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Archiv "Serie: Diabetische Neuropathie – Blasenfunktionsstörungen und erektile Dysfunktion bei Diabetes mellitus Ätiologie, Diagnostik und Therapie" (16.08.1996)

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eben der diabetischen Ne- phropathie, Retinopathie und Angiopathie sind schon seit mehr als hundert Jahren Bla- senfunktionsstörungen als Folge des Diabetes mellitus bekannt. Diese Miktionsstörungen sind, insbesonde- re zu Beginn, zumeist asymptoma- tisch (1, 6).

Im Gegensatz hierzu werden Se- xualfunktionsstörungen schon im frühen Stadium bemerkt. Beim männlichen Diabetiker treten diese häufig, bei der Diabetikerin selten auf. Obwohl erektile Dysfunktion, Anejakulation und Infertilität für den betroffenen Patienten einen hohen Krankheitswert besitzen, zu schwer- wiegenden partnerschaftlichen Kon- flikten führen können und ihm sein Kranksein ständig vor Augen führen, werden diese Probleme von Patienten oft aus Scham verschwiegen und vom Arzt aus Unkenntnis oder altherge- brachter falscher Tabuisierung nicht angesprochen (10).

So zeigte sich vor kurzem bei ei- ner detaillierten Befragung von 428 männlichen Diabetikern einer Allge- meinpraxis in England, daß 53 Po- zent der Patienten an einer erektilen Dysfunktion litten, diese aber nur bei acht Prozent der Patienten doku- mentiert war und bei lediglich einem Prozent der Patienten therapeuti- sche Möglichkeiten angesprochen wurden.

Auf Grund der großen prognosti- schen und psychosozialen Bedeutung dieser diabetischen Komplikationen ist offensichtlich, daß anläßlich der routinemäßigen Diabeteskontrollen eine gezielte Befragung des Patienten nach diesen urologischen Komplika- tionen erfolgen sollte. Falls sich ein Verdacht diesbezüglich ergibt, sind

gezielte weitere diagnostische und entsprechende therapeutische Schrit- te einzuleiten.

Pathophysiologie und Klinik

Als Reservoir kann die Blase et- wa 300 bis 600 ml Urin speichern. Bei Erreichen der Kapazitätsgrenze wird dies über afferente Impulse zum Be- wußtsein gebracht. Efferente motori- sche Impulse im Tractus reticulo- spinalis vom pontinen Miktionszen- trum zu den Nuclei intermediola- terales der Rückenmarkssegmente

T10-L2 und S2-S4 leiten die Miktion ein. Die periphere Innervation erfolgt sympathisch über den Nervus hypo- gastricus aus dem thorakolumbalen Grenzstrang und parasympathisch über präganglionäre Fasern des sa- kralen Miktionszentrums. Diese Fa- sern werden im Plexus pelvicus auf postganglionäre cholinerge Fasern umgeschaltet. Der Sphinkter externus wird somatisch durch den N. puden- dus aus den Rückenmarkssegmenten S2-S4 innerviert. In der Harnspei- cherphase werden afferente Impulse teils intraspinal, teils zerebral unter- drückt, der externe Sphinkter akti- viert. Die Miktion wird willkürlich eingeleitet, indem der quergestreifte externe Schließmuskel relaxiert und sich die glatte Detrusormuskulatur kontrahiert. Bei fehlender anatomi- scher infravesikaler Obstruktion (zum Beispiel benigne Prostatahyper- plasie) wird mit relativ geringem in- travesikalen Druck die Harnblase vollständig – restharnfrei – entleert.

