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Theoretische Festk¨orperphysik I

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Theoretische Festk¨ orperphysik I

E. M¨uller–Hartmann WS 2005/06

Die elektronische Version dieser Vorlesung ist nicht ganz vollst¨ andig. Bisher sind nur die ersten 15 Kapitel, das Kapitel 20 und 3 Anh¨ ange verf¨ ugbar. Das vollst¨ andige handschriftliche Manuskript ist in der Physikbibliothek erh¨ altlich. Diese Vorlesung wurde in den Wintersemestern 1975/76, 1976/77, 1980/81, 1986/87, 1991/92, 1993/94, 1996/97, 1998/99, 2000/01, 2002/03 und 2005/06 ange- boten.

Hinweise auf Tippfehler und andere Unzul¨ anglichkeiten sind willkommen (per email an: mh@thp.uni-koeln.de).

Literatur:

Es gibt ein Lehrbuch, das weitgehend nach dem Konzept dieser Vorlesung aufgebaut ist:

- G. Czycholl: “Theoretische Festk¨orperphysik”, Vieweg, Braunschweig/

Wiesbaden 2000

Als n¨utzlichstes Lehrbuch, das anders als diese Vorlesung aufgebaut ist und in dem viel Information zur Festk¨orperphysik gesammelt ist, wird empfohlen - N.W. Ashcroft und N.D. Mermin: “Solid State Physics”, Holt, Rine-

hart and Winston, New York 1976

Als weitere Quellen werden folgende B¨ucher besonders empfohlen

- J.M. Ziman: “Prinzipien der Festk¨orperphysik”, Verlag Harry Deutsch, Z¨urich 1975

- W. Harrison: “Solid State Theory”, McGraw–Hill, New York 1970 (auch als Taschenbuch erh¨altlich)

- C. Kittel: “Quantum Theory of Solids”, John Wiley, New York 1963

(2)

Vorwort

Ziel der Vorlesung “Theoretische Festk¨orperphysik I” ist eine Einf¨uhrung in die theoretischen Grundlagen zur Beschreibung der Struktur und der ele- mentaren Anregungen fester K¨orper. Die Betonung wird dabei auf den the- oretischen Konzepten liegen, die f¨ur die Beschreibung fester K¨orper verwen- det werden. Dies beinhaltet gleichzeitig eine Einf¨uhrung in die Sprache, mit der sich Festk¨orperphysiker unterhalten. Deshalb sollte diese Vorlesung, die als Wahlpflichtvorlesung zur Spezialisierung in theoretischer Festk¨orperphysik ange- boten wird, auch f¨ur diejenigen Studierenden n¨utzlich sein, die sich in experi- menteller Festk¨orperphysik spezialisieren wollen.

Vorausgesetzt werden Grundkenntnisse in Quantenmechanik und in statistischer Physik. Deshalb empfiehlt sich diese Vorlesung bei regul¨arem Studienablauf f¨ur das siebte Fachsemester.

(3)

Inhaltsverzeichnis

I. Struktur von Festk¨orpern . . . 4

1. Adiabatische N¨aherung . . . 4

2. Periodische Strukturen . . . 8

3. Kristallsymmetrien . . . 15

4. Einfache Kristallstrukturen . . . 28

5. Bindung der Kristalle . . . 33

II. Gitterschwingungen . . . 43

6. Die Born–Oppenheimer–Entwicklung . . . 43

7. Phononen . . . 48

8. Thermodynamik der Gitterschwingungen . . . 64

9. Streuung an Gitterschwingungen . . . 72

10. Elektrodynamik optischer Phononen . . . 85

11. Anharmonische Korrekturen . . . 91

III. Elektronen . . . 96

12. Ein–Elektronen–N¨aherung . . . 96

13. Elektronen in periodischen Potentialen . . . 106

14. Thermodynamik der Elektronen im Festk¨orper . . . 126

15. Dynamik von Bandelektronen . . . 138

16. Bandberechnung . . . x

17. Elektronische Anregungen . . . x

18. Elektrodynamik mit Kristallelektronen . . . x

IV. Gest¨orte Kristalle . . . x

19. Fehler der kristallinen Ordnung . . . x

20. Die Boltzmanngleichung . . . 157

V. Anh¨ange . . . i

A. Ewaldsummation . . . i

B. Dipolmoment einer Elementarzelle . . . vii

C. Zweite Quantisierung . . . ix

(4)

I. Struktur von Festk¨ orpern

1. Adiabatische N¨aherung

Es ist klar, daß Festk¨orper wie Atome, Molek¨ule und andere Formen kondensierter Materie wie Fl¨ussigkeiten nur im Rahmen einerQuantentheorieverstanden wer- den k¨onnen. Das schließt nicht aus, daß manche Eigenschaften kondensierter Ma- terie mit der klassischen Mechanik bzw. Statistik qualitativ oder sogar quanti- tativ beschreibbar sind. Da bekanntlich jedoch selbst die Stabilit¨at der Materie erst durch Quanteneffekte bewirkt wird, ist die Quantentheorie notwendiger Aus- gangspunkt einer umfassenden Theorie der Festk¨orper. Man wird sich gegebenen- falls klarmachen, warum manchmal klassische ¨Uberlegungen ausreichen.

Wie in der Atomphysik und anders als etwa in der Kernphysik ist man in der Festk¨orperphysik in der zun¨achst gl¨ucklichen Lage, den Hamiltonoperator, der die Dynamik und die Statistik des Systems bestimmt, genau zu kennen. Jeder Festk¨orper besteht aus Elektronen der Massemund der Ladung−esowie aus Ker- nen der Massen Mk und der LadungenZke. Die Wechselwirkung zwischen diesen Teilchen ist rein elektromagnetisch. Der weit ¨uberwiegende Anteil dieser Wechsel- wirkung ist die Coulombwechselwirkung; andere Anteile - etwa die Spinbahnwech- selwirkung - m¨ussen gelegentlich f¨ur eine quantitative Beschreibung hinzugef¨ugt werden. Wenn wir der Einfachheit halber solche relativistischen Korrekturen ig- norieren, lautet der Hamiltonoperator

H =X

k

P2k

2Mk +X

i

p2i

2m +e2X

i<j

1

|ri−rj| +e2X

k<l

ZkZl

|Rk−Rl| −e2X

i,k

Zk

|ri−Rk|. (1.1) Dabei werden Orte und Impulse der Elektronen durch kleine Buchstabenr, p, die der Kerne durch große BuchstabenR, P gekennzeichnet.

Um den Einfluß der verschiedenen auftretenden Naturkonstanten ¯h, e, m, M

¨

uberblicken zu k¨onnen, gehen wir zuatomaren Einheitenuber. Wir messen alle¨ L¨angen in Bohrschen Radiena0 = ¯h2/me2 = 0,529·10−8cm und alle Energien in Einheiten von 2Ry=me4/¯h2 = 0,436·10−10erg= 27,2 eV, ersetzen damit rdurch a0r, R durch a0R und H durch 2Ry·H und erhalten

H=−1 2

X

k

m

Mkk− 1 2

X

i

i+X

i<j

1

|ri−rj| +X

k<l

ZkZl

|Rk−Rl| −X

i,k

Zk

|ri−Rk|. (1.2) Die einzigen Parameter, die sich durch Skalentransformation nicht eliminieren lassen und von denen die Eigenschaften der Materie nicht–trivial abh¨angen, sind also die Kernladungszahlen Zk und die Massenverh¨altnisse m/Mk. Es ist faszinierend, daß so wenige Parameter ausreichen, um das ganze Spektrum der Erscheinungsformen fester K¨orper zu ¨uberstreichen.

Der Einfluß der Zk auf die Festk¨orpereigenschaften ist wie bei den Atomen bizarr (wenn auch periodisch), aus den gleichen Gr¨unden wie dort: wegen der Schalenef- fekte h¨angt nicht nur die Chemie, sondern auch die Festk¨orperphysik empfindlich

(5)

von den Kernladungszahlen ab. Wir werden darauf bei der sp¨ateren Diskussion der elektronischen Eigenschaften zur¨uckkommen.

Der Einfluß der Massenverh¨altnisse m/Mk auf die Festk¨orpereigenschaften ist in- sofern viel einfacher zu verstehen, als der genaue Wert der Massenverh¨altnisse keinen qualitativen Einfluß hat. Wichtig ist nur, daß die Massenverh¨altnisse sehr kleine Zahlen sind, typische Werte liegen zwischen 1/2000 und 1/500000. Man sieht sofort, daß sich die Massenverh¨altnisse als Entwicklungsparameter anbieten, deren Kleinheit wesentliche Konsequenzen f¨ur die Eigenschaften von Festk¨orpern (wie auch von Molek¨ulen) haben und zu einer Vereinfachung der The- orie f¨uhren sollte.

Man wird daher den Hamiltonoperator H in einen ungest¨orten adiabatischen Hamiltonoperator

Ha =−1 2

X

i

i+X

i<j

1

|ri−rj| +X

k<l

ZkZl

|Rk−Rl| −X

i,k

Zk

|ri−Rk| (1.3) und die kinetische Energie der Kerne als St¨orung

T =−1 2

X

k

m

Mkk (1.4)

aufspalten, so daß

H =Ha+T (1.5)

gilt.

