Kunstgeschichte am Ende des 19. Jahrhunderts
Von Annette Hagedorn, Berlin
In diesem Artikel wird das Wirken des Architekten und Bauforschers
Richard Borrmann (1852-1931) gewürdigt, der im allgemeinen Bewusst¬
sein wegen seines grundlegenden Buches von 1893 Die Bau- und Kunst¬
denkmäler von Berlin blieb. Hier soll gezeigt werden, wie eng Borrmann
auch mit der Islamischen Kunstgeschichte und ihren Pionieren in Berlin
Julius Lessing (1843-1908), Wilhelm von Bode (1845-1929) und Fried¬
rich Sarre (1865-1945) verbunden war.
Richard Borrmann wurde am 27.12.1852 in Orle bei Graudenz in
Westpreußen 1 geboren. Sein Vater war Rittergutsbesitzer und Borrmann
machte große Reisen mit ihm. 2 1866-1872 besuchte er die königliche Lan¬
desschule Schulpforta und lernte unter anderem alte Sprachen und Literatur.
Borrmann meinte später, dass diese Ausbildung „für sein ganzes Leben
Bedeutung gehabt habe". Die alten Sprachen „haben ihn [wie er selbst gesagt
hat] zu einer idealeren Auffassung seines Architektenberufs über das Prakti¬
sche hinaus befähigt." 3 Es ging ihm nicht vor allem um die Errichtung neuer
Bauten, sondern um die kulturhistorischen Zusammenhänge innerhalb der
Architektur. Hierin zeigen sich philosophische Ansätze. In den Nachrufen
von 1931 4 beschrieb Daniel Krencker (1874-1941), sein Nachfolger an
der Technischen Hochschule, Richard Borrmann als edlen Menschen,
der geachtet und geliebt wurde und keine Feinde gehabt habe. Er sei gerade
und pflichttreu gewesen, habe klar und ohne Phrasen gesprochen. Er sei ein
1 Abkürzungen für die Signaturen der Archivalien im Geheimen Staatsarchiv, Preus-
sischer Kulturbesitz = GStAPK; Hauptabteilung = HA; Archivalien aus dem Bestand
des Kultusministeriums = Rep. 76; Bestand des Zivilkabinetts = Rep. 89. Abkürzung für
Technische Hochschule: TH; Reichshandbuch, 1930, S. 376. Dazu auch: GStAPK, hand¬
geschriebener Lebenslauf von Borrmann für seine Bewerbung der Professur für Bauge¬
schichte an der TH. (GStAPK, I. HA, Rep. 76 Vb, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 6, Bd. VII, o. pag.).
2 D. Krencker 1931b, S. 207.
3 D. Krencker 1931a, S. 273; Reichshandbuch 1930, S. 376.
4 D. Krencker 1931a und 1931b.
„stiller, gründlicher Gelehrter" gewesen. Krencker nannte Borrmann:
„ein Vertreter echten, edlen Preußentums". 5
Richard Borrmann studierte von 1874-1878 an der Königlichen Bau¬
akademie, seit 1879 Technische Hochschule, er hörte bei Friedrich Adler
(1829-1908) 6 und Ernst Curtius (1814-1896). 7 Nebenbei besuchte er ar¬
chäologische und kunstwissenschaftliche Vorlesungen.
Wichtige Einflüsse auf seine späteren Publikationen hatte seine praktische
Mitarbeit beim Bau und bei verschiedenen Institutionen in der Erforschung
der Baukunst: Als Architekt arbeitete er kurzfristig 1878 in Königsberg.
1883 war er für acht Monate Bauführer beim Neu- und Umbau des Land-
und Amtsgerichtes in Berlin. In dieser Zeit beteiligte er sich auch an Wettbe¬
werben. 1885 wurde er zum Kgl. Regierungsbaumeister ernannt. 1886 war
er Hilfsarbeiter in der Bauabteilung. 1886/1887 war er mit Vorarbeiten für
klinische Bauten in der Ziegelstraße in Posen tätig. 8
Im Oktober 1878 wurde er von seinem Lehrer Friedrich Adler aufge¬
fordert, an der 4. Kampagne der Ausgrabungen von Olympia teilzunehmen.
Dort war er bis zu deren Beendigung 1881 beschäftigt. Anschließend hat er
an der Veröffentlichung der Ausgrabungsergebnisse mitgewirkt. Im Som¬
mer 1887 war er zur Überarbeitung der Olympia-Publikationen erneut in
Olympia. Es ist bekannt, dass er in diesen Jahren in den Sommermonaten
die Türkei bereiste. 9
Im Juni 1887 wurde er im Auftrag des Magistrats von Berlin mit der In¬
ventarisierung der Kunstdenkmäler von Berlin beauftragt. Das Manuskript
wurde im April 1891 abgeschlossen und erschien 1893. Das Buch blieb bis
heute ein wichtiges Standardwerk. 10
5 D. Krencker 1931a, S. 273. D. Krencker 1931b, S. 208. Borrmanns einziger Sohn starb in einer der frühen Schlachten des 1. Weltkrieges.
6 F. Adler wurde 1859 an die Bauakademie berufen. Er hatte eine Professur für Bau¬
geschichte, war gleichzeitig ein vielbeschäftigter Architekt und Begründer der Bauschule von Berlin. Er war auch interessiert an der islamischen, besonders an der osmanischen Baukunst (vgl. A. Hagedorn 2000, S. 118 und 122f.).
7 R. Borrmann 1904, handschriftlicher Lebenslauf (GStAPK, I. HA, Rep. 76 Vb,
Sekt. 4, Tit. III, Nr. 6, Bd. VII, o.pag.).
8 Vgl. Anm. 7.
9 D. Krencker 1931b, S. 207. Friedrich Adler schrieb 1873/1874 wichtige Artikel zur islamischen Baukunst (s. Titel im Literaturverzeichnis). Ob das Interesse Borr¬
manns an islamischer Keramik auf diese Artikel und gemeinsame Reisen in die Türkei zurückgehen, ist bis heute nicht geklärt. Zur Mitarbeit Borrmanns bei den Ausgrabun¬
gen in Olympia sind Archivalien im Geheimen Staatsarchiv, Berlin (die Jahre 1853-1914 betreffen: I. HA, Rep. 76 Ve, Sekt. 1, Tit. XI, Nr. 19, Bd. 1-5 ; Rep. 76 Ve, Sekt. 1, Tit. XI, Teil Va Nr. 9; Rep. 76 Ve, Sekt. 15, Abt. III, Nr. 19a).