Die diabetische Blasenentlee- rungsstörung beginnt beim experi- mentell induzierten Diabetes mit de- generativen Veränderungen der affe- renten myelinisierten Fasern (8). Un- ter dem Begriff der „diabetischen Zy- stopathie“ versteht man ein herabge- setztes Blasenfüllungsgefühl, verbun- den mit einer Zunahme der Blasenka- pazität und eine verminderte Detru- sorkontraktilität (1). Der Verminde- rung der Blasensensibilität mit der Ge- fahr der Überdehnung der glatten Muskelzellen folgt relativ rasch die Degeneration der unmyelinisierten ef- ferenten Fasern mit der entsprechen- den Hypokontraktilität. Im Gegensatz zu diesen klassischen Symptomen der diabetischen Zystopathie kann die au- tonome Neuropathie bei koexistenten

Serie: Diabetische Neuropathie

Blasenfunktionsstörungen und erektile Dysfunktion bei Diabetes mellitus

Ätiologie, Diagnostik und Therapie

Blasenfunktions-, Erektions- und Ejaku- lationsstörungen sind beim Diabetiker wesentlich häufiger anzutreffen als bei Nichtdiabetikern; Sexualstörungen tre- ten bei Diabetikerinnen dagegen nur selten auf. Da der Verlust der Reservoir- oder Entleerungsfunktion der Harnblase und der Erektionsfähigkeit einen erheb- lichen Krankheitswert besitzt, sollte in der Diabetessprechstunde gezielt da- nach gefragt werden. Therapeutisch steht heute, je nach ätiologischer Zuord- nung, ein breitgefächertes Spektrum zur Verfügung, dessen individueller Einsatz aber eine korrekte Diagnose erfordert.

1 Urologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. Udo Jonas), Medizinische Hochschule Hannover

2 Urologische Klinik (Direktor: PD Dr. Walter Thon), Krankenhaus Siloah, Hannover

3 Anatomisches Institut (Direktor: Prof. Dr. med.

Michael Frotscher) der Universität Freiburg

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urologischen Erkrankungen auch zu irritativen Beschwerden mit Nykturie, Pollakisurie, imperativem Harndrang und Harninkontinenz führen.

Diagnostik von

Blasenfunktionsstörungen

Bei diabetischen Patienten, die von sich aus nicht über Blasenfunkti- onsstörungen klagten, fanden sich in 40 bis 80 Prozent pathologische uro- dynamische Befunde (6, 11); erst bei gezielter Befragung gaben viele die- ser Patienten Symptome einer Blasenentleerungsstörung an. Auf Grund dieser häufig asymptomati- schen Funktionsstörung und ihrer möglichen diletären Wirkungen auf den oberen Harntrakt sollte bei je- dem Diabetiker regelmäßig (minde- stens jährlich) gezielt nach Miktions- störungen gefragt werden. Miktions- frequenz, Restharngefühl, Harnwegs- infekte, Inkontinenz, Harnstrahlab- schwächung und Notwendigkeit der Bauchpresse bei der Miktion sollten erfaßt werden. Gegebenenfalls ist das Führen eines Miktionstagebuches über drei aufeinanderfolgende Tage hilfreich. Eine semiquantitative Stix- und Sediment-Untersuchung des Urins ist obligat.

Sollte sich durch die Anamnese der Verdacht auf eine Blasenentlee- rungsstörung ergeben, ist eine urolo- gische Diagnostik mit Uroflowmetrie und sonographischer Restharnbe- stimmung indiziert. Pathologische Befunde dieser „Screening-Untersu- chungen“ oder Angaben der Patien- ten über rezidivierende Harninkonti- nenz sollten Anlaß für eine komplette urodynamische Untersuchung mit Zystomanometrie, Druck-Fluß-Eva- luation zur Differenzierung einer funktionellen und/oder anatomischen Blasenauslaßobstruktion und bei Harninkontinenz einer Urethra- druckprofilaufzeichnung in Ruhe und unter Streß sein. Die Indikation zu weiteren urologisch-radiologischen beziehungsweise endoskopischen Un- tersuchungen ist von dem Ergeb- nis des urodynamischen Befundes ab- hängig. Neben einer verminderten Detrusorkontraktilität oder einer Detrusorareflexie finden sich bei der Zystomanometrie in etwa 50 Prozent

der Fälle eine Detrusorhyperreflexie (6) als mögliche Ursache eines impe- rativen Harndranges, eventuell mit Drang-Inkontinenz. Bei männlichen Diabetikern ist die Detrusorhypo- kontraktilität oder Hyperreflexie häufig mit einer Blasenauslaßob- struktion durch ein Prostata-Adenom kombiniert. Die Druck-Fluß-Auf- zeichnung mittels eines urodynami- schen Meßplatzes erlaubt eine diffe- renzierte Beurteilung, ob es sich um eine funktionelle oder eine anatomi- sche Obstruktion handelt.

