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Reformpolitik im schwedischen Sozialstaat : Formen, Gründe und Konsequenzen der Austeritätspolitik

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Reformpolitik im schwedischen Sozialstaat – Formen, Gründe und Konsequenzen der Austeritätspolitik

Erscheint in: Wirtschaftspolitische Blätter 2015

Sven Jochem

Universität Konstanz

Sven.Jochem@uni-konstanz.de

Zeichen (inkl. Leerzeichen): 38.438 (ohne Abstract) Version vom 02. November 2015

Deutscher Abstract

Der Beitrag skizziert die Reformpolitik im schwedischen Sozialstaat und analysiert die Gründe, Formen und Konsequenzen der Austeritätspolitik. Die Privatisierung des

Sozialstaates schreitet in Schweden weiter voran und geht einher mit einer Entstaatlichung der Fiskal- und Schuldenpolitik. Diese Politik des privatisierten Keynesianismus impliziert eine zunehmende gesellschaftliche Ungleichheit. Damit bestätigen die schwedischen Erfahrungen die Wirksamkeit eines Trilemmas der Dienstleistungsökonomie nach Iversen und Wren.

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-0-307463

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2 1. Einleitung

Hohes Wirtschaftswachstum ohne inflationäre Überhitzung, ausbalancierte öffentliche Haushalte mit verpflichtenden jährlichen Überschusszielen sowie ein solidarischer, dienstleistungsintensiver und umverteilend-egalitärer Wohlfahrtsstaat – diese drei ambitionierten Ziele stellen die Pfeiler der politischen Programmatik innerhalb der schwedischen Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung spätestens seit den frühen 1990er Jahren dar. Allerdings ist es eine offene Diskussion, ob diese für sich bereits ambitionierten Ziele auch gleichzeitig erreichbar sind. Wirken hinter diesen drei ökonomischen Zielen nicht Zielkonflikte? Können vielleicht nur maximal zwei Ziele realisiert und muss nicht ein Ziel geopfert werden? Befinden sich die entwickelten Industrie- und Dienstleistungsstaaten also in einem Trilemma der Dienstleistungsökonomie (Iversen/Wren 1998)? Welche Antworten auf diese Fragen kann eine Analyse der Reformpolitik im schwedischen Wohlfahrtsstaat

anbieten?

Die schwedischen Reformen des Sozialstaates seit den 1990er Jahren können unter den Schlagwörtern der Deregulierung und Privatisierung zusammengefasst werden, gleichzeitig konnten die öffentlichen Haushalte Schwedens rasch konsolidiert werden. Den schwedischen Regierungen unterschiedlichster Couleur ist es gelungen, eine beträchtliche öffentliche Verschuldung von über 80 Prozent des BIP anfangs der 1990er Jahre stetig auf ein in Europa gegenwärtig eher moderates Niveau von knapp unter 50 Prozent des BIP zurückzuführen.

Ebenso wurden die öffentlichen Haushalte einer strikten Haushaltsdisziplin unterzogen, die jährliche Überschussziele einfordert. Einher gehen diese Politikerfolge seit den 1990er Jahren einher mit einem überdurchschnittlich hohem Wirtschaftswachstum (Mehrtens 2014) – zumindest aus einer europäischen Perspektive.

Die zu klärende Forschungsfragen des schwedischen Rätsels lauten also, inwiefern die durchgeführten sozialstaatlichen Reformen die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte beförderten bzw. inwiefern die umfangreichen Sozialstaatsreformen und die konsolidierten Haushalte förderlich zur Stärkung des Wirtschaftswachstums waren und auf welche politische Logik diese Reformen gebracht werden können. Es ist aber auch zu fragen, welchen

politischen, ökonomischen und sozialen Preis die schwedische Austeritätsstrategie mit sich bringt.

Diese Fragen werden in zwei Schritten beantwortet. Im nächsten Abschnitt wird ein kurzer historischer Überblick über die politischen Reformdynamiken und ihre politischen Ursachen in Schweden seit den 1990er Jahren dargestellt, im dritten Abschnitt wird eine systematische

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Analyse der implementierten Reformen präsentiert. Dort werden die Implikationen der schwedischen Reformpolitik aufgezeigt. Der letzte Abschnitt fasst zusammen und stellt die schwedische Dynamik in einen international vergleichenden und theoretischen Kontext.

Es wird in diesem Beitrag argumentiert, dass die Reformen der schwedischen Regierungen seit den 1990er Jahren eine weitreichende Entstaatlichung bewirkten (Edlund/Sevä 2013, Jochem 2010, Mehrtens 2014). Unter den prekären Verhältnissen des

Minderheitsparlamentarismus gelang es den Regierungen, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren und den Sozialstaat auf ein neues Fundament zu stellen. Das

Wirtschaftswachstum wird flankiert von steuerlichen Anreizen und einer „social investment strategy“ (Morel/Palier/Palme 2009, van Kersbergen/Hemerijck 2012). Die Konsequenzen der Austeritätspolitik liegen in der zunehmenden gesellschaftlichen Ungleichheit. In Schweden ist wie in nur wenigen anderen Ländern Europas die Ungleichheit der Einkommen und

