A390 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009
M E D I Z I N R E P O R T
N
ach dem Abbruch der klini- schen Studie der US-amerika- nischen Women’s Health Initiative (WHI) hat sich das Brustkrebsrisiko der postmenopausalen Frauen, die keine Hormontherapie mehr erhiel- ten, rasch normalisiert. Auch unter den Teilnehmerinnen der WHI-Beob- achtungsstudie ist es seit 2002 zu ei- nem Rückgang der Mammakarzino- me gekommen. Dies zeigt eine Publi- kation im „New England Journal of Medicine“ (2009 360: 573–87), die auch eine Verzerrung der Daten durch eine unterschiedliche Akzeptanz der Mammografie ausschließt.Die WHI-Studie aus dem Jahr 2002 hat das Ende der früheren Hormontherapie (HT) eingeläutet.
In den USA fielen die Verordnungs- zahlen von 60 Millionen im Jahr 2001 auf 20 Millionen im Jahr 2005.
Auch die Brustkrebsrate ist in den USA in den Folgejahren gesun- ken. Dennoch wurde ein Zusam- menhang von einigen Experten be- zweifelt. Sie vermuteten, dass die veränderte Akzeptanz der Mammo- grafie für den Rückgang der Brust- krebsinzidenz verantwortlich sei.
Diesen Einwand kann die Nachbe- obachtung der mehr als 15 000 Teil- nehmerinnen der klinischen Studie jetzt entkräften.
Hohe Akzeptanz der Mammografiekontrollen
Während der Studie waren alle Frau- en angehalten worden, jährlich zur Mammografie zu gehen. Hieran hat- ten sich während der durchschnitt- lich 5,6 Jahre der Studie etwa vier von fünf Frauen gehalten (ohne Un- terschiede zwischen Placebo- und Therapiearm der Studie). Auch in den ersten 2,5 Jahren nach dem Abbruch der Studie, die Rowan Chlebowskivon der Universität von Kalifornien in Los Angeles und Mitarbeiter jetzt ausgewertet haben, hat sich an dieser hohen Akzeptanz wenig geändert – wiederum ohne Unterschiede zwi- schen Frauen aus dem ehemaligen Placebo- und Therapiearm der Studie.
Die Studie dokumentiert außer- dem ein über die Dauer der Arznei- mitteleinnahme linear ansteigendes Hormonrisiko: Je länger die Präpa- rate mit 0,625 mg equines Östrogen plus 2,5 mg Medroxyprogesteron eingenommen wurden, desto mehr Mammakarzinome traten zusätzlich auf. Die Hazard-Ratio betrug am Ende 1,26 (95-Prozent-Konfidenz- intervall 1,02–1,55). Nach dem Ab- bruch der Studie nahm das Risiko wiederum linear ab. Der Abfall war aber steiler als zuvor der Anstieg, und bereits nach 2,5 Jahren hatte sich das Risiko wieder normalisiert (Hazard-Ratio 1,27 (95-Prozent-Kon- fidenzintervall 0,91–1,78).
Neben der placebokontrollierten Interventionsstudie begann 1994 ei- ne WHI-Beobachtungsstudie. Hier wurde die Therapie nicht durch das Los bestimmt; die Frauen durften selbst entscheiden, ob sie eine Hor- monersatztherapie wünschten oder nicht. Es wurde aber engmaschig kontrolliert, welche Auswirkungen die Medikation hatte.
Zu Beginn der Studie hatten sich 40 Prozent der Frauen für die Hor- mone entschieden. Als die klinische WHI-Studie 2002 abgebrochen wur- de, erhielten die Teilnehmerinnen ein Informationsschreiben zu den Ergebnissen. Es blieb ihnen aber weiter freigestellt, die Hormone ein- zunehmen.
Vor dem Jahr 2002 hatte die Inzi- denzrate eines Mammakarzinoms bei den Frauen, die zu Beginn der Studie
bereits Hormone eingenommen hat- ten, etwa doppelt so hoch gelegen wie bei den Frauen, die keine Einnahme angegeben hatten. Seit viele Frauen auf eine Hormontherapie verzichten, ist die Hazard-Ratio gesunken, wenn auch nicht auf 1,0 (Nulleffekt) – ver- mutlich, weil einige Frauen weiterhin Hormonpräparate einnehmen.
So eindeutig diese Vorher-Nach- her-Gegenüberstellung auch ausfal- len mag, so überzeugt sie doch nicht alle Fachgesellschaften von einer Ur- sache-Wirkung-Beziehung. Der Prä- sident der International Menopause Society, David Sturdee, meinte ge- genüber der Presse, der Rückgang der Brustkrebsinzidenz (in der Be- völkerung) habe doch schon vor dem Ende der WHI-Studie begonnen.
Ist der zeitliche
Zusammenhang gegeben?
Er betrachtet ebenso wie Gwendo- lyn Fisher, eine Sprecherin der be- troffenen Firma Wyeth (die das in der Studie verwendete Präparat ver- treibt), eine Nachwirkung der guten Mammografie-Akzeptanz seit den 1990er-Jahren als Ursache des Brust- krebsrückgangs.
Sturdee hält es für biologisch nicht plausibel, dass die Krebsrate so schnell nach dem Absetzen der Hormone zurückgehen soll. Dahin- ter steht der Gedanke, dass zwi- schen der Entstehung eines Karzi- noms und seiner Manifestation meis- tens mehrere Jahre liegen.
Sturdee verkennt dabei mögli- cherweise, dass die Hormone nicht notwendiger Initiator des Mamma- karzinoms gewesen sein müssen.
Als Wachstumshormon könnten sie aber die Zeit bis zur Manifestation beschleunigt haben. I Rüdiger Meyer