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Archiv "Initiative gegen überflüssige Operationen: Zweitgutachten per Fernberatung" (29.08.2011)

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A 1776 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 34–35

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29. August 2011

INITIATIVE GEGEN ÜBERFLÜSSIGE OPERATIONEN

Zweitgutachten per Fernberatung

Die Zahl der Operationen in Deutschland steigt. Gerade bei elektiven Eingriffen werden offenbar die Indikationen zum Teil weit gestellt. Nun bieten Ärzte über ein Online-Portal Zweitgutachten an. Es gibt Zustimmung, aber auch Bedenken.

A

ls die Barmer-GEK im ver- gangenen Jahr ihren Kranken- hausreport vorstellte, waren selbst Experten überrascht. Zwischen 2003 und 2009 war die Rate der Erstim- plantationen von Hüftgelenkendo- prothesen um neun Prozent gestie- gen, die der Kniegelenkendoprothe- sen sogar um 43 Prozent – die de- mografischen Änderungen jeweils

berücksichtigt. Zugleich hatte sich die Rate der Revisionseingriffe bei Hüftendoprothesen um 41 Prozent und bei Knieendoprothesen um 117 Prozent erhöht, auch dies bereits altersbereinigte Zunahmen.

Es gibt Hinweise darauf, dass in Deutschland zu viel operiert wird.

Das meinen Prof. Dr. med. Hans- Peter Bruch, Uniklinik Lübeck, Prä- sident des Berufsverbandes Deut- scher Chirurgen, und Prof. Dr. med.

Hartwig Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirur- gie. Eine weitgestellte Indikation für die Operation ist nicht unbe- dingt zum Wohl des Patienten: Er trägt das Risiko des Eingriffs, bei häufig fraglichem Nutzen.

Eine Gruppe von Ärzten, bislang vor allem aus dem Bereich der or-

thopädischen Chirurgie, möchte dem entgegenwirken. Initiiert von dem Heidelberger Chirurgen Prof. Dr.

med. Hans H. Pässler haben die Ärz- te das Internetportal „Vorsicht Ope- ration“ eingerichtet (www.vorsicht- operation.de). Darüber sollen sich Patienten nun eine Zweitmeinung einholen können. Sie beantworten online Fragen zu Beschwerden und

Anamnese und senden Röntgenbil- der und kernspintomographische Aufnahmen elektronisch an die Gut- achter. Die Honorare liegen zwi- schen 200 und 600 Euro. Einige Krankenkassen prüfen, die Kosten dafür zu tragen.

Überflüssige OPs vermeiden

„Die Idee des Portals ist ein richti- ges Signal, um das Bewusstsein in der Öffentlichkeit, aber auch in un- serer eigenen Profession dafür zu stärken, dass wir unnötige Opera- tionen vermeiden müssen“, sagte Bauer im Gespräch mit dem Deut- schen Ärzteblatt. Auch Hans-Peter Bruch hält die Intention für richtig, eine ärztliche Zweitmeinung sei ein

„wichtiger Baustein einer transpa- renten und ausgewogenen Patien-

teninformation“. Sie sei allerdings schon gängige Praxis und werde von den Krankenkassen bezahlt – bei deutlich günstigeren Honoraren.

Wie sinnvoll sind Gutachten per Fernberatung? „Das große Problem eines Online-Portals sehe ich darin, dass der direkte Kontakt mit dem Pa- tienten fehlt“, erklärte Bruch. Es sei für jede ärztliche Beratung wichtig, dass der Arzt selbst untersuche, dass er die Person, ihre Wünsche, das so- ziale Umfeld kenne und bei der Indi- kationsstellung berücksichtige. Nur in Ausnahmefällen werde von dieser Praxis abgewichen. „Vor allem bei ei - nem weiten Ermessensspielraum für eine Indikation sollte man sich sehr vorsichtig ausdrücken, wenn man den Patienten nicht kennt“, sagte Bruch.

Pro Jahr werden in Deutschland mehr als 13 Millionen Operationen vorgenommen (Bundesamt für Sta- tistik 2010). Von 2005 bis 2008 stieg ihre Zahl um circa 1,5 Millio- nen. Am Bewegungsapparat wird am häufigsten operiert. Führend sind die arthroskopischen Interven- tionen (circa 600 000): am Gelenk- knorpel, an den Menisken, an der Synovialis und in Form der arthro- skopischen Gelenkrevision.

