Paul Pelliot
(28. Mai 1878 bis 26. Oktober 1945) Von Eeich Haenisch, Herrenchiemsee
Das Jahr 1945 war für die französische Wissenschaft vom Fernen
Osten ein schwarzes Jahr, so wie für uns damals das Jahr 1930, das uns
F.W. K. Müller, A. von Lecoq und A. H. Feancke raubte. Frankreich
verlor Henei Maspero und Paul Pelliot, die Stützen der Ostasiatischen
Forschung. Uns Arbeitern auf diesem Felde ist es beschieden, jeder an
seiner Stelle, zu schürfen oder zu betrachten, so lang unser Arm und unser
Blick reicht. Aber ganz selten kommt einmal ein Großer, der in die Weite
und in die Tiefe blickt auf die verborgenen Schätze, sie findet und hebt.
Mit Paul Pelliot hat die Wissenschaft einen Großen verloren, wie er
ihr nur in weiten Zeitabständen geschenkt wird. Wir können ihn nicht
besser kennzeichnen, als wenn wir ihn, bei aller Verschiedenheit ihrer
Art, mit unserem F. W. K. Müllee zusammenstellen: Tiefe des Ver¬
standes und Schärfe des Urteils gepaart mit einer schier unvorstellbaren
Universalität des Wissens, Erscheinungen, wie man sie bei dem heutigen
Stande der Forschung nicht für möglich halten sollte. Ihr Feld war die
Welt, die Welt des Fernen Ostens. Ihre Publikationen umfassen Ost-
und Innerasien. Beide haben keine Synthese versucht, wohl aber die
Bausteine dafür geliefert. Was sie sagten, das stand. Irrtümer sind ihrem
scharfen Urteil wohl selten unterlaufen. Und wenn ein späterer Arbeiter
eine zusammenfassende Darstellung unternimmt und sich auf seinem
Wege zögernd vortastet, wird er erleichtert aufatmen, wo er den festen
Boden unter sich fühlt, den jene bereitet haben. P. Pelliot ist in seiner
Bedeutung schon früh erkannt worden, war schon als junger Mann be¬
rühmt, in einem Alter, da andere noch um die Mittel ringen, dmch die
man zu den Quellen steigt. Nach der Ausbildung bei E. Chavannes,
Sylvain Levy und H. Coediee trat er, noch nicht zweiundzwanzig-
jährig, die Ausfahrt nach Hanoi an, im Frühjahr 1900, um in den folgen¬
den Jahren teils an der dortigen £cole de l'Extreme Orient zu wirken,
teils in Peking Bücherkäufe und Bücherstudien zu betreiben. Das Jahr
1905 ward dann für seine Arbeitsrichtung entscheidend. Nach den Auf¬
gehen erregenden archäologischen Funden Sven Hedins und Maec
AuEEL Steins im turkistanischen Sand waren russische, englische und
preußische Expeditionen zu weiterer Grabung und Forschung ausge¬
zogen. Frankreich folgte dem Beispiel. Hatte aber bei den anderen der
Archäologe im Vordergrund gestanden, so wmde jetzt in der Person von
Paul Pelliot ein Sinologe mit der Leitung der Arbeit betraut. Sein Be-
10 Ebich Haenisch, Paul Pelliot
rieht über den Fund der großen handschriftlichen Bibhothek in der
Höhle von Tun-huang machte mit einem Schlage seinen Namen in der
Wissenschaft bekannt und wies ihm zugleich sein Arbeitsfeld: laner-
asien. Bis auf zwei Werke, den mit Chavannes gemeinsam heraus¬
gegebenen Hraitd manicMen retrouvi en Chine' ( J. A. 1912) und die Arbeit 7a version ouigure de l'histoire des princes Kalyänamkara et Päpamkara
(T. P. 1914), hat er die Funde nicht selbst behandelt. Aber in einer un¬
übersehbaren Reihe von Aufsätzen und Notizen hat er wichtigste Er¬
kenntnisse als Vorarbeit für diejenigen geliefert, welche die Einzel¬
forschung unternehmen wollen. Keine Sprache, die sich ihm hier ent¬
gegenstellte, bereitete ihm Hindernisse. Sein Gebiet war von ungemeiner
Weite, vornehmlich die Beziehungen Chinas mit der Außenwelt, dazu
aber Bibliographie, LinguistUi, Geschichte und Religionswissenschaft,
Archäologie und Kunstgeschichte. — Das Jahr 1911 bereits brachte ihm
den, eigens für ihn geschaffenen, Lehrstuhl der Sprachen und Geschichte
Zentralasiens am College de France, 1921 seine Aufnahme in das In¬
stitut. Andere Ehrungen kamen. So war er auch Ehrenmitglied unserer
Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Von besonderer Bedeutung
war sein Wirken als Herausgeber der Fachzeitschrift Toung-Pao, vom
Jahre 1920 bis zu seinem Tode. Von 1925—1935 hatte er die Leitung
allein. — Jetzt ist uns die Herausgabe seiner nachgelassenen Werke,
einer ganzen Reihe wichtiger Arbeiten, in Aussicht gestellt. Als erste
posthume Veröffentlichung ist die Textrekonstruktion und Uber Setzung des
Yüan-ch'ao pi-shi erschienen, der Geheimen Geschichte der Mongolen. Es
ist bekannt, daß der große Forscher sich die Bearbeitung dieses kost¬
baren Werkes der Weltliteratur zm Aufgabe gesetzt hatte. Vielen Ge¬
lehrten ist es verwehrt, den Bau, zu dem sie den Grundstein legten, noch
unter Dach und Fach zu bringen. Aber wenn P. Pelliot auch sein Werk
nicht mehr herausgeben konnte, so bleibt doch ihm, der in seinem Auf¬
satz 'ä propos des Cornaus' (J. A. 1920) zum ersten Mal ein zusammen¬
hängendes Textstück im mongolischen Wortlaut wiederherstellte, die
Vaterschaft in der Yüan-ch'ao-pishi-Forschung unbestritten. Unter
den angekündigten Nachlaßarbeiten befinden sich auch 'notes mongoles'.