Unter v¨olliger Vernachl¨assigung der kinetischen Energie der Kerne stellen wir zun¨achst - in nullter Ordnung bez¨uglich der St¨orungT - fest, daß die KernorteRk Erhaltungsgr¨oßen des ungest¨orten HamiltonoperatorsHa sind und daher inHaals feste Parameter angesehen werden k¨onnen: Ha = Ha({Rk}). Dies gew¨ahrt uns zwei interessante grundlegende Einsichten. Es erkl¨art erstens, warum Materie (bei tiefen Temperaturen) eine r¨aumliche Struktur hat, d.h. warum die Kerne in Festk¨orpern und Molek¨ulen im Grundzustand feste Relativpositionen einnehmen, und gibt uns zweitens eine im Prinzip einfache Vorschrift an die Hand, wie die Struktur bestimmt werden kann. Wir halten fest: Materie hat Struktur we- gen der Kleinheit der Massenverh¨altnisse von Elektronen zu Kernen.

Die offensichtliche Vorschrift zur Bestimmung der Struktur (in nullter Ordnung bez¨uglich m/M) lautet folgendermaßen:

(1) Bestimme die Grundzustandsenergie von Ha bei vorgegebenen Kernorten:

Ea({Rk}) = min

ψ hψ|Ha({Rk})|ψi/hψ|ψi

=hψ0({Rk})|Ha({Rk})|ψ0({Rk})i/hψ0({Rk})|ψ0({Rk})i.

(1.6) Dies ist nat¨urlich der schwierige Teil des Problems, weil es die Bestimmung der Grundzustandswellenfunktionψ0 des durchHa beschriebeneninhomogenen

(6)

Elektronengases erfordert. Dies wird uns sp¨ater noch besch¨aftigen m¨ussen (siehe dazu Kapitel 16).

(2) Bestimme das absolute Minimum der Energie durch Variation der Kernlagen:

E0 = min

{Rk}Ea({Rk}) =Ea({R0k}). (1.7) Die dadurch erhaltene Kernkonfiguration{R0k}beschreibt die Gleichgewichts- struktur des Systems.

Unter der kinetischen Energie der Kerne T sind die Kernpositionen nicht mehr erhalten. Wir wollen jetzt analysieren, wie sich der Einfluß der kleinen St¨orung T f¨ur Systeme bemerkbar macht, die sich in der N¨ahe der Gleichgewichtskonfigu- ration {R0k} befinden. Wir beginnen mit einer einfachen klassischen ¨Uberlegung, indem wir die Beschleunigungen vergleichen, die auf Elektronen und Kerne wirken.

Wegen des Reaktionsprinzips sind die Kr¨afte, die Elektronen und Kerne aufeinan- der aus¨uben, entgegengesetzt gleich und wir k¨onnen die qualitative Beziehung MR¨ ∼m¨r aufstellen. Dies sagt uns, daß die schweren Kerne sich viel langsamer als die leichten Elektronen bewegen. Aus dieser Einsicht ergibt sich die Idee der adiabatischen N¨aherung: Die schnellen Elektronen passen sich der langsamen Bewegung der Kerne zu jedem Zeitpunkt adiabatisch so an, daß sie (in guter N¨aherung) immer in dem aus (1.6) bekannten Grundzustand|ψ0({Rk})i bleiben.

Daraus folgt eine betr¨achtliche Vereinfachung der Beschreibung, weil die Bewe- gungen der Elektronen und der Kerne entkoppelt werden.

Bei Auslenkung aus seiner Ruhelage R0 erf¨ahrt ein Kern eine harmonische r¨ucktreibende Kraft, die in atomaren Einheiten durch die klassische Bewegungs- gleichung MmR¨ ∝ −(R−R0) beschrieben wird. Daher skalieren die Frequenzen ω der Kernbewegung mit dem Massenverh¨altnis wie

ω∝p

m/M . (1.8)

Um dar¨uber hinaus eine Aussage ¨uber die Gr¨oße der quantenmechanisch beding- ten Auslenkungen machen zu k¨onnen, m¨ussen wir jetzt zur Quantenmechanik

¨

ubergehen. Bei der Quantenmechanik des harmonischen Oszillators haben wir gelernt, daß die Nullpunktsenergie sich zu gleichen Teilen aus einem kinetischen Anteil h2Mm P2i und einem potentiellen Anteil h12(R−R0)2i zusammensetzt und daß beide Anteile proportional zur Frequenz sind. Daraus lesen wir das folgende Skalierungsverhalten f¨ur die quantenmechanischen Nullpunktsschwankungen ab:

∆R∝(m/M)1/4, (1.9)

P ∝(m/M)−1/4, (1.10)

R˙ ∝(m/M)3/4. (1.11)

Wir haben damit das Skalierungsverhalten der quantenmechanischen Null- punktsbewegung der Kerne in dem Entwicklungsparameterm/M gewonnen. Man beachte besonders, daß die Ortsunsch¨arfe der Kerne nur proportional zur vierten

(7)

Wurzel aus m/M klein ist. Dies macht vielleicht verst¨andlich, warum die Quan- tenfluktuationen in besonderen F¨allen die Ausbildung einer r¨aumlichen Struktur verhindern k¨onnen. Tats¨achlich existieren zwei Systeme, die (unter nicht zu hohen Dr¨ucken) bis zu beliebig tiefen Temperaturen fl¨ussig bleiben: die beiden Quan- tenfl¨ussigkeiten3He und 4He.

Auf der Grundlage der obigen Analyse werden wir im Kapitel 6 eine systematische Entwicklung nach dem St¨oroperatorT besprechen. Es wird nicht ¨uberraschen, daß als Entwicklungsparameter nicht das winzige Massenverh¨altnism/M, sondern die viel weniger kleine Zahl

κ= (m/M)1/4 (1.12)

erscheinen wird.

Anhang: Umrechnung von Einheiten

In der Festk¨orperphysik benutzt man oft f¨ur Energien die Einheit Kelvin. Wir geben im folgenden die Umrechnungsfaktoren zu anderen Einheiten an.

Nach der Formel E = kBT werden Energien in Kelvin umgerechnet. Dabei entspricht die Energie 1 eV = 1,6022·10−12erg einer Temperatur von 11604 K.

Faustregel: 1 eV entspricht ungef¨ahr 104K.

In der optischen Spektroskopie wird die Wellenzahl eines Photons mit der rezipro- ken Wellenl¨ange 1/λ identifiziert. (Man beachte jedoch, daß es in der theoreti- schen Physik ¨ublich ist, die Wellenzahlk als 2π/λ zu definieren.) Ein Photon der Wellenzahl 1/λ = 1 cm−1 hat die Energie E =hc/λ= 1,2398·10−4eV, die einer Temperatur von 1,4388 K entspricht. Faustregel: 1 cm−1 entspricht ungef¨ahr 1 K.

Auch magnetische Energien werden oft in Kelvin ausgedr¨uckt. Die Zeemanauf- spaltung der Energie eines Elektrons in einem MagnetfeldH aufgrund seines ma- gnetischen Spinmoments betr¨agt ∆E = 2µBH. F¨ur ein Feld vonH = 1 Tesla gilt

∆E = 1,8561·10−16erg. Diese Energie entspricht nach obiger Umrechnung einer Temperatur von 1,3443 K. Faustregel: 1 Tesla entspricht ungef¨ahr 1 K.

(8)

2. Periodische Strukturen

Nachdem wir eingesehen haben, warum Materie im allgemeinen r¨aumliche Struk- tur entwickelt, stellt sich als n¨achstes die Frage, weshalb Materie im allgemeinen im Gleichgewicht kristallisiert. Diese Frage ist offenbar viel schwieriger zu beant- worten und es ist keine allgemeine Antwort bekannt.

Die Beobachtung stellt jedenfalls die starke Tendenz zur Kristallisation, d.h. zu einer periodischen Anordnung der Atome, auf sicheren Boden. Es gibt zwar auch nichtkristalline Festk¨orper, wie etwa Gl¨aser oder Kautschuke, aber bei diesen ist nach unserem Verst¨andnis die Kristallisation nur durch die Art der Herstellung ver- hindert worden, sie befinden sich dadurch in einem Zustand, den man als metasta- bil betrachten kann.

Unter einem idealen Kristall wollen wir einen Festk¨orper verstehen, dessen mikroskopische atomare Struktur r¨aumlich periodisch ist. Dabei sollen drei lin- ear unabh¨angige Periodizit¨atsvektoren existieren. Periodizit¨atsvektoren sind Verschiebungen (Translationen), unter denen der Kristall invariant ist. Dies im- pliziert u.a. eine Periodizit¨at der Kernlagen und der Elektronendichte, gegebenen- falls auch der Spindichte der Elektronen. Ein realer Kristall unterscheidet sich von einem idealen durch seine endliche Ausdehnung und durch strukturelle Fehler verschiedenster Art.

Die Menge aller Translationen T = {l}, unter denen ein Kristall invariant ist, bildet eine Vektorgruppe, da mitl auch −l und mit l1, l2 auch l1+l2 in T sind.

Diese Vektorgruppe heißt die Translationsgruppe des Kristalls. Da außer l= 0 alle Vektoren in T eine positive Mindestl¨ange haben, nennt man T auch eine diskrete dreidimensionale Vektorgruppe.