10 R. Borrmann 1893a.
1892-1904 war er am Kunstgewerbemuseum unter dessen Direktor Julius Lessing „Directorialassistent". 11 Im Auftrag des Kunstgewerbemuseums
besuchte er Kunstsammlungen und Kunstauktionen in Deutschland ebenso
wie in Paris und London. 12 In dieser Zeit schrieb er wichtige Bücher und
Artikel. 1897 erschien seine Geschichte der Baukeramik, die so erfolgreich
war, dass sie in zweiter Auflage 1908 erweitert publiziert wurde. Friedrich
Sarre erwähnte Borrmann 1901 im Vorwort seiner Publikation Denk¬
mäler Persischer Baukunst, in der er schrieb:
„Die bisher auf dem Gebiet der orientalischen Keramik vorliegende Literatur
ist nicht reichhaltig [...] in Deutschland verdanken wir Richard Borrmann
und Eduard Jacobsthal wertvolle Untersuchungen und zusammenfassende
Darstellungen." 13
Das Buch Borrmanns kann als kleine Universalgeschichte der Baukeramik
verstanden werden. Fußend auf seinen Erfahrungen bei der Erfassung der
Grabungsfunde in Olympia und der Baudenkmäler in Berlin verfasste er
ein Buch, das viele Aspekte der Baukeramik in leicht verständlicher Spra¬
che und doch mit tiefgehendem Verständnis beschrieb. Sein Kapitel über
islamische Baukeramik fußte auf der zur damaligen Zeit publizierten wis¬
senschaftlichen Literatur und auf seinem eigenen technischen Wissen von
Keramik. Borrmann vermochte aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als
Architekt Konstruktionen der Baukeramik auch für den Laien verständlich
darzustellen. Er benutzte aber zum Beispiel auch die ersten Ergebnisse
der 1896 erschienenen Arbeit Friedrich Sarres über das seldschukische
„Konia". In seinem Buch wies Borrmann auch auf die Arbeiten eines an¬
deren Berliner Architekten mit Interesse an der islamischen Baukunst hin:
er arbeitete in sein Werk Ergebnisse von Eduard Jacobsthal (1839-1902)
aus den späten 80er Jahren zur türkischen Baukunst ein. Interessanterweise
war Jacobsthal neben den von ihm untersuchten Bauten auch an der Tech¬
nologie islamischer Baukeramik interessiert. Jacobsthal publizierte einen
Artikel dazu bezeichnenderweise in einer Fachzeitschrift aus dem Umfeld
des Kunstgewerbemuseums. 14 Borrmann überarbeitete sein Buch für eine
zweite Auflage 1908 und konnte dann auch die wichtigste neuere Literatur
11 D. Krencker 1931a, S. 273 gibt als Zeitraum der Mitarbeit Borrmanns am Kunst¬
gewerbemuseum 1892-1904 an. Zwei Briefe aus der Zeit Borrmanns am Kunstgewerbe¬
museum an Wilhelm von Bode sind im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz erhalten. Sie sind 12.2.1901 und 18.3.1902 datiert.
12 Siehe Borrmanns eigenhändig geschriebenen Lebenslauf 1904. (GStAPK, I. HA,
Rep. 76 Vb, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 6. Bd. VII.) 13 F. Sarre 1901, S. 2.
14 Hinweise zur Literatur Jacobsthals im Literaturverzeichnis.
zur islamischen Keramik und zur modernen Baukeramik aufnehmen. 15
Borrmanns Interessen an Keramiktechnologien ließen ihn aber in seinem
Buch auch Glasurfarben und ihre Wirkungen beschreiben. Interessant ging
er daneben auf ältere Glasurtechniken ein und schrieb dabei sehr spezifisch
über einzelne Keramikgruppen. Er suchte immer wieder Hinweise auf den
künstlerischen Übergang von der vorislamischen zur islamischen Zeit und
verglich generell die Keramik der Übergangszeiten. Immer wieder versuchte
er, Keramiken in den geschichtlichen Hintergrund der islamischen Welt
einzubinden. Er nahm auch Backsteindekorationen in seine Beschreibun¬
gen auf. Diese Verbindung von historischem Hintergrundwissen, Keramik¬
technologie und ästhetischem Empfinden erscheint hier stellvertretend bei
seiner Beschreibung mongolischer Bauten:
„So enthält der eigentliche Sitz der mongolischen Herrscher Persiens, die Land¬
schaft von Adherbeidschan im nordwestlichen Persien, eine Gruppe von Bau¬
denkmälern vom Ende des 13. Jahrhunderts, deren keramische Decorationen
von den bisher besprochenen verschieden sind. Die Hauptdenkmäler in diesen
Landen bilden eine von Gazan Chan gestiftete Moschee seiner Hauptstadt Tau-
ris [Tabriz], ferner das schöne Grabmal von Gazan's Bruder und Nachfolger
Chodabende Chan (1304-16) in Sultanieh, eines der edelsten Monumente der
mittelalterlichen Baukunst. Die bemalten Wandfliesen mit Lüster fehlen hier
gänzlich; an ihre Stelle treten 1) eine reiche Backsteindecoration, aber nicht
mehr aus Ziegeln auf hoher Kante, wie an den frühen Seldschukenbauten, son¬
dern aus glasirten und unglasirten Ziegeln, Fliesen und Terracotten mit Relief- Ornamenten, und 2) ein ganz neues Element, das Fliesen-Mosaik." 16
Er unterstrich am Ende des Kapitels über die islamische Keramik den
negativen Einfluss, den die europäische Industrialisierung auf das orien¬
talische Kunstgewerbe genommen hatte. 17 Islamische Kunst wurde vor
der Eröffnung der Islamischen Abteilung 1904 im Kunstgewerbemuseum
gesammelt, und so wird Borrmann in seiner Zeit als Mitarbeiter an diesem
Museum weitergehende Informationen erhalten haben. Borrmann hatte
sich schon früh für das Spezialgebiet „Baukeramik" entschieden. Orienta-
15 R. Borrmann 1908, S. 190f. Dieses Buch wurde noch 1924 in Anton Springers
Handbuch der Kunstgeschichte im Band Frühchristliche Kunst und Mittelalter im Literatur¬
verzeichnis angegeben. Dies zeigt die Bedeutung des Buches auch noch in späterer Zeit.