Therapie bei Störungen der Blasenentleerung

Behandlungsbedürftigkeit und Therapieform werden von Schwere- grad und Ätiologie der Blasenentlee- rungsstörung, der sekundären Beein- trächtigung der Funktion des oberen Harntraktes, weiteren Begleiterkran- kungen sowie den psychischen und physischen Voraussetzungen des Pati-

enten bestimmt. Generell können die- se Störungen auch beim Diabetiker ei- ne multifaktorielle Genese besitzen, zum Beispiel neben der vesikalen au- tonomen Neuropathie eine mechani- sche Blasenauslaßobstruktion (6, 10).

Die Hyperreflexie in Verbindung mit einer mechanischen infravesikalen Obstruktion ist selbstverständlich an- ders zu therapieren als eine Entlee- rungsstörung bei insuffizienter Detru- sorkontraktilität.

Etwa 60 Prozent der Harnspei- cherstörungen sind medikamentös und durch Blasen- und Beckenboden-

training zu heilen, oder zu bessern.

Da kein Medikament ausschließlich die Blasensymptomatik beeinflußt, muß immer eine Abwägung mit mög- lichen Nebenwirkungen erfolgen. So können die bei Hyperreflexie indizier- ten Anticholinergika zu Mund- trockenheit, Tachykardie und Er- höhung des Augeninnendruckes führen. Bei einer gleichzeitigen Bla- senauslaßobstruktion können hohe Restharnmengen oder sogar eine Harnverhaltung auftreten. Eine zu große Blasenkapazität kann durch re- gelmäßige Miktionsintervalle („Mikti- on nach der Uhr“, zum Beispiel alle drei Stunden) und bei herabgesetzter Detrusorkontraktilität durch eine me- dikamentöse Therapie mit Parasym- pathomimetika behandelt werden.

Bei funktioneller Blasenauslaßob- struktion oder mäßiger Obstruktion durch eine benigne Prostatahyperpla- sie ist eine Therapie mit einem selekti- ven alpha-1c-Rezeptorblocker mög- lich (2). Liegt die Restharnmenge trotzdem über 15 Prozent der Blasen- kapazität und treten Harn- wegsinfekte auf, kann eine Dauerableitung mittels supra- pubischer Zystostomie erfol- gen oder vom Patienten nach entsprechender Unterrich- tung ein sauberer intermittie- render (vier- bis fünfmal täg- lich) Einmalkatheterismus durchgeführt werden. Die Er- gebnisse einer operativen Reduktionsplastik des Detru- sors eventuell mit Detrusor- doppelung waren bisher un- befriedigend. Harninkonti- nenzbeschwerden bei weib- lichen Diabetikern durch Senkung des Beckenbodens mit Schließmuskelschwäche werden je nach Schweregrad durch funktio- nelle Übungen (Beckenbodengymna- stik mit Vaginalkonen), vaginale Elek- trostimulation, Östrogensubstitution bei nachgewiesenem Mangel oder operative Maßnahmen behandelt. Die Erfolgsraten einer operativen Anhe- bung des Blasenhalses (Suspensions- plastik) werden mit etwa 80 Prozent angegeben. Die Implantation eines künstlichen Sphinkters mit Druck- manschette um den Blasenhals sollte streng gestellt werden, da bei Diabe- tikern mit einer erhöhten Infektions- Abbildung 1a: Zwei intakte glatte Muskelzellen aus dem Corpus

cavernosum penis eines 25jährigen Patienten mit der klinischen Diagnose venöses Leck (EM, Vergrößerung 3700fach). My = glat- te Muskelzellen; Koll = kollagene Fibrillen.

