortsverwaltung.71 Die Beisitzer waren in der Regel selbst Be- triebsratsvorsitzende und repräsentierten die unterschiedlichen Sparten der Me- tallindustrie. Nur drei von 12 waren bereits in der Weimarer Republik in der Ge- werkschaftsbewegung aktiv gewesen und hatten noch ein Mitgliedsbuch des D M V besessen, die übrigen waren wie Herbert Püschel oder Adolf Fabry unmit- telbar nach Kriegsende zur Gewerkschaftsbewegung gestoßen und zwischen 1920 und 1928 geboren.72

Vertrauensleutearbeit

Trotz der erheblichen Alters- und Erfahrungsunterschiede der lokalen gewerk- schaftlichen Funktionsträger stimmten 1956 doch alle der Einschätzung des 1. Be- vollmächtigten Püschel zu, daß sich die betrieblichen Vertrauenskörper vielfach in einem desaströsen Zustand befanden und es höchste Zeit sei, hier energisch einzu- greifen.73 Besonders in den kleineren Betrieben fehlten oft Vertrauensleute der I G Metall, die das gewerkschaftliche Banner hätten hochhalten können; dies war um so schmerzlicher als die Vertrauenskörper die entscheidenden Transmissionsrie- men der gewerkschaftlichen Idee waren, ohne deren Existenz die vielfältigen Auf- gaben der Mitgliederwerbung, Schulung und Nachwuchsrekrutierung kaum be- wältigt werden konnten.74 Deshalb hatte die Bezirksleitung schon Anfang der

69 Zwei Jahre später, am 19. Oktober 1961, starb Fritz Enderlein.

70 IGM-ZA im AdsD, 1117, Lebenslauf und gewerkschaftlicher Werdegang von Herbert Püschel.

71 DGB-Archiv im AdsD, BR-Maxhütte, 121, Ortsstatut der Verwaltungsstelle Amberg (undatiert, um 1958/1959).

72 IGM-ZA im AdsD, 2942, Org. Amberg, Ortsverwaltung der Verwaltungsstelle Amberg 1957.

73 DGB-Archiv im AdsD, BR-Maxhütte, 146, Geschäftsbericht für das Jahr 1956 der Industriege- werkschaft Metall Amberg.

74 DGB-Archiv im AdsD, BR-Maxhutte, 146, IG Metall-Bezirksleitung München, Richtlinien für

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fünfziger Jahre auf Initiative des Hauptvorstandes beschlossen, die Vertrauensleu- tearbeit auf eine einheitliche organisatorische Grundlage zu stellen.

75

Die IG Me- tall-Mitglieder sollten in ihren Betrieben in geheimer Abstimmung ein Gremium wählen, das nicht nur die „Durchführung gewerkschaftlicher Aufgaben und Be- schlüsse" und die Einhaltung der Satzung überwachen sollte. Aufgabe der Ver- trauensleute war es zudem, über die Ziele der Gewerkschaft aufzuklären, die Bei- tragsverwaltung zu organisieren, in sozial- und arbeitsrechtlichen Fragen zu bera- ten und Beschwerden der Mitglieder über tarifliche oder arbeitsbedingte Pro- bleme entgegenzunehmen.

76

Die Vertrauensleute sollten als Mittler zwischen den einfachen Mitgliedern und der IG Metall-Ortsverwaltung die Effizienz der ge- werkschaftlichen Arbeit steigern und Konflikte zwischen Führung und Basis aus- räumen. Die Vertrauensmänner wurden für zwei Jahre gewählt und bestimmten aus ihrem Kreis einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter, die in enger Abspra- che mit der Amberger Verwaltung zu den Sitzungen des Gremiums einluden.