16 R. Borrmann 1897, S. 64.
17 R. Borrmann 1908, S. 102: „Mit dem 18. Jh. sank die keramische Kunst der Türken, sowie die künstlerische Produktion des Islam überhaupt, und nirgends als etwa in Indien, wo die Engländer bemüht sind, die altheimische Uberlieferung und Übung gegen die eu¬
ropäische Maschinentechnik zu schützen, zeigen sich Ansätze zu Weiterbildungen. Aber wo es keine nationale Architektur mehr gibt, da gibt es auch kein künstlerisches Leben mehr; bald wird die einst so herrliche Kunst des Islam nur eine Kunst der Museen und Sammlungen sein."
lische Keramik wird ihm seit seinen Reisen nach Konstantinopel/Istanbul
bekannt gewesen sein, und er konnte nun die Sammlung des Kunstgewer¬
bemuseums studieren. Für seine beiden Keramikbücher, die er in seiner
Zeit am Kunstgewerbemuseum verfasste, konnte Borrmann zahlreiche
Vergleichsbeispiele aus dem Museum verwenden. Gerade die Fliesen aus
Konstantinopel/Istanbul waren wichtige Stücke islamischer Kunst im
Kunstgewerbemuseum. Beispiele dieser Fliesen wurden von dem Direktor
des Kunstgewerbemuseum Julius Lessing 1889 in Istanbul angekauft. 18
Artikel zur osmanischen Keramik publizierten 1893 und 1894 Lessing und
Otto von Falke (1862-1942), um die bisher nicht eindeutig in die Türkei
lokalisierten Keramiken einordnen zu können. 19 Auch die Berliner Kera¬
mikkünstlerin Marie Drews (bis um 1895) hatte sich schon früh mit dem
Thema befasst und dazu auch Beschreibungen der osmanischen Keramiken
und ihrer Techniken verfasst. Als Künstlerin galt ihr gerade diese Keramik
als vorbildlich. 20
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Borrmann die ganze Band¬
breite islamischer Architektur und Keramik kannte, da er 1900 ein Heft
über die Bauten von Granada schrieb und diese Bauten auch 1904 in seiner
Geschichte der Baukunst erwähnte. 21 An der maurischen Keramik war
er ebenfalls interessiert, da er hier auch Zusammenhänge zwischen Nord¬
afrika, Spanien und Italien sah. 22
Borrmann und Friedrich Sarre (1865-1945), später Leiter und Direk¬
tor der Islamischen Abteilung der Königlichen Museen zu Berlin, werden
sich in den achtziger Jahren des 19. Jh. kennengelernt haben, nachdem Sarre
1890 seine Dissertation über die norddeutsche Terrakotta-Architektur
in Wismar publiziert hatte. 23 1 899 präsentierte Sarre dann in einer Aus¬
stellung im Lichthof des Kunstgewerbemuseums die Ergebnisse seiner For¬
schungsreisen in den Vorderen Orient und zudem seine ersten Erwerbun¬
gen von islamischer Kunst. Borrmann hat diese Ausstellung ausführlich
besprochen. 24 Ein Brief von Sarre 1900 zeigt, dass sich beide bereits gut
18 Hinweise im Bestandsverzeichnis des Kunstgewerbemuseums. Dazu: A. Hage¬
dorn 1998, S. 33.
19 J. Lessing 1890; O. v. Falke 1894.
20 M. Drews 1882 und 1883. Eine ihrer Keramiken befindet sich heute noch im Kunst¬
gewerbemuseum (Berlin), Inv. Nr. KGM 1877, 434. Dieser Teller geht zurück auf einen
osmanischen Teller, ebenfalls in den Sammlungen des Kunstgewerbemuseums. Inv. Nr. K
2351. Dazu: A. Hagedorn 1998, S. 66f. Abb. 57/58.
21 R. Borrmann 1900. Ders. 1904, S. 364-369.
22 R. Borrmann 1897, S. 74 f. und 130-139.
23 F. Sarre 1890.
24 R. Borrmann 1898/1899.
kannten. 25 Dass Borrmann in diesem Brief Grüße an die Ehefrau Sarres
bestellte, zeigt eine Vertrautheit der beiden Wissenschaftler. 26 Es könnte
sein, dass Borrmann auch zum Kreis der Besucher in der Villa der Familie
Sarre in Neubabelsberg gehörte.
Als Fachleute für Baukeramik hatten Borrmann und Sarre die gleichen
Forschungsinteressen. Mit seiner Arbeit über die Terrakotten des Fürsten¬
hofes in Wismar legte Sarre einen auch für Borrmann wichtigen Baustein
deutscher Baukeramik nieder. In seinem 1897 erschienenen Werk über die
Keramik in der Baukunst benutzte Borrmann die Ergebnisse dieser, wie
auch alle weiteren Arbeiten von Sarre. Später dienten sie ihm auch als eine
der prinzipiellen Grundlagen für seine Erörterungen zur Technik der isla¬
mischen Architektur und Baukeramik.
25 Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst, Nachlass Friedrich Sarre, Brief Lessing an Sarre, Berlin, 30.11.1900. „Sehr verehrter Herr Doctor, durch Ihre frdl. Karte aus Rom haben Sie mir die Möglichkeit gegeben Sie schändlicher Weise in Ihrer Muße zu stören. Wir bekommen aus Paris ein hectographiertes Schreiben ohne Unterschrift wonach zwei der bedeutensten persischen Monumente Fayence mit reflet in Paris 14 rue de 4 sept ausgestellt seien. Ich habe Bedenken an Fernand in Paris zu schrei¬
ben, nehme auch an, da er weit über unseren Etat gehen wird. Hat man Sie benachrichtigt?
Gehen Sie etwa über Paris zurück? Mit besten Grüßen auch an Madame Ihr aufrichtigst Ergebener Leßing." Borrmann fügte dem hinzu: „Lieber Herr Doctor, In Ergänzung vorstehenden Schreibens des Herrn Geheimrat Lessing habe ich in seinem Auftrage noch nachzutragen, da es sich nach den etwas confusen Notizen des Kunsthändlers um zweier¬
lei Stücke handelt: 1.) um einen Mihrab mit Lüsterfliesen, den Dieulafoy, S. 204 erwähnt.
Danach kam das Stück aus Kaschan. 2.) das zweite Stück wird bezeichnet: Tombeau de l'imamzade Yaya. Dies ist das bekannte schöne Heiligengrab in Veramin. In der That befinden sich zu derselben, wie Sie wissen werden, außer einem Mihrab und Wandver¬
kleidungen auch ein Sarkophag mit Lüsterfliesen bester Zeit. Danach handelte es sich ungewöhnlich wertvolle und gut beglaubigte Stücke - wenn alles auf Wahrheit beruht.
Mit vielen Dank für Ihre freundlichen Zeilen und meinen ergebensten Empfehlungen an Ihre Gattin. Ihr Borrmann." Tatsächlich fuhr Sarre von Rom über Paris zurück, um sich auf der Weltausstellung diese Kunstwerke anzusehen. Ausgestellt war nur der Mihrab aus dem Imamzada Yahya in Veramin, der 663 H./1265 datiert ist und in den Besitz des
Kunsthändlers Kevorkian überging und sich nunmehr in einer amerikanischen Privat¬
sammlung befindet. Sarre berichtete darüber auch in einer Rezension über die Pariser
Ausstellung islamischer Kunst 1903 (vgl. Sarre 1903b, S. 524). Die von Borrmann an
erster Stelle erwähnte Gebetsnische war dagegen nicht in auf der Weltausstellung in Paris ausgestellt, sondern befand sich in der englischen Sammlung Preece und wurde 1927 von
Sarre für die Islamische Abteilung erworben. Es handelt sich um die 623 H./1226 da¬
tierte Gebetsnische aus Kaschan (Inv. Nr. I. 5366). Vgl. zu diesem Themenkomplex auch Sarre 1935, S. 64-65 und Masuya 2000, S. 41 ff. Borrmann lag aber sehr richtig mit seiner Einschätzung, dass es sich „hierbei um ungewöhnlich wertvolle und beglaubigte Stücke" handelte. Diese Episode zeigt, wie wichtig die Weltausstellungen für die Ausstat¬
tung der europäischen Museen waren.
