M 242/2006 GEF 20. Dezember 2006 GEF C
Motion
2268 Mühlheim, Bern (Grüne) Fritschy, Rüfenacht (FDP) Gasser, Bern (EVP)
von Allmen, Thun (SP-JUSO)
Weitere Unterschriften: 17 Eingereicht am: 20.11.2006
Die Aufsichtspflicht der Gesundheits- und Fürsorgedirektion darf nicht zu einem Papiertiger verkommen!
Der Regierungsrat wird beauftragt, eine vertiefte ausserordentliche Überprüfung zur Konstellation der therapeutischen Leitung im Suchttherapiezentrum Wimmis durchzuführen.
Insbesondere soll der Frage nachgegangen werden, ob es aus therapeutischer Sicht verantwortbar, sinnvoll und opportun ist, sie mit einem Mitglied der Lebensgemeinschaft
„Kirschbaumblüte“ zu besetzen.
Dabei stehen folgende Fragen/Abklärungen im Vordergrund.
• Ist die Besetzung der therapeutischen Leitung eines Sucht-Therapiezentrums durch ein Mitglied einer Gemeinschaft wie der „Kirschbaumblüten-Gemeinschaft“ opportun, therapeutisch verantwortbar und sinnvoll?
• Teilt die GEF die Ausführungen des Gutachtens Prof. Dr. med. K. Ernst zur therapeutischen Haltung des spirituellen Lehrers der Gemeinschaft? Welche Konsequenzen kann diese Haltung auf die therapeutisch tätigen Gemeinschaftsmitglieder haben?
• Zwei von drei Therapeuten des Therapieteams sind Mitglieder dieser Gemeinschaft. Mit welchen konkreten Mitteln will die GEF im Rahmen ihrer Aufsichtspflicht garantieren, dass die angewandten Therapiemethoden nicht durch die „spirituelle“ Gesinnung der Gemeinschaft beeinflusst werden?
• Abklärung der Hintergründe des Austritts diverser Psychologinnen, sowie des psychiatrischen Facharztes für Eintrittsuntersuchungen, unter der jetzigen therapeutischen Leitung.
• Quervergleich der Fluktuationsrate der Mitarbeitenden mit denjenigen anderen vergleichbaren stationären Therapieinstitutionen.
• Quervergleich des Therapieerfolges mit demjenigen anderer stationärer Drogen- Therapien des Kantons Bern.
Insbesondere sollen folgende beide Institutionen in die Abklärungen eingebunden werden:
• Betreffend psychiatrische und sozialtherapeutische Standards für die Psychotherapie;
sowie Kenntnisse der Gemeinschaft „Kirschbaumblüte": Mitglieder der schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie.
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• Betreffend Erfahrung mit Standards/ Professionalitätsanspruch in der schweizerischen stationären Suchttherapie: Die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) getragene Schweizerische Koordinations- und Fachstelle Sucht: Infodrog.
Der Bericht der ausserordentlichen Überprüfung muss der zuständigen GR-Kommission zur Kenntnisnahme gebracht werden.
Begründung
Die regierungsrätliche Antwort auf die Interpellation von Allmen "genügen diese Therapeuten den Vorgaben des Kantons?“ ist kurz und sehr verallgemeinernd ausgefallen.
Da es sich bei den Klienten des Suchttherapie Zentrums um Menschen handelt, die neben einer langen Drogenkarriere oft auch eine lange Geschichte von sexueller Ausbeutung, Abhängigkeit und Übergriffen aufweisen, ist eine therapeutisch saubere und professionelle Haltung zu diesen Themen unabdingbar. Die Frage stellt sich nun, inwieweit der therapeutische Leiter und ein weiteres Mitglied seines Teams für diese professionelle therapeutische Haltung jederzeit garantieren können, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass beide einer Lebensgemeinschaft angehören, deren Chef, der Psychiater Samuel Widmer, unter anderem in seinen Bücher folgende therapeutische Haltung propagiert:
„Wir sind frei und lassen frei. Wenn zwei derart befreite Menschen miteinander schlafen wollen, ist es in Ordnung, auch wenn sie gleichzeitig in einer anderen Ordnung gebunden sind, und sogar wenn sie Vater und Tochter oder Therapeut und Klient waren.“
„Es geht um J die bewusstseinserweiternden Drogen, in welchen ich eine Hilfe gefunden habe, ein Werkzeug, um sich aus diesem selbstgeschaffenen Gefängnis des Besitzens und Bessesenwerdens wieder zu befreien.“ („Von der unerlösten Liebe zwischen Vater und Tochter, “S.18; Edition Heuwinkel 1995)
Die schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie hat den ehemaligen Direktor der Psychiatrischen Klinik Burghölzli Prof. Dr. med. K. Ernst beauftragt, das oben zitierte Werk zu begutachten, dabei kommt er in seiner Stellungsnahme zu folgendem Schluss:
„Samuel Widmers Buch ruft dazu auf, die weltweit übereinstimmenden Gesetze betreffend sexueller Ausbeutung Abhängiger und betreffend Inzest zu verletzen J Bezogen auf die Psychiatrie wirkt sich das Werben Widmers auf hilfesuchende Personen besonders negativ aus. Einschlägig interessierte Therapeuten werden entsprechend gefährdete Klienten besonders anziehen. Generell wird sich in solchen Praxen nicht befreiende Persönlichkeitsentwicklung häufen, sondern zusätzliche Konflikte und Belastungen auch für die Angehörigen ergeben. Den Kranken wird mehr geschadet als genützt J Dasselbe gilt für die psycholytisch-psychedelisch ausgerichtete Werbung des Autors. “J Standesrechtlich bleibt gegenüber Herrn Doktor Widmer nur der Entzug der Praxisbewilligung möglich.“
„Im Buch finden sich noch mehrere Stellen, die sich mit dem psycholytisch-psychedelischen Thema befassen. Aber nirgends werden die empirischen Studien erwähnt, welche die Gefährlichkeit und die Dauerschädigungen durch legale und illegale Drogen beschreiben.
