Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen
Der in Strümpfelbach lebende Bildhauer Fritz Nuss wurde im Mai dieses Jahres fünfundsiebzig Jah- re alt. Seinen Geburtstag nahm die Galerie der Stadt Stuttgart zum Anlaß für eine Werkübersicht:
fünfzig Skulpturen und ebenso viele Zeichnungen sind in der Ein- gangshalle des Kunstgebäudes der Stadt Stuttgart bis zum 10. Ok- tober ausgestellt.
Die älteste Skulptur, eine Porträt- büste der Tänzerin, Choreogra- phin und Wegbereiterin des Mo- dern Dance, Mary Wigman, ent- stand 1932, als Fritz Nuss bei Lud- wig Habich an der Stuttgarter Aka- demie der Bildenden Künste stu- dierte. Die jüngste Arbeit datiert von 1979. Der Zeitraum dazwi- schen umfaßt annähernd ein hal- bes Jahrhundert und zugleich eine Geschichte der Plastik, in der nicht nur das Repertoire her- kömmlicher Materialien um zeit- bedingte Mittel erweitert, son- dern auch eine Autonomie der plastischen Form postuliert wor- den ist.
Die Arbeiten von Fritz Nuss blei- ben von dieser einschneidenden Entwicklung weitgehend unbe- rührt. Sie basieren formal und in- haltlich auf den von Aristide Mail- lol und Auguste Rodin geprägten Mustern und sind, mit Vorbehalt, mit den Werken von Alfred Lör- cher, Gerhard Marcks und Gustav Seitz vergleichbar. Vorbild jeden- falls ist die menschliche Gestalt, vor allem die weibliche.
Die Figuren aus den dreißiger Jah- ren verkörpern noch ein Ideal klas- sizistischer Bildhauerei. Individua- lität des Modells und Emotionali- tät des Plastikers reduzieren sich auf maßvolle Proportionen streng gerundeter Volumen; auf stilisier- te Gesten und Stellungen. Nur die Art seiner Oberflächenbehand- lung, vage Spuren der Knetmasse oder des Werkzeugs, erinnert noch an Auguste Rodins Prinzip
Skulpturen in der Jubiläumsausstellung Fritz Nuss Foto: Kurt Eppler
Vorderseite der von Nuss geschaffenen Paracelsus-Medaille der deutschen Ärz- teschaft Foto: Dietrich Spranger
der „Zerstörung" glatter Hüllen zugunsten einer lichtbrechenden, nach innen gerichteten sowie die Umgebung miteinbeziehenden Durchlässigkeit.
Mit einer Reihe kleinerer, dunkel- bronzierter und polierter Skulptu- ren aus den vierziger Jahren löst Fritz Nuss die Statik der Pose ab.
Die Figur seiner Plastik wirkt auf einmal unmittelbar; Mimik und Haltung sind jetzt Ausdruck von Tätigkeit und Bewegung. Sie stellt dar und bedeutet nicht Farbe, Dy- namik, gestraffte Form und indivi- dualisierte Gesichtszüge entstan- den unverkennbar unter dem Ein- fluß Aristide Maillols. Dagegen sind die Arbeiten ab 1950 von einer Auseinandersetzung mit Moore und Giacometti geprägt.
Die Oberfläche wird rissig, rauh, verworfen, das Volumen blockhaf- ter, gedrängter, der Umriß schär- fer, kantiger. Die Spannung zwi- schen den überlangen, fragil wir- kenden, sich schmal verjüngen- den Extremitäten und der teils kompakten, teils üppig hervor- quellenden (weiblichen) Körper- mitte stört das klassische Propor- tionsschema.
Im Alterswerk relativiert Fritz Nuss den schönen Anschein. Hinter der harmonischen Hülle werden An- sätze psychischer Strukturen sichtbar: Die Hand greift endlich unter die Haut. Friedhelm Röttger (Wiedergabe mit freundlicher Ge- nehmigung der „Stuttgarter Nach- richten")
FEUILLETON
Vorbild: die menschliche Gestalt
Jubiläumsausstellung Fritz Nuss im Kunstgebäude der Stadt Stuttgart
Nur noch bis zum 10. Oktober dauert die Jubiläumsausstellung, welche die Galerie der Stadt Stuttgart dem Bildhauer Fritz Nuss gewidmet hat. Nuss ist der Schöpfer der „Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft", die vom Vorstand der Bundesärztekam- mer jährlich in der Regel an drei verdiente Ärzte verliehen wird.
84 Heft 40 vom 8. Oktober 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B