Die Datenlage spricht nach Mei- nung einiger Ärzte bei einem Teil der Therapien gegen die Indikation.

So hatte eine randomisierte Studie 2002 ergeben, dass die arthroskopi- sche Lavage oder das Debridement bei Patienten mit Knieschmerzen und Gelenkarthrose nicht effekti- ver war als eine Scheinoperation (NEJM 2002; 347: 81–8). Eine spä- tere randomisierte Studie bestätig- te: Die Wirksamkeit einer arthro- skopischen Intervention kombiniert mit einer konservativen Therapie war bei Osteoarthritis am Knie nach sechs und 24 Monaten nicht höher als bei konservativer Therapie allei- Immer mehr

künstliche Gelen- ke: Seit 2003 steigt die Zahl der implan-

tierten Totalendo- prothesen.

GRAFIK

Erstimplantationen von Hüft- und Kniegelenken (Anzahl der stationären Behandlungsfälle pro 10 000 Versicherte)

Hüft-OPs 21,4

22,7

23,8 23,5

25,4 25,3 25,3

14,0

14,8

15,9

17,2

18,9

20,5 21,3

Knie-OPs

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009

Quelle: Barmer-GEK-Report Krankenhaus 2010

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Deutsches Ärzteblatt

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29. August 2011 A 1777 ne (NEJM 2008; 359: 1097–107).

„Die Zahl der arthroskopischen Eingriffe dürfte über dem medizi- nisch Sinnvollen liegen“, sagte Bauer.

Auch bei Vertebroplastien ist die Effektivität strittig. Zwei im Jahr 2009 publizierte randomisierte Stu- dien konnten keinen signifikanten Effekt auf Schmerz und Wirbelsäu- lenfunktion durch Injektion von Knochenzement bei osteoporotisch bedingten Wirbelfrakturen finden (NEJM 2009; 361: 557–68 und 569–79). „Die Europäische Kom- mission hat angefragt, warum in Deutschland achtmal so viele Verte- broplastien pro Million Einwohner vorgenommen werden wie in Frank- reich“, berichtete Bauer. „Wir konn- ten die Frage nicht beantworten. Uns fehlen Patientendaten, die Befunde und Indikationen ausweisen.“ Hier könne das geplante Versorgungs- strukturgesetz Abhilfe schaffen, in- dem Daten der Pa tientenversorgung in anonymisierter Form den relevan- ten Forschungsinstitutionen und den Fachgesellschaften zur Verfügung gestellt würden. Gründe für den Zu- wachs an Operationen gerade bei elektiven Eingriffen sieht Prof. Dr.

med. Peer Eysel, Uniklinik Köln, in geringer Leidensbereitschaft der Pa- tienten bei hoher Technologiegläu- bigkeit und in der Vergütung. Auch Eysel gibt Zweitmeinungen nur nach persönlicher Beratung und Unter - suchung ab. „Für standardisierte Eingriffe sollten Fachgesellschaften Leitlinien zur Indikation erstellen“, meint Eysel. „Es gibt zum Beispiel für die Wirbelsäulenchirurgie de - generativer Erkrankungen keine ein- heitlichen Indikationsschemata. Das - selbe Röntgenbild führt bei zehn Ärzten zu zehn unterschiedlichen Ratschlägen.“

Ökonomischer Druck, die Finan- zierung der stationären Versorgung über Fallpauschalen, aber auch Min- destmengenregelungen zur Quali- tätssicherung könnten Fehlentwick- lungen fördern. „Wenn sich eine Klinik ein Segment erhalten möchte und es fehlt Ende Dezember noch genau eine Knieendoprothesenim- plantation, kann man sich schon vorstellen, dass im Einzelfall eine Indikation weit gestellt wird“, sagte Bruch. Aber das sei sicher die Aus-

nahme. Mit dem Slogan des Portals

„Vorsicht Operation“ würden Ärz- te unter Generalverdacht gestellt:

„Das könnte ein prinzipielles Miss- trauen hervorrufen und das Arzt-Pa- tienten-Verhältnis stören. Die meis- ten Kollegen verhalten sich korrekt.“

Das Landessozialgericht Berlin hält den Mindestmengenbeschluss vom Gemeinsamen Bundesausschuss für die Knieendoprothesen für nicht zulässig. Das erst kürzlich gefällte Urteil ist aber noch nicht rechts- kräftig (dazu auch Seite eins).

