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Campus Verlag, 2008, 321 S„ € 34,90;

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Rezensionen

Sünne Andresen, Mechthild Koreuber, Dorothe Lüdke (Hrsg.): Gender und D i - versity: Albtraum oder Traumpaar?

Interdisziplinärer D i a l o g zur „ M o - dernisierung" von Geschlechter- und Gleichstellungspolitik. Wiesbaden: Ver- lag für Sozialwissenschaften 2009, 260 S.,

€ 34,90

„Gender und Diversity: Alptraum oder Traumpaar?" lautet der Titel des Bandes zur gleichnamigen internationalen Ta- gung, die 2006 an der Freien Universität Berlin stattfand. Ziel der Veranstaltung war es, die Debatte um das Verhältnis von Gender (Mainstreaming) und Diversity (Management) zu intensivieren, die jewei- lige Spezifik der Begriffe zu klären sowie einen Beitrag für ein besseres Verständnis der jüngsten Entwicklungen in der Ge- schlechterforschung und Gleichstellungs- politik zu leisten. Der vorliegende Band soll die Positionen einer kontroversen Debatte bündeln und zu einer Annähe- rung an eine wissenschaftlich begründete

„(Neu-)Orientierung im Feld der Gleich- stellungspolitik" (23) beitragen. Angespro- chen sind also Forscherinnen und Akteur- innen in Politik und Wirtschaft gleicher- maßen. Im Folgenden werden ausgewählte Beiträge des Bandes vorgestellt, die an den Endpunkten des Kontinuums Traumpaar/

Alptraum verortet werden können.

Die Frage, ob das Ziel einer umfassen- den Gerechtigkeit durch (Gender) Main- streaming und/oder (Diversity) Manage- ment in greifbare Nähe rückt, verneint die Historikerin Tove Soiland entschieden.

Die erste der oben genannten Strategien ist für sie Ausdruck eines neoliberalen Ge- schlechterregimes. Der Begriff Gender, welcher nach dem Cultural Turn an einer

„kulturalistischen Verkürzung" (38) leide,

habe zwar zu einer Wahrnehmung der Aufweichung vergeschlechtlicher Iden- titäten, jedoch nicht zu einer Minderung von Ungleichheit beigetragen. Die Ge- schlechterdifferenz sei nicht das Problem, vielmehr seien es die statuswirksamen Produktionsverhältnisse. Die Einfuhrung von Diversity-Ansätzen ändere nichts an dieser Wurzel des Problems von Ungleich- heit. Der Soziologe Michael Meuser argu- mentiert ähnlich, erwähnt jedoch positive Aspekte von Gleichstellungsmaßnahmen die im Zuge von Gender Mainstreaming entstanden sind, z.B. eine größere Akzep- tanz für Gleichstellungsbelange in Orga- nisationen und einer „Professionalisie- rung von Geschlechterpolitik" (95). Dies sei aber auf den Anschluss des Gender- Begriffs an eine ökonomische Semantik zurückzuführen, die soziale Differenzen als Potentiale „auf die Organisationen als Ressourcen zurückgreifen können" (98) gefasst habe. Keineswegs verschwänden dadurch tradierte Rollenzuschreibungen, denn in diesem ökonomischen Diskurs bleiben Frauen weiterhin das Besondere und Abweichende vom männlichen Stan- dard. Ob dies zur gewünschten Gleichstel- lung und Gerechtigkeit führt, sieht Meuser eher skeptisch. Während bei Soiland das Akteursgefüge einen statischen Eindruck ,Mächtige — Machtlose' hinterlässt, sieht Meuser die Rolle der Akteure und die Effekte ihres Tuns differenzierter. Das ge- meinsame Fazit dieser beiden Beiträge zur ,Beziehungsqualität' von Gender und Di- versity: Sie können als Traumpaar betrach- tet werden, da sie beide aufgrund ihrer ökonomischen Logik gut harmonieren.

Für die gesellschaftliche Bearbeitung von Ungerechtigkeit sind sie jedoch eher ein Alptraum.

Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/10

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Ebenfalls kritisch diskutiert die Politik- wissenschaftlerin Claudia von Braunmühl in einer „ G e w i n n - u n d - V e r l u s t - R e c h n u n g "

das Verhältnis zwischen Gender Mainstrea- ming und Diversity Management. Im G e - gensatz zu Soiland hebt sie G e n d e r Main- streaming (GM) als eine Institution hervor, die auf der Forderung der internationalen Frauenbewegung nach Gerechtigkeit ba- siere. „Ein nicht h i n z u n e h m e n d e r Verlust"

wäre es aber, w e n n Diversity Management (DiM) „den i m m e r n o c h aktuellen A n - spruch von Geschlechtergleichheit u n d -gerechtigkeit", den G M begründe, „ent- werten würde." (63) Die Konsequenz wäre also ein ernster Streit zwischen den ,Partnern' u n d dieser scheint nicht u n - wahrscheinlich, da beide in ihren G r u n d - festen zu verschieden sind.

Die Ethnologin Susanne Schröter würdigt hingegen Diversity als „radikales Bekennt- nis zur Globalisierung u n d M o d e r n e "

(79), auch w e n n es sich dabei mitunter u m eine Unternehmensstrategie handele. Für sie schwinge bei Diversity die Forderung nach „Toleranz, Anti-Diskriminierung und Realisierung von Chancengleichheit" mit.

A m Beispiel der Kategorie Gender, die für Schröter die Begriffe „Frau" u n d „ M a n n "

integriere u n d gleichzeitig destabilisiere (80), möchte die Autorin aufzeigen, wie der „Kampf u m Teilhabe" in T h e o r i e u n d Praxis „zur Verabschiedung eines h o m o - genisierenden Modells u n d zur Anerken- nung von Diversität" führe (79). Sie ver- sucht damit einen Einblick in die hoch- komplexe Geschichte des Gender-Begriffs zu geben u n d gleichzeitig Anknüpfungs- punkte mit Diversity aufzuspüren. Prag- matisch für eine „Vernunftehe" eintretend betrachtet Gertraude Krell, Professorin für Betriebswirtschaftslehre, die Verbindung der konkurrierenden „Konstrukte oder Konzepte" Gender u n d Diversity, da „im- mer schon eine Verbindung" zwischen diesen bestanden hätte. Weiterhin sei es angemessen, der polarisierten Diskussion

die „emotionale Heftigkeit" (133) zu n e h m e n . Sie untermauert ihr Argument mit drei empirischen Befunden, welche verdeudichen sollen, dass „mit Blick auf Diskriminierung u n d Ausgrenzung" (136) Gender nicht das einzig wichtige Merkmal sei. Ein Königsweg in der gleichstellungs- politischen Umsetzung, also ob Diversity unter d e m Dach Gender oder Gender unter Diversity zu etikettieren ist oder ob vielmehr keine Hierarchisierung zwischen Gender u n d Diversity v o r g e n o m m e n werden soll, gäbe es nicht. Dies zeige sich auch in der Praxis. Hier k ö n n e nicht von typischen linearen Entwicklungsmustern im Sinne eines „weg von" z.B. klassischer Frauenforderung „hin zu" Diversity M a - nagement gesprochen werden. Die Poli- tikwissenschaftlerinnen Barbara Riedmüller u n d Dagmar Vinz diskutieren die Relevanz von Gender u n d Diversity in der Sozial- politik- u n d Wohlfahrtsstaatforschung u n d fordern, die historischen Wurzeln u n d B e - sonderheiten beider Kategorien anzuer- kennen. Ihr Beitrag fokussiert die Sozial- u n d Arbeitsmarktpolitik, ein Feld, dass Soi- land mitunter implizit als zentrales struk- turelles Problem betrachtet. Insbesondere der Entstehungskontext von Diversity in der Bürgerrechtsbewegung der USA, den Günther Vedder ausfuhrlich in seinem Bei- trag behandelt, werde häufig verkannt.

Schnittmengen u n d Potentiale von G e n - der u n d Diversity in der Forschung zu erkennen, kann z u m „Nachdenken über Zukunftsfragen der Gesellschaft" u n d z u m

„Entwickeln von Perspektiven f ü r eine neue Architektur der sozialen Sicherung"

anregen (65).

Schon in der Auswahl der A u t o r i n - nen wird die Stärke des Sammelbandes mit d e m provokanten Titel deutlich: seine Interdisziplinarität u n d die Sicht auf das Spannungsfeld „modernisierter" Gleich- stellungspolitik u n d der ihr zugrunde liegenden Konzepte Gender und Diver- sity. D e r Leserin bietet sich ein Spektrum

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mannigfaltiger, wissenschaftlich kontrover- ser Blickwinkel. Die Spannbreite der Dis- kussion ist eine Stärke des Sammelbandes.

Diese kann jedoch auch als eine Schwäche bezeichnet werden. Die thematische und konzeptionelle Breite innerhalb einiger Texte erschwert es Leserinnen ohne Vor- wissen in der Frauen- und Geschlechter- forschung, die jeweils zentralen Punkte herauszuarbeiten sowie eine sinnvolle Ver- knüpfung der Konzepte Gender und Di- versity zu erkennen. Zudem fällt auf, dass einige Beiträge — Fallstudien zum Transfer feministischer Theorie in die Praxis - Fra- gen zu Diversity nicht bzw. nur indirekt (Meyerson & Kolb; Meriläinen et al.) be- handeln.

Ein Fazit des Bandes könnte lauten:

Eine pauschale Antwort zur ,Paarbildung' erscheint unmöglich. Die Situationen, in denen entweder ein erstes vorsichtiges ,Dating', eine Ehe oder eine Trennung von Gender (Mainstreaming) und Diversity (Management) angemessen sein könnte, sind an komplexe strukturelle Zusammen- hänge gebunden in denen vielfältige Akteur- innen und Akteure mit unterschiedlichen Interessen mitwirken.