26 Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst, Nachlass Friedrich Sarre.
Sarre und Borrmann verband jedoch nicht nur das Interesse für Isla¬
mische Kunst im Allgemeinen, sondern insbesondere gerade die islamische
Keramik. Wie die Publikationen von beiden zeigen, interessierte beide
besonders die verschiedenen Techniken der Baukeramik. Borrmann ging
1902 in seinem Werk Moderne Keramik auf technische Fragen und Neuent¬
wicklungen ein. Diese Seite der Keramik wurde ebenfalls Thema in Sarres
Veröffentlichung Denkmäler Persischer Baukunst, die seit 1901 in Einzel¬
lieferungen herausgegeben wurde. 27
Beide ließen sich von zeitgenössischen Keramikkünstlern über die techni¬
sche Herstellung von Fliesen und ihrer Glasur informieren und sachkundig
machen. Für die Ausstellung im Kunstgewerbemuseum 1898/1899 wurden
Repliken osmanischer Baukeramik „in Originalgrösse" ausgeführt von dem
Hofsteinmetzmeister Wimmel & Co. und dem „Thonwaren"fabrikanten
Ernst March ausgestellt." 28 Sarre wollte in den ersten Jahren des 20. Jahr¬
hunderts für den Bau seiner Villa in Neubabelsberg dunkelblau glasierte
Fliesen verwenden. 29 Dazu war er in Verbindung mit dem Direktor des
Dresdener Werks von Villeroy&Boch getreten. 30 1903 korrespondierte
Sarre wahrscheinlich wegen des Fliesenproblems mit der Herzoglichen
27 Borrmann bewunderte diese Publikation. Schon vor der kompletten Herausgabe des Werkes 1910 schrieb er 1908 in der 2. Auflage seiner eigenen Arbeit Die Keramik in der Baukunst: „Die neueste grundlegende Veröffentlichung über die mittelalterliche Bau¬
kunst Persiens ist das mit trefflichen photographischen Farbaufnahmen reich ausgestat¬
tete Prachtwerk [...]," R. Borrmann 1908, S. 62.
28 R. Borrmann 1898/1899, S. 308.
29 Der Architekt Joseph Maria Olbrich (1867-1908) zeichnete 1903 für das Projekt
Wohnhaus Sarre, Potsdam-Neubabelsberg eine perspektivische Ansicht des Hauses, des¬
sen Ergeschoss mit einem breiten umlaufenden Fries aus blauen Keramikfliesen verkleidet war (Hessisches Landesmuseum 1967, S. 196f. Abb. 263). Der Entwurf wurde nicht aus¬
geführt. Das 1905 bezogene Haus verwendet in einer Loggia unterhalb des Daches einen Löwenfries im babylonischen Stil, dessen Herstellungsjahr nicht bekannt ist.
30 Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst, Nachlass Friedrich
Sarre. Brief des Betriebsdirektors Wilkens an Sarre vom 15.7.1900: Sarre möchte of¬
fenbar das Dresdener Werk besuchen, um Werke aus dem Museum zu Studienzwecken
auszuleihen. Der Direktor teilt Sarre mit, dass schon seit einigen Jahren „rhodische Fliesen in vollkommener Weise nachgeahmt" werden, „dieselben haben aber noch keine Abnehmer gefunden." Am 10.8. desselben Jahres bedankte sich Wilkens bei Sarre für
„Lichtbilder", außerdem für Informationen zu „persischen Wandfliesen". Er hoffte „das¬
selbe nachahmen" zu können und in „nicht allzulanger Zeit gelingen wird, Sie [Sarre]
zufrieden zu stellen". Am 30.7.1901 muss Wilkens Sarre aber mitteilen: „trotz der vielfältigen Versuche, welche unser Chemiker Hoffmann in der Sache angestellt hat, ist es ihm noch nicht gelungen die entsprechenden Glasuren haarrissefrei auf so weichem leicht schneidbaren Scherben aufzubringen." [...] Bis zum 7.10.1903 konnten keine haar¬
rissfreien Fliesen hergestellt werden (Brief von Wilkens an Sarre). Die Kenntnis dieser Briefe verdanke ich Jens Kröger, Berlin.
Majolika Manufaktur in Karlsruhe. 31 Von 1919-1920 schrieb sich Sarre
mit der Töpferei Grootenburg/Paul Dresler (1879-1950) aus Krefeld. 32 Das
Atelier für Baukeramik Jakob Julius Scharvogel (1854-1938) in München
wurde vermutlich ebenfalls von ihm konsultiert. Noch in den 20er Jahren
berichtete Scharvogel Sarre aus Konstantinopel am 1.10.1924 über seine
Reise ins Osmanische Reich. 33 Er beschrieb diverse Kriegszerstörungen
durch Angriffe von englischer Seite. Man könne wegen eventueller Aus¬
grabungen von Architekturmonumenten und Ruinen an den türkischen
Denkmalpfleger Halil Bey schreiben. Scharvogel wollte Sarre auch weitere
Adressen von Ansprechpartnern in der Türkei mitteilen.
Wieviel Interesse Borrmann an moderner Keramik hatte, beweist sein
Buch zu dieser Gruppe von Keramiken. 34 Er bezog sich hierfür auf die Pa¬
riser Weltausstellung 1900, bei der auch die Entwicklung der Keramik seit
1850 an Beispielen dargestellt wurde und Keramikfabrikanten ausstellten und
verkauften. 35 In seinem Buch ging Borrmann auch auf den im Jugendstil
sehr beachteten Lüsterdekor ein. Wie sehr er sich für moderne Künstler ein¬
setzte, zeigt das Kapitel „Moderne Keramik", in dem er die Werke von Max
Laeuger (1864-1952), damals Mitarbeiter der Karlsruher Majolika Fabrik, ins
Zentrum stellte. In mehreren Abbildungen stellte er das Werk des heute noch
berühmten Künstlers vor. 36 Auf der Grundlage seines Wissens von deutscher,
aber auch vor allem von islamischer Keramik vermochte es Borrmann, alle
wichtigen Keramiktechniken vorzustellen. Er unterschied Keramiktechniken
aus der islamischen Welt von solchen aus Europa und wies darauf hin, welche
Bedeutung die islamische Keramikkunst für die Entwicklung der modernen
europäischen Keramik hatte. Dazu unterstrich er auch die Bedeutung des fran¬
zösischen Architekten und Keramikkünstlers Leon Parvillee (1830-ca. 1885) 37
31 Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst, Nachlass Friedrich Sarre, Briefe vom 28.9. und 11.10.1903 an Sarre von Wilhelm Süß aus Karlsruhe.