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gefahr zu rechnen ist. Durch eine re- gelmäßige tägliche Anwendung einer vaginalen Elektrostimulation afferen- ter Pudendusfasern ist eine deutliche Besserung einer Sphinkter-externus- Insuffizienz zu erzielen. Durch gleich- zeitige Aktivitätssteigerung des Ner- vus hypogastricus und Aktivitätshem- mung des Nervus pelvicus kann auch eine Detrusorhyperreflexie unter- drückt werden. Ein gravierender Nachteil der vaginalen Stimulation besteht aber darin, daß die Stimu- lationsprothese täglich neu einzu- führen ist und die Dauer des thera- peutischen Effektes im stimulations- freien Intervall nicht sicher einzu- schätzen ist. Für die elektrische Thera- pie der Hyperreflexie stehen heute bei einem selektionierten Patientengut implantierbare Impulsgeneratoren mit telemetrischer Programmier- barkeit und implantierbaren Elektro- den zur Verfügung.

Physiologie der Erektion und Pathophysiologie der erektilen Dysfunktion

Grundsätzlich muß man zwischen psychogenen, reflexogenen und nächtlichen Erektionen differenzie- ren. Sie unterscheiden sich durch eine unterschiedliche autonome Innervati- on: Während psychogene Erektionen vom parasympathischen Erektions- zentrum im Sakralmark S2-4 induziert werden, ist das sympathische Erek- tionszentrum T11-L2 für nächtliche und morgendliche Erektionen verant- wortlich. Reflexogene Erektionen werden afferent über den Nervus pu- dendus und efferent über das sakrale Erektionszentrum induziert (3). Auf Grund der unterschiedlichen Vulnera- bilität dieser peripheren autonomen Innervationsstränge berichten man- che Patienten über nächtliche Erek- tionen, verneinen aber ausreichende psychogene Erektionen. Die früher oft benutzte Folgerung „nächtliche Erektionen bei erektiler Dysfunktion gleich psychogene erektile Dysfunkti- on“ ist demzufolge nicht mehr haltbar.

Die peripheren parasympathi- schen Nervenendigungen induzieren eine Erektion durch Freisetzung von Stickoxid (NO) (4). Die hierdurch her- vorgerufene Relaxation der kavernö-

sen glatten Muskelzellen führt über ei- ne Weitstellung der kavernösen Sinus zu einer Verminderung des peripheren kavernösen Widerstandes und, im Ver-

ein mit einer arteriellen Dilatation, zu einer deutlichen Erhöhung des arteri- ellen Einstroms. Klinisch korrespon- diert hierzu die Tumeszenzzunahme.

Die fast vollständige venöse Restrikti- on resultiert dann in einer intrakaver- nösen Druckerhöhung, der Rigidität.

Bis vor kurzem wurde davon aus- gegangen, daß etwa 40 Prozent der or- ganogenen Erektionsstörungen durch arterielle Faktoren bedingt seien; heu- te muß dieser Prozentsatz auf Grund neuer Studien deutlich reduziert wer- den. Die verbesserte Diagnostik er- laubt bei einem signifikanten Anteil der Patienten zwischen einer kavernö- sen myozytären Degeneration (bis zu 40 Prozent) (Abbildung 1a und b) und einer kavernös-autonom-neurogenen Schädigung (20 bis 40 Prozent) zu dif- ferenzieren. Bei Diabetikern stehen myozytäre und neurogene Degenera- tionen im Vordergrund.