Eva Wegrzyn

Rainer Bartel/Ilona Horwarth/Waltraud Kannonier-Finster/Maria Mesner/Erik PfefFerkorn/Meinrad Ziegler (Hrsg.):

Heteronormativität und Homosexua- litäten. Innsbruck: Studienverlag, 2008, 152 Seiten, € 14,90

Der Band „Heteronormativität und Ho- mosexualitäten" geht auf eine gleichna- mige Tagung zurück, die 2006 in Linz stattfand und damals mit dem Zusatz For- schung in Anknüpfung an Michael Pollak' untertitelt war. Auf diese Kontextualisie- rung wird in dem Sammelband lediglich

in der .Entstehungsgeschichte' von Rainer Bartel explizit Bezug genommen: Michael Pollak, 1948 in Wien geboren, verließ Osterreich nach seinem Soziologie-Stu- dium in Linz, um in Paris — zunächst bei Pierre Bourdieu — seine Forschungen zu realisieren. Mit der Tagung sollte der Ver- such unternommen werden, den 1992 in Paris verstorbenen Forscher bzw. den Geist seiner Forschung nach Linz zurückzu- holen: Die Tagung „sollte... seinen Blick- winkel einnehmen und seine Arbeitsweise aufnehmen" (10).

Wozu genau Michael Pollak forschte, wird in dem Sammelband, der sich als Aus- wahl und Weiterentwicklung der Tagungs- beiträge versteht, nicht weiter ausgeführt.

Erwähnt wird aus dem breiten Spektrum an Forschungsinteressen die „empirische Erforschung homosexueller Milieus im Spiegel der herrschenden gesellschaftli- chen Verhältnisse" (9), an die hier ange- knüpft wird. In diesem Sinne kann die kritische Analyse heteronormativer Struk- turen und homosexueller Politiken als Verbindungslinie zwischen den Beiträgen angesehen werden, die ansonsten hin- sichtlich ihrer theoretischen Bezüge und gesellschaftlich-politischen Verortung eher disparat erscheinen.

Die Idee, Michael Pollak in Form einer Tagung zu gedenken, wie auch die Fort- fuhrung der Diskussionen im Rahmen eines Sammelbands wurde als Koopera- tionsprojekt zwischen der Homosexuel- len Initiative HOSI Linz, dem Institut für Frauen- und Geschlechterforschung und dem Institut für Soziologie der JKU Linz realisiert. Dieser Verbund liegt an der Schnittstelle von wissenschaftlicher Pro- duktion und sozialer Bewegung: Anliegen der HOSI war, „ein Zeichen der Sichtbar- keit für homosexuelle Lebensformen in ei- nem anerkannten Feld der kulturellen und politischen Öffentlichkeit" (7) zu setzen, so die Herausgeberinnen im Vorwort. Von Interesse ist nun, wie sich dieses .Zeichen Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/10

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der Sichtbarkeit' in d e m Sammelband ar- tikuliert u n d - im Anschluss an den Titel

— wie „Heteronormativität u n d H o m o s e - xualitäten" aufeinander bezogen diskutiert werden.

In seiner „Einleitung: H e t e r o n o r m a - tivität und die Verflüssigung des Selbst- verständlichen" resümiert Meinrad Ziegler zunächst die theoretischen Kontexte, die dazu beitragen, „ d e m Prinzip der Zweige- schlechtlichkeit die Selbstverständlichkeit zu rauben" (17). Er verweist auf zentrale Arbeiten, Analysen u n d Erkenntnisse in der Frauen- u n d Geschlechterforschung sowie der Q u e e r Studies, scheint dabei allerdings die „dauerhafte Identifizierung mit einem Geschlecht" (20) einem e m - phatisch besetzten Begriff von Verände- rung, Verflüssigung u n d Vielfalt gegenüber zu stellen. Diese Dimensionierung — des Normativen, Feststehenden auf der einen u n d der Vervielfältigung auf der anderen Seite — wird in den folgenden Beiträgen thematisiert und kritisch bearbeitet.

So erinnert Alice Pechriggl in ihrer Ana- lyse „Naturrechtliche ,Heteronormativität' vs. politische N o r m s e t z u n g " daran, dass es „ursprünglich gerade die Setzung war, welche die N o r m als Gesetz (von nomos) im Gegensatz zur Gewachsenheit bzw. der Unabänderlichkeit der N a t u r (physis) aus- zeichnete" (25). Vor diesem Hintergrund kritisiert sie eine Tendenz im Anschluss an Butlers Heteronormativitätskritik, die

„... Normativität gleichsam naturalisiert, i n d e m sie zu einer transzendentalen, aber zugleich empirischen Verfasstheit gemacht wird" (26). Auch w e n n diese Kritik an der Rezeption Butlers durchaus streitbar ist, so findet der Anspruch, den Begriff der N o r - mativität aus der Perspektive „einer reinen Rechtslehre" (26) zu betrachten - u n d da- mit den Aspekt der (sozialen) Setzung in den Vordergrund zu rücken —, eine k o m - plexe und anregende Umsetzung.

Einen Kontrapunkt zu Pechriggls Ana- lyse positiver Normativität — im Sinne

„von der M e h r h e i t anerkannt" (40) - setzt Antke Engel in ihrem Beitrag „Gefeierte Vielfalt. Umstrittene Heterogenität. B e - friedete Provokation." N a c h der „Tole- ranz kapitalistischer Verhältnisse f ü r nicht- normgerechte sexuelle Identitäten" (48) fragend, entwickelt sie den Begriff der projektiven Integration, die die N o r m selbst pluralisiere: „Bilder hybrider, flexi- bler u n d ambivalenter Identitäten werden als Inbegriff erfolgreicher, kreativer I n - dividuen projektiv aufgeladen" (52). Als Konsequenz aus dieser Analyse zielt ihr Plädoyer einer „Politics of Strangeness"

(55) darauf, „die Prozesse normativer D i f - ferenzproduktion zu unterbrechen, über die sich Dominanzverhältnisse reprodu- zieren" (56f.). In ihrer differenzierten Analyse über eine klare H e t e r o - / H o m o - Opposition hinausgehend, fragt sie nach Konzepten u n d Praxen des Sexuellen, die aufgezeigte neoliberale Transformationen kontern könnten.

W e n n aus diesem Blickwinkel queerer Ökonomiekritik H e t e r o - u n d H o m o n o r - mativität durchaus eine Allianz einge- hen k ö n n e n , so konzentriert sich Phil C. Langer in „Paradoxes Begehren" wie- d e r u m eindeutig auf heteronormative Männlichkeitsbilder u n d ihre B e d e u - tung in der Psychodynamik von HIV- Neuinfektionen. Er kontert den immer noch aktuellen „Topos von Aids als Preis, den der Schwule für die Übertretung gesellschaftlicher N o r m e n zu zahlen habe" (69) mit einer U m k e h r u n g : „ H e - teronormative Männlichkeitsbilder stel- len einen ernst zu n e h m e n d e n Risikofak- tor innerhalb schwuler Lebenskontexte dar" (77). Auch wenn fraglich bleibt, ob die Suche nach Kausalzusammenhängen u n d lineare Erklärungsmodelle weiter f ü h - ren, so ist der Verweis auf eine „im öffent- lichen Diskurs behauptete gesellschaftli- che Akzeptanz von Homosexualität" (79) durchaus bedenkenswert.

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Dieser Linie folgt Christoph Treiblmayr in diskursanalytisch angelegten Überlegun- gen zu männlichen Homosexualitäten im deutschen Kino der 1990er Jahre. In sei- nem Beitrag „Von ,bewegten Männern' und ,queeren' Gender-Utopien" greift er aus den Rubriken ,Neue Deutsche B e - ziehungskomödie' und ,New Queer Ci- nema' j e einen Film heraus: „Der bewegte Mann" macht deutlich, dass das gleichge- schlechtliche Begehren keinen Ausschlie- ßungsgrund mehr darstellt, solange „die Figur des besten schwulen Freundes" (91) sich der zugedachten Rolle entsprechend verhält und in der heterosexuellen Liebes- beziehung „als Katalysator" (99) fungiert.

Ganz anders „Prinz in Hölleland", der sich „beharrlich weigert, positive Bilder von Homosexualität zu zeigen oder Iden- tifikationsangebote für die Rezipientlnnen zu machen" (102) — sich in diesem Sinne also einer Beteiligung an der Produktion normativer Bilder entzieht.

„Für eine neue Grammatik der Aner- kennung" plädiert denn auch Christine M.

Klapeer, wenn sie danach fragt, „wie und nicht nur dass von einer Anerkennung lesbischer und schwuler Existenzweisen gesprochen wird" (110). Dem intersub- jektiven Ansatz Honneths stellt sie das Modell „Partizipative Parität" von Frä- ser gegenüber: „haben wir es innerhalb der Lesben- und Schwulenbewegungen doch mit einigen ... problematischen An- erkennungsdiskursen zu tun, welche stark auf Selbstverwirklichung, gleiche Rechte und individuelle Anerkennung fokussiert sind" (115). Sie rekurriert auf „feministi- sche Theorien und Bewegungspraxen als kritisches Korrektiv" (117) und plädiert mit Fräser für „eine doppelte Perspektive"

(121): auf staatliche Politiken, Institutionen und demokratische Prozesse wie auch auf kritische Arbeit innerhalb LGBT-Politiken selbst.

Diese Selbst/Kritik vollzieht Sushila Mesquita, wenn sie in „Heteronormati-

vität und Sichtbarkeit" die Ambivalenzen von Sichtbarkeit aufzeigt und danach fragt,

„unter welchen Voraussetzungen, mit wel- chen Konsequenzen und aufweiche Arten welche Lebensentwürfe derzeit öffendi- che Sichtbarkeit erlangen können" (129).

Anhand von zwei US-amerikanischen Sitcoms, die im O R F ausgestrahlt wur- den, veranschaulicht sie zwei Formen des Othering: Normalisierung als „Anpassung mit Abstrichen" und Karnevalisierung als

„Zuschreibung des Status eines konsti- tutiven Außen" (137). Diese „Kopplung von Sichtbarkeit an normative Konventio- nen der Lesbarkeit" (144) betonend ruft die Autor_in dazu auf, das komplexe Ver- hältnis von Sichtbarkeit und politischer Macht differenziert wahrzunehmen und statt eines ,Mehr' an Sichtbarkeit gängige Darstellungsformen und Lesarten heraus- zufordern.