Die Struktur der diskreten dreidimensionalen Vektorgruppen T wird durch fol- gende Eigenschaft gekl¨art, die wir hier ohne Beweis zitieren (einen Beweis findet man z.B. auf Seite 25 des Lehrbuchs “Anwendungen der Gruppentheorie in der Physik” von G.J. Ljubarski):

Zu jeder diskreten dreidimensionalen Translationsgruppe T existiert eine Basisa1, a2,a3 vonprimitiven Translationen, so daß

T ={l/ l=l1a1+l2a2+l3a3; li ganze Zahlen}. (2.1)

3

2 1

a a

a

(9)

Die Spitzen der Translationen bilden also ein dreidimensionales Punktgitter. Die drei primitiven Translationen spannen wie oben gezeigt ein Parallelepiped auf, das man eine Elementarzelle des Gitters nennt. ¨Uberlagern wir einem Kristall sein Translationsgitter - die Wahl des Ursprungs ist dabei beliebig -, so zerf¨allt der Kristall in lauter ¨aquivalente Elementarzellen, von denen jede zur vollst¨andigen Beschreibung der Struktur ausreicht. Dies ist hier an einem zweidimensionalen Beispiel verdeutlicht, in dem die Punkte Atomlagen anzeigen sollen:

Es ist zu betonen, daß die Wahl der Basis primitiver Translationen und damit auch die Form der Elementarzelle nicht eindeutig ist. Die folgende Abbildung zeigt drei der unendlich vielen Formen f¨ur die Elementarzelle eines zweidimensionalen Gitters:

Sind die Vektoren a1, a2, a3 eine Basis primitiver Translationen, dann bilden die Vektoren

ai =X

j

mijaj, (M = (mij) ganze Zahlen) (2.2) ebenfalls eine Basis genau dann, wenn

|det(mij)|= 1. (2.3)

(10)

Um dies einzusehen, betrachten wir das Volumen der Elementarzellen, das un- abh¨angig von der Wahl der Basis sein sollte. Wir bilden aus den kartesischen Komponenten der Basisvektorena1, a2, a3 die Matrix

A=

a1x a2x a3x a1y a2y a3y

a1z a2z a3z

. (2.4)

Damit schreibt sich das Elementarzellenvolumen als

Ve =|(a1×a2)a3|=|detA|. (2.5) Gleichung (2.2) lautet nun in Matrixform A = M A. Daraus folgt mit dem De- terminantenmultiplikationssatz die Bedingung (2.3).

Durch die von einer Basis primitiver Translationen aufgespannte Elementarzelle wird der Raum in lauter gleichwertige Bezirke aufgeteilt. Wie wir gerade gese- hen haben, unterliegt die Form dieser Zellen einer großen Willk¨ur. Es gibt eine alternative willk¨urfreie Aufteilungsvorschrift, die auf die sehr n¨utzliche Wigner–

Seitz–Zelle f¨uhrt. Als Mittelpunkt einer Wigner–Seitz–Zelle w¨ahlt man einen Gitterpunkt aus und ordnet der Zelle alle Raumpunkte zu, die dem ausgew¨ahlten Gitterpunkt n¨aher als allen anderen Gitterpunkten sind. Offenbar kann man eine Wigner–Seitz–Zelle dadurch konstruieren, daß man zu allen Verbindungsstrecken zwischen ihrem Mittelpunkt und allen anderen Gitterpunkten die mittelsenkrechte Ebene errichtet. Diese paarweise parallelen Ebenen schneiden dann die Wigner–

Seitz–Zelle aus, wobei nur endlich viele zu den n¨aheren Nachbarn geh¨orige Ebenen eine Rolle spielen. Es zeigt sich, daß die Wigner–Seitz–Zellen in zwei Dimensionen von bis zu drei Geradenpaaren begrenzt werden, wie das folgende Beispiel demon- striert, w¨ahrend in drei Dimensionen bis zu sieben Ebenenpaare ben¨otigt werden.

Wir werden sp¨ater einige wichtige Wigner–Seitz–Zellen in drei Dimensionen n¨aher kennenlernen.

(11)

Bei der Untersuchung von Gittern wird man zwangsl¨aufig auf den Begriff des reziproken Gitters gef¨uhrt. Er taucht sowohl bei physikalischen Fragestellun- gen (z.B. bei der R¨ontgenbeugung an Kristallen) wie auch bei rein mathematischen Uberlegungen (in der Darstellungstheorie der diskreten Vektorgruppen) auf. Wir¨ werden auf die Bedeutung des reziproken Gitters f¨ur die Beugung an der gitter- periodischen Elektronendichte am Ende dieses Kapitels eingehen. Hier wollen wir von der Frage ausgehen, wie man gitterperiodische Funktionen darstellt. Seif(r) irgendeine physikalische Eigenschaft eines idealen Kristalls, die gitterperiodisch ist; d.h. f¨ur alle l∈ T gilt

f(r+l) =f(r). (2.6)

Man erinnert sich sofort daran, daß solche Funktionen mit Vorteil als Fourierreihen dargestellt werden:

f(r) =X

g

fgeig·r. (2.7)

F¨ur die Fourierkoeffizienten fg gilt die Umkehrgleichung fg = 1

Ve Z

EZ

f(r)e−ig·rd3r. (2.8) In der Fourierreihe ist die Summation ¨uber alle Wellenvektoren g zu erstrecken, f¨ur die f¨ur allel∈ T die Bedingung

eig·l = 1 (2.9)

gilt. Die Beschr¨ankung auf solche Wellenvektoren g garantiert, daß die ebe- nen Wellen eig·r gitterperiodisch sind, w¨ahrend der Einschluß aller solcher g die Vollst¨andigkeit des Funktionensystems {eig·r} auf der Elementarzelle sicherstellt.

Man sieht sofort, daß statt der unendlich vielen Bedingungen (2.9) die drei Bedin- gungen

eig·aj = 1 (j = 1,2,3) (2.10) ausreichen. Offenbar bildet die Menge der L¨osungeng von (2.9) bzw. (2.10) eben- falls eine diskrete Vektorgruppe, die wir T nennen und die das reziproke Gitter aufspannt. Eine Basisa1,a2, a3 von T wird durch die Gleichungen

ai ·aj = 2πδij (2.11)

festgelegt. Die L¨osung dieses Gleichungssystems lautet a1 = 2π

Vea2×a3, a2 = 2π

Vea3×a1, a3 = 2π

Vea1×a2. (2.12) Wir haben damit zu jedem Gitter T ein reziprokes Gitter T konstruiert. Das Volumen der Elementarzelle des reziproken GittersT ist durch die Beziehung

Ve·Ve = (2π)3 (2.13)

(12)

gegeben. Man versteht diese Beziehung sofort, wenn man (2.11) unter Benutzung der Notation (2.4) und der Einheitmatrix I als Matrixgleichung A∗tA = 2πI auffaßt und die Determinante bildet.

Aufgrund der Symmetrie der Bestimmungsgleichungen (2.11) ist klar, daß das zu T reziproke Gitter identisch mit dem urspr¨unglichen Gitter ist:

T∗∗ =T. (2.14)

Die Gitter im Ortsraum und im Wellenvektorraum sind einander also paarweise reziprok zugeordnet.

Die Vektoren des reziproken Gitters T haben eine einfache geometrische Bezie- hung zu den Netzebenen des urspr¨unglichen Gitters T. Eine Netzebene wird durch je drei nicht kollineare - d.h. nicht auf einer Geraden liegende - Gitterpunkte festgelegt, wie in der folgenden Abbildung verdeutlicht.

-

2 -

3

3 1 2 1

1

l l

l

l l

l l

In jeder Netzebene liegen unendlich viele Punkte des Gitters, n¨amlich ein zwei- dimensionales Teilgitter: Bestimmen die Endpunkte der Gittervektoren l1, l2, l3

eine Netzebene, so liegen die beiden Differenzvektorenl2−l1 und l3−l1 in dieser Ebene und spannen ein zweidimensionales Teilgitter auf.

Zu jeder Netzebene gibt es unendlich viele parallele Netzebenen.

Die Beziehung zwischen Netzebenen und Wellenvektoren des reziproken Gitters ist eine Beziehung zwischen den Normalenvektoren der Netzebenen und den rezipro- ken Gittervektoren. Zun¨achst sieht man sofort anhand (2.12), daß zu jeder Netz- ebene der Normalenvektor g = V

e(l2 −l1)×(l3−l1) ein reziproker Gittervektor ist. Umgekehrt gibt es auch zu jedem reziproken Gittervektor g(6= 0) Netzebe- nen, zu denen er normal ist. Um dies einzusehen, verwenden wir die Darstel- lungen g =g1a1+g2a2 +g3a3 und l= l1a1+l2a2+l3a3. Die lineare Gleichung

1

g·l=g1l1+g2l2+g3l3 = 0 hat dann offenbar zwei linear unabh¨angige L¨osungen {li}1 und {li}2, die ganzzahlig gew¨ahlt werden k¨onnen und zwei eine Netzebene aufspannende Gittervektoren l1 und l2 definieren.

(13)

Die Wellenvektoren g 6= 0 des reziproken Gitters und die Normalen zu Netzebe- nen sind einander also vollst¨andig zugeordnet. Außerdem gibt es eine einfache Beziehung zwischen dem Abstand d zweier benachbarter paralleler Netzebenen und der L¨ange des k¨urzesten dazu normalen Vektorsg 6= 0 des reziproken Gitters.

