• Keine Ergebnisse gefunden

Medizingeschichte 3D Aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Medizingeschichte 3D Aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Bayerisches Ärzteblatt 11/2018

643 Medizingeschichte | Varia

„Geimpft – geschützt“ steht auf dem Avers, der Vorderseite des silberfarbenen „Talers“. Die Worte flankieren einen abstrahierten Engel, vor dem eine kleinere menschliche Gestalt steht.

Den Revers, die Rückseite, zieren zwei steigende Löwen, die das große bayerische Staatswappen halten. Der „Taler“ wurde im Auftrag des Baye- rischen Staatsministeriums des Innern geprägt.

Er hat etwa die Größe eines 2-Euro-Stückes. Im Unterschied zu diesem diente er aber niemals dem Zahlungsverkehr. Als „Marke“ ist er daher mit Münzen nur in der äußeren Form, nicht aber in der Funktion vergleichbar.

In der numismatischen Sammlung des Deut- schen Medizinhistorischen Museums in Ingol- stadt sind über vierzig identische Exemplare dieses „Impftalers“ verwahrt. Sie sind Beleg für eine PR-Kampagne im bayerischen Gesund- heitswesen, die anlässlich einer von mehreren Impfaktionen in der Bundesrepublik zum Schutz gegen die Kinderlähmung (Poliomyelitis) durch- geführt wurde.

In Bayern wurde der erste Polio-Fall 1913 akten- kundig. Von 1937 bis 1960 folgten sieben weitere Epidemien. Bei der letzten wurden 1.128 Erkran- kungen mit 923 Lähmungen und 69 Sterbefällen auf 100.000 Einwohner gemeldet. In anderen Gebieten Europas war es nicht besser. Ab 1960 führte die DDR daher die freiwillige Impfung gegen die Kinderlähmung ein. Die BRD folgte zwei Jahre später. Doch da die Polio-Impfung in der Öffentlichkeit höchst kontrovers disku- tiert wurde, hatten viele Angst vor möglichen schädlichen Folgen. Um einen Anreiz in der Be- völkerung zu schaffen, sich impfen zu lassen, konzipierte deshalb Professor Dr. Helmut Stickl, der Leiter der Bayerischen Landesimpfanstalt, 1973 den Impftaler. Er sollte nach Abschluss der freiwilligen Polio-Impfung an die Kinder ausge- geben werden.

Die Idee dazu könnte aus den USA gekommen sein. Nachdem dort im Jahr 1938 der amerika- nische Präsident Franklin D. Roosevelt selbst an

Polio erkrankt war, rief er die Bevölkerung auf, ihre „Dimes“ – silberfarbene Münzen im Wert von einem Zehntel Dollar – für die Nationale Stiftung für Kinderlähmung zu spenden. Der alljährliche „March of Dimes“ fand bis 1962 statt und brachte insgesamt ca. 630 Millionen Dol- lar ein, die mit Erfolg in die Entwicklung einer Schutzimpfung flossen.

Der Stickl‘sche Impftaler birgt in der Abstraktion seiner Figuren-Kombination ein hohes Identifika- tionspotenzial. Appelliert wird mit der Darstellung auf dem Avers an den seit dem 18. Jahrhundert populären Schutzengel-Glauben. Im Bereich der privaten Frömmigkeit verschmelzen darin zum einen die individuelle Zuordnung eines Engels zu einem Menschenkind und zum anderen die Errettung aus Gefahr. Die Zuordnung erfolgt je nach Auffassung mit der Geburt, der Taufe oder wie hier der Impfung. Es handelt sich damit um einen ausschließlich diesseits-bezogenen Schutz, der mit den erstmals von Ambrosius von Mai- land im 4. Jahrhundert nach Christus erwähn- ten „custodes angeli“ (Beschützer-Engel) nicht mehr viel gemein hat. Wie auch bei den seit der frühen Neuzeit beliebten Darstellungen des Erzengels Raphael mit dem jugendlichen Tobias ging es ursprünglich nicht um den körperlichen, sondern den seelischen Schutz. Die vielleicht äl- testen Frontaldarstellungen, bei denen ein Engel die kindlich kleine Seele behütend auf den Schoß nimmt, finden sich in benediktinischen Psaltern der ersten Jahrtausendwende. Doch der heutige Betrachter mag sich vielleicht zunächst an den deutschlandweit bekannteren Blauen Umwelten- gel erinnert fühlen, der fünf Jahre nach dem Taler im gleichen Duktus geschaffen wurde. In Bayern kann überdies das Münchner Kindl hin- eingelesen werden.

Aktuell ist laut Robert Koch-Institut die Durch- impfung gegen Poliomyelitis so hoch, dass diese Krankheit in Europa als eliminiert gilt. Die Welt- gesundheitsorganisation empfiehlt die Impfung aber weiterhin, solange die weltweite Polio- Eradikation noch nicht erreicht ist.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-ärzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

In dieser Serie stellen wir Highlights aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt vor. Das Museum wurde 1973 im ehemaligen Anatomiegebäude der Universi- tät Ingolstadt eröffnet und 2016 durch einen modernen Erweiterungsbau des Architekten Volker Staab ergänzt. Zum Museum gehört ein barock gestalteter Arzneipflanzengarten.

Medizingeschichte 3D

Aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt

Autorin

Maren Biederbick, M. A.

Deutsches Medizinhistorisches Museum, Anatomiestraße 18-20, 85049 Ingolstadt, E-Mail: maren.biederbick@ingolstadt.de, Internet: www.dmm-ingolstadt.de

„Impftaler“ des Bayerischen Staatsministeriums des Innern; Maße 2,78 cm Ø; 7,5 g.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

führte in früheren Zeiten zu Objekten, deren Sinnhaftigkeit sich uns heute kaum mehr er- schließt: Flohpelze und Flohfallen zum Ablen- ken und Einfangen der kleinen Plagegeister

Rückfälle und gute Tage wechselten sich Keine Arztpraxis ohne Steckdosen, kein Kran-.. kenhaus

Deren Handhabung beschreibt Obermayer wie folgt: „Alsdann steckt sie die linke Hand, dessen Oberfläche mit Oel oder Fett bestreichen seyn muß, in die Mutterschei- de, biß daß sie

In ihrer Not setzten die von Zahnschmerzen Gequälten auf himmlische Hilfe – sei es durch Gebete an die Heilige Apollonia oder durch Votivgaben wie die hier gezeigte Figur, die

Der Künstler – vieles spricht dafür, dass es sich dabei um Matthias Kolb aus Augsburg handelte – wählte eine Pose, die ihm einen sehr reduzierten und doch wirkungsvollen

Bislang wurden in dieser Serie Sammlungs- stücke vorgestellt, in denen sich der innovative Geist eines Arztes, das manuelle Geschick eines Handwerkers oder die kreative

Eugen Fischer, erster Direktor des 1927 auf seine Initiative hin gegründeten Kaiser- Wilhelm-Instituts für Anthropologie, mensch- liche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem.. Der

Beim präventiven Aderlass, der von den betreffenden Personen im Rahmen ihrer Frühjahrs- und Herbstkuren eigenstän- dig veranlasst wurde, richtete sich der Bader dagegen nach