Die Schnittstelle von Wissenschaft und sozialer Bewegung ist dem Band deutlich anzumerken: Das Ringen um Sichtbarkeit nicht-heterosexueller Lebensweisen geht einher mit der notwendigen Reflektion ihrer Einbindung in dominante Bewer- tungsmuster. In ihrer Disparität setzen sich alle Beiträge mit dem Konzept des Normativen auseinander, wobei der B o - gen hin zu einer kritischen Analyse des Ineinandergreifens neoliberaler Entwick- lungen und sexueller Politiken verläuft.

Der selbst/kritische Bezug auf Identitäts- politiken verhindert dabei eine Überset- zung von homosexuell in schwul, so dass Differenzierungen entlang verschiedener Machtachsen Raum bekommen. Es ist eine kritische Momentaufnahme, die in eindrücklicher Weise das Spannungsfeld aufzeigt, in dem heteronormativitätskriti- sche Arbeiten sich bewegen.

Karen Wageis

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Marina Grzinic/Rosa Reitsamer (Hrsg.):

New Feminism. Worlds o f Feminism, Queer and Networking Conditions.

Wien: Locker Verlag 2008,470 S„ € 29,80 Melanie Groß: Geschlecht und Wider- stand. post.. | queer.. | linksradikal.

Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag 2008,249 S.,€ 19,90

Was Feminismus, was feministische Poli- tik bedeutet, die historischen Strategien, Debatten, aufgehobenen Hoffnungen und Diskurs-umschifften „Vorsicht"-Schilder:

vieles von alledem kann eine kennen.

Trotzdem oder deswegen: Wie bringen Feministinnen „heute" das Wissen, das Denken, das Handeln zusammen? Welche Feministinnen? Wo? Die beiden zu bespre- chenden Bücher kamen etwa zeitgleich mit den deutschen Bestsellern des angeb- lichen Neofeminismus ä la „Alpha-Mäd- chen" auf den Markt. Ihre Ambition, eine feministische Gegenwart so zu reflektieren, dass dies politisch (und) optimistisch in die Zukunft weist, verbindet die zwei Bücher.

In anderer Hinsicht könnten sie unter- schiedlicher kaum sein. Bei Melanie Groß' Monografie „Geschlecht und Widerstand"

handelt es sich um die Drucklegung einer Dissertation mit durchgängig sozialwissen- schaftlichem Referenzrahmen hinsichtlich Analyse und Methodik, um einen dem- entsprechend geschlossenen Aufbau der Argumentation und um eine ganz lokale Fokussierung. Der von Marina Grzinic und Rosa Reitsamer herausgegebene Sam- melband „New Feminism" versammelt einen Mix an Genres, bei dem Interviews und journalistische Texte überwiegen, um durchmischte Zugänge und Disziplinen und insgesamt um einen höchst globalen Anspruch der Herausgeberinnen.

„New Feminism. Worlds of Feminism, Queer and Networking Conditions" ist ein schwer gewichtiges, umfangreiches, eher nur portionsweise er-lesbares Werk mit über 40 Beiträgen, die in zehn Ab-

schnitten organisiert sind, von „We Are (Be)coming!" über „Forms of Anti-/Pre- carization" bis „Strategie Agencies". In der Einleitung der Herausgeberinnen prä- sentiert sich der Band nicht allein als eine Sammlung von Texten zur Reflexion ge- genwärtiger feministischer Positionen und Praxen, sondern weit anspruchsvoller als Plattform zur Vorstellung von „new actors, agents and forces who do not talk only about unknown histories, but first and foremost re-articulate the very foundation of what the feminist movement is" (13).

„New Feminism", erklären die herausge- benden Künsderinnen und Kulturwissen- schaftlerinnen aus Wien und Ljubljana, „is a term that tries, firstly, to break the simple continuity in the feminist movement and, secondly, to re-engage new agencies and topics within the movement" (13). Ihre Beiträger_innen (fast ausschließlich: „-in- nen") waren aufgefordert „to propose a politically engaged break with the one and only history and present of feminism" (14).

Ein vollmundiger Anspruch also, der auf seine Einlösung umso neugieriger macht, als doch das, was hier als „neu" bezeichnet wird — in erster Linie eine Dezentrierung der Metaerzählung des Feminismus —, in- tegrierender Bestandteil der so genannten Third Wave war oder ist und jedenfalls zu guten Teilen in den späten 1980er Jahren formuliert wurde. Wer also war eingela- den, die eigene Stimme in eine Polypho- nie des Diskontinuierlichen zu tragen, und welche minoritären Geschichten kommen zu Wort?

Die Abschnitte, mit knappem Sammel- Abstract versehen, öffnen jeweils mit ei- nem Interview mit Trägerinnen eines „Big Name", darunter Braidotti, Butler, Spivak, Trinh. Das Gespräch mit Judith Butler fo- kussiert auf ihr Buch „Precarious Life"

und gegenwärtige queere Bewegungen, Gayatri Spivak rekapituliert eine Vielzahl ihrer Publikationen und Begriffsprägun- gen, von Subalternität bis „cultural trans- Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/10

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lation", u n d Evelyn Tornton Beck schließlich äußert sich sehr positiv über die zuneh- m e n d e Akzeptanz von Homosexuellen in jüdischen Gemeinden in den r u n d 25 Jah-

ren seit ihrem Buch „Nice Jewish Girls".

Trink T. Minh-Hä sagt, ganz wie schon in ihren Schriften von vor zwanzig Jahren, dass es genuin neue D e n k - oder Schreib- weisen gar nicht geben könne, sondern stets nur Verlagerungen, neue Kombina- tionen, neue Blicke auf die gleichen Bil- der oder Objekte. „Post"-, „Trans"- und

„Avant"- oder „ R e t r o " - M e t a p h e r n sug- gerierten eine chronologische Ordnung, die adäquater doch als spiralförmig vorzu- stellen sei.

Die Zusammensetzung der A u t o r i n - nen sollte wohl kulturelle, postkoloniale, politische Vielfalt realisieren, orientierte sich zu Teilen aber offenbar eher am Kriterium der Erreichbarkeit als an ei- ner umfassenden Auswahl impulsgebener Akteur_innen u n d Denker_innen „welt- weit". N a m e n verdienstvoller deutscher Autorinnen befinden sich darunter, wie Birgit Rommelspacher, Antke Engel, Yvonne Doderer. Osterreichische Autor_innen sind zahlreicher präsent, als inhaltlich vielleicht zu überzeugen vermag. K ü n s t l e r i n n e n u n d Kunsttheoretiker_innen figurieren prominent, etwa Tanja Ostojics mit einem Bericht über ihre verschiedenen „Border Crossing"-Projekte oder das rumänische Kollektiv H.arta. „Osteuropa" ist mit Bei- t r ä g e r i n n e n insbesondere aus Ländern des ehemaligen Jugoslawien stark vertreten, was sich auch daraus erklären dürfte, dass an einem Anfang des Projekts eigentlich ein „West/Ost-Europa"-Buch anvisiert war (vgl. 12). Nataia Velikonja schreibt über

„Homo-Konservatismus" u n d die Depoli- tisierung der Lesben- und Schwulenbewe- gung in Slowenien, Durda Knezevic über Institutionalisierungs- u n d Rückzugsten- denzen in der Frauenbewegung in Kroa- tien, Rutvica Andrijasevic über Bilderpolitik in Anti- Trafficking-Kumpngnen der Inter-

national Organisation for Migration. Natasa Govedic präsentiert sehr spannende künst- lerische R e c h e r c h e n zu K ö r p e r w a h r n e h - m u n g e n und Körper-„Zeugnissen". Bil- jana Kasic schließlich zieht aus der Vielfäl- tigkeit von Feminismen ähnliche Schlüsse wie Trink:

„ O n the one hand, feminism(s) can be considered as a constant process of f o r m a - tion and invitation in terms of women's is- sues and agencies by constantly dialoguing with the theoretical-activist aspirations of different .schools of feminist thinking' (...) and different historical points of departure;

o n the other hand, it seems to be a dis- persive map of topographies and processes that have gone both simultaneously and in historical shifts, time-lags and discrepan- cies being exposed to immense shifts ac- ross global-local contexts." (455f.)

W i e k o m m t das N e u e in die Welt (der Feminismen)? Wann begann es? Worin g e - nau besteht es? „ N e w Feminism" f o r m u - liert die Verheißung, uns dazu eine ganz neue Topografie zu zeigen. O b der Band sie einlöst, stelle ich dem Urteil der Lese- rin anheim.

Die in Bielefeld approbierte Promotion der Soziologin Melanie Groß, „Geschlecht u n d Widerstand, post.. | quer.. | linksradi- kal..", formuliert kein so weltumspannen- des Versprechen. Sie erklärt drei feminis- tisch-queere G r u p p e n einer „mittelgro- ßen Stadt" (Deutschlands, wie wohl zu ergänzen wäre) für zentral — eine Setzung, deren Dezentrierung ihr, u m diese Kritik vorwegzunehmen, in den theoretischen Ausfuhrungen teilweise, im Empirischen hingegen weniger gelingt.

Groß interessiert sich für die Bewegung von Akteur_innen auf j e n e m widersprüch- lichen Feld, das von der (dekonstruktivis- tisch-queer motivierten) Ablehnung ge- schlechtlicher Zuschreibungen abgesteckt ist u n d von der Achtung vor j e n e r Gewalt, die sich mit Ein- u n d Ausschlüssen ver- bindet; ein Feld, das dabei v o m Begeh-

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ren nach politischem Engagement, nach Attackieren von Herrschaftsverhältnissen durchzogen bleibt. Auszugehen sei von ei- n e m Streit u m Hegemonie innerhalb des Feminismus, nämlich darum, ob sozioöko- nomische Ungleichheitsverhältnisse oder das Symbolische und Kulturelle Vorrang hätten. D i e Studie nimmt die Perspektive ein, dass dieser Hegemoniekonflikt „tat- sächlich nicht völlig lösbar ist, gleichwohl aber nicht zwingend ein E n t w e d e r - O d e r produzieren muss" (12).