Sie lautet

d·g= 2π. (2.15)

Wir geben hier nur einige Hinweise zum Beweis dieser f¨ur das folgende wichtigen Relation. Man muß zeigen, daß jeder k¨urzeste Wellenvektorg =g1a1+g2a2+g3a3 einer vorgegebenen Richtung (d.h. g1, g2, g3 sind teilerfremd) zu einer primitiven Basis (g,g,g′′) erg¨anzt werden kann (d.h. (g×g)g′′ = Ve). Dann zeigt sich, daß der primitive Gittervektora= V

e g×g′′ benachbarte Netzebenen verbindet, die senkrecht zu g stehen, und es gilt a·g = 2π.

Zum Abschluß dieses Kapitels wollen wir die Bedeutung des reziproken Gitters und der Fourierreihe (2.7) f¨ur die Strukturanalyse von Kristallen mittels R¨ontgen–

oder Neutronenbeugung erl¨autern. Ein Photon oder Neutron mit dem Wellen- vektor k, dessen Zustand wir durch die ebene Welle eik·r beschreiben, werde an einem von den Kernen oder den Elektronen herr¨uhrenden gitterperiodischen Po- tential f(r) in ein Teilchen mit dem Wellenvektor k gestreut. Zur Berechnung des Streuquerschnitts braucht man das ¨Ubergangsmatrixelement

hk|f|ki= Z

d3re−ik

·r

f(r)eik·r =X

g

fg

Z

d3rei(k+gk

)r

=(2π)3X

g

fgδ(k+g−k).

(2.16)

In Bornscher N¨aherung ist der Streuquerschnitt proportional zum Absolutquadrat dieses Matrixelements. Wir lesen aus (2.16) die Auswahlregel

k =k+g (2.17)

ab, die uns sagt, daß der Wellenvektor des gestreuten Teilchens sich nur um die diskreten Wellenvektoren des reziproken Gitters ¨andern kann. Durch Messung von mindestens drei Braggreflexen kann man das reziproke und damit auch das r¨aumliche Gitter eines Kristalls bestimmen. Dar¨uber hinaus liefert die Messung der Intensit¨aten der Braggreflexe Information ¨uber die Fourierkoeffizienten fg der Dichte f(r). Da nur die Absolutquadrate |fg|2 aus der Messung des Streuquer- schnitts abzulesen sind, hat man allerdings keine vollst¨andige Information zur Bestimmung der Dichte aus (2.7) (Man spricht hier vom Phasenproblem der Strukturanalyse).

Die Auswahlregel (2.17) ist ¨aquivalent zu der Braggbedingung, die man aus In- terferenz¨uberlegungen ¨uber die Streuung an Netzebenen erh¨alt. Um dies zu sehen, bilden wir unter Beachtung der Erhaltung der Energie des streuenden Teilchens,

|k|2 =|k|2, die Absolutquadrate der Vektoren in der Auswahlregel. Es folgt

2k·g+g2 = 0. (2.18)

(14)

Wenn der Wellenvektorkdes einfallenden Teilchens mit der Netzebene den Winkel Θ einschließt, giltk·g =−kgsin Θ und wir erhalten mit der Wellenl¨angeλ = 2π/k und g= 2πn/d(siehe (2.15)) die bekannte Form der Braggbedingung

2dsin Θ =nλ. (2.19)

k g

Θ

(15)

3. Kristallsymmetrien

Nachdem wir im vorigen Kapitel die Translationssymmetrie von Kristallen disku- tiert haben, werden wir uns nunmehr den Invarianzen unter allgemeinen Bewe- gungen zuwenden. Festk¨orper haben n¨amlich das Bestreben, zus¨atzlich zu den Translationssymmetrien weitere Bewegungsinvarianzen zu haben. Dies wirkt sich so aus, daß die Winkel zwischen den Gittervektoren oft ganz bestimmte Werte an- nehmen und die L¨angen der Gittervektoren in bestimmten rationalen Verh¨altnissen zueinander stehen. Die Kristallographie hat zur Beschreibung dieser Invarianzen eine Reihe von Klassifikationsbegriffen entwickelt, die wir in diesem Kapitel kurz besprechen wollen.

Die Drehungen und Drehspiegelungen (= uneigentliche Drehungen), die ein Gitter T invariant lassen, bilden ebenfalls eine Gruppe, die Symmetriegruppe oder Holoedriedes Gitters. Man beachte, daß wir hier noch nicht von den Invarianzen eines Kristalls, sondern von den Invarianzen eines (leeren) Punktgitters sprechen.

Nach ihrer Holoedrie teilt man die Kristalle in Kristallsysteme ein.

Wir verdeutlichen den Begriff der Symmetriegruppe zun¨achst anhand des zwei- dimensionalen Falles. Die Symmetriegruppe enth¨alt f¨ur alle Gitter die Inversion, weil mit l ∈ T auch immer −l ∈ T. Die Symmetriegruppe des linken Gitters in der obenstehenden Abbildung enth¨alt neben der Identit¨at nur die Inversion (, die in zwei Dimensionen die Drehung um π, also eine eigentliche Drehung ist).

Dies ist die kleinste Holoedrie in zwei Dimensionen. Die Symmetriegrupe des mittleren Gitters enth¨alt aufgrund der Rechtwinkligkeit zus¨atzlich zwei Spiegelun- gen an den Rechteckkanten und damit insgesamt vier Symmetrieelemente. Die Symmetriegruppe des rechten Quadratgitters schließlich enth¨alt auch noch zwei Drehungen um π/2 und 3π/2 sowie zwei weitere Spiegelungen an den Diago- nalen und damit insgesamt acht Elemente. Diese drei Symmetriegruppen stehen in einfachen Untergruppenbeziehungen zueinander. Die vierte Symmetriegruppe f¨ur zweidimensionale Gitter ist schließlich die Symmetriegruppe des Dreiecksgitters, die von einer Drehung umπ/3 und Spiegelungen an zwei zueinander orthogonalen Richtungen aufgespannt wird und zw¨olf Elemente enth¨alt.

Die Analyse der m¨oglichen Symmetriegruppen von dreidimensionalen Gittern ist viel aufw¨andiger als die obige in zwei Dimensionen. Zum Verst¨andnis der Symme- trien in drei Dimensionen ist es n¨utzlich, die endlichen Untergruppen der dreidi- mensionalen Drehgruppe O(3), die man Punktgruppen nennt, zu ¨uberblicken.

Wir werden im folgenden alle Punktgruppen kurz aufz¨ahlen und erl¨autern.

Wir werden sagen, eine Punktgruppe enthalte eine n–z¨ahlige Drehachse Ck(n) (auch Drehachsen–ter Ordnung genannt), wenn sie eine Drehung um den Winkel

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2π/n(und damit nat¨urlich alle Potenzen dieser Drehung) um eine Achse mit der Richtung k enth¨alt. Die Identit¨at, die in jeder Gruppe enthalten ist, darf nur einmal gez¨ahlt werden. Daher erzeugt jede Drehachse Ck(n) genau n−1 ver- schiedene Drehungen (um die Winkel 2πk/n mit 1 ≤ k ≤ n−1). Unter den uneigentlichen Drehungen unterscheiden wir Spiegelungen und Drehspiegelungen.

Spiegelungen werden durch eine Spiegelebene σk senkrecht zur Normalenrichtung kgekennzeichnet, DrehspiegelungenSk(2n) durch die Drehachse in Richtungkmit Drehwinkel 2π/2n=π/nund die zuk senkrechte Spiegelebene. Da gerade Poten- zen einer Drehspiegelung eigentliche Drehungen sind, ergeben nur ungerade Poten- zen Drehspiegelungen. Außerdem ist die (2n+ 1)–te Potenz einer Drehspiegelung Sk(4n+ 2) die Inversion Sk(2), die auch nur einmal gez¨ahlt werden darf. Daher tragen DrehspiegelungenSk(4n) undSk(4n+2) je genaununeigentliche Elemente zur Gruppe bei (ohne Z¨ahlung der Inversion).

Wir z¨ahlen zun¨achst die eigentlichen Punktgruppen auf, die nur Drehachsen enthalten. Es gibt zwei unendliche Serien eigentlicher Punktgruppen Cn (n = 1,2,3, . . .) und Dn (n= 2,3,4, . . .) sowie drei besondere PunktgruppenT,O und Y:

Cn (n= 1,2,3, . . .) ist die Symmetriegruppe einer senkrechten Pyramide ¨uber einem regelm¨aßigenn–Eck und enth¨alt genau einen–z¨ahlige Drehachse. Sie besteht ausnElementen. Die folgende Abbildung zeigt links eine Pyramide mit der Symmetrie C6.

Dn (n = 2,3,4, . . .) ist die Symmetriegruppe eines senkrechten Prismas (die obige Abbildung zeigt D6) ¨uber einem regelm¨aßigen n–Eck und enth¨alt zus¨atzlich zu einer n–z¨ahligen Drehachse Ck(n) n zweiz¨ahlige Drehachsen senkrecht zu k, von denen zwei oben gezeigt werden. Sie besteht aus 2n Elementen.

T ist die Symmetriegruppe des regul¨aren Tetraeders, die Tetraedergruppe.

