D
ie Tatsache, dass das Bundesge- sundheitsministerium (BMG) den Konflikt auf der Ebene der Selbst- verwaltung mit einer Ersatzvornahme auf gesetzlicher Grundlage zu lösen versucht, sei noch längst kein Indiz dafür, dass die Selbstverwaltung zwi- schen Leistungserbringern und Kosten- trägern gescheitert sei. Vielmehr ist aus der Sicht der Deutschen Krankenhaus- gesellschaft e.V. (DKG), Düsseldorf, die gemeinsame Selbstverwaltung weiter in der Pflicht, die Optionslösung 2003 für die Einführung von diagnosebezoge- nen Fallpauschalen (DRG) rasch zu prüfen. Dies erklärte DKG-Hauptge- schäftsführer Jörg Robbers, Düsseldorf, bei den jüngsten Biersdorfer Kranken- haus-Managergesprächen am 13. Sep- tember in Biersdorf bei Bitburg (Eifel).Die DKG hat zusammen mit dem Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands e.V. anlässlich der jüng- sten Anhörung zur Optionsregelung bedauert, dass wegen der Blockadehal- tung der Krankenkassenspitzenver- bände (mit Ausnahme des AOK-Bun- desverbandes) und von ärztlichen Or- ganisationen die derzeitig „praktizier- te leistungsfeindliche Vergütung“, ver- bunden mit der zehnjährigen Budget- deckelung, vorerst beibehalten werden solle.
Viele Krankenhäuser – Insider spre- chen von mehr als 500 – würden sich für den Systemumstieg auf freiwilliger Ba- sis entscheiden, nachdem bereits er- hebliche finanzielle und personelle Ressourcen investiert worden seien. Ei- ne Verschiebung des Einführungster- mins auf den 1. Januar 2004 führe dazu, dass der Elan derjenigen, die ein „ler- nendes System“ bereits vor dem obliga- torischen Termin 2004 erproben woll- ten, ohne Grund erlahme.
Das von der Bundesärztekammer empfohlene freiwillige Simulationsmo- dell im Jahr 2003 ist aus der Sicht von DKG-Hauptgeschäftsführer Robbers nicht ausreichend, um das System, die Software und die Abläufe in den Kran- kenhäusern im Hinblick auf die System- entwicklung zu erproben. Allerdings dürfe das Übergangssystem im Jahr 2003 keine präjudizierenden Wirkungen für das verbindliche DRG-System ab 2004 haben. Zunächst trage allein das Bun- desministerium für Gesundheit die poli- tische und fachliche Verantwortung für das vorläufige DRG-System. Bis zum Übergang könnten Korrekturen vorge- nommen werden – bis hin zu der Mög- lichkeit, zum Ausgangspunkt zurückzu- kehren, ohne dass dadurch Schäden für die Finanzierungspraxis der Kranken- häuser angerichtet werden. Die um- stiegswilligen Krankenhäuser müssten zusammen mit den Krankenkassen aus- reichend Erfahrungen sammeln, ehe ei- ne flächendeckende Einführung erfolgt.
Milchmädchenrechnung der Krankenkassen
Die Blockadehaltung der Spitzenver- bände beruhe auf falschen Annahmen und unzutreffenden Rechnungen. Je- denfalls, so Robbers in Biersdorf, seien die Berechnungen von Krankenhausex- perten der Ersatzkassenverbände, die zu einer Kostenausweitung in Höhe von zwei Milliarden Euro jährlich kommen, eine leicht zu durchschauende Milch- mädchenrechnung. Es könne nicht sein, dass bei einer unterstellten Verweildau- erverringerung um zwei Tage die Kran- kenhäuser in gleichem Maße voll belegt würden. Allerdings müsse bei Umstel- lung auf das DRG-Fallpauschalensy-
stem gleichzeitig das sektorale Kranken- hausbudget abgeschafft werden. Rob- bers: „Andernfalls können Sie die DRGs wegschmeißen.“
Der Vorrang der Selbstverwaltung bei der Ausgestaltung und Umsetzung des DRG-bezogenen Fallpauschalensy- stems dürfe nicht leichtfertig und vor- schnell preisgegeben werden, um alle Befugnisse dem Staat (BMG) zu über- antworten. Der große Vorzug der ge- meinsamen Selbstverwaltung von Lei- stungserbringern und Kostenträgern (GKV; PKV) sei es jedenfalls, mit Sach- verstand und Praxisbezug die jüngsten Detailregelungen zu entwerfen und ge- meinsam zu beschließen. Die jetzigen Auseinandersetzungen um das Opti- onsmodell und die Anschlussregelun- gen hätten erneut gezeigt, wie einseitige Interessenlagen eine konfliktreiche Umsetzungsmaterie überlagerten, ohne ein termingerechtes Handeln unter Be- weis zu stellen. Jedenfalls seien die Aus- einandersetzungen in den Gremien der Selbstverwaltung intensiver und praxis- gerechter als ein auf wenige Stunden und Tage bemessenes Hearing auf der Fachebene des Bundesgesundheitsmi- nisteriums oder vor parlamentarischen Ausschüssen, so Robbers.