Vermögen sehr rasch gestiegen. Zwar ist die Gleichheit der Einkommen und Vermögen in Schweden heute immer noch aus vergleichender Perspektive sehr stark ausgeprägt, aber die Erosion der gesellschaftlichen Gleichheit schreitet rasant voran

(Kvist/Fritzell/Hvinden/Kangas 2012). Insgesamt unterstützen also die am Beispiel der schwedischen Reformpolitik generierten Analysen die Gültigkeit eines Trilemmas der Dienstleistungsökonomie (Iversen/Wren 1998). Seit Herbst 2014 versucht die rot-grüne Regierung, die strikten fiskalischen Regeln des schwedischen Austeritätsregimes

aufzuweichen, um zusätzlichen fiskalischen Handlungsspielraum für diskretionäre staatliche Initiativen zu generieren.

2. Vom Dritten Weg durch die Krise zur Austerität

Mit der sozialdemokratischen Regierungsübernahme von 1982 war explizit ein Dritter Weg anvisiert worden, der die Mitte halten sollte zwischen der libertären Reformpolitik unter Ronald Reagan oder Margaret Thatcher sowie einer altmodisch-keynesianischen

Konjunkturbelebung, wie sie die Regierung von François Mitterrand in Frankreich Anfang der 1980er Jahre erfolglos verfolgte (Feldt 1991, Pontusson 1992). Die Politik des Dritten Weges begann in Schweden mit einem Rückgriff auf ein altes Politikinstrument: die einseitige Abwertung der Währung, um die Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Wirtschaft auf den internationalen Märkten zu beleben. Mit einer bis in die Mitte der 1980er Jahren (relativ) zurückhaltenden Lohnpolitik gelang es so den schwedischen Unternehmen,

wettbewerbsfähiger auf den internationalen Märkten aufzutreten – und die fiskalischen

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Kennzahlen für den schwedischen Staat verbesserten sich in der Folge dieser konjunkturellen Belebung rasch.

Im Bereich der Sozialpolitik setzten die Architekten des Dritten Weges auf Kontinuität – was als Konsequenz den Kapitalbedarf des schwedischen Staates bei bereits hohen Steuersätzen weiter erhöhte. Die öffentlichen Schulden stiegen seit der zweiten Erdölkrise stetig von knapp unter 30 Prozent in Relation zum BIP auf knapp über 70 Prozent Mitte der 1980er Jahre. Bei bereits deutlich spürbarem Steuerdruck wurde der zunehmende Kapitalbedarf des

schwedischen Staates von einer schrittweisen Deregulierung des schwedischen Finanzmarktes flankiert.

Seit 1985 waren die meisten der ehemals strikten Regulierungen des schwedischen Kapitalmarktes – auch auf Druck der schwedischen Zentralbank – abgeschafft. “Die

schwedische Finanzbranche wandelte sich von einer der am strengsten kontrollierten zu einer der am wenigsten regulierten“ (Mehrtens 2014, 133). Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre nahmen die Lohnforderungen der mächtigen Gewerkschaften aber zu und führten zu

inflationären Tendenzen. Die Sozialdemokraten dämpften die inflationären Gefahren nicht, sondern sie heizten diese Tendenz noch prozyklisch durch weitere Steuererleichterungen und Deregulierungen des privaten Kreditmarktes an. Als einen Erfolg konnten sie zwar die erstmalige (aber nur vorübergehende) Absenkung der öffentlichen Verschuldung unter die 50 Prozent-Marke feiern. Erst spät in den 1980er Jahren versuchte der damalige Finanzminister Kjell-Olof Feldt die sich überhitzende Ökonomie abzukühlen – er konnte sich allerdings mit einer restriktiven und normbasierten Wirtschafts- und Finanzpolitik innerhalb der

Arbeiterbewegung nicht durchsetzen.

Schweden stürzte in eine Finanz- und Währungskrise, die erhebliche politische Turbulenzen auslöste. Das Vertrauen der internationalen Kapitalmarktakteure schwand dramatisch, die schwedische Zentralbank konnte auch mit einem Rekapitalisierungszins von 500 Prozent nicht den massiven Abfluss an Kapital aufhalten. Der schwedische Bankensektor kollabierte und die Konjunktur brach so drastisch ein, wie seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahren nicht mehr. Unmittelbar zu Beginn der Krise versuchte die sozialdemokratische Regierung mit einem gesetzlichen Lohnstopp bei gleichzeitigem Streikverbot die Dynamik der sich anbahnenden Krise zu bremsen, allerdings ohne Erfolg.

Mitten in der Finanzkrise übernahm eine bürgerliche Vier-Parteien-Koalition ohne parlamentarische Mehrheit die Amtsgeschäfte. Die Regierung unter Führung des konservativen Politikers Carl Bildt war auf die Kooperation mit den Sozialdemokraten

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angewiesen, wollte sich die Regierung nicht von den frisch ins Parlament gewählten Rechtspopulisten der NyDemokrati abhängig machen. Mehrere Krisenpakete schufen die Grundlage für eine ökonomische und fiskalische Stabilisierung. Eine deutliche Abwertung war wieder einmal, diesmal allerdings erzwungen und nicht politisch gewollt, die wichtigste Konjunkturspritze.