Sie enth¨alt drei 2–z¨ahlige und vier 3–z¨ahlige Drehachsen und besteht daher aus 12 Elementen. (Die Abbildung auf der n¨achsten Seite zeigt links eine 2–z¨ahlige und eine 3–z¨ahlige Drehachse.)

O ist die Symmetriegruppe des W¨urfels und des regul¨aren Oktaeders, dieOk- taedergruppe. Sie enth¨alt sechs 2–z¨ahlige, vier 3–z¨ahlige und drei 4–

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z¨ahlige Drehachsen und besteht daher aus 24 Elementen. (Die folgende Abbildung zeigt rechts je eine dieser Drehachsen.)

Y ist die Symmetriegruppe des regul¨aren Ikosaeders und Dodekaeders, die Ikosaedergruppe. Sie enth¨alt f¨unfzehn 2–z¨ahlige, zehn 3–z¨ahlige und sechs 5–z¨ahlige Drehachsen und besteht somit aus 60 Elementen.

Nun folgt eine Liste der uneigentlichen Punktgruppen, die auch Spiegelungen oder Drehspiegelungen enthalten. Es gibt f¨unf unendliche Serien S2n (n= 1,2,3, . . .), Cnh (n = 1,2,3, . . .), Cnv (n = 2,3,4, . . .), Dnh (n = 2,3,4, . . .) und Dnd (n = 2,3,4, . . .) sowie die vier exzeptionellen uneigentlichen PunktgruppenTd,Th,Oh

und Yh:

S2n (n= 1,2,3, . . .) besteht aus den Potenzen einer DrehspiegelungSk(2n) und enth¨alt somit 2n Elemente. Die geraden Potenzen bilden die Untergruppe

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Cn. Auf der letzten Seite links unten ist ein angef¨arbtes quadratisches Prisma der Symmetrie S4 gezeigt.

Cnh (n= 1,2,3, . . .) ist ebenfalls eine Erweiterung der eigentlichen Punktgruppe Cn, hier um die Spiegelung an der zur Drehachse k senkrechten Ebene σk. Sie enth¨alt daher alle Drehungen und Drehspiegelungen ank um Vielfache des Winkels 2π/n und damit 2n Elemente. Auf der letzten Seite ist unten rechts ein angef¨arbtes Prisma der Symmetrie C4h gezeigt.

Cnv (n= 2,3,4, . . .) ist die uneigentliche Erweiterung der Symmetriegruppe Cn

der n–seitigen Pyramide. Sie besitzt neben der n–z¨ahligen Drehachse n diese Drehachse enthaltende Spiegelebenen. Die Zahl der Elemente ist 2n.

Die folgende Abbildung zeigt links zwei der Spiegelebenen der Pyramide der Symmetrie C6v.

Dnh (n= 2,3,4, . . .) ist die uneigentliche Erweiterung der Symmetriegruppe Dn

des n–seitigen Prismas. Sie besitzt neben den Drehachsen Spiegelebenen und Drehspiegelachsen und hat 4n Elemente. Die obige rechte Figur zeigt drei der Spiegelebenen der Gruppe D6h.

Dnd (n = 2,3,4, . . .) ist die Erweiterung der eigentlichen Punktgruppe Dn

um eine mit der n–z¨ahligen Drehachse zusammenfallende Drehspiegelachse Sk(2n). Sie enth¨alt 4n Elemente. Das folgende angef¨arbte Prisma verdeut- licht die SymmetriegruppeD2d.

Td ist die uneigentliche Symmetriegruppe des regul¨aren Tetraeders. Sie enth¨alt neben den Drehungen der GruppeTsechs Spiegelebenen und drei 4–z¨ahlige

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Drehspiegelachsen, von denen je eine in der obigen Figur rechts gezeigt ist.

Die Gruppe Td enth¨alt die Inversion nicht und hat 24 Elemente.

Th entsteht aus der eigentlichen PunktgruppeT durch Hinzuf¨ugung der Inver- sion. Sie enth¨alt ebenfalls 24 Elemente. Der unten links gezeigte angef¨arbte W¨urfel hat die Symmetrie Th.

Oh entsteht aus der eigentlichen PunktgruppeO durch Hinzuf¨ugung der Inver- sion. Sie enth¨alt neun Spiegelebenen, von denen zwei in der obigen rechten Figur gezeigt sind, sowie drei 4–z¨ahlige und vier 6–z¨ahlige Drehspiegelach- sen. Die Zahl der Elemente ist 48.

Yh entsteht aus der eigentlichen PunktgruppeY durch Hinzuf¨ugung der Inver- sion. Sie hat 120 Elemente.

Damit ist die Aufz¨ahlung der Punktgruppen abgeschlossen. Wir werden sehen, daß insgesamt 32 dieser Punktgruppen eine Rolle in der Kristallographie spielen.

Die Bestimmung der m¨oglichen Symmetriegruppen der dreidimensionalen Gitter T wird durch die Feststellung erleichtert, daß solche Gitter nur 2–, 3–, 4– oder 6–z¨ahlige Drehachsen haben k¨onnen. Davon ¨uberzeugt man sich durch folgende einfache ¨Uberlegung: Wir betrachten eine Drehachse Ck(n) des Gitters T. Es gibt Gittervektoren, die senkrecht zuk stehen; ist n¨amlich lein Gittervektor, der nicht parallel zu k ist, dann steht der Gittervektor Ck(n)l−l 6= 0 senkrecht zu k. Betrachten wir jetzt einen k¨urzesten Gittervektore senkrecht zuk. Dann muß der Gittervektor

l(e) .

=Ck(n)e+Ck−1(n)e = 2 cos(2π/n)e=me, (3.1) der parallel zu e ist, ein ganzzahliges Vielfaches me von e sein, wobei er aber h¨ochstens doppelt so lang wie e sein kann:

−2≤m= 2 cos(2π/n)≤2. (3.2)

Hier entspricht der Fall m= 2 dem Drehwinkel 0, die anderen vier F¨alle ergeben die vier oben genannten 2–, 3–, 4– oder 6–z¨ahligen Drehachsen.

Ein weiterer hilfreicher Sachverhalt ist der folgende: Wenn ein Gitter T f¨ur n >2 invariant unterCn ist, dann ist es auch invariant unter Cnv. Der Beweis daf¨ur ist etwas l¨anger und soll hier nicht wiedergegeben werden.

(20)

Die m¨oglichen Symmetriegruppen von Gittern sind also durch folgende drei Eigen- schaften eingeschr¨ankt:

1. Sie enthalten die Inversion.

2. Sie enthalten keine Drehachsen f¨unfter, siebter oder h¨oherer Ordnung.

3. Mit jeder Drehachse dritter, vierter oder sechster Ordnung enthalten sie auch eine Spiegelebene durch diese Achse.

Wenn man die obige Liste der Punktgruppen nach diesen Kriterien durchforstet, findet man genau sieben Symmetriegruppen (Holoedrien), die die folgenden sieben Kristallsysteme definieren:

S2 das trikline System C2h das monokline System

D2h das orthorhombische oder orthogonale System D4h das tetragonale oder quadratische System D3d das rhomboedrische oder trigonale System D6h das hexagonale System

Oh das kubische oder regul¨are System.

Wir gehen nunmehr der Frage nach, welche Typen von Gittern zu den gefunde- nen Kristallsystemen geh¨oren. Es stellt sich heraus, daß es zu einem Kristall- system mehrere Gittertypen geben kann, die ohne Verletzung der Symmetrie nicht stetig ineinander deformiert werden k¨onnen. Dies sei zun¨achst anhand eines zweidimensionalen Beispiels demonstriert. Wir betrachten die Symmetriegruppe des Rechtecksgitters, die neben der Identit¨at und der Inversion die Spiegelungen an zwei zueinander senkrechten Geraden enth¨alt. Das links gezeigte Rechtecks- gitter mit den beiden blauen primitiven Basisvektoren, der gelben Elementarzelle und der roten Wigner–Seitz–Zelle besitzt offenbar diese Symmetrie. Das rechts gezeigte Gitter, dessen blaue Basisvektoren die Bedingunga1·a2 =a21/2 erf¨ullen, besitzt jedoch die gleiche Symmetrie. Es entsteht aus dem Rechtecksgitter durch Zentrierung, d.h. durch Hinzuf¨ugen von Gitterpunkten im Zentrum der Rechtecke.

Die dadurch entstehende Elementarzelle ist wieder gelb markiert. In gr¨un ist eine doppelte Elementarzelle gezeigt, die die Symmetrie besser reflektiert. Die farbigen vertikalen Linien sind ebenfalls zur Betonung der Rechtecksymmetrie eingezeich- net. Die rote Wigner–Seitz–Zelle dieses Gittertyps hat eine andere Form als die des einfachen Rechtecksgitters.