Vieles davon blieb allerdings Plan. Selbst bei der Maxhütte, dem größten Be- trieb der Verwaltungsstelle, gab es offenkundig in der Mitte der fünfziger Jahre noch erheblichen Handlungsbedarf - und dies trotz des hohen Organisationsgra- des. Eindringlich appellierte die IG Metall der Sulzbach-Rosenberger Hütte an ihre Mitglieder, den Auf- und Ausbau des Vertrauenskörpers ernster als bisher zu nehmen.

77

In jedem Betriebsteil und Büro sollten sich Kolleginnen und Kollegen zusammenfinden und aus ihrem Kreis Vertreter wählen. Die Kandidaten müßten charakterlich „einwandfrei" und mit der Gewerkschaftsarbeit gut vertraut sein.

Sie sollten durch „vorbildliche Bereitschaft zur Mitarbeit" und „fachliche Tüch- tigkeit" aufgefallen sein und es sich zur Aufgabe machen, die „Solidarität" zwi- schen Arbeitern und Angestellten zu fördern. Ein bayerischer Vertrauensmann faßte stellvertretend für die DGB-Spitze das Leitbild eines Gewerkschafters im Betrieb zusammen:

„Mutig und freudig den Tag anpacken, die Arbeit anpacken, ein Mann sein. Wenn ich zu mir selbst Vertrauen habe, das Rechte zu tun, trotz alledem, aufrecht allen Lebensfragen ins Auge zu sehen, an alle Gefahren herangehe,,denken und tun' übe, dann folgen mir ach die Zaghaf- ten. Was kann der unsoziale Arbeitgeber tun, wenn wir geschlossen dastehen, gar nichts.

Pünktlich sein, gewissenhaft alle, auch die kleinsten Lebensdinge erledigen, wenn es schwer fällt [...] Meine Waffen müssen scharf sein, müssen in Ordnung sein [...] Einige Spielregeln aus der Volkswirtschaft lernen, lernen damit es sitzt wie das Einmaleins, die Zeitung lesen, die .Quelle' lesen, dazu zwinge ich mich gern. Ich will keinen Volkswirtschaftler, keinen Rechtsanwalt aus mir machen, sondern einen ganzen Vertrauensmann, den freiwilligen .Un- teroffizier' der Gewerkschaft, den Träger des Millionenkörpers. [...] Eine verschworene Ge- werkschaft müssen wir bilden, wirkliche Kameraden und Gewerkschafter werden, im klei-

die Arbeit der gewerkschaftlichen Vertrauensmänner in den Betrieben der bayerischen Metallin- dustrie; folgendes nach ebenda.

75 Ausführlich dazu Klaus Koopman, Gewerkschaftliche Vertrauensleute. Darstellung und kritische Analyse ihrer Entwicklung und Bedeutung von den Anfängen bis zur Gegenwart unter besonde- rer Berücksichtigung des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV) und der Industriegewerk- schaft Metall (IGM), 2 Bde., München 1979, hier S. 444-447.

76 Vgl. Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Richtlinien für die Vertrauenskörper in der Industriegewerkschaft Metall, Frankfurt am Main 1955.

77 DGB-Archiv im AdsD, 5, IG Metall Sulzbach-Rosenberg Hütte vom 16. 7. 1955; folgendes nach ebenda.

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1. Die Macht der gewerkschaftlichen Organisation 193 nen, im Betrieb, Büro, überall mit derselben Leidenschaft ringen und handeln [...] Die Stärke einer Gewerkschaft sind nicht ihre .Häuser und Mauern', sondern ihre Vertrauensmänner.

,Wir sind die Schmiede der neuen Zeit' [.. .]"7 8

Vermutlich werden nicht alle oberpfälzischen D G B - und IG Metall-Mitglieder den martialischen, an die nationalsozialistische D A F Rhetorik angelehnten Ton- fall begrüßt haben. Der moralische Anspruch war jedenfalls weitreichend, und es war deshalb kein Wunder, weshalb sich zunächst nicht viele Gewerkschaftsmit- glieder für die Arbeit begeistern konnten.