Mit dem Regierungswechsel 1994 begann die lange Phase sozialdemokratisch geführter Minderheitsregierungen, die bis 2006 andauerte (bis 1996 unter Führung von Ingvar Carlsson, anschließend unter Göran Persson). In diesem Zeitraum wurde nicht nur die öffentliche

Verschuldung stetig abgesenkt. Auch die wichtigsten Reformen des schwedischen Sozial- und Steuerstaates fanden in dieser Phase statt.

Die bürgerliche Koalition unter Carl Bildt bereitete die große Rentenreform in Schweden zwar vor, umgesetzt und implementiert wurde sie jedoch bis 1998 unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung. Nach langjährigen Verhandlungen zwischen den maßgeblichen parlamentarischen Parteien und unter weitgehender Ausschaltung der Interessenverbände wurde 1994 die Rentenreform im Parlament verabschiedet. Erstens wurden zur Berechnung der Rentenleistungen nicht mehr nur die 15 einkommensstärksten Erwerbsjahre

herangezogen, sondern die Beitragsleistungen der gesamten Erwerbskarriere. Zweitens wurden die Beiträge paritätisch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufgeteilt (vormals leitstete nur der Arbeitgeber die Beitragszahlungen). Drittens wurden die

Rentenleistungen nicht mehr an die Löhne, sondern an das Wirtschaftswachstum angekoppelt.

Viertens wurde innerhalb des staatlichen Rentensystems ein kapitalgedeckter Zweig

eingeführt, in dem die Erwerbspersonen frei für einen kleinen Anteil ihrer geleisteten Beiträge entscheiden können, wie diese Mittel angelegt werden sollen. Und letztlich wurde die

universelle Volksrente abgeschafft und durch eine Grundrente ersetzt, deren Leistungen allerdings an die Dauer des Wohnsitzes in Schweden gekoppelt ist – womit ein befürchteter Sozialstaatstourismus nach dem Eintritt Schwedens in die EU (1994) vermieden werden sollte (Lundberg 2001).

Neben diesen Reformen provozierte die nach 1994 eingeleitete strikte Konsolidierungspolitik den Unmut in der Arbeiterbewegung sowie in der Wahlbevölkerung insgesamt. Über weite Teile des sozialstaatlichen Transfersystems gab es Absenkungen der Transferleistungen.

Diese Konsolidierungspolitik wurde als „Stahlgewitter“ („stålbadspolitiken“) umschrieben und vergrößerte die Differenzen zwischen Gewerkschaftsbewegung und sozialdemokratischer Partei erheblich. Aber mit Ministerpräsidenten Persson führte ein charismatischer

Machtmensch die Regierungsgeschäfte, der innerparteiliche Kritik mit Rücktrittsdrohungen

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abwiegelte, gegen Ende seiner Amtsperiode aber immer deutlicher die parlamentarische Zusammenarbeit mit den Linkssozialisten und vor allem mit der Grünen Partei

institutionalisierte.1

Mitte der 1990er Jahre wurde die schwedische Haushalts- und Fiskalpolitik grundlegend reformiert. Seit 1997 wird für alle Gebietskörperschaften ein budgetäres Überschussziel vorgeschrieben in Höhe von 2 Prozent des BIP, ab 2007 wurde dieses Ziel reduziert auf 1 Prozent des BIP. „Die schwedischen Haushaltsregeln gehen in ihrer Strenge damit deutlich über die deutsche »Schuldenbremse« hinaus“ (Mehrtens 2014, 177). Seit 2000 wurde den schwedischen Kommunen und Provinzen zudem verboten, Schulden zum Zwecke des Konsums aufzunehmen. Sollten die Haushalte der Kommunen und Provinzen ins Defizit geraten, sind die Gebietskörperschaften verpflichtet, dieses Defizit innerhalb von drei Jahren auszugleichen. „Seit Mitte der 1990er Jahre ist in Schweden ein fortwährender gradueller Staatsabbau zu konstatieren. Die strikten und weitreichenden Reformen der Budgetregeln, zuvorderst das Überschussziel und die Ausgabendeckelung, können als Selbstfesselung der Politik verstanden werden, deren diskretionärer fiskalpolitischer Handlungsspielraum massiv eingeschränkt wurde“ (Mehrtens 2014, 179, vgl. auch Edlund/Iju 2015).

Die sozialdemokratische Regierung war bestrebt, das Monopol der Gewerkschaften bei der Administration der in Schweden freiwilligen Arbeitslosenversicherung (Gent-System) zu stabilisieren, nachdem es die Bildt-Regierung abschaffen wollte. Ferner wurde das System der Arbeitslosenhilfe in die Arbeitslosenkassen überführt. Mit einer solchen Reformstrategie sollte nicht nur der institutionelle Kern der Arbeitsmarktpolitik stabilisiert, mit diesen Reformen sollte auch die Machtbasis der schwedischen Gewerkschaften explizit gestärkt werden. Damit sollten die starken Spannungen innerhalb der Arbeiterbewegung

(„Rosenkrieg“) befriedet werden, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg.