Die sieben Kristallsysteme dreidimensionaler Gitter werden durch 14 Gitter- typen oderBravaisklassen realisiert. Neben den 7 einfachen Gittern gibt es

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Γ c v , I

Γ Γ

Γ

rh , R h, P

m b , C Γ t , P Γ m , P

Γ o, P Γ o b, C Γ o v , I Γ o f, F Γ q , P Γ q v , I

Γ c, P Γ c f, F

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verschiedene Arten von zentrierten Gittern, n¨amlich je ein orthogonal, tetra- gonal und kubischraum– oder innenzentriertes, je ein orthogonal und kubisch (allseitig)fl¨achenzentriertesund je ein monoklin und orthogonalbasiszentrier- tes(einseitig fl¨achenzentriertes) Gitter. Die Abbildung auf der letzten Seite zeigt die 14 Gittertypen. In der ersten Reihe sind die drei kubischen Bravaisgitter, das einfach kubische (sc = simple cubic genannt), das kubisch raumzentrierte (bcc

= body centered cubic) und das kubisch fl¨achenzentrierte (fcc = face centered cubic) gezeigt. Die zweite Reihe zeigt das tetragonal einfache und raumzen- trierte, die dritte das orthogonal einfache, basiszentrierte, raumzentrierte und fl¨achenzentrierte, die vierte Reihe das monoklin einfache und basiszentrierte sowie das trikline und schließlich die f¨unfte Reihe das trigonale und das hexagonale Bra- vaisgitter. Zur Verdeutlichung der Symmetrie wurden hierbei oftkonventionelle Elementarzellengezeigt, deren Volumina ein Vielfaches der Elementarzelle ein- nehmen. F¨ur basis– und raumzentrierte Gitter hat die konventionelle Zelle das doppelte Volumen, f¨ur fl¨achenzentrierte Zellen das vierfache Volumen der Elemen- tarzelle. Beim hexagonalen Gitter ist eine dreifache Zelle gezeigt. Die das Symbol Γ benutzenden Bezeichnungen folgen der Notation nach Schoenflies, die großen lateinischen Buchstaben entsprechen der internationalen Notation.

Der Nutzen derWigner–Seitz–Zellewird hier besonders deutlich, weil sie immer die Symmetrie des Gitters besitzt. Die Wigner–Seitz–Zelle des einfach kubischen Gitters ist ein W¨urfel. Die Wigner–Seitz–Zelle des kubisch raumzentrierten Git- ters wird von 14 Fl¨achen begrenzt und ist in der untenstehenden Abbildung links zu sehen. Die roten und gr¨unen Mittelsenkrechten zu den W¨urfeleckpunkten be- grenzen ein regul¨ares Oktaeder, dem durch die gelben Mittelsenkrechten zu den zweiten Gitternachbarn die Spitzen abgeschnitten werden. Rechts in der folgenden Abbildung ist die Wigner–Seitz–Zelle des kubisch fl¨achenzentrierten Gitters abge- bildet, ein Rhombendodekaeder, das von den Mittelsenkrechten zu den 12 n¨achsten Nachbarn in diesem Gitter begrenzt wird. Diese beiden Wigner–Seitz–Zellen sind f¨ur viele kubische Kristalle von großer praktischer Bedeutung.

Das zu einem GitterT reziproke GitterT hat dieselbe Symmetrie wie das Gitter T. Dies erkennt man sofort aus den Gleichungen (2.12) f¨ur die Basisvektoren.

Ebenso leicht kann man einsehen, daß f¨ur einfache und basiszentrierte Gitter die reziproken Gitter zur selben Bravaisklasse geh¨oren. Die zu raumzentrierten

(23)

Gittern reziproken sind jedoch fl¨achenzentriert und die zu fl¨achenzentrierten sind raumzentriert.

Die bisherigen Klassifikationsbegriffe bezogen sich ausschließlich auf die Gitter.

Wir wollen uns jetzt der Beschreibung der Symmetrie der Kristalle selbst zuwen- den. Zur Beschreibung derStruktur eines Kristalls reicht es meistens aus, die Lage der Kerne in einer Elementarzelle anzugeben. (Bemerkung: In den meisten F¨allen hat die elektronische Struktur dieselbe Symmetrie wie die durch die Kernlagen gegebene. Eine wichtige Ausnahme bilden z.B. Antiferromagnete, bei denen die Spindichte der Elektronen eine geringere Symmetrie hat.) Falls jede Elementarzelle nur einen Kern enth¨alt (das kommt nat¨urlich nur bei chemischen Elementen vor), nennt man die Kristallstruktur ein Bravaisgitter. Im anderen Fall spricht man von einem Gitter mit Basis, wobei die Basis ein Satz von Vektoren ist, die von einem Kern auf die anderen Kerne in einer Elementarzelle zeigen.

Zur Klassifikation der Kristallstrukturen benutzt man die Bewegungsgruppen, die die Struktur invariant lassen, die sogenannten Raumgruppen. Eine Bewegung wird durch eine lineare Abbildung

B(r) =Dr+t (3.3)

beschrieben, wo D eine (eigentliche oder uneigentliche) Drehmatrix ist und t ein Verschiebungsvektor. Das Ergebnis von Drehung plus Translation ist im allge- meinen nicht leicht zu veranschaulichen. Es ist jedoch m¨oglich, durch geeignete Wahl des Koordinatenursprungs bei jeder vorgegebenen Bewegung den Transla- tionsvektor t so zu ver¨andern, daß die Bewegung einem der folgenden vier Typen entspricht:

- Reine Translation, falls Ddie Einheitsmatrix ist.

- Schraubung, d.h. eine eigentliche Drehung (um einen nicht verschwinden- den Winkel) zusammen mit einer Translation in Richtung der Drehachse. Im Spezialfall verschwindender Translation ist die Schraubung eine pure eigentliche Drehung.

- Drehspiegelung, d.h. Drehung um eine Achse (um einen nicht verschwinden- den Winkel) und nachfolgende Spiegelung an einer zur Drehachse senkrechten Ebene. Hierbei ist keine Translation im Spiel.

- Gleitspiegelung, d.h. Spiegelung zusammen mit einer Translation um einen in der Spiegelebene liegenden Vektor.

Nach der im Jahre 1891 von Schoenflies und Fedorov abgeschlossenen vollst¨andigen Klassifikation der Kristallsymmetrien unterscheidet man 230 verschiedene Raumgruppen. Die Drehanteile D aller Elemente der Form (3.3) einer Raum- gruppe bilden eine Punktgruppe, nach der man die Raumgruppen in Kristall- klassen einteilt. Die Punktgruppe muß eine Untergruppe der Holoedrie des Kristallgitters sein. Die sieben oben aufgez¨ahlten Holoedrien haben zusammen genau 32 Untergruppen. Daher gibt es 32 verschiedene Kristallklassen. Die zu einer Kristallklasse P geh¨origen Raumgruppen werden nach Schoenflies durch

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D

h

4h

O

C1

2 C2 C1h C3

S

C2h C2v C6 S6 D3 C3v C3h

4 D2

4h D D

C D

4 2d C

4v 2h D

6 C

6h C

T 6v

h O D

d 6h

S C4

T T

D3d

D3h

(25)

einen oberen Indexnin der FormPn durchnumeriert. Die internationale Notation verwendet f¨ur die Punktgrupppen eine symbolische Darstellung mittels Symme- trieelementen und kombiniert f¨ur die Raumgruppen den Gittertyp mit den Punkt- gruppensymbolen (siehe: International Tables for X–Ray Crystallography).

Die 32 kristallographischen Punktgruppen (siehe dazu G.F. Koster: “Properties of the 32 Point Groups”) sind zusammen mit ihren Untergruppenbeziehungen (Verbindungslinien) in der Abbildung auf der letzten Seite gezeigt. Dabei sind die 7 Holoedrien farbig markiert. Eine Kristallklasse wird dem Kristallsystem geringster Symmetrie zugerechnet, in dessen Holoedrie seine Punktgruppe enthalten ist. In der Abbildung sind alle Kristallklassen mit ihrem Kristallsystem durch gef¨arbte Linien verbunden.

Man beachte, daß die Punktgruppe zu einer Raumgruppe nicht notwendig deren Untergruppe sein muß. Wie oben schon bemerkt wurde, h¨angt die Translation t, die zu einer Bewegung (3.3) geh¨ort, von der Wahl des Koordinatenursprungs ab. F¨ur 73 Raumgruppen ist es m¨oglich, den Ursprung so zu legen, daß alle DrehanteileDin der Raumgruppe mit verschwindender Translationt=0vorkom- men. Diese Raumgruppen nennt mansymmorph. F¨ur sie stammen alle vorkom- menden Translationen aus der Translationsgruppe T. Bei den nichtsymmorphen Raumgruppen geh¨oren zu gewissen PunktgruppenelementenDsogenannte nicht- primitive Translationen, die Bruchteile von Gittervektoren sind. Von den 36 Raumgruppen des kubischen Kristallsystems sind 23 symmorph und 13 nichtsym- morph.

Bemerkung zum Ph¨anomen der Quasikristalle: Im Jahre 1984 wurden bei abgeschrecktenAl−M n–Legierungen erstmals Laue–Diagramme mit scharfen Braggreflexen f¨unfz¨ahliger Symmetrie beobachtet. Die Sch¨arfe der Reflexe schien auf große Kristallite hinzuweisen; f¨unfz¨ahlige Symmetrie kann jedoch f¨ur Gitter mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Diese Beobachtung hat deshalb zun¨achst große Verwirrung hervorgerufen. Aufgel¨ost wird das Paradoxon durch die Einsicht, daß scharfe Braggreflexe nicht nur durch diskrete Translationsgitter hervorgerufen werden k¨onnen, sondern auch durch diskrete Untermengen von Punktmengen, die durch nichtdiskrete dreidimensionale Vektorgruppen erzeugt werden. Solche Un- termengen k¨onnen durch geeignete Projektion von scheibenf¨ormigen Ausschnitten aus h¨oherdimensionalen Translationsgittern erzeugt werden. Die Quasikristalle haben daher keine TranslationssymmetrieT, sondern sind nichtperiodische Anord- nungen von Atomen, die jedoch eine Richtungsfernordnung haben, bei der bestimmte charakteristische Verbindungsvektoren zwischen Atomen unendlich oft vorkommen.