Sinnvolle Debatte angestoßen Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesell- schaft, sieht nicht, dass in Kranken- häusern zu viel operiert wird. Finan- zielle Gründe spielten bei einer OP keine Rolle. „Die Entscheidung zur Operation fällt allein aufgrund der medizinischen Indikation“, betonte Baum. Gerade bei langwierigen Krankheitsverläufen wie Hüft- oder Knieleiden werde die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen.

Der GKV-Spitzenverband be- grüßt, dass mit „Vorsicht Operation“

eine Diskussion über Fehlentwick- lungen in Gang gekommen sei. „Die Initiative zeigt, dass sich auch inner- halb der Ärzteschaft die Erkenntnis durchsetzt, dass es immer wieder auch unnötige Operationen gibt“, teilte Verbandssprecher Florian Lanz

auf Anfrage mit. Dass die Kranken- kassen die Beratung im Internet be- zahlen, kann sich Lanz aber nicht vorstellen. „Wenn wir Online-Zweit- meinungen regelhaft bezahlen wür- den, dann würden wir akzeptieren, dass die Qualität bei der medizini- schen Diagnose und Beratung so schlecht ist, dass dies notwendig wird“, erklärte Lanz. Es gelte, dafür zu sorgen, dass solche Portale, so hilfreich sie im Einzelfall sein könn- ten, insgesamt nicht notwendig seien.

Der Medizinrechtler Dr. jur. Al- brecht Wienke aus Köln hat berufs- rechtliche Bedenken: Die Teilnah- me deutscher Ärzte am Portal mit Sitz in der Schweiz könnte gegen die (Muster-)Berufsordnung versto- ßen. Dort heiße es in § 7 Absatz 3, dass Ärztinnen und Ärzte individu- elle Behandlung, insbesondere auch Beratung, weder ausschließlich brief- lich noch in Zeitungen oder Zeit- schriften noch ausschließlich über Kommunikationsmedien oder Com- puterkommunikationsnetze durch- führen dürften. Die Ärztekammer Nordrhein etwa habe diesen Passus unverändert in die Berufsordnung übernommen. Da eine Beratung ohne Patientenkontakt nicht aus- nahmsweise, sondern systematisch angeboten würde, sei sie berufs- rechtlich bedenklich, sagte Wienke.

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Dr. med. Birgit Hibbeler

Primum nil nocere – dem Pa- tienten nicht schaden: Haben die Ärzte diesen Grundsatz vergessen?

Pässler: So ist es. Das liegt aber nicht an den Ärzten selbst, sondern daran, dass unsere Medizin sehr kommerzialisiert ist. Da wird dann schon einmal die eine oder andere Indikation gestellt, die nicht notwendig wäre. So ufern die OP-Zahlen aus. Das ist ein Systemfehler.

Die Ärzte werden da hineinge- lockt und sind darin gefangen.

Wie sind die Reaktionen auf Ihr Internetportal? Gibt es auch Kollegen, die Sie als Nestbeschmutzer sehen?

Pässler: Bisher sind die Reaktio- nen positiv. Es haben sich sogar noch weitere Kollegen gemeldet, die auch gern mitmachen wol- len. Von Patientenseite ist das Inter esse wahnsinnig groß. Wir hatten schon Tage mit mehr als 100 000 Klicks.

Geht es Ihnen um die Zweit- meinung in Einzelfällen oder

wollen Sie eine grundlegen- de Debatte anstoßen?

Pässler: Sicher ist eine grund- legende Debatte notwendig. Im Krankenhaus haben wir die lei- digen DRGs und Mengenverein- barungen, die man nicht unter- schreiten will. Auch ambulante Operateure stehen unter wirt- schaftlichem Druck. Für uns Ex- perten im Ruhestand geht es aber bei unserem Angebot zur Online-Zweitmeinung auch dar - um, eine schöne und sinnvolle Aufgabe zu haben.

3 FRAGEN AN . . .

Prof. Dr. med. Hans H. Pässler (71), Chirurg und Unfallchirurg, Initiator von www.vorsicht-operation.de

P O L I T I K

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