Der schwedische Sozialstaat ist dienstleistungsorientiert. Bereits in den späten 1980er Jahren dezentralisierte die damaligen sozialdemokratische Regierung die Verantwortung für einige Bereiche der sozialen Dienstleistungen. Die Regierung Bildt nutzte die Dezentralisierung als

„Sprungbrett für Privatisierungsbestrebungen“ (Svensson 2001, 152, Übersetzung SJ), vor allem im Bereich Gesundheit, Pflege und Bildung. Die sozialdemokratischen Regierungen nach 1994 kehrten diesen Trend nicht um. Einzig die zentralstaatlichen Zuschüsse für die Kommunen oder privaten Träger (vor allem im Bereich der Bildungspolitik) wurden angehoben, um die hohen Qualitätsstandards der Zentralregierung abzusichern.

1Göran Persson wurde sowohl in der Partei als auch in der Staatskanzlei auf das Kürzel „HSB“ gebracht: „Han som bestämmer“, also „Derjenige, der bestimmt“ (vgl. Jochem 2006).

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Vor allem im Bereich der Dienstleistungen setzte die weitergehende Privatisierung des schwedischen Wohlfahrtsstaates an, und obwohl in den frühen Nuller Jahren der Staat noch eine dominante Stellung in der Sozialpolitik ausübte, betraten rasch neue Akteure mit neuen Zielen und Interessen das Politikfeld. „The welfare system is not disappearing, but it will certainly follow a new path with a new welfare coalition ready to defend their specific interests“ (Svensson 2002, 224).

Mit den bürgerlichen Regierungen von 2006 bis 2014 erfolgte eine weitere gewichtige Zäsur schwedischer Politik. Erstens wurde die Logik des Parteienwettbewerbs erfolgreich verändert.

Die sozialdemokratischen Minderheitsregierungen der Vergangenheit konnten ihre Macht sichern, da das bürgerliche Lager programmatisch gespalten war (Möller 1986,

Christiansen/Damgaard 2008). Nach der Wahlniederlage der Konservativen Partei 2002 schwenkte die Partei unter Führung von Fredrik Reinfeldt programmatisch zur Mitte und führte mit den drei anderen bürgerlichen Parteien (Zentrumspartei, Liberale Volkspartei und Christdemokraten) Gespräche, die schließlich kurz vor der Wahl in die Bildung einer Allianz für Schweden (Jochem 2006) mündete. Die Vier-Parteien-Allianz bürgerlicher Parteien überbrückte ihre programmatischen Differenzen und schwor sich auf ein Ziel ein, die strategische Hegemonie der Sozialdemokraten als größter Partei der politischen Mitte zu brechen. Diese Strategie war bis 2014 äußerst erfolgreich.

Zweitens profilierte sich die Neue Konservative Partei („Nya Moderaterna“), wie sich die Partei selber nach ihrer programmatischen Erneuerung nannte, als neue Arbeiterpartei. Ihr programmatisches Ziel war es nicht länger, vor allem die Steuern zu senken und die sozialstaatlichen Monopole zu schleifen. Vielmehr sollten mehr Menschen in den

Arbeitsmarkt integriert werden und die Traditionen des schwedischen Sozialstaates und das darin ruhende Arbeitsethos bewahrt werden. Damit signalisierte die Partei einen

programmatischen Burgfrieden mit einer wichtigen Tradition des schwedischen Sozialstaates.

Und gleichzeitig griff sie programmatisch die Sozialdemokratie auf ihrem ureigenen Politikfeld an: der Arbeits- und Beschäftigungspolitik.

Drittens steht diese Ära schwedischer Politik für einen graduellen Wandel der Sozialpolitik, der in einen qualitativen Wandel des schwedischen Sozialstaates mündete. Die Allianz für Schweden reformierte nach 2006 den schwedischen Sozial- und Steuerstaat nicht frontal (wie noch in der Regierung Bildt). Gleichwohl kam es unter dem Primat solider öffentlicher Finanzen schrittweisen zu Steuererleichterungen, von denen vor allem die oberen Einkommensschichten profitierten (Mehrtens 2014). Mit rückläufigen Staatseinnahmen drosselten die Regierungen dann die Staatsausgaben. Zudem verfolgte die bürgerliche Allianz

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für Schweden ein weitreichendes Privatisierungsprogramm, das dem Staat nicht unerhebliche Privatisierungserlöse in die Kassen spülte und gleichzeitig staatliche Monopole schleifte. Im Jahr 2008 beliefen sich die Privatisierungserlöse allein in Schweden auf ungefähr 50 Prozent aller Privatisierungserlöse in der EU (OECD 2008, 127).