In e i n e m kompetenten und konzisen Theorieteil stellt Groß aktuelle feministi- sche Positionen dar — von der Kritischen T h e o r i e bis zur Critical Whiteness — u n d e r - läutert dann feministische Epistemologien sowie Gründzüge der Grounded Theory, mit der sie selbst arbeitet. Die Erforschung der R ä n d e r des feministischen Diskurses (anstatt seines Mainstreams), so betont sie, ermögliche nicht nur spezifische Einsich- ten, sondern auch generell eine H i n t a n - haltung von Schließungsprozessen. E n t - sprechend d e m „theoretischen Sampling"

der G r o u n d e d T h e o r y wertete sie G r u p - pendiskussionen mit drei Formationen aus der A u t o n o m e n Szene der Stadt ihrer Wahl aus. Alle drei befassen sich mit Fra- gen von Geschlecht, Sexualität, Queerness u n d Transgender; über ihre politischen Strategien sind sie sich uneins.

Als „postfeministisch" k ö n n e eine die- ser drei gelten: hochschulpolitisch aktive Frauen, die sich in erster Linie u m das Problemfeld „Normativität" grupppieren u n d i m m e r wieder an den Möglichkeiten der eigenen Agency zweifeln. Ihre W i d e r - standsaktionen bestehen vielfach in sym- bolischen Interventionen; „Spaß" muss dabei sein. Sie beteiligen sich an Grenz- camps u n d unsichtbarem Theater u n d ir- ritieren bei Kundgebungen in „pink &

silver". Bei der zweiten, als „queer-femi- nistisch" titulierbaren Formation handelt es sich u m eine Musikband, die in ihrem G r u p p e n n e x u s das Problem der identi-

tären Zuschreibungen u n d A n r u f u n g e n , den Protest gegen geschlechtliche Kate- gorisierung also, zentral setzt. Lebenswelt u n d Widerstand erscheinen hier als eng verzahnt, alternative Lebensentwürfe gel- ten als machbar, u n d zu den Mitteln des Widerstandes zählen für diese G r u p p e Aktionen w i e Drag-Auftritte und, na- heliegenderweise, das Texten u n d Per- formen von Musik. Radical Cheerleading etwa gehört ebenfalls zu den politischen Ausdrucksformen ihrer Wahl. Melanie Groß' dritte Frauengruppe versteht sich als „linksradikal-feministisch". Diese Akti- vistinnen verwenden am ehesten die Ka- tegorie Frau als Selbstbezeichnung, wobei der Gruppennexus auf d e m Problemfeld

„Wirkmächtigkeit" liege: W i r k m a c h t des Geschlechterdualismus, W i r k m a c h t politi- scher Ausdrucks- u n d Widerstandsformen, wirksame Kapitalismuskritik. Z u ihren Protestformen gehören klassische Medien der Öffentlichkeitsarbeit wie Flugblätter u n d Demos, sie setzen auf den Ausbau subkultureller Zusammenhänge im A u - t o n o m e n Z e n t r u m und treten z u d e m für den Erhalt von Frauenräumen ein.

Die Verfasserin der Studie resümiert diese unterschiedlichen Diskurs- u n d W i - derstandsformationen, wie sie vor dem Hintergrund eines j e differenten Verständ- nisses von Macht auch verschiedene H e r r - schaftskonfigurationen attackieren, positiv:

„So gelingt es der untersuchten Szene, die Ebenen der symbolischen u n d der strukturellen Ungleichheit nicht duch ein gemeinsames in sich geschlossenes Konzept zu verbinden, sondern vielmehr durch den Einsatz dreier Interventions- arten, die auf verschiedene Angriffsziele gerichtet sind: Die Interventionen auf der Ebene der Repräsentation, die Interven- tion durch Skandalisierung & Sichtbar- machung u n d die Interventionen durch Information & Aufklärung." (226)

Alles paletti (wie eine frühere G e n e - ration sagen würde)? Die w o h l nicht nur

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sprachlichen Hilflosigkeiten der jungen, der „neuen" Feministinnen werden in den wörtlichen Interviewpassagen, im

„so, naja, irgendwie" immer wieder deut- lich. Die Verfasserin nimmt diese nur halb fertig scheinenden Bemerkungen berüh- rend ernst, über-interpretiert sie manch- mal wohl auch. Ich hätte gern noch mehr zu den politischen Praxen gelesen, dafiir vielleicht weniger Ausfuhrliches zu den methodischen Auswertungsschritten. Mir fehlten Überlegungen zur Positionalität der untersuchten Akteur_innen, beispiels- weise hinsichtlich Alter und Schicht. Sie scheinen alle „jung" und vergleichsweise bildungsprivilegiert, und es bleibt ganz offen, ob ihre Wahrnehmung von Politik und Geschlecht damit zusammenhängen könnte.

Die Lektüre dieser beiden Bände zeitigt jedenfalls als Effekt die Uberzeugung, dass Feminismen höchst lebendig bleiben. Sie mögen nicht immer an ihre Geschichte denken, ihre Reflexion entspricht nicht allen Maßstäben der Perfektion, ihre Takti- ken aber scheinen tatsächlich immer wie- der neu und (doch) politisch, augenfällig wie in den Demoblocks der tute bianche, pink & silver, Women in Black ... Grau, sagt Trinh T. Minh-Ha in „New Feminism", sei als Farbe der unendlichen Möglichkei- ten zu begreifen.

Hanna Hacker

Karin Jurczyk/Mechthild Oechsle (Hrsg.):

Das Private neu denken. Erosionen, Ambivalenzen, Leistungen. Münster:

Verlag Westfälisches Dampfboot 2008, 332 S.,€ 29,90

Paula-Irene Villa/Barbara Thiessen (Hrsg.):

Mütter — Väter. Diskurse, Medien, Praxen. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2009,341 S., € 34,90

Das Private wird in den letzten Jahren verstärkt öffentlich und medial verhandelt.

Darüber hinaus ist es zunehmend politi- schen Eingriffen und Regulierungen aus- gesetzt. So lautet der Ausgangsbefund des von Karin Jurczyk und Mechtild Oechsle he- rausgegebenen Sammelbands (J./Oe.), der das Private in seinen verschiedenen Facet- ten und in seinem Verhältnis zum Öffent- lichen neu denken will. Dieses Verhältnis ist in Bewegung geraten und mit Verände- rungen verbunden, die für die Herausge- berinnen in dem Begriff der Entgrenzung zusammenlaufen: Grenzverschiebungen aufgrund Strukturveränderungen in der Erwerbsarbeit sowie veränderter priva- ter Lebensführungen und Geschlechter- beziehungen, neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und einer voranschreitenden Mediatisierung des Pri- vaten bei gleichzeitiger Domestizierung des Öffentlichen, schließlich auch Grenz- verschiebungen in der Frage nach recht- lichen und politischen Eingriffen in das Private. Ein Themenfeld in diesem Zu- sammenhang, das nur vermeintlich allein dem Privaten zuzurechnen ist, ist Eltern- schaft. Auch hier muss konstatiert werden, dass Bewegung in die medialen Bilder und alltäglichen Praxen von Mutterschaft und Vaterschaft gekommen ist. Der von Paula- Irene Villa und Barbara Thiessen herausge- gebene Sammelband (V./T.) zum Thema Mütter und Väter hat zum Ziel, die nicht immer ganz so neue — aber gleichwohl un- übersehbare — Vielfalt von Elternschaften auszuleuchten, und zwar sowohl mit Blick Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/10

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auf Praxen von Mutter- und Vaterschaft in ihrer strukturellen Eingebundenheit als auch auf mediale Diskursivierungsweisen und Verarbeitungsformen. Insofern lässt sich der Band von Jurczyk/Oechsle mit sei- ner grundlegenden Perspektive gewisser- maßen als Rahmung für das enger gefasste Thema Elternschaften von Villa/Thiessen lesen.

Ein zentraler Fokus liegt dabei auf der Frage nach dem aktuellen Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit bzw. von Erwerbsarbeit und Familie. Diese bei- den Verhältnisbestimmungen gehen nicht unmittelbar ineinander auf, gleichwohl sind beide zentral mit Fragen nach ge- schlechtsspezifischer Arbeitsteilung und Ungleichheit, nach Differenz und Hierar- chie verbunden. Die historisch geronnene Trennung der Sphären Öffentlichkeit/Er- werbsarbeit und Privatheit/Familie samt ihrer geschlechtsspezifischen Zuordnung ist für die Frauen- und Geschlechterfor- schung eine der zentralen Referenzfolien.

Bea Lundt (in J./Oe.) rekonstruiert diese Dichotomie in ihrem Beitrag als ein Ge- schichtsbild mit eigener Wirkmächtigkeit, macht aber ebenso auf die Differenziert- heit historischer Verhältnisse aufmerksam, die sich diesem klaren Schema zuweilen entziehen. Gleichwohl ist das generalisie- rende Bild getrennter Geschlechterwel- ten als historischer Bezugspunkt und als Deutungsmuster notwendig, um Verschie- bungen im Verhältnis des Privaten zum Öffentlichen analytisch in den Blick zu bekommen. Solche Verschiebungen sind Thema einer ganzen Reihe von Beiträgen.

Deutlich wird darin die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Entwicklungsdynami- ken wie auch die Heterogenität der damit verbundenen Einschätzungen.

Eine Entwicklungsrichtung lässt sich als das Ausgreifen des Privaten ins Öffentliche beschreiben. Krishan Kumar und Ekaterina Makarova (in J./Oe.) zeigen dies in ihrem Beitrag unter anderem anhand veränderter

Verhaltensgewohnheiten im öffentlichen Raum aufgrund neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Das Mobil- telefon beispielsweise wird zum Vehikel, mit dem Privates als Privates in der Öf- fentlichkeit kommuniziert wird. Dagegen fragt Beate Rössler (in J./Oe.) nach den Gefahrdungen der informationellen Pri- vatheit durch eben diese Technologien

— durch Erfassung und Speicherung per- sönlicher Daten beim Surfen im Internet oder im Rahmen staatlicher Überwachung

— und diskutiert die Gründe, warum es da- gegen nur so geringen gesellschaftlichen Widerstand gibt. Ralph Weiß (in J./Oe.) wiederum befasst sich in seinem Beitrag mit der Mediatisierung des Privaten, ge- nauer mit der freiwilligen Veröffentlichung und Inszenierung von Privatheit im Fern- sehen, welche einer „Kultur der Scham- losigkeit" (ebd., 186) Vorschub leiste und damit persönliche Autonomie als Basis von Privatheit angreife. Demgegenüber argumentiert Helga Krüger (in J./Oe.) in ihrem Beitrag, dass das Private — hier nun allerdings verstanden als Oberbegriff für familiale Zusammenhänge — zunehmend in das Öffendiche hineinragt und den dort abgesteckten Rahmen von Institutionen und Regulierungen neu herausfordert.