Diagnostik der erektilen Dysfunktion

Zwar kommt beim Diabetiker der organischen Genese der erektilen Dys- funktion die entscheidende Bedeutung zu, doch können psychogene oder psy- choreaktive Komponenten nicht a pri- ori ausgeschlossen werden. Bezüglich der organischen Genese überwiegen zwar myogene und neurogene Fakto- ren (7, 10), doch sind auch andere orga- nische Ursachen möglich. Aus diesem

Grunde sollte die diagnostische Ab- klärung des Diabetikers mit erektiler Dysfunktion nach denselben Regeln wie beim Nicht-Diabetiker erfolgen. In der praktischen Durchführung hat sich eine Dreiteilung des diagnostischen Ablaufs be- währt (Textkasten): Die Ba- sisuntersuchungen werden vom einweisenden Arzt durchgeführt (Stufe 1). Die wesentlichen Elemente dieser diagnostischen Stufe sind Anamnese, psychologische Evaluierung, körperliche Un- tersuchung und Labordiagno- stik. Dann erfolgt die Durch- führung des andrologischen nicht- beziehungsweise gering- invasiven diagnostischen Pro- gramms (Stufe 2) durch den andrologisch geschulten Uro- logen. Ziel dieser nicht- beziehungs- weise wenig-invasiven diagnostischen Stufe ist die Beurteilung der kavernö- sen Kompetenz, das heißt des Zustan- des und der funktionellen Kapazität der kavernösen Muskulatur. Die Me- thoden SKAT-(Schwellkörper-Autoin- jektionstherapie-)Testung und Corpus- cavernosum-EMG (CC-EMG) ermög- lichen eine Beurteilung der (funktio- nellen) penilen Hämodynamik, der pe- nilen autonomen Innervation sowie Rückschlüsse auf den Zustand der ka- vernösen glatten Muskulatur.

SKAT-Testung

Die SKAT-Testung ist eine wenig aufwendige Methode zur globalen Be- urteilung der kavernösen Funktions- fähigkeit. Die Erektionsantwort auf die wiederholte, standardisierte intra- kavernöse Injektion erlaubt Rück- schlüsse auf die penile arterielle Ver- sorgung, den Zustand der glatten ka- vernösen Muskulatur und der kaver- nös-venösen Verschlußmechanismen (12). Da diese Untersuchung die Ge- fahr gravierender Nebenwirkungen (prolongierte Erektion, Schmerz) be- inhaltet, muß der Patient vor dieser Untersuchung ausführlich aufgeklärt werden. Als geeignete intrakavernöse Injektion haben sich Prostaglandin E1 (PGE1) oder die Kombination aus Pa- paverin (15 mg/ml) und Phentolamin (0,5 mg/ml) bewährt.

Abbildung 1b: Osmiophile Schrumpfnekrose einer glatten Muskel- zelle aus dem Corpus cavernosum penis eines 38jährigen Diabeti- kers (Typ I) (EM, Vergrößerung 4800fach). My = (zugrunde ge- hende) glatte Muskelzelle; Koll = kollagene Fibrillen.

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Corpus cavernosum-EMG

Die Ableitung des Corpus-caver- nosum-EMG erlaubt eine Beurteilung der glatten kavernösen Muskulatur und der autonomen Innervation (13).

Normalerweise läßt diese im flakziden Zustand bestimmte Muster erkennen:

Phasen ausgeprägter elektrischer Ak- tivität, sogenannte „Potentiale“ von 12 bis 18 Sekunden Dauer, einer Ampli- tude von 200 bis 700 µV und einer Fre- quenz von etwa 0,4 bis 2,5 Potentia- len/Minute, werden von Phasen elek- trischer Ruhe gefolgt. Bei Patienten mit neurologisch definierten Läsionen oder einer kavernösen Myopathie zei- gen sich spezifische Änderungen die- ser Erregungsmuster. Die Ergebnisse des CC-EMG können von entschei- dender Bedeutung für die Wahl der Therapie sein; diese diagnostische Me- thode wird auf Grund ihrer Komple- xität zur Zeit fast nur in spezialisierten Zentren durchgeführt.