Als Nachteil der Selbstverwaltungs- lösung bezeichnete Robbers deren Konfliktträchtigkeit und die Tatsache, dass enorme finanzielle und personelle Ressourcen zulasten der Verbände ab- sorbiert werden. Bei einer Selbstver- waltungslösung müsse der Gesetzgeber für eine objektivierbare und saubere Konfliktlösung und ein zeitliches Re- glement sorgen, damit die politisch not- wendigen und fachlich erforderlichen Voraussetzungen für das Finanzie- rungssystem und die Strukturentwick- lung geschaffen werden können, beton- P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 3927. September 2002 AA2521
Krankenhäuser
Selbstverwaltung weiter in der Pflicht
Deutsche Krankenhausgesellschaft plädiert
für weitere Öffnung der Krankenhäuser.
te Robbers vor den Krankenhausmana- gern in Biersdorf.
Skeptisch beurteilt Robbers die bis- herigen Arbeiten des neu errichteten Koordinierungsausschusses auf Selbst- verwaltungsebene gemäß § 137 e SGB V. Die Deutsche Krankenhausgesell- schaft als gesetzlich bestimmter Mitträ- ger und Mitfinanzier dieses Ausschus- ses müsse zwar jährlich mehr als 400 000 Euro aus Verbandsmitteln bei- steuern, die Reglements des Gremiums, die für die Krankenhausträger vorteil- haft sind, waren aus der Sicht der DKG bisher eher mager. Hinzu komme eine Doppelbesetzung des Koordinierungs- ausschusses und des neu errichteten Krankenhausausschusses gemäß § 137 c SGB V durch ein und dieselbe Person (Karl Jung, 73, ehemaliger Abteilungs- leiter und zuletzt beamteter Staatsse- kretär im Bundesministerium für Ar- beit und Sozialordnung, Bonn).
Integrationsversorgung:
Dreh- und Angelpunkt
In seinem für die neue Legislaturperi- ode avisierten „Krankenhaus-Sofort- programm“ bezeichnet die DKG die bisher lahmende Integrationsversor- gung und die Beteiligung der Kranken- häuser an der klinikambulatorischen Versorgung als Dreh- und Angelpunkt einer grundlegenden Reform. Jeden- falls würden es die Krankenhäuser und deren Spitzenorganisationen nicht län- ger hinnehmen, wenn die Kranken- häuser als Vertragspartner bei den am 1. Juli 2002 gestarteten Disease-Man- agement-Programmen (DMP) ausge- sperrt blieben. Die DMP und die Inte- grationsversorgung seien die idealen Instrumente, um die bisher abgeschot- teten Sektoren der ambulanten und stationären Versorgung besser zu ver- zahnen.