Im Gegensatz dazu wird in einer wei- teren Reihe von Beiträgen (alle in J./Oe.) das Eindringen von Öffentlichem in das Private thematisch. Barbara Thiessen etwa diskutiert Veränderungen des Privaten am Beispiel haushaltsnaher Dienstleistungen.

Diese gehen mit neuen und komplexen sozialen Ungleichheiten einher und fuhren zur Notwendigkeit, neu zu bestimmen und zu regulieren, was als privat, öffentlich oder gesellschafdich zu gelten hat. Ursula Mül- ler weist in ihrem Beitrag zu häuslicher Gewalt und deren rechtlicher Regulierung auf eine damit verbundene Ambivalenz hin: auf die Gleichzeitigkeit von Hilfe und Kontrolle im Rahmen staatlicher Inter- ventionen. Sabine Berghahn stellt insgesamt

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einen Komplexitätszuwachs bei der R e - gulierung des Privaten fest u n d diskutiert dies am Beispiel verschiedener Rechtsge- biete wie der Reproduktionsmedizin, des Familienrechts oder der Arbeitsmarktpo- litik. U n t e r anderem konstatiert sie dabei zunehmende staatliche Eingriffsinteressen in das Private aufgrund enger werdender finanzpolitischer Spielräume. In diesem Kontext wird mehrfach auch die norma- tive Bedeutung des Privaten thematisch.

D e r Beitrag von Uta Meier- Grawe bei- spielsweise fordert eine Aufwertung und stärkere Anerkennung der komplexen pri- vat erbrachten Fürsorgeleistungen, die das künftige Humanvermögen der Gesellschaft absichern. Auch Christel Eckart befasst sich mit dem T h e m a Fürsorge u n d hebt die be- sonderen Beziehungsqualitäten hervor, die im R a h m e n von Privatheit nicht nur m ö g - lich sondern zur Entfaltung von Identität und Autonomie auch erforderlich sind.

Wesentlicher analytischer Bezugspunkt verschiedener Beiträge im Band von Villa/

Thiesseti ist demgegenüber die Frage nach Persistenz u n d Wandel von Familien(leit) bilden. Anhand einer Befragung von Leh- rerinnen zum T h e m a Kinderarmut zeigt Sabine Toppe die Wirkmächtigkeit des Leitbildes der Normalfamilie auf — pri- vate Kindheit u n d fürsorgeverantwort- liche M u t t e r - u n d damit einhergehend die Privatisierung des Armutsthematik, was speziell zur Abwertung von Alleiner- ziehenden führt. Petra Bauer u n d Christine

Wiezoreck fragen, welche Familienbilder in die professionelle Arbeit von Sozialpä- dagoglnnen einfließen u n d rekonstruieren auch hier das Leitbild der bürgerlichen (erziehungskompetenten) Familie als p o - sitive Hintergrundfolie sozialpädagogi- scher Interventionen. In einem Beitrag zu gleichgeschlechtlichen Elternpaaren zeigt Doreen Kruppa, wie selbst diese aufgrund der Vorgaben einer heteronormativen G e - schlechterkultur u n d damit verbundener Familienbilder zu Anpassungs- und A b -

grenzungsleistungen genötigt werden u n d es auch hier keineswegs einfach ist, egali- täre Arbeitsteilungsarrangements zu etab- lieren.

Dass in gängigen Familienleitbildern vor allem auf Mütter fokussiert wird, zeigt sich auch in Beiträgen zum demografi- schen Diskurs. Sowohl Heike Kahlert als auch Thomas Etzemüller (beide in V./T.) arbeiten heraus, wie in der Problemwahr- n e h m u n g Frauen für die demografische Entwicklung verantwortlich gemacht werden: Letzdich geht es darum, dass die

„richtigen" Frauen wieder (mehr) Kinder b e k o m m e n , während M ä n n e r im Diskurs weitgehend keine Rolle spielen. Besonders plastisch kann dies Lena Correll (in V./T.) anhand von Interviews mit kinderlosen Frauen zeigen, die vor dem Hintergrund der Gleichsetzung von Frausein und M u t - terschaft mit entsprechenden Anrufungen konfrontiert sind und in beständige Le- gitimationsnotwendigkeiten geraten. Ein ungewöhnliches Mittel zur Regulierung des „richtigen" Zeitpunkts von Mutter- schaft analysiert Anke Spiess (in V./T.) mit d e m sogenannten Babysimulator. Diese lebensgroße computergesteuerte Baby- p u p p e wird angewendet, u m vor allem weiblichen Teenagern aus niedrigen so- zialen Schichten die Verantwortung einer f r ü h e n Schwangerschaft bewusst zu m a - chen. Spiess betont die disziplinierenden u n d verunsichernden Wirkungen, die mit einer Teilnahme an einem Babysimulator- Experiment einhergehen u n d bei den Betroffenen zu Erfahrungen wie Versagen u n d Isolation fuhren, womit letztlich ihre Marginalisierung verstärkt wird. Darüber hinaus befassen sich verschiedene wei- tere Beiträge (in V./T.) mit medialen Bil- dern u n d künstlerischen Brechungen von Mutterschaft. Auch sie zeigen, wie wirk- mächtig tradierte Deutungsmuster von Mütterlichkeit noch immer sind. Insofern n e h m e n die Beiträge in diesem Kontext vornehmlich eine kritische Position ein

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und fokussieren auf Persistenzen trotz Wandlungsprozessen.

Auch der Blick auf Vaterschaft und Vä- terlichkeit schließlich fördert Ambivalentes zutage. Karin Flaake (in V./T.) untersucht die Beteiligung von Vätern bei geteilter Elternschaft und zeigt, dass dadurch paar- interne Aushandlungs- und Umdeutungs- prozesse notwendig werden, die nicht nur Befreiung sondern auch Verunsicherung bedeuten. Notwendig wird insbesondere die Auseinandersetzung mit eigenen Ge- schlechterbildern. Gerade das Zusammen- bringen von Väterlichkeit, Hausarbeit und Männlichkeit ist dabei subjektiv mit der Gefahr von Verweiblichung verbunden.

Brüche und Widersprüche thematisiert auch Karin Schunter (in V./T.). Anhand der Rekonstruktion von Vaterbildern junger Erwachsener arbeitet sie heraus, dass An- forderungen an Väter häufig in der Vater- figur des sorgenden (Wochenend-)Vaters zusammen laufen, welche sich sowohl von der Figur des abwesenden Vaters als auch von der des Hausmanns absetzt. Anwesen- heit im Sinne von emotionaler Nähe und Fürsorglichkeit geht im Bild des sorgen- den Vaters einher mit gleichzeitig weiter- bestehender Abwesenheit im Alltag. Für- sorge als wichtiger Bestandteil des Bildes von guter Vaterschaft scheint sich zuneh- mend durchzusetzen, wie auch der Beitrag von Heather Hofmeister u.a. (in. V.T.) zeigt.

Allerdings sagt dies noch nichts über die gelebte Realität väterlicher Fürsorge aus.

Eine besondere Gruppe von Vätern un- tersucht Barbara Rinken (in V./T.) mit den alleinerziehenden Vätern. Anhand von Interviewmaterial rekonstruiert sie deren Vorstellungen und Praxen und kommt zu dem Ergebnis, dass ihre Lebensrealität als Männer, die einen — z.T. unfreiwilli- gen - „Territoriumswechsel" (ebd., 226) vollzogen haben, Veränderungspotentiale zur Auflösung dichotomer geschlechtsspe- zifischer Zuweisungen von Fürsorgearbeit und Erwerbstätigkeit birgt.

In ihrer Fülle an methodischen Zugängen und empirischen Erkenntnissen verdeut- lichen beide Sammelbände, dass mit den Grenzverschiebungen zwischen Öffent- lichem und Privatem sowie den Verände- rungen von Mutterschaft und Vaterschaft wichtige und zugleich hochaktuelle For- schungsfelder in den Blick genommen werden. Beide Bände thematisieren damit wesentliche Aspekte derzeitiger gesell- schaftlicher Wandlungsprozesse, die zentral auch mit dem Verhältnis der Geschlechter verbunden sind. Je auf ihre Weise machen sie aufmerksam dafür, dass das Private im- mer auch gesellschaftlich ist. Zugleich zei- gen sie, wie fruchtbar ein interdisziplinärer Blick auf diese Fragen ist. Über die Ge- schlechterforschung hinaus wäre beiden Bänden eine breite Rezeption zu wün- schen.

Karsten Kassner

Michael Bayer, Gabriele Mordt, Sylvia Terpe, Martin Winter (Hrsg.): Transna- tionale Ungleichheitsforschung. Eine neue Herausforderung fur die Sozio- logie. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2008,356 S.,€ 39,90

Die soziale Ungleichheitsforschung gilt als eines der zentralen Felder der Soziolo- gie. Dass der Kategorie Geschlecht neben Klasse und Ethnie eine zentrale Rolle fur das Phänomen Ungleichheit zukommt, gilt mitderweile - zumindest als empiri- scher Befund — als unumstritten. Daneben hat sich die Fachdebatte schwer damit ge- tan, die spätestens seit den 1980er Jahren beobachteten Prozesse der Globalisierung und Transnationalisierung in ein adäqua- tes Instrumentarium zu übersetzen. Zwar hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass methodologisch der Begriff der Gesell- schaft nicht mehr mit der nationalstaatlich Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/10

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verfassten Gesellschaft gleichzusetzen u n d folglich ein „methodologischer Nationa- lismus" (vgl. 8) zu kritisieren ist. Aber im Mainstream der Soziologie der sozialen Ungleichheit stellen transnationale U n - gleichheitsverhältnisse bislang vornehmlich ein Experimentierfeld für neue, quantita- tive Datenerhebungsverfahren dar, die in komparativer u n d tendenziell ökonomis- tischer Manier auf den Vergleich von U n - gleichheitsstrukturen verschiedener Länder abzielen. Es mangelt an einer ausgereiften soziologischen u n d damit gesellschaftstheo- retischen Theoriebildung, die dazu i m - stande wäre, nationale u n d internationale, vertikale und horizontale Ungleichheiten unter einem gemeinsamen analytischen Dach zu diskutieren.