Mit Unterstützung Fritz Enderleins wurde in der Maxhütte wie auch in ande- ren Betrieben seit Mitte der fünfziger Jahre die Zusammenarbeit der Vertrauens- leute verstärkt und ihre Arbeit in den Betrieben ausgebaut. Im Hinterkopf hatte Enderlein dabei immer noch die Niederlage der I G Metall in der Auseinanderset- zung um das Betriebsverfassungsgesetz und den Bayernstreik79, die im wesentli- chen eine Niederlage der Organisation gewesen war. 1956 kamen die Vertrauens- leute zu 43 Sitzungen zusammen, in denen die gewerkschaftlichen Spitzenfunk- tionäre aus Nürnberg, Regensburg oder München über die neuesten Entwicklun- gen der Tarifpolitik und der Arbeitszeitfrage informierten.80 Vor dem Bayern- streik hatten solche Zusammenkünfte viel seltener stattgefunden, am Ende der Amtszeit Enderleins 1959 waren sie zu einer festen Institution geworden.

Jugendarbeit

Hatte die Vertrauensleutearbeit eine vielversprechende Entwicklung genommen, so mußten sich die Gewerkschaften über einen anderen zentralen Bereich ihrer Arbeit erheblich größere Sorgen machen: die Rekrutierung von Jugendlichen und Lehrlingen in den Betrieben der Metallbranche. Ahnlich wie die IG Bergbau konnten auch die Funktionäre der IG Metall nicht mehr sicher sein, daß die jun- gen Metallarbeiter mit ihrem Eintritt in den Betrieb zugleich das Aufnahmefor- mular für die Gewerkschaft unterschrieben. Ihnen fehle, stellte der Geschäftsbe- richt 1959 mit großem Bedauern fest, die Erfahrung der „traditionsreichen Ge- werkschaftsbewegung" und das Wissen über deren klare politische Ziele.81 Bei der Jugendarbeit müßten deshalb „neue Wege" eingeschlagen werden, um den Ge- schichts- und Traditionsverlust der jungen Generation auszugleichen und ihr die gewerkschaftlichen Werte wie Solidarität neu zu vermitteln. Im Zentrum sollte nicht in erster Linie die Rekrutierung der Jugend, sondern die „Sorge und Verant- wortung" um die nachwachsende Generation und ihre Immunisierung gegen politische Verirrungen stehen.

Die gewerkschaftliche Jugend der Maxhütte war mit rund 80 nominellen Mit- gliedern die mit Abstand aktivste im Ortsverwaltungsbereich. Neben regelmäßi- gen Treffen, Diskussionsveranstaltungen mit Arbeitsdirektor Zink, Vertretern des Arbeitsamtes, der Bundeswehr und Unternehmern waren es vor allem die Film-

78 D e r Vertrauensmann, in: D i e Quelle 1 (1950), H. 5, S. 108f., folgendes nach ebenda.

n Vgl. auch K o o p m a n n , Vertrauensleute, S. 463—467.

80 D G B - A r c h i v im A d s D , B R - M a x h ü t t e , 146, Geschäftsbericht für das Jahr 1956 der Industrie- gewerkschaft Metall Amberg.

81 I G M - Z A im A d s D , Geschäftsbericht der Ortsverwaltung Amberg der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Verwaltungsstelle Amberg 1959, S. 11.

