Otto XErdEJtAi En, Maihematische. Keilschrift-Texte, heraus¬
gegeben und bearbeitet. — Berlin, J. Springer 1935—1937
(Quellen und Studien zur Geschichte der Mathematik,
Astronomie und Physik. Abt. A : Quellen, 3. Band). 2 Bände.
1. Band: Texte. Xll, 516 S. mit 85 Textfiguren Gr.-S".
2. Band: Register, Glossar, Nachträge, Tafeln. IV, 65 S.
mit 10 Textfiguren, 69 Tafeln in Lichtdruck und Auto¬
graphie. 4". RM. 128.—. 3. Band: Ergänzungsheft. Vlll,
85 S. mit 6 Tafeln in Autographie. 4". RM. 26.60.
Wenn die babylonische Mathematik Jahrzehnte hindurch
nicht die Beachtung in der Wissenschaft gefunden hat, die
ihr ihrer Bedeutung nach zukommt, so lag das nicht zum
wenigsten daran, daß lange Jahre nur geringe Teile der uns
erhaltenen mathematischen Literatur veröffentlicht waren.
Wohl besitzen fast alle großen Tontafelsammlungen meist
schon seit längerer Zeit auch mathematische Tafeln in grö¬
ßerer oder geringerer Anzahl; herausgegeben wurden von
diesen im allgemeinen aber nur die leicht zu lesenden Rechen¬
tabellen, während die viel schwierigeren Aufgabentexte mit
wenigen Ausnahmen immer wieder zurückgestellt wurden.
Es ist eines der großen Verdienste 0. Neugerauer's, daß
er bei Inangriffnahme der umfassenden Erforschung der baby¬
lonischen Mathematik diesen Mangel nicht nur erkannte,
sondern auch alsbald an seine Abstellung ging. Als vorläufig
abschließendes Ergebnis seiner keine Mühe scheuenden Arbeit
legt er uns jetzt das hier zur Besprechung stehende Werk
vor, das nach der systematischen Seite durch den kurz vorher
erschienenen 1. Band seiner „Vorlesungen über Geschichte
der antiken mathematischen Wissenschaften" (Berlin 1934)
ergänzt wird. Es ist nicht N.s Schuld, wenn das Werk die
186 Bücherbesprecliuiigen
ihm vorschwebende Vollständigkeit nicht ganz erreichte;
haben doch die in Frage kommenden Museen ihm nur teil¬
weise ihre Sammlungen in vollem Umfang zugänglich ge¬
macht. Es ist zu hoffen, daß für den von N. angekündigten
Nachtrag da auch noch die letzten Schranken fallen werden,
so daß dann wenigstens die heute schon in den Museen auf¬
bewahrten Tafeln der Forschung vollzählig zur Verfügung
stehen werden.
Der 1. Band von N.s Werk zerfällt in zwei ungleiche Teile,
deren kleinerer erster die Rechentabellen behandelt, bei denen
eine vollständige Wiedergabe sämtlicher Texte unnötig war,
während der weit umfangreichere 2. Teil die Aufgabentexte
in Umschrift und Übersetzung mit ausführlichem Kommentar
darbietet. Der 2. Band fügt diesem in seinem Textteil Re¬
gister, Literaturverzeichnis und vor allem ein bei den meisten
Wörtern sämtliche Belege buchendes akkadisches und sume¬
risches Glossar zu, ferner noch wichtige Nachträge zum
1. Band. Sein Tafelteil gibt dann von den meisten der be¬
handelten Texte gute Lichtdrucke und autographierte Kopien,
die die Möglichkeit einer Nachprüfung von N.s Textgestaltung
vermitteln. (Für den 3. Band vgl. unten S. 201 ff.)
Es ist nur billig, wenn eine Besprechung dieses Werkes
mit dem lebhaften Dank beginnt, den wir N. für die zu
seinem Abschluß erforderliche gewaltige Arbeit und die darauf
verwandte liebevolle Sorgfalt schulden. Wir glauben aber
auch im Sinn des Verfassers zu handeln, wenn wir darum
nicht viele Worte machen, sondern den Dank lieber durch
Mitarbeit an den vielen hochbedeutsamen Fragen, die sein
Werk aufwirft, abzustatten suchen. Denn N. selbst erhebt ja
nicht den Anspruch, mehr als eine Grundlage zu bieten,
auf der die weitere Forschung sowohl der Mathematiker als
auch der Philologen aufbauen soll, um so nach und nach das
Gefüge der babylonischen Mathematik in seinen Einzelheiten
wie in seinem geschichtlich gewordenen Ganzen voll verständ¬
lich zu machen. Ehe wir an diese Arbeit herangehen, ist es
freilich nötig, gewissenhaft nachzuprüfen, wie weit N.s Arbeit
wirklich schon eine gesicherte Grundlage für zukünftige
Untersuchungen darstellt und wo die notwendigerweise nur
vorläufigen Stellungnahmen zu noch ungelösten Fragen an¬
fangen. Es empfiehlt sich dabei, die Nachprüfung der Text¬
gestaltung und Übersetzungen im einzelnen von der der all¬
gemeinen Deutungsgrundsätze zu trennen und von den letz¬
teren auszugehen, da wir von ihnen aus direkt an die ent¬
scheidenden Fragen, die sich an die babylonische Mathematik
knüpfen, herangeführt werden. Daß wir diesen sehr ver¬
wickelten allgemeinen Fragen, so reizvoll das wäre, in einer
Besprechung nicht bis ins einzelne nachgehen können, liegt
auf der Hand; ich darf hier zur Ergänzung auf meinen Aufsatz
„Leistung und Grenze sumerischer und babylonischer Wissen¬
schaft" in „Die Welt als Geschichte", Band II (1936), S. 411
bis 464 und 509—557 hinweisen, in dem auf S. 509—533 auch
die Mathematik der Babylonier unter besonderer Berück¬
sichtigung von N.s Auffassungen behandelt ist.
Die mathematische Literatur der Babylonier, die, soweit
erhalten, zum größten Teil aus der altbabylonischen Zeit
stammt 1), ist nicht sehr vielseitig; sie umfaßt nur die beiden
großen Gruppen der Rechentabellen, die als Rechenhilfen
schon für die ältere sumerische Zeit bezeugt sind, und der
Aufgabentexte, von denen ein Teil auch die Lösungen mit
oder ohne Ausrechnungen beigibt"). Ihre sachgemäße Er¬
klärung hat mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß in keinem
der Texte die zugrundeliegenden Gedankengänge und Er¬
kenntnisse irgendwie erläutert oder gar formuliert sind; wir
sind also darauf angewiesen, diese Gedankengänge, ohne
deren Kenntnis wir nie zu einem wirklichen Verständnis von
Wollen und Können der babylonischen Mathematik gelangen
können, aus Anordnung und Gestalt der Rechentabellen, aus
Inhalt und Formulierung der Aufgaben sowie aus den Ver-
1) Gegen N.s spätere Datierung eines Teils der Aufgaben texte habe ich mich schon a. a. O. S. 517, Anm. 16 ausgesprochen.
2) Bei der letztgenannten Gruppe entspricht oft einer 1. Person in
der Aufgabe eine 2. Person in der Lösung; diese Beobachtung in Ver¬
bindung mit anderen Eigentümlichkeiten der Stilisierung lehrt uns, daß
die Aufgabe anscheinend oft als Frage des Schülers, die Lösung als
Antwort des Lehrers gedacht war.
188 B ücherbesprechu ngen
fahrensweisen der Ausrechnungen soweit als möglich zu er¬
schließen. Es leuchtet ein, daß sichere Erkenntnisse auf
diesem Wege nur sehr schwer zu gewinnen sind, um so mehr
als heute noch nicht einmal ein einwandfreies Verständnis
des Wortlauts der Texte überall erzielt ist. Aber selbst dann,
wenn wir diese letzte Schwierigkeit einmal als überwindbar
betrachten, würden wir bei einer Beschränkung der Blick¬
richtung auf die babylonische Mathematik allein über die
Erarbeitung von allerlei zweifellos wichtigen äußeren Tat¬
sachen nicht hinauskommen ; denn eine Einsicht in ihr eigent¬
liches Wesen können wir erst erhoffen, wenn es uns gelingt,
diese Tatsachen richtig in größere geschichtliche Zusammen¬
hänge einzuordnen. Hier ist es nun von entscheidender Be¬
deutung, ob wir die babylonische Mathematik in erster Linie
als Entwicklungsstufe innerhalb der die verschiedensten
Völker übergreifenden Geschichte einer überall durch die
gleichen Gesetzlichkeiten bestimmten Mathematik sehen oder
ob wir sie vor allem als Teilgebiet einer in sich einheitlichen
babylonischen Wissenschaft betrachten. N. wurde schon
durch sein Hauptarbeitsgebiet dazu geführt, die Frage nach
der Stellung Babyloniens im Rahmen der allgemeinen Mathe¬
matikgeschichte in den Vordergrund zu stellen, wobei ihm
die heute ja immer noch sehr weit verbreitete entwicklungs¬
geschichtliche Betrachtungsweise anscheinend ein selbstver¬
ständlicher Ausgangspunkt war. Im Einklang mit dieser Ge¬
schichtsauffassung mußte es ihm daher als durchaus unanstößig
erscheinen, sich die Gedankengänge der babylonischen Mathe¬
matik weithin nach Art derer der griechischen und unserer
Mathematik vorzustellen und dementsprechend die Ausrech¬
nungen der Texte in seinen Erläuterungen durch Umsetzung
in moderne Formelreihen zu erklären, die oft nur in sehr
loser Beziehung zu den Angaben der Texte stehen.