32 Paul Dresler stellte künstlerische Keramik zum Teil im Stil persischer Keramik des 14.Jahrhunderts her (vgl. S. Röder/G. Storck 1997, S. 374, Abb. 13). 1924 veranstaltete Sarre in den Räumen der Islamischen Abteilung eine Ausstellung von Fayencen von Paul Dresler. Eine Dokumentation dazu ist nicht erhalten. Dass Sarre auch mit dem Kunst¬
mäzen Karl Ernst Osthaus in Verbindung stand, ist im Osthausarchiv, Hagen, belegt (vgl.
Hagedorn 2002, S. 103-115).
33 Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Islamische Kunst, Nachlass Friedrich Sarre.
34 R. Borrmann o.J. [1902].
35 R. Borrmann o.J. [1902], S. 4f.
36 R. Borrmann o.J. [1902], S. 66-71. Er nennt hier Laeuger einen der „fruchtbarsten keramischen Künstler in Deutschland" (S. 68).
37 Parvillee betrieb seit ca. 1870 eine Keramikwerkstatt in Paris, in der er Keramik mit einem Schmuckrepertoire produzierte, das er in Bursa kennengelernt hatte (A. Hage¬
dorn 1998, S. 92f. mit weiterer Literatur).
für die Restaurierung der osmanischen Bauten in Bursa. Ihm war klar, dass
es bei der Restaurierung und der Modernisierung osmanischer Bauten in der
Türkei und Ägypten sehr enge Beziehungen zwischen dem Osmanischen
Reich und Europa geben müsse. 38 In Büchern, wie dem über Keramik von
1902, erweist sich, dass Borrmann, fußend auf seinen an der Antike und der
islamischen Kunst erprobten Beschreibungen, die komplizierten Techniken
und die Vielfalt der Dekore auf verständliche Weise zu vermitteln wusste.
In den Jahren als „Directorial-Assistent" am Kunstgewerbemuseum der
Königlichen Museen in Berlin 39 beschäftigte sich Borrmann im Auftrag
der Generalverwaltung der Königlichen Museen mit den Vorarbeiten für
ein Museum der Architektur und Monumentalplastik nach dem Vorbilde
des Trocadero-Museums in Paris. Für dieses Museum sollten auch Abgüsse
verwendet werden. Das Vorhaben wurde schließlich 1906 aufgegeben. 40
Im Lehrjahr 1903/1904 erschien er dann als Professor zum ersten Mal im
Vorlesungsverzeichnis der Technischen Hochschule (Charlottenburg, Berli¬
ner Str.). 41 Er hielt im Wintersemester eine Vorlesung zur Geschichte der Bau¬
kunst des Mittelalters, im Sommersemester zur Renaissance. Am 12.5.1904
wurde er zum etatmäßigen Professor ernannt. Er war seit dem 12.5.1908 für
ein Jahr Rektor, im Semester 1909/1910 Prorektor, seit 1915/1916 Senatsmit¬
glied der Hochschule und seit 1921 deren Ehrenbürger. 1908 wurde ihm der
38 A. Hagedorn [im Druck].
39 D. Krencker 1931b, S. 207. Aus dieser Zeit befinden sich zwei Briefe im Bode- Nachlass, Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv. Hier geht es um das geplante Mu¬
seum für Abgüsse.
40 D. Krencker 1931a, S. 273: „Das Unternehmen ist, weil es zu kostspielig wurde, 1906 aufgegeben worden". Dazu erschien 1907 eine Denkschrift von Wilhelm von Bode
(Bode 1907). Gipsabgüsse waren in der Frühzeit des Sammeins der Abgüsse im Neuen
Museum aufgestellt worden, seit 1878 wurden Abgüsse dem Kunstgewerbemuseum und
der Berliner Akademie der Künste übergeben, 1888 in die ehemaligen Räume des Ethno¬
logischen Museums. Wegen der gedrängten Enge in den bisherigen Aufstellungsorten hatte es bereits 1873 Bestrebungen gegeben, einen Bau für diese Stücke zu errichten. Der Staatshaushalt bewilligte dazu 30000 Taler. Aus diesem Projekt wurde aber aus Haus¬
haltsgründen nichts, da zunächst der Bau der Berliner Stadtbahn und die Neukonzeption
der Museumsinsel in Angriff genommen wurden (Vahrson 1995, S. 89).
41 Borrmann war eigentlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest installierter Pro¬
fessor für Baugeschichte mit einem Lehrstuhl, sondern hatte am 11.7.1903 zunächst eine
Dozentenstelle im Rang eines Professors erhalten (GStAPK, L HA Tit. 76 Vb, Sekt. 4,
Tit. III, Nr. 6, Bd. VII, o. pag.). Diese zeitlich befristete Stelle war für Architektonische
Formenlehre der Renaissance sowie für Ornamentzeichnen und farbliche Dekora¬
tion (GStAPK, L HA, Rep. 76Vb., Sekt. 4, Tit. III, Nr. 6, Bd. VII, o. pag.). Er war am
20.5.1903 bereits einstimmig zum Nachfolger von Adler gewählt worden (GStAPK, I.
HA, Rep. 67 Vb, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 6, Bd. VII). Die Nachricht erhielt er am 25.8.1903 (wie oben). Die Bestallung zum etatmäßigen Professor für die Geschichte der Baukunst ist auf den 12.5.1904 datiert (wie oben, Bl. 224/225).