Mit der Wahl 2010 und verstärkt mit der Wahl 2014 wurden jedoch auch die

Herausforderungen einer solchen politischen Strategie sichtbar. Der programmatische Schwenk der bürgerlichen Parteien in die Mitte eröffnete den rechtspopulistischen

„Schwedendemokraten“ („Sverigedemokraterna“, SD) ein programmatisches Vakuum, das sie erfolgreich besetzten. Bereits 2010 konnte die Partei mit 5,7 Prozent der Stimmen und 20 der insgesamt 349 Parlamentssitzen in den Reichstag einziehen und sich als Zünglein an der parlamentarischen Waage zwischen dem linken und dem bürgerlichen Block etablieren. Bei der Wahl 2014 steigerte die Partei nochmals mit 12,9 Prozent der Stimmen ihre Stärke, und mit 49 Mandaten wurden die SD drittstärkste parlamentarische Kraft nach den

Sozialdemokraten und den Konservativen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg regierten in Schweden vorwiegend Minderheitskabinette (Jochem 2013). Mit den Rechtspopulisten erschwerten sich jedoch die parlamentarischen Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition beträchtlich. Beide politischen Blöcke lehnen (noch) eine offene Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten ab. Gleichzeitig sind die programmatischen Differenzen zwischen den Blöcken groß. Bis 2010 herrschte im schwedischen Parlament nahezu die Logik eines Zwei-Parteien-Systems ohne weitere Vetopunkte im politischen Entscheidungsprozess.2 Nach der Wahl 2010 versuchten die bürgerlichen Regierungsparteien vor allem mit der Grünen Partei punktuelle Kompromisse zu finden (erfolgreich zum Beispiel in der Migrations- und Integrationspolitik). Insgesamt zeichnete sich die Legislaturperiode von 2010 bis 2014 aber durch einen Reformstau aus.

Mit der Wahl von 2014 gelangte eine Minderheitskoalition aus Sozialdemokratie und Grüner Partei in die Regierungsverantwortung. Unmittelbar nach dem Regierungswechsel führten die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse zu einer ernsthaften politischen Krise des

Minderheitsparlamentarismus. Traditionell wird das Budget einen Monat nach einer Wahl von der neuen Regierung dem Parlament vorgelegt. Gemäß einer alten Tradition stimmt in der

2 Das institutionelle Design der schwedischen Demokratie entspricht eher dem Westminster-Modell mit wenigen institutionalisierten Vetopunkten im parlamentarischen Entscheidungsprozess als dem deutschen Modell einer Verhandlungsdemokratie mit vielen institutionalisierten Politikverflechtungen. Die

Verhandlungsnotwendigkeiten im politischen Prozess ergeben sich einerseits im Falle von

Minderheitsregierungen sowie andererseits bei Verhandlungen mit gesellschaftlichen Interessengruppen (Jochem 2015a).

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ersten Haushaltsabstimmung jede Fraktion für ihren eigenen Haushaltsentwurf und enthält sich in der zweiten Haushaltsabstimmung, so dass nach den Regeln des negativen

Parlamentarismus auch eine Minderheitsregierung mit einer relativen Mehrheit an Stimmen ihren Haushaltsentwurf durch das Parlament bringen kann. Allerdings kündigten die

Schwedendemokraten einen Tag vor der Abstimmung am 2. Dezember 2014 an, nicht für ihren eigenen Entwurf zu stimmen, sondern für den Haushaltsentwurf der Allianz. Damit kam es zu einem Novum in der schwedischen Geschichte. Erstmals musste eine

Minderheitsregierung mit einem Haushalt der Opposition regieren.

Als Reaktion auf diese Krise einigten sich die Regierungsparteien sowie die Parteien der bürgerlichen Allianz auf die sogenannte Dezemberübereinkunft (Jochem 2015b). Das

Abkommen enthält eine Selbstverpflichtung etwaiger Oppositionsparteien – welche dies auch in den konkreten Fällen sein mögen –, den Haushaltsentwurf der Regierung passieren zu lassen. Gleichzeitig verpflichten sich die Parteien, nicht einzelne Aspekte des Budgets vom Gesamtpaket abzutrennen – dies geschah entgegen langjähriger Tradition im Herbst 2013, als die Parteien des linken Lagers gemeinsam mit den Schwedendemokraten eine anvisierte Steuersenkungen der Allianzregierung für die oberen Einkommensschichten verhinderten.

Gleichzeitig wird in der Dezemberübereinkunft anvisiert, in drei sensiblen Politikbereichen (Verteidigung und Sicherheit, Renten, Energie) systematische, block-übergreifende

Übereinkommen zu erreichen. Regierungsvertreter sind gegenwärtig in der Öffentlichkeit bemüht, die blockübergreifende Zusammenarbeit auch auf weitere Aspekte wie der Bildungs- sowie Integrationspolitik auszuweiten. Allerdings hielt der politische Burgfrieden nur kurze Zeit; im Oktober kündigten die Christdemokraten auf ihrem Parteitag die

Dezemberübereinkunft auf, unmittelbar darauf erklärte auch die Führungsspitze der Konservativen Partei die Übereinkunft für tot.

Die politische Logik des schwedischen Modells wandelt sich gegenwärtig und das

schwedische Modell des Minderheitsparlamentarismus steht vor großen Herausforderungen.