Diese Studien noch nicht gekannt zu haben kann die Drogenapostel der 60er –und 70er Jahre entschuldigen, aber nicht einen heutigen Spezialarzt für Psychiatrie und Psychotherapie.“
Weder QuaTheDa noch ein anderes SQS Model geben zu der hier wichtigen zentralen Fragenstellung betr. professionelle Ansprüche an einen therapeutischen Leiter Orientierungshilfe. Deshalb ist es unabdingbar und wichtig, diese Fragestellung langjährigen erfahrenen Praktikern und Experten der stationären Drogentherapie und Psychiatrie/
Psychotherapie zur Beantwortung vorzulegen.
Es ist an der zuständigen Direktion, der GEF, für die Suchtherapie-Institutionen bezüglich Professionalität und therapeutischer Haltung klare Rahmenbedingungen zu erstellen,
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insbesondere da diese Non-Profit-Institutionen auf strategischer Ebene meistens von Miliz- Vorständen geführt werden.
Es wird Dringlichkeit verlangt. Gewährt: 23.11.2006
Antwort des Regierungsrates
Die Motionärin verlangt die Durchführung einer vertieften ausserordentlichen Überprüfung zur Konstellation der therapeutischen Leitung im Zentrum für Suchttherapie Wimmis (ZSW). Insbesondere soll der Frage nachgegangen werden, ob es aus therapeutischer Sicht verantwortbar, sinnvoll und opportun ist, die Leitung mit einem Mitglied der Lebensgemeinschaft „Kirschbaumblüte“ zu besetzen.
Es ist vorweg zu nehmen, dass sich der Regierungsrat mit aller Deutlichkeit von den Maximen der Gemeinschaft „Kirschbaumblüte“ distanziert. Dem Regierungsrat ist es jedoch wichtig, keine übereilten Entscheide zu treffen oder eine Vorverurteilung vorzunehmen, zumal bis dato keine Klagen von KlientInnen, MitarbeiterInnen oder anderen Personen eingegangen sind. Wichtig ist, dass eine gründliche fachliche Abklärung vorgenommen wird, die raschmöglichst Ergebnisse liefern soll.
Die Motionärin verlangt bezüglich Professionalität und therapeutische Haltung klare Rahmenbedingungen. Der Regierungsrat hält fest, dass diese mit den folgenden Instrumenten vorhanden sind:
• Die Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) steuert die Suchthilfeeinrichtungen via Leistungs- und Rahmenverträge.
• Es ist vertraglich festgehalten, dass mit dem Qualitätsmanagementinstrument Quatheda und der entsprechenden Zertifizierung die Qualität auf Management- und Dienstleistungsebene regelmässig überprüft wird.
• Die Institutionen haben eine Betriebsbewilligung gemäss Verordnung vom 18.09.1996 über die Betreuung und Pflege von Personen in Heimen und privaten Haushalten (HEV).
• Es bestehen Richtlinien betreffend Ausbildung von Fach- und Hilfspersonal, die für die die Institutionen verbindlich sind.
Die GEF hat eine Aufsichtspflicht, die sie sehr ernst nimmt. Oberste Priorität ist dabei, die Integrität der KlientInnen zu schützen. Vor dem Hintergrund der in der September-Session eingereichten Interpellation von Allmen wurden gezielte Überprüfungsschritte eingeleitet.
Dabei wurden die Forderungen der Motionärin bereits umgesetzt.
Die GEF hat der schweizerischen Koordinations- und Fachstelle infodrog einen Auftrag erteilt, eine ausserordentliche Überprüfung vorzunehmen. Ein weiteres Mandat wird einem Mitglied der schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie erteilt. Die Überprüfungsarbeiten werden noch im Dezember aufgenommen. Die Fragestellungen der Motionärin sind in der Auftragserteilung enthalten. Sie werden somit von langjährigen und erfahrenen Fachpersonen bearbeitet. Im Weiteren wird die schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Managementsysteme SQS, wie bereits in der Antwort der Interpellation von Allmen festgehalten, ihren Überprüfungsprozess ebenfalls weiterverfolgen. Nicht zuletzt das Zentrum für Suchttherapie Wimmis selber ist bemüht und froh um eine Klärung.
Die Expertisen werden spätestens Ende Februar 2007 vorliegen. Anhand der Resultate wird die GEF über das weitere Vorgehen entscheiden und in geeigneter Form zuhanden der Öffentlichkeit kommunizieren.
Fazit: Der Regierungsrat beurteilt die eingeleiteten Überprüfungsschritte als Basis für das weitere Vorgehen im Rahmen der Aufsichtspflicht der GEF als ausreichend. Er ist der Ansicht, dass den Forderungen der Motionärin vollumfänglich Rechnung getragen wird.
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Antrag: Annahme der Motion unter gleichzeitiger Abschreibung
An den Grossen Rat