Ehrentitel „Geheimer Baurat" verliehen, 1910 die Medaille in Silber für Ver¬
dienste für das Bauwesen. 42 Themen seiner Vorlesungen und Seminare boten
Informationen zu allen Zeiten der Baugeschichte. Er behandelte dabei auch
die Geschichte der Architektur und Baukeramik der orientalischen Welt seit
den alten Ägyptern. Bei seinen baugeschichtlichen Seminaren kam es zur Zu¬
sammenarbeit mit seinem Kollegen Professor Max Zimmermann. 43 Während
seiner Universitätslaufbahn hielt er in jedem Semester Vorlesungen. 44
In seiner ersten Zeit an der Hochschule begann er zusammen mit dem
Wiener Kunsthistoriker Josef Neuwirth (1855-1934) wiederum ein größe¬
res Publikationsprojekt, dass leider nicht zum Abschluss gebracht wurde. Die
beiden planten eine Neuausgabe der Architekturgeschichte 45 von Wilhelm
Lübke (1826-1893), Professor in Stuttgart, Zürich und Karlsruhe. In seinem
Vorwort zur Geschichte der Baukunst schrieb Borrmann, dass „die Berück¬
sichtigung der neueren Forschungen und Ausgrabungsergebnisse bald zu
einer vollständigen Umgestaltung und schließlich zu einer Umgestaltung der
Anlage des ganzen auf drei Bände berechneten Werkes" geführt habe. 46
Eigentlich war Borrmann bewusst, wie schwer es mittlerweile war,
eine allgemeingültige Architekturgeschichte zu schreiben, da das Fach so
lebendig geworden war und Einzeluntersuchungen vorgelegt würden, und
dadurch die „Grundanschauungen wankend geworden" seien. 47 Borrmann
übernahm den ersten der geplanten drei Bände des Werkes. Er widmete sich
innerhalb der neun Kapitel des Buches unter anderen in drei Kapiteln der
vorislamischen orientalischen Architektur, bevor er sich auf über 50 Seiten
der islamischen Baukunst zuwendete. Indien wird nicht näher erwähnt, und
interessanterweise behandelte er die osmanische Kunst nur auf zwei Seiten.
42 Archivalien zu seiner Universitätslaufbahn sind einerseits im Archiv der TU Berlin, andererseits im GStAPK erhalten (Bestallung zum etatsmäßigen Professor in: L HA, Rep.
89H, [2.2.1] Nr. 21708, Bl. 224/225; zum Rektor: Rep. 89H, [2.2.1] Nr. 21709, Bl. 134-38;
Verleihung des Titels Geheimer Baurat in I. HA, Rep. 89, [2.2.1] Nr. 21709, Bl. 149/50).
Zur Medaille in: Kunstchronik 1910, S. 628.
43 Zimmermann arbeitete 1888-1892 an der Düsseldorfer Kunstakademie. Er war seit 1900 Priv. Doz. an der TH Berlin, später dort Professor.
44 Borrmann lebte während seiner Zeit als Professor der TH nacheinander in drei
Wohnungen: Zuerst im Studienjahr 1903/1904 in der Eislebener Str. 5 (Charlottenburg),
nach seiner Ernennung zum etatsmäßigen Professor und Senatsmitglied in der Bam¬
berger Str. 7/1 (Schöneberg). Seit seiner Ernennung zum Ehrenbürger der TH, seit der
Ernennung zum Geheimen Baurat und den Ehrungen zum Dr. Ing. ehrenhalber der
Technischen Hochschulen in München und Berlin, wohnte er in der Barbarossastr. 32A/
II (Schöneberg). Ermittelt nach Angaben in den Vorlesungsverzeichnissen der TU. Für Unterstützung im Archiv danke ich Herrn Gerhard Knobelsdorff.
45 1884/1886, erste Aufl.
46 R. Borrmann 1904, Vorwort.
47 R. Borrmann 1904, Vorwort.
Die seit 1904 in Berlin im Kaiser-Friedrich-Museum als Geschenk des
türkischen Sultans Abdülhamid (1842-1918) ausgestellte Fassade des Schlos¬
ses Mschatta aus dem 8. Jahrhundert wurde von Borrmann und anderen
Wissenschaftlern in dieser Zeit zunächst als vorislamisch angesehen. 48 Ab
1906 und vor allen Dingen nach den 1910 publizierten Untersuchungen von
Ernst Herzfeld (1879-1948) wurde die frühislamische Datierung allge¬
mein anerkannt. 49
Um das fast unübersehbare Material so in den Griff zu bekommen, dass
auch ein Nichtfachmann Gefallen an islamischer Architektur bekommen
konnte, beschränkte er seine Untersuchungen vor allem auf die Bauformen
Moschee, Medrese und verschiedene Formen des Grabmals, da dies typische
Bauten für den Islam waren. In Verbindung mit einer Fülle von Hinweisen
zur Geschichte entstand ein sehr lebendiger Text. Borrmann rechnete den
„Orientalen" im Mittelalter eine Überlegenheit gegenüber dem Westen zu. 50
Sein Spezialgebiet, die Baukeramik, band er in den Text ein, schrieb
immer wieder von der Weiterentwicklung der Baukeramik seit dem Alten
Orient, wobei er regelmäßig die Polychromie mittelalterlicher islamischer
Keramik mit älteren Entwicklungsstufen verglich. Er war ein Verehrer der
Lüstermalerei, die er als die „edelste" Keramikdekoration einstufte. 51 Dieser
Text von Borrmann besticht durch seine genaue Sachkenntnis, sein Wissen
über Baukeramik und seine Kenntnisse der islamischen Geschichte machten
ihn bei seinem Erscheinen zum lesenswerten Informationsschub.
1914 trat Borrmann mit dem Artikel über den „Städtebau im islamischen
Osten" hervor. Diese Publikation ging auf einen Vortrag aus dem Zyklus
„Städtebauliche Vorträge" am Seminar für Städtebau an der Technischen
Hochschule zurück. Borrmann begann mit frühen Bauten aus abbassidi-
scher Zeit. Ausführlich beschrieb er Samarra und konnte dabei auf die gerade
abgeschlossenen Ausgrabungen von Herzfeld und Sarre zurückgreifen.
Borrmann interessierten wegen seiner eigenen Kenntnisse über vergleich¬
bare Bausituationen in Europa gerade die „geschlossenen Platzanlagen" 52
des Orients. Ausführlich wandte er sich deshalb den zentralen Plätzen
in Samarkand und Isfahan zu. Viele Plätze wurden durch Abbildungen
belegt. 53 Er verglich aber auch die Funktion von Brücken in Europa und in
48 R. Borrmann 1904, S. 314—316.
49 E. Herzfeld 1910.
50 R. Borrmann 1904, S. 335.
51 R. Borrmann 1904, S. 341.
52 R. Borrmann 1912.
53 R. Borrmann 1914, S. 13. Fotos und andere Abbildungen sind von F. Sarre und P.
Coste.