Die Blocklogik des Parteienwettbewerbs wird durch das Erstarken der Schwedendemokraten gestört. Solange die bürgerlichen Parteien eine Zusammenarbeit mit dieser Partei – anders als ihre Schwesterparteien in Dänemark, Finnland oder Norwegen – ablehnen, ist das reine Mehrheitsprinzip ausgehebelt und es bedarf intensiver Beratungen zwischen Regierung und Opposition, sollen Reformen ohne die Beteiligung der Schwedendemokraten verabschiedet werden. Unter solchen politischen Bedingungen sind weitreichende Reformen eher

unwahrscheinlich oder benötigen sehr viel Zeit.

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10 3. Folgen und Wirkungen des Austeritätsregimes

Der schwedische Sozialstaat wurde erfolgreich in ein fest institutionalisiertes

Austeritätsregime eingebunden und seit den 1990er Jahren dereguliert und privatisiert (Mehrtens 2014). Gleichwohl ist der Begriff der Privatisierung mehrdeutig. Unter

Privatisierung können drei unterschiedliche Phänomene subsumiert werden. Erstens kann die Finanzierung der Sozialpolitik privatisiert werden, indem von Steuern und Abgaben auf Selbstbeteiligungen und Gebühren umgeschwenkt wird. Zweitens kann unter Privatisierung die Erbringung sozialpolitischer Dienstleistungen von privaten und nichtstaatlichen Akteuren verstanden werden. Drittens läge eine Privatisierung von Sozialpolitik auch dann vor, wenn die Regulierung, Aufsicht und Qualitätskontrolle sozialpolitischer Dienstleistungen nicht mehr von staatlichen Behörden, sondern von privatwirtschaftlichen Agenturen ausgeführt würde.

Die schwedische Reformpolitik tangiert die erste Dimension möglicher Privatisierung nur sehr rudimentär, ebenso wie auch in der dritten Dimension die Regulierungen sowie die Aufsicht noch in staatlicher Verantwortung verbleiben.3 In der zweiten Dimension der Privatisierung erfolgte jedoch ein beachtlicher Kurswechsel.

Während das klassische Modell des schwedischen Wohlfahrtsstaates einzig öffentliche Anbieter in der Sozialpolitik hatte, werden heute immer stärker private Dienstleister von öffentlichen Behörden zur Erbringung von sozialpolitischen Dienstleistungen beauftragt.

Gegenwärtig werden ca. 20 Prozent aller sozialpolitischen Dienstleistungen

privatwirtschaftlich erbracht (Svallfors 2015, 6). Dieser Wert ist zu differenzieren, da die Privatisierung vor allem in den städtischen Regionen (des Südens) weit vorangeschritten ist, weniger oder nahezu gar nicht in den eher ländlichen Regionen (des Nordens). Die

Kommunen – die zentralen Erbringer sozialpolitischer Dienstleistungen in Schweden – besitzen große politische Freiheiten bei der Erbringung von Dienstleistungen. Und es

überrascht nicht, dass die regionale Verteilung dieser Form der Privatisierung einher geht mit einer regionalen Ausprägung von politischen Präferenzen. Während die bürgerlichen Parteien vor allem in den städtischen Regionen (des Südens) ihre Hochburgen haben, sind die

Linksparteien in den ländlichen Regionen (des Nordens) stark.

3 Die Allianz gründete 2007 den Finanspolitiska Rådet, ein Expertengremium, das explizit die Fiskalpolitik der Regierung kritisch begleiten und in der Öffentlichkeit zu fiskalpolitischen Reformen Stellung nehmen soll. Dies kann als teilweise als Privatisierung der Qualitätskontrolle gedeutet werden, gleichwohl hat der

Finanzpolitische Rat keine Veto-Macht und ist allein auf seine Öffentlichkeitswirkung angewiesen (www.finanspolitiskaradet.se).

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Diese Form der Privatisierung deckt sich allerdings nur zum Teil mit den Daten zur Dynamik der öffentlichen Beschäftigung. Schweden hat im internationalen Vergleich einen großen öffentlichen Beschäftigungssektor von etwas unter 30 Prozent in Relation zur

Gesamtbeschäftigung (OECD 2015, 85), schwedische Daten taxieren den Anteil der öffentlichen Beschäftigung gar etwas über 30 Prozent (Statskontoret 2015). Mehr als 70 Prozent aller öffentlich Beschäftigten sind dabei weiblich. Seit Beginn der 1990er Jahre kam es nur zu einer marginalen Reduzierung der öffentlichen Beschäftigung. Wie kann dies erklärt werden, rekurriert die schwedische Sozialpolitik doch immer öfters auf private Anbieter?

Karin Svanborg-Sjövall (2014) erklärt dieses scheinbare Paradoxon durch den Umstand, dass die Privatisierung nur einen Dienstleister-Wettbewerb ermöglicht hat, die Qualitätskontrolle sowie die Finanzierung allerdings in öffentlicher Verantwortung verblieben. Insofern sei bei zunehmendem Wettbewerb der Dienstleister mehr administrative Aufsicht notwendig, um die Regeln des Wettbewerbs im Bereich Gesundheit und Pflege, aber auch in der Bildungspolitik, die Qualitätsvorgaben des Zentralstaates zu überwachen. Insofern führte die Privatisierung zu einer ambitionierten Regulierung des Wettbewerbs und zu einem großen regulativen Staat, der nicht mehr das Personal zur Erbringung der Dienstleistungen einstellt, sondern das

Personal einstellt, das den Wettbewerb der Dienstleister und die Qualität der Dienstleistungen überwacht.