Zum Abschluß dieses Kapitels werden wir die Konsequenzen der Kristallsym- metrie f¨ur makroskopische Eigenschaften von Kristallen diskutieren. Symme- trien erlauben gewisse allgemeing¨ultige Aussagen ¨uber physikalische Eigenschaften von Kristallen. Wir werden dabei insbesondere die N¨utzlichkeit des Begriffs der Kristallklassen begreifen.

Als erstes Beispiel betrachten wir die elektrische Leitf¨ahigkeit eines Kristalls. Sie

(26)

wird im allgemeinen durch denLeitf¨ahigkeitstensor σˆ beschrieben, mit dem Ji =X

j

σijEj (3.4)

gilt. Man kann zeigen, daß der Leitf¨ahigkeitstensor die Symmetrie der Punkt- gruppe des Kristalls besitzt. Dies ist f¨ur symmorphe Kristalle offensichtlich, weil jede Punktgruppenoperation angewendet auf den Kristall die gesamte Versuchs- anordnung in sich ¨uberf¨uhrt. Die f¨ur nichtsymmorphe Kristalle auftretende nicht- primitive Translation ¨andert aber an diesem Resultat nichts, weil eine Translation in dem homogenen elektrischen Feld f¨ur die Messung der makroskopischen (homo- genen) Stromdichte irrelevant ist. Wir k¨onnen daher allgemein schließen, daß in jedem Falle, d.h. auch f¨ur nichtsymmorphe Kristalle, tensorielle makroskopische Kristalleigenschaften immer die Symmetrie der Punktgruppe haben.

F¨ur den hier zun¨achst betrachteten Leitf¨ahigkeitstensor bedeutet das, daß f¨ur jedes Element ˆD aus der Punktgruppe P

−1σˆDˆ = ˆσ oder [ ˆD,σ] = 0ˆ (3.5) gilt. Die Zahl der unabh¨angigen Elemente des Leitf¨ahigkeitstensors, die ohne jegliche Symmetrien bis zu 9 sein kann, kann durch die Symmetrie erheblich eingeschr¨ankt werden. F¨ur kubische Kristalle insbesondere kann man folgern, daß sie immer eine v¨ollig isotrope Leitf¨ahigkeit besitzen, so daß gilt

ˆ

σ =σ·ˆ1. (3.6)

Wir werden dies nun f¨ur die kleinste Punktgruppe des kubischen Systems, die Tetraedergruppe T, zeigen, die eine Untergruppe der anderen vier kubischen Punktgruppen ist. Wir legen dazu das kartesische Koordinatensystem so, daß die zweiz¨ahligen Drehachsen des Tetraeders die Koordinatenachsen sind, wie in der folgenden Figur durch Einschreibung in einen W¨urfel verdeutlicht.

Die Tetraedergruppe wird dann durch die zweiz¨ahligen Drehachsen in Rich- tung der W¨urfelkanten und durch die dreiz¨ahligen Drehachsen in Richtung der W¨urfeldiagonalen aufgespannt. Durch die zweiz¨ahligen Drehungen k¨onnen wir

(27)

die Vorzeichen eines beliebigen Paares von Komponenten umkehren, z.B. x →

−x, y→ −y. Dies w¨urde eine Vorzeichenumkehr f¨ur alle nichtdiagonalen Elemente von ˆσ bewirken, z.B. σx,z → −σx,z; solche Elemente m¨ussen daher verschwinden.

Die dreiz¨ahligen Drehungen vertauschen die kartesischen Komponenten zyklisch, woraus die Gleichheit der Diagonalelemente von ˆσ folgt. Insgesamt ergibt sich daraus die Eigenschaft (3.6).

Als zweites Beispiel betrachten wir denpiezoelektrischen Tensoreines Kristalls.

Er beschreibt die elektrische Polarisation P, die durch eine Verzerrung eines Kristalls hervorgerufen wird. Da die Verzerrungen durch den Verzerrungstensor ǫjk beschrieben werden, muß der piezoelektrische Tensor ˆcein Tensor dritter Stufe sein und es gilt

Pi =X

jk

cijkǫjk. (3.7)

Der Verzerrungstensor ist symmetrisch, ǫjk = ǫkj, und hat daher 6 unabh¨angige Komponenten. Daher hat der piezoelektrische Tensor im allgemeinen 18 un- abh¨angige Komponenten und wir k¨onnen die Symmetrie

cijk =cikj (3.8)

annehmen. Falls die Punktgruppe eines Kristalls die Inversion enth¨alt, die die Vorzeichen aller drei kartesischen Komponenten umkehrt, folgt cijk = −cijk = 0.

Solche Kristalle k¨onnen niemals piezoelektrisch sein.

F¨ur kubische Kristalle untersuchen wir wieder die Implikationen der Kristallklasse T. Hinsichtlich der Komponenten ijk unterscheiden wir hierzu drei F¨alle:

1. i = j = k: Mit einer zweiz¨ahligen Drehung, die das Vorzeichen dieser Kom- ponente umkehrt, folgt ciii =−ciii = 0.

2. Genau zwei gleiche Indizes: Mit einer zweiz¨ahligen Drehung um die Achse der gleichen Indizes wird das Vorzeichen des dritten Index umgekehrt und die Komponenten ckii =ciki =ciik = 0 (i6=k) m¨ussen verschwinden.

3. Alle Indizes verschieden: Hier vertauscht die dreiz¨ahlige Drehung die Indizes zyklisch und zusammen mit der Symmetrieeigenschaft (3.8) m¨ussen alle 6 Komponenten dieser Art gleich sein.

Wir haben damit gezeigt, daß die piezoelektrischen Eigenschaften von Kristallen aus der Klasse T durch einen einzigen Parameter gekennzeichnet sind:

cijk =

c (i6=j 6=k 6=i)

0 (sonst). (3.9)

F¨ur Kristalle der Klasse Td gilt dasselbe Ergebnis. Die vierz¨ahlige Achse der KlasseO kann benutzt werden, umcijk =−cikj zu zeigen. Hierzu verwendet man die Drehung, die j in k und k in −j ¨uberf¨uhrt. Daher sind auch Kristalle der Klasse O niemals piezoelektrisch.

Damit wollen wir die expliziten Anwendungen beschließen. Der interessierte Leser kann sich durch die Bestimmung der Zahl der unabh¨angigen Komponenten des elastischen Tensors (vierter Stufe) kubischer Kristalle ¨uben.

(28)

4. Einfache Kristallstrukturen

In diesem Kapitel wollen wir einige einfache, h¨aufig vorkommende Kristallstruk- turen vorstellen.

Die einfachsten Strukturen sind solche ohne Basis, die nat¨urlich nur f¨ur chemische Elemente vorkommen k¨onnen. Es zeigt sich, daß die Mehrzahl der Elemente in wenigen einfachen Strukturen kristallisieren, wie in dem folgenden Periodensystem gezeigt.

Al Si P S Cl Na

Cs Sr Y Zr Ru Pd Ag In Sn Sb Te I Xe

Fr Ra Ac

Ar Ne F Be

Li

K Ca Sc Ti Ni Ga Se Br Kr

Rb Ba La Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At

Lu Yb Tm Er Dy

Tb Gd Eu Sm Pm Pr

Ce

Th Pa Pu AmCm Cf Es Fm

Diamant fcc

bcc

Np

N Mg

O

Md Lw Zn

Nd U

Cu Cd

B C

Fe

Rn As

Co Ge

Tc Nb

Mn

Ta Mo

Cr

W V

Hf

Ho Bk

Rh

hcp dhcp

Wir werden in diesem Kapitel acht einfache Strukturen aufz¨ahlen.

1. Die fcc–Struktur (Raumgruppe O5h bzw. Fm3m): Die Atome bilden ein kubisch fl¨achenzentriertes Bravaisgitter, wie auf der n¨achsten Seite oben links gezeigt. Wenn man den Radius der Atome soweit vergr¨oßert, daß sie einan- der ber¨uhren, erh¨alt man eine dichte Kugelpackung. Es ist nicht m¨oglich, Kugeln in drei Dimensionen dichter zu packen. Die dichte Kugelpackung ist besser zu erkennen, wenn man die w¨urfelf¨ormige konventionelle Elementarzelle um eine halbe Kantenl¨ange verschiebt, so daß die Atome im Zentrum der Zelle und auf den 12 Kantenmitten liegen, wie auf der n¨achsten Seite oben rechts gezeigt. Man erkennt jetzt leicht, daß jedes Atom in der fcc–Struktur 12 n¨achste Nachbarn besitzt. Außerdem sieht man, daß die Atome in Ebenen senkrecht zu den W¨urfeldiagonalen in Form eines Dreiecksgitters dicht gepackt

(29)

sind. Diese Dreiecksgitterebenen sind dann so aufeinandergelegt, daß ein Atom der n¨achsten Ebene jeweils ¨uber dem Zentrum eines Dreiecks von Atomen liegt und mit diesem ein regul¨ares Tetraeder bildet. Wie die untenstehende Abbildung zeigt, gibt es zwei M¨oglichkeiten, die Ebenen aufeinanderzulegen.