der islamischen Welt. Die Brücken in Isfahan seien Nutz- und Prachtbauten,
die in Europa Flussbrücken „von berückender Schönheit", aber nirgends
gebe es, wie im Orient, „eine Stelle für Ruhe und Sammlung". 54 Auch hier
wies er auf die negative Entwicklung persischer Baukunst hin, eine Tatsache,
die er auf den europäischen Einfluss zurückführte. Dieser habe zur „Mi¬
schung" der verschiedensten Stile geführt, und sei von „häßlichen Merkma¬
len gekennzeichnet". 55 Eine ähnlich kritische Haltung zu den Einflüssen der
Europäer auf die Kunst der islamischen Welt hatte er bereits 1902 in seinem
Artikel über die Sammlung islamischer Keramiken im Hamburger Museum
für Kunst und Gewerbe eingenommen. Hier wies er aber auch darauf hin,
wie schnell in Europa die Preise dieser Dinge gestiegen seien. 56
Ob das Vorhaben verwirklicht wurde, Borrmann bereits 1912 mit der
Leitung des Architekturmuseums mit der Callenbach-Sammlung zu be¬
trauen, ist nicht abzuschätzen. Bekannt ist nur, dass Borrmann am 23. Mai
1921 als Nachfolger Max Zimmermanns von der Verwaltung der Techni¬
schen Hochschule als Leiter des Beuth-Schinkel-Museums mit der Samm¬
lung von Nachlässen der beiden Architekten sowie der Sammlung von
Gipsabgüssen berufen wurde. 57 Es kam aber nur zur einer kurzen Zusam¬
menarbeit mit diesem Museum der Architekturabteilung der Technischen
Hochschule; ob dieser Kontakt auch nach seiner Emeritierung im selben
Jahr noch bestand, ist ungewiss, denn die Zeichnungen Beuths und Schin¬
kels wurden bald in einem Gebäude in der Hardenbergstraße/Steinplatz zu
einer Sondersammlung verbunden. 58
54 R. Borrmann 1914, S. 31.
55 R. Borrmann 1914, S. 5.
56 R. Borrmann 1902, S.311f.
57 Peter Christian Wilhelm Beuth (1781-1853), Gründer des Gewerbe-Instituts in
Berlin und Pionier der Wasserbaukunst. Seine Sammlung von Kupferstichen wurde nach seinem Tod mit den Beständen des Schinkel-Museums zum Beuth-Schinkel-Museum vereinigt. 1884 kamen die Bestände des Beuth-Schinkel-Museums an die TH, wo sie bis in die 20er Jahre existierten. Dazu: R. Borrmann 1926a, S. 1.
58 Krencker ging davon aus, dass Borrmann bereits 1919 mit der Leitung begonnen habe. Im GStAPK (I. HA, Rep. 76 Vb, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 6, Bd. XI, o. pag.) liegt ein Schreiben der Universitätsverwaltung vom 23.5.1921 vor. Die Diskrepanz kann mit einer möglichen zeitversetzten Übernahme und der Bearbeitung des Vorgangs von Seiten der
Universität zusammenhängen. Platz-Horster 1979, S. 288 beschrieb die Gründungs¬
phase der Abgusssammlung und die öffentliche Präsentation im Mai 1921, erwähnt aber
nicht Borrmanns Mitarbeit. Die verwickelte Entwicklung für die geplante Neuprä¬
sentation der Sammlung in einem neuerrichteten Gebäude der Universität beschreibt S.
Achenbach 2002, S.92f. Diese Planungen wurden aber nicht umgesetzt, die Sammlung zog schließlich Ende der 20er Jahre in das Prinzessinnen-Palais Unter den Linden. Dieses Museum hatte aber auch nur eine kurze Lebensdauer und musste 1933 wieder schließen.
Borrmann wurde schließlich 1921 emeritiert; dies bedeutete jedoch
noch nicht das Ende seiner Universitätskarriere: Die Technische Hoch¬
schule fragte an, ob er bereit sei, seine Professur für Baugeschichte noch
bis zum Ende des Wintersemesters 1921/22 auszuüben. 59 Es war im Juli
1921 geplant den Lehrstuhl erst zu diesem Zeitpunkt wieder zu besetzen.
Der Lehrstuhl sollte aber nicht einfach neubesetzt werden, sondern umge¬
tauft, und in einen Lehrstuhl für Kulturgeschichte verändert werden. Die
Abteilung für Architektur sollte neu strukturiert werden. Dabei sollte die
Kunstgeschichte aufgegeben werden. 60 Borrmann sollte also zunächst kei¬
nen Nachfolger bekommen. Es kam schließlich nur zu einer Neubesetzung
seiner Stelle, weil die Abteilung für Allgemeine Wissenschaften, den von
der Abteilung für Architektur geplanten Lehrstuhl für Kulturgeschichte
zuerst beantragt hatte. Eine doppelte Besetzung an zwei Abteilungen war
ausgeschlossen. Nachfolger von Borrmann wurde schließlich Daniel
Krencker (1874-1941). Wie Borrmann selbst bemerkte, lebte er in einer
Zeit großer Umbrüche, in der es schwer war, allgemeingültige Zusam¬
menfassungen, wie sie das 19. Jahrhundert hervorbrachte, zu schreiben,
da zahllose Einzelforschungen auf allen Gebieten erschienen und „lange
gepflegte Grundanschauungen wankend" wurden. 61 Insofern zählte er zu
jenen vorbildlichen Universalhistorikern, die noch den Versuch von Über¬
blicken wagen konnten und dabei zugleich den Anschluss an die moderne
Forschung behielten und sich bewusst waren, dass sie die letzten ihrer Art
sein würden. Für das Gebiet der islamischen Kunstgeschichte gelang ihm
dies durch die persönlichen Kontakte mit den in Berlin lebenden Persönlich¬
keiten und durch den Gedankenaustausch untereinander.
Borrmanns Kenntnisse der europäischen Architektur und ihrer Bau¬
technologie waren in dieser Zeit gewinnbringende Grundlagen. Er arbeitete
bei seinen Publikationsvorhaben zum Teil mit einigen der bekanntesten
Wissenschaftlern zusammen. 62 Obwohl Borrmann eben kein Bauforscher
59 Text der Anfrage: GStAPK, I. HA, Rep. 76 V., Sekt. 4, Tit. III, Nr. 6, Bd. XI, üppig.
Von dem Mitarbeiter Wende des Ministeriums für Wissenschaft wurde der Abteilung für Architektur der TU im Juli 1921 dazu mitgeteilt „ich setzte voraus, daß besondere Kosten für die Vertretung nicht erwachsen."
60 GStAPK, I. HA, Rep. 76 Vb, Sekt. 4, Tit. III, Nr. 6, Bd. XI. Am 5.3.1921 wird beschlossen, eine „Anpassung an Baupraxis" anzustreben. Nicht mehr nur „Stilkollegs"
abzuhalten; es wurde angestrebt, eine „allgemeine Einschränkung des allgemeinen
Kunstgeschichtsunterrichts".
61 R. Borrmann 1904, Vorwort. Bereits 1898/1899 (S. 308) hatte Borrmann auf die
Bedeutung von Einzeluntersuchungen von islamischen Bauwerken hingewiesen.