Im Bereich der Fiskal-, Steuer- und Schuldenpolitik ist anhand vorliegender Daten ebenfalls von einer Entstaatlichung zu sprechen. Insgesamt ist die Staatsquote seit den 1990er Jahren gesunken, ebenso wie das Steueraufkommen in Relation zum BIP deutlich abgenommen hat, wenngleich diese Werte nach der Finanzkrise in Schweden wie in anderen Ländern der OECD wieder leicht angestiegen sind (OECD 2015). Die Konsolidierungspolitik ermöglichte eine deutliche Absenkung der öffentlichen Schuldenlast.

Gleichwohl ist dieses Bild nicht vollständig. Die Entstaatlichung im Bereich Steuern und Schulden wurde einerseits flankiert von einer rasanten Deregulierung des Kapitalmarktes, was andererseits dazu führte, dass die Schulden der privaten Haushalte deutlich ansteigen konnten und in Schweden (sowie in Nordeuropa insgesamt) gegenwärtig überdurchschnittlich hoch sind (vgl. Abbildung 1).

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12 Quelle: OECD (2014, 24).

Anmerkung: Es wird die Gesamtverschuldung der privaten Haushalte in Relation zum zur Verfügung stehenden Haushaltseinkommen angegeben, ohne dabei etwaige Vermögenswerte der Haushalte zu berücksichtigen.

Die Konsolidierungspolitik in Schweden – aber auch anderer europäischer Staaten – hat den Keynesianismus quasi „privatisiert“ (Crouch 2009, Streeck 2013). Dieser private

Keynesianismus kann als Folge der politisch nicht mehr durchsetzbaren (und/oder politisch nicht mehr gewollten) Besteuerung vor allem der höheren Einkommensschichten interpretiert werden. Indem die Politik auf die Steuerextraktion der Bevölkerung (teilweise) verzichtet, verringert sich der Spielraum für staatliche Konjunkturprogramme und Investitionen. Ein funktionaler Ausgleich ergibt sich durch die Deregulierung der Kreditmärkte, auf denen die weniger wohlhabenden Einkommensschichten einen freieren Zugang zu Kapital bekommen, um so ihren Konsum oder ihr Wohneigentum zu finanzieren. In Schweden wird eine weiter steigende Verschuldung der privaten Haushalte prognostiziert und vor der Gefahr einer neuen Finanzkrise gewarnt, da weite Teile der Haushalte überschuldet seien und sich eine Blase im Immobiliensektor anbahne (Dagens Nyheter 2015).

Andererseits steigen die Einkommen der oberen Einkommensschichten, insbesondere der Schichten, die über Kapitaleinkünfte verfügen. In Schweden ist das Einkommen des wohlhabendsten Bevölkerungs-Dezils im Zeitraum von 1995 bis 2013 um 114 Prozent gestiegen, das des ärmsten Bevölkerungs-Dezils hingegen lediglich um 41 Prozent

(Finanspolitiska Rådet 2015, 36). Dieser Zuwachs an Einkommen führt zu einem Zuwachs an

0 50 100 150 200 250 300 350

DEU USA FIN SWE NOR DNK

Abbildung 1: Brutto-Verschuldung privater Haushalte

2000 2012

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Kapital, das dann auf den Kapitalmärkten mit Zinsgewinnen investiert, also auch an öffentliche Haushalte verliehen werden kann.

Insofern führt die Entstaatlichung der Steuerpolitik sowie der Schulden zu einer ambivalenten Situation. Einerseits ermöglicht im Rahmen des privatisierten Keynesianismus ein

deregulierter Kreditmarkt den einkommensschwachen Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, ihre gesunkenen Sozialtransfers oder Arbeitseinkommen durch leicht zugängliche Schuldenaufnahme aufzutoppen. Im Rahmen der Steuersenkungen und der voranschreitenden staatlichen Konsolidierungspolitik ermöglicht es die Politik des privaten Keynesianismus den einkommensstarken Bevölkerungsschichten andererseits, ihr Kapital mit Zinsgewinnen zu mehren, sowohl das Kapital als auch die Zinsen werden nicht von der Steuerpolitik abgeschöpft bzw. verstaatlicht. Und das auf diese Weise generierte Kapital wird zudem nicht durch eine Erbschaftssteuer bedeutsam geschmälert, so dass es sich von einer Generation zur nächsten Generation vererben kann (Streeck 2013).

Insgesamt führte die schwedische Reformpolitik zu einem konsolidierten Staat, zu einem privatisierten Keynesianismus und in der Konsequenz auch zu sehr stark zunehmender Einkommensungleichheit (Mehrtens 2014, Kvist/Frizell/Hvinden/Kangas 2012). In wenigen europäischen Ländern ist die Ungleichheit so stark angestiegen wie in Schweden, wobei diese Entwicklung von einer sehr egalitären Einkommensverteilung der frühen 1990er Jahre aus startete. Insofern ist die Gleichheit in Schweden gegenwärtig noch sehr stark im europäischen Vergleich ausgeprägt, gleichwohl erodiert sie rasant.