Ich glaube auf Grund eines eingehenden Studiums der
Texte nicht, daß wir auf diesem Wege je zu einem echten
Verständnis der babylonischen Mathematik kommen. In
meinem oben genannten Aufsatz habe ich daher versucht,
die Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung sumerischer
und semitisch-babylonischer „Wissenschaft" für das Ver¬
ständnis der babylonischen Mathematik fruchtbar zu machen,
und bin dabei zu der Überzeugung gelangt, daß in ihr weithin
grundsätzlich andere Denkformen und Triebkräfte wirk¬
sam gewesen sind als in unserer und der griechischen Mathe¬
matik. Eine allseitige Aufhellung dieser uns ganz fremden
Denkformen ist vorläufig noch lange nicht erreicht; wir
können aber doch schon jetzt so viel mit Sicherheit sagen,
daß eindeutiges Wissen weder für die Sumerer noch für die
Babylonier, deren untereinander grundverschiedene Wesens¬
art übrigens zu ganz verschiedenen wissenschaftlichen Ge¬
staltungsformen geführt hat, mit begrifflicher Klarheit, wie
wir sie fordern, verbunden sein mußte. Aus diesem Grunde
werden wir keinesfalls annehmen dürfen, daß die Lehrsätze,
Formeln und allgemeinen Erkenntnisse, die wir in der mathe¬
matischen Literatur der Babylonier vermissen, obwohl von
ihnen anscheinend in irgendeiner Weise Gebrauch gemacht
wurde, nun in der neben der schriftlichen einhergehenden
mündlichen Überlieferung eine bestimmte Formulierung ge¬
funden hätten; es ist vielmehr durchaus zweifelhaft, ob alle
mathematischen Sachverhalte, die man für bestimmte
Zahlenbeispiele zu benutzen in der Lage war, in ihrer All¬
gemeingültigkeit überhaupt bekannt waren. Von logischen
Ableitungen gar, die mit den zuerst von den Griechen durch¬
geführten mathematischen Beweisen auch nur irgendwie in
einem Atem genannt werden könnten, haben die Sumerer und
Babylonier gegen N. („Vorlesungen" 1 S. 203 f.) sicher auch
nicht das geringste gewußt, eine Erkenntnis, die wieder durch
die Untersuchung ihrer übrigen Wissenschaften bestätigt
wird^). Allenfalls mit Vorbehalt können wir auch nur von
Gleichungen in der babylonischen Mathematik sprechen;
1) Um einer etwaigen ungerechten Beurteilung von N.s Arbeiten
vorzubeugen, muß gesagt werden, daß der hier beschrittene Weg, die
Mathematik vor allem als Glied der babylonischen „Wissenschaft" als
eines einheitlichen Ganzen zu sehen, für N. praktisch gar nicht gang¬
bar war, da er der bisherigen assyriologischen Literatur kein brauch¬
bares Gesamtbild von der babylonischen ,, Wissenschaft" entnehmen konnte.
190 Bücherbesprechungen
enthalten doch die Ausrechnungen der Texte in voller Über¬
einstimmung mit dem, was wir aus grundsätzlichen Erwä¬
gungen heraus erwarten müssen, keinerlei formulierte
Gleichungen, da Gleichungen ihrem Wesen nach Symbole
für ausdrücklich feststellende Sätze sind, diese aber auch sonst
in der babylonischen „Wissenschaft" fehlen. Wenn wir aus
praktischen Gründen wegen der auffälligen Ähnlichkeit vieler
babylonischer Ausrechnungsverfahren mit den unseren trotz¬
dem die Bezeichnung ,, Gleichung" beibehalten, so müssen
wir uns darüber klar sein, daß dieses Wort, auf die babylo¬
nische Mathematik angewandt, ebenso ein Notbehelf ist wie
das Sprechen von einer sumerischen und babylonischen
„Wissenschaft"; die bestimmten Vorstellungen, die wir mit
diesen Begriffen verbinden, müssen in all diesen Fällen als
hier nicht sachgemäß ganz außer Betracht bleiben.
Ist das Fehlen begrifflicher Klarheit als das vielleicht
wichtigste der die babylonische Mathematik von der unseren
unterscheidenden Wesensmerkmale richtig gesehen, so müssen
wir dieser Eigenart, deren genaue positive Kennzeichnung
wir der Zukunft überlassen müssen, natürlich auch im Rahmen
der Einzelerklärung der mathematischen Texte gebührend
Rechnung tragen. Mit der Formulierung von N.s Texterläute¬
rungen, die ja weithin von einer anderen Grundauffassung
babylonischer Mathematik getragen sind, können wir uns
daher sehr oft nicht einverstanden erklären"). Anders als N.
1) Die grundsätzlich so wichtige und bei anderen Wissenschafts¬
gebieten auch schon gut zu vollziehende Scheidung zwischen den Lei¬
stungen der Sumerer und denen der semitischen Babylonier (Akkader)
ist bei der Mathematik vorläufig noch nicht durchführbar, da wir wegen des Fehlens rein sumerischer Aufgabentexte von der sumerischen Mathe¬
matik zu wenig wissen (vgl. dazu meinen auf S. 187 genannten Aufsatz, besonders S. 528ff.); wenn wir daher einfach von der ,, babylonischen"
Mathematik sprechen, so umfaßt dieser Begriff die für die altbabylo¬
nische Zeit bezeugte Mathematik als Ganzes ohne Rücksicht auf ihre
sicher nicht einheitliche Herkunft.
2) Als Beispiel seien hier die Ausführungen auf S. 313f. unter b)
genannt, wo gleich am Anfang gesagt wird: „Die Bestimmung von x
aus der quadratischen Gleichung (2) (d.h. f = Lx-B [x — erfolgt
wieder so, daß ..."; hier muß ein mit der babylonischen Mathematik
werden wir moderne Begriffe, Formeln und in allgemeinen
Zahlen (Buchstabensymbolen) ausgedrückte Gleichungen nur
in dem Umfang verwenden, der zur Erläuterung der oft ja
recht schwer zu durchschauenden Rechnungen unbedingt
notwendig ist, und auch dann immer eine Ausdrucksweise
wählen, die die Unterschiede zwischen den zur Erklärung
herangezogenen modernen Begriffen oder Formeln und dem
Sinn der Aussagen in den Texten nicht verwischt. Daß diese
Forderung leichter aufgestellt als überall verwirklicht ist,
liegt auf der Hand; da aber auch scheinbar geringfügige Ver¬
stöße gegen sie die Gefahr einer Irreführung aller derer, die
sich ohne den Besitz von Sprachkenntnissen mit der babylo¬
nischen Mathematik bekannt machen wollen, in sich schließen,
können wir sie nicht ernst genug nehmen. Wer sich, und sei
es auch nur auf Grund von Übersetzungen, etwas eingehender
mit den babylonischen Aufgabentexten und den in ihnen
dargestellten Verfahren beschäftigt, wird leicht erkennen, wie
weit die von N. und anderen i) bisher vorgelegten Sacherklä¬
rungen der Texte dieser Forderung entsprechen oder nicht;
er wird dann gewiß dankbar und voll Bewunderung von dem
in ihnen niedergelegten reichen Wissen Gebrauch machen,
sich aber doch hüten, ihre Deutung der babylonischen An¬
gaben unbesehen zu übernehmen.
nicht vertrauter ohne weiteres annehmen, daß eine Gleichung etwa
dieser Art im Text steht. Auf S. 314 wird dann gesagt: „An dieser Stelle
ist besonders deutlich zu erkennen, wie sehr man sich der Tatsache
bewußt war, daß in der Formel A-B den Koeffizienten von be¬
deutet, ..."; N. legt hier gar den Babyloniern, die doch gar keine
Formeln hatten, die bewußte und verständnisvolle Analyse einer mo¬
dernen Formel unter. Formulierungen dieser Art sind, auch wenn sie
im Einzelfall mehr das Ergebnis etwas nachlässiger Ausdrucksweise als zielklarer Absicht sein mögen, nicht nur mißverständlich, sondern geradezu falsch und sollten daher unter allen Umständen unterbleiben.
1) Gegen Thubeac-Danoin's Erläuterungen zu seinen ausgezeich¬
neten Textbearbeitungen müssen teilweise die gleichen Bedenken an¬
gemeldet werden wie gegen die N.s. Die Gefahr von Mißverständnissen
ist bei ihnen aber dadurch geringer, daß T.-D. im allgemeinen die Er¬
setzung der bestimmten Zahlen der Texte durch Buchstabensymbole
vermeidet und sich auch sonst enger an die Aussagen der Quellen
anschließt.
1
192 Bücherbesprechungen
Können wir so die von N. erarbeitete Gesamtauffassung
der babylonischen Mathematik nicht überall als gesicherte
Grundlage für die weitere Arbeit an ihr anerkennen, da sie
oft in unzulässiger Weise babylonische Gedankengänge mit
modernen gleichsetzt i), so gewinnt eine sorgfältige Nach¬
prüfung von N.s Übersetzungen und den Lesungen, auf denen
sie aufbauen, natürlich erhöhte Bedeutung. Hier muß vorweg
bemerkt werden, daß N.s Fähigkeit, auch schwierigen und
schlecht erhaltenen Tafeln noch einen sinnvollen Text ab¬
zugewinnen, um so größere Bewunderung verdient, als er
sich in die Assyriologie weithin ohne jegliche Anleitung ein¬
arbeiten mußte und die ihm zur Verfügung stehenden lite¬
rarischen Hilfsmittel, wie jeder weiß, recht unvollkommen
waren. Auch die philologische Behandlung der Texte und die
Übersetzungen stehen, aufs Ganze gesehen, auf einer Höhe,
die in der heutigen Assyriologie leider noch keineswegs selbst¬
verständlich ist. Trotzdem hätte N. gut getan, das ganze
Manuskript vor der Veröffentlichung von assyriologischer
Seite durchsehen zu lassen, da dann neben einer ganzen
Anzahl von sachlichen Irrtümern und Falschlesungen vor
allem auch im Glossar manche für den Benutzer wenig erfreu¬
liche Schönheitsfehler hätten beseitigt werden können. Die
Wichtigkeit der Texte rechtfertigt es, wenn ich im folgenden,
ohne Vollständigkeit zu erstreben, einige dieser Irrtümer
richtigzustellen suche; ich setze dabei die zahlreichen Be¬
richtigungen, die Thurkau-Dangin's wertvolle Aufsätze in
RA 33 (1936) enthalten, als bekannt voraus. Von den mich
nicht überzeugenden Lesungen N.s werden hier nur solche
1) N. hat seine grundsätzliclie Einstellung zu den Leistungen der babylonischen Mathematik jetzt in einem Aufsatz „Zur geometrischen Algebra" in Quellen und Studien zur Gesch. d. Math. B III, S. 245-259
noch deutlicher zum Ausdruck gebracht als in den älteren Arbeiten.