62 Zur Zusammenarbeit kam es für Die Baukunst mit Richard Graul (1862-1944,
Direktor des Leipziger Kunstgewerbemuseums und Gründer der Grassimessen, Fach¬
mann für Stoff-, Tapeten- und Buchdesign), bei Moderne Keramik mit Jean Louis
für islamische Architektur war, der im Orient reiste, um dort als Wissen¬
schafter zu arbeiten, war er doch ein angesehener Architekturhistoriker
generell. Durch sein in den europäischen Sammlungen Europas erworbenes
Wissen über islamische angewandte Kunst, gelang es ihm, auf der Grundlage
seines weit gefächerten Wissens, Kenntnisse islamischer Kunst in wirklich
kompetenten Publikationen zusammenzustellen und zu vermitteln. Seine
freundschaftlichen Beziehungen zu Sarre und Jacobsthal beweisen, wie
ernst er genommen wurde. Er konnte in diese Gruppe von Wissenschaftlern
seine tiefgehenden Kenntnisse zur Baukeramik einbringen und so den Ho¬
rizont aller erweitern. Es ist interessant zu sehen, wie damals von allen auch
die moderne Keramik als Vergleichsmöglichkeit und für die Benennung von
Techniken erkannt wurde. Mit dem Mut, Neuansätze zu wagen auf einer
großen Bandbreite von Wissen, gelang es dieser Gruppe von Kunsthisto¬
rikern das Fach Islamische Kunstgeschichte wissenschaftlich zu etablieren.
Die Anfänge dafür wurden von Richard Borrmann geschaffen.
Richard Borrmann starb am 26.3.1931 in Berlin. Begraben wurde er
zusammen mit seiner Frau und seiner Schwiegermutter auf dem Dreifaltig¬
keitsfriedhof in Berlin-Kreuzberg. Hier wird auch an seinen Sohn erinnert.
Sponsel (Generaldirektor der Dresdener Museen und Fachmann für Kunstgewerbe und
Plakatkunst), bei „Geschichte der Baukunst" mit Josef Neuwirth (Kunsthistoriker und Archäologe seit 1897 Professor an der Universität in Prag, seit 1894 auch an der Universität Wien, seit 1904 Rektor der TH in Wien). Innerhalb der geplanten Hefte zu Die Baukunst
sollte Borrmann neben den zwei erschienen Heften drei weitere publizieren: „Der Joni¬
sche Tempel", „Olympia" und „Die Schlösser zu Berlin und Charlottenburg". Alle Hefte dieses Sammelwerks wurden von Fachmännern publiziert, die die Bauten aufgenommen, und oft als Archäologen tätig geworden waren. Beteiligt waren aus dem Bereich der Isla¬
mischen Kunstgeschichte außerdem: Friedrich Sarre, Julius Franz Pascha. Geplant
waren auch Hefte zu Jerusalem und zu Grabbauten in Indien. Warum die aufwendige
Reihe nach 2 Bänden sowie weiteren drei Heften eingestellt wurde, ist nicht bekannt.
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Herrmann Jungraithmayr: Sindi- Tangale folktales (Kaltungo, Northeastern Nigeria).
Coll., transl. and ed. in coll. with Njeno Andirya Galadima, Stephen Njeno Yoblis
and Harald Vajkonny, prefatory essay by Johannes Harnischfeger. Köln: Köppe
2002. xxxviii, 455 S. (Westafrikanische Studien. 23.) ISBN 3-89645-110-3. € 49,50.
Das Tanle ftanle] wird von etwa 150000 Menschen, vor allem Ackerbauern, in etwa 30
Ortschaften 60-70 km südlich von Gombe, der Hauptstadt des gleichnamigen „Gombe
State" im nordöstlichen Nigeria, gesprochen. Trotz der geringen Ausdehnung des Sprach¬
gebietes kann man zwischen dem (nord)westlichen Tangale (Billiri) und den östlichen Tangale-Dialekten (Kaltungo, Shongom [ssnom] und Türe) unterscheiden. Das Tangale gehört zum südlichen Zweig der Bole-Tangale-Gruppe des West-Tschadischen. Die nächst¬
verwandten Sprachen, für die grammatische Beschreibungen vorliegen, sind das Kwami, Pero, Kanakuru/Dera und Bole. Die neueste Grammatik einer Sprache dieser Gruppe ist die Grammatik der Kwami-Sprache (Köln 1994) von Rudolf Leger. In der Arbeit über die Bole-Tangale languages of the Bauchi Area (Berlin 1978) von Russell G. Schuh werden ei¬
nige Bole-Tangale-Sprachen des nördlichen Zweigs (wie Bele, Kirfi, Galambu) beschrieben.
Nach einem Wörterbuch des Tangale (A dictionary of the Tangale language, in coll.
with Njeno Andirya Galadima and Ulrich Kleinewillinghöfer, Berlin 1991), das
auch eine wichtige grammatische Beschreibung der Sprache enthält (s. die Besprechung in ZDMG 143 [1993], S. 403-405), legt der Altmeister der Tschadistik (s. „Vergleichende Tschadistik heute - Fortschritte in der tschadischen und semitohamitischen Komparati-
stik." In: OLZ 93 [1998], Sp. 605-619) nunmehr einen Sammelband mit Texten in dieser Sprache vor. Seit dem Erscheinen des Dictionary ist nun die in diesem Werk schon berück¬
sichtigte Doktorarbeit von Mairo E. Kidda im Druck erschienen: Tangale phonology - a descriptive analysis, Berlin 1993.
An der Ausarbeitung des Bandes haben mehrere Informanten und Wissenschaftler mitgewirkt, wie in der Einleitung dargelegt wird. Auf dem Titelblatt sind zwei Tangale-
Gewährsleute genannt, von denen der erste (Njeno Andirya Galadima) auch auf dem
Titelblatt des Dictionary erscheint, sowie ein deutscher Mitarbeiter. Die in diesem Band
zusammengestellten Texte wurden 1982-1983 von zehn auch namentlich genannten Ge¬
währsleuten in der Stadt Kaltungo [kaldino] aufgenommen, die zum östlichen Tangale- Sprachgebiet gehört. Es handelt sich um insgesamt 27 Geschichten, bei denen es vorwiegend um Männer und ihre Abenteuer geht, z.B. „Der Mann und seine Schwester", „Der Mann mit den vielen Köpfen", „Der Mann, der seinen Sohn enthauptete". Relativ selten sind die ansonsten in Afrika so beliebten Tiergeschichten, wie im vorliegenden Band „Frosch und Antilope", „Das Hühnchen". Auch die sonst so volkstümlichen Trickster-Geschichten
sind kaum vertreten. Eine zentrale Figur in vielen Geschichten ist die Nanamüdo , Mutter (ndd) des Todes (mudo, d.i. Verbalnomen von mude , sterben')', wie in der am Anfang ste¬
henden längsten Geschichte der Sammlung „N. und die Erdnuß-Ernter".