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abende der jungen Gewerkschafter aus Sulzbach-Rosenberg, die weit über den Kreis der organisierten Mitglieder hinaus großen Zuspruch erhielten.82 Die Ge- werkschafter, die beispielsweise amerikanische Unterhaltungsfilme und gewerk- schaftliche Schulungs- oder Dokumentarfilme zeigten83, konnten mit ihren regel- mäßigen Filmabenden einen wichtigen Teil der städtischen Freizeitkultur domi- nieren und fanden damit in der Öffentlichkeit breite Anerkennung, zumal die städtische Jugendarbeit kaum über Ressourcen verfügte und nur selten attrakti- vere Alternativen anzubieten vermochte. Die Filmabende erfüllten einen dreifa- chen Zweck: Sie sollten den Ansprüchen der Jugend gerecht werden und unterhal- ten. Außerdem unterstrichen sie die soziale und kulturelle Bedeutung der Ge- werkschaften für das Leben in der Industriestadt Sulzbach-Rosenberg und dien- ten insofern der öffentlichen Selbstdarstellung der gesamten Gewerkschaft und der Mitgliederwerbung. Schließlich vermittelten sie gleichsam en passant Normen und politische Ziele der Gewerkschaftsbewegung. Filme wie „Made in Ger- many", die den Aufstieg des Physikers und Unternehmers Carl Zeiss zeigten, zeichneten eine Gesellschaft, deren Grundpfeiler Leistungsbereitschaft, Auf- stiegswille und soziale Gerechtigkeit waren. Die Triebkräfte seines Aufstieges und die kollegiale Zusammenarbeit mit seinen treuen Vertrauten Ernst Abbe84 und Werner Löber sollte die Gewerkschaftsjugend anspornen, diesem Ideal nachzuei- fern.85

Franz Kick, Jugendvertreter im Betriebsrat, seit Herbst 1956 Leiter der IG Me- tall-Jugendgruppe in Sulzbach-Rosenberg86 und Organisator der gut besuchten Filmabende, konnte Anfang der sechziger Jahre voller Selbstbewußtsein an die El- tern der neuen Maxhütten-Lehrlinge appellieren, ihre Kinder der gewerkschaftli- chen Obhut anzuvertrauen und sie auf die besondere Qualität der gewerkschaft- lichen Jugendarbeit hinweisen:

„Die seelische und körperliche Umstellung eines Jugendlichen von der Schule in den Beruf bringt es mit sich, daß in dieser Zeit der Umstellung und Entwicklung eine besondere Be- treuung und Fürsorge notwendig ist. Die Umwelteinflüsse wie Film, Fernsehen, Bücher usw.

wirken heute viel stärker als früher auf die Jugendlichen ein. Es bedarf einer besonderen Zu- sammenarbeit aller Kräfte, mit denen der junge Mensch in Berührung kommt. Tatsache ist, daß heute neben der Berufsausbildung und Elternhaus eine Jugendgruppe als dritter wichti- ger Erziehungs- und Bildungsfaktor sehr wichtig, ja ich möchte sagen, unumgänglich ist."8 7 Der Anspruch Kicks ging sehr weit: Die Gewerkschaftsjugend sollte den jungen Arbeiter und Angestellten zu einem mündigen Bürger machen. Ohne die Ge-

82 DGB-Archiv im AdsD, BR-Maxhütte, 146, Protokoll über die Mitgliederversammlung der Zahl- stelle IG Metall Sulzbach-Rosenberg vom 24. 2. 1957.

" DGB-Archiv im AdsD, BR-Maxhütte, 121, Protokoll der 2. Vertreterversammlung der IG Metall vom 14. 6. 1959 in Sulzbach-Rosenberg.

84 Vgl. die leider etwas unkritische Darstellung bei Harald Volkmann, Carl Zeiss und Ernst Abbe - ihr Leben und ihr Werk, Düsseldorf 1966; zur Unternehmensgeschichte neuerdings Frank Markowski (Hrsg.), Der letzte Schliff. 150 Jahre Arbeit und Alltag bei Carl Zeiss Jena, Berlin 1997.

S5 DGB-Archiv im AdsD, BR-Maxhütte, 121, Rundschreiben der IG Metall Amberg vom 11.3.

1960.

« DGB-Archiv im AdsD, BR-Maxhütte, 107, Betriebsratssitzung vom 19.11. 1956.

87 DGB-Archiv im AdsD, BR-Maxhütte, 120, IG Metall Amberg, Jugendgruppe und Arbeitskreis Junger Gewerkschafter Maxhütte-Rosenberg vom 1.12. 1961.

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