Vielleicht bringen sie uns noch Hülfen für diese Forschung, nachdem der
erhoffte Kommentar bedauerlicherweise verloren ist. Ein Desiderat
möchten wir noch anmelden: Die Zeitschrift Toung-Pao ist 'Mangelware'
geworden, nicht mehr zu beschaffen, und gerade bei uns zu Lande sind
mehrere Exemplare der vollständigen Reihe in den Kriegsläuften ver¬
brannt oder 'verschwunden'. Auf vielen Seiten besteht der Wunsch,
Pelliots Notizen in einer besonderen Sammlung zu besitzen. Denn auf den
Gebieten der Wissenschaft von Ost- und Innerasien möchten und können
wir auch nach seinem Tode Pelliots führende Hand nicht entbehren.
Paul Pelliot
Alexander Scharff (1892 — 1950)
Von Rudolf Anthes, Philadelphia
Sonntag, den 12. November 1950, ist Alexander Scharfe von uns
geschieden, durch einen sanften Tod bewahrt vor langem Leiden.
Dem am 26. Februar 1892 in Frankfurt a. M. Geborenen hat sein
Elternhaus hohes Kulturgut auf den Lebensweg mitgegeben: die Bin¬
dung an den Familienkreis, die Freude an edler Geselligkeit, die Liebe
zur Kunst, die musikalische Begabung und nicht zuletzt die lebendige
Religiosität. Er begann das Studium der Ägyptologie unter Erman in
Berlin 1911. Nach einjähriger Mhitärdienstzeit und einem Studiensemester
in Oxford wurde er im Ägyptischen Wörterbuch beschäftigt, zusammen
mit seinem Freunde Konrad Hoffmann, der wie auch Max Burchardt
und der Jüngste im Kjeis, Erich Steller, im ersten Weltkrieg auf dem
Felde der Ehre geblieben ist. Nach dem Kriege begann er seine Dis¬
sertation über den Papyrus Bulak 18, der die Arbeit an den Kahun-
papyri sich anschloß. Inzwischen aber war er an die Stelle Burchardts
als Hhfsarbeiter an das Berliner Museum gekommen. Unter der anregen¬
den Leitung von Heinrich Schäfer fand er hier ein weites, seinen An¬
lagen besonders entsprechendes Tätigkeitsfeld. Bedeutsam wurde ihm
dabei besonders auch die Arbeit unter Georg Möller, der damals neben
seinem Lehrauftrag für Demotisch als erster in. Berlin systematisch
arehaeologische Kurse für die Studenten dmchführte. Als auch Möller,
ein letztes Opfer des Krieges, 1921 starb, wurde Scharff sein Nach¬
folger als Kustos des Ägyptischen Museums. So hatte er das Glück, früh
eine verantwortliche Stelle an dieser größten ägyptischen Sammlung
Deutschlands zu erhalten. Aber auch zum Lehren drängte es ihn. Da
an der Berliner Universität damals kein Platz zu sein schien für ägyp¬
tische Archäologie, habilitierte er sich 1928 in Halle, das er von Berlin
aus versorgte. Ostern 1932 folgte er dem Rufe auf den Münchener Lehr¬
stuhl als Nachfolger Spiegelbergs. Die damit verbundene endgültige
Rückkehr in den heimatlichen Süden war ihm eine besondere Freude.
Durch die beiden Wirkungsstätten Berlin und München war aber die
schöpferische Zeit seines Lebens auch äußerlich nicht begrenzt. Als
Ludwig Borchardt 1924 das Deutsche Institut für ägyptische Alter¬
tumskunde in Kairo wieder eröffnen konnte, nahm er Scharff als seinen