Bibliothek der Deutschen Morgeniändischen Gesellschaft
Helmut Nespital (1936-2001)
Von Adalbert). Gail
Am 10. Mai 2001 ist Prof. Dr. Nespital einem Krebsleiden erlegen, das erst
Ende Januar festgestellt worden war - tapfer und hellwach fast bis zum letz¬
ten Tage. Nicht nur unser Institut, die Indienwissenschaften in Deutschland
und international verlieren einen ihrer bedeutendsten, für die lebenden indi¬
schen Sprachen verantwortlichen Linguisten und Philologen.
Helmut Nespital wurde am 4. August 1936 in Berlin-Prenzlauer Berg
geboren, wo er die Schule bis zum Abitur besuchte. Ein Studium der Philo¬
sophie an der Humboldt-Universität brach er aus ideologischen Gründen
wieder ab, um sich von 1955 bis 1960 vorwiegend indischen, aber auch an¬
deren orientalischen Sprachen wie Altpersisch, Neupersisch, Türkisch und
Arabisch zu widmen. Nach seiner Diplomarbeit über „Leben und Werk des
Urdu-Schriftstellers Krishan Candar" zog es ihn nach Prag zu dem damals
bedeutendsten Vertreter der Linguistik des Hindi, Vincenc Porizka an
der Karls-Universität. Seine Dissertation über die „Formen und syntakti¬
schen Funktionen des Adverbs in der modernen Hindi-Schriftsprache" ver¬
teidigte er im März 1965 in Prag.
Im Mai 1965 zum Oberassistenten an der Humboldt-Universität ernannt,
forschte und lehrte er dort weiter, vorwiegend zur Sprache und Literatur des
Hindi und Urdu, von September 1968 ab ein ganzes Jahr an der Universität
Allahabad.
Trotz Habilitation im Juli 1977 fühlte sich Helmut Nespital immer mehr
eingeschnürt und nutzte einen weiteren Indienaufenthalt im September 1978,
um nicht nach Ost-, sondern West-Berlin zurückzukehren. Von der Hum¬
boldt-Universität an die Freie Universität. Die weiteren Stationen waren: Um-
habilitation an die FU (1980), Heisenberg-Stipendium für den Forschungs¬
schwerpunkt „Verbalaspekt, Tempus und lexikalische Verbbedeutungen
im Indoarischen". Im Juli 1982 wurde er zum Professor für „Allgemeine
und Kontrastive Sprachwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung von
Deutsch als Fremdsprache" an der Universität Bamberg ernannt.
Seit 1986 lief sein wichtigstes DFG-Projekt, ein Spezialwörterbuch zum
Verbsystem des Hindi, das im Oktober 1997 in Allahabad/Indien unter dem
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Titel Dictionary of Hindi Verbs / Hindi Kriya-Kos erschien und Ihm inter¬
national große Anerkennung verschafft hat. Für die neuindische Philologie
ein opus saeculare.
Im September 1990 hatten wir am „Institut für Indische Philologie und
Kunstgeschichte der FU" die große Chance, Helmut Nespital auch als
Lehrer wieder Ins Kerngebiet seiner Forschung zu holen. Er wurde zum
Professor für „Indologie / Philologie neuindischer Sprachen" berufen und
begeisterte über 10 Jahre Studenten und Kollegen mit seinen phänomenalen
Sprach- und Literaturkenntnissen.
Eine Grammatik des Hindi zu schreiben, blieb ihm verwehrt. Vom Tode
bereits gekennzeichnet, hielt er mir In der Charite eine elnstündige Vor¬
lesung über die Wurzeln dieser Sprache (Braj Bhasha) und die Gründe
für Ihre Ausbreitung. Helmut Nespital lebte mit und In Sprachen. Auch
Tschechisch war Ihm vertraut seit den frühen 60er Jahren, seit seinem Stu¬
dium In Prag. Und Tschechisch blieb wichtigste Referenzsprache für seine
Studien zum doppelgleisigen, perfektiven und Imperfektiven Verbsystem
des Hindi.'
Helmut Nespital arbeitete nicht nur linguistisch mit zahlreichen Spra¬
chen - das tun viele Sprachwissenschaftler, die aber, nach einem Wort des
Wiener Sprachwissenschaftlers Heinz Kronasser, nicht in der Lage sind,
auf Französisch In Paris ein Paar Schnürsenkel zu kaufen -, er sprach die
meisten dieser Sprachen fließend. Es waren 21 Sprachen, darunter die wich¬
tigsten Indischen. Als Kollege Vacek aus Prag an unserem Institut im Som¬
mersemester 1992 Tamil unterrichtete, drückte Helmut Nespital nochmal
„die Schulbank", um diese Sprache zu lernen und vom nächsten Semester ab
zu lehren.
Mich erinnerte dieses Erlebnis an eine Begebenheit, die dem Dichter und
Indologen Friedrich Rückert nachgesagt wird. Als ein Student vor Seme¬
sterbeginn In Berlin zu Rückert kam mit der Frage, ob er bei Ihm Tamil ler¬
nen könne, meinte dieser: „Im Moment noch nicht, aber wenn Sie im näch¬
sten Semester wiederkommen würden ..."
Wenn der erste Präsident der tschechoslowakischen Republik T. G. Masa-
ryk recht hat mit seinem Wort „So viele Sprachen Du sprichst, so viele
Male bist Du Mensch", dann hat unser früh verstorbener Kollege ein langes
Leben gehabt.
' Für eine eindringliche Würdigung des wissenschaftlichen Werks Helmut Nespi-
tals verweise ich auf den Beitrag von G. Buddruss in der posthum erscheinenden Fest¬
schrift zu H. Nespitals 65. Geburtstag in den Berliner Indologischen Studien.
Helmut Nespital (1936-2001) 3
Er war nicht nur Wissenschaftler, er fühlte sich geborgen und gab Gebor¬
genheit seiner Familie, er war ein Hochschullehrer aus Passion und küm¬
merte sich um Studenten wie um seine Kinder. Jeder Verstellung, jeder Hin¬
terhältigkeit abhold, konnte er wütend werden, wenn er derlei entdeckte.
Die Tatsache, daß seine Studienrichtung, die neuindische Philologie, nach
seiner Pensionierung an der Freien Universität nicht fortgesetzt werden
sollte, hat ihn nicht nur tief getrofFen, sie hat nach meiner festen Überzeu¬
gung die Krankheit verschlimmert.
Niemand, der ihn gekannt hat, wird den Sprachvirtuosen, den Kärrner
im Garten der Linguistik, den humorvollen und geselligen Berliner, den
Lehrer und Freund seiner Studenten und Kollegen je vergessen.