Die modernisierende Umdeutung der babylonischen Mathematik ist
hier auf die Spitze getrieben, wenn u. a. gesagt wird (S. 257): ,,So ent¬
halten die mathematischen Keilschrifttexte überall Sätze über Drei¬
ecks- und Trapezflächen, Ähnlichkeitssätze usw." Wer kann aus einer
solchen Äußerung entnehmen, daß in den Texten überhaupt kein all¬
gemein feststellender Satz vorkommt?
besprochen, bei denen ich glaube, bessere Vorschläge machen
zu können; zu den übrigen möchte ich bemerken, daß N.
viel häufiger, als es tatsächlich geschehen ist, Fragezeichen
hätte anbringen müssen, da seine Umschriften nicht selten
eine Sicherheit der Lesung vortäuschen, die gar nicht er¬
reicht ist^).
Zu dem auf S. 123 ff. behandelten Bruchstück AO 10822
wäre die Vorlage der von N. benutzten Photographie dringend
erwünscht, da mehrere unmögliche Formen Zweifel an N.s
Lesung des offenbar besonders schwierigen Textes aufkommen
lassen. Sie wird wahrscheinlich u. a. bestätigen, daß statt
tar-ki-bu-ta (Z. 5. 7) tar-ki-bu sa!, statt li-qi a(?)-mur{??)
(Z.9) le-qe-a-am! „nimm mir!" und statt ha-aS-ha-ma (Z. 15.
17. 20. 22) ha-aS-ha-ku! „brauche ich" zu lesen ist.
Auf S. 126, Z. 1 möchte ich das von N. und Thureau-
Dangin noch nicht befriedigend gelesene erste Wort mit
Vorbehalt t[u!]-Sa!-runi lesen; als Bezeichnung einer begrenz¬
ten Fläche ist dieses sonst ,, Niederung" u. ä. bedeutende
Wort (vgl. dazu Meissner, BAWb II S. 73f.) allerdings sonst
m. W. nicht bezeugt.
Auf S. 137 VI 2 und S. 138 XII 1 ist doch wohl igi-gub!
ad-ku-uS-ma! zu lesen. dakäSu (vgl. dazu und zur Lesung -ma!
Thureau-Dangin, RA29,62f.) bezeichnet nach den bei¬
gefügten Zeichnungen in der Mathematik offenbar das
„Hineingehen" in eine Figur, um in sie eine andere mit
gleichem Mittelpunkt einzuschreiben. — An dieser Stelle
mag auch erwähnt werden, daß die bisher nicht bekannte
akkadische Entsprechung von sag-dü ,, Dreieck" gewiß das
als Lehnwort daraus abgeleitete santakku ist. Beweis dafür
ist neben dem Ideogramm as-iii-te (CT 18, 50, 11) die für
1) Kleine, unwesentliche Ungenauigkeiten in den Übersetzungen
übergehe ich. Irrtümer im Glossar werden, soweit sie von größerer
Bedeutung sind und nicht schon von Thühbaü-Dangin richtiggestellt
wurden, in den folgenden Einzelbemerkungen behandelt. Für die er¬
wähnten Schönheitsfehler vgl. z. B. Infinitivbildungen wie balkätu
(statt nabalkutu), utdru (statt watäru), kinu (statt kun/iu), kurü (statt karä) u. a. m. — Im folgenden verwende ich die in der ZA verzeichneten Abkürzungen.
Zeitschrift d. DMG Bd. 91 (Neue Folge Bd. IC) 13
194 B iicherbesprechungen
santakku später häufig bezeugte Bedeutung „Keil", da die
Schriftkeile auf den Tontafeln dreieckig sind (s. auch unten
S. 196)1).
Besonders viele Schwierigkeiten macht immer noch die
große Tafel BM 85194 (S. 142 ff.); nur einige von diesen seien
hier herausgegriffen. Auf S. 144, Z. 38 ist statt der Unform
it-te-si vielmehr et-te-si „ich entferne mich (vom Mittelpunkt)"
zu lesen und auf S. 145, Z. 27. 34. 41 statt ip-te-e-ma vielmehr
ep-te-e-ma „ich öffnete". Ein nach Schreibung und Bildung
gleich unmögliches Wort ist a-aS-ba-tum ebd. Z. 1; hier steht,
wie eine Reinigung der Tafel gewiß bestätigen wird, in Wirk¬
lichkeit sä!-an!-ku!-tum da, womit die Erklärung der Auf¬
gabe allerdings nicht leichter wird. Das sumerische Lehnwort
sankuttu bezeichnet nämlich nach den von P. Kraus in
MVAG 36, 1, 59 genannten Stellen einen Getreidebehälter;
man müßte also annehmen, daß die unbenannte Zahl 3,20 in
Z. 3 für eine Getreidemenge steht, die der Ernte der als Er¬
gebnis der Aufgabe genannten 2 iku Acker entspricht. Da
der Text aber die Ausrechnung und vielleicht auch schon die
Aufgabe offenbar unvollständig wiedergibt, wird sein Sinn
auch bei dieser Deutung nicht wirklich klar. — Recht un¬
befriedigend ist N.s Lesung und Ergänzung der schlecht er¬
haltenen Brunnenziegel-Aufgabe S. 146, Z. 38—51; leider
kann ich die meisten ihrer Schwierigkeiten auch noch nicht
überzeugend lösen. Gesichert erscheint mir nur, daß in Z. 50
zu kiplpatum kidänituml] „äußerer Umfang (des Brunnens)"
ergänzt werden muß, da die Berechnung des inneren Umfangs
(kippatum qerbltum) schon mit Z. 48 abschließt. In Z. 45 lies
nach Photographie nicht 40, sondern 1,40. — Das letzte Wort
von S. 148, Z. 47 ist zweifellos im-ha!-as! ,,er webte"; in der
folgenden Zeile lese ich dann statt des sinnlosen i-na ki-ri-ib mi
vielmehr i-na ki-ma!-sül-mi!, eine ungewöhnliche Schreibung
1) Gadd möchte in RA 19, 150ff. aus parallelen Omina für sag-dü das nicht vollständig erhaltene Wort Jum[ ] als akkadische Entspre¬
chung ansetzen. Wenn ich das Vorhandensein eines echt akkadischen
Wortes für ,, Dreieck" neben santakku auch nicht grundsätzlich in Ab¬
rede stellen möchte, so scheinen mir die genannten Omina doch nicht
ausreichend, um es zu erweisen.
für das nach dem Zusammenhang zu erwartende ina ki masi
ümi „in wie viel Tagen", die für die wirkliche Aussprache des
Altbabylonischen sehr aufschlußreich ist. — In Z. 36 und 37
auf S. 151 stehen sich in einem wegen mehrerer Lücken noch
nicht sicher zu deutenden Beispiel „4(?) vordere" (4? ma-
ah!-ru-tum) und „die hinteren" {wa!-ar-ku!-tum) gegenüber
(N. liest mehrere Zeichen falsch); zu was für einem Substantiv
diese Adjektive gehören, bleibt allerdings unklar. Am Ende
von Z. 37 ist wohl zu [i'^?-ga-am-ru zu ergänzen. — Ebd. in
Z. 42 steht statt am-qü(?)-ur deutlich am-sü!-ur da; die Be¬
deutung der nicht sehr häufig bezeugten Wurzel msr ist aber
ebenso wie der Sinn der in Z. 42 formulierten Aufgabe noch
nicht klar.
Auch die beiden von N. anschließend behandelten
Sammeltafeln des British Museum sind ebenso wie die im
Nachtrag (Bd. II S. 43ff.) bearbeitete an noch ungelösten
Schwierigkeiten reich. An möglichen Verbesserungen wäre
außer den von Thureau-Dangin gegebenen noch Sa-ni-tam
el-qel-ma ,,eine zweite nahm ich" (S. 222, Z. 24) zu nennen.
Auf S. 240, Z. 5 ist die ohne Fragezeiclien gegebene Le¬
sung mit der Photographie nicht vereinbar ; am Anfang dürfte
erbi sät „40 sila" zu lesen sein. In Z. 16 ebd. steht doch offen¬
bar 3 gir-gub !-me§ „3 Stufen nahmen je 3 ninda, 4 Ellen
(der Gesamtlänge) ein" (N.s Deutung der Aufgabe, soweit sie
erhalten ist, ist richtig).
In Lesung und Deutung ganz besonders schwierig ist das
Bruchstück Straßburg 366 (S. 257fT.); an einigen Stellen
läßt sich aber doch wohl über N. hinauskommen, wenn auch
der eigentliche Sinn der Rechnungen unklar bleibt. Die erste
Aufgabe heißt: „Heute nahm ich 2,5; morgen werde ich wie
viel nehmen*)?". Die Ausrechnung dieser alles andere als
eindeutig formulierten Aufgabe gelangt dann durch eine recht
umständliche und undurchsichtige Rechnung zum Doppelten
der gegebenen Zahl (in Z. 3 lies statt des sinnlosen SAB-/na-
1) Die in den Briefen häufig bezeugten Adverbien ümam „heute"
und urram , .morgen" scheinen N. unbelcannt zu sein, da er ohne Be¬
gründung „Nenner(??)" bzw. „Zähler(??)" übersetzt.
1 « 13«
196 Büclierbesprechungen
am(?)A§(?) vielleicht ud!-dal-kam! „pro Tag", wenn ich
dieses Wort auch sonst nur in jüngeren Texten kenne). Im
zweiten Beispiel wird dann von der gleichen Zahl 2,5 auf dem
merkwürdigen Umweg über ihr Drittel das Reziproke ge¬
bildet; die Aufgabe selbst lautet: 2,5 igi la pa-ta-ra-am sa-am-
da-kal-am la a-sa-ba-am e-pu-uS ,,Das Reziproke von 2,5
bilde ohne zu , spalten', ohne ein hinzuzufügen". In
samda(k)ku werden wir wohl eine ältere Form des o. S. 193 f.
besprochenen Wortes santakku ,, Dreieck" sehen dürfen;
dieses Wort scheint demnach neben der geometrischen Be¬
deutung auch noch eine algebraische zu haben, die sich aller¬
dings aus dieser wieder ganz unklaren Aufgabe allein kaum
ermitteln lassen wird. Auch die dritte Aufgabe beschäftigt
sich wieder mit der Zahl 2,5, ist aber so unvollständig er¬
halten und schlecht lesbar, daß die Rechnung vollends un¬
verständlich bleibt. Das gleiche gilt für die auf der Rs.
erhaltenen Reste einer weiteren Aufgabe, die von der Be¬
rechnung der Länge eines Meßrohres handelt; ihr von N.
z.T. verlesenes Ergebnis in Z. 5 lautet: 1/2 ninda ri-iS
qanim\ 5 kü§ Sa\ ih!-ha-as!-bu „1/2 ninda*) ist die ursprüng¬
liche Länge des Rohres, 5 Ellen sind es, die abgeschnitten
wurden" (vgl. dazu Thureau-Dangin, RA 33, 82 als Par¬
allele). Das letzte Wort in Z. 4 ebd. heißt hu-ru-us\ ,,zieh ab".
