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Archiv "Sexuell übertragbare Infektionen: Ein „Unglück“ kommt selten allein" (24.01.2014)

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A 126 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 4

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24. Januar 2014

S

eit etwa zehn Jahren hat die Ausbreitung sexuell übertra- gener Infektionen (STI) eine neue Dynamik entwickelt. Darunter sind neben HIV vor allem Syphilis, Go- norrhö, Genitalherpes sowie Infek- tionen mit Chlamydien und hu - manen Papillomviren zu verstehen.

Jährlich erkranken weltweit mehr als 340 Millionen Männer und Frauen, vorrangig zwischen 15 und 49 Jahren. „Allen Screeningunter- suchungen zum Trotz verteidigt Chlamydia trachomatis erfolgreich ihren Spitzenplatz als häufigste STI, immer häufiger sehen wir HIV-Infektionen bei älteren Män- nern, und die Zahl der Syphiliser- krankungen schnellt in die Höhe“, sagte Prof. Dr. med. Norbert Brock- meyer beim 38. Interdisziplinären Forum der Bundesärztekammer in Berlin. „Die Inzidenz für Syphilis liegt inzwischen bei etwa 5,5 pro 100 000 Personen und entspricht damit in Deutschland der Häufig- keit des Diabetes Typ 1.“

Der Präsident der Deutschen STI- Gesellschaft (DSTIG) und Leiter des Zentrums für sexuelle Gesundheit an der Ruhruniversität Bochum betonte,

dass sich neben den klas sischen Epi- demiologien gleichzeitig neue entwi- ckelten. Die sexuell übertragene He- patitis C sei zu einer festen Größe ge- worden, und das vergessen geglaubte Lymphogranuloma venereum erlebe in Gestalt der LGV(Lymphogranulo- ma venereum)-Proktitis eine uner- wartete Renaissance. „Die STIs sind zurück, vielfach auch als Koinfektio- nen“, betonte Brockmeyer. Denn je- de einzelne Infektion begünstige die Übertragung einer anderen. So ver- dopple sich bei HPV-Infektion das Risiko für eine additive HIV-Infek - tion. Dies erschwere den Verlauf und die Therapie.

Zu berücksichtigen sei außer- dem, dass infolge geänderter Sexu- algewohnheiten Mundhöhle und Anus zu primären Manifestations- orten von STIs werden – auch bei heterosexuellem Verkehr. „Gleich- zeitig beobachten wir immer mehr Antibiotikumresistenzen, so dass eine empirische Therapie der Go- norrhö demnächst unmöglich zu werden droht“, sagte Brockmeyer.

Für Dr. med. Petra Spornraft-Ra- galler, Oberärztin an der Techni- schen Universität in Dresden, ist es

kritisch, dass eine bundesweite Meldepflicht zu Gonorrhö fehlt.

Denn die sächsische Meldeverord- nung zeige im Einklang mit ande- ren europäischen Ländern eine ver- gleichbare Inzidenz, die 2010 über dem EU-Durchschnitt lag und 2012 mit geschätzten 15 000 bis 16 000 Gonorrhöfällen deutlich angestie- gen ist.

Nur mit Kulturen sind Resistenzdaten zu gewinnen

„Diagnostisch hat der mikroskopi- sche Direktnachweis von Neisseria gonorrhoeae in geübten Händen nach wie vor seine Berechtigung“, so Spornraft-Ragaller. Sinnvoll sei er allerdings nur bei der symptoma- tischen gonorrhoischen Urethritis des Mannes. Seit Verfügbarkeit der PCR (Polymerase Chain Reaction) werde die Kultur nicht mehr so häu- fig durchgeführt, „aber nur mit ihr sind Resistenzdaten zu gewinnen“, betonte die Dermatologin. Die An- zucht sollte daher unbedingt intensi- viert und der Nachweis von Resisten- zen gegen Cephalosporine an die zu- ständigen Stellen gemeldet werden.

Die antibiotische Resistenz von N. gonorrhoeae nehme seit Jahren ständig zu, auch gegen Cephalospo- rine der dritten Generation. „Diese letzte Substanzklasse für die kal - kulierte Therapie der Gonorrhö könnte in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichend wirksam sein, ebenso das nahezu weltweit als First-Line-Therapie empfohlene Cef- triaxon“, so Spornraft-Ragaller.