Auf eine Ebene der Position A kann eine Ebene der Position B oder C folgen.

Die fcc–Struktur entsteht, wenn man die drei Positionen zyklisch wiederholt, z.B. indem man die Ebenen in der Reihenfolge ABCABC... stapelt (d.h. die n¨achste Ebene wird jeweils um einen blauen Vektor verschoben). Offenbar k¨onnen durch andere Stapelfolgen andersartige dichte Kugelpackungen erzeugt werden. Darauf werden wir bei den folgenden Strukturen zur¨uckkommen.

A

B C

2. Die bcc–Struktur (Raumgruppe O9h, Im3m): In dieser Struktur bilden die Atome ein kubisch raumzentriertes Bravaisgitter, wie auf der n¨achsten Seite oben links gezeigt. Jedes Atom hat 8 n¨achste Nachbarn in dieser Struktur, die weniger dicht gepackt ist als die fcc–Struktur.

3. Die hcp–Struktur (Raumgruppe D46h, P63/mmc, nichtsymmorph): Dies ist eine hexagonal dicht gepackte Struktur (hcp = hexagonal close–packed), die Dreiecksgitterebenen in der Stapelfolge ABABAB... packt. Es handelt sich hier um eine Struktur mit zwei Atomen pro Elementarzelle, die auf der folgenden Seite oben rechts gezeigt ist. Die roten Atome markieren drei Ele- mentarzellen des hexagonalen Bravaisgitters. In jeder Elementarzelle liegt außer einem rot markierten Atom in Position A ein gr¨un markiertes in Po- sition B. Die Raumgruppe dieser Struktur legt das Verh¨altnis zwischen der

(30)

Seitenl¨ange a des Basissechsecks und der Prismenh¨ohe c nicht fest. Falls die Struktur jedoch eine dichte Kugelpackung sein soll, mußcgleich der doppelten H¨ohe des regul¨aren Tetraeders mit der Kantenl¨angeasein, d.h.c/a=p

8/3≈ 1,633. Bei Kristallen mithcp–Struktur weicht der Wert des c/a–Verh¨altnisses meist nur wenig von diesem idealen Wert ab. Die Raumgruppe ist nichtsym- morph. (Sie enh¨alt eine Schraubung mit nichtprimitiver Translation.)

4. Die dhcp–Struktur (Raumgruppe D46h, P63/mmc): Diese hexagonale Struktur (dhcp = double hexagonal close–packed) mit derselben Raumgruppe wie diehcp–Struktur ist durch die Stapelfolge ABACABAC... gekennzeichnet.

Gegen¨uber der hcp–Struktur ist die Elementarzelle in c–Richtung verdoppelt und enth¨alt hier vier Atome. Bei idealem c/a–Verh¨altnis ist auch diese Struk- tur dicht gepackt.

5. Die Diamantstruktur (Raumgruppe O7h, Fd3m): Die Diamantstruktur besteht aus einem kubisch fl¨achenzentrierten Gitter (rot markierte Atome) mit Basis (gr¨un markierte Atome). Gezeigt ist unten die konventionelle vierfache Elementarzelle der Kantenl¨ange a. Der Basisvektor (a/4, a/4, a/4) verschiebt das gr¨un markierte Gitter um ein Viertel der W¨urfeldiagonale. Daher liegt jedes Atom im Zentrum eines von seinen vier n¨achsten Nachbarn gebildeten regul¨aren Tetraeders. In dieser l¨ochrigen Struktur sind die Atome sehr locker gepackt. Obwohl die Struktur um jedes Atom nur die tetraedrische Symmetrie

(31)

besitzt, geh¨ort diese Struktur zur Kristallklasse Oh. Die Inversion ist tats¨achlich ein Symmetrieelement dieser Struktur, wenn man sie um die Mitte der Verbindungslinie zwischen zwei benachbarten Atomen ausf¨uhrt. Dies zeigt, daß die Raumgruppe der Diamantstruktur nichtsymmorph ist. Wenn der Ur- sprung ins Zentrum eines Atoms gelegt wird, sind die Elemente der Tetraeder- gruppe Td in der Raumgruppe enthalten, die Inversion jedoch nur, wenn sie um eine nichtprimitive Translation (einen der Vektoren (±a/4,±a/4,±a/4)) erg¨anzt wird.

Das auf der Seite 28 gezeigte Periodensystem kennzeichnet die Elemente, die in einer der oben vorgestellten Strukturen kristallisieren. Die H¨aufigkeit der Struk- turen fcc und hcp kann man so deuten, daß die Atome aufgrund einer isotropen Anziehung dichte Kugelpackungen einnehmen m¨ochten. Offenbar wird die dichte Packung aber bei metallischer Bindung - siehe hierzu besonders die Alkalimetalle - nicht immer angestrebt. Die Diamantstruktur, in der die Atome sehr locker gepackt sind, weist klar auf die Bedeutung gerichteter kovalenter Bindungen hin.

Wir werden diese Bindungstypen im n¨achsten Kapitel diskutieren.

Im folgenden werden wir drei weitere Strukturen vorstellen, in denen eine Vielzahl von zweikomponentigen Verbindungen kristallisieren.

6. Die Kochsalzstruktur (Raumgruppe O5h, Fm3m): Hier liegen die An- ionen und die Kationen auf je einem fcc–Gitter, die um den Basisvektor (a/2, a/2, a/2) gegeneinander verschoben sind. Wie unten links gezeigt ist, ist dadurch jedes Ion von sechs Ionen der anderen Sorte umgeben. (Wenn die Anionen und die Kationen identische Objekte w¨aren, h¨atten wir eine einfach kubische Bravaisstruktur.)

7. Die CsCl–Struktur (Raumgruppe O1h, Pm3m): Hier liegen die Anionen und die Kationen auf je einem einfach kubischen Gitter, die um den Basisvektor (a/2, a/2, a/2) gegeneinander verschoben sind. Hier ist jedes Ion von acht Ionen der anderen Sorte umgeben, wie in der obigen rechten Abbildung zu sehen ist. (Wenn die Anionen und die Kationen hier identische Objekte w¨aren, h¨atten wir eine kubisch raumzentrierte Bravaisstruktur.)

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8. Die Zinkblendestruktur(RaumgruppeT2d,F¯43m, symmorph): Sie hat ein kubisch fl¨achenzentriertes Gitter mit derselben Basis wie die Diamantstruktur, nur enth¨alt die Elementarzelle hier nicht zwei identische Atome, sondern je ein Anion und ein Kation. Die Struktur entspricht der Abbildung auf Seite 30, wenn man die roten Atome mit den Zn–Ionen und die gr¨unen Atome mit den S–Ionen identifiziert. Anders als bei der Diamantstruktur ist die Inversion hier kein Symmetrieelement und daher geh¨ort diese Struktur zur KristallklasseTd.

(33)

5. Bindung der Kristalle

In diesem Kapitel wollen wir uns einen ersten elementaren Einblick in die Bindung der Kristalle verschaffen. Man unterscheidet eine Reihe verschiedener Arten von Bindung, insbesondere die van der Waals–Bindung, die ionische Bindung, die kova- lente Bindung und die metallische Bindung. Diese Bindungstypen sind idealisierte Grenzf¨alle, von denen in realen Kristallen oft mehrere zusammenwirken.

a) Die van der Waals–Bindung:

Edelgase bilden die am einfachsten zu verstehenden Kristalle. Das liegt daran, daß die Edelgasatome aufgrund ihrer gef¨ullten Elektronenschalen sehr starre, schwer zu deformierende kugelsymmetrische Atome sind. Sie k¨onnen als elementare Bausteine betrachtet werden, die einer effektiven Paarwechselwirkung unterliegen.

Die effektive Wechselwirkung hat zwei wesentliche Ursachen, die man qualitativ leicht verstehen kann. Quantitativ kann man die Parameter der im folgenden erl¨auterten Wechselwirkung z.B. aus den Virialkoeffizienten in der Gasphase ex- perimentell bestimmen, ohne irgendwelche Festk¨orpereigenschaften ins Spiel zu bringen.

Die Wechselwirkung zwischen zwei Atomen in großem Abstand R ist durch die attraktive van der Waals–Wechselwirkung

U(R)∼ −C/R6 (R→ ∞) (5.1)

gegeben. Diese effektive Wechselwirkung hat ihre Ursache in der Coulombwechsel- wirkung zwischen den geladenen Konstituenten der Atome und r¨uhrt daher, daß in einem Atom durch die Anwesenheit eines anderen einelektrisches Dipolmo- ment induziert wird. Wir wollen die van der Waals–Anziehung im folgenden kurz mittels einer einfachen quantenmechanischen St¨orungsrechnung ableiten.

Wir betrachten dazu zwei (der Einfachheit halber) identische Atome a und b mit je Z Elektronen im Abstand R, der groß gegen den Atomradius sein soll. Die Lagen der Elektronen bezeichnen wir mittels der Vektorenr undr, wie in der folgenden Abbildung gezeigt.

r a µ r

b ν R

Der Operator der Wechselwirkung zwischen den beiden Atomen setzt sich aus den Coulombwechselwirkungen zwischen den Ladungen der beiden Atome zusammen

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