Bei sämtlichen für die DMP ausge- wählten Erkrankungen seien die Kran- kenhäuser ebenso wie die niedergelas- senen Ärzte und die Rehabilitations- einrichtungen „geborene“ Träger der Krankenversorgung, so Robbers. Den Krankenhausträgern gehe es nicht um alles oder nichts, sondern um eine fai- re Beteiligung am Versorgungsgesche- hen. Dr. rer. pol. Harald Clade
P O L I T I K
A
A2522 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 3927. September 2002
G
esetzlich Versicherte hatten die Möglichkeit, Schulnoten für das Gesundheitssystem zu vergeben.Mit der Verteilung guter Zensuren wa- ren sie bescheiden. Nur etwa 37 Pro- zent beurteilten das Gesundheitswe- sen mit den Noten „sehr gut“ oder
„gut“. 69 Prozent meinten, dass es in Deutschland eine Zwei-Klassen-Medi- zin gebe.
Das geht aus einer Umfrage des Mei- nungsforschungsinstituts Emnid hevor, das im Auftrag des Verbandes For- schender Arzneimittelhersteller (VFA) 1 932 Bundesbürger über 18 Jahre zu den Themen Gesundheitspolitik und Arzneimittelversorgung befragte. Auf- schlussreich: Eine Lösung der Proble- me wird weder der Regierung noch der Opposition zugetraut.
Unterversorgung als
„Patientenalltag“
Die Umfrage zeige, dass Einschränkun- gen in der Arzneimittelversorgung wei- terhin zum Patientenalltag gehören, sagte Cornelia Yzer, Hauptgeschäfts- führerin des VFA, auf einer Pressekon- ferenz in Berlin. Die Ablösung der Arz- neimittelbudgets durch regionale Ziel- vereinbarungen habe das Problem der Unterversorgung nicht ausräumen kön- nen. So berichteten 31 Prozent der Be- fragten von eigenen Erfahrungen, in de- nen sie gesundheitliche Nachteile in der Versorgung mit Arzneimitteln sehen:
Die Verschreibung eines Medikaments sei abgelehnt worden. Aus Sicht des
VFA ist diese Form der Unterversor- gung mit Arzneimitteln inzwischen Pa- tientenalltag.
Anderer Auffassung ist der Bundes- verband der Betriebskrankenkassen (BKK), der in Berlin die Entwicklun- gen im Arzneimittelbereich für die Ge- setzliche Krankenversicherung im Jahr 2001 kritisierte. „Der auch 2002 kaum gebremste Anstieg der Arzneimittel- ausgaben birgt genug Sprengstoff, um die Finanzen der Gesetzlichen Kran- kenversicherung aus der Bahn zu wer- fen“, befand Wolfgang Schmeinck, Vor- standsvorsitzender des BKK-Bundes- verbandes. Der Anstieg im ersten Halb- jahr 2002 von „nur“ 3,9 Prozent pro Mitglied sei ausschließlich auf eine Gesetzesmaßnahme, das so genannte Sparpaket, zurückzuführen. Die Ko- stendämpfung wirke jedoch lediglich als einmaliger Sockeleffekt im Jahre 2002.
BKK: Die Ärzte sind in der Verantwortung
Schmeinck forderte strukturelle Ände- rungen, die über den Tag hinaus wirken.
„Die Ärzte sind in der Verantwortung, durch ihr Verschreibungsverhalten die Arzneimittelausgaben auf ein vernünfti- ges Maß zurückzuführen“, sagte er. Das von den Kassenärztlichen Vereinigun- gen vorgebrachte Argument, für eine Ausgabensteuerung in der Arzneimittel- versorgung fehlten die notwendigen Da- ten von den Krankenkassen, könne nicht mehr gelten, meinte der Vorsitzende des BKK-Bundesverbandes.
Der Vorsitzende der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung, Dr. med.
Manfred Richter-Reichhelm, sieht dies anders: „Die Kassen suchen nach Schul- digen dafür, dass sie mit ihrem Geld nicht mehr auskommen.“ Dass die Pati- enten mehr Arzneimittel gebraucht ha- ben, komme den Krankenkassen gera- de recht. Die Ausgaben für Medika- mente seien im ersten Halbjahr 2002 nur moderat gestiegen, meinte Richter- Reichhelm. Sie stünden bei den Ausga- bensteigerungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung erst an sechster Stelle. Wenn nun die Beitragssätze an- gehoben würden, dann sei das schon lange vorbereitet. Susanne Lenze