Dies jedenfalls ist zunächst die Diag- nose zur Lage des eigenen Faches, die der vorliegende, von Michael Bayer, Gabriele Mordt, Sylvia Terpe, Martin W i n t e r h e - rausgegebene Band z u m Ausgangspunkt für die Diskussion nimmt. Er gliedert sich in drei Teile, in denen unterschiedliche Seiten des Themas — „Aspekte", „Kate- gorien" und „Sphären" von transnatio- naler Ungleichheit — beleuchtet werden.

Die meisten der Beiträge entstammen einer Tagung anlässlich der Emeritierung von Reinhard Rreckel an der Universität Halle-Wittenberg im Jahr 2006 u n d w ü r - digen die Arbeiten eines Autors, der schon früh auf das theoretisch uneingelöste

„Problem der globalen Ungleichheit" (23) hingewiesen hat. Markiert hat Kreckel da- mit nicht zuletzt eine Aufgabe, an der seit einigen Jahren auch die feministische For- schung arbeitet, so dass der Band trotz der wenigen versammelten Autorinnen auch instruktive feministische Perspektiven ver- spricht.

Ein Beitrag von Reinhard Kreckel eröff- net die Debatte. In zehn Thesen diskutiert er „die Bedingungen der Möglichkeit ei- ner weltgesellschaftlichen Ö f t n u n g der Soziologie der sozialen Ungleichheit"

(23). Kreckel vermutet, dass eine „ R e - zeptionssperre" innerhalb des Faches eine Thematisierung sozialer Ungleichheit in weltgesellschaftlicher Perspektive verhin- dert (29). Dafür verantwortlich sieht er eine historische Wahlverwandtschaft zwi- schen der Entstehung der sozialwissen- schaftlichen Ungleichheitsforschung und der Behandlung der sozialen Frage inner- halb nationalstaatlicher Grenzen. Zwar sei in den Köpfen die globale soziale Frage schon länger als Wunschbild präsent. So- lange j e d o c h keine Bedingungen ausfin- dig zu machen seien, die dieser Idee einen wirklichen Boden gäben, k ö n n e die sozio- logische Debatte von sozialer Ungleich- heit nicht ihre methodologische Engfüh- r u n g auf den Nationalstaat überwinden.

Entsprechend notwendig sei die Frage, ob sich gegenwärtig reale Tendenzen für eine Globalisierung der sozialen Frage und da- mit ein integrierter weltgesellschaftlicher R a h m e n ausfindig lassen machen, auf den sich eine soziologische Weltungleichheits- forschung beziehen könnte. Daraufhin diskutiert Kreckel, o b sich eine neue, glo- bale „Polanyi-Konstellation" Bahn bricht (49): sich eine Welt-Mittelklasse herausbil- det, die im Weltmaßstab eine mäßigende und Ordnungsstabilisierende Rolle über- n e h m e n könnte. Kreckel verneint dies zunächst, nicht zuletzt unter Rekurs auf die These Branko Milanovics, der das Ver- schwinden einer Welt-Mittelklasse diag- nostiziert. Jedoch erkennt er die Möglich- keit zur Aufhebung der Rezeptionssperre durch die politische Entwicklung von neuen normativen weltsozialpolitischen Relevanz- u n d Handlungsrahmen, die durch internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen u n d internatio- nale N G O s befordert werden (vgl. 60f.).

Walter Müller u n d Steffen Schindler stellen

„Überlegungen zur Milanovic-These über die internationale Einkommensungleich- heit" an u n d unterziehen damit zugleich die Kreckelsche Polanyi-Frage einer R e -

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vision. D u r c h eine Analyse n e u e r e r D a t e n zur E i n k o m m e n s u n g l e i c h h e i t u n d durch eine kritische B e l e u c h t u n g des m e t h o d i - schen Vorgehens v o n Milanovic k o m m e n sie zu einer gegenteiligen These: Statt ei- ner E n t l e e r u n g d e r M i t t e k o m m e es im globalen Maßstab zu e i n e m W a c h s t u m hin zur Mitte. Volker Bornschiers anschließen- der Versuch, eine Kurzgeschichte der U n - gleichheit i m Weltsystem zu schreiben, die die Frage der materiellen R e s s o u r c e n im Z u s a m m e n h a n g m i t der Verteilung d e m o - kratischer M i t b e s t i m m u n g diskutiert, m a g zwar ambitioniert sein, bleibt j e d o c h zu kursorisch u n d letztlich auf d e n Bereich der E i n k o m m e n s u n g l e i c h h e i t beschränkt.

Stefan Hrndil beschäftigt sich ebenfalls m i t d e n U r s a c h e n ungleicher E i n k o m - mensverteilung — vorrangig allerdings in Deutschland. D e r Beitrag erweitert die flir die Ungleichheitsforschung bedeutsame T h e o r i e des Ö k o n o m e n S i m o n K u z n e t u m eine „Personenseite" (153) u n d damit u m eine soziologische Perspektive. Kuznets Ü b e r l e g u n g , w o n a c h Produktivitätsunter- schiede ö k o n o m i s c h e r Sektoren E i n k o m - mensungleichheiten b e g r ü n d e n k ö n n e n , wird zwar zugestimmt, gleichwohl aber stellten Arbeitsplätze n u r die eine Seite der E n t s t e h u n g v o n E i n k o m m e n s u n t e r s c h i e - d e n dar. D i e andere Seite werde v o n den M e n s c h e n , die flir diese Arbeitsplätze zur Verfügung s t ü n d e n , u n d ihrer B i l d u n g u n d Qualifikation gebildet.

D i e bis dahin deutliche D e t h e m a t i s i e - r u n g von Geschlechterverhältnissen wird i m Teil II des Bandes d u r c h d e n Aufsatz von Cornelia Klinger a n g e n e h m d u r c h b r o - chen. D i e A u t o r i n schlägt eine integrierte Perspektive auf das T h e m a transnationale Ungleichheitsverhältnisse entlang der D i f - ferenzierungsachsen v o n Klasse, E t h n i z i - t ä t / R a s s e u n d Geschlecht vor. D e r m e - thodologische Nationalismus habe nicht n u r zur A u s b l e n d u n g j e n e r D i m e n s i o n e n sozialer U n g l e i c h h e i t g e f u h r t , die jenseits der Grenzen des m o d e r n e n Nationalstaa-

tes lägen, s o n d e r n a u c h j e n e r , die innerhalb des nationalstaatlichen Territoriums, aber sozialtopologisch unterhalb der A u f m e r k - samkeitsschwelle angesiedelt seien (vgl.

160). D e r Aufsatz f u h r t auf ü b e r z e u g e n d e Weise vor, dass die „Analyse von Klasse, Rasse, u n d Geschlecht (...) lahm o h n e die globale D i m e n s i o n - eine Analyse der glo- balen D i m e n s i o n h i n g e g e n blind o h n e die K a t e g o r i e n Klasse, Rasse u n d Geschlecht"

ist (161, Herv. i.O.). In einer b e m e r k e n s - wert feinsinnigen u n d k o m p l e x e n histo- rischen Analyse der Z u s a m m e n h ä n g e der

„topologischen K a t e g o r i e n H a u s - W e l t - Staat" in ihren Wechselwirkungen m i t den

„personalen K a t e g o r i e n Klasse-Rasse-Ge- schlecht" (162) v e r d e u d i c h t Klinger, dass sich die bisher geltenden Konstellationen sozialer U n g l e i c h h e i t e n entgegen d e m Anschein n i c h t etwa auflösen, s o n d e r n i m K o n t e x t globaler M i g r a t i o n s b e w e g u n g e n u n d „ w o r k - " u n d „care chains" einen G e - staltwandel durchlaufen (192).

Martina Low k o r r i g i e r t die Diskussion an anderer Stelle. Sie zeigt, dass eine ein- seitige theoretische Ö f f n u n g zur Welt- gesellschaft Gefahr läuft, die Stadt als eigenständige Vergesellschaftungseinheit aus d e m E r k e n n t n i s h o r i z o n t zu verlieren u n d somit das Verhältnis des Lokalen als eigenlogischem O r t m i t spezifischen E r - fahrungsqualitäten z u m Globalen nicht präzise b e s t i m m e n zu k ö n n e n . Löws B e i - trag k a n n auch als eine kritische R e p l i k etwa auf die Beiträge v o n Bornschier u n d Hradil gelesen werden. D e n n mit d e r B e - t o n u n g der Qualität v o n E r f a h r u n g u n d D e u t u n g w i r d das grundsätzliche P r o b l e m quantitativer Forschungen verdeutlicht, dass die g e w o n n e n e n Ergebnisse nichts erklären, s o n d e r n bestenfalls P h ä n o m e n e beschreiben k ö n n e n (vgl. 208).

D e r Aufgabe, das T h e m a G e n e r a t i o n e n - verhältnisse i m K o n t e x t transnationaler U n g l e i c h h e i t zu diskutieren, w i d m e t sich Reinhard Sackmann. Als folgenreich f ü r die Weltgesellschaft h a b e sich die neoliberal

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inspirierte staatliche Forcierung privater kapitalstockfinanzierter Rentenversiche- r u n g erwiesen. Risikoreichere individuelle Lebensläufe seien nicht-intendierte Fol- gen von Veränderungen der Lebenslaufpo- litik, insbesondere veränderter Alterssiche- rungssysteme.

D e r dritte Teil des Bandes z u m T h e m a

„Sphäre(n)" sozialer Ungleichheit b e - schränkt sich auf die ökonomische Sphere des Marktes. Die Aufsätze von Johannes Berger u n d Thomas Hanf stehen in einem engen Diskussionszusammenhang. Berger geht davon aus, dass Ungleichheiten in pri- vatwirtschafdich organisierten Marktwirt- schaften nicht durch den uneingeschränk- ten Wettbewerb und damit durch Prinzi- pien des Marktes selber entstehen, sondern durch Abweichungen vom „Idealzustand des Wettbewerbs" (272). Ungleichheit der E i n k o m m e n sieht er begründet durch so- ziale Schließungen von Marktteilnehmern, die R e n t e n e i n k o m m e n generieren. D e m - gegenüber belegt Hanf unter R e k u r s auf Schumpeter, dass Innovationen als dem Markt immanente Mechanismen zu Ein- kommensungleichheit fuhren.