Doppler-Duplex-/

Sonographie

Die Doppler-(Farb-)/Duplex-So- nographie dient der Beurteilung der funktionellen Kapazität der penilen Arterien (5). Im flakziden Zustand wird ein großer Teil des arteriellen Blutes an den Schwellkörperkavernen vorbeigeleitet. Nur nach kavernöser Relaxation (Stadium der Tumeszenz) kommt es zu einem maximalen Ein- strom in die kavernösen Sinus. Aus diesem Grunde ist die Doppler-Unter- suchung der penilen Gefäße nach in- trakavernöser Injektion von vasoakti- ven Substanzen und subsequenter ka- vernöser Relaxation nicht nur wesent- lich vereinfacht, sondern überhaupt erst aussagekräftig. Wie bei der SKAT- Testung besteht die Problematik, daß die wissenschaftlich begründete Dia- gnostik der erektilen Dysfunktion der intrakavernösen Injektion vasoaktiver Substanzen bedarf, diese aber seit Jah- ren nicht vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen wurden.

Nach Abschluß der zweiten dia- gnostischen Stufe ist eine therapiere- levante Zuordnung des überwiegen- den Teils (ungefähr 60 bis 80 Prozent) der Patienten möglich. Sollten weitere

Untersuchungen notwendig sein, so sollte der Patient an eine spezialisierte Institution zur aufwendigeren invasi- ven andrologischen Diagnostik (Stufe III) überwiesen werden. Die invasive andrologische Diagnostik besteht aus der selektiven Pharmako-Phalloarte- riographie (radiologische Darstellung des penilen Einstromes) sowie der Pharmako-Kavernosometrie und -Ka- vernosographie (Quantifizierung und Darstellung des kavernösen Ab-

stroms). Diese Untersuchungsverfah- ren dienen der Vorbereitung operativ rekonstruktiver Maßnahmen (penile Revaskularisation, venöse Sperrope- rationen).

Therapie der

erektilen Dysfunktion

Bei Patienten mit rein oder über- wiegend psychogener Verursachung sollte die Therapie von einem geeig- neten Psychologen oder Psychiater geleitet und überwacht werden. Ne- ben den klassischen Optionen wie Ge- sprächs- oder Paartherapie kann ins-

besondere bei Versagens- und/oder Erwartungsangst ein Therapieversuch mit oraler Medikation, wie zum Bei- spiel Yohimbin, dreimal 5 mg für drei Tage, dann dreimal 10 mg, unternom- men werden. Vor einer endgültigen Bewertung eines möglichen Therapie- erfolges sollte eine Mindesteinnahme- dauer von acht Wochen abgewartet werden. Standardtherapie bei Patien- ten mit organogener erektiler Dys- funktion, bei denen eine rekonstrukti- ve Operation nicht aussichtsreich er- scheint oder nicht gewünscht wird, ist die Schwellkörper-Autoinjektionsthe- rapie (SKAT). Hierbei wird mit einer

„Insulinnadel“ der Schwellkörper ein- seitig von lateral punktiert und das Substanzgemisch, ohne vorherige Aspiration, appliziert. Unbedingte Voraussetzungen zur SKAT sind ein sorgfältig ausgewählter, kooperations- fähiger Patient und ein ständig er- reichbarer Therapeut, der die Be- handlung von eventuell auftretenden Nebenwirkungen beherrscht.

Nach Erlernen der Autoinjekti- onstechnik und Adaptation der Dosis (angestrebte Dauer der Erektion etwa 30 bis 60 Minuten) wird der Patient in die häusliche Selbstinjektion entlas- sen. Der Patient sollte höchstens zwei bis drei Injektionen pro Woche durch- führen; zur Vermeidung prolongierter Erektionen ist, auch im Falle eines Nicht-Erfolges, von einer Nachinjekti- on am gleichen Tage abzusehen. Beim Auftreten einer prolongierten Erekti- on (Dauer über vier Stunden) mit der Gefahr einer irreversiblen kavernösen Schädigung muß sich der Patient zur Einleitung von geeigneten Maßnah- men sofort bei einem in der Behand- lung dieser Nebenwirkung erfahrenen Arzt einfinden. Zur frühzeitigen Er- kennung lokaler oder systemischer Nebenwirkungen ist eine engmaschi- ge Nachkontrolle erforderlich.