Auf S. 274 Vs. 1 4 übersetze el-qe mit „ich(!) nahm" und
lies am Anfang von Vs. II 12 [il]-qü!-ü! „nahmen sie".
Infolge einiger Fehllesungen auch in der mathematischen
Deutung mehrfach fehlgegriffen hat N. bei der ersten Auf¬
gabengruppe von VAT 6598 (S. 278ff.). In den Aufgaben der
Vs. handelt es sich um eine Mauer von 2 ninda Länge, 1 ninda
Höhe und 2 Ellen Dicke. Für ihren Bau steht eine Backstein¬
menge von 9 SAR (= ninda") Oberfläche zur Verfügung; die
Ziegelschichten sind so hoch, daß auf 1 Elle Mauerhöhe nur
2*4 von ihnen entfallen. Die gesuchten Größen sind bei den
beiden einigermaßen vollständig erhaltenen Aufgaben Dicke
und Länge der Mauer, deren Summe in der ersten, deren
1) Für die Lesung ninda vgl. Thureau-Dangin, RA 33,164* und
für das Maßsystem der mathematischen Texte N.s Übersicht auf S. 86 f.
Differenz in der zweiten Aufgabe gegeben ist. Die Rechnung
stellt zunächst 4 Volum-SAR als Rauminhalt der Mauer fest
und dann % Flächen-sAR als Oberfläche jeder der 27 Ziegel¬
schichten der Mauer, quadriert sodann die Hälfte der ge¬
gebenen Summe bzw. Differenz, zieht aus Summe bzw. Dif¬
ferenz dieser Größe und der Oberfläche einer Ziegelschicht
die Wurzel, um schließlich durch Addition der Hälfte der
gegebenen Summe bzw. Differenz dazu die Länge der Mauer
zu errechnen, während die Subtraktion beider Größen ihre
Dicke ergibt. An N.s Text sind außer der schon von Thureau-
Dangin in RA 33, 58 geforderten Ersetzung des häufigen
gis-sig4 durch el-garg = igarum .,Wand" die folgenden
Änderungen anzubringen: In Z. 4 ergänze statt [sig4-al-
urj-ra] vielmehr [e-garj] ,, Mauer". Am Ende von Z. 7 steht
ebenso wie am Anfang von Z. 10 Sa tu!-ka-lu ,,die du dir
merkst". Statt qä-qä-ra bieten Z. 8, 9, 18 und 20 überall den
Plural qä-qä-ra-tum! ,, Oberflächen" (vgl. für diesen z. B.
VAB VI 228, 22 und andere Briefstellen), mit welcher Lesung
auch N.s unmögliche Annahme eines Ideogramms in für reSu
entfällt. Am Ende von Z. 12 zeigt die Photographie die zu
erwartende korrekte Form ku-bu-ru!-ül^). In Z. 13f. lese und
ergänze ich: [. . .] at?-bu-uk! us e-li ^*[ku-bu-ri e-gar« 1,50
i-te-er . .]. ,,. . . schüttete ich hin (?). Die Länge über[trifft
die Dicke der Mauer um 1,50 (ninda)"]. Der Anfang von
Z. 22 soll wohl heißen: [55 Yz] 1,50! Sa?\ uS-tam-hir „[bb, die
Hälfte] von 1,50, die ich quadriert habe")". Die erste Aufgabe
der Rs. fragt nach der notwendigen Ziegelmenge und dem
Böschungswert einer Mauer, deren Dicke bei 2 ninda Höhe
1) ,, Dicke" heißt akkadisch kuburrü (N. im Glossar schlecht kuburu).
Die Nominalform qutulll ist im Akkadischen eine Ersatzbildung zum
Verbalabstraktum qill (vereinzelt auch qutl), die nur bei Fachausdrücken
(vor allem juristischen, mathematischen und technischen) verwendet
wird.
2) Auffälligerweise finden sich in den mathematischen Texten ver¬
einzelt Subjunktivformen ohne die Endung -u; sie haben vielleicht
ebenso wie einige Verstöße gegen die Kasussyntax ihre Ursache in dem
Streben nach (echt oder unecht) ideographischen und abkürzenden
Schreibungen.
198 Büclierbesprechungen
von 2 auf 1 Elle abnimmt (lies in Z. If.: el-garg sig4!-al-
ür-ra [. . . . 2 ninda u§ 2 kü§]" a-na sa-ap-li-a-tim ka-ha!-ar
[1 kü§ a-na e-li-a-tim ka-ba-ar] „Eine Backsteinmauer.
[ 2 ninda die Länge, 2 Ellen]" ist sie unten dick,
[1 Elle ist sie oben dick]"). Berechnet wird zunächst auf dem
Wege über die durchschnittliche Oberfläche einer Ziegel¬
schicht die Ziegelmenge, die 13 V2 Flächen-SAR oder 6% Ziegel¬
haufen*) beträgt, und anschließend der Böschungswert pro
Elle als Quotient der Differenz der unteren und oberen
Mauerdicke mit der Mauerhöhe; sein Wert ist 1 *4 „Finger".
Zu der recht schwierigen Lesung und Deutung der einzelnen
Angaben noch das folgende: Statt des sinnlosen di-ib(?) ist
in Z. 4, 11 und 12 wohl ki-gur(?) ,, Dicke" zu lesen"). In
Z. 5 lese ich statt des in diesem Zusammenhang ebenfalls
sinnlosen ip-hur vielmehr lu.'-mur ,,(das) ich sehen will" (vgl.
zur Form Anm. 2 S. 197), ebenso in Z. 9 und 10 statt ku-
<Jbu-ri) einfach -ma! und statt [i<(?)]-U in Z. 10 U-ti „neben".
In Z. 11 steht e-U doch wohl für e-Ze-</iM> ,,oben". Den Text
von Z. 13 möchte ich versuchsweise folgendermaßen her¬
stellen: (ki?-gur?) [si??-]tim.' i-na lkü§ür!en-nam i-ku-ul
dug4-ga ,,Die Dicke(?) des Restes(??)'), auf 1 Elle (vom)
1) Sipiktu erweist sich durch unseren Text als eine Maßbezeichnung (ebenso gebildet ist das Maß litiktu), die hier 2 Flächen-sAR Ziegel gleich¬
wertig ist; vermutlich handelt es sich um ein Raummaß.
2) Der Zusammenhang fordert an all diesen Stellen eine sumerische Entsprechung von akk. kuburrü, ,, Dicke". Die nächstliegende Lesung
wäre somit ki-gurj (für gur« vgl. Deimel, SL III S. 54), was aber
nicht zu den erkennbaren Spuren paßt. Meine Lesung ki-gur(?), die
nur ein Versuch ist, setzt eine phonetische Verwechselung von gur« und gur voraus, für die es im späten Sumerisch an Parallelen nicht fehlt.
3) Vor -tim kann nur ein ganz kurzes Zeichen fehlen. Die Deutung des Wortrestes als sittu ,,Rest" (nämlich der Mauerdicke von 2 Ellen) ist natürlich ganz unsicher, und ich würde lieber an den bautechnischen Ausdruck sttu denken, wenn für diesen die Bedeutung ,, Sockelmauer,
Stützmauer" — die hier berechnete Mauer kann ihrem Profil nach
eigentlich nur eine Stützmauer sein! — sicher zu belegen wäre (vgl.
dazu die Auseinandersetzung von Landsbeboer und Schott in ZA
42, 93f.). Sollte sich diese letztere Annahme als richtig erweisen, so müßte situm natürlich auch in der Lücke von Rs. Z. 1 (s. o.) ergänzt werden.
Böschungsfuß*) (aus) nahm sie um wieviel ab?" sagtest
(lu(??)". Aus Z. 18 schließlich gewinnen wir bei richtiger
Lesung — ü!-ku!-la i-ku-ul — die Bestätigung dafür, daß
,, Böschungswert" akkadisch ukullu heißt.
Die Aufgaben von VAT 6598 zeigen deutlich, daß man
Ziegelmengen nicht mit Raummaßen, sondern mit Flächen¬
maßen nach ihrer Oberfläche maß. Um den Rauminhalt der
so gemessenen Ziegelmenge zu errechnen, dividiert diese Auf¬
gabe die Oberflächenzahl durch den festen Faktor 2,15; der
Quotient ist dann der Rauminhalt in Volum-SAR. Wir lernen
hieraus, daß der Verfasser des Textes auf eine Elle Mauer¬
höhe 214 Ziegelschichten rechnete, während in YBC 4708
(N. S. 389ff. und Thureau-Dangin, RA 33, 165f. und 180f."))
auf die gleiche Höhe 7Vs Schichten gerechnet werden. Im
ersteren Fall handelt es sich offenbar um Backsteine, die in
aufrechtstehenden Schichten, im letzteren wohl um solche,
die in Flachschichten verlegt wurden^).
Auf S. 288, Z. 16 leitet N. die Form U-ki{qi)-ir von karu
„kurz sein" ab statt von waqäru ,, teuer sein".
Das von N. nicht gedeutete si{\)-ik-ka-as-sü(\) in VAT
7531 und 7621 (S. 289) bedeutet eigentlich „sein Pflock" und
1) Daß ür nicht „Fundament" bedeuten kann, zeigen m. E. die
von N. im Glossar (II S. 34) aufgeführten Stellen deutlich, während
meine Übersetzung überall paßt. An den meisten dieser Stellen be¬
zeichnet ür den dem Feinde abgewandten Anfangspunkt eines Be¬
lagerungsdammes.
2) Sowohl N. als auch Thurkaü-Dangin nehmen an, daß die Ziegel
nach Volum-SAR gemessen werden, und können daher den Faktor 2,15
bzw. 7,12 nicht geometrisch erklären (vgl. dazu auch N. S. 388f.). Wenn
N. trotz aller dieser Irrtümer glaubte, in seinem Kommentar auf
S. 283 ff. das ,, Mathematische" unseres Textes „leicht" aufklären zu können, so ging das natürlich ohne allerlei recht künstliche Annahmen nicht ab.