Die gouvernementalitätstheoretisch in- formierten Ausfuhrungen von Ronan Sha- mir zum Verhältnis von Ökonomisierung und Moralisierung schließen den Band ab.

D e r inspirierende Beitrag legt dar, dass die Moralisierung des ökonomischen H a n - delns konstitutiver Bestandteil des neoli- beralen Projekts geworden ist. Als solcher löst er nicht nur die epistemologische Unterscheidung zwischen Markt und G e - sellschaft auf, der Begriff der moralischen Pflicht wird selbst in die M a r k t - R a t i o n a - lität eingepasst.

Von einem feministischen Standpunkt aus betrachtet ist der Sammelband insge- samt enttäuschend. Zwar ist der g r u n d - sätzliche Versuch zu begrüßen, die U n - gleichheitsforschung u m die Perspektive globaler Ungleichheitsverhältnisse zu er- weitern, erfreulich ist auch, dass es expli-

zit Bezüge zwischen einzelnen Beiträgen gibt. Gemessen aber allein am eigenen Anspruch der Herausgeberinnen stel- len sich Fragen. Welchen Anschluss das T h e m a transnationale Ungleichheitsver- hältnisse etwa im dritten Teil findet, wird bestenfalls in dem durchaus spannenden Aufsatz von Shamir deutlich. Problema- tisch ist auch, dass im Gros der Beiträge die Diskussion auf das T h e m a Einkom- mensungleichheit beschränkt bleibt u n d der Blick eurozentristisch verengt ist. Mit spezifischem Fokus auf die Dimension der Geschlechterverhältnisse fällt auf, dass die Diskussion in weiten Teilen auf deren systematische Integration verzichtet. Ab- gesehen von dem wegweisenden Text von Cornelia Klinger wird, wenn überhaupt, Geschlecht als eines von vielen M e r k - malen behandelt, mit d e m Ausprägungen sozialer Ungleichheit auch im transnatio- nalen Kontext in Verbindung gebracht werden können. Offensichtlich ist auch der tendenzielle Ausschluss feministischer und genderbezogener Arbeiten. Gerade aber der Aufsatz von Klinger macht klar, dass eine solide theoretische R a h m u n g transnationaler Ungleichheitsverhältnisse einer feministischen Grundlegung bedarf u n d die Kategorie Geschlecht kein belie- big additives M o m e n t ist. D e r Band selbst zeigt schließlich, dass es „Rezeptionssper- ren" nicht nur im Hinblick auf das Thema globale Ungleichheit gibt, die es zu über- winden gilt. Ein systematischer Einbezug feministischer Perspektiven, insbesondere der Intersektionalitätsforschung, feminis- tischer postkolonialer T h e o r i e n wie auch der feministischen Ö k o n o m i e würde hier nicht nur eine Leerstelle füllen, sondern wäre für die Fortentwicklung einer Sozio- logie transnationaler Ungleichheit sicher- lich produktiv.

Alexandra Rau

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Daniela Rastetter: Z u m Lächeln ver-

pflichtet. Emotionsarbeit im Dienst- leistungsbereich. Frankfurt/New York:

Campus Verlag, 2008, 321 S„ € 34,90;

Hildegard Maria Nickel, Hasko Hüning, Michael Frey: Subjektivierung, Verun-

sicherung, Eigensinn. Auf der Suche nach Gestaltungspotenzialen für eine neue Arbeits- und Geschlechterpo- litik. Berlin: Edition sigma, 2008, 237 S.,

€ 18,90

Was haben Emotionsarbeit und die Suche nach Gestaltungspotenzialen für eine neue Arbeits- und Geschlechterpolitik mitein- ander zu tun? Emotionsarbeit ist eine spe- zifische Form von Arbeit, die innerhalb einer personenbezogenen Dienstleistung geleistet werden muss. Es wird verlangt, dass der/die Beschäftigte höchst subjektive Anteile wie beispielsweise Einfühlungs- vermögen dazu einsetzt, Kundinnen zu- frieden zu stellen, sie zum Kaufabschluss zu bewegen und an das Unternehmen zu binden. Die eigenen Emotionen muss er/

sie dabei fest im Griff haben, d.h. Emotio- nen müssen reguliert werden. Eine zent- rale Frage der ,Subjektivierungsdebatte' der Arbeits- und Industriesoziologie ist die Bedeutung der subjektiven Poten- ziale im Arbeitshandeln. Emotionsarbeit im Dienstleistungsbereich kann als eine besondere Form der betrieblichen Sub- jektivierung betrachtet werden. Nickel/

Hüning/Frey greifen die ,Subjektivie-

rungsdebatte' ebenfalls auf und sehen in der Subjektivierung ein Potenzial, das für eine neue Arbeits- und Geschlechterpoli- tik genutzt werden könnte. Denn, so ihre These, die Subjektivierung der Beschäftig- ten lasse sich nicht auf betriebliche Vorga- ben beschränken, sonder weise .eigensin- nig' über betriebliche Bedingungen und Anforderungen hinaus. Ein gemeinsamer Bezugspunkt der beiden Publikationen ist also die Subjektivierungsdebatte. In beiden Arbeiten wird von einer betrieblich indu-

zierten und einer individuell induzierten Subjektivierung gesprochen.

Rastetter stellt fest, dass Studien zur Sub-

jektivierungsdebatte' (z.B. Moldaschl,Voß)

das Konzept der Emotionsarbeit nicht ein- beziehen. Zudem würden in diesen For- schungen, wie auch in frühen Arbeiten zu Emotionsarbeit (z.B. Russel-Hochschild) die positiven Aspekte der Subjektivierung für die Person nicht thematisiert. Rastet- ter jedoch argumentiert: Die betriebliche Praktiken sind „weniger Unterdrückung als vielmehr Chance zur eigenen Subjekt- formung" (12).

Nickel/Hüning/Frey orten durch ihre

Untersuchung vor allem zwei inhaltliche Aspekte, die in der Diskussion über Sub- jektivierung nicht beachtet wurden: Zum

einen der Aspekt der Unsicherheit (bzw.

Vertrauen) und zum anderen der Aspekt des Eigensinns der Beschäftigten. In bei- den Arbeiten wird betont, dass Subjektivi- tät kein völlig neues Phänomen der Arbeit ist. Die subjektiven Anteile der Arbeitskraft haben sich von einem , Störfaktor' hin zu einer Ressource im Arbeitsprozess entwi- ckelt. Um die Arbeitsanforderungen zu er- füllen, kann und muss Subjektivität in die Arbeit eingebracht werden. Rastetter sieht Subjektivierung deshalb als Chance und als Zwang zugleich.

Beide Publikationen wählten männlich dominierte Bereiche für die (qualitativen) empirischen Studien: das Untersuchungs- feld bei Rastetter ist die Versicherungsbran- che und bei Nickel/Hüning/Frey die Deut- sche Bahn AG. Die Fragestellungen, der weitere theoretische Bezugsrahmen und die Ebenen der Analysen der beiden Pu- blikationen gehen jedoch in unterschied- liche Richtungen. Rastetter fragt einerseits nach der Bedeutung von Emotionsarbeit für die Subjekte, nach ihren Strategien zur Emotionsregulation und ihrer Identitäts- arbeit und andererseits danach, wie Emo- tionsarbeit als Arbeitsform gestaltet wird;

d.h. nach den betrieblichen Strategien

Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/10

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zur Formierung höchst subjektiver P o - tenziale. D e r Begriff der Emotionsarbeit w u r d e durch die Studien von Arlie R ü s - sel Hochschild bekannt. Ihre Publikation

„Das gekaufte H e r z " verweist darauf, dass die Kontrolle über die Gefühle nicht m e h r beim Individuum, sondern bei anderen liegt. Emotionsarbeit ist nach Hochschild zur Herstellung des nichtigen Gefühls' n ö - tig. Aber die Spannung zwischen dem, was gefühlt wird u n d dem, was gefühlt werden sollte, führt längerfristig zu emotionalen Dissonanzen. Sie argumentiert, wer seine Gefühle ständig manipuliere, werde sich selbst fremd.

M i t d e m Verweis auf neuere Forschun- gen (z.B. Zapf; Voswinkel) kritisiert Ras- tetter die Arbeit von Hochschild als ka- pitalismuskritisch und pessimistisch, u.a.

weil sie die Gefahr der Entfremdung v o m Selbst überbewerte. Emotionsarbeit wird überwiegend (u.a. von Hochschild) mit ,Frauenarbeit' verbunden. Durch die e m - pirische Untersuchung im Außendienst eines Versicherungsunternehmens sucht Rastetter daher auch nach Antworten auf die Frage, wie M ä n n e r mit Emotionsnor- m e n umgehen, die dem „Männlichkeits- bild der Gesellschaft widersprechen" (45).

Im Ergebnis stellt sie fest, dass es - w e n n M ä n n e r weiblich konnotierte Aufgaben ausführen — zu einer „Uminterpretation"

(45) der Arbeit k o m m t .

U m zu zeigen, dass es für Emotions- arbeiterinnen psychisch notwendig ist, Identitätsarbeit zu leisten, zieht Rastetter die (sozial)psychologischen Ansätze der Identi- tätskonstruktion (Keupp) u n d der sozialen Identität (Tajfel/Turner) heran. Das K o n - zept der Identitätskonstruktion besagt, dass Identität keine persönliche Eigenschaft ist, sondern stets eine Feststellung, die j e - m a n d über sich selbst trifft. Identitätsarbeit besteht darin, die Erfahrungsfragmente in einen für sich selbst sinnhaften u n d stim- migen Zusammenhang zu bringen. Das Konzept der Sozialen Identität beschäftigt

sich vor allem damit, wie Identitätsbedro- hung reduziert u n d wie kollektive Identi- täten internalisiert werden k ö n n e n .