Zur Zeit ist beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinproduk- te noch keine Substanz zur intrakaver- nösen Applikation mit dieser Indikati- onsstellung zugelassen. Aus diesem Grund stellt diese Therapie einen Heilversuch dar. Jeder Patient muß be- sonders ausführlich über Risiken und mögliche Nebenwirkungen (insbeson- dere Nicht-Zulassung der Substanz, prolongierte Erektion, Fibrose, voll- ständige Impotenz, Kreislaufversagen, Die rationale Diagnostik der erekti-

len Dysfunktion ermöglicht eine indi- viduell optimal adaptierte Therapie 1. diagnostische Stufe

(Basisdiagnostik)

Anamnese, Befund, Labor, Sexualanamnese

2. diagnostische Stufe (kavernöse Kompetenz) Corpus-cavernosum-EMG, SKAT-Testung, Doppler/Duplex 3. diagnostische Stufe

(fakultativ, spezielle Indikation) Kavernosometrie und -graphie, An- giographie

Therapieoptionen bei organogener erektiler Dysfunktion

Orale Medikation

Schwellkörper-Autoinjektions- therapie (SKAT)

penile Arterialisation penile Venenchirurgie Vakuumhilfen

Prothesenimplantation

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Schock, Krebsentstehung) aufgeklärt werden; diese Aufklärung ist zu doku- mentieren und vom Patienten zu un- terschreiben. Auf Grund wissenschaft- licher Untersuchungen und klinischer

Erfahrungen ist momentan von der in- trakavernösen Injektion von Papaver- in als Monosubstanz abzuraten. Eher zu empfehlen ist eine Mischung von Papaverin (15 mg/ml) und Phentol- amin (0,5 mg/ml) in einer Dosierung von 0,2 ml bis zu 2 ml dieses Gemisches oder die Applikation von Pro- staglandin E1 bis zu einer Dosierung von 5 bis 20 µg. Neuere Erkenntnisse legen nahe, daß der Stickoxid(NO)- Donor SIN-1 (Linsidomin) eine weite- re Standardsubstanz der SKAT wer- den könnte (14).

Treten bei der Kombination von Papaverin und Phentolamin im Ver- gleich zu PGE1 in einem höheren Maße prolongierte Erektionen auf, so ist bei der Verwendung von PGE1 bei etwa zehn (bis zu 30 Prozent) der Pati- enten mit zum Teil sehr ausgeprägten Schmerzen bei der Erektion zu rech- nen. SIN-1 scheint keine dieser gravie- renden Nebenwirkungen zu besitzen, ist aber insgesamt weniger stark wirk- sam als die beiden vorgenannten Sub- stanzen/-kombinationen. Jüngeren Pa- tienten mit rein arterieller Genese der erektilen Dysfunktion (eventuell mit gering ausgeprägtem venösen Leck) kann eine arterielle Revaskularisation angeboten werden. Hierbei wird mit mikrochirurgischen Techniken eine

Anastomose zwischen A. epigastrica inferior und A. dorsalis penis (eventu- ell mit gleichzeitigem Shunt zur V. dor- salis penis) angelegt. Noch vor wenigen Jahren wurde dieses Verfahren häufig empfohlen und durchgeführt.

Inzwischen mahnen die post- operativen Ergebnisse, insbe- sondere beim Diabetiker, doch zu großer Zurückhaltung ge- genüber dieser Therapieopti- on. Patienten mit rein venöser Genese (etwa 10 bis 15 Prozent der Population mit erektiler Dysfunktion) kann zur Reduk- tion des pathologischen kaver- nös-venösen Abstroms eine penile Venenligatur vorge- schlagen werden. Bei diesem Verfahren herrscht über die Indikationsstellung keine all- gemeine Übereinstimmung, und die Langzeitergebnisse sind eher entmutigend. Die Anwendung von Vakuum- Erektionshilfen ist wenig auf- wendig und nur von wenigen lokalen Nebenwirkungen (Hämatom, Schmerz) begleitet. Apparative Ver- besserungen der jüngsten Zeit haben zu einer deutlich höheren Akzeptanz dieser Behandlungsform bei Ärzten und Patienten geführt. Etwa 10 bis 25 Prozent des Gesamtkollektivs erschei- nen für diese Therapieoption geeignet.