Die WHO habe deshalb 2012 ei- nen Aktionsplan zur antimikrobiel- len Surveillance initiiert. In den USA und in Europa wurden die Therapieleitlinien entsprechend an- gepasst; auch in Deutschland liege nun ein interdisziplinär geprüfter Leitlinienentwurf vor, der zur un - gezielten Behandlung der unkom- plizierten Gonorrhö ebenfalls eine Gespräche über das eigene se-

xuelle Leben sind auch im me- dizinischen Kontext sehr häufig mit Scham, Scheu, Zurückhal- tung und Tabus verbunden.

„Wichtig ist, dass eine Kommu- nikation in diesem Spannungs- feld zwischen Tabu und Hilfsan- spruch gelingt – vertrauensvoll und ohne moralische Vorbehal- te“, so Prof. Dr. med. Norbert Brockmeyer beim Interdiszipli- nären Forum der Bundesärzte- kammer in Berlin. Der Präsident

der Deutschen Gesellschaft für sexuell übertragbare Infektio- nen empfiehlt, das Thema Se- xualität als „festen Bestandteil der Anamnese“ zu implemen- tieren – insbesondere bei Ju- gendlichen.

Abhängig vom Anlass variie- ren Art und Umfang von Bera- tung sowie Diagnostik (Sym - ptomabklärung, Risikosituation, Risikoverhalten). „Beratung von jungen Erwachsenen, MSM oder Sexarbeiterinnen erfordern

situativ angepasste, daher mög- licherweise höchst unterschied- liche Herangehensweisen und Verläufe“, sagte Brockmeyer.

Denn das Risiko für eine sexuell übertragene Infektion sei abhän- gig von Sexualpraktiken, Alter, Geschlecht, Anzahl von Sexual- kontakten mit unterschiedlichen Partnern. Entsprechend dieses persönlichen Risikoprofils seien Diagnostik und Therapie auszu- wählen – auch bei den Sexual- partnern (www.DSTIG.de). zyl

BERATUNG NACH RISIKOPROFIL

SEXUELL ÜBERTRAGBARE INFEKTIONEN

Ein „Unglück“ kommt selten allein

38. Interdisziplinäres Forum der Bundesärztekammer: Die Inzidenz für Syphilis und Gonorrhö steigt stark an. Auch Koinfektionen mit mehreren Erregern nehmen zu.

M E D I Z I N R E P O R T

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Deutsches Ärzteblatt

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24. Januar 2014 A 127 duale Therapie mit einem Gramm

Ceftriaxon und 1,5 Gramm Azithro- mycin vorsieht. Das bisher übliche oral verabreichte Cefixim (400 mg p. o.) sollte nur noch in Ausnahme- fällen eingesetzt werden.

Unter den klassischen Ge- schlechtskrankheiten ist die Syphi- lis derzeit die einzige Erkrankung, die seit Einführung des Infektions- schutzgesetzes noch an das Robert- Koch-Institut gemeldet wird. Daher existieren verlässliche Zahlen zu ihrer Ausbreitung in Deutschland.

Danach ist es in den letzten Jahren zu einem deutlichen Anstieg der Syphiliserkrankungen gekommen, überwiegend bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). So wurden 2012 mehr als 4 400 neue Fälle gemeldet; das sind etwa 20 Prozent mehr als im Vorjahr.

Dieser Trend ist nach Angabe von Prof. Dr. Helmut Schöfer, Oberarzt an der Johann-Wolfgang- Goethe-Universität in Frankfurt/M., nicht nur auf eine höhere Zahl von Testungen zurückzuführen, sondern auf die häufiger gestellte Diagnose von Infektionen im Primärstadium.

„Die klinische Diagnostik des geni- toanalen Primäraffekts ist relativ einfach im Vergleich zu den außer- ordentlich vielfältigen Manifesta- tionen der Sekundärsyphilis“, sagte Schöfer. „In der Regel führt der an- amnestische oder klinische Ver- dacht auf eine STI zu einer serolo- gischen Untersuchung auf spezifi- sche Antikörper gegen Treponema pallidum.“ Vielfach habe die einfa- chere Partikel-Agglutination (TPPA- Test) den Hämagglutinations-Assay (TPHA) als Suchtest abgelöst. Als Bestätigungsteste dienten polyva- lente Immunoassays mit alternati- vem Antigenkonzept.