Emotionsarbeiterinnen werden in Dienstleistungsunternehmen mittels Iden- titätspolitik konstruiert — so eine These von Rastetter. Identitätspolitik (Politik wird in Anlehnung an Foucault als Disziplinie- rung verstanden) leistet das U n t e r n e h m e n , indem es z.B. Trainingsangebote bereit- hält. Diese enthalten vorgefertigte Iden- titätsbausätze, die selbstrelevante Verspre- chungen (Kohärenz, Anerkennung, Unsi- cherheitsreduktion, positiver Selbstwert) machen. Durch sie soll ein regelrechtes' Verhalten der Beschäftigten garantiert werden. Die Ergebnisse der Untersuchung von Rastetter zeigen, dass auf der indivi- duellen Seite immense Anstrengungen der Beschäftigten nötig sind, ihr Selbstbild und ihre Selbstachtung durch Strategien der emotionalen Selbststeuerung und der Regulierung des inneren Befindens zu wahren. Aber o h n e M a ß n a h m e n der U n - ternehmen — so Rastetter — wäre Emoti- onsarbeit nicht möglich.

Nickel, Hüning u n d Frey gehen in der Publikation „Subjektivierung, Verunsi- cherung, Eigensinn" der Frage nach, „ob und wie sich auf betrieblicher Ebene ,Ver- marktlichung' und .Subjektivierung' der Arbeit zeigen u n d welche Folgen dies für die betriebliche Arbeitspolitik u n d die be- trieblichen Geschlechterverhältnisse hat"

(11). Sie fokussieren auf die Frage, wie eine neue Arbeitspolitik gestaltet werden könnte, die das Selbständigkeitsbedürfnis der Beschäftigten berücksichtigt. Eine ver- stärkt geforderte Subjektivierung könnte vom U n t e r n e h m e n nicht intendierte Fol- gen haben, .indem M o m e n t e eigensinni- ger Widerständigkeit' der Beschäftigten über betriebliche Vorgänge hinausweisen und den Blick auf eine ,gesunde Balance' von Arbeit u n d Leben richten. Mit dem Begriff" .Eigensinn' (leider führen die A u - torinnen nicht an, ob sie den Begriff in

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Anlehnung an A. Lüdtke oder Negt/Kluge verwenden) wollen sie die Verbindung von Subjektivierung und Neuausrichtung der Arbeitspolitik, die das Leben außerhalb der Arbeit mit einbezieht, herstellen.

In der Auswertung der vier Teilunter- nehmen der Deutschen Bahn AG (Kon- zernleitung, KundenService Zentrum, D B JobService GmbH, D B Zeitarbeit GmbH) zeigte sich, dass „Unsicherheit eine zent- rale Begleiterscheinung von Vermarktli- chung und Subjektivierung" (14) ist, denn ein Teil der Ungewissheit der unterneh- merischen Gewinnerwartung wird an die Beschäftigten weitergegeben. Unsicher- heit äußerte sich in Angst vor Arbeitsplatz- verlust. Der .Eigensinn' der Beschäftigten äußert sich, indem diese versuchten, ihre individuelle Existenz sowie den Lebensan- spruch, Arbeit und Leben zu verbinden, zu sichern. Die subjektiven Bewältigungsfor- men von Unsicherheit hängen stark von konkreten betrieblichen Bedingungen und sozialstrukturellen Faktoren wie Alter, Qualifikation, Lebensform und Geschlecht ab. In Bezug auf die Geschlechterpoli- tik kommt die Studie zum Ergebnis, dass sich das Unternehmen verstärkt entlang einer Leistungs- und Verwertbarkeitslo- gik orientiere und von normativen, auf Gerechtigkeit bezogenen Handlungslogi- ken verabschiede. Eine Individualisierung von Geschlechtergleichstellung habe sich verfestigt. Die kollektiven Verständigungs- prozesse über Gleichstellung sind durch ,Egalitätsmythen' (Funder) und relativ we- nig Sensibilität für die Genderproblematik (auch bei den befragten Interessensvertre- terlnnen) erschwert.

Das betrieblich geforderte ,eigenver- antwortliche Handeln' könnte die B e - schäftigten dazu befähigen, „sich die rela- tive Eigenständigkeit der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns theoretisch und praktisch an- zueignen und sie in kollektiven Verstän- digungsprozessen zur Grundlage des auch

widerständigen Selbstständigkeitsbedürfnis- ses in Arbeit und Leben zu machen" (43).

Ein organisierter kollektiver Reflexions- und Austauschprozess (auch zur Gender- problematik) zwischen den Beschäftigten sei sinnvoll, um eine Basis für die Neuaus- richtung betrieblicher und gewerkschaftli- cher Arbeitspolitik zu schaffen.

Beide Publikationen sind eine Berei- cherung für die theoretischen Diskussio- nen zum ,Wandel von Arbeit' und der Rolle des Subjekts in diesem Prozess insbesondere dadurch, als bislang wenig beachtete Aspekte der Subjektivierung zur Diskussion eingebracht werden. Will man einen Einblick in die Problematik der Identitätsarbeit von Emotionsarbeite- rinnen und die betrieblichen Strategien zur Subjektivierung von Beschäftigten erhalten, ist die Publikation von Rastet- ter sehr empfehlenswert. Für eine Arbeit, die den Anspruch erhebt, sich explizit mit Emotionsarbeit in einem Männerberuf zu beschäftigen, wäre es wünschenswert ge- wesen, die Erkenntnisse der Geschlech- terforschung systematisch einzubeziehen.

Der empirische Befund, dass sowohl Füh- rungskräfte wie Versicherungsagenten den Beruf als ,männlich' konstruieren, sie im Alltagsverständnis weiblich konnotierte Anforderungen als .männliche uminter- pretieren' (45) ist eine weitere Bestätigung für die (zwar komplexeren) theoretischen Erkenntnisse z.B. von Wetterer zu Berufs- konstruktion und Geschlechterkonstruk- tion. Eine Auseinandersetzung mit den (neueren) theoretischen Überlegungen zu Maskulinität (Meuser; Hungerbühler) als kontextabhängige und relationale Katego- rie hätte die Studie bereichern können.

Die Arbeit von Nickel/Hünig/Frey greift die Erkenntnisse und Theorien der femi- nistischen Arbeitsforschung systematisch auf. Insbesondere auch Akteurinnen der Interessensvertretungen erhalten durch diese Publikation einige Anregungen (z.B.

Organisieren eines kollektiven Reflexions-

(19)

und Austauschprozesses) für ihre politische Arbeit. Ob und wie es in der Praxis je- doch gelingt, mit Eigensinn aber (noch) wenig Sensibilität für Gender-Fragen aus- gestatteten Interessensvertreterlnnen zu einer neuen (kollekiven) Arbeits- und Ge- schlechterpolitik zu gelangen, bleibt indes abzuwarten.

Edeltraud Ranftl

Cornelia Klinger, Gudrun-Axeli Knapp (Hrsg.): ÜberKreuzungen. Fremdheit, Ungleichheit, Differenz. Münster: Ver- lag Westfälisches Dampfboot 2008, 277 S„

€ 27,90

Der von Cornelia Klinger und Gudrun- Axeli Knapp herausgegebene Band mit dem Titel Uberkreuzungen, Ungleichheit, Differenz liefert einen entscheidenden Beitrag zur weiteren Entwicklung femi- nistischer Theorie. Die unterschiedlichen Aufsätze des Sammelbands versuchen — oft programmatisch — zu klären, was unter dem so genannten Intersektionalitätsansatz zu verstehen ist und inwiefern die Analyse der auf unterschiedlichen Ebenen veror- teten Geschlechterfrage eine Antwort auf die „Dethematisierung" gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen sein kann.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert.

Im ersten Teil (Soziokulturelle Differenzen in der Konstitution von Subjektivität) sind die Artikel versammelt, die sich mit der Rolle beschäftigen, welche Geschlecht, Ethnie und Klasse bei Subjektivierungsprozessen spielen. Der zweite Teil (Gesellschaft - Un- gleichheit - Differenz) besteht aus Artikeln, die sich eher mit der gesellschaftstheore- tischen Relevanz von Intersektionalität befassen. Bei meiner Lektüre des Bandes möchte ich dem in dieser Gliederung implizierten Leitfaden nicht folgen. Statt- dessen finde ich es interessanter, die his-

torische und politische Kontextualisierung und das spezifische Theorieverständnis zu problematisieren, das den unterschiedli- chen Analysen zugrunde liegt.

Der einführende Text von Kathy Da- vis erläutert den Entstehungskontext des Konzepts der Intersektionalität und dessen ortgebundene Entwicklung sehr deutlich.

Eingeführt vom black feminism Anfang der 1980er Jahre in den Vereinigten Staaten sei das Konzept der Intersektionalität der Ausdruck einer politischen Absicht gewe- sen. Es sei dabei um die Thematisierung derVerkopplung von sexistischen (sex), so- zialen (class) und rassistischen (race) Diskri- minierungsstrukturen und um eine Reha- bilitierung der Identitätspolitik gegangen.

Rezipiert in der zweiten Hälfte der 90er Jahre vor allem in Großbritannien, aber

auch in der BRD, in den Niederlanden und in Skandinavien im Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung von Mig- rationsphänomenen unterscheide sich der europäische Intersektionalitätsansatz von dem des black feminism in vielerlei Hin- sicht. Abgesehen von den politisch und historisch motivierten Schwierigkeiten, die mit der Verwendung des Begriffs race im europäischen Kontext verbunden seien, sind nach der Analyse von Davis die Un- terschiede zwischen dem amerikanischen und europäischen Konzept von Intersek- tionalität vor allem theoretischer Art. Sie beträfen die Natur der Kategorie der In- tersektion, die Art der Überkreuzung und das Verständnis von politischer Subjektivi- tät bzw. der Alternative zwischen identity und agency. Unterschiede, an denen Davis zufolge die Inkompatibilität der feministi- schen Theorie des black feminism und eines postmodernen Feminismus deutlich wer- den.

Interessanterweise spiegelt sich circa zehn Jahre später diese theoretische und politische Alternative in einer veränderten Form in der Debatte wieder, die um die Bestimmung des Intersektionalitätsansat- Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1/10

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