Das Trilemma der Dienstleistungswirtschaft (Iversen/Wren 1998) scheint sich am

schwedischen Beispiel zu bestätigen. Schweden hat die öffentlichen Haushalte konsolidiert, geordnet und Schulden abgebaut sowie gleichzeitig ein befriedigendes Wachstumsniveau erreicht und verteidigt. Aber als Preis für diese Erfolge hat das Land zunehmende

ökonomische Ungleichheit akzeptiert bzw. akzeptieren müssen. Inwieweit sich der politische Preis des Austeritätsregimes an der Wahlurne auszahlt, bleibt abzuwarten. Es ist jedoch nicht überraschend, dass die neu gewählte rot-grüne Minderheitsregierung seit 2014 bestrebt ist, die Institutionen des Austeritätsregimes, insbesondere die normbasierten Institutionen der

Fiskalpolitik aufzuweichen, um wieder Handlungsspielraum für eine umverteilende

diskretionäre Politik zu schaffen – eine politische Strategie, die vom Finanzpolitischen Rat scharf kritisiert wird (Finanspolitiska Rådet 2015) und die unter den prekären

Mehrheitsverhältnissen im schwedischen Parlament schwer zu realisieren sein wird.

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14 4 Fazit

Schweden wird aus vielen Gründen als vorbildlich eingestuft. Erstens konnte in Schweden die Staatsverschuldung rasch und deutlich seit den 1990er Jahren reduziert werden. Zweitens sind die wirtschaftlichen Kennzahlen im europäischen Vergleich als überdurchschnittlich gut zu bewerten. Drittens ist Schweden auch aus der Perspektive demokratischer Reformpolitik vorbildlich. Seit den 1990er Jahren wurden wichtige Institutionen des schwedischen Steuer- und Sozialstaates umfassend reformiert, obgleich selten die Regierungen über eine

parlamentarische Mehrheit verfügten – Schweden ist also auch ein Beispiel für erfolgreiche Reformpolitik im Minderheitsparlamentarismus (Jochem 2013).

Neben diesen Erfolgen der Austeritätspolitik sind auch die Konsequenzen einer solchen Strategie am schwedischen Modell zu beobachten. Erstens ging die Absenkung der

öffentlichen Schulden einher mit einer Deregulierung des schwedischen Kapitalmarktes sowie einer Verlagerung der Schuldenlast von öffentlichen auf private Haushalte. Der Wechsel vom staatlichen Keynesianismus hin zu einem „privatisierten Keynesianismus“ (Crouch 2009, Streeck 2013) ist ein Beleg für die auch in Schweden voranschreitende Privatisierung von Risiken (Hacker 2006, Hacker/Pierson 2010).

Zweitens führt die Austeritätspolitik zu einer zunehmenden materiellen Ungleichheit. Zum einen wird damit die Wirksamkeit eines Trilemmas der Dienstleistungsökonomie bestätigt.

Zum anderen ist es eine politische Entscheidung, inwieweit von Politik und Gesellschaft die zunehmende Ungleichheit im ehemaligen Modell egalitärer Umverteilungspolitik (Jochem 2010) akzeptiert wird. Die jüngsten Reformstrategien der rot-grünen Regierung deuten an, dass zumindest im linken politischen Spektrum Korrekturen des Austeritätsregimes angestrebt werden, um die fiskalisch engen Grenzen einer ambitionierten „social investment strategy“

wieder zu weiten.

Insgesamt ist das schwedische Modell ein Musterbeispiel für eine erfolgreiche Reformpolitik im Wohlfahrtsstaat – wenngleich diese Reformpolitik auch ihre gesellschaftlichen

Konsequenzen hat. Gegenwärtig werden die Zukunftsaussichten des schwedischen Modells als sehr gut eingeschätzt. Die öffentlichen Haushalte sind ausbalanciert, die Innovationskraft der Ökonomie ungebrochen. Auch das Beschäftigungsniveau erholt sich nach der globalen Finanzkrise deutlich und Beobachter attestieren zum Beispiel der schwedischen

Rentenversicherung eine solide Finanzierungsbasis, die sie auch gegenüber weiteren demographischen Veränderungen weitgehend immun macht. Insofern scheint die

Nachhaltigkeit des schwedischen Modells für viele Beobachter gesichert. Gleichwohl ist die

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voranschreitende Erosion der gesellschaftlichen Gleichheit ein Preis der Reformpolitik, von dem abzuwarten sein wird, wie er zukünftig von der Bevölkerung an der Wahlurne verrechnet wird.

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16 Literaturverzeichnis

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19 Englischer Abstract:

This contribution discusses reform politics and policies of the Swedish welfares state and analyses the forms, reasons and implications of austerity policies. The privatisation of the welfare state in Sweden is progressing and is combined with a privatisation of fiscal policies and public debt. The policies of private Keynesianism imply an increasing inequality. The lessons from the Swedish case confirm the effect of the trilemma of the service economy according to Iversen and Wren.

JEL Code:

H10, H20, H30, H50, I38

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