Die störende Kosmetik und die man- gelnde Rigidität im Basisbereich spie- len eine wichtige Rolle bei einer Ab- lehnung durch den Patienten. Wird die- se Therapieform einmal akzeptiert, sind Langzeit-Zufriedenheit und -Er- folg jedoch gut. Insbesondere bei Pati- enten mit schwer einschätzbarer kar- dialer Situation (zum Beispiel nach Herztransplantation) oder auch bei unzuverlässigen Patienten ist diese nicht-invasive Therapieform ohne sy- stemische Nebenwirkungen anzuraten.

Die zeitlich am längsten verfüg- bare therapeutische Option bei orga- nischen Erektionsstörungen, die pro- thetische Versorgung, steht heute am Ende des therapeutischen Spektrums.

Bei richtiger Indikationsstellung so- wie Aufklärung von Patient und Part- nerin über die Vor- und Nachteile die- ser Therapieform ist die alloplastische Versorgung mit einer hohen Akzep- tanz und Zufriedenheit der Patien- ten und ihrer Partnerinnen verbun-

den. Grundsätzlich stehen eine Viel- zahl von semirigiden und aufblasba- ren Prothesen zur Verfügung, wobei das bessere kosmetische Ergebnis der aufblasbaren Modelle im Vergleich zu den semirigiden, auch nach wesentli- chen Verbesserungen der letzten Jah- re, durch eine erhebliche Repara- turanfälligkeit erkauft wird.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-2082–2086 [Heft 33]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Christian Stief Urologische Klinik

Medizinische Hochschule Hannover 30623 Hannover

Abbildung 2: Querschnitt durch einen kleinen vegetativen Nerven aus dem Corpus cavernosum penis eines 22jährigen Diabetikers.

Auffallend unregelmäßig begrenzte Schwannsche Zellen mit deut- lich verdickter Basalmembran und nur relativ wenigen Axonen.

Endoneurales Kollagen vermehrt (Vergrößerung: 2900 fach). G = Blutgefäß mit Erythrozyten innerhalb des Nerven; P = Perineuri- um; S = Schwannsche Zellen, Bm = Basalmembran; A = Axone;

Koll = (quergetroffene) kollagene Fibrillen.

In der Serie

„Diabetische Neuropathien“

sind bisher erschienen:

(1)Editorial „Diabetische Neuropa- thie – Einführung in die Thematik der Serie“, Gries F A: Dt Ärztebl 1996: 93: A-678 [Heft 11]

(2)Ziegler D, Gries F A: „Klassifika- tion, Epidemiologie, Prognose und sozialmedizinische Bedeu- tung“. Dt Ärztebl 1996: 93: A- 680–684 [Heft 11]

(3)Reichel G, Neundörfer B: „Pa- thogenese und Therapie der peri- pheren und diabetischen Poly- neuropathien“. Dt Ärztebl 1996:

93: A-963–968 [Heft 15]

(4)Ziegler D, Claus D, Meinertz T, Gries F A: „Klinik, Diagnostik und Therapie der kardiovas- kulären autonomen Neuropa- thie“. Dt Ärztebl 1996: 93:

A-1262–1272 [Heft 19]

(5)Neundörfer B, Claus D, Luft D:

„Klinik und Therapie der senso- motorischen diabetischen Polyn- europathie“. Dt Ärztebl 1996:

93: A-1529–1532 [Heft 23]

(6)Erckenbrecht J M, Flesch S, Frieling T, Ziegler D, Wienbeck M, Cas- pary W: „Die autonome diabeti- sche Neuropathie des Gastroin- testinaltraktes“. Dt Ärztebl 1996:

93: A-1831–1835 [Heft 27]

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