• Keine Ergebnisse gefunden

Medizingeschichte 3D Medizingeschichte 3D Aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt Aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Medizingeschichte 3D Medizingeschichte 3D Aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt Aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

340

Bayerisches Ärzteblatt 6/2014

Varia

zwar durchaus Möglichkeiten der konservati- ven Zahnbehandlung bekannt, für den Groß- teil der Bevölkerung bestand die Behandlung von schmerzenden Zähnen aber im – ebenfalls schmerzhaften – Zahnreißen. Einen protheti- schen Ersatz der gerissenen und ausgefallenen Zähne konnten sich nur Wohlhabende leisten.

Und auch dann war dieser Ersatz eher kosme- tisch als funktionell befriedigend. In ihrer Not setzten die von Zahnschmerzen Gequälten auf himmlische Hilfe – sei es durch Gebete an die Heilige Apollonia oder durch Votivgaben wie die hier gezeigte Figur, die sie der Heiligen als Bitt- und Dankopfer widmeten.

Nicht jeder Zahnkranke konnte es sich leis- ten, eine solch aufwendig gearbeitete Figur zu spenden. Sehr viel häufiger kamen dafür schlichtere Wachsvotive zur Verwendung, etwa hufeisenförmige, einfach gearbeitete

„Gebisse“ aus Wachs oder ein „steiler Zahn“

als Einzelvotiv. In Pfaffenhofen kann man in der ehemaligen Wachszieherei der Familie Hipp heute noch die fein gearbeiteten Holz- modeln bewundern, mit denen diese Votive hergestellt wurden. Der Leiter des privaten Museums, Hans Hipp, erzählt bei Führungen auch von dem Weg, den die in Pfaffenhofen gegossenen Votive in den nahegelegenen Wallfahrtsort Niederscheyern nahmen. Die dort erhaltenen, handschriftlichen Mirakel- bücher berichten von den Nöten – und der Dankbarkeit – der Gläubigen. So erzählt ein Eintrag aus dem Jahr 1700: „Ursula Conra- din von Vieth Erlitte schwere Zähnschmerzen, verlobte sich mit Einem vächsenen Biß, op- fer in Stokh, und bettung eines Rosenkranz, haben die schmerzen gleich nachgelassen.“

Das Mirakelbuch erzählt auch von leidvollen Therapiefolgen: „... durch den Bader im Zahn außbrechen ist das Kinn dermassen veruckt daß wegen erfolgter großer geschwulst und Schmertzens sie den Mund gantz nit mehr er- öffnen unnd also 9 Tag lang durchauß nichts zur speiß niessen khundte...“.

Auf den ersten Blick lässt die zierliche, fröhlich bunte Wachsfigur mit dem Heiligenschein an die unbeschwerte Welt der Weihnachtskrippen denken. Doch auf den zweiten Blick ruft sie ganz andere, sehr viel unangenehmere Asso- ziationen wach – denn in ihrer Linken hält sie eine Zange mit einem blutigen Backenzahn. Die Figur zeigt die Heilige Apollonia, die Schutzhei- lige der Zahnärzte.

Der älteste bekannte Bericht vom Martyrium der Heiligen Apollonia findet sich in der 325 vollendeten Kirchengeschichte des Eusebius von Kaisareia. Er schildert darin eine Christen- verfolgung in Alexandria (Ägypten), die sich im Jahr 249 zugetragen hat. Unter den Opfern war auch die Christin Apollonia, der man durch Schläge auf den Kiefer die Zähne herausge- brochen hatte. Doch Apollonia blieb standhaft und wollte ihrem Glauben nicht abschwören.

Als man ihr daraufhin mit der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen drohte, wählte sie den Tod und stürzte sich selbst in die Flammen. Dieser Freitod wurde von der frühen Kirche durchaus kontrovers diskutiert.

Die Verehrung der Heiligen Apollonia blieb zu- nächst lokal begrenzt. In Westeuropa wurde sie erst bekannter, nachdem sie im 9. Jahrhundert Eingang in die „Martyrologien“, die Namens- kalender der Blutzeugen Christi, gefunden hatte. Im Verlauf der Jahrhunderte wurde die Lebensbeschreibung der Heiligen immer weiter ausgebaut. So erzählen spätere Legenden, ihr seien während des Martyriums die Zähne ein- zeln gezogen worden. Daher galt sie seit dem 13. Jahrhundert als Fürsprecherin bei Zahn- schmerzen. Später wurde sie auch zur Patronin des Berufsstandes der Zahnärzte, der sich im 19. Jahrhundert herausbildete. Ihre Attribute sind die Zahnreißzange (meist mit Zahn) und der Palmzweig der Märtyrerin.

Die Verehrung der Heiligen Apollonia wurzelt in der Zeit der Baderchirurgie. Es waren damals

Medizingeschichte 3D Medizingeschichte 3D

Aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt Aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt

In dieser Serie stellen wir Highlights aus dem Deutschen Medizinhistorischen Museum Ingolstadt vor. Das Museum wurde 1973 im ehemaligen Anatomiegebäude der Universität Ingolstadt eröffnet. Es zeigt die Entwicklung der abendländischen Medizin von der Antike bis heute. Dazu gehört auch ein barock gestalteter Arzneipflanzengarten.

Autorin

Professor Dr. Marion Maria Ruisinger, Deutsches Medizinhistorisches Museum, Anatomiestraße 18-20, 85049 Ingolstadt, E-Mail: marion.ruisinger@ingolstadt.de, Internet: www.dmm-ingolstadt.de Literatur:

Hans Hipp: Votivgaben. Heilung durch den Glauben. Pfaffenhofen 1984

Marion Maria Ruisinger (Hg.): Heilige und Heil- kunst. Ingolstadt 2010 (Kataloge des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt 33)

Wachsfigur der Heiligen Apollonia.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

führte in früheren Zeiten zu Objekten, deren Sinnhaftigkeit sich uns heute kaum mehr er- schließt: Flohpelze und Flohfallen zum Ablen- ken und Einfangen der kleinen Plagegeister

Rückfälle und gute Tage wechselten sich Keine Arztpraxis ohne Steckdosen, kein Kran-.. kenhaus

Deren Handhabung beschreibt Obermayer wie folgt: „Alsdann steckt sie die linke Hand, dessen Oberfläche mit Oel oder Fett bestreichen seyn muß, in die Mutterschei- de, biß daß sie

Das Ohr, so sein Argument, „ist ein vor allen, selbst den besten Stethoscopen unersetzbares Instrument, auch wird jeder Arzt schneller unmittelbar ausculti- ren lernen, als

Der Künstler – vieles spricht dafür, dass es sich dabei um Matthias Kolb aus Augsburg handelte – wählte eine Pose, die ihm einen sehr reduzierten und doch wirkungsvollen

Bislang wurden in dieser Serie Sammlungs- stücke vorgestellt, in denen sich der innovative Geist eines Arztes, das manuelle Geschick eines Handwerkers oder die kreative

Eugen Fischer, erster Direktor des 1927 auf seine Initiative hin gegründeten Kaiser- Wilhelm-Instituts für Anthropologie, mensch- liche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem.. Der

Beim präventiven Aderlass, der von den betreffenden Personen im Rahmen ihrer Frühjahrs- und Herbstkuren eigenstän- dig veranlasst wurde, richtete sich der Bader dagegen nach