3) Die geringe Dicke der Ziegel macht es sehr wahrscheinlich, daß sig« in YBC 4708 nicht Lehmziegel, sondern in abgekürzter Schreibung Backsteine bezeichnet. Eines der nur unerheblich dickeren Backstein¬
formate, die O. Redthkr in den altbabylonischen Schichten von Babylon beobachtet hat (vgl. seine „Innenstadt von Babylon" S. 43ff.), findet
übrigens seine genaue Entsprechung in der auf YBC 4673 (S. 506ff.)
den Rechnungen zugrunde liegenden Ziegelgröße von '/« x '/» x Ehe.
200 Bücherbesprechungen
dann auf dem Wege über den auf dem Felde als Eigentums¬
marke eingeschlagenen Pflock „sein rechtmäßiger Anteil"
(für sikkatu als Pfandpfahl in Elam vgl. jetzt Koschaker in
ZA 43, 228f.). Auf VAT 7621 lese ich in Z. Iff. (Z. 7 ist ent¬
sprechend herzustellen): Si!-na!-Su-nu 9-ta-äm ma-ru!-§u-nu
20? us" pu-ra-am e!-li-a-am * 40? u§ pu-ra-am Sa-ap-
li-a-am „Ihrer zwei sind es; jeder hat 9 Söhne. Das
obere Los mit 20 (ninda? vgl. die Figur im Text) Seitenlänge
verteile auf neun, das untere Los mit 40 Seitenlänge verteile
auf neun und teile jedem Soldaten seinen Anteil unverkürzt
zu!". Es handelt sich hier offenbar um die Verteilung von
Lehensland (ilku) an Soldaten.
In VAT 7535 (S. 303 fT.) sind die von N. nicht befriedigend
gedeuteten Z. 23ff. der Vs. wohl so zu übersetzen: „Weil
(aSSum) an beiden Enden (re-Si-in) je Vs der (Meßrohr)länge
[lies sag! statt -Su(?) Sa(?)] abgeschnitten wurde, schreibe
die 5 hin, zieh 1 ab, (dann ist es) ein Viertel (ri-ba!-ni-tum, sc. des verkürzten Rohres)".
Auf der leider wieder sehr schwer lesbaren Tafel VAT 8522
(S. 368f.) steht Vs. I Z. 4 Simuml ga-am-ru-um „vollständiger
Kaufpreis", Vs. II Z. 7 und 2e il-qü!-ü „sie nahmen" und
Z. 4e am Anfang einfach ki!-in! 5 §e§-me§ ,, setze fest, die
5 der Brüder . . .". Sehr bedauerlich ist die schlechte Erhal¬
tung des ersten Beispieles der Rs., das anscheinend die Aus¬
rechnung des Anteils der einzelnen Altersklassen an der Zu¬
sammensetzung einer Schafherde verlangt. In Z. 1—4 glaube
ich zu erkennen: * a-na 3? sär? sa-ma-ni-S[i?-ri? ....]" 1,48
ganäm-hä 1 udu-ni[tä? udu-ganäm-hä silä-
du ü[? . . . .] * udu-ganäm-hä silä-ou ü ganäm-hä?
en?-nam? „Auf(?) 10800(?) 18('?) [ ] 108 Mutterschafe,
1 Wid[der(?) ] die Schafe, Jungtier(e)») und(?) [ ]
die Schafe, Jungtier(e) und Mutterschafe sind wieviel?". Zu
den Zahlen der folgenden Ausrechnung nur so viel: Die in
Z. lb geforderte Multiplikation von 1,48 mit 1,40 ergibt die
in Z. 1 trotz ihrer an sich unwahrscheinlichen Höhe doch
1) Für silä-DU = lillidu vgl. Landsbbrqkb, AfO X 156f.
wohl zu lesende Zahl 3 sär. Z. 3b verlangt die in Z. la und
2 a ausgeführte Multiplikation von 10 mit 1,40 und 1,20;
6 (vgl. dazu Z. lc) und 10 sind hier also gegen N. zwei
Zahlen. Eine befriedigende Gesamtdeutung der Aufgabe ist
mir noch nicht gelungen.
Die hier gegebenen Einzelbemerkungen zu den mathe¬
matischen Texten — über einige hier übergangene Texte hoffe
ich später einmal handeln zu können — mögen genügen, um
zu zeigen, wieviel trotz N.s zumal bei den bisher unveröffent¬
lichten Texten eindrucksvoller Pionierarbeit an diesen noch
zu tun ist. Wenn sie wenigstens einige Schwierigkeiten hin¬
wegräumen konnten, so kommt auch daran Neugebauer das
Hauptverdienst zu, der uns durch die erstmalige Zusammen¬
fassung aller verfügbaren Quellen überhaupt erst die Möglich¬
keit zu einem tiefer eindringenden Studium der babylonischen
Mathematik verschafft hat. Es ist zu hoffen, daß trotz des
außerordentlich hohen Preises der Veröffentlichung von dieser
Möglichkeit ausgiebig Gebrauch gemacht wird!
Korrekturzusatz:
Während des Druckes der vorstehenden Besprechung ist
nun unerwartet schnell der eingangs erwähnte Nachtrag
als dritter Teil der ,, Mathematischen Keilschrift-Texte" er¬
schienen. Die erhoffte Erschließung aller Museen ist leider
auch jetzt noch nicht erfolgt; dem Ergänzungsheft konnten
aber neben den schon im ersten Teil erwähnten „Serien¬
texten" der Yale Collection und dem von Thurkau-Dangin
in RA 33, 27 ff. herausgegebenen Text R.M 13901 doch
wenigstens noch zwei bisher ganz unbekannte Texte einver¬
leibt werden, unter denen die hier von Waschow bearbeitete
Londoner Tafel B.M 34568 besonders wichtig ist, weil sie
unsere bis jetzt noch ganz unzureichende Kenntnis der baby¬
lonischen Mathematik der Seleukidenzeit erweitert. Das Heft
enthält außerdem umfangreiche Ergänzungen und Berichti¬
gungen zu den Texten der beiden ersten Bände, ergänzende
sumerische und akkadische Glossare, einen Rückblick und
202 B iicherbesprechungen
ein sehr willkommenes Stichwortregister zum ganzen Werk.
Von den Berichtigungen hat Waschow eine ganze Anzahl
beigesteuert, unter denen sich auch einige der hier vorge¬
schlagenen befinden; eine Änderung des bereits gedruckten
Textes meiner Besprechung schien mir aber trotzdem nicht
erforderlich, da die unabhängig voneinander gewonnenen
Lesungen sich auf diese Weise gegenseitig betätigen. Etwas
aus dem Rahmen der ganzen Veröffentlichung fällt der
,, Rückblick" auf S. 76—80, der auch im Rahmen dieser kurzen
Anzeige nicht unwidersprochen bleiben darf. In seinem
§ 2 wird nämlich allen Ernstes der Versuch gemacht, aus
einem Abschnitt des „Anaphorikos" des Griechen Hypsikles
babylonische Lehrsätze und Ableitungen zu rekonstruieren,
da die betreffenden Sätze angeblich zur griechischen Mathe¬
matik nicht passen! N. ist offenbar so fest davon durch¬
drungen, daß eine etwas höher entwickelte Mathematik auch
formulierte Lehrsätze kennen muß, daß die unbestreitbare
Tatsache des völligen Fehlens solcher Sätze in der mathe-
mathischen (und astronomischen!) Literatur der Babylonier
ihn von dieser Überzeugung nicht abbringen kann; für die
Ausfüllung der unbequemen Lücke wird nun neben der uns
unbekannten mündlichen Überlieferung der Babylonier auch
noch die hellenistische Literatur bemüht. Es ist zu hoffen,
daß N., der es doch wahrhaftig nicht nötig hat, sich mit
literaturgeschichtlichen Rekonstruktionsmethoden von vor¬
gestern berühmt zu machen, von solchen Abwegen wieder
zur unvoreingenommenen Erforschung der Quellen, wie sie
uns vorliegen, zurückfindet und uns mathematisch doch nur
unzureichend geschulten Philologen hier mit seiner \mer-
reichten Sachkenntnis weiter zur Seite steht.
In eine genaue Nachprüfung von N.'s Bearbeitungen der
neuen Texte habe ich in der kurzen Zeit noch nicht ein¬
treten können; sie ist ja auch dadurch erschwert, daß N. sich
anders als im Hauptteil des Werkes hier mit Autographien
begnügen zu können glaubte und keine Photographien bei¬
gegeben hat, obwohl diese vor allem bei den sehr unbefrie¬
digend gelesenen Tafeln YBC 4669, 4673 und 4698 dringend
erwünscht wären*). Man darf wohl den Wunsch aussprechen,
daß N. uns die fehlenden Photographien bei geeigneter Ge¬
legenheit noch nachträglich zugänglich macht. Für die
schnelle Veröffentlichung aller dieser Texte, durch die das
große Werk einen würdigen Abschluß erhält, sind wir dem
unermüdlichen Verfasser aber unbeschadet einiger abweichen¬
der Ansichten zu herzlichem Dank verpflichtet.
W. VON SoDKN-Göttingen
Selms, Adrianus van: De babylonische termini voor zonde
en hun beteekenis voor onze kennis van het babylonische
zondebesef. Proefschrift, Wageningen, H. Veenman und
Zonen (1933). XIII, 115 S. 8«. Guld. 2,50.
