A2706 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 50⏐⏐12. Dezember 2008
B R I E F E
wohl über den Tod eines geliebten Kindes hinweggetröstet? Oder haben die Eltern das Geld nach Erhalt ge- spendet für Intubationskurse junger Notärzte, um anderen Eltern dieses Schicksal zu ersparen? Nein, auch die Eltern haben „übliches“ Verhal- ten an den Tag gelegt . . . Was bringt es, wenn man nachher auf erfolglose Ersthelfer – Ärzte – mit juristischen Mitteln eindrischt? Es wird nur so sein, dass eines Tages keine Ersthel- fer mehr überall verfügbar sind oder man sich auf eine juristisch korrekte Minimalversion der Ersthilfe be- schränkt . . . Allen Beteiligten spre- che ich meine tiefe Anteilnahme aus und hoffe, dass das Schicksal mich vor solchen Situationen verschont.
Dr. Christoph Liebrecht,Kohlbrink 8, 49324 Melle
Ein Novum
Vielen Dank! Ein Beitrag mit dieser Blickrichtung ist ein Novum, und der Artikel hat mich sehr berührt. Dass eine schwer betroffene Mutter die Größe besitzt, nicht nur über ihr ei- genes Leid zu sprechen, sondern auch die andere Seite und deren Tra- gik sehen kann, ist ungewöhnlich und für mich als Ärztin ein Zeichen dafür, dass da noch viel Handlungs- bedarf besteht. Wieso wird es uns Ärzten so schwer gemacht, zu den Fehlern zu stehen und sie auch auf der persönlichen Ebene mit den Be- troffenen zu kommunizieren? Fehler unterlaufen auch Ärzten, und jede(r), der schon länger im Beruf steht, wird mit diesem Thema konfrontiert wor- den sein. Und mit der Schuldfrage dann so ziemlich alleine dastehen.
Auf der rechtlich formalen Seite be- steht der Druck, den Fehler mög- lichst abzustreiten oder klein zu ma- chen. Auf keinen Fall soll er zugege- ben werden, weil es sonst Probleme mit der Versicherung gibt und der Ruf in Gefahr gerät. Dass damit die Schuld und die Tragik in Wirklich- keit für beide Seiten noch größer werden und eine persönliche Verar- beitung nahezu unmöglich gemacht wird, das wird übersehen. Ich glaube nicht, dass Ärzte mehr oder schlim- mere Fehler machen würden und auch nicht, dass nicht trotzdem über angemessene Entschädigungen or- dentlich verhandelt werden könnte,
wenn ein offener und persönlicher Umgang mit Fehlern zusammen mit den Patienten Normalität wäre. Aber es könnte viel persönliches Leid da- durch gemildert werden . . .
Elisabeth Steinle-Paul,
Heinrich-Baumann-Straße 7, 70190 Stuttgart
Eigene Erfahrung
Im Fall eines Behandlungsfehlers empfiehlt die Autorin und Mutter von Jule, mit dem betreffenden Pati- enten Kontakt aufzunehmen und sich zu entschuldigen. Genau dies blieb mir verwehrt, als mir vor eini- gen Jahren bei einer mir bis dahin unbekannten Patientin ein Fehler un- terlief. Als ich von dem Fehler drei Tage später erfuhr, weil der Ehe- mann der Patientin mich bei der Bezirksärztekammer verklagte und mir den Brief nachrichtlich zukom- men ließ, war ich sehr betroffen.
Daher versuchte ich sofort, mit der Patientin, die im Krankenhaus lag, Kontakt aufzunehmen und bat um die Erlaubnis, sie sprechen zu dür- fen. Sowohl sie als auch die Ange- hörigen verweigerten mir dies aus- drücklich. Nach mehreren Monaten des Wartens wurde durch die Be- zirksärztekammer, da ich ja alles zu- gab, ein Behandlungsfehler festge- stellt, und zwar in Abwesenheit der betroffenen Patientin, die ich an- schließend auch nie mehr gesehen habe. Nach mehreren weiteren Mo- naten erhielt ich einen Brief vom Rechtsanwalt dieser Patientin, in dem ich zu Schadensersatz aufgefordert wurde, dies obwohl die Patientin vorher versichert hatte, es ginge ihr nur darum, meinen Behandlungsfeh- ler festzustellen, um meine weiteren Patienten „zu schützen“. Nach wei- teren drei Jahren qualvollen Wartens wurde endlich ein finanzieller Ver- gleich ausgehandelt. Das Schlimms- te war nicht die Höhe dieser Summe, sondern die jahrelange, zermürben- de Warterei. Leider muss ich aus meiner Erfahrung fast den Schluss ziehen, dass es besser ist, einen Be- handlungsfehler nicht gleich zuzu- geben, um sich nicht schutzlos dem Patienten und dessen Angehörigen auszuliefern . . .
Dr. med. Sieglind Zehnle,Talstraße 23, 73760 Ostfildern