Lumbalpunktion ist indiziert ab Stadium Sekundärsyphilis

Die Behandlungsbedürftigkeit wird mit quantifizierbaren Tests auf Li- poidantikörper oder spezifisches IgM überprüft. „Soforttests sind hinsichtlich Sensitivität und Spezi- fität zwar einsetzbar, erbringen aber gegenüber den Standardverfahren keine wirklichen Vorteile“, betonte Schöfer. Eine Lumbalpunktion sei indiziert ab dem Stadium der Se-

kundärsyphilis bei allen Patienten mit neurologischen/psychiatrischen Symptomen, ebenso bei HIV-Pa- tienten mit schwerer Immundefi- zienz (CP4 < 200 Zellen/gl) auch ohne Syphilis-typische Symptome.

Die parenterale Gabe von Peni- cillin ist in allen Erkrankungssta- dien die Therapie der Wahl. Die Frühsyphilis wird einmalig mit 2,4 Mio. IE Benzathin-Benzylpeni- cillin i. m, die Spätsyphilis dreimal im wöchentlichen Abstand behan- delt. Resistenzen gegen Penicillin sind für Treponema pallidum bisher nicht bekannt. Orale Therapien mit Doxycyclin oder Makrolidantibioti- ka sollten nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden, da sie weni- ger zuverlässig sind.

Die Therapie der Neurosyphilis wird mit wässrigem Penicillin G i. v. durchgeführt. Die stadienge- rechte Dosierung erfolgt unabhän- gig vom HIV-Status der Syphilispa- tienten. Der Erfolg der Therapie

sollte vierteljährlich über zwölf Mo- nate kontrolliert werden und bein- haltet neben der klinischen Abhei- lung auch die Serologie. Eine ak- tualisierte S2k-Leitlinie der DSTIG zur Diagnostik und Therapie steht kurz vor der Veröffentlichung.

Die weltweit häufigste Ursache bakteriell sexuell übertragener In- fektionen sind Chlamydien. Wäh- rend Infektionen mit den Serotypen D-K von Chlamydia trachomatis meistens mit einer milden Sympto- matik assoziiert sind, verursachen die Serotypen L1-L3 als Auslöser des Lymphogranuloma venereum überwiegend schwerere Verlaufs- formen.

„Da die Mehrzahl der Infektio- nen keine unmittelbaren Beschwer- den auslöst, sind symptomfreie Be- troffene das wichtigste Reservoir für die Weiterverbreitung“ sagte Dr.

med. Heinrich Rasokat, Dermatolo- ge an der Universitätsklinik Köln.

In Sachsen wurde eine deutliche Steigerung der gemeldeten Infek- tionen von 26,3 pro 100 000 Ein- wohner in 2003 auf 102 in 2012 be- obachtet. Akut verursacht der Erre- ger bei Frauen Cervicitiden sowie Urethritiden mit dem sogenannten Dysurie-Pyurie-Syndrom. Zu den möglichen Spätfolgen gehören In- fertilität, ektope Schwangerschaft, Frühgeburt und Abort. Bei Män- nern sind die Urethritis, Epididymi- tis und Prostatitis typische Sympto- me. „Ist die Diagnose geklärt, müs- sen beide respektive alle Partner untersucht und gleichzeitig behan- delt werden. Ansonsten kommt es zum Ping-Pong-Effekt mit wieder- holten Infektionen“, so Rasokat.

Der Kölner Dermatologe wies zudem darauf hin, dass bei beiden Geschlechtern durch Chlamydien verursachte Proktitiden und (selte- ner) Pharyngitiden diagnostiziert werden. „Unter MSM beobachtet man weltweit gehäuft hämorrrha - gische Proktitiden, die durch die Lymphogranuloma venereum-Vari- anten der Chlamydien verursacht werden. Diese hochkomplikations- trächtige Infektion wird nicht sel- ten über Monate hin als entzündli- che Darmerkrankung verkannt und fehltherapiert“, sagte Rasokat.

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Foto: Your Photo Today

Häufige sexuell übertragbare In- fektionserreger:

Neisseria gonor- rhoeae (oben), Trepo- nema pallidum (Mit- te) und Chlamydia trachomatis, ein in- trazellulär lebendes Bakterium, das sich als Energieparasit vom Adenosintri- phosphat der Zelle ernährt.

Fotos (2): picture alliance

M E D I Z I N R E P O R T

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