Die hier etwas verspätet zur Anzeige kommende theolo¬
gische Dissertation von van Selms darf als die erste wirklich
umfassende Untersuchung des babylonischen Sündenbegriffs
gelten, da alle älteren Arbeiten immer nur Teilgebiete aus
diesem umfangreichen Problemkreis behandelten. Nach einer
in die mit dem Sündenbegriff verbundenen religionsgeschicht¬
lichen Fragen einführenden Einleitung werden zunächst die
recht zahlreichen akkadischen Wörter, die jeweils bestimmte
Seiten des Begriffes Sünde wiedergeben, besprochen. Die mit
diesen in zweisprachigen Texten gleichgesetzten sumerischen
1) Ein paar vorläufige Bemerkungen: Auf S. 22, Z. 3. 6.13 und 18
ist statt tu-uS-ta-liir natürlich immer tu-uS-ta-kall ,,du quadrierst" zu lesen. S. 27, Rs. II 7 kann ru-ug-ga(qd)-am, wenn richtig gelesen, keines¬
falls von rugummü „Anspruch" (so N. S. 29), sondern nur von ruqqu,
dem Namen einer Metallgefäßart, abgeleitet werden. In den beiden
Aufgaben ebd. Z. 12 ff. handelt es sich nicht um Schafwolle, sondern
wie in VAT 8522, Rs. Iff. (s. dazu oben S. 200) um das Verhältnis
der Altersklassen in Schafherden; es ist also statt sfg lu-^i-a über¬
all ganäml-udui-bä „(erwachsene) Schafe" und statt su(?)-(ja(?) vielmehr silä-nu „Jungtiere" zu lesen. In Z. 16ff. möchte ich trotz
der auch hier wieder auffällig hohen Zahlen mit Vorbehalt wie folgt
lesen: 2 tür!-meä 1 türl 1, 41, 20(?) ü-wat-li-id?i 2(?) tür! 1,41,
15(?) ü-wa-li-id?\ „Zwei Schafhürden. Die erste Hürde brachte 1,41,20 (Tiere) hervor, die zweite (?) Hürde brachte 1, 41, 15 (Tiere) hervor."
Auf S. 29, Vs. 1,4 lies statt ud doch wohl ki! „Fläche".
204 Rücherbesprechiingen
Wörter finden in den einzelnen Abschnitten gleichfalls Er¬
wähnung; es wird aber erfreulich deutlich gesagt, daß man
von solchen Gleichsetzungen nicht auf eine Übereinstimmung
im religiösen Gehalt zwischen den sumerischen und akkadi¬
schen Wörtern schließen darf. Ein umfangreicher Schlußab¬
schnitt zieht aus den Einzeluntersuchungen die Folgerungen
und kennzeichnet das babylonische Sündenbewußtsein als
im wesentlichen kultisch bestimmt, wobei gebührend hervor¬
gehoben wird, daß man von einem einheitlichen babylonischen
Sündenbegriff gar nicht sprechen kann. Zu einer Ausein¬
andersetzung mit den einzelnen Ergebnissen der Arbeit ist
hier nicht der Platz; bei Berücksichtigung mancher vom
Vf. übersehener Quellen (vor allem auch außerhalb der im
engeren Sinne religiösen Literatur) und schärferer philolo¬
gischer Interpretation der angezogenen Belegstellen wird
manches in etwas anderem Lichte erscheinen. Trotzdem
sollte niemand, der sich mit den hier behandelten Fragen be¬
schäftigt, an dieser außerordentlich nützlichen Arbeit, der
übrigens auch eine deutsche Zusammenfassung beigegeben
ist, vorübergehen. W. von SoDEN-Göttingen
Arthur Ungnad, Subartu. Beiträge zur Kulturgeschichte und
Völkerkunde Vorderasiens. Berlin und Leipzig: Walter de
Gruyter & Co. 1936. Gr.-8», XI und 204 S. Geb. 10.— RM.
Immer deutlicher ergeben die Forschungen der letzten
Jahre, daß neben den bisher bekannten Kulturgebieten des
alten Vorderasien, dem sumerisch-akkadischen, dem elamisch-
persischen, dem westsemitischen und dem in sich gar nicht
einheitlichen kleinasiatisch-hethitischen, ein weiterer selb¬
ständiger Kulturfaktor in einem Volke anzuerkennen ist,
dessen Mittelpunkt im oberen Mesopotamien, nordwestlich
von Babylonien, zu liegen scheint, das aber zu Zeiten weit
nach Osten (Assyrien, Arrapha), nach Südosten (Babylonien)
und vor allem nach Westen hin (Syrien und Kappadokien)
ausgestrahlt hat und für das die einen Forscher den Namen der
Subaräer, andere den der Churriter oder Churrier an-
wenden. Das sprachliche wie das sachliche Material zu diesem
Volke ist außerordentlich zerstreut und auch für den Keil¬
schriftforscher, der in erster Linie zur Mitarbeit berufen ist,
schwer zu übersehen; der Fernerstehende vollends kann sich
in den oft sehr speziellen Untersuchungen kaum zurecht¬
finden. So ist es denn sehr dankenswert, daß ein Assyriologe
von den Fähigkeiten, die wir an A. Ungkad immer geschätzt
haben, seine schon seit Jahren getriebenen Einzelforschungen
über Subartu in diesem handlichen Buche noch einmal in klar
zu übersehender, gut lesbarer, auch dem Nichtfachmann
wohl verständlicher Form zusammenfaßt und nach allen
Seiten hin beleuchtet. Der Dank der Mitforscher gebührt auch
dem Freiherrn von Oppenheim, der dem Buche mancherlei
innere und äußere Förderung zuteil werden ließ und der
wohl auch an der ansprechenden äußeren Aufmachung des
Buches bei niedrigem Preise beteiligt ist.
In einer ausführlichen Einleitung bemüht sich der Ver¬
fasser zunächst, ein so modernes Gebiet wie die Rassenfor¬
schung für das alte Vorderasien und seine Frühgeschichte
nutzbar zu machen. Die rassenmäßige Durchforschung des
alten Vorderasien steht noch in den Anfängen, so daß sich der
Verfasser hier auf etwas unsicherem Boden bewegt. Vielleicht
werden seine Thesen auch nicht allseitig Zustimmung finden,
so die, daß Semitisch nur eine Sprache, aber keine Rasse
ist (S. 3), während an der Gleichheit von indogermanischer
Sprache und nordischer Rasse festgehalten wird (S. 1).
Der zweite Abschnitt ,, Quellen" ist besonders wertvoll,
weil hier der Verfasser aus seiner ausgebreiteten Kenntnis der
gesamten Keilschriftliteratur heraus die weit verstreuten
Belegstellen für die Subaräer und das Land Subartu in den
keilschriftlichen, d. h. vor allem den sumerischen und akka¬
dischen Texten sammelt, kritisch sichtet und durch über¬
sichtlich angeordnete Mitteilung in Urtext und Übersetzung
dem Fachmanne wie dem fernerstehenden Forscher bequem
mitteilt. Wir verfolgen die Erwähnungen dieses Landes und
Volkes zunächst in den historischen Texten von dem alten
sumerischen Könige Lugal-anni-mundu (Anfang des 3. Jahr-
206 Bücherbesprechungen
tausends v. Chr.) an durch die sumerische und altbabylonische
Zeit, in den Amarna-Tafeln und in den Urkunden des hethi¬
tischen Archivs, in den assyrischen und neubabylonischen
Königsinschriften .
Geringe Ausbeute über Subartu ergeben die geographi¬
schen Texte von Babylonien und Assyrien, um so häufiger
aber wird das Land in der religiösen Literatur, vor allem in
den Omentexten, genannt. Es folgen die subaräischen
Glossen in akkadischen Vokabularen, vor allem die dort
vorkommenden subaräischen Götter- und Pflanzennamen.
Daran schließen sich die Nennungen subaräischer Personen¬
namen in akkadischen Kontrakten und Briefen. Endlich
wird noch die Stelle aus dem Ras-Schamra-Texte Syria X,
Nr. 2 in alphabetischer Keilschrift und „ugaritischer" Sprache
besprochen, die Sbr = Subaru neben den Churritern, Hethi¬
tern, Alasija (?) und anderen Länder- oder Völkernamen er¬
wähnt. Außerhalb der Keilschriftliteratur wird Subartu bis¬
her nicht genannt.
Das Material, das die Quellen an die Hand geben, wird im
3. Abschnitt „Ergebnisse" verarbeitet. Zunächst behandelt
der Verfasser den Namen Subartu, seine sumerischen Ent¬
sprechungen subar und subir und seine eventuelle Entwick¬
lung zu urartäisch Sura- und zu Evqia, anschließend den
Umfang des Landes Subartu in den Jahrhunderten der
babylonisch-assyrischen Geschichte. In altakkadischer Zeit
ein ausgedehntes und mächtiges Land, das westlich bis zum
Zederngebirge, d. h. doch wohl bis zum Amanus in Syrien,
reicht, zerfällt es in der Zeit der Amarnabriefe in mehrere
selbständige Staaten, von denen anscheinend das Mitanni¬
reich gelegentlich mit dem alten Namen Subartu bezeichnet
wird. In den folgenden Jahrhunderten wird Subartu durch die
Eroberungen der assyrischen Könige immer mehr verkleinert,
bis es schließlich ganz im Assyrerreich aufgeht. Aber dieses
selbst übernimmt nunmehr die Traditionen von Subartu, und
so ist es denn nicht verwunderlich, daß in spätbabylonischen,
vereinzelt auch in spätassyrischen Texten Subartu geradezu
als Name für Assyrien gebraucht wird.
Einen größeren Raum nimmt die Behandlung der su¬
baräischen Sprache ein, um deren Aufhellung sich Ungnad
schon früher mit Erfolg bemüht hat. Wir kennen sie aus einigen
subaräischen Glossen in akkadischen Vokabularen, aus su¬
baräischen Personennamen in akkadisch geschriebenen juri¬
stischen Urkunden, sowohl aus Babylonien selbst (Drehem,
Dilbat, Nippur) wie aus anderen Gegenden (in großer Masse
aus Nuzi östlich von Assur, weniger zahlreich aus Ras Schamra,
vereinzelt auch aus kappodokischen und anderen Texten, z. B.
aus Qatna, Teil Ta'annek usw.), endlich aus zusammenhän¬
genden Texten, d. h. einem Briefe des Königs TuSratta von
Mitanni nach Ägypten, religiösen Texten des hethitischen
Archivs (die die Sprache als churrisch bezeichnen) und end¬
lich aus ein paar Texten aus Ras Schamra. Letztere zerfallen
wieder in zwei Gruppen: einerseits ein sumerisch-fremd-
sprachiges Vokabular, dessen zweite Sprache allerlei Bezie¬
hungen zum Subaräischen (allerdings auch manche Ver¬
schiedenheiten) aufweist und in ihrem Verständnis von Ungnad
S. 155 f. nicht unwesentlich gefördert wird, andererseits ein
paar religiöse Texte in der neuen alphabetischen Keilschrift,
auf die Ungnad nicht weiter eingeht, wohl, weil sie bei Ab¬
fassung seines Manuskripts noch nicht vorlagen. Das sprach¬
liche Bild, das wir aus diesen noch spärlichen Dokumenten
gewinnen, ist noch sehr unvollkommen. Eine dem Subarä¬
ischen verwandte Sprache dürfte im Urartäischen vor¬
liegen ; daß ich in diesem Punkte ganz derselben Meinung wie
der Verfasser bin, sei ausdrücklich festgestellt.
Nicht so vollkommen einig bin ich mit ihm in einer anderen
Frage, die der Verfasser in § 118 (S. 132—135) im Zusammen¬
hang mit der Behandlung der Sprache erörtert, in der Frage,
ob wir Volk und Sprache mit Ungnad als „Subaräer" und
„subaräisch" oder mit Speiser und Götze als „Churri(t)er"
und „churr(it)isch" bezeichnen sollen. Ohne mich endgültig
festzulegen *) und ohne mich auf eine eingehende Behandlung
des ausgedehnten Fragenkomplexes auf diesem engen Räume
1) Eine haarscharfe Beweisführung in dem einen oder anderen
Sinne ist derzeit wohl auch noch kaum möglich.
1 .".
208 Büclierbesprechungen
einlassen zu können, möchte ich doch soviel bemerken: Die
Benennungen ,, Subartu" und „Subaräer" treten vor allem in
den akkadischen Texten Babyloniens und Assyriens auf.
In den (allerdings spärlichen) Texten des subaräischen
Sprachgebietes selbst fehlen sie ganz, und die Hethiter ge¬
brauchen sie auch nur in ein paar akkadischen oder akkadiscii
beeinflußten Texten (Unonau S. 52). Dagegen sind die Namen
,,Churri" und ,, Churriter" in den hethitischen wie in den
subaräischen Texten herrschend, während sie in den baby¬
lonischen Quellen fehlen (Ungnad S. 138). Zu ihnen gesellen
sich noch die ,,Choriter" des Alten Testaments. Das sieht doch
sehr darnach aus, daß beide Benennungen sich zueinander
verhalten wie Deutsche und Allemands, "EXXr/veg und Graeci,
d. h. daß „Churri" die einheimische und hethitische, „Su¬
bartu" die akkadische Bezeichnung für dasselbe Volk war').
Daß der Name „Subartu" schon im 3. Jahrtaiisend, ,, Churri"
dagegen erst im 2. Jahrtausend v. Chr. belegt ist, läßt sich
meines Erachtens aus der Zufälligkeit der Überlieferung ver¬
stehen und zwingt uns nicht zu der Annahme, daß ,, Churri"
ein zeitlich und räumlich begrenzter Begriff sei (Ungnad S.153).
Und wenn Hethiter und Churriter in bezug auf den Namen von
Land und Volk zusammengehen, dann doch wohl auch in
bezug auf den Namen der Sprache. Es heißt also wohl nicht
einseitig den hethitischen Standpunkt einnehmen (Ungnad
S. 133 f.), wenn wir die Sprache ,,churr(it)isch" nennen,
obwohl nur die Hethiter dafür hurlili überliefern und die
einheimische Bezeichnung für die Sprache — bei der geringen
Zahl der Quellen ganz begreiflich — noch fehlt. Eventuell
könnte man sie in dem Ausdruck tupsar ffur-rü „Schreiber
von Churri" sehen, der nach freundlicher Mitteilung Speiseu's
in einem unveröffentlichten Nuzi-Texte vorkommt und den
1) Das Nebeneinander von hr/ ,,der Churriter" und Ihr „Subaru"
in dem o. S. 206 erwähnten Ras-Sciiamra-Text muß freilich unerklärt
bleiben. — Die Möglichkeit, daß Churriter und Subaräer nur Be¬
zeichnungen für Teile des ganzen, sehr ausgcdelinton Volkes ge¬
wesen seien, sich also verhielten wie Alemannen als französische
und Sachsen als finnische Bezeichnung der Deutschen, muß immer¬
hin in Erwägung gezogen werden.
man als den Schreiber in der clmrrischen Landessprache neben
dem akkadischen Schreiber auffassen könnte'). Ich neige also
unter Vorbehalt zu der Ansicht Spelser's und Götze's, daß
Churri, Churri(t)er und churr(it)isch die einheimischen Be¬
zeichnungen für Land, Volk und Sprache sind. Nur weil ich
nicht fortwährend in Konflikt mit der Ausdrucksweise Un-
onad's kommen will, schreibe ich in dieser Besprechung kon¬
sequent mit ihm und gemäß meiner früheren Gewohnheit
Subartu, Subaräer und subaräisch.
An die ausgedehnte Behandlung der subaräischen Sprache
schließt der Verfasser einen Abschnitt über die subaräischen
Gottheiten. Besonders ergiebig für deren Feststellung sind
die churrischen Texte aus Bogazköy, und stärkere Ausnutzung
des Textbandes KUB XXVII hätte das Bild wohl noch etwas
reichhaltiger gestalten können. Weiteres Material enthalten
die paar churrischen Texte aus Ras Schamra, von denen
Ungnad S. 171 f. wenigstens die schon von Hkozny, Archiv
Orientälni 4, S. 118 ff., behandelte Götterliste berücksichtigt.
Der Schluß des Buches ist der Völker- und Rassen¬
kunde Subartus gewidmet. Da die Schädelfunde aus Subartu
noch kaum bearbeitet sind, stützt sich der Verfasser auf die
Darstellungen von Subaräern in den Kunstdenkmälern des
alten Vorderasien, ferner auf die Buntkeramik, die im su¬
baräischen Gebiete plötzlich in so großer Vollendung auftritt.
Auch die Datierung der großen Steinskulpturen, die Freiherr
VON Oppenheim auf dem Teil Halaf ausgegraben hat, wird
erneut erörtert ; Ungnad schließt sich der Ansicht Herzfeld's
an, daß sie ins 3. Jahrtausend v. Chr. gehören (S. 182 ff.).
Endlich äußert der Verfasser unter Vorbehalt die Ansicht, daß
die sogenannte ,, hethitische" Hieroglyphenschrift mit den
Subaräern in Beziehung stehe (S. 190 ff.), eine Ansicht, die
freilich nach den Forschungen der letzten Jahre an Wahr¬
scheinlichkeit verliert.
Etwas kurz kommt in der sonst ausführlich gehaltenen
1) .So wie e.s in spätas.syri.sclierZeit nei)en dein assyrisciien Sclircüjer, der auf Tontafeln mit Keilschrift schreibt, einen aramäi.schen Sclircibcr gibt, der mit Buchstabenschrift auf Papyrus schreibt.
Zeitüctirlft d. UMI! Ud. 91 (Neue Folge Ud. Ki) 14
210 Bücherbesprechungen
Darstellung die östlichste Kulturprovinz des Subaräertums,
d. h. Arrapha-Nuzi, weg, offenbar deshalb, weil bei Ab¬
fassung des Manuskripts erst ein kleiner Teil der heute ver¬
öffentlichten Nuzitexte vorlag. Ich muß auf die Zugehörigkeit
von Arrapha zum subaräischen Sprachgebiet deshalb noch et¬
was näher eingehen, weil o. S. 208 f. eine Stelle aus einem Nuzi-
text zur Bestimmung des einheimischen Namens von Volk und
Sprache verwendet worden ist und weil andererseits der su¬
baräische Charakter der Landessprache von Arrapha neu erdings
in Zweifel gezogen worden ist. L. Oppenheim hält vielmehr
das Elamische für verwandt mit der Sprache von Arrapha*)
und benutzt als Argument dafür die Fehler, die die Schreiber
mancher Nuzitexte beim Gebrauche der akkadischen Verbal¬
formen machen. Diese Fehler sollen eine Muttersprache zur
Voraussetzung haben, die das Objekt des Verbums durch
Präfixe, das Subjekt dagegen durch Suffixe an der Verbal¬
wurzel zum Ausdruck brachte, und dazu paßt das subaräische
Verbum, das keine Präfixe kennt, gar nicht, vielmehr käme
nur das Elamische in Betracht. Es ist mir aber auch ohne die
sofort zu nennenden Gegenargumente zweifelhaft, ob man so
haarscharf genau Eigenheiten so spezieller Art aus den falsch
gebildeten Verbalformen herausholen darf"). Ferner aber
1) Archiv für Orientforschung 11 (1936) S. 56—65; vgl. auch ebd.
S. 237* und OLZ 1937 Sp. l^. In einer späteren brieflichen Mitteilung
sagt er vorsichtiger nur, daß die Sprache von Arrapha ,,in typo-
1 ogis eher Hinsicht dem Elamischen näher als dem Hurritischen
steht". Das Bild kompliziert sich übrigens noch dadurch, daß Oppen¬
heim mit BoBK auch eine entferntere Verwandtschaft zwischen Ela¬
misch und Subaräisch annimmt.
2) Die Beeinflussung der akkadischen Verbalformen der Amarna¬
briefe durch die kanaanäische Muttersprache der Schreiber darf des¬
halb nicht zum Vergleich herangezogen werden, weil es sich dort um
zwei verwandte Sprachen handelt, wo Ausgleiche eher möglich sind. —
Daß sich weniger spezielle Dinge aus den Fehlern der Schreiber von
Nuzi schließen lassen, gebe ich gern zu. Nur ein Beispiel : Wenn die
Nuzitexte mär-Su ,,sein Sohn" auch für korrekt akkadisches mär-sa
„ihr Sohn" setzen, so dürfen wir annehmen, daß die Muttersprache
der Schreiber den Unterschied von Maskulinum und Femininum nicht
gekannt hat (Ähnliches im Hethitischen: Rez., Staatsverträge des
Hatti-Reiches II S. 147 f.; Labat, L'Akkadien de Boghaz-köi, Bor-
müßten außer diesen sprachlichen Fehlern noch andere Argu¬
mente für das Elamische anzuführen sein, und die sind doch
offenbar nicht vorhanden.
Wohl aber läßt sich die übrigens bei anderen Forschern all¬
gemein geltende Annahme, daß auch in Arrapha subaräisch
gesprochen wurde, noch durch andere Beweise stützen:
1. Unter den nichtsemitischen Personennamen von
Nuzi sind wohl einzelne, die sich noch nicht einer bestimmten
Sprache zuweisen lassen. Es mögen sogar einzelne elamische
darunter sein. Aber die Hauptmasse stimmt doch bis in alle
Einzelheiten der Namenselemente und der Bildungsweise mit
den anderwärts bekannten subaräischen Personennamen über¬
ein. Die theophoren Personennamen aus Nuzi enthalten die¬
selben Gottheitsnamen, die wir sonst im subaräischen Ge¬
biete kennen. Selbst so untergeordnete Gottheiten wie Seri
und ffurri, die beiden Stiere des Wettergottes, kommen in
Nuzinamen vor*). Wer diese Namen etwa als Überbleibsel
einer früheren subaräischen Besiedlung vor einer elamischen
zur Zeit unserer Urkunden ansehen wollte, müßte den Wechsel
der Bevölkerung nachweisen können.
2. Unsere Kenntnis des subaräischen Wortschatzes
ist zwar noch sehr gering. Trotzdem kehren von den ander¬
wärts bekannten subaräischen Wörtern mehrere in Nuzi
wieder. Nur zwei Beispiele: Ein atiari- „Feld" ist durch
die churrischen Texte von Bogazköy") wie durch das Voka¬
bular von Ras Schamra (IV 25) gesichert; es kehrt in a-ui-
i-ru Nuzi II 101, 3 wieder'). Die Nuzitexte kennen ein Wort
deaux 1932, S. 69 — 71) und die Schwieriglieiten vergleichen, die der
deutsch radebrechende Engländer und Amerikaner beim Gebrauche
der deutschen Artikel hat, weil er in seiner Muttersprache fast nur
das Neutrum als Genus für Unbelebtes kennt.
1) Z. B. Kiribleri Harvard Semitic Series V27, 10; NuiSeri Nuzi
I 60, 3; Arih(h,)urme hier bei Ungnad S. 131«.
2) KUB XXVII 1 I 13 ''iStAR LI'L „die IStar der Flur" = ebd.
I 37 a-ua-ri-tiii '^I^TAR.
3) Eine Sammlung der subaräischen Wörter und Wortverbindungen
in den bisher veröffentlichten Nuzitexten gab soeben Gobdon im
Bulletin of the American Schools of Oriental Research Nr. 64 (1936)
S. 23-28.
15« U*
212 Bücherbesprechungen
halzuhlu^), das man meist mit „Bürgermeister" übersetzt.
Dieses Wort aber ist bereits aus den Amarnabriefen be¬
kannt und schon von 0. Weber bei Knudtzok, Die El-
Amarna-Tafeln (Leipzig 1915) II S. 1145 mit akkadisch
haz(i)anu ,, Stadtfürst" gleichgesetzt worden. Ein elamisches Wort für einen solchen Begriff an der syrisch-palästinischen
Küste wäre höchst auffällig, ein subaräisches ist in Syrien
wie in Nuzi gut denkbar").
3. Eine Übereinstimmung des Subaräischen mit der
Sprache von Nuzi in einer lautlichen Einzelheit ist fol¬
gende. Stammauslautendes -i wird bei Antritt des Zugehörig¬
keits-Suffixes -At zu m: Im Churrischen von Bogazköy ffatti
und ffattuhi- „chattisch", aSti- „Frau" und aSduhi- „weiblich",
im Mitannibrief ffurruhe-, ffuruuhe- „churrisch" (C.-G. von
Brandenstein bei Rez. Analecta Orientalia 12 S. 126'). Die¬
selbe lautliche Eigentümlichkeit hat gleichzeitig mit dem eben
genannten Nachweis, aber unabhängig Speiser JAOS 55 S. 443
mit Anm. 38 für die Sprache von Nuzi festgestellt: die Göttin
IStar von der Stadt Lubdi heißt dort ^IStar Lu-uh-tu-hi {Wax-
vard Semitic Series X 231 Rs. 19).
4. Dazu gesellt sich eine Übereinstimmung in den gram¬
matischen Formen. Nuzi IV 321, 37 steht statt des
sonst gerade in den Nuzitexten belegten attu-ka „dir gehörig"
vielmehr atii-hu, das auf ein Suffix -hu „dein" in der Sprache
1) Mit einem Element -uhlu, das auch sonst in Berufsnamen und
überhaupt nomina agentis wiederkehrt: manzaiulilu ,, Polizist", zili- kuhlu „Zeuge" usw.
2) Nur vermuten läßt sich, daß ein *halzi- ,,Burg" als Lehnwort aus akkad. Iialsu „Burg" zugrunde liegt (für akkadische Lehnwörter
im Subaräischen vgl. Rez. Archiv für Orientforschung 8, S. 240 f.
Anm. 15; Gokdok a. a. O. S. 25), für das nur bisher Belege fehlen
(wenigstens steht hal-zi-ra[ KUB VII 58 III 17 neben fDMEs.„a guR.
SAGMEs.^„ ,_Flüsse, Berge" Z. 15 in noch ungedeuteter und zer¬
störter Umgebung sowie in unklarem Kasus). Auch das Hethitische
kennt ein akkadisches Lehnwort kalzi- , .Festung, Burg" (sicher KUB
XIX 67 II 20. vielleicht auch KUB IX 31 IV 10; ganz unklar HT 2
I 27. II 19. III 2 usw.), das sich neben das gleichfalls hethitisierte tuppi „Schrifttafel, Urkunde" stellt (Rez., Staatsverträge des Hatti-
Reiches II S. 139 mit Anm. 2).
von Nuzi schließen läßt. Dieses findet sich in der subaräi¬
schen Glosse qa-ti-hu (qa-ti-hi) = akk. ana sepe-ka „zu deinen
Füßen" zweier Amarnabriefe wieder, die Bork OLZ 1932
Sp. 377 f. behandelt hat.
5. Gerade die soeben von L. Oppenheim OLZ 1937 Sp.1-6*)
sicher richtig festgestellten Zahlwörter der Nuzisprache
kommen wenigstens zum Teil auch im Subaräischen vor: Zu
Sin{t)- ,,zwei" s. schon Messerschmidt, Mitannistudien S. 66,
Rez. Analecta Orientalia 12 S. 126" (und schon ZA NF 2,
S. 282). tumni, das im Mitannibrief belegt ist, hatte Bork
OLZ 1932, Sp. 90 f. für „drei" gehalten"), während Speiser
JAOS 56, S. 405 jetzt für ,,vier" ist (sein Beweis steht noch
aus), tumni ist mit dem Suffix -IIa ,,eos" (Bork, Archiv für
Orientforschung 8 S. 311) als tu-um-ni-il-la[ auch in der churri¬
schen Stelle KUB X 63 II 15 belegt, leider in zerstörter und
unverständlicher Umgebung. Das von Oppenheim weiter an¬
genommene Zahlwort hutumn- ist mir noch unsicher. Für kik
ist nichts recht Vergleichbares im Subaräischen vorhanden;
wobl klingen mehrere Wörter an, aber sie sind zu unklar und
mehrdeutig, um herangezogen zu werden *). Daß die Zahl¬
wörter von Nuzi subaräisch sind, scheint mir jedenfalls mit
Speiser a. a. 0. nicht zweifelhaft.
Alles in allem dürfte der rein subaräische Charakter der
Sprache so klar erwiesen sein, daß er durch so schwache
1) Und gleichzeitig und unabhängig auch von Speiser, JAOS 56,
S. 404 f.
2) Allerdings mit einer lykischen Etymologie.
3) Eine Bemerkung verdient noch das aus Sin{t)arbu ,, zweijährig", lumnarbu ,,vier(?)jährig", kikarbu/e ,,x-jährig" auszusondernde arbu,
über das sich auch Oppenheim S. 5 nur vorsichtig äußert. Da für
,,Jahr" das Ras-Schamra-Vokabular I IS schon ein subaräisches Wort
iaiiala- an die Hand gibt (mit dem C.-G. von Bbandenstein wohl
richtig urartäisch Sali- ,,Jahr" verbindet), so werden wir nicht ohne
Not ein weiteres Wort einsetzen. Aber man kann ja in Nuzi das
Alter des Viehs auch nach Sommern oder noch anders gezählt haben.
Oder -arbu ist wie schon Oppenheim andeutet, nicht selbständiges
Nomen, sondern Suffix, so daß Sin(t)arbu usw. ganz parallel akkadi¬
schen Bildungen wie rubuatan „vierjährig", humusau „fünfjährig" usw.
wären.
214 Bücherbesprechungen
Argumente wie die Fehler in den akkadischen Verbalformen
nicht erschüttert werden kann.
Johannes FniEDRicH-Leipzig
Corpus Inscriptionum Chaldicarum. In Verbindung
mit F. Bagel t und F. Schachermayr herausgegeben von
C. F. Lehmann-Haupt. Textband 2. Lieferung (nebst
Supplement zur 1. und 2. Lieferung). Tafelband 2. Liefe¬
rung. Berlin u. Leipzig 1935. W. de Gruyter & Co.
Diese neue Lieferung bringt die noch ausständigen In¬
schriften des Menuas, darunter die sehr wichtigen großen
Kanalinschriften Nr. 34 ff., deren Fluchformeln den Cha¬
rakter einer Quasibilinguis haben, da sie Wort für Wort eine
bekannte Form der assyrischen Fluchformeln wiedergeben.
Unter den Nachträgen ist besonders der umfangreiche
(Sp. 132—160) zur bilinguen Kelischinstele hervorzuheben,
da er die Ergebnisse der Untersuchungen von Ebeling,
Friedrich, Götze u. a. bringt und bespricht. Weiteres finden
wir eine Reihe von sprachlichen und historischen Fragen be¬
handelt, vor allem eine ausführliche Diskussion der Frage,
ob das Corpus seinen Namen Chaldicarum mit Recht trägt.
So gewichtig mir auch die Überlegungen des Gegners Fried¬
rich erscheinen und obwohl sie beweisen, daß Chaldia
ein geographischer Begriff ist, der sich weder mit dem
Cbalderreich, noch mit dem Sprachbereich deckt, und daß
dieser Name bisher nicht sicher als einheimisch nachgewiesen
werden konnte (aber immerhin der Hauptgott Chaldi heißt!),
so muß doch entgegengehalten werden, daß alle diese Ein¬
wände in noch höherem Maß für den bei den Assyrern üblichen
Namen Urartu gelten. Daß dieses Wort nur geographisch zu
verstehen ist, zeigt z. B. die Baghistan-Inschrift, in der
Uraätu für Armenien steht, also obendrein zu einer Zeit, in
der keine chaldischen Inschriften mehr geschrieben wurden.
Dazu kommt, daß es verhältnismäßig unerheblich ist, welcher
Name der bessere ist. Entscheidend ist vielmehr der tatsäch¬
liche Sprachgebrauch. Völkernamen